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Madame Perault, der ausgesprochene Typ einer beweglichen Französin, machte einen Rundgang durch die Räume des Granada-Palastes. Wie immer war sie vorteilhaft gekleidet und machte einen gepflegten Eindruck. Kaum jemand konnte ahnen, daß sie schon einundvierzig Jahre alt war.
Der Tanztee hatte eben begonnen, und auf dem Parkett herrschte noch kein unangenehmes Gedränge, so daß sich die einzelnen Paare frei entfalten konnten.
Nachdem sie den einen und anderen ihrer Bekannten begrüßt hatte, ging sie wieder in das Büro, das am Ende einer Flucht von großen Räumen lag, und trat ans Fenster. Es war kurz nach vier Uhr.
Plötzlich sah sie auf der anderen Seite der Straße, daß sich Flora von einem jungen Mann verabschiedete, und als sie genauer hinschaute, erkannte sie Hans Peters. Ihre Züge verhärteten sich.
Sie war schon in schlechter Stimmung, denn das Telegramm mit der Nachricht von Fannys Flucht war wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Sie hatte Perqueda bestimmt am Vormittag erwartet und war enttäuscht und empört über sein Ausbleiben, denn auf jeden Fall mußten Vorbereitungen getroffen werden, und zwar so schnell wie möglich.
Sie überlegte, ob sie ihn anrufen sollte, aber dann klingelte sie, und als einer der Angestellten erschien, ließ sie Flora zu sich kommen.
»Was haben Sie denn mit dem Menschen zu tun, der gestern den Streit mit dem Chef hatte?« fragte sie kühl.
Flora war nicht auf diese Frage gefaßt und versuchte, Zeit zu gewinnen.
»Wen meinen Sie, Madame Perault?«
»Sie stiegen doch eben mit Herrn Peters aus der Taxe? Sie wissen ganz genau, wen ich meine.«
»Gestern haben Sie mir doch den Auftrag gegeben, daß ich mich um ihn kümmern soll, und nun hat er mich heute zum Essen eingeladen.«
Madame Perault wußte, daß Flora ihr nicht die Wahrheit sagte, aber sie hielt es nicht für richtig, im Augenblick näher darauf einzugehen. Auch in schwierigen Lagen blieb sie trotz ihrer temperamentvollen Veranlagung kühl und klar und beschränkte sich auf das Wesentliche.
»Nach dem gestrigen Vorfall ist es doch selbstverständlich, daß Sie nicht mehr mit Peters verkehren können. Das müßten Sie selbst wissen, ohne daß man es Ihnen noch besonders sagen muß!«
Madame Peraults Augen leuchteten eine Sekunde lang zornig auf, dann beherrschte sie sich wieder. Aber Flora hatte es bemerkt und fürchtete sich.
»Ich werde mich in Zukunft danach richten«, erwiderte sie leise.
Das Telephon klingelte, und Madame Perault nahm den Hörer ab. Als sie Perquedas Stimme erkannte, legte sie die Hand über das Mundstück.
»Sie können gehen, Flora. Ich spreche vielleicht später noch einmal mit Ihnen.«
Flora entfernte sich.
»Hallo, Juan? Ich hatte deinen Anruf allerdings schon früher erwartet«, sagte sie etwas gereizt. »Wo bist du denn?«
»Im Wartesaal, Bahnhof Zoo. Ich hatte viel zu tun. Ich muß dich sprechen.«
»Das sollte ich auch meinen. Nach dem Eintreffen des Telegramms aus Paris hätten wir gestern abend schon unsere weiteren Dispositionen treffen müssen. Aber du hattest ja keine Lust dazu. Kommst du jetzt hierher?«
»Nein. Ich wollte dir nur sagen, daß ich dich kurz nach halb sieben in meiner Wohnung erwarte.«
»Sehr gnädig! Ich werde kommen.«
»Ich bin erst jetzt mit meinen Überlegungen so weit im reinen, daß ich disponieren kann. Nach Lage der Dinge muß ich heute abend noch abreisen.«
»Aber du weißt doch, daß ich Geld brauche.«
»Das gebe ich dir nachher in meiner Wohnung. Am besten gehst du auch für einige Zeit nach Paris –«
»Einen Augenblick«, unterbrach sie ihn hastig, legte den Hörer auf den Tisch und ging mit raschen Schritten ans Fenster. Einer der Vorhänge schützte sie gegen Sicht von der anderen Straßenseite aus.
Nein, sie hatte sich nicht getäuscht! Drüben in dem Vorgarten stand eine Frau. Im Augenblick war sie durch einen Torpfeiler verdeckt. Angestrengt wartete Eugenie Perault. Nach einigen Minuten trat die Gestalt drüben einen Schritt vor. Es war Fanny Schmidthals! Sie sah hager und bleich aus.
Entsetzt wich Eugenie Perault zurück und lehnte sich an den Tisch. Aber dann raffte sie sich auf, und ihr Gehirn arbeitete fieberhaft.
Sollte sie hinübergehen, Fanny ansprechen und hereinholen? Nein. Aber Perqueda mußte es sofort erfahren. Schnell nahm sie den Hörer wieder auf.
»Du läßt mich aber unverschämt lange warten!«
»Das hat seinen Grund – Fanny Schmidthals ist in der Nähe – ich habe sie eben durchs Fenster in einem Vorgarten auf der anderen Straßenseite gesehen. Sie scheint unseren Eingang zu beobachten.«
»Ich glaube, du siehst Gespenster!« Er wollte ihr gegenüber nicht zugeben, daß er bereits von Fannys Ankunft unterrichtet war.
»Nein, ich täusche mich nicht!«
»Dann soll der Teufel das Weibsstück holen«, brauste er auf. »Warte einmal – ich bin ja ganz in der Nähe – ich komme sofort mit dem Wagen. Beobachte sie inzwischen.«
Es klopfte an der Tür des Büros.
Sie unterdrückte einen Fluch, daß sie gerade jetzt gestört wurde, und legte den Hörer schnell zurück.
Die Tür öffnete sich, ohne daß Madame Perault Herein gerufen hatte.
José trat ein und lächelte sie verbindlich an, so daß sie ihm kein böses Wort sagte.
»Nun, wie geht es, meine schwarzlockige Venus? Weißt du, ob Juan die Absicht hat, herzukommen?«
»Nein, es ist mir nichts davon bekannt«, log sie, da sie ihn jetzt nicht gebrauchen konnte. »Er wird wohl in seiner Wohnung sein.«
Sie mußte jetzt Perqueda allein sprechen, denn es waren wichtige Entscheidungen zu treffen.
»Na, dann hat es ja auch keinen Zweck, daß ich hier auf ihn warte. Aber dir möchte ich noch etwas sagen. Dieser verdammte Peters hat sich gestern verflucht viel mit Flora abgegeben. Die ganze Zeit haben die beiden zusammengesteckt. Ich habe sie beobachtet, aber leider nichts von ihrem Gespräch verstehen können.«
»Ach, das hat nichts zu bedeuten«, erwiderte sie ungeduldig. »Ich selbst habe ihn mit Flora zusammengebracht.«
»Ich halte sie nicht mehr für zuverlässig. Wir müssen aufpassen.«
»Ach, die hat doch keine Ahnung!«
»Nun, wenn du so sicher bist, ist ja alles gut. Auf Wiedersehen, ma chère Eugenie!« sagte José und warf ihr eine Kußhand zu.
Nervös trat sie wieder ans Fenster, als sich die Tür geschlossen hatte. Sie hielt Ausschau nach Fanny, konnte sie aber nicht mehr sehen. Wahrscheinlich war Fanny wieder hinter das Gartentor getreten.
Kurz darauf beobachtete Madame Perault zu ihrer größten Beunruhigung, daß José den Tanzpalast verließ und die Richtung nach dem Kurfürstendamm einschlug. Hoffentlich bemerkte er Perqueda nicht auf der Fahrt zum Granada.
Drüben im Vorgarten rührte und bewegte sich nichts, während Minute um Minute verging. Warum kam nur Perqueda nicht? Er hätte bei der kurzen Entfernung doch längst hier sein müssen.
Endlich tauchte der elegante, braune Mercedes auf und hielt gleich darauf vor dem Eingang.
Madame Perault ging Perqueda bis zur Tür entgegen.
»Wo ist Fanny?« fragte er kurz und warf den Hut auf den Tisch.
Sie führte ihn ans Fenster.
»Ich habe sie drüben in dem Garteneingang zwischen den beiden Sandsteinpfeilern gesehen.«
»Hast du sie nachher auch beobachtet?«
»Nein.«
»Warum denn nicht? Das habe ich dir doch ausdrücklich gesagt«, fuhr er sie heftig an.
»Ich bin sofort wieder ans Fenster gegangen, aber ich habe sie nicht mehr entdecken können.«
Er riß den Hut wieder vom Tisch.
»Ich werde nach ihr suchen. Schicke mir Pedro nach.«
Bevor sie antworten konnte, war er hinausgeeilt. Sie klingelte und führte seinen Auftrag aus. Pedro war zum größten Teil eingeweiht, und sie konnten sich auf ihn verlassen.
Sie trat wieder ans Fenster. Perqueda überquerte gerade die Straße und ging dann durch die Gartentür. Nach kurzer Zeit kam er zurück, bemerkte Eugenie am Fenster und zuckte die Schultern.
Gleich darauf erschien Pedro, und die beiden wandten sich den Nebengärten zu.