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XXVI.

Eisler klingelte und ließ Direktor Bachwitz rufen.

Als dieser eintrat, musterten ihn die beiden Kommissare eingehend. Er war zwar nicht groß, aber er machte einen intelligenten, ruhigen Eindruck.

»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte Eisler, nachdem sie sich begrüßt hatten. »Ich habe Sie hergebeten, um von Ihnen Auskunft über einige Angestellte Ihrer Firma zu erhalten. Zunächst einmal handelt es sich um Herrn Peters. Was können Sie mir über seinen Charakter mitteilen?«

»Ich halte sehr viel von ihm. Das geht schon daraus hervor, daß er mit dreißig Jahren bereits Abteilungsleiter ist. Er ist sehr ruhig im Wesen und im Beruf zuverlässig. Seine Entscheidungen in geschäftlichen Dingen sind klar und bestimmt, und ich kann mich unter allen Umständen auf ihn verlassen.«

»Sie geben ihm also das beste Zeugnis?«

»Ja. Er hat großen Überblick und auch Organisationstalent, und wenn er noch etwas mehr Erfahrung gesammelt hat, ist er befähigt, eine der ersten leitenden Stellen in unserer Firma einzunehmen.«

»Ist er nicht manchmal etwas heftig und jähzornig?«

Bachwitz überlegte.

»Ja, das mag stimmen. Früher war er etwas aufbrausend, aber das hat sich glücklicherweise gelegt.«

»Glauben Sie, daß er sich zu gewalttätigen Handlungen, ja selbst Verbrechen, hinreißen lassen könnte?«

»Nein, das ist meiner Meinung nach unmöglich. Man könnte vielleicht an ihm aussetzen, daß er zu verschlossen und zu zurückhaltend ist. Aber das schätze ich eigentlich an ihm. Auf jeden Fall ist er verschwiegen und nimmt es mit der Wahrheit sehr genau.«

»Nun kommen wir zu Herrn Rohmer. Haben Sie von ihm eine ebenso gute Meinung?«

»Gewiß. Für die Firma ist er unbezahlbar. Aber er ist ein ganz anderer Charakter als Peters. Liebenswürdig, immer zu Scherzen bereit, dabei beweglich und jeder Lage gewachsen. Ich könnte mir keinen besseren Personalchef vorstellen. Er wird selbst mit den schwierigsten Angestellten glänzend fertig und hat eine fabelhafte Beobachtungsgabe. Er weiß genau, wie er jeden Menschen anfassen muß, durchschaut auch sofort die schwachen Seiten und weiß seine Leute zu nehmen. Manchmal stellt er sich dümmer, als er ist, und er versteht es, das Vertrauen der Angestellten zu erwerben. Er ist immer auf den Vorteil der Firma bedacht, und man kann die unangenehmsten Dinge mit ihm besprechen. Ich gebe viel auf sein Urteil, denn gewöhnlich trifft er das Richtige. Vielleicht ist er ein bißchen leichtsinnig in seinem Privatleben, aber das nimmt man bei seinen anderen guten Eigenschaften gern in Kauf.«

»Wieviel Gehalt bezieht Herr Rohmer?«

»Vierhundertundfünfundsiebzig Mark.«

»Nun hätte ich noch einen Wunsch, Herr Direktor. Könnten Sie mir aus Ihren Akten eine Schriftprobe von ihm besorgen?«

»Liegt denn etwas gegen ihn vor?« fragte Bachwitz betroffen.

»Nein, das gerade nicht, aber ich brauche sie.«

»Gut, ich will Ihnen eine verschaffen.«

»Kann ich einen meiner Beamten in einer halben Stunde zu Ihnen schicken?«

»Gewiß.«

Eisler bedankte sich für die Auskunft und verabschiedete sich.

»Immer wieder das alte Lied. Diese Vorgesetzten und Chefs haben stets das beste Urteil, wenn man sie über Angestellte fragt. Es ist geradezu, als ob sie ein Führungszeugnis für die Leute schreiben möchten, um sie loszuwerden«, sagte Mansfeld.

»Sie müssen bedenken, daß Angestellte einem Vorgesetzten gegenüber sich gewöhnlich von der besten Seite zeigen. Was er über Rohmer sagte, hat mir doch manchen Aufschluß gegeben.«

Auch Carola Schöller fragte Eisler nach dem Personalchef und fand, daß Direktor Bachwitz nicht übertrieben hatte.

»Herr Rohmer ist ein feiner Charakter«, erklärte sie entschieden. »Wirklich eine Seele von einem Menschen. Alle arbeiten gern für ihn, und er weiß auch mit allen umzugehen, obwohl er keine leichte Stellung hat. Jeder will doch etwas bei ihm erreichen. Aber er ist gerecht. Auf Klatsch und dergleichen gibt er überhaupt nichts.«

»Dann wissen Sie also nichts Nachteiliges über ihn zu berichten?«

»Mein Gott, die Leute reden natürlich über jeden. Er hat viel Damenbekanntschaften, aber das nimmt ihm keiner übel. Dafür ist er eben Junggeselle. Jedenfalls ist er im Geschäft immer von einer bezaubernden Liebenswürdigkeit. Über seine Abenteuer könnte man wahrscheinlich Bücher schreiben, aber er ist eben eine romantische Natur.«

»Haben Sie nicht auch schon einmal bei ihm den Detektiv gespielt? Das würde sich vielleicht lohnen«, meinte Eisler lächelnd. »Wer weiß, was dabei alles herauskäme!«

»So, glauben Sie?« fragte Carola verwundert. »Nun, heute abend gehe ich wieder ins Granada. Herr Rohmer soll ja jeden Abend dort sein. Wenn mir etwas auffällt, teile ich es Ihnen gern mit.«

Die beiden Beamten lachten herzlich, als sie gegangen war. Dann warf Mansfeld einen Blick auf die Schreibtischuhr – es war Viertel nach eins.

»Ich sehe eben auf Ihrer Liste, daß Sie Rohmer zu halb zwei bestellt haben. Könnten wir nicht inzwischen schnell noch etwas essen?«

»Ja. Aber wir wollen nicht in die Kantine gehen, sondern hier in der Nähe in einem Lokal essen. Die Ermordung Perquedas hat sich schon herumgesprochen, und wenn wir uns oben sehen lassen, kommen nur die Neugierigen an und wollen alles Mögliche erfahren.«

*

Der Personalchef der Firma Herkomer & Harrelt saß schon einige Zeit den beiden Kommissaren gegenüber. Nachdenklich betrachtete er den großen, schönen Ring an seiner rechten Hand, den eine geschnittene Kamee schmückte. Den Verband an der Linken hatte er bereits abgenommen und durch ein fleischfarbenes Pflaster ersetzt. Er schien auf sein Äußeres großen Wert zu legen, was auch seine gutgepflegten Hände bewiesen.

Kommissar Eisler hatte versucht, ihn sicher zu machen, und zuerst nur harmlose, nebensächliche Fragen gestellt. Rohmer rauchte eine Zigarette, mit sich und der Welt zufrieden.

»Welche Staatsangehörigkeit haben Sie eigentlich?«

Eislers Stimme klang plötzlich ein wenig schärfer, und Rohmer warf ihm einen schnellen Blick aus seinen dunklen Augen zu.

»Ich bin Deutscher.«

»Haben Sie Ihren Paß bei sich?«

»Ja – hier ist er.«

Rohmer reichte das grünbraune Heft über den Tisch hinüber. Eisler blätterte darin und gab es dann Mansfeld.

»Bitte, notieren Sie die wichtigsten Daten.«

»Herr Rohmer, als wir gestern den Granada-Palast kontrollierten, wurde ein Telegramm für Sie abgegeben, das Sie wohl inzwischen erhalten haben. Von wem kam es?«

»Von einem Bekannten.«

»Es ist um dreiundzwanzig Uhr dreißig in Essen aufgegeben.«

»Das mag sein. Danach habe ich gar nicht gesehen.«

»Haben Sie es bei sich?«

»Ja.«

Rohmer nahm das Telegramm mit betonter Gleichgültigkeit aus der Tasche und legte es auf den Schreibtisch.

Eisler las laut:

»›Bin verreist unter bekannter Adresse. Anrufen morgen sechzehn Uhr dreißig.‹ Keine Unterschrift. Können Sie mir den Namen Ihres Bekannten sagen, der das Telegramm an Sie abgeschickt hat?«

»Ja. Es ist eine Freundin von mir.«

»Und wie heißt sie?«

»Ethel Rainer de Val.«

»Die Dame führt anscheinend mehrere Namen?«

»Schon möglich. Sie ist eine Varietékünstlerin.«

»Sie sollen ja sehr viel Damenbekanntschaften haben.«

»Gott, man macht sich eben das Leben als Junggeselle so angenehm wie möglich.«

»Es ist nur merkwürdig, daß Madame Perault in der vergangenen Nacht um dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig durch Essen fuhr, und zwar mit dem Fernschnelltriebwagen Berlin – Köln. Ist das nicht ein seltsames Zusammentreffen?«

»Allerdings.«

»Haben Sie das Telegramm nicht von Madame Perault erhalten?«

»Nein. Ich kenne sie zwar sehr gut, aber es ist nicht von ihr.«

»Sie sind mit Perqueda sehr eng befreundet gewesen?«

»Gott, ich habe ihn gekannt, weil ich viel im Granada verkehrte, aber –«

»Wie kommt es denn, daß er Ihre Geheimnummer – Barbarossa 2087 – in sein Notizbuch geschrieben hatte?«

»Die habe ich ihm vielleicht einmal gesagt, aber ich kann mich wirklich nicht darauf besinnen.«

»Besinnen Sie sich lieber darauf«, erwiderte Eisler ernst. »Inzwischen sind nämlich im Haus in der Hubertusallee in der Nähe der Luke, durch die Sie aufs Dach hinauskletterten, tausend Pfund in englischen Banknoten gefunden worden. Die haben Sie doch dort versteckt!«

»Aber, Herr Kommissar, wie können Sie eine solche Behauptung aus der Luft greifen!«

Eisler nahm einen starken Bogen Papier, der auf dem Schreibtisch vor ihm lag.

»Überzeugen Sie sich – hier stehen die Nummern der Scheine.«

Rohmer griff nach dem Blatt, warf einen Blick darauf und legte es auf den Schreibtisch zurück.

»Ich verstehe nicht, daß Sie mir alles Böse zutrauen.«

Eisler klingelte, und der Bürodiener erschien.

Der Kommissar faßte den Bogen vorsichtig am Rand an, dann steckte er ihn äußerst behutsam in ein Kuvert aus Glaspapier und legte ihn in einen Aktendeckel.

»Bringen Sie das zu Herrn Schwechten. Er soll sofort die Fingerabdrücke entwickeln.«

»Das ist denn doch die Höhe!« fuhr Rohmer auf. »Sie hätten mir doch gleich sagen können, was Sie wollen, dann hätte ich Ihnen meine Fingerabdrücke gegeben. Dazu brauchen Sie doch nicht zu derartig lächerlichen Listen zu greifen!«

»Sie waren doch gestern nachmittag mit Herrn Perqueda kurz nach vier im Bahnhof Zoo zusammen? Und später haben Sie ihn um sechs Uhr fünfundzwanzig in seiner Wohnung angerufen?«

»Davon ist mir nichts bekannt.«

»Perqueda nannte Sie, wenn er mit Ihnen allein war, José? Unter dem Namen haben Sie ihn auch gestern angerufen.«

»Aber, Herr Kommissar, ich versichere Ihnen, Sie sind auf einer vollkommen falschen Fährte. Sie müssen sich in der Person irren. Ich heiße nicht José und werde auch von niemand so genannt.«

»Wollen Sie etwa bestreiten, daß sich zuerst Fräulein Körber meldete, als Sie um sechs Uhr fünfundzwanzig anriefen? Natürlich haben Sie Ihre Stimme verstellt.«

»Ich verstehe wirklich nicht, was Sie wollen.«

»Nachher hat Perqueda mit Ihnen gesprochen und Sie zu zwanzig Uhr siebenundvierzig zum Bahnhof Friedrichstraße bestellt.«

»Herr Kommissar, ich kann nur wiederholen, daß hier ein schrecklicher Irrtum vorliegen muß.«

»Das glaube ich nicht. Die Polizei hat sich seit gestern abend mit Ihrer Person etwas eingehender beschäftigt. Hier ist die schriftliche Auskunft des Einwohnermeldeamtes Berlin. Seit wann sind Sie eigentlich bei der Firma Herkomer & Harrelt beschäftigt?«

»Seit April 1919.«

»Stimmt. Und seit wann führen Sie den Namen Fritz Rohmer?«

»Seitdem ich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe.«

»Das war im Januar 1919. Sie kamen kurz nach den Novemberunruhen 1918 nach Berlin und beantragten Ihre Aufnahme als deutscher Staatsbürger, die Ihnen am 17. Januar 1919 zugesprochen wurde. Und früher hießen Sie – José Perenna!«

»Nun ja, ich hieß früher einmal José, aber heute heiße ich doch nicht mehr so.«

»Herr Rohmer, Sie spielen ein gewagtes Spiel. Es wäre viel besser für Sie, wenn Sie nicht versuchten, mich dauernd zu belügen. Die Geheimpapiere Perquedas sind in einer Stahlkassette bei der Dresdner Bank gefunden worden. Darunter befinden sich verschiedene Briefe, die Sie geschrieben und mit José unterzeichnet haben. Die Schreiben stammen aus der letzten Zeit.«

»Dazu kann ich nichts sagen. Wenn Sie mich beschuldigen und mir nicht glauben wollen, kann ich auch nichts daran ändern.«

»Nehmen Sie doch endlich Vernunft an. Direktor Bachwitz war heute hier und hat mir später Schriftproben von Ihnen geschickt. Ich habe auf den ersten Blick gesehen, daß Sie die Briefe geschrieben haben, die unter Perquedas Akten beschlagnahmt wurden. Zum Überfluß hat dann auch noch unsere graphologische Abteilung die Sache bestätigt.«

»Das müssen Sie erst beweisen«, sagte Rohmer, aber seine Stimme hatte die Festigkeit verloren.

Mansfeld erhob sich und trat vor ihn hin.

»Es geht um viel ernstere Dinge. Sie hießen oder heißen noch José Perenna. Perqueda kannte Ihren eigentlichen Namen. Von Geburt sind Sie Brasilianer wie er. Perqueda war nicht sofort tot, nachdem Sie ihn erdolcht hatten. Er kam später noch einmal zu sich, und wir fragten ihn, wer der Täter wäre. Sprechen konnte er nicht mehr, aber er schrieb ›Pe‹ auf ein Blatt. Sie sind sein Mörder!«

»Nein – das ist nicht wahr«, rief Rohmer heiser.

Mansfeld legte ihm die Hand auf die Schulter.

»José Perenna, ich verhafte Sie unter dem Verdacht, daß Sie Juan Perqueda in seinem Haus in der Hubertusallee am zwanzigsten September dieses Jahres ermordet haben!«

Rohmer stöhnte und sank in sich zusammen.


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