Christian Reuter
Schelmuffsky
Christian Reuter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das andere Capitel.

Der Guckguck fing gleich denselben Tag das erste mal im Jahre an zu ruffen, als ich in Schelmerode von meiner Fr. Mutter Abschied nahm, ihr um den Halß fiel, sie auf jedweden Backen zu guter letzte 3mal hertzte und hernach immer zum Thore hinaus wanderte.

Wie ich nun vor das Thor kam, o sapperment! wie kam mir alles so weitläufftig in der Welt vor! Da wuste ich nun der Tebel hohl mer nicht, ob ich gegen Abend oder gegen der Sonnen Niedergang zu marchiren sollte; hatte wol 10 mal in Willens, wieder umzukehren und bey meiner Frau Mutter zu bleiben, wenn ich solches nicht so lästerlich verschworen gehabt, nicht eher wieder zu ihr zu kommen, bis daß ich ein brav Kerl geworden wäre. Doch hätte ich mich endlich auch nicht groß an das Verschweren gekehret, weil ich sonst wohl eher was verschworen und es nicht gehalten hatte, sondern würde unfehlbar wieder zu meiner Fr. Mutter gewandert seyn, wann nicht ein Graf auf einen Schellen-Schlitten wäre qver Feld ein nach mir zu gefahren kommen und mich gefraget: wie ich so da in Gedancken stünde? Worauf ich den Grafen aber zur Antwort gab: Ich wäre willens die Welt zu besehen, und es käme mir alles so weitläufftig vor und wüste nicht, wo ich zugehen solte. Der Graf fing hierauf zu mir an und sagte: Msr., es siehet ihn was rechts aus seinen Augen u. weil er Willens ist, die Welt zu besehen, so setze er sich zu mir auf meinen Schellen-Schlitten und fahre mit mir, denn ich fahre deßwegen auch in der Welt nur herum, daß ich sehen will, was hier und da passiret. So bald der Hr. Graf dieses gesagt, sprang ich mit gleichen Beinen in seinen Schellen-Schlitten hinein und stackte die rechte Hand forne in die Hosen u. die lincke Hand in den rechten Schubesack, daß mich nicht frieren solte, denn der Wind ging sehr kalt und hatte selbige Nacht Ellen dicke Eiß gefroren. Doch war es noch gut, daß der Wind uns hinten nach ging, so kunte er mich nicht so treffen, denn der Hr. Graf hielt ihn auch etwas auf. Der saß hinten auf der Pritsche und kutschte.

Damit so fuhren wir immer in die Welt hinein und gegen Mittag zu. Unterwegens erzehleten wir einander unser Herkommens; der Herr Graf machte nun den Anfang und erzehlete seinen Gräfl. Stand und daß er aus einen uhralten Geschlechte herstammete, welches 32 Ahnen hätte und sagte mir auch, in welchen Dorffe seine Grosse-Mutter begraben läge; ich habe es aber wieder vergessen. Hernach so schwatzte er mir auch, wie daß er – als noch ein kleiner Junge von 16 Jahren gewesen wäre – seine Lust und Freude an den Vogelstellen immer gehabt hätte und einsmals auf einmal zugleich 31 Pumpel-Meisen in einen Sprenckel gefangen, welche er sich in Butter braten lassen und ihn so vortrefflich wohl bekommen wären.

Nachdem er nun seinen Lebens-Lauff von Anfang bis zum Ende erzehlet hatte, so fing ich hernach von meiner wunderlichen Geburth an zu schwatzen und wie es mit der Ratte wäre zugegangen, da sie meiner Fr. Mutter ein gantz neu seiden Kleid zerfressen gehabt und meiner Schwester zwischen die Beine durchgelauffen wäre und unversehens in ein Loch gekommen, da sie hätte sollen todt geschlagen werden; wie auch von meinen Blase-Rohre, mit welchen ich so gewiß schiessen können. O sapperment! wie sperrete der Herr Graf Maul und Nasen drüber auf, als ich ihn solche Dinge erzehlete und meinte, daß noch was rechts auf der Welt aus mir werden würde.

Nach solcher Erzehlung kamen wir an ein Wirths-Haus, welches flugs an der Strasse im freyen Felde lag, daselbst stiegen wir ab und giengen hinein, uns ein wenig da auszuwärmen. So bald als wir in die Stube kamen, ließ sich der Herr Graf ein groß Glaß geben, in welches wol hier zu Lande auf 18 bis 20 Maaß ging; dasselbe ließ er sich von den Wirthe voll Brantewein schencken und brachte mirs da auf Du und Du zu. Nun hätte ich nicht vermeinet, daß der Graf das Glaß voll Brantewein alle auf einmal aussauffen würde! Allein er soffs der Tebel hohlmer auf einen Soff ohne absetzen und Barth wischen reine aus, daß sich auch der Wirth grausam drüber verwunderte. Hernach so ließ ers wieder eben so voll schencken und sagte zu mir: Nun allons, Herr Bruder Schelmuffsky! Ein Hundsfott der mirs nicht auch Bescheid thut! Sapperment! Das Ding verdroß mich, daß der Graff mit solchen Worten flugs um sich schmiß und fieng gleich zu Ihm an: Tob Herr Bruder! Ich wils Bescheid thun. Als ich dieses Ihn zur Antwort gab, fieng der Wirth höhnisch zu den Grafen an zu lächeln und meinte, ich würde es unmöglich können Bescheid thun, weil der Herr Graff ein dicker corpulenter Herre und ich gegen Ihn nur ein Auffschüßling wäre und in meinen Magen das Glaß voll Brantewein wohl schwerlich gehen würde. Ich war aber her und satzte mit dem Glase voll Brantewein an und soff es der Tebel hohl mer flugs auff einen Schluck aus. O Sapperment! was sperrete der Wirth vor ein paar Augen auff und sagte heimlich zum Grafen, daß was rechts hinter mir stecken müste! Der Graff aber klopfte mich hierauf gleich auff meine Achseln und sagte: Herr Bruder, verzeihe mir, daß ich dich zum Trincken genöthiget habe! Es soll hinfort nicht mehr geschehen. Ich sehe nun schon, was an dir zuthun ist und daß deines gleichen von Conduite wohl schwerlich wird in der Welt gefunden werden. Ich antwortete den Herrn Bruder Grafen hierauf sehr artig wieder und sagte, wie daß ich warlich ein brav Kerl wäre und noch erstlich zu was rechts werden würde, wenn ich weiter in die Welt hinein kommen solte. Und wenn Er mein Bruder und Freund bleiben wolte, solte Er mich künfftig mit dergleichen Dingen verschonen. O Sapperment! wie demüthigte sich der Grafe gegen mich und bath mirs auf seine gebogenen Knien ab und sagte, dergleichen Excesse solten künftig nicht mehr von Ihm geschehen. Hierauf bezahlten wir den Wirth, satzten uns wieder auf unsern Schellen Schlitten und fuhren immer weiter in die Welt hinein.

Wir gelangeten zu Ende des Octobris, da es schon fast gantz dunckel worden war, in der berühmten Stadt Hamburg an, alwo wir mit unsern Schlitten am Pferde-Marckte in einen grossen Hauße einkehreten, worinnen viel vornehme Standes-Personen und Damens logireten. Sobald als wir da abgestiegen waren, kamen 2 Italiänische Nobels die Treppe oben herunter gegangen. Der eine hatte einen meßingenen Leuchter in der Hand, worauff ein brennendes Wachs-Licht brandte, und der andere eine große töpfferne brennende Lampe, welche geschwüpte voll Bomolie gegossen war. Die hiessen uns da willkommen und erfreueten sich meiner wie auch des Herrn Bruder Grafens seiner guten Gesundheit. Nachdem Sie nun solche Compliment gegen uns abgeleget hatten, nahm mich der eine Nobel mit den brennenden Wachs-Liechte bey der Hand und der andere mit der brennenden Bomolien-Lampe fassete den Herrn Grafen bey den Ermel und führeten uns da der Treppe hinauff, daß wir nicht fallen solten, denn es waren 6 Stuffen oben ausgebrochen. Wie wir nun die Treppe oben hinauff kamen, so praesentirete sich ein vortrefflicher schöner Saal, welcher um und um mit den schönsten Tapezereyen und Edelgesteinen ausgezieret war und von Gold und Silber flimmerte und flammte. Auf denselben Saale nun stunden 2 vornehme Staaden aus Holland und 2 Portugiesische Abgesandten, die kamen mir und meinen Herrn Bruder Graffen gleichfalls entgegen gegangen, hiessen uns auch willkommen und erfreueten sich ebenfals unserer guten Gesundheit und glücklichen Anherokunfft. Ich antwortete denselben flugs sehr artig wieder und sagte: Wenn Sie auch noch fein frisch und gesund wären, würde es mir und den Hn Grafen sehr lieb auch seyn. Als ich mein Gegen-Compliment nun auch wieder abgeleget hatte, so kam der Wirth in einen grünen Sammet-Beltze auch dazu, der hatte nun ein groß Bund Schlüsseln in der Hand, hieß uns auch willkommen und fragte, ob ich und der Hr Graf belieben wolten, noch eine Treppe höher mit ihn zu steigen, alwo er uns anweisen wolte, wo wir unser Zimmer haben solten. Ich und der Herr Bruder nahmen hierauff von der sämbtlichen Compagnie mit einer sehr artigen Mine Abschied und folgeten dem Wirthe, daß er uns in unser Zimmer führen sollte, welches wir zu unserer Bequemlichkeit innen haben solten.

Sobald wir nun mit ihn noch eine Treppe hinauff kamen, schloß er eine vortreffliche schöne Stube auf, worinnen ein über allemassen galantes Bette stund und alles sehr wohl in derselben Stube auffgeputzt war. Daselbst hieß er uns unsere Gelegenheit gebrauchen, und wenn wir was verlangeten, solten wir nur zum Fenster hinunter pfeiffen, so würde der Haußknecht alsobald zu unsern Diensten stehen; und nahm hierauf von uns wieder Abschied. So bald als der Wirth nun den Rücken gewendet hatte, war ich her und zog gleich meine Schuh und Strümpffe aus und pfiff dem Hauß-Knechte, daß er mir ein Faß frisch Wasser bringen muste, damit ich meine Knochen waschen kunte, denn sie stuncken abscheulich. Meinen Herrn Bruder Grafen waren seine schwarztrüpnen Sammthosen zwischen den Beinen aus der Nath gerissen; derselbe pfiff der junge Magd, daß sie Ihn eine Nehnadel mit einen Faden weissen Zwirn bringen muste, daß Er selbige wieder flicken kunte. Da sassen wir nun allebeyde, ich wusch meine stinckende Füsse und der Hr Bruder Graf flickte seine zerrissenen Sammthosen, welches sehr artig ließ.

Nachdem wir uns nun so ein Bißgen ausgemaustert hatten, so kam der Wirth in grünen Sammt-Beltze wieder hinauff zu uns und ruffte uns zur Abend-Mahlzeit, worauf ich und der Hr Bruder Graf gleich mit ihn giengen. Er führete uns die Treppe wieder hinunter, über den schönen Saal weg und in eine große Stube, alwo eine lange Tafel gedeckt stunde, auf welche die herrlichsten Tractamenten getragen wurden. Der Hr Wirth hieß uns da ein klein wenig verziehen, die andern Herren wie auch Damens würden sich gleich auch dabey einfinden und uns Compagnie leisten.

Es währete hierauf kaum so lange als er davon geredet hatte, so kamen zu der Tafel-Stube gleich auch hinein getreten die 2 Italiänische Nobels, welche uns zuvor becomplementirt hatten, ingleichen auch die 2 Staaden aus Holland und die 2 Portugisischen Abgesandten und brachte ein jedweder eine vornehme Dame neben sich an der Hand mit hinein geschlept. O Sapperment! als sie mich und meinen Herrn Bruder Grafen da stehen sahen, was machten sie alle mit einander vor Reverenze gegen uns und absonderlich die Menscher, die sahen uns der Tebel hohlmer mit rechter Verwunderung an! Da nun die gantze Compagnie beysammen war, welche mit speisen solte, nöthigten sie mich und meinen Herrn Bruder Grafen, daß wir die Oberstelle an der Tafel einnehmen musten, welches wir auch ohne Bedencken thaten. Denn ich satzte mich nun gantz zu oberst an, neben mir zur lincken Hand saß der Herr Bruder Graf und neben mir rechten an der Ecke sassen nach einander die vornehmen Dames. Weiter hinunter hatte ein iedweder auch seinen gehörigen Platz eingenommen.

Unter währender Mahlzeit nun wurde von allerhand Staats-Sachen discurriret – ich und der Bruder Graf aber schwiegen darzu stockstille und sahen, was in der Schüssel passirete, denn wir hatten in 3 Tagen keiner kein Bissen Brod gesehen! Wie wir uns aber beyde brav dicke gefressen hatten, so fieng ich hernach auch an, von meiner wunderlichen Geburth zu erzehlen und wie es mit der Ratte wäre zu gangen, als sie wegen des zerfressenen seidenen Kleides hätte sollen todt geschlagen werden. O Sapperment! wie sperreten Sie alle Mäuler und Nasen auf, da ich solche Dinge erzehlete und sahen mich mit höchster Verwunderung an. Die vornehmen Damens fiengen gleich an, darauf meine Gesundheit zu trincken, welche die gantze Compagnie Bescheid that! Bald sagte eine, wenn sie soff: Es lebe der vornehme Herr von Schelmuffsky! Bald fieng ein andere drauf an: Es lebe die vornehme Standes-Person, welche unter den Nahmen Schelmuffsky seine hohe Geburth verbirget! Ich machte nun allemahl eine sehr artige Mine gegen die Menscher, wenn sie meine Gesundheit so nach der Reihe soffen.

Die eine vornehme Dame, welche flugs neben mir an der Tisch-Ecke zur rechten Hand saß, die hatte sich wegen der Begebenheit von der Ratte gantz in mich verliebet! Sie druckte mir wohl über 100 mahl die Fäuste übern Tische, so gut meinte Sie es mit mir, und stoß mich auch immer mit ihren Knie an meine Knie, weil Sie sich in mich so sehr verliebet hatte. Doch war es nicht zu verwundern, weil ich so artig neben Ihr saß und alles dazumahl der Tebel hohl mer flugs an mir lachte!

Nachdem ich nun mit meinen Erzehlen fertig war, so fieng mein Hr Bruder gleich auch an, von seinen Herkommen zu schwazen und wo seine 32 Ahnen alle herkommen, und erzehlte auch, in welchen Dorffe seine Großemutter begraben läge und wie er, als er noch ein kleiner Junge von 16 Jahren gewesen, 31 Pumpel-Meisen zugleich auf einmahl in einen Sprenckel gefangen hätte, und was das Zeugs mehr alle war. Allein er brachte alles so wunderlich durch einander vor und mengete bald das 100 in das 1000 hinein und hatte auch kein gut Mundwerk, denn er stammerte gar zu sehr, daß er auch – wie er sahe, daß ihn niemand nicht einmahl zu hörete – mitten in seiner Erzehlung stille schwieg und sahe, was sein Teller guts machte! Wenn ich aber zu discurriren an fieng! Ey Sapperment! wie horchten Sie alle wie die Mäußgen, denn ich hatte nun so eine anmuthige Sprache und kunte alles mit so einer artigen Mine vorbringen, daß sie mir nur der Tebel hohl mer mit Lust zu höreten.

Nachdem der Wirth nun sahe, daß niemand mehr aß und die Schüsseln ziemlich ausgeputzt waren, ließ er die Tafel wieder abräumen. Wie solches geschehen, machte ich und der Bruder Graff ein sehr artig Compliment gegen die sämtliche Compagnie und stunden von der Tafel auf. Da Sie das über Tische nun sahen, fiengen Sie alle mit einander auch an auf zu stehen. Ich und der Herr Bruder Graf nahmen hierauf ohne Bedencken zu erst wieder unsern Weg zum Tafel-Gemach hinaus und marchireten nach unsern Zimmer zu. Die sämtliche Compagnie aber begleitete uns über den schönen Saal weg und biß an unsere Treppe, wo wir wieder hinauf gehen musten. Aldar nahmen sie von uns gute Nacht und wünschten uns eine angenehme Ruhe. Ich machte nun gegen Sie gleich wieder ein artig Compliment und sagte, wie daß ich nemlich ein brav Kerl wäre, der etwas müde wäre wie auch der Herr Graf, und daß wir in etlichen Wochen in kein Bette gekommen wären, als zweiffelten wir gar nicht, daß wir wacker schlaffen würden und Sie möchten auch wohl schlaffen. Nach dieser sehr artig gegebenen Antwort gieng nun ein iedweder seine Wege, ich und mein Hr. Bruder Graf giengen gleich auch die Treppe vollends hinauff und nach unsrer Stube zu. Wie wir da hinein kamen, so pfiff ich den Hauß-Knechte, daß er uns ein Licht bringen muste, welcher auch Augenblicks damit sich einstellete und wieder seiner Wege gieng. Hierauff zog ich mich und mein Herr Bruder Graf splinter nackend aus und sahen, was alda in unsern Hembden gutes passirete:

O Sapperment! wie war der Schweiß darinn lebendig geworden! Wir brachten der Tebel hohl mer über 3 gantzer Seiger-Stunden zu, ehe wir mit todt schlagen kunten fertig werden. Doch wars bey mir noch nicht so arg, als wie bey dem Herrn Grafen, der war der Tebel hohl mer über 20 000 Mann gut stärcker als ich, daß ich Ihn auch, wie ich mein Hembde wieder renoviret hatte, in seinem über eine gute Stunde noch muste todt knicken helffen, ehe das Rabenzeug alle wurde! Da solche nothwendige Arbeit gethan war, legten wir uns beyde in das schöne Bette, welches in der Stube stund. Sobald als der Herr Bruder Graf sich dahinein weltzte, fieng er gleich an zu schnarchen, daß ich vor ihn kein Auge zu den andern bringen kunte, ob ich gleich sehr müde und schläffrig auch war.


 << zurück weiter >>