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Fassungslos starrte Peters auf den Eingang zum Tanzpalast Granada, hinter dem Flora verschwunden war. Seine Gedanken jagten wild durcheinander. Was sollte er jetzt tun?
Zuerst wollte er versuchen, Marianne zu sprechen. Sie mußte die Wahrheit erfahren, mochte daraus werden, was wollte. Wenn er ihr Perquedas unglaubliche Gemeinheit enthüllte, kam sie sicher zur Vernunft. Dann überlegte er, an wen er sich wohl wenden müßte, wenn er die Sache der Polizei anzeigen wollte.
Zu Fuß ging er den Kurfürstendamm entlang, und unwillkürlich schlug er die Richtung zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein. Wie stets um diese Zeit herrschte reger Verkehr auf der Straße. Aufgeregt bahnte er sich einen Weg durch die Menge und eilte weiter, ohne selbst zu wissen, warum er so hastig vorwärtsstrebte. Er fiel wegen seines verbissenen Gesichtsausdrucks allgemein auf, und manche Leute sahen ihm nach und schüttelten den Kopf.
Als er zum Kaufhaus des Westens kam, wurde ihm endlich klar, daß er nutzlos die Zeit vergeudete. Er mußte doch handeln! Entschlossen eilte er zu der Telephonzelle auf dem Wittenbergplatz, aber es warteten schon mehrere Leute dort, und es dauerte eine Weile, bis er an die Reihe kam. Er wählte die Nummer von Frau Nüßlein, aber es meldete sich niemand. Mehrmals versuchte er es, erhielt jedoch keine Antwort.
Vor der Fernsprechzelle schien es jemand besonders eilig zu haben, denn er klopfte ungeduldig an die Glasscheibe der Tür.
Mißmutig hängte Peters den Hörer an. Dann fiel ihm ein, daß seine Wohnung in nächster Nähe lag. Von dort konnte er in aller Ruhe anrufen.
Rasch bog er in die Wormser Straße ein und stürmte im Haus Nr. 12 die Treppe hinauf.
Beinahe wäre er dabei mit einem alten Herrn zusammengestoßen, und hastig murmelte er eine Entschuldigung. Von seiner Wohnung aus versuchte er noch einmal, Marianne zu erreichen, aber wieder vergeblich. Schließlich sah er sich suchend im Zimmer um, trat an den Schreibtisch und zog die rechte Schublade auf, in der sein Revolver lag. Nach einem kurzen Zögern steckte er die Waffe ein.
Dann setzte er sich einen Augenblick nieder.
Kostbare Zeit verrann, und er mußte doch etwas unternehmen!
Vor ihm lag das Telephonbuch. Er blätterte darin, fand das Polizeirevier seines Bezirks und ließ sich mit der Kriminalabteilung verbinden.
»Ich möchte eine Anzeige erstatten gegen Juan Perqueda, den Inhaber des Tanzpalastes Granada«, erklärte er kurz.
»Wohnt der Mann in unserem Bezirk?«
»Nein.«
»Wo denn?«
»Hubertusallee siebenundsiebzig.«
»Dann müssen Sie sich an das dortige Polizeirevier wenden – aber warum wollen Sie ihn denn anzeigen?«
»Er ist ein gefährlicher Verbrecher.«
»Das behaupten Sie – was hat er denn getan?«
»Er ist ein Mädchenhändler!«
Der Beamte antwortete nicht gleich, und Peters hörte, daß der Mann überrascht den Atem anhielt.
»Haben Sie Beweise dafür?«
»Nein – ja.«
»Was stimmt denn nun? Ich will Ihnen einmal einen guten Rat geben. Wenn die Sache wirklich Hand und Fuß hat, fahren Sie zum Alex und melden sich beim Dezernat für Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels. Warten Sie mal einen Augenblick.«
Peters hatte sich die Sache anders vorgestellt. Er dachte, die Beamten würden sofort ein so schweres Verbrechen verfolgen.
»Hören Sie«, sagte der Beamte nach einiger Zeit wieder, »Sie müssen sich an Oberkommissar Eisler wenden, Zimmer 247. Aber wenn das nur eine Vermutung oder eine Flause von Ihnen ist, dann fahren Sie lieber nicht hin!«
Peters dankte.
Er wollte seine Wirtin noch kurz sprechen, aber sie war nicht zu Hause. Schnell zog er seinen grauen Mantel an und stülpte seinen grauen Hut auf, stürzte auf die Straße und legte im Laufschritt den Weg zur Untergrundbahn zurück.
Bald darauf saß er in einem Zug nach dem Alexanderplatz. Er mußte nachdenken und vorher klar überlegen, was er dem Kommissar sagen wollte. Soviel hatte er aus der ersten Unterredung mit dem Polizeibeamten des Reviers gelernt.
Aber je länger er nachdachte, desto schwerer erschien ihm seine Aufgabe. Schließlich stieg er am Alexanderplatz aus und ging zum Polizeipräsidium.
»Zimmer 247, Oberkommissar Eisler«, sagte er zu dem Beamten am Eingang.
»Ja – was wollen Sie denn?«
»Ich will Anzeige erstatten – es handelt sich um einen dringenden Fall.«
Der Mann ließ ihn passieren und sagte ihm Bescheid, wie er dorthin kommen könnte.
Einige Zeit verging, bis er das Zimmer fand. Dann entdeckte er, daß er sich erst in Zimmer 243 melden mußte.
»Sie haben Glück – der Oberkommissar ist gerade zurückgekommen, und es ist im Augenblick noch niemand bei ihm«, sagte der Wachtmeister, der ihn empfing.
Peters brauchte nicht zu warten, er wurde sofort vorgelassen.
Kommissar Eisler war neunundvierzig Jahre und von mittelgroßer Gestalt. Sein ruhiges, freundliches Gesicht verriet nicht im mindesten seinen Beruf, und sein klarer, wohlwollender Blick erweckte Vertrauen.
Nachdem der Kommissar seinem Besucher einen Stuhl angeboten hatte, berichtete Peters kurz, worum es sich handelte.
»Wenn wir in der Sache etwas tun sollen«, erwiderte Eisler nachdenklich, »müssen wir zunächst ein Protokoll aufnehmen, das Sie unterzeichnen.«
Er klingelte und ließ Oberwachtmeister Feurig rufen.
»Bitte, protokollieren Sie«, wandte er sich an diesen, als er eintrat. »Herr Peters erstattet gegen Juan Perqueda, Hubertusallee 77, Anzeige wegen Mädchenhandels. Oder wollen Sie sich die Sache lieber noch einmal überlegen, Herr Peters? Es sind sehr schwere Anschuldigungen, die Sie gegen den Mann erheben.«
Aber Peters schüttelte heftig den Kopf.
Nachdem Feurig die Personalien und Adressen von Peters, Juan Perqueda und Marianne Körber notiert hatte, schrieb er mit wenigen Sätzen den Inhalt von Peters' Bericht auf.
»Woher wissen Sie das?« fragte Eisler.
»Von Elly Hirt. Sie ist im Granada als Tänzerin angestellt.«
»Solchen Mitteilungen gegenüber würde ich sehr vorsichtig sein. Vielleicht ist das nur ein Racheakt.«
»Das glaube ich nicht. Ich halte ihre Angaben für zuverlässig«, entgegnete Peters bestimmt.
»Ist Ihnen die Wohnung dieser Elly Hirt bekannt?«
»Ja – Steglitzer Straße 22, Hinterhaus, zwei Treppen.«
»Haben Sie Fanny Schmidthals selbst gesehen und gesprochen?«
»Nein. Ich habe die Sache erst heute nachmittag erfahren, und ich bin sofort hierhergekommen, weil Gefahr im Verzug ist.«
»Wieso?«
»Fräulein Hirt hat mir ausdrücklich gesagt, daß Perqueda in gewissen Zeitabständen nach Paris fährt, und daß in den nächsten Tagen wieder eine solche Reise fällig ist.«
»Wir werden das, was Sie uns erzählt haben, prüfen, und wenn wir etwas herausbringen, das uns eine Handhabe gegen Perqueda gibt, gehen wir gegen ihn vor.«
»Aber die Sache drängt!«
Eisler sah Hans Peters mitfühlend an.
»Ich kann mich in Ihre Lage versetzen«, erwiderte er, »und ich verstehe Ihre Gefühle vollkommen, aber die Polizei ist eben eine Behörde und kann sich nicht von Gefühlen, sondern nur von Tatsachen leiten lassen. Wir werden jedenfalls nichts unversucht lassen, um die Geschichte aufzuklären.«
Der Kommissar sah auf die Uhr. Es war halb sechs.
»Wie Sie selbst sagten, ist erst in einigen Tagen damit zu rechnen, daß Perqueda abreist. Heute ist es schon etwas spät, aber morgen werden wir uns gleich um den Fall kümmern. Wenn dieser Perqueda sich aber schon lange mit derartigen Dingen abgäbe, müßte es der Polizei schon aufgefallen sein. Vielleicht ist er auch schon im Ausland mit den Behörden in Konflikt gekommen. Wir können uns ja eben einmal erkundigen, ob bei seinem Polizeirevier etwas über ihn bekannt ist. Feurig, fragen Sie doch einmal nach.«
Der Oberwachtmeister führte den Auftrag aus.
»Ich fürchte nur, daß es Perqueda trotz alledem gelingen wird, Marianne Körber zu verschleppen!«
»Herr Peters, wir haben nicht nur diesen einen Fall zu bearbeiten – es laufen dauernd Untersuchungen.«
Der Kommissar überlegte einige Zeit.
Kurz darauf erschien Feurig wieder.
»Ich habe mit der Kriminalabteilung des zuständigen Reviers gesprochen. Dort ist nichts Nachteiliges über Herrn Perqueda bekannt. Er wohnt schon fast zwei Jahre in dem Haus, und es sind nicht die geringsten Klagen über ihn eingegangen.«
»Da haben Sie es, Herr Peters. Wir können doch nicht einen bisher unbestraften Mann nur auf eine solche Anzeige hin verhaften! Ich verspreche Ihnen aber, daß alles geschieht, was in unserer Macht steht. Also, Kopf hoch, Sie brauchen noch nicht zu verzweifeln. Unser Überwachungsdienst ist gut organisiert, und so leicht gelingt es heute niemand, eine erwachsene Frau über die Grenze zu schmuggeln.«