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XIX.

»Wir wollen uns jetzt einmal bei Dr. Berger umsehen«, meinte Eisler. »Meiner Ansicht nach müßte er doch die Lage nun beurteilen können.«

Mansfeld nickte, und die beiden gingen ins Wohnzimmer.

Rohmer saß zusammengesunken in einem Sessel und starrte auf die Spitzen seiner Schuhe.

Eisler sah es, und in der Diele wandte er sich an Feurig, denn es war ihm plötzlich ein Gedanke gekommen.

»Haben Sie schon die Schuhsohlen von Rohmer untersucht und mit den Spuren im Arbeitszimmer verglichen?«

»Ja, ich habe daran gedacht. Aber er hat glatte Lederabsätze und glatte Sohlen. Von ihm stammen die Spuren der Mercedes-Gummiabsätze nicht.«

Leise traten die beiden Kommissare ins Arbeitszimmer, wo die Beamten damit beschäftigt waren, den Inhalt der Schreibtischschubladen genau durchzusehen. Perquedas Koffer lag ausgepackt auf einer Couch. Einer der Leute trat näher.

»Wir haben einen wichtigen Fund gemacht. Nachdem wir den Inhalt des Koffers herausgenommen hatten, untersuchten wir die Wände und fanden eine sehr geschickt angebrachte Geheimtasche. Darin lagen ein Notizbuch und mehrere Schriftstücke, die in derselben Geheimschrift abgefaßt sind wie die beiden Blätter, die wir im Schreibtisch fanden.«

Mansfeld nahm die Papiere, verglich sie mit den anderen und erkannte sofort, daß die Angaben des Mannes stimmten.

Eisler sah sich im Zimmer um und trat dann an den Schreibtisch.

»Haben Sie nicht irgendeine Schere oder ein ähnliches Instrument gefunden, mit dem die Telephonschnur durchschnitten wurde? Kein anderer als der Täter kann das getan und die gegenüberliegende Wohnzimmertür zugeschlossen haben. Die Sache ist deshalb sehr wichtig.«

»Bis jetzt ist nichts gefunden worden, Herr Kommissar.«

Leise winkte Eisler Dr. Berger aus dem Nebenzimmer.

»Nun, wie steht es, Herr Doktor?«

»Perquedas Zustand hat sich kaum geändert, höchstens ist der Puls ein wenig, aber nur ganz minimal, stärker geworden. Nach fünf Minuten will ich ihm eine schwache Spritze geben, hinterher vielleicht noch eine stärkere Dosis.«

»Dann ist also in der nächsten Viertelstunde noch nicht damit zu rechnen, daß er zu sich kommt?« meinte Mansfeld.

»Nein. Sobald irgendwie Anzeichen vorhanden sind, lasse ich Sie rufen.«

Marianne Körber saß in einem Stuhl neben dem Bett und hatte ihre Hand auf Perquedas Finger gelegt. Sie war ruhiger geworden, schaute aber unverwandt in sein bleiches Gesicht.

Eisler trat auf sie zu und berührte sie leicht an der Schulter.

»Fräulein Körber«, flüsterte er ihr zu, »ich muß noch ein paar Fragen an Sie stellen. Kommen Sie bitte mit. Es dauert nicht lange.«

Sie sah ihn verzweifelt an, stand aber auf und begleitete ihn.

Als sie im Salon angekommen waren, nahm er die sorgfältig gereinigte Mordwaffe, die er mit einer Zeitung verdeckt hatte, und legte sie auf den Tisch. Es war ein venetianischer Dolch aus feinem, damasziertem Stahl, beiderseits scharf geschliffen. In der Mitte der Klinge liefen auf beiden Seiten vier Blutrinnen, und den Abschluß des bronzenen Griffes bildete ein geflügelter Löwe.

Marianne schauderte.

»Kennen Sie die Waffe?«

»Ja. Sie lag immer als Brieföffner auf Juans Schreibtisch.«

»Fräulein Körber, während Sie sich im Wohnzimmer aufhielten, sind mehrere Personen im Hause gewesen, zum mindesten Madame Perault, Herr Rohmer und Herr Peters. Haben Sie während der Zeit nicht irgendwelche Geräusche gehört?«

»Nein. Ich hatte das Radio angestellt.«

»Besinnen Sie sich bitte ganz genau. Vielleicht haben Sie es im Augenblick nur vergessen. Wenn Sie noch einmal ruhig nachdenken, fällt Ihnen sicher noch die eine oder andere Beobachtung ein.«

Sie dachte nach, und plötzlich richtete sie sich auf.

»Ja, als ich an das hintere Fenster trat, hörte ich ein Geräusch, als ob eine Tür geschlossen würde. Es schien aus dem Verbindungsgang zum Schlafzimmer zu kommen. Als ich dann die Tür öffnen wollte, wurde von innen ein Riegel vorgeschoben.«

»Das ist eine Bestätigung unserer Untersuchung. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Herr Rohmer in dem Raum.«

Sie sah Eisler verwundert an.

»Unter diesen Umständen möchte ich Sie noch einmal nach dem Verhältnis zwischen Herrn Rohmer und Herrn Perqueda fragen. Standen sich die beiden feindlich gegenüber?«

»Nein, davon weiß ich nichts.«

»Glauben Sie nicht, daß Rohmer irgendeinen Grund hatte, sich an Perqueda zu rächen?«

»Nein. Die beiden haben immer sehr freundschaftlich miteinander verkehrt.«

»Wie erklären Sie es dann, daß er Perqueda für einen Mädchenhändler hält, und daß er hierherkam, um Ihre Entführung zu verhindern?«

»Das ist mir vollkommen unfaßbar.«

Die Tür wurde aufgerissen, und Kriminalbeamter Freimann stürzte ins Zimmer.

»Er kommt eben zu sich!« rief er atemlos.

Marianne sprang auf. Ehe die anderen sie erreichen konnten, war sie schon zur Tür hinausgeeilt.

Schnell folgten sie ihr. Als sie ins Schlafzimmer traten, hatte sie sich neben Perqueda auf die Knie geworfen und seine rechte Hand gefaßt.

Seine Augenlider hoben sich, aber er senkte sie wieder. Nur sehr langsam kam er zu sich.

Behutsam schob Feurig einen Stuhl für Marianne hin und half ihr auf, so daß sie sich setzen konnte.

Nach einer Weile hatte Perqueda die Augen ganz geöffnet und schaute um sich.

Mansfeld stand dicht neben dem Lager, Marianne gegenüber. Dr. Berger hatte sich auf den Bettrand gesetzt und hielt Perquedas linke Hand. Eisler stand am Fußende.

Der Arzt hob die Hand, um zu verhüten, daß die Kommissare den Sterbenden mit Fragen bestürmten, und erst nach einiger Zeit gab er Mansfeld ein Zeichen, daß er sprechen könnte.

»Herr Perqueda, verstehen Sie, was ich sage?«

Aber der Brasilianer wandte den Kopf und sah zu Marianne hinüber. Langsam schien er sie zu erkennen, und ein fast unmerkliches Lächeln ging über seine Züge.

»Lieber Juan, ich bin bei dir«, sagte Marianne zärtlich.

Er nickte leicht.

»Wer hat Sie überfallen?« fragte Mansfeld eindringlicher.

Perqueda wandte den Blick von Marianne und sah den Kommissar einige Sekunden an.

»Sie wollten doch heute abend mit Fräulein Körber abreisen?« sagte Dr. Berger freundlich. »Besinnen Sie sich darauf?«

»Ja«, erwiderte Perqueda leise.

»Wer hat Sie denn überfallen? Wer hat Sie von hinten niedergestoßen?«

Perquedas Züge verdüsterten sich. Seine Lippen bewegten sich, und er wollte etwas sagen.

Mansfeld beugte sich über ihn. Es herrschte Totenstille im Zimmer, aber die anderen verstanden nicht, was der Sterbende wollte.

»Er fragt, ob er mit dem Leben davonkommt«, sagte Mansfeld und gab dem Arzt ein Zeichen.

Eisler war inzwischen hinter Mariannes Stuhl getreten und legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Herr Perqueda, beantworten Sie die Frage«, sagte der Arzt ernst, »Sie haben nur noch kurze Zeit zu leben.«

Marianne schluchzte wild auf und wollte sich über Perqueda werfen. Nur mit Mühe gelang es Eisler, sie zurückzuhalten.

Perquedas Aufmerksamkeit wurde dadurch abgelenkt, und er sah wieder zu Marianne auf.

»Antworten Sie uns«, drängte Eisler. »Wer hat Sie so schwer verletzt?«

Perqueda wollte sprechen, aber Todesangst zeigte sich in seinen Augen. Seine Brust hob sich, und er bekam einen Hustenanfall.

Eisler brachte Marianne zu einem Sessel und hielt sie dort zurück, während Dr. Berger behutsam den blutigen Schaum von Perquedas Mund wischte. Allmählich wurde der Brasilianer wieder ruhiger.

»Wer hat Sie überfallen – wer ist der Täter?« fragte Mansfeld aufs neue.

Perqueda war zu schwach, um zu sprechen, und machte eine Bewegung mit dem Finger auf der Bettdecke, als ob er zu schreiben verlangte. Mansfeld verstand sofort und reichte ihm den Block und den Bleistift, mit denen er hatte protokollieren wollen. Vorsichtig drückte er den Bleistift zwischen die zitternden Finger und hielt den Schreibblock.

Alle warteten in atemloser Spannung, und nur Mariannes trostloses Schluchzen unterbrach die Stille.

Mit schwacher Hand malte Perqueda ein »P« auf das Blatt. Die Anstrengung schien aber fast zu groß zu sein, denn sekundenlang blieb der Bleistift auf demselben Punkt. Aber dann nahm der Sterbende die letzte Kraft zusammen, und wieder bewegte sich der Stift ...

»Pe« stand auf dem Papier, als Perqueda erschöpft zurücksank. Dabei glitt der Bleistift aus und machte noch einen langen Strich nach oben.

Wieder wurde Perqueda von einem furchtbaren Hustenanfall gepackt, dann fiel sein Kopf nach hinten, und seine Glieder streckten sich.

»Er ist tot«, sagte Dr. Berger leise.

Marianne riß sich wild von Eisler los.

Im letzten Augenblick zog Mansfeld noch den Schreibblock und den Bleistift fort, dann warf sie sich vor dem Bett nieder und bedeckte Perquedas Hand mit leidenschaftlichen Küssen.

Eisler gab dem Arzt ein Zeichen, daß er sich um sie kümmern sollte, dann verließ er mit Mansfeld das Zimmer.

»Es war verheerend, daß dieses Mädchen dabei war – der Fall könnte jetzt geklärt sein«, sagte Mansfeld bitter.

»Mir tut sie furchtbar leid. Wir werden den Fall auch so lösen.«

Sie gingen wieder in den Salon.

»Zeigen Sie mir doch einmal den Schreibblock«, bat Eisler. »Pe – das kann alles Mögliche heißen.«

»Aber sehen Sie denn nicht, daß der Aufstrich zu dem ›t‹ deutlich erkennbar ist? Bestimmt sollte es Peters heißen!«

»Das wäre nicht ausgeschlossen. Aber als Perqueda ›Pe‹ geschrieben hatte, überkam ihn die Schwäche, die Bleistiftspitze rutschte auf dem Papier aus und ging nach oben. Das ist kein beabsichtigter Strich. Vielleicht wollte er ›t‹ schreiben, aber wir wissen es nicht. Ebensogut kann es Perault heißen oder noch eine ganz andere Bedeutung haben. Die zwei Buchstaben und der Strich sind so vieldeutig wie ein Orakel der Pythia von Delphi.«

»Ich bin davon überzeugt, daß er ›Peters‹ schreiben wollte.«

»Wir haben die Möglichkeiten der Untersuchung noch lange nicht ausgeschöpft, und bevor wir sie nicht abgeschlossen haben, möchte ich kein Urteil äußern.«

»Aber soviel steht doch wenigstens fest: Rohmer scheidet aus. Mit dem besten Willen kann man die Buchstaben nicht auf seinen Namen deuten.«


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