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XVI.

Eisler und Mansfeld betrachteten die junge Dame genau, die von Feurig hereingeführt wurde. Sie hatte ein sympathisches Aussehen, war gut, wenn auch einfach gekleidet und machte auf keinen Fall den Eindruck einer Abenteuerin.

»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Eisler freundlich.

Sie setzte sich.

»Darf ich um Ihren Namen bitten?«

»Ich heiße Carola Schöller«, erwiderte sie etwas betreten und sah unsicher und fragend von einem zum anderen. »Aber warum wollen Sie mich denn sprechen?«

»Ich bin Kriminalkommissar Eisler, und dies ist mein Kollege Mansfeld. Sie haben sich unten mit einem unserer Beamten unterhalten und scheinen Ihren Äußerungen nach Fräulein Körber, Herrn Peters und Herrn Perqueda zu kennen. In dem Fall möchten wir Sie als Zeugin vernehmen.«

Carola fühlte sich bedrückt. Sie hatte nicht erwartet, in eine solche Lage zu kommen, als sie den Mann vor dem Tore ansprach. Natürlich hatte die Ankunft der Polizeiwagen Aufsehen erregt, und auch Carola war neugierig nähergekommen, um zu erfahren, was es gäbe. Aber der Beamte hatte nur ungewisse Andeutungen gemacht.

»Auf Juan Perqueda ist ein Attentat verübt worden«, fuhr Eisler fort. »Er ist lebensgefährlich verletzt.«

Carola schrak zusammen.

»Wer hat denn das getan?« rief sie entsetzt.

»Das müssen wir erst noch herausbringen. Kannten Sie Herrn Perqueda?«

»Nicht persönlich. Aber ich habe ihn öfter gesehen, vor allem im Granada-Tanzpalast.«

»Verkehrten Sie häufiger dort?«

»Nein, nur in letzter Zeit war ich ein paarmal dort.«

»Ist Ihnen Fräulein Körber bekannt?«

»Ja, sehr gut.«

»Auch Herr Peters?«

»Ja. Wir drei sind bei derselben Firma angestellt.«

»Warum haben Sie denn heute abend dieses Haus beobachtet? Und warum fragten Sie den Beamten am Eingang aus?«

»Herr Kommissar, ich habe wirklich mit dem Verbrechen nichts zu tun – ich bin vollkommen unschuldig!«

»Das wollen wir vorläufig einmal glauben, aber das ist keine Antwort auf meine Frage. Erzählen Sie doch einmal, wie Sie hierherkamen.«

»In der letzten Zeit herrschte eine ziemliche Spannung bei uns im Büro. Fräulein Körber ist plötzlich aus der Firma ausgetreten – sie wollte ins Ausland gehen. Und heute rief eine fremde Dame an und wollte Herrn Peters sprechen, und zwar heute nachmittag im Café Vaterland. Da ich Verdacht schöpfte, ging ich auch hin und beobachtete die beiden. Nachher fuhren sie in einem Auto fort, und ich verlor sie aus dem Auge. Ich besuchte dann den Tanztee im Granada, aber als Herr Peters nicht kam und ich auch Fräulein Körber nicht sah, ging ich wieder. Ich kam zu Fuß hierher und beobachtete das Haus.«

»Aber warum denn das alles?«

»Ich wollte Herrn Peters schützen!« erklärte sie bestimmt. »Die Männer sind ja so ahnungslos, wenn es sich um solche Frauen handelt und –« Plötzlich brach sie ab und wurde rot.

Eisler und Mansfeld warfen sich einen Blick zu, Feurig unterdrückte ein Grinsen.

»Ach so! Sie kennen wohl Herrn Peters sehr gut?«

»Ja, wir verstehen uns ausgezeichnet. Am vorigen Sonntag haben wir einen Tagesausflug zusammen gemacht.«

»Vor wem wollten Sie denn Herrn Peters schützen?«

»Vor Fräulein Körber und Herrn Perqueda.«

»Führten die etwas gegen ihn im Schild?«

»Sie hat ihn umgarnt, aber sie hält es ja mit vielen Männern. Und sie hat Perqueda gegen Peters aufgehetzt.«

»Das wollen wir dahingestellt sein lassen«, erwiderte Eisler. »Seit wann sind Sie denn schon vor dem Haus?«

»Ich bin ungefähr um Viertel vor sieben hier angekommen. Der elegante, braune Mercedes, in dem Herr Perqueda Fräulein Körber so oft vom Büro abgeholt hat – IA 105344 – stand vor der Tür. Ich unterhielt mich mit der Zeitungsverkäuferin, und ein paar Minuten später eilte eine Dame aus der Gartentür. Ich glaubte zuerst, es wäre Marianne Körber. Sie stieg in das Auto und fuhr davon. Darauf hatte ich gerade gewartet. Ich stand an der Autohaltestelle und folgte mit einer Taxe. Es muß ein ziemlich alter Wagen gewesen sein, denn das andere Auto gewann einen ziemlichen Vorsprung. Schließlich bog es in die Fasanenstraße ein und hielt vor dem Granada-Palast. Als ich den Chauffeur etwas entfernt halten ließ, war die Dame schon hineingegangen. Ich blieb im Wagen sitzen, um weiterzubeobachten.«

»Und wie entwickelte sich die Sache?« fragte Eisler interessiert.

»Nach wenigen Minuten kam die Dame wieder heraus – soviel ich sehen konnte, mit Gepäck. Sie fuhr ab, und wir folgten wieder. Am Parkplatz des Bahnhofs Zoo stieg sie aus. Ich entließ meinen Chauffeur und ging ihr nach. Nun erkannte ich, daß es Madame Perault vom Granada war.«

»Die kennen Sie auch? Wie haben Sie denn ihre Bekanntschaft gemacht?«

»Sie ist mir im Granada aufgefallen, und ich habe einen Kellner nach ihr gefragt. Der hat mir alles erzählt.«

»An Ihnen ist ein Kriminalbeamter verlorengegangen! Sie sind ja der reinste Detektiv!« meinte Eisler lächelnd. »Aber Ihre Angaben sind sehr wertvoll für uns.«

Carola strahlte.

»Und was haben Sie dann gemacht?«

»Als ich sah, daß ich mich getäuscht hatte, überlegte ich, was ich tun sollte. Es fiel mir wieder ein, daß der erste Stock in Perquedas Haus hellerleuchtet war, und ich sagte mir, daß er und Fräulein Körber wahrscheinlich in der Wohnung waren. Ich fuhr also mit dem Autobus hierher und sah dann, daß die vielen Wagen ankamen.«

»Aber warum kamen Sie denn gerade hierher, wenn Sie Herrn Peters schützen wollten? Er ist doch gar nicht hier?«

»Ich hatte das bestimmte Gefühl, daß er kommen würde.«

»Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?«

»Nein.«

»Haben Sie nicht beobachtet, ob Madame Perault auf den Fernbahnsteig ging?«

»Nein. Das hat mich nicht interessiert.«

»Schade. Wir hätten gern gewußt, ob sie abgereist ist. Nun, vielen Dank für Ihre Auskünfte. Ihre Beobachtungen werden uns sicher nützen. Das wäre vorläufig alles.«

Carola mußte noch ihre Adresse angeben, die Oberwachtmeister Feurig notierte.

»Das arme Mädel ist wahnsinnig in Peters verliebt und grenzenlos eifersüchtig auf die hübsche Marianne«, sagte Eisler, als sie gegangen war. »Man erlebt doch immer wieder Überraschungen. Man sieht, wozu die Liebe die Menschen fähig macht. Meinen Sie nicht auch, Mansfeld, daß die Sache schon wieder ein ganz anderes Gesicht bekommen hat?

Um dreiviertel sieben kommt Fräulein Schöller hier vor dem Haus an. Einige Minuten später – sagen wir um sechs Uhr fünfzig – fährt Madame Perault zu ihrer Wohnung, holt ihr Gepäck und fährt zum Zoo. Um sieben Uhr einundzwanzig wollten Perqueda und Fräulein Körber abreisen – zu dem Zug ist sie gerade noch zurechtgekommen. Auf dem Schreibtisch liegen zwei Reisepässe und zwei Passageanweisungen für die ›Normandie‹, aber nur ein Fahrscheinheft bis Le Havre. Ich vermute jetzt sehr stark, daß nicht Peters, sondern Madame Perault das andere benutzt hat.«

»Wir wollen bei der Polizeiwache auf dem Bahnhof Zoo anrufen. Die sollen einmal nachsehen, ob das Auto IA 105344 dort am Parkplatz steht.«

Eisler nickte.

»Wir könnten uns bei der Gelegenheit bei Dr. Berger erkundigen, wie es mit Perqueda steht.«

»Man könnte aber den Apparat auch herholen und hier einschalten«, bemerkte Feurig. »Hier ist die Steckdose.«

»Gut, dann veranlassen Sie das«, erwiderte Eisler. »Sehen Sie, Mansfeld, durch diese letzten Aussagen ist Peters ziemlich entlastet. Meiner Ansicht nach kommt auch Madame Perault als Täterin in Frage.«

»Die hat doch kein Motiv!«

»Das wissen wir nicht. Wir haben die Untersuchung ja noch lange nicht abgeschlossen.«

Feurig holte den Apparat selbst und schaltete ihn ein. Auch das Telephonbuch hatte er mitgebracht.

Während Kriminalkommissar Eisler die Nummer suchte, klingelte es plötzlich. Mansfeld nahm den Hörer ab.

»Hier 1466 – wer dort? – Ja, Margold? – Was sagen Sie da?«

Mansfeld hielt die Muschel zu.

»Margold meldet, daß Madame Perault nicht im Granada anwesend ist. Der Geschäftsführer hat ihm gesagt, daß sie wahrscheinlich ins Ausland gereist wäre.«

»Die Sache wird immer interessanter«, meinte Eisler.

»Was soll Margold tun? Am besten schicken wir noch jemand hin, damit die Wohnung von Madame Perault durchsucht wird. Vielleicht finden sich dort Anhaltspunkte.«

»Ja, sagen Sie ihm das. Und während ich die Bahnhofspolizei anrufe, treffen Sie bitte die nötigen Anordnungen. – Feurig, legen Sie inzwischen eine Liste aller laufenden Aufträge an.«

Eisler fragte bei der Polizeistation im Bahnhof Zoo an, und nach einiger Zeit erhielt er die Nachricht, daß der betreffende Wagen noch dort parkte.

»Ich lasse ihn durch einen meiner Leute abholen«, sagte der Kommissar. »Er wird sich vorher bei Ihnen melden.«

Dann ließ er sich von Feurig die letzten Protokolle geben und sprach einige Zeit mit ihm darüber, was am zweckmäßigsten geschehen könnte.

»Ich würde Fräulein Körber danach fragen, ob sie etwas über die Reise von Madame Perault weiß«, meinte Feurig.

»Ja, Sie haben recht.«

Marianne wurde hereingeholt. Inzwischen hatte auch Kommissar Mansfeld wieder am Tisch Platz genommen.

»Wir haben eben festgestellt, daß Madame Perault zum Bahnhof Zoo gefahren ist und von dort ins Ausland reisen wird. Wissen Sie etwas darüber?«

»Ja. Perqueda erwähnte heute beim Mittagessen, daß sie nach Paris fahren sollte, um für einige Zeit seinen dortigen Tanzpalast zu leiten.«

»Wissen Sie sonst noch etwas über die Angelegenheit?«

»Ja. Ursprünglich hatte er die Absicht, einige Zeit mit mir in Paris zu bleiben und sich selbst um sein Unternehmen zu kümmern, aber er änderte seinen Plan. Er beschloß, nur drei Tage mit mir dort zu bleiben und dann mit der ›Normandie‹ nach New York zu fahren. Daher mußte er Madame Perault nach Paris schicken.«

»Danke, ich wollte im Augenblick nur diese kurze Aufklärung von Ihnen haben. Sie können wieder ins Wohnzimmer gehen.«

»Sehen Sie, das Blatt hat sich wieder gewendet«, meinte Mansfeld.

Das Telephon klingelte aufs neue.

Eisler nahm den Hörer ab.

»Hier 1466 –«

Kriminalbeamter Tramm meldete sich.

»Nun, was gibt es?«

»Die Wirtin hier sagt, daß Herr Peters zuletzt um halb fünf in der Wohnung gewesen sein muß. Sie selbst war nicht zu Hause, sie hat ihn aber auf der Straße dicht vor der Haustür gesehen, als er an ihr vorüberstürmte. Seitdem ist er nicht wiedergekommen. Er ißt gewöhnlich hier, und sie hat auch das Essen fertig, aber er ist bis jetzt noch nicht erschienen. Sonst ist er sehr pünktlich und speist um halb acht zu Abend.«

»Gut. Bleiben Sie dort und warten Sie auf seine Rückkehr.«


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