Christian Reuter
Schelmuffsky
Christian Reuter

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Das erste Capitel.

Wo mir recht ist, war es gleich am Sanct Gergens Tage, als ich das erste mahl von meiner sehr gefährlichen Reise in einem alten zerrissenen Caper-Rocke, und zwar Barfuß, das ehrliche Schelmerode wieder ansichtig wurde. Nun kan ichs der Tebel hohl mer nicht sagen, wie mir alles so frembde und unbekant in meiner Geburts-Stadt vorkam! Ich hatte sie auch so verkennen gelernet, als wenn ich dieselbe Zeit Lebens mit keinem Auge gesehen gehabt. Drey gantzer Tage und Nächte lieff ich wie ein irre Mensch auff allen Gassen herumb und wuste meiner Frau Mutter Hauß nicht wieder zu finden, wenn es auch mein Leben hätte kosten sollen. Fragte ich gleich Leute: Ob sie mir nicht davon könten Nachricht geben oder zum wenigsten nur die Gasse sagen, wo meine Frau Mutter wohnen möchte? so sperreten sie der Tebel hohl mer alle mahl die Mäuler auff und sahen mich an und lachten. Ich kunte es ihnen zwar nicht verargen, daß sie so albern thaten und mir auff mein Fragen keine Antwort gaben. Warum? Ich hatte meine Frau Mutter Sprache in der Frembde gantz verreden gelernet, denn ich parlirte meist Engeländisch und Holländisch mit unter das Teutsche, und wer mir nicht sehr genau auff mein Maul achtung gab, der kunte mir der Tebel hohl mer nicht eine Sylbe verstehen.

Ich hätte, halt ich dafür, meiner Frau Mutter Hauß wohl in acht Tagen noch nicht gefunden, so mir nicht ohn gefehr die dritte Nacht zwischen eilffen und zwölffen meine Jungfer Muhmen auf der Gasse wären in Wurff gekommen, welche ich auch anredete und fragte: ob sie mir keine Nachricht von meiner Frau Mutter Hause melden könten? Die Menscher sahen mir in Finstern beyde scharff ins Gesichte und verstundens doch (ob ich gleich sehr unteutsch redete) und was ich haben wolte. Endlich so fieng die eine an und sagte: Ich solte mich erstlich zu erkennen geben, wer ich wäre, alsdenn wolten sie mich selbsten an verlangten Ort bringen. Wie ich ihnen nun erzehlete, daß ich der und der wäre und daß ich schon drey gantzer Tage in der Stadt herum gelauffen und kein Hencker mich hätte berichten können, in welcher Gasse doch meine Frau Mutter wohnen müste, o Sapperment! wie fielen mir die Menscher beyde auff der Straße umb den Halß und erfreueten sich meiner guten Gesundheit und glücklichen Wiederkunfft! Sie kriegten mich beyde bey meinem zerrissenen Caper-Rocke zu fassen und waren willens, mit mir nach meiner Frau Mutter Hause zu zumarchiren.

Indem wir alle drey nun sehr artig miteinander giengen und ich ihnen unterwegens von meiner Gefangenschafft zu Sanct Malo anfing zu erzehlen, so kamen unvermerckt 2 Kerl hinter mir hergeschlichen, die dencken, ich bin etwan ein gemeiner Handwercks Pursche, weil ich so liederlich gieng, und gaben mir da rücklings ein iedweder eine Presche, daß mir flugs die rothe Suppe zu Maul und Nase Beins dicke heraus schoß und rissen mir hierauff meine Jungfer Muhmen von der Seite weg und wanderten mit ihnen immer was läuffstu was hast du – so viel ich in finstern sehen kunte – durch ein enge Gäßgen durch. O Sapperment! wie verdroß mich das Ding von solchen unverständigen Kerlen, weil sie mich nicht besser respectireten. Ihr gröstes Glück war, daß mir auff der Spanischen See von Hans Barthe mein vortrefflicher Rückenstreicher mit war von der Seite weggeraubet worden, sonst hätte ich ihnen nicht einen Dreyer vor ihr gantzes Leben geben wollen! So aber hatte ich nichts in Fäusten, und ohne Degen im Finstern auff Händel auszugehen, glückt auch nicht allemahl. Drum dachte ich, du wilst lieber die Preschen einstecken und stehen bleiben, biß deine Jungfer Muhmen wieder kommen, die werden dirs wohl sagen, wer die Kerl gewesen seyn – hernach müssen sie dir schon Satisfaction vor den Schimpff geben. Ich stund wohl über 3 Stunden auff derselben Stelle, wo ich die Preschen bekommen hatte, und wartete auff meine Jungfer Muhmen.

Wie dieselben nun wiederkamen, so waren sie gantz voller Freuden und erzehleten mir, wie es ihnen so wohl gegangen wäre, und wie sie beyde von denselben Kerlen, welche mir die Preschen gegeben, so vortrefflich beschencket worden und es sehr betauret, weil ich ihr Herr Vetter wäre, daß sie sich an mich vergriffen hätten. Nachdem ich von meinen Jungfer Muhmen nun solches vernahm, daß es unversehener weise geschehen war und daß die Preschen, welche ich bekommen, einen andern waren zugedacht gewesen, so ließ ichs gut seyn und dachte: Irren ist menschlich.

Hierauff so führeten mich meine Jungfer Muhmen immer nach meiner Fr. Mutter Hause zu. Als wir nun vor die Thüre kamen, so konten wir nicht hinein kommen. Wir klopfften wohl über 4 Stunden vor meiner Frau Mutter Hause an, allein es wolte uns niemand hören.

Wie wir nun sahen, daß uns keiner aufmachen wolte, legten wir uns alle drey die Längelang vor die Hauß-Thür und schlummerten da so lange, biß das Hauß wieder geöffnet wurde. Hernach so schlichen wir uns heimlich hinein, die Treppe sachte hinauff und nach meiner Jungfer Muhmen ihrer Cammer zu, daß sie und mich niemand gewahr wurde. Oben zogen sich meine Jungfer Muhmen nun aus und legten ihren Nacht-Habit an und zwar zu dem Ende, damit niemand mercken solte, daß Sie vergangene Nacht anderswo frische Lufft geschöpfft hätten. Da solches geschehen, hiessen sie mich sachte die Treppe wieder hinunter schleichen und an meiner Frau Mutter Stuben-Thüre anpochen und solte hören, ob sie mich auch noch kennen würde?

Als ich nun unten wieder ins Hauß kam, O Sapperment! wie kam mir alles so frembde und unbekant in meiner Frau Mutter Hause vor! Ich suchte wohl über 2 Stunden, ehe ich meiner Frau Mutter ihre Stuben-Thüre wieder finden kunte, denn ich hatte alles mit einander im gantzen Hause fast gäntzlich verkennen gelernet, ausgenommen meiner Frau Mutter ihr klein Hündgen, welches sie immer mit zu Bette nahm und hernachmahls eines unverhofften Todes sterben muste. Dasselbe erkante ich noch an dem Schwantze, denn es hatte einen blauen Fleck unter dem Schwantze, welchen ich den Hündgen unversehens – da ich noch vor diesen in die Schule ging – mit meinem Blase-Rohre, als ich nach einem Sperlinge geschossen und das Hündgen unversehener Weise unter den Schwantz getroffen, gemacht hatte.

Aber meine Frau Mutter, als ich dieselbe ansichtig wurde, so kam sie mir der Tebel hohl mer gantz unkäntbar vor und ich hätte es auch nimmermehr gegläubet, daß sie meine Frau Mutter wäre, wenn ich sie nicht an dem seidenen Kleide, welches ihr vormahls die grosse Ratte zerfressen gehabt, erkant hätte; denn es war in demselben hinten und forne ein abscheulich groß Loch und zu ihrem grossen Glücke hatte sie das zerfressene Kleid gleich selben Tag angezogen, sonst hätte ich sie – der Tebel hohl mer – nicht wieder gekant!

Nachdem ich nun gewiß wuste und das zerfressene seidene Kleid mir gnungsam zu verstehen gab, daß ich meine Frau Mutter, welche ich in so vielen unzehlichen Jahren mit keinem Auge gesehen, wiederum vor mir stehen sahe, so gab ich mich hernachmals auch zu erkennen und sagte: Daß ich ihr frembder Herr Sohn wäre, welcher in der Welt was rechts gesehen und erfahren hätte! O Sapperment! was sperrete das Mensch vor ein paar Augen auff, wie sie hörete, daß ich ihr Sohn Schelmuffsky seyn solte! Sie sagte anfänglich: Das Ding könte unmöglich wahr seyn, daß ich ihr Herr Sohn wäre, indem ihr Herr Sohn – wie sie vernommen – einer mit von den vornehmsten Standes-Personen unter der Sonnen wäre und würde, wenn er wieder nach Hause käme, so liederlich wie ich nicht auffgezogen kommen. Ich antwortete aber hierauff meiner Frau Mutter sehr artig und halff ihr mit 2 biß 3 Worten gleich aus dem Traume, sagende: Wie daß ich nemlich einer mit von den vornehmsten Standes-Personen schon in der Welt gewesen und wie daß einem ein gut Kleid auff der Reise nichts nütze wäre, und wie daß der von Schelmuffsky ein gantz halb Jahr zu St. Malo gefangen gesessen und ihr eintziger lieber Sohn, welcher wegen einer grossen Ratte – und zwar nach Adam Riesens Rechen-Buche 4 Monat zu früh auff die Welt gekommen wäre. O Sapperment! als meine Frau Mutter von der Ratte hörete, wie fiel mir das Mensche vor Freuden um den Halß und zu hertzte und zu possete mich, daß ichs der Tebel hohl mer nicht sagen kan.

Als sie sich mit mir nun eine gute Weile getändelt hatte, so fing sie vor grossen Freuden an zu gransen, daß ihr die Thränen immer an den Strümpffen herunter lieffen und ihre Sämischen Schuhe pfützen maden naß davon wurden! Hierzu kamen nun meine Jungfer Muhmen in ihren Schlaff-Habite zur Stuben-Thür hinein getreten und boten meiner Frau Mutter einen guten Morgen, gegen mich aber stellten sie sich, als wenn sie mich Zeit Lebens nicht gesehen hätten.

Meine Frau Mutter hatte auch damahls einen kleinen Vetter bey sich, dasselbe war eine schlaue Wetter-Kröte und wurde dem Aase aller Willen gelassen. Indem nun meine Frau Mutter ihren Jungfer Muhmen erzehlet, wie daß ich ihr Sohn Schelmuffsky wäre, der sich was rechts in der Frembde versucht hätte und zu Wasser und Lande viel ausgestanden, so mochte es der kleine Vetter in der Stuben-Kammer hören, daß von Schelmuffsky geredet wurde; kam das kleine Naseweißgen wie eine Ratte aus meiner Frau Mutter Bette gesprungen und guckte zur Stuben-Thüre hinein. So bald als er mich nun erblickte, fing der kleine Junge der Tebel hohl mer an zu lachen und fragte mich da gleich, was ich denn schon zu Hause wieder haben wolte, indem ich kaum 14 Tage weg wäre? O Sapperment! wie verdroß mich das Ding von den Jungen, daß er mir von 14 Tagen schwatzte! Wie ihn nun meine Frau Mutter hierauff fragte: Ob er mich denn noch kennete? so gab ihr der Naseweiß so hönisch zur Antwort und sagte: Warum er denn seinen liederlichen Vetter Schelmuffsky nicht kennen solte? Da ihm aber meine Frau Mutter die Augen eröffnen wolte und zu ihn sprach: daß er unrecht sehen müste und wie daß ich mich in der Frembde was rechts so wohl zu Wasser als zu Lande versucht hätte, so fing mein kleiner Vetter wieder an: Frau Muhme, sie wird ja nicht so einfältig seyn und solche Lügen gläuben! Ich habe mir von unterschiedlichen Leuten erzehlen lassen, daß mein Vetter Schelmuffsky nicht weiter als eine halbe Meile von seiner Geburts-Stadt kommen wäre und alles mit einander mit liederlicher Compagnie im Toback und Brantewein versoffen. O Sapperment! wie knirschte ich mit den Zähnen, als mir der Junge Toback und Brantewein unter die Nase rieb!

Nach diesen baten mich meine Jungfer Muhmen, daß ich doch von meiner gefährlichen Reise was erzehlen solte und was ich vor Dinge in der Welt gesehen hätte? Wie ich nun Sachen vorbrachte, welche grosse Verwunderungen bey meinen Jungfer Muhmen erweckten, so fiel mir der Junge allemahl in die Rede und sagte: Ich solte nur stille schweigen, es wäre doch alles erstuncken und erlogen, was ich da aufschnitte. Endlich so lieff mir die Lauß auch über die Leber und gab ihn, ehe er sichs versahen eine Presche, daß er flugs an die Stuben-Thüre hinflohe und die Beine hoch in die Höhe kehrete! Ey Sapperment! was verführete deßwegen meine Fr. Mutter vor ein Spiel! Wie vielmahl ich mich auch hernach des Jungens halber mit meiner Frau Mutter gezancket und gekiffen, das wäre der Tebel hohl mer auff keine Esels-Haut zu bringen und ist meines Erachtens unnöthig, daß ich hiervon viel Wesens mache. Ist aber iemand curiöse und will von solchen Gekäuffe genauere Nachricht wissen, den kan ich keinen bessern Rath geben, als daß er nur etliche ehrliche Weiber in der Nachbarschafft deßwegen drüm fraget, die werdens ihn der Tebel hohl mer Haarklein sagen.

Damit ich aber meinen damahligen Zustand, wie ich von meiner Gefangenschafft wieder kommen war, mit wenigen berühre, wird derselbe folgender massen sehr artig beschrieben seyn.


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