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XXVIII.

»Inzwischen ist Madame Perault angekommen – wahrscheinlich wartet sie bereits. Wir haben schon Viertel nach fünf.«

»Lassen Sie Madame Perault hereinführen«, sagte Eisler zu Oberwachtmeister Feurig.

Kurz darauf öffnete sich die Tür, und die Frau trat herein, strahlend und selbstbewußt. Niemand hätte ihr angesehen, daß sie in der Nacht verhaftet worden war und nachher die ganze Zeit im Zuge verbracht hatte.

Mansfeld und Eisler staunten. Sie mußte ungewöhnliche Zähigkeit und Energie besitzen.

Eisler nahm die Papiere, die vor ihm auf dem Tisch lagen, und blätterte darin, dann zog er einen Paß heraus.

»Die Vernehmungsprotokolle und Berichte von Herbesthal und Aachen sind uns zur weiteren Bearbeitung zugeschickt worden.«

Madame Perault nickte leicht.

Nachdem ihre Personalien kurz von Feurig notiert worden waren, trat eine kleine Pause ein.

Eisler lehnte sich im Stuhl zurück.

»Wir kommen zunächst zu den Vorgängen in der Wohnung Juan Perquedas, Hubertusallee siebenundsiebzig, der gestern dort ermordet wurde.«

Sie zuckte sichtbar zusammen.

Mansfeld und Eisler beobachteten sie scharf.

»Das ist ja entsetzlich!« stieß sie hervor.

»Sie waren gestern abend kurz vor Verübung der Tat bei ihm in seinem Arbeitszimmer?«

»Ja«, entgegnete sie stockend.

»Welche Veranlassung hat Sie zu ihm geführt?«

»Herr Perqueda hatte sich entschlossen, nach Paris zu fahren, da er sich um seine dortigen Unternehmungen kümmern mußte. In letzter Stunde stellte sich heraus, daß meine Anwesenheit dort auch notwendig war.«

»Warum sind Sie nicht zusammen gereist? Das wäre doch natürlich gewesen?«

»Ich bin schon öfter für ihn nach Paris gefahren, manchmal allein, manchmal mit ihm. Gewöhnlich reisten wir getrennt, selbst wenn wir im selben Zuge saßen. Er wünschte es so.«

»Gestern hatte er doch die Absicht, mit Fräulein Körber zu fahren?«

»Ja – das wußte ich.«

»Erzählen Sie bitte weiter.«

»Ich habe stets meinen Koffer gepackt und bin eigentlich jederzeit reisefertig. Ich beaufsichtigte noch den Tanztee im Granada, der von vier bis halb sieben dauert. Kurz vor Schluß fuhr ich dann zu Perquedas Wohnung, weil er mich vor der Reise noch sprechen und mir Geld geben wollte.

Ich klingelte an der Tür, und gleich darauf wurde sie geöffnet. Als ich eintrat, sah ich, daß Fräulein Körber gerade in Perquedas Begleitung aus dem Arbeitszimmer kam und in das gegenüberliegende Wohnzimmer ging. Kurze Zeit später wurde dort das Radio angestellt.«

»Wann kamen Sie an?«

»Zehn Minuten nach halb sieben.«

»Woher wissen Sie das so genau?«

»Perqueda hatte mich zu halb sieben bestellt und machte eine Bemerkung, daß ich zehn Minuten zu spät käme.«

»Sie gingen also mit ihm ins Arbeitszimmer – was geschah dann?«

»Wir besprachen die Lage, und er gab mir verschiedene Aufträge und Geld. Darauf verabredeten wir, wann und wo wir uns in Paris treffen wollten. Da es schon verhältnismäßig spät war, drängte er, daß ich gehen sollte. Ich fuhr dann zum Bahnhof Zoo und nahm den Zug nach Köln.«

»Wie lange sind Sie in Perquedas Wohnung gewesen?«

»Etwa zehn Minuten.«

Eisler warf einen Blick auf seine Zeittafel.

»Hat Perqueda mit Ihnen über José gesprochen?«

»Ja.«

»War auch von Geld die Rede, das José von Ihnen bekommen sollte?«

»Ja«, sagte sie nach einem kurzen Zögern.

Mansfeld war es nicht entgangen, und er machte sich eine kurze Notiz.

»Madame Perault«, mischte er sich dann ein, »es war doch gar nicht möglich, daß Sie diesem José vor Ihrer Abreise noch Geld geben konnten.«

»Die Frage wollen wir vorläufig noch beiseitestellen«, sagte Eisler liebenswürdig. »Im Laufe der Vernehmung ist mehrfach die Rede davon gewesen, daß Perqueda neben seinem Tanzpalast auch noch andere Geschäfte betrieb. Ist Ihnen davon etwas bekannt?«

»Gewiß. Er war auch an anderen Unternehmen beteiligt.«

»Welche waren das?«

»Er hatte Geld in einer Zigarettenfabrik, und er war an einem –«

»Nein, das meine ich nicht. Es ist die sehr bestimmte Behauptung aufgestellt worden, daß er sich schon seit Jahren als Mädchenhändler betätigte.«

Sie richtete sich auf und sah ihn erstaunt an.

»Das kommt mir aber sehr unwahrscheinlich vor – das kann ich kaum glauben.«

»Dann wissen Sie also nichts davon?«

»Nein.«

»Warum kommt Ihnen denn das so unwahrscheinlich vor?«

»Weil der Tanzpalast Granada ein gutgehendes Geschäft ist, aus dem er glänzende Einnahmen hatte. Außerdem unterhält er ein ähnliches Unternehmen gleichen Namens in Paris. Es bestand auch die Absicht, Filialen in Kopenhagen und London zu gründen.«

Mansfeld wurde unruhig, aber Eisler nickte ihm beschwichtigend zu.

»Sie kamen also in Köln an und fuhren dann nach Aachen-Herbesthal weiter?«

»Ja.«

»An der Grenze wurden Sie wegen Devisenschmuggels angehalten, und man überführte Sie, daß Sie zweihundert Pfund unerlaubterweise nach Frankreich bringen wollten.«

»Das stimmt nicht.«

»Das haben Sie dort auch schon behauptet.«

»Ich habe eine Bescheinigung, daß ich Devisen über die Grenze bringen kann, und zwar befindet sie sich in der hinteren Abteilung der roten Schreibmappe, die auf dem Schreibtisch in meiner Wohnung liegt.«

»Ihre Wohnung ist durchsucht worden, aber die Bescheinigung haben wir nicht gefunden.«

»Sie liegt aber in der Mappe.«

»Gut, das können wir gleich feststellen. Feurig, veranlassen Sie bitte, daß die Mappe gebracht wird.«

Der Oberwachtmeister telephonierte an Margold, der die beschlagnahmten Schriftstücke und Gegenstände aus der Wohnung von Madame Perault bearbeitete.

»Inzwischen möchte ich eine andere Frage an Sie stellen: Wo haben Sie Ihren Fahrtausweis?« setzte Eisler das Verhör fort.

»Der ist mit meinem Paß und meinen anderen Papieren beschlagnahmt worden.«

»Das ist nicht richtig. Als Sie aus dem Zug flohen, haben Sie ihn auf die Schienen geworfen. Er ist aber gefunden worden und befindet sich bei Ihren Papieren.«

Margold erschien und brachte den gewünschten Gegenstand.

»Geben Sie Madame Perault die Schreibmappe.«

Sie schob ein breites Stück Leder zur Seite, dann faßte sie mit der Hand in eine für gewöhnlich verdeckte Abteilung, zog ein Papier heraus und reichte es dem Kommissar mit einem leicht ironischen Lächeln.

»Hier ist eine Bescheinigung über dreihundert Pfund, die ich vor einiger Zeit über die Grenze brachte. Aus meinem Paß ersehen Sie außerdem, daß ich Französin bin –«

»Gut. Wir werden später auf die Sache zurückkommen. Eben sprachen wir von Ihrem Fahrtausweis. Geben Sie zu, daß Sie ihn weggeworfen haben?«

»Nein. Wenn er nicht bei den beschlagnahmten Papieren ist, kann ich ihn höchstens verloren haben.«

»Woher haben Sie das Fahrscheinheft?«

»Vom Reisebüro, Unter den Linden. Dort kaufen wir immer unsere Fahrkarten.«

»Haben Sie das Heft persönlich dort gekauft?«

»Nein. Perqueda hat es mir gegeben.«

»Das ist aber eigentümlich. Er hat doch zwei Fahrscheinhefte für sich und Fräulein Körber in dem Reisebüro gekauft. Als wir später seine Wohnung durchsuchten, fanden wir auf dem Schreibtisch aber nur eins. Lassen Sie Fräulein Körber rufen, Feurig.«

Marianne nahm etwas betreten neben Madame Perault Platz, die sie durch ein leichtes Kopfnicken begrüßte.

»Fräulein Körber, Sie haben bei Ihrer früheren Vernehmung Folgendes ausgesagt.«

Eisler las die Stelle aus dem ersten Verhör vor, an der von den Fahrtausweisen die Rede war.

»Bleiben Sie bei Ihrer Aussage?«

»Ja.«

»Sie haben also damals das Fahrscheinheft nicht an sich genommen und auch nicht unterschrieben?«

»Nein.«

»Und Perqueda hat Ihnen ausdrücklich erklärt, daß das zweite Heft für Sie bestimmt war?«

»Ja. Er sagte noch, ich sollte ihn später daran erinnern.«

»Madame Perault«, wandte sich Eisler an die Französin, »das widerspricht doch Ihren Angaben?«

»Ich kann nur wiederholen, daß Perqueda mir das Heft gegeben hat, damit ich es benützen sollte.«

»Hat er Ihnen darüber etwas mitgeteilt?« fragte der Kommissar Marianne.

»Nein. Er erwähnte nur, daß sie mit dem Nordexpreß nachkommen sollte.«

Madame Perault schüttelte den Kopf.

»Fräulein Körber, ich danke Ihnen für die Auskunft. Bitte, gehen Sie vorläufig wieder ins Wartezimmer«, sagte Kommissar Eisler.

Als sie gegangen war, setzte er die Vernehmung fort.

»Nun, was haben Sie dazu zu sagen?«

»Perqueda hat eben seine Absicht geändert. Jedenfalls hat er mir doch das Heft gegeben.«

»Das erscheint mir sehr fraglich.«

»Wieso?«

Eisler nahm das Fahrscheinheft und schlug die letzten Blätter auf.

»Sie sollten doch nur nach Paris fahren? Aber dieser Ausweis gilt bis Le Havre.«

»Vielleicht sollte ich auch noch dorthin reisen. Ich kann nur aufs neue versichern, daß ich es von ihm erhalten habe.«

»Nun, wir wollen es vorläufig dahingestellt sein lassen«, sagte Eisler, machte eine kurze Pause und sah auf seine Notizen. »Warum haben Sie nicht eine Taxe genommen, als Sie von der Hubertusallee fortfuhren? Warum sind Sie mit Perquedas Auto gefahren?«

Sie antwortete nicht gleich und schien zu überlegen.

»Der Wagen gehört dem Geschäft, also uns beiden, denn ich bin seine Teilhaberin. Ich wüßte nicht, warum ich nicht mit dem Wagen fahren sollte.«

Eisler und Mansfeld schauten sich erstaunt an.

»Können Sie das beweisen?«

»Sie brauchen nur im Handelsregister nachzusehen. Dort ist eingetragen, daß ich gleichberechtigte Teilhaberin am Tanzpalast Granada bin. Mir gehören fünfzig Prozent der Anteile, ebenso Perqueda.«

Eisler war fast ungehalten, daß sie auf jede Frage eine Antwort wußte. Diese Vernehmung hatte schon mehr als eine Überraschung gebracht.


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