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Das achtunddreißigste Kapitel

Welches der Herr Autor für das rührendste des ganzen Buches hält und mit einer neuen Niederlage des Herrn Bürgermeisters endet

 

Eigentlich sieht's nun stark nach einem Siege des Herrn Hansjakob aus: der Pater Tantlaquakapatschius und der Pater Mulonius, auch Meister Christoph, der Schneider, drei feste Schwurzeugen – aber wir haben um diese drei krächzenden Raben herum unser Buch nicht schreiben wollen. Wir bleiben bei den gefestigteren Menschen unserer Handlung bestehen und müssen an dem Strange ziehen, dem sich der hochwürdige Herr Pater Guardian mit der ehrwürdigen Regelschwester Frau Anna Pentenriederin vorgespannt hat.

Der Pater Guardian ist leider noch immer um das Kehlheimer Guardinat dienstlich bemüht; er hätte uns mit seiner besonnenen Art leicht aus der Klemme helfen können. Es bleibt uns nur die Frau Mutter mit einiger bewiesener Pantoffelkraft, ihrer Hartnäckigkeit und anderen frauenhaften Waffen.

Gut, so lassen wir sie mit einer schönen und rührenden Komödie eingreifen, deren erster Akt hinter den Kulissen spielt. Es agiert außer ihr nur der kleine Schicksalsheld Pankraz Corleone Hansjakob, und auch der ist vorläufig nur stumme Person und darf sich nur durch Nicken oder bejahende Augen verständlich machen.

»Ein schöner Mantel!« lobt die Mutter das Kleidungsstück, das der Meister Christoph abgeliefert hat.

(Nicken.)

»Du möchtest ihn wohl gerne tragen)!«

(Augenspiel: o, wie gerne!)

»Als kleines Studentlein, nicht wahr, mein süßer Pankraz!«

(Verwunderter Blick: als was denn sonst?!)

»Zieh ihn mal an!«

(Tut er.)

»Und willst du nicht deine wunderschönen neuen Bücher mit dem Riemen zusammenschnallen?«

(Tut er eifrigst.)

»Und jetzt schön vor den Herrn Vater hintreten und als ein lieber guter Junge sagen: lieber Herr Vater, ich danke Euch von Herzen für den schönen neuen Mantel und für die wunderschönen Bücher. O wie ich mich freue! Insbesondere aber danke ich dem Herrn Vater für die gütige Erlaubnis, weiterstudieren zu dürfen. – Wird mein lieber süßer Pankraz seinen Herrn Vater durch diese wohlgesetzte Rede erfreuen??«

(Nicken, freudiges Augenspiel.)

»Auch dem Herrn Vater gehorsam die Hand küssen und sagen: o, wie ich mich freue, lieber Herr Vater, daß ich fortstudieren darf!?«

(Augen voll leuchtender Freude.)

»So mach deine Sache gut, mein süßer kleiner Pankraz!«

(Letztes Nicken. Vorhang.)

*

Zweiter Auftritt: der Herr Vater sieht drein wie ein aufgeschrecktes Schwalberl und schüttelt den Kopf wie ein Besessener.

Pankraz stammelt über seine Rolle hinaus: er wolle arg brav sein und über die Maßen fleißig und seinem lieben Herrn Vater alle Freuden bereiten als gehorsames Kind. –

»Nein!« schrie Herr Hansjakob und Pankraz sah ängstlich auf die Frau Mutter. Aber sie vermochte ihm kein Stichwort zu geben, weil das Stück eine andere Wendung genommen hatte. Sie versuchte, sich der neuen Handlung anzupassen und fand einen ergreifenden Ausruf:

»Unbarmherziger!«

»Nein. Bei dem, was ich gesagt habe, bleibt es immer und ewig. Mein Pankraz studiert nicht! Und ich bin der Sache müde, Nandl, und es ist nichts und wird nichts, ewig nichts.«

Die Frau Mutter dämpfte sehr robuste Gefühle nieder und glaubte die Güte als richtiges Bühneninstrument handhaben zu müssen. Oder den Scherz, oder die Harmlosigkeit. Sie nahm den Spieß zunächst von einer ganz anderen Seite. »Väterchen, ich weiß ja, daß du nur Spaß machen willst.«

»Ich mache keinen Spaß! Es ist mein heiligster Ernst.« Hansjakob wurde fast grob gegen seine Frau.

Und so nahm er die Frauengüte aus ihrer Spielkunst und zwang sie, mit offenen Karten zu arbeiten. Sie warf Maske und Rolle weg und stemmte wieder die bürgerlichen Arme in die Hüften. »So?!« höhnte sie; »gehorsamste Dienerin, Herr Bürgermeister! Verzeihen Sie nur, wenn ich auch noch lebe und denke und wünsche und will. Ei, ei! Hat Ihnen der Meister Schneider diese Wahrheit eingegossen? Das wird ja recht nett, wenn die Leute sagen: der Herr Bürgermeister hat in einer wichtigen Familienangelegenheit den Meister Christoph konsultiert, wo sollte er sich denn sonst hinwenden, um zu erfahren, was er mit seinem Kinde machen soll!? Und nach dem Votum des Meister Schneiders also – –«

»Bist du ruhig!« schrie Hansjakob.

»Nein, ich bin nicht ruhig!!«

»So?? Nicht ruhig?? Gut, so ist mein letztes Wort, Pankraz soll nicht mehr weiterstudieren.«

Und er sah groß auf seine Frau und war mit seiner Größe einverstanden.

»Dein Wille? So ist der meine, daß er ja weiterstudieren soll. Ein Kind, das durch die Spannader des Heiligen Geistes erworben ist, soll nicht wenigstens etliche Schulen durchlaufen?«

»Nein!« rief der gewalttätige Mann.

»Und soll nicht von Grund aus Lateinisch lernen, was sogar der Schneider gelernt hat? Wo denkst du hin, du Undankbarer? Heißt das die Guttaten Gottes erkennen? Die an uns gewirkten Wunder??«

Und jetzt heulte sie laut auf und stieß den Satz hervor: »Das arme Wurm soll wie ein Bettlerkind aufwachsen.«

Der Bürgermeister fuhr sich hilfesuchend durch die Haare und fühlte abermals das Herannahen seiner schwachen Stunde.

Der kleine Pankraz aber war auf diese Dinge nicht vorbereitet. Er hatte seine Rolle gut und ehrlich gespielt, so wie's die Frau Mutter von ihm verlangt hatte. Aber vom Weinen war nicht die Rede gewesen und nicht entfernt von Zank, und darum saß er unruhig auf seinem Bunde Bücher und sah nur erstaunt auf die Frau Mutter und ihre Tränen und auf den Herrn Vater, der jetzt unruhig das Zimmer durchmaß, als wenn er hinaus möchte und keinen Ausgang fände.

Aber die Frau Bürgermeister beschloß, wiederum zur Komödie zu gehen und ihren Buben in eine neue Wendung des Stückes hineinzuziehen. Sie riß ein Messer vom Tisch und schluchzte dem kleinen Pankraz zu: »Da nimm, trag's deinem harten Vater hin und laß dich eher totstechen, als – –«

Aber der kleine Pankraz begriff das Stichwort und die Rolle nicht, und statt reichlich zu heulen, wie's der Fall wohl erheischt hätte, sprang er erschrocken auf und rannte davon.

Die Frau Mutter war geistesgegenwärtig genug, um der veränderten dramatischen Handlung folgen zu können. Sie schrie den lautesten Schrei ihres Lebens heraus: »Er springt in den Brunnen! Er ertränkt sich!«

Und dann lief sie auch hinaus und es war ein herrlicher Abgang und der Herr Vater war ganz und gar Zuschauer, mit der vollen Wirkung belastet. Drei schwere Herzschläge lang saß er mit gesträubten Haaren und vor Erregung glänzenden Augen da und wußte nicht, wie ihm war. Er war kein Kenner der großen und kleinen Spiele des Lebens und nahm alles in der Welt für bar bezahlten Ernst hin. Und so sahen jetzt seine miteilenden Gedanken den Sohn in den Brunnen hüpfen und ertrinken. Das Sprüchlein ging ihm wieder durch den Kopf: gescheite Kinder werden nicht alt – und da erlöste ihn ein Aufschrei und er konnte vom Stuhle aufspringen: du mußt alt werden, du mußt alt werden!

Und stürmte schon hinaus, und durch den Hausflur und bis in den Garten hinein hörte man sein Schreien: »Du sollst studieren, Pankrazerl, du mußt studieren! Tu dir nur kein Leid nicht an!«

*

Als der Herr Vater nach einem aufregenden Lauf seinen Pankraz entdeckte, war's in der Küche, und der Bub aß ein dickes Butterbrot und begriff weder den künstlich wogenden Busen der Frau Mutter, noch den zitternden Herrn Vater. Es war ihm überhaupt noch nichts von dem klar, was an diesem Tage Entscheidendes über sein Leben verhandelt wurde. Eigentlich war's ihm gleichgültig. Der Herr Vater glaubte zwar, einen unbestimmten trüben Schimmer in den Augen seines Buben zu sehen, als er sich das Geständnis abrang: du sollst studieren. Aber er guckte nicht tiefer zu in seiner Herzensangst und raffte sich nicht dazu auf, den Buben ein bißchen ins Verhör zu nehmen. Er ließ nur die Ohren schlapp werden und senkte den Kopf, wie's seine Art war. Und so lernte er nicht in dieser frommen Kindesseele lesen, die keinen anderen Wunsch hatte als den, nie mehr etwas mit der Schule und ihren tötenden Dingen zu tun zu haben und der ewigen Prügelei zu entgehen, über die er sich gegen den Herrn Vater in aller Scham ausgeschwiegen hatte.

Aber das war eben so: der Herr Vater und die Frau Mutter bemühten alle Welt um das Schicksal ihres Sohnes; nur mit dem Buben sprachen sie nicht darüber. Und der Herr Vater kam also nie dazu, in des Buben Kopf zu gucken: wie gern er im Kontor von Melchior Pentenrieder selig Erben das Briefschreiben und Rechnen, das Geldwechseln und Geschäftemachen den sämtlichen lateinischen und griechischen Wörtern vorgezogen hätte. So betrog sich Herr Hansjakob um ein Aufjauchzen und Frau Anna konnte in blinder seliger Sehnsucht verharren.

Und Pankraz ging abermals zum Studieren fort und hatte dasselbe große Leid im Herzen wie sein Vater. Nur die Mutter war schwindelig vor Freuden und sah den Himmel mit Kutten umzäunt.

*

 


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