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Initial Ein herrlicher, sommerlicher Tag brach an.

Es mußte schon gegen zehn Uhr sein, denn die Sonne war aus der Mitte des Wegs zwischen Osten und Mittag und brannte immer drauflos, als sich alle Glocken von Lipce laut vernehmen ließen.

Und die, die sie Peter nannten, dröhnte am lautesten und sang wie ein Mann, der zuviel des Guten hat und über die Landstraße torkelt, der ganzen Welt mit einer tiefen Stimme seine Freude verkündend. ...

Die zweite, etwas kleinere Glocke aber, von der Ambrosius erzählte, daß man sie einst Paul getauft hatte, klang etwas leiser, aber um so inbrünstiger; in einem höheren Register und sang mit einer hellen reinen Stimme leidenschaftlich wie ein Mädchen, das die Liebe an einem Frühlingstag überkommt, so daß sie aufs Feld rennt, zwischen den Getreidefeldern wandelt und aus vollem Herzen den Winden, den Feldern, dem hellen Himmel und ihrer frohen Seele Lieder singen muß.

Und als dritte zwitscherte die Betglocke wie ein Vogel dazwischen und mühte sich vergeblich, die beiden anderen zu übertönen; sie konnte das nicht zuwege bringen, obgleich sie es mit einer raschen abgerissenen Stimme, wie ein widersprechendes Kind, versuchte. So läuteten sie denn gemeinsam, als wären sie eine richtige Dorfkapelle, denn es klang da wie eine tiefe Baßstimme, wie Geigensingen und wie das Wirbeln einer klirrenden Trommel; sie jubilierten weit vernehmbar und feierlich.

Kirchweih war heute, darum riefen sie das Volk so freudig zusammen. Es sollte doch der Peterpaulstag gefeiert werden, der jedes Jahr festlich in Lipce begangen wurde.

Auch das Wetter war dafür wie ausgesucht, ganz windstill und sonnig; es schien mächtig heiß werden zu wollen, trotzdem hatten schon von Morgengrauen an die Händler angefangen, verschiedene Buden, Kramläden und mit Leinwand überdachte Tische aufzustellen.

Und kaum hatten die Glocken zu läuten begonnen, kaum hatten sich ihre freudigen Stimmen über die Welt verbreitet, als auch schon auf den Wegen, ganz in Staubwolken gehüllt, immer öfter Wagen dahergerollt kamen; auch viele Fußgänger waren unterwegs. Soweit man nur sehen konnte/aus allen Richtungen, auf allen Wegen, Stegen und Feldrainen tauchten Frauen auf in roter Tracht und Männer mit weißen wehenden Kapottröcken.

Sie zogen in einer langen Reihe wie Gänse über die Straße dahin, inmitten der grünen Felder flimmerten immer wieder ihre Kleider auf, beschienen vom heißen Licht der glühenden Sommersonne.

Sie stieg wie ein goldener Vogel immer höher und höher in den blauen, klaren Himmel hinein und sandte immer brennendere Strahlen herab, so daß die Luft über den Feldern schon zu flimmern begann. Noch kam hin und wieder ein frischer Luftzug von den Wiesen und ließ die weißlichen Roggenfelder aufwogen; auch im Hafer krisselte es noch leise, und die jungen Weizenähren zitterten, während der aufgeblühte Flachs wie Wasser in einem blauen Streifen ganz sacht flutete; aber schon fing alles an, in siedende Sonnenglut und Stille zu versinken.

Hei, ein froher Festtag war das, ein wirklicher Kirchweihtag. Die Glocken klangen noch lange in den Tag hinein, und ihre dröhnenden Stimmen gingen so mächtig über das Land, daß die Halme erzitterten und die Vögel erschrocken aufflogen; ihre erzenen Herzen schlugen im gleichmäßigen Takt, und ihr durchdringendes Lied stieg sonnenwärts und klang wie ein Rufen:

»Erbarme dich! Erbarme! Erbarme!«

»Allerheiligste! Unsere Mutter, unsere Mutter, unsere Mutter!«

»Und ich bitte! Und ich bitte! Und ich bitte!«

So sangen sie und verkündeten gemeinsam den hohen Festtag.

Man spürte schon überall in der Lust die Kirchweihstimmung; Festtag war in den mit frischem Grün geschmückten Häusern, in dem von Licht durchleuchteten Umkreis, in den freudigen Stimmen der Menschen und in all dem Unaussprechbaren, was über den Feldern zu wehen schien und die Herzen der Kirchgänger mit stiller, festlicher Seligkeit erfüllte. ...

Das Volk eilte in Haufen zu jenem Fest und kam von allen Seiten herangeflutet. Wolken von Staub zogen über alle Wege dahin, Wagengeroll und Pferdegewieher erschollen, Menschenstimmen wurden laut und verbanden sich zu lauten Gesprächen. Manchmal beugte sich einer aus seinem Korbwagen heraus und rief den Fußgängern irgend etwas zu; da schleppte sich irgendein verspäteter Bettler vorwärts, mit klagender Stimme vor sich her singend, und manche kamen, ihre Gebete murmelnd, dahergefahren und sahen sich in stummer Verwunderung um, denn die Erde war wie zu einem Hochzeitstag geschmückt und stand vor ihnen ganz in Blüte und Grün, hallte von Vogelgesängen wider, war erfüllt vom leisen Raunen der Kornfelder und voll von Bienengesumm und so wunderbar, unfaßbar und festlich in ihrer allerheiligsten nährenden Macht, daß einem schier der Atem stockte.

Die Bäume aus den Feldrainen standen wie Wachtposten und starrten in die Sonne; und tiefer, so weit nur das Auge reichen konnte, lagen die grünen Felder und fluteten wie Wasser hin und her, nach den Wegen zu und nach den Rainen und Gräben, die wie geblümte Bänder voll weißer, gelber und lila Farben sich dahinzogen. Es blühte schon der Rittersporn; es blühten die Winden, die aus dem Roggenfeld mit heimlichen, duftenden Kelchen hervorlugten; es blühten die Kornblumen, die an Stellen, wo das Getreide nicht so gut stand, so dicht wuchsen, daß es war, als hätte sich da der Himmel ausgebreitet; es blühten in ganzen Büscheln allerhand wilde Wicken, Hahnenfuß, Gänseblumen und rostrote Disteln, Hederich und Klee, Tausendschönchen und wilde Kamillen und tausende anderer Feldblumen standen in Blüte, deren Namen nur der Herr Jesus weiß, denn für ihn nur blühen sie und duften. Ein Weihrauchdunst stieg von den Feldern auf, ganz wie in der Kirche, wenn Hochwürden das Weihrauchschiffchen schwenkt.

Dieser und jener sog voll Behagen den Duft ein, peitschte auf sein Pferd los und trieb es zur Eile an, denn die Sonne brannte immer feuriger, daß der Schlaf einen schon übermannte und mancher auf seinem Sitz gehörig hin und her schwankte.

Bald füllte sich Lipce bis an den Rand mit Menschen.

Sie kamen und kamen ohne Ende, und überall auf der Dorfstraße, am Weiher, an den Zäunen und in den Höfen, wo man nur etwas Schatten finden konnte, stellten sich die Wagen auf und wurden die Pferde ausgespannt, denn auf dem Platz vor der Kirche war ein solches Gedränge, und so viele Wagen standen da zusammengepfercht, daß es kaum möglich war, sich hindurchzuzwängen.

Das Dorf war geradezu überschwemmt von Menschen, Wagen und Pferden.

Der Lärm wurde immer größer, Stimmen und Zurufe erhoben sich von überallher. Es war als ginge ein Rauschen durch die Menge, wie in einem Wald, den der Wind schüttelt. Die Frauen saßen überall am Weiher, spülten ihre Füße ab, zogen die Stiefel an und machten sich für die Kirche zurecht; die Männer standen im Haufen und besprachen sich nachbarlich miteinander; die Mädchen aber und die Burschen drängten sich gierig auf die Krambuden zu und sammelten sich hauptsächlich um einen Leierkasten, auf dem ein rot ausgeputztes ausländisches Tier allerhand komische Sprünge und Späße machte, so daß sie sich vor Lachen die Seiten hielten.

Der Leierkasten spielte eifrig drauflos, daß manch einem die Füße schon von selber losgehen wollten, und wie zur Begleitung fingen die in einer Doppelreihe von der Vorhalle bis zum Kirchplatz sitzenden Bettler an, ihre Gesänge herzuplärren; ganz am Tor des Kirchhofs aber saß der blinde dicke Bettler, der sich immer von seinem Hund führen ließ und sang am eifrigsten und mit einer alle überschrillenden Stimme.

Kaum hatte man jedoch zum Hochamt geläutet, da ließ auch schon das Volk vom Vergnügen ab und strömte in die Kirche, die sich bald so füllte, daß man sich fast die Rippen eindrückte; und immer wieder kamen noch neue hinzu, drängten sich und fingen schon selbst an zu zanken, aber dennoch mußten die meisten draußen an der Kirchenwand und unter den Kirchhofsbäumen bleiben.

Es waren auch ein paar Priester aus benachbarten Kirchspielen gekommen; sie nahmen draußen unter den Bäumen in den Beichtstühlen Platz, und ohne von dem Gedränge und der Hitze sich stören zu lassen, machten sie sich daran, die Beichte abzunehmen.

Der Wind hatte ganz nachgelassen, und die Hitze war nicht zum Aushalten, das lebendige Feuer floß von oben auf die Köpfe herab; das Volk drängte sich geduldig an die Beichtstühle heran und scharte sich auf dem Kirchhof, vergeblich nach Schatten und Schutz ausspähend.

Der Pfarrer hatte gerade die Messe zu lesen begonnen, als Anna und Fine erst ankamen; da es aber unmöglich war, selbst bis nach der Kirchentüre vorzudringen, so blieben sie in der Sonne am Zaun stehen und sahen sich im Gedränge um, mit einem »Gelobt sei Jesus Christus!« ihre Bekannten begrüßend.

Gleich setzte auch die Orgel ein, und der Gottesdienst nahm seinen Fortgang; die einen knieten, die anderen hockten nur nieder, und alle begannen eifrig zu beten.

Es war gerade Mittag geworden, und die Sonne stand senkrecht über den Köpfen, ihre furchtbare Glut über alles ausgießend, so daß eine Schlaffheit über alles Lebendige kam; weder ein Blatt bewegte sich, noch ein Vogel flog vorüber, und nicht eine Stimme kam von den Feldern. Der Himmel hing leblos wie bis zur Weißglut erhitztes Glas über der Welt, die Luft flimmerte, als wäre sie schon ganz ins Sieden geraten, sie blendete und fraß sich in die Augen ein. Der Boden brannte unter den Füßen, und das Mauerwerk war glühend heiß; das Volk kniete, kaum noch atmend und bewegungslos, im Gebet und schien schon ganz zermürbt vor Hitze.

Erst zur Zeit der Prozession, als die Kirche vor Gesängen erbebte, als sich die Fahnen ihren Weg nach draußen zu bahnen begannen und ihnen nach der Priester durch die Kirchentür hinaustrat, von den Gutsherren geführt, unter einem roten Baldachin, mit der Monstranz in den Händen, erwachte das in der Sonnenglut kniende Volk und setzte sich in Bewegung, der Prozession folgend.

Gleich nach der Prozession, als die Messe wieder ihren Fortlauf genommen hatte und die Orgel durchdringend erdröhnte, wurde es wieder ganz still auf dem Kirchhof; doch die Schläfrigkeit war schon ganz von ihnen gewichen, das Flüstern der Gebete wurde lauter, und andächtige Seufzer erklangen ringsum; auch die Bettler fingen schon an mit ihren Näpfen zu klappern, und hier und da versuchte man, sich miteinander leise zu unterhalten.

Die Herrschaften aus den umliegenden Herrenhöfen verließen allmählich die Kirche und suchten draußen vergeblich nach einem schattigen Platz, wo sie sich niederlassen konnten; erst als Ambrosius mit Stühlen herankam und unter irgendeinem Baum die Leute verjagt hatte, ließen sie sich nieder und vertieften sich in ein Gespräch.

Auch der Gutsherr aus Wola war da, doch er konnte keine Ruhe finden, wandelte auf und ab, und wenn er nur einen aus Lipce sah, ging er auf ihn zu und redete ihn freundlich an; selbst Anna hatte er bemerkt und drängte sich sofort zu ihr hindurch.

»Ist Eurer schon zurück?«

»Hale, wo sollte er da zurück sein!«

»Ihr sollt doch hingewesen sein, um ihn zu holen?«

»Versteht sich, gleich nach Vaters Begräbnis bin ich hingegangen, aber sie haben auf dem Amt gesagt, daß sie ihn erst in einer Woche freilassen, das wird wohl Mittwoch sein.

»Wie ist es denn mit der Kaution, könnt ihr die schaffen?«

»Der Rochus bemüht sich doch schon darum,« sagte sie vorsichtig.

»Wenn ihr kein Geld habt, dann will ich für Antek bürgen ...«

»Gott bezahl's dem gnädigen Herrn!« Sie beugte sich bis zu seinen Knien herab. »Vielleicht wird der Rochus Rat schaffen, und wenn nicht, dann muß man schon ein anderes Mittel finden.«

»Denkt daran, daß ich für ihn bürge, wenn es nötig ist.«

Er ging weiter, auf die Jaguscha zu, die unweit davon neben ihrer, ganz in ihre Gebete vertieften Mutter saß; da er aber kein geeignetes Wort finden konnte, so lächelte er ihr nur zu und wandte sich wieder nach seinem Platz zurück.

Sie folgte ihm mit den Augen, eifrig nach den Gutsherrinnen hinüberprüfend, die so aufgeputzt waren, daß es einen wundernahm; und, Jesus, wie weiß sie um den Mund und eingeschnitten in der Taille waren. Ein Duft kam von ihnen, rein wie aus einem Weihrauchbecken.

Sie fächelten sich mit irgend etwas, das aussah, wie ein gespreizter Truthahnschwanz. Ein paar junge Gutsherren guckten ihnen immerzu in die Augen, und sie hatten so was miteinander zu lachen, daß die Leute ringsum schon daran Anstoß nahmen.

Plötzlich wurde irgendwo vom Ende des Dorfes her von der Brücke an der Mühle scheinbar ein scharfes Wagengeroll vernehmbar, und eine Staubwolke hob sich bis über die Bäume.

»Das sind wohl welche, die sich verspätet haben,« sagte Pjetrek zu Anna.

»Sie kommen grade zurecht, um die Kerzen auszublasen,« sagte noch einer.

Andere aber bückten sich neugierig über die Mauer und spähten auf den Weg, der um den Weiher lief.

Bald darauf erschien unter dem keifenden Gebell der Hunde eine ganze Reihe gewaltiger Planwagen.

»Das sind die Deutschen! Die Deutschen aus der Waldmeierei!« rief einer.

So war es auch.

Es kamen an die fünfzehn Wagen, die mit ansehnlichen Pferden bespannt waren; unter den Plantüchern sah allerhand häusliches Gerät hervor und waren Frauen und Kinder zu sehen, während rothaarige, wohlgenährte Männer mit Pfeifen zwischen den Zähnen nebenher gingen. Große Hunde folgten den Wagen und fletschten die Zähne gegen die Hunde von Lipce, die immer wieder an sie heran wollten.

Das Volk lief zusammen, um ihnen nachzusehen, und viele kletterten über die Umzäunung und rannten, um sie aus der Nähe betrachten zu können.

Die Deutschen fuhren im Schritt vorüber, sich kaum im Gedränge von Wagen und Pferden den Weg bahnend; kein einziger nahm vor der Kirche die Mütze ab oder begrüßte irgendeinen von den Dastehenden. Nur die Augen funkelten ihnen, und ihre Bärte zitterten wie vor verhaltenem Zorn. Sie sahen trotzig und finster wie Räuber auf das Volk.

»Aasbande! Pluderer! Stutensöhne!« flogen ihnen die Schimpfworte wie Steine nach.

»Deutsche, he! Wer hat recht behalten, was?« schrie Mathias zu ihnen herüber.

»Wer ist hier obenauf?«

»Habt wohl Angst gekriegt vor der Bauernfaust?«

»Wartet doch, heute ist Kirchweih, da können wir uns in der Schenke verbrüdern!«

Die anderen antworteten nichts, peitschten nur auf die Pferde ein und schienen sich sehr zu beeilen.

»Langsamer, Pluderer, sonst kommen die Hosen nicht mit!«

Ein Junge warf ihnen einen Stein nach, und ein zweiter langte sich schon ein paar lose sitzende Ziegelsteine von der Mauer, um seinen Teil dazu zu tun, aber man hielt sie noch zur rechten Zeit zurück.

»Laßt mal, Jungen, laßt die Pest in Frieden wegziehen.«

»Daß euch die Pest hole, ihr ungläubiges Volk!«

Und eine der Frauen streckte ihnen ihre Fäuste nach und schrie:

»Daß ihr bis auf den letzten Mann zuschanden kommt!«

Sie waren schließlich vorübergefahren und fingen an, sich in der Pappelallee zu verlieren, so daß man zuletzt nur noch das Hundegebell und das Wagengeratter aus den Staubwolken hören konnte.

»Ihr habt da fein ausgeräuchert, der ganze Schwarm ist abgezogen!«

»Weil ihnen unsere Schafpelze zu sehr gestunken haben,« lachte einer; und Gschela, der Bruder des Schulzen, klagte komisch:

»Die sind zu zart für Bauernnachbarschaft, und wenn denen nur einer mal auf den Schädel klopft, dann fallen sie gleich um ...«

»Hat sich denn einer mit denen geprügelt?« fragte der Gutsherr neugierig.

»Was soll man sich da prügeln? Mathias hat einen angestoßen, weil er auf sein ›Gelobt sei Jesus Christus!‹ nichts geantwortet hat, da hat er gleich Blut von sich gelassen; ein Wunder, daß ihm die Seele nicht auf und davon geflogen ist.«

»Ein ganz weiches Volk! Fürs Auge sehen die Kerle wie die Eichen aus, und haust du mit der Faust zu, dann ist es als ob du ein Federbett triffst,« fing Mathias leise zu erzählen an.

»Glück haben sie auch nicht auf der Waldmeierei gehabt, die Kühe sollen alle wegkrepiert sein.«

»Das ist wahr, keine einzige hatten sie bei sich.«

»Davon weiß Kobus was!« ließ sich einer der Jungen vorlaut vernehmen; doch der Klemb schrie ihn scharf an:

»Dumm bist du, wie'n Stiefel! An der Seuche sind sie krepiert, man weiß es doch ...«

Sie duckten sich vor Schadenfreude, aber keiner ließ weiter einen Ton hören; erst der Schmied, der sich näher herangeschlichen hatte, sagte:

»Daß die Deutschen weggezogen sind, das haben wir nur dem gnädigen Herrn zu danken.«

»Weil ich das euch lieber geben will, und wenn es auch halb umsonst sein sollte,« versicherte jener mit Eifer, sich darüber ausbreitend und allerhand erzählend, wie er und sein Ahn und Urahn es immer mit den Bauern gehalten hätten und wie sie stets Hand in Hand mit ihnen gegangen wären ...

Darauf lächelte der alte Sikora seltsam und sagte leise:

»Das hat mir der alte Gnädige so fein mit Peitschen auf den Buckel eingerben lassen, daß ich es noch heute weiß.«

Doch der Gutsherr tat, als ob er es nicht hörte und begann gerade zu erzählen, welche Scherereien er gehabt hätte, ehe er die Deutschen losgeworden wäre; sie hörten natürlich zu, alles bejahend, wie das so der Anstand wollte, und dachten bei sich doch das Ihre über seine Wohltaten für das Bauernvolk.

»Feine Wohltäter,« murmelte Sikora, so daß ihm der Klemb einen Stoß gab, damit er schweigen sollte.

So redeten sie sich gemeinsam was vor, bis plötzlich ein Junge in schwarzem Seminaristenrock mit einem weißen Chorhemd darüber und mit dem Teller in der Hand sich zu ihnen hindurchzudrängen versuchte.

»Sieh mal an, das scheint mir ja gerade so, als ob das dem Organisten sein Jascho wäre,« rief einer aus.

Das war er auch, aber schon mit priesterlichen Kleidern angetan; er sammelte für die Kirche, begrüßte alle und heimste tüchtig ein; sie kannten ihn ja, darum wäre es nicht angenehm gewesen sich zu drücken, und jeder knotete aus seinem Taschentuch etwas Kleingeld heraus; manchmal klirrte selbst ein Silberling gegen die Kupfermünzen; der Gutsherr warf einen Rubel hin, und die Gutsherrinnen ließen das Silber nur so hineinrollen; der Jascho aber, obgleich er schon ganz in Schweiß gebadet und rot vor Müdigkeit war, sammelte freudig und unermüdlich weiter, keinen einzigen Menschen auf dem Kirchhof vorüberlassend und jedem ein gutes Wort sagend. Als er auf Anna stieß, begrüßte er sie so freundlich, daß sie sogar ganze vierzig Heller gab; dann blieb er vor Jaguscha stehen und ließ die Münzen auf seinem Teller klirren; sie erhob ihre Augen und erstarrte schier vor Staunen; er aber schien ganz verwirrt, murmelte etwas und ging hastig weiter.

Sie hatte selbst vergessen, ihm ihre Gabe zu reichen, und sah nur, sah immerzu ihm nach, denn er kam ihr vor wie der Heilige, auf dem Nebenaltar in der Kirche, gerade so jung, so schlank und so fein. Vergeblich rieb sie ihre Augen und bekreuzigte sich eins ums andere Mal; es war als hätte er sie mit seinen leuchtenden Augen ganz verzaubert, sie wußte sich keinen Rat.

»Nur ein Organistensohn, und wie hat er sich fein rausgemacht.«

»Die Mutter bläht sich auch wie ein Truthahn.«

»Schon seit Ostern haben sie ihn in dieser Priesterschule.«

»Der Pfarrer hat ihn sich zur Aushilfe zur Kirchweih hergeholt.«

»Der Alte knausert und zieht den Leuten das Fell über die Ohren, aber für den da ist ihm nichts zu gut.«

»Versteht sich, das ist doch keine geringe Ehre, wenn der Priester wird.«

»Und seinen Profit wird er auch dabei haben.«

So flüsterten sie ringsum, aber Jagna hörte nichts; sie verfolgte ihn mit ihren Augen, wohin er sich auch wandte.

Gerade war auch das Hochamt zu Ende, und der Priester las nur noch die Aufgebote und Seelengebete von der Kanzel herab vor, aber das Volk strömte schon zur Kirche hinaus, und draußen erhoben schon die Bettler ihre klagenden Stimmen und begannen in einem ganzen Chorus ihre Bettellieder zu singen und herzuleiern.

Anna wandte sich ebenfalls dem Ausgang zu, als die Balcerekbäuerin sich auf sie zudrängte, um ihr eine große Neuigkeit mitzuteilen.

»Wißt ihr schon,« schrie sie ganz außer Atem, »eben ist das Aufgebot der Nastuscha mit der Dominikbäuerin ihrem Schymek herausgekommen.«

»Na, na, was wird denn die Dominikbäuerin dazu sagen!«

»Was soll sie sagen? Die wird das bis zum letzten durchkämpfen.«

»Darum kriegt sie doch nicht ihren Willen, der Schymek hat die Jahre und ist in seinem Recht.«

»Das wird 'ne seine kleine Hölle da, paßt nur auf,« meinte Gusche.

»Als ob hier nicht schon sowieso genug Zank und Gotteslästerung ist!« seufzte Anna.

»Habt ihr das vom Schulzen schon gehört?« redete sie die Ploschkabäuerin an, die behäbig auf sie zukam, ihr das rote, feiste Gesicht zuneigend.

»Ich hatte mit dem Begräbnis so viel zu tun, und so viele Sorgen obendrein, daß ich keine Ahnung habe, was im Dorfe passiert ist.«

»Der Serschant hat Meinem erzählt, daß in der Kasse viel Geld fehlen soll; der Schulze läuft schon immerzu bei den Leuten herum und bettelt, daß man ihm das borgen soll, damit der doch wenigstens etwas hineinkriegt, denn jeden Augenblick kann die Untersuchung kommen ...«

»Das hat noch der Vater gesagt, daß es einmal so enden wird.«

»Der hat sich immerzu gebläht und hier groß getan, jetzt wird er für sein Regieren zahlen können!«

»Können sie ihm denn die ganze Wirtschaft wegnehmen?«

»Natürlich, und sollte das nicht reichen, dann muß er den Rest im Kriminal absitzen,« ließ sich Gusche vernehmen; »das Biest hat sich genug gütlich getan, laß ihn jetzt dafür büßen.«

»Es hat mich auch gewundert, daß er sich nicht einmal zum Begräbnis gezeigt hat.«

»Was soll ihn da der Boryna angehen, wenn er mit der Witwe Freundschaft hält.«

Sie schwiegen plötzlich, denn gerade vor ihnen kam Jaguscha, die ihre Mutter führte; die Alte ging gebückt mit noch verbundenen Augen; aber Gusche ließ die Gelegenheit nicht vorbeigehen.

»Wann feiert ihr denn dem Schymek seine Hochzeit? Niemand hätte das gedacht, daß sie heute aufgeboten würden! Natürlich, was kann man dabei tun, wenn dem Jungen die Mädchenarbeiten über werden. Nastuscha kann ja jetzt zur Hand gehen ...« höhnte sie lachend.

Die Dominikbäuerin reckte sich jäh auf und sagte hart:

»Führ' mich schneller, Jaguscha, schneller, sonst wird mich diese Hündin da noch beißen wollen.«

Sie ging hastig davon, als wollte sie vor den Worten flüchten. Die Ploschkabäuerin lachte leise hinter ihr drein.

»Die soll blind sein, aber von euch hat sie genug gesehen ...«

»Blind ja, aber dem Schymek seine Zotteln findet sie gewiß noch von selbst.«

»Gott verhüte, daß sie nicht noch andere zwischen die Finger kriegt ...«

Gusche entgegnete nichts mehr, außerdem herrschte ein solches Gedränge vor dem Kirchhofstor, daß Anna, die hinter den anderen zurückgeblieben war, sie bald verloren hatte; doch es war ihr selbst ganz recht so, denn sie hatte schon alle bösen Sticheleien Gusches satt. Sie fing ruhig an, unter die Bettler Geld zu verteilen, sie vergaß keinen und gab jedem zwei Heller; dem Blinden aber mit dem Hund steckte sie einen ganzen Zehner zu und sagte:

»Kommt zu uns zu Mittag, Väterchen! Zu den Borynas!«

Der Bettler hob den Kopf und starrte sie mit seinen blinden Augen an.

»Dem Antek Seine, scheint mir! Gott bezahl's! Ich komm' schon, natürlich komm ich.«

Hinter dem Tor war es schon etwas freier, aber auch dort saßen die Bettler in zwei Reihen, eine lange Straße bildend und auf verschiedene Weise sich laut bemerkbar machend, und ganz am Ende kniete irgendein Junger mit einem grünen Augenschirm, spielte auf der Geige auf und sang dabei verschiedene Lieder von den Königen und von alten Zeiten, so daß die Menschen ihn im ganzen Haufen umgaben und das Geld reichlich in seine Mütze floß.

Anna blieb in der Nähe des Kirchhofes stehen, um sich nach Fine umzusehen und wurde ganz unerwartet ihren Vater gewahr.

Er saß in einer Reihe mit den Bettlern, streckte seine Hand den Vorübergehenden entgegen und jammerte um Almosen.

Es war ihr, als hätte sie jemand mit einem Messer gestochen; doch dann schien es ihr, als müßte sie sich getauscht haben, sie rieb sich ihre Augen, aber es blieb immer dasselbe, er war es doch, ganz zweifellos! ...

»Der Vater unter den Bettlern! Jesus!« Ein Wunder, daß sie nicht vor Scham gestorben war.

Sie schob ihr Kopftuch tiefer in die Stirn und schlich sich von hinten durch die Wagenreihe heran, in deren unmittelbarer Nähe er saß.

»Was tut ihr hier bloß aufstellen, was?« stöhnte sie auf, sich hinter ihn niederhockend, um sich vor den Blicken der Menschen zu verbergen.

»Hanusch ... ich, ... daß ich ... weil ich dachte ...«

»Ihr kommt mit gleich nach Haus! So eine Schande! Jesus! Kommt bloß! ...«

»Ich gehe nicht ... ich habe mir das schon lange so ausgedacht ... Was soll ich euch zur Last fallen, wenn gute Menschen mich unterstützen wollen? ... Ich ziehe mit den anderen in die Welt ... werde heilige Stätten sehen ... was Neues werd' ich da erfahren ... Ich bring euch auch noch tüchtig viel Geld mit ... Da hast du einen Silberling, kauf' was Feines für Pjetrusch ... kauf mal ...«

Sie griff ihn fest am Kragen und mußte ihn fast mit Gewalt zwischen die Wagen schleppen.

»Gleich nach Haus! Daß ihr keine Scham im Leibe habt!«

»Du läßt mich gleich los, Hanusch! Hanusch, sonst werd' ich böse!«

»Werft die Säcke ab, macht schnell, daß es niemand sieht.«

»Ich tu' das, was mir gefällt, versteht sich ... soll ich mich da schämen ... Wem der Hunger Gevatter ist, dem ist der Bettelsack Mutter ...« Er riß sich plötzlich los und rannte davon zwischen die Wagen und Pferde, und mehr hatte sie nicht von ihm gesehen.

Es war keine Möglichkeit ihn zu suchen und in diesem Gedränge, das jetzt auf dem Platz vor der Kirche entstand, zu finden.

Die Sonne brannte drauflos, daß einem die Haut abschelperte, und der Staub beklemmte den Atem; das Volk aber, obgleich es schon ermüdet und bis aufs Hemd durchschwitzt war, schob und drängte sich in freudiger Erregung und wogte hin und her wie brodelndes Wasser.

Der Leierkasten spielte drauflos, daß es im ganzen Dorf zu hören war; die Bettler plärrten auf ihre Art, Kinder pfiffen auf tönernen Hähnen, Hunde bellten, Pferde bissen sich und quiekten auf, und die Fliegen waren heute mehr wie je lästig. Und jeder redete, rief seinen Bekannten irgend etwas zu, suchte sich seine Gesellschaft und drängte nach den Krambuden hin, um die herum es wie in einem Bienenhaus summte und vor denen lautes Mädchengekreisch zu hören war.

Die Krambuden mit heiligen Sachen schwankten schon unter dem Andrang der Frauen. Ein nicht geringeres Gedränge herrschte dort, wo man die Würste verkaufte, die wie dicke Taue an Stangen aufgehangen waren. Hier und da handelte man auch mit Brot und Brezelchen. Irgendein Jude bot Karamellen feil, und anderswo prangten sogar unter dem Schutze der Leinwandbedachungen bunte Bänder und peitschenlange Perlenschnüre. Es herrschte überall ein solches Gedränge, ein solches Geschrei und solcher Lärm, daß es rein wie in einem jüdischen Bethaus war.

Eine ordentliche Zeit ging vorüber, bis sich das Volk allmählich zu beruhigen begann und stiller wurde; die einen zogen nach der Schenke, die anderen machten sich bereit, um nach Hause zu fahren; und die, die von der Hitze und Müdigkeit angegriffen waren, legten sich im Schatten der Wagen, am Weiher und in den Gärten und Höfen zurecht, um etwas zu sich zu nehmen und auszuruhen.

Die glühende Mittagshitze setzte so zu, daß schon keine Luft zum Atmen mehr da war, und bald hatte überhaupt keiner mehr Lust, sich zu bewegen oder ein Wort zu sagen, sie glichen schon ganz den Bäumen, die halb verdurstet im Sonnenbrand dastanden; nur noch die Kinder hörte man hin und wieder herumschreien, und von Zeit zu Zeit stampfte irgendeins der vor den Wagen gespannten Pferde unruhig auf.

Im Pfarrhaus aber gab der Propst ein Mittagessen für die anwesenden Priester und die Gutsherrschaft; durch die offenen Fenster, durch die man die Köpfe der Speisenden sah, drang Stimmengewirr und Gläserklirren, erklang ein solches Lachen und kamen so schmackhafte Düfte geflossen, daß manch einem der Speichel im Munde zusammenlief.

Ambrosius, festlich gekleidet, mit Medaillen auf der Brust, machte sich in einem fort im Hausflur zu schaffen und tauchte immer wieder auf der Veranda auf.

»Werdet ihr hier weggehen, ihr Aaszeug! sonst kriegt ihr den Stock zu schmecken, daß ihr daran denken sollt!« schrie er.

Da er sich aber nicht mehr gegen die Jungen zu helfen wußte, die wie die Spatzen die Stakete dicht besetzt hatten und von denen die Kühneren selbst schon bis an die Fenster vorgedrungen waren, schimpfte er nur mehr auf sie ein und drohte ihnen gelegentlich mit des Pfarrers Pfeifenstock.

In dem Augenblick kam Anna vorüber und blieb an der Pforte stehen.

»Sucht ihr denn jemanden?« fragte er, ihr entgegenstelzend.

»Habt ihr nicht irgendwo meinen Vater gesehen?«

»Bylica! Diese Hitze, je je, der hat sich gewiß irgendwo im Schatten schlafen gelegt... Te! Du Lümmel!« schrie er abermals los und machte sich hinter den Jungen drein.

Anna aber wandte sich sehr besorgt geradewegs nach Hause und erzählte alles ihrer Schwester, die zu Mittag gekommen war. Doch die Veronka zuckte nur die Achseln.

»Die Krone fällt ihm nicht vom Kopf, daß er sich zu den Bettlern geschlagen hat, und daß es uns leichter sein wird, das ist gewiß. Da haben noch ganz andere ihr Leben als Bettler vor der Kirchtür beschließen müssen.«

»Jesus, solch eine Schande, der eigene Vater auf dem Bettel! Was wird bloß der Antek dazu sagen? Da werden uns die Leute auf die Zungen nehmen und sagen, daß wir den Vater auf den Bettel geschickt haben.«

»Laß sie bellen, was ihnen gefällt. Auf einen anderen zu schnauzen, das kann jeder, aber zum Helfen ist niemand zur Hand.«

»Das will ich dir sagen: ich laß es nicht zu, daß der Vater den Bettler spielt.«

»Dann hol' dir ihn ins Haus und füttre ihn, wenn du so eine Feine sein willst.«

»Das will ich tun! Tut dir schon der Löffel Essen leid, den du ihm geben mußt? Jawohl, das merk' ich schon jetzt, daß du ihn selbst dazu genötigt hast.«

»Hab' ich vielleicht Überfluß, wie? Soll ich etwa den Kindern das Essen vom Munde wegreißen und ihm geben?«

»Ihm kommt ein Altenteil von dir zu, weißt du das nicht mehr?«

»Wenn ich nichts habe, dann kann ich es mir auch nicht aus den Eingeweiden herauszerren.«

»Und wenn du es selbst müßtest, so ist das nur deine Pflicht, denn der Vater geht vor. Oft hat er sich schon bei mir beklagt, daß du ihn hungern läßt und sogar mehr auf die Schweine acht gibst, als auf ihn.«

»Wahrheit, ja, ja ... natürlich laß ich ihn hungern, und selbst genieß' ich wie die Gutsherrin. Schön hab' ich mich da herausgefüttert, daß mir schon der Rock von den Hüften rutscht und daß ich kaum noch meine Klumpen vorwärtsschleppen kann. Wir leben doch nur auf Borg.«

»Red' kein dummes Zeug, man könnte sonst denken, daß es wahr ist.«

»Das ist auch wahr, denn wenn Jankel nicht da wär', dann hätten wir nicht mal Kartoffeln mit Salz. Das ist schon so: der Satte glaubt dem Hungrigen nicht!« redete sie, schon immer kläglicher und fast weinend. Indessen hatte sich auf den Heckenweg, geführt von seinem Hund, der blinde Bettler herangetrollt.

»Setzt euch hier vor dem Haus nieder,« wandte sich Anna an ihn; sie bereitete gerade das Mittagessen vor.

Er setzte sich auf die Mauerbank, legte die Krücken beiseite, ließ den Hund frei und schnüffelte mit seiner großen Nase in der Luft herum, bestrebt, herauszubekommen, ob sie schon äßen und wo sie sitzen könnten.

»Man setzte sich gerade unter den Bäumen zur Mittagsmahlzeit nieder. Anna tat das Essen in die Schüsseln, so daß die schmackhaften Düfte sich ringsum verbreiteten.

»Grütze mit Speck, 'ne gute Sache. Daß es euch wohl bekommt,« murmelte der Bettler, die Düfte mit der Nase einziehend, und leckte sich gierig den Bart.

Sie aßen bedächtig, auf jeden Löffel Essen einblasend; Waupa strich mit leisem Winseln um sie herum, und der Bettlerhund saß mit heraushängender Zunge an der Wand und jappte laut. Es war eine furchtbare Hitze, selbst der Schatten schützte nicht davor; und in der schwülen, einschläfernden Stille hörte man nur die Löffel schaben und hin und wieder eine Schwalbe unter der Dachtraufe leise zwitschern.

»Wenn man so ein Schüsselchen saure Milch zur Abkühlung hätte!« seufzte der Bettler.

»Gleich kriegt ihr sie!« beruhigte ihn Fine.

»Habt ihr heute viel schreien müssen?« fragte Pjetrek, träge seinen Löffel zum Mund führend.

»Gott sei den Sündigen gnädig, möge er ihnen das Unrecht nicht nachtragen, das sie den Bettlern antun. Und ob ich hab' schreien müssen! Wer den Bettler gewahr wird, der guckt gleich fleißig in den Himmel oder biegt schon ein paar Klafter weit vorher ab. Und ein anderer, der das bißchen Geld herausholt, möchte gleich auch noch wieder etwas zurückhaben für seinen Zehner! Rein Hungers sterben muß man dabei.«

»Für alle ist heuer die Vorerntezeit schlecht,« murmelte Veronka.

»Das ist schon wahr, aber für den Schnaps fehlt es keinem an Geld.«

Fine steckte ihm eine große Schüssel Dickmilch zu, die er eifrig auszulöffeln begann.

»Sie sagten heute auf dem Kirchhof,« ließ er sich abermals vernehmen, »daß Lipce sich heute mit dem Gutsherrn einigen soll. Ist denn das wahr?«

»Kriegen sie das, was ihnen zukommt, dann werden sie sich schon einigen,« sagte Anna.

»Und die Deutschen, die haben sich schon davongemacht, wißt ihr das?« warf Witek ein.

»Daß sie die Pest ankommt!« fluchte er los, seine Faust ballend.

»Haben sie euch denn unrecht getan?«

»Ich bin da gestern abend vorbeigekommen, da haben sie mich mit den Hunden vom Hof gehetzt. Diese Ketzerbande, so'n Hundepack! Eure Leute aus Lipce sollen ihnen da so zugesetzt haben, daß sie sich haben auf und davon machen müssen! Solchen würd' ich die Haut bei lebendigem Leib schinden,« redete er, mächtig zulangend, vor sich hin; und als er fertig war, fütterte er seinen Hund und schickte sich an, von der Mauerbank aufzustehen.

»Für euch ist heute Erntezeit, da habt ihr es eilig, an die Arbeit zu gehen,« lachte Pjetrek.

»Das hab' ich; früher waren von unsereinem höchstens sechs auf einer Kirchweih, und heute schreien da an die drei Mandel los, daß einem die Ohren dick werden.«

»Und kommt ja heute zum Übernachten wieder,« lud ihn Fine ein.

»Daß dich der Herr Jesus bei guter Gesundheit erhält, weil du an mich arme Waise gedacht hast.«

»Arme Waise, und den Wanst, den kann er kaum schon schleppen,« neckte ihn Pjetrek und sah zu, wie er sich wie eine dicke Kugel durch den Weg schob und mit dem Stecken zurechtzutasten suchte.

Das Haus wurde bald leer. Die sich im Schatten zurechtgelegt hatten, schnarchten nur so, und der Rest hatte sich nach den Krambuden aufgemacht.

Man hatte zur Vesper geläutet. Die Sonne senkte sich schon mächtig nach Westen, die Hitze hatte etwas nachgelassen, und obgleich sich noch viele vor den Häusern ausruhten, fingen die Menschen an, auf dem Kirchplatz zwischen den Buden und Zelten zusammenzuströmen.

Fine machte sich eiligst mit einigen Mädchen auf, um Heiligenbilder zu kaufen, hauptsächlich aber, um sich an den Bändern, Perlenschnüren und anderen Kirchweihwundern satt zu sehen.

Der Leierkasten spielte wieder, die Bettler stimmten ihre Gesänge an und klapperten mit ihren Näpfen; und allmählich entstand ein arger Lärm von Stimmen, der sich über das ganze Dorf hinzog; es war ein Leben wie in einem Bienenstock vor dem Ausschwärmen.

Jeder war satt und ausgeruht, darum auch gern bereit, Gesellschaft zu suchen und sich gemeinsam zu vergnügen; der eine besprach sich mit seinen Freunden, der andere sperrte seine Augen weit auf, dieser drängte sich dorthin, wo das größte Gedränge war, jener zog mit seinen Gevattern auf ein Gläschen zur Schenke, und etliche gingen in die Küche hinein oder blieben irgendwo im Schatten sitzen, über allerhand Verschiedenes räsonierend, und alle erfüllte zugleich dasselbe frohe Gefühl der Kirchweihstimmung. Das war auch kein Wunder, jeder hatte sich satt geseufzt und gebetet, genug von all der goldenen Pracht, den Lichtern, Bildern und anderen Heiligkeiten zu sehen bekommen; genug geweint, Orgelmusik und Gesänge gehört, die Seele in dieser Feststimmung gebadet, gereinigt und gekräftigt, allerhand Menschen gesehen, Eindrücke gesammelt und hatte sich, wenn auch nur auf diesen einen Tag, aller Sorgen entledigt! So war es denn nicht mehr als recht, daß sich alle gemeinsam vergnügten, ob es die ersten Hofbauern oder die ärmsten Kätner und das einfache Bettelvolk war. Sie bildeten um die Krambuden ein solches lautes, hin und her wogendes Gedränge und rotteten sich dermaßen zusammen, daß es kaum möglich war, sich durch dieses Menschengewirr einen Weg zu bahnen. Natürlich redeten die Weiber am lautesten, sich eine um die andere nach den Verkaufstischen hindurchzwängend, um all diese Herrlichkeiten zu betasten oder sich an ihnen mindestens satt zu sehen.

Schymek hatte gerade der Nastuscha eine Bernsteinkette, bunte Bänder und ein rotes Tuch gekauft, sie hatte sich gleich damit aufgeputzt, und so gingen sie denn von Krambube zu Krambude, sich umschlungen haltend, vergnügt und wie trunken vor Freude umher.

Hinterdrein schlenderte Fine, die um dieses und jenes, das auf den Verkaufstischen herumlag, handelte und immer wieder wehmütig aufseufzend ihren mageren Silberling in der Hand hin und her drehte.

Jaguscha trieb sich auch irgendwo unweit von ihnen zwischen den Zelten herum, tat aber, als hätte sie den Bruder nicht bemerkt. Sie war allein und ging seltsam traurig und niedergedrückt vor sich hin. Es freuten sie heute weder die wehenden Bänder noch das Spiel des Leierkastens, weder das Gedränge noch der festliche Jubel. Sie ging mit den anderen wie von dem Gedränge vorwärts getragen, blieb stehen, wo auch die anderen stehenblieben, ließ sich dahin schieben, wo man sie hinschob, ohne überhaupt zu wissen, wozu sie gekommen war und wohin sie wollte.

Plötzlich schob sich Mathias an sie heran und sagte demütig: »Jag' mich doch nicht von dir, Jagusch.«

»Hale, hab' ich dich denn irgendwann von mir gejagt?«

»Und ob du es hast! Hast du mich denn vielleicht nicht angefahren?«

»Du hast dich doch schlecht aufgeführt, da mußte ich es ja. Wer hat mich denn ...« sie wurde plötzlich still.

Jascho drängte sich langsam durch die Menge und kam geradeswegs auf sie zu.

»Er ist auch zur Kirchweih hier!« murmelte Mathias, auf den Jungen weisend, der in seinem Priesterrock daherkam und sich lachend wehrte, daß man ihm nicht die Hände küßte.

»Wie ein Herrensohn! Hat der sich herausgemacht! Ich weiß noch gut, wie er vor kurzem hinter den Kuhschwänzen hergerannt ist.«

»Das versteht sich, solch einer wird doch nicht die Kühe hüten,« meinte sie, unangenehm berührt.

»Ich hab' es gesagt. Ich weiß doch noch, wie ihn der Organist mal verhauen hat, weil er die Kühe in Pristscheks Hafer hat weiden lassen und selbst unter einem Baum lag und schlief...«

Jaguscha ging davon und versuchte schüchtern, zu Jascho zu gelangen. Er lachte sie an; da man ihn aber eifrig von allen Seiten bestaunte, wandte er seine Augen von ihr ab; und nachdem er eine Anzahl Heiligenbilder gekauft hatte, fing er an, sie unter die Mädchen und unter alle, die eins haben wollten, zu verteilen.

Sie blieb wie erstarrt vor ihm stehen und war mit ihren glühenden Blicken ganz in sein Anschauen versunken, und die roten Lippen lächelten ein stilles, strahlendes Lächeln, das süß wie Honig war.

»Hier hast du deine Schutzpatronin, Jaguscha,« sagte er plötzlich, ihr ein Bildchen zusteckend; ihre Hände begegneten sich und fuhren hastig auseinander, als hätten sie sich verbrannt.

Sie erschauerte und traute sich nicht, ihren Mund aufzutun. Er sprach noch irgend etwas, aber sie war so in seinen Anblick versunken, daß sie fast gar nichts verstanden hatte.

Die Menge hatte sie gleich wieder getrennt; sie steckte das Bildchen hinter das Mieder und starrte lange auf die Menschen um sich herum. Er war nirgends mehr zu sehen und mußte wohl schon zur Kirche gegangen sein, denn man hatte schon zur Vesper geläutet, und doch stand er ihr in einem fort vor den Augen.

»Der sieht grad' so wie ein Heiliger aus!« murmelte sie unwillkürlich.

»Das ist auch kein Wunder, daß die Mädchen hinter ihm her sind und fast ihre Augen verlieren könnten. Diese Dummen, die Wurst ist nicht für den Hund!«

Sie sah sich rasch um; das war Mathias, der gesprochen hatte.

Sie brummte irgend etwas, um ihn los zu werden; er aber folgte ihr trotzdem nach, überlegte lange etwas und sagte schließlich:

»Jaguscha, was hat denn die Mutter zu Schymeks Aufgebot gesagt?«

»Was hat sie sagen sollen, wenn er heiraten will, dann laß ihn, das ist seine Sache.«

Er verzog das Gesicht und fragte unruhig:

»Wird sie ihm denn seinen Anteil abschreiben, was?«

»Weiß ich es denn! Sie hat sich mir nicht anvertraut. Laß ihn selber fragen.«

Schymek und Nastuscha, die gerade des Wegs kamen, traten hinzu, und plötzlich fand sich auch Jendschych ein; sie blieben alle miteinander stehen, und Schymek meinte:

»Jaguscha, du wirst doch nicht zur Mutter halten, wenn mir Unrecht geschieht?«

»Natürlich, daß ich zu dir halte. Hast du dich aber verändert in dieser Zeit, na, na!... Ein ganz anderer bist du geworden!« wunderte sie sich; denn er stand vor ihr, aufgeputzt, sauber ausrasiert und fein gerade gereckt, den Hut hatte er aufs Ohr gerückt und einen milchweißen Kapottrock an.

»Das kommt, weil ich aus Mutters Stall heraus bin.«

»Geht es dir denn jetzt besser in der Freiheit?« Sie lächelte über seinen Trotz.

»Laß den Vogel aus der Hand fliegen, dann wirst du es schon sehen! Das Aufgebot hast du wohl gehört?«

»Wann ist denn die Hochzeit?«

Nastuscha schob sich zärtlich an ihn heran und umfaßte ihn.

»In drei Wochen doch, noch vor der Ernte soll sie sein!« murmelte sie, ganz rot geworden.

»Und wenn es sogar in der Schenke wäre, dann tue ich's doch, und die Mutter werd' ich nicht darum bitten.«

»Hast du denn was, wo du deine Frau unterbringen kannst?«

»Das hab' ich! Versteht sich! Ich geh' nicht bei fremden Leuten einmieten. Laß sie mir nur erst meinen Grund und Boden abschreiben, dann werd' ich schon Rat wissen!« prahlte er wütig drauflos.

»Ich helf ihm, Jagusch, in allem will ich ihm helfen,« bekräftigte Jendschych.

»Wir geben doch auch nicht die Nastuscha ganz nackt aus dem Haus. Tausend Silberlinge kriegt sie in bar,« ließ sich Mathias vernehmen.

Der Schmied, der schon länger um sie herumgestrichen war, zog Mathias beiseite, flüsterte ihm etwas ins Ohr und ging gleich weiter.

Sie redeten noch allerhand miteinander, besonders Schymek breitete sich aus, wie das werden sollte, wenn er Hofbesitzer würde, wie er da noch neues Land zukaufen würde, wie er sich in seinen Grund und Boden verbeißen wollte; und er sagte ihnen, daß sie bald sehen sollten, was für einer er war. Nastuscha sah ihn bewundernd an, Jendschych pflichtete ihm bei; und nur Jaguscha, die kaum mit einem Ohr zugehört hatte, ließ gleichgültig die Augen durch die Welt wandern. Es war ihr schon alles eins.

»Komm zur Schenke, Jagusch, es wird da heute Tanzmusik sein,« bat Mathias.

»Auch die Schenke macht mir keinen Spaß,« entgegnete sie traurig.

Er blickte ihr mitten in ihre umflorten Augen, schob die Mütze ins Gesicht und ging eilig davon, sich mit den Ellenbogen Platz machend. Vor dem Pfarrhof stieß er auf Therese.

»Wohin willst du denn so schnell?« fragte sie ängstlich.

»In die Schenke! Der Schmied ruft die Leute zur Beratung zusammen.«

»Ich würde gern mit dir gehen.«

»Ich jag' dich nicht weg, an Platz wird auch kein Mangel sein; überleg' es dir nur, daß dich die Leute nicht ins Gerede nehmen, daß du so immerzu auf mich paßt.«

»Sie zerren mich auch so schon genug herum, wie die Hunde ein Schaf, das verreckt ist.«

»Warum läßt du dich unterkriegen?« Er war schon böse und ganz ungeduldig.

»Warum? Weißt du denn nicht, warum?« klagte sie leise.

Er riß sich von ihr los und ging voraus, so daß sie ihm kaum nachkommen konnte.

»Da heult sie wieder wie ein Kalb!« fügte er hinzu, sich plötzlich umdrehend.

»Nee, nee ... nur ein Sandkorn ist mir ins Auge geflogen.«

»Wenn ich Geflenne sehe, dann ist es mir gerad, als ob mir einer ein Messer im Leib umdreht!«

Er ging wieder neben ihr und sagte eigentümlich herzlich:

»Hier hast du ein paar Groschen, da kauf dir selber, was du magst und komm' dann in die Schenke, da tanzen wir mal einen.«

Sie blickte ihn mit Augen an, die gar nicht wußten, wie sie ihm danken sollten.

»Was soll ich da mit dem Geld, du bist so gut zu mir ... so ...« flüsterte sie ganz erglüht.

»Komm' aber erst abends, denn vorher werd' ich keine Zeit haben.«

Er sah sich noch von der Schwelle nach ihr um und lächelte, dann trat er in den Flur.

In der Schenke war schon eine Enge und eine Hitze, die nicht zum Aushalten war. In der Schankstube hatte sich allerhand Volk zusammengedrängt, man trank und redete miteinander; im Alkoven aber versammelten sich die jüngeren Männer aus Lipce mit dem Schmied und Gschela, dem Bruder des Schulzen, an der Spitze. Es waren auch einzelne Hofbauern dabei: Ploschka, der Schultheiß, Klemb und Adam Boryna, ein Vetter der Borynas, und selbst Kobus hatte sich an sie herangedrängt, obgleich ihn niemand eingeladen hatte.

Gerade als Mathias eintrat, redete Gschela eifrig und schrieb darauf etwas mit der Kreide auf den Tisch.

Es handelte sich um eine Einigung mit dem Gutsherrn, der versprochen hatte, den Bauern für jeden Morgen Wald vier Morgen von den Feldern der Waldmeierei zu geben und eine gleiche Anzahl einem jeden auf Abzahlung zu überlassen; er wollte ihnen selbst Holz zum Bauen der neuen Häuser auf Borg geben.

Gschela erklärte alles genau und zeichnete mit der Kreide auf, wie sie den Boden teilen sollten und berechnete, was auf jeden käme.

»Überlegt euch gut, was ich sage!« rief er, »das Geschäft ist das reine Gold.«

»Es ist leicht was zu versprechen, und der Dumme geht und freut sich!« brummte Ploschka.

»Das ist die reine Wahrheit und nicht nur Versprechungen. Beim Notar wird er euch alles abschreiben. Laßt euch das gut durch den Kopf gehen! So viel Land für unsereinen. Da fällt doch für jeden in Lipce eine neue Wirtschaft ab. Überlegt euch das ...«

Der Schmied wiederholte nochmals, was ihm der Gutsherr zu sagen befohlen hatte.

Sie hörten ihn aufmerksam an, niemand aber ließ ein Wort fallen; sie starrten nur auf die weißen Striche auf dem Tisch und überlegten nachdenklich.

»Das ist wahr, die Sache ist was wert, aber wird denn der Kommissar das erlauben?« ließ sich als erster der Schultheiß vernehmen und kraute sich bedenklich die langen Zotteln.

»Das muß er! Wenn die Gemeinde etwas beschließt, dann wird sie nicht die Ämter um Erlaubnis bitten! Wenn wir wollen, dann muß er!« fuhr Gschela auf.

»Muß oder nicht muß, schrei du erst mal nicht. Sieh mal einer hinaus, ob der Serschant nicht irgendwo an der Wand herumschnüffelt?«

»Soeben hab' ich ihn noch an der Tonbank gesehen!« sagte Mathias.

»Und wann will der Gutsherr uns das abschreiben?« fragte einer.

»Er sagte, er würde selbst morgen schon. Wenn wir uns nur einigen, will er es gleich abschreiben, und dann kann der Ometer abmessen, was einem jeden zukommt.«

»Da könnte man sich dann ja gleich nach der Ernte an das Land heranmachen.«

»Und es für die Herbstsaat zurecht machen, wie es sich gehört.«

»Mein Jesus, das wird fein was zu arbeiten geben.«

Sie redeten laut und froh durcheinander. Die Freude hatte schon alle ergriffen, sie reckten sich eigenwillig auf, ihre Augen blitzten und ihre Hände griffen schon wie von selber nach diesem ersehnten Stück Erde.

Manch einer sang schon vor sich hin vor Freude und rief nach dem Juden um Schnaps; ein anderer schrie schon allerhand Unausführbares über die Teilung, und jeder träumte von seiner neuen Wirtschaft, vom Reichtum und von allerhand Freuden. Sie schwatzten aufgeregt herum, lachten einander zu, schlugen mit den Fäusten auf die Tische und trampelten hitzig dazu.

»Das wird erst in Lipce ein Fest geben!«

»Hei, was wird man sich da amüsieren und ordentlich einen tanzen!«

»Und wie viele Hochzeiten man da zu Fastnacht wohl feiern wird!«

»Die Mädchen werden bald alle sein!«

»Dann holen wir uns die städtischen heran; können wir uns das dann nicht leisten?«

»Hundsverdammt, nur mit Hengsten will ich dann herumkutschieren!«

»Ruhig da,« schrie der alte Ploschka mit der Faust auftrumpfend, »was die da schreien, gerad wie die Juden am Schabbes! Ich wollte bloß sagen, ob da nicht doch in diesem Versprechen des Gutsherrn irgendeine Falle steckt. Versteht ihr?«

Sie verstummten, als hätte sie einer plötzlich mit kaltem Wasser begossen; und erst nach einer Weile ließ sich der Schultheiß vernehmen:

»Mir will es auch gar nicht in den Kopf, warum er mit einem Mal so freigebig ist?«

»Versteht sich, dahinter muß schon was stecken; man gibt doch nicht so viel Erde fast umsonst weg,« gab einer der Älteren seine Meinung bei.

Darauf aber sprang Gschela auf und schrie:

»Dann will ich euch sagen, daß ihr Schafsköpfe seid, und damit genug!«

Und wieder fing er an, alles zu erklären und die Sache hitzig zu verfechten, daß er zuletzt ganz vor Schweiß triefte; auch der Schmied ließ seine Zunge mächtig laufen und nahm jeden einzeln vor; aber der alte Ploschka ließ sich nicht umkrempeln, er schüttelte nur den Kopf und lächelte bissig, so daß Gschela, der sich schon nicht mehr halten konnte, mit den Fäusten auf ihn zukam.

»Sprecht aus, was ihr meint, das getan werden soll, wenn unsere Sache euch Schwindel dünkt.«

»Das tu' ich! Ich kenn' sie gut, diese hundsverdammte Sippe, das sag' ich euch: glaubt dem Gutsherrn nicht ein Wort, solange er es nicht schwarz auf weiß gibt. Immer haben sie sich an unserer Benachteiligung gemästet, so will er sich jetzt auch an unserer Dummheit sattfressen!«

»So denkt ihr, dann braucht ihr euch nicht zu einigen, aber stört die anderen wenigstens nicht!« schrie Klemb auf ihn ein.

»Du bist mit ihnen in den Wald gezogen, da hältst du jetzt auch zu ihnen!«

»Gewesen bin ich, und wenn es nötig ist, dann geh' ich nochmals, und ich halte nicht zu ihnen, sondern zur Gerechtigkeit und zum ganzen Dorf. Nur ein Dummer will nicht einsehen, daß dabei was Gutes für Lipce herauskommt. Nur der Dumme nimmt nicht, wenn man es ihm gibt.«

»Ihr seid alle miteinander dumm, darum habt ihr es so eilig, für einen Hosengurt ein ganzes Hosenpaar einzutauschen. Dummes Volk! Wenn der Gutsherr so viel gibt, dann kann er auch noch mehr geben.«

Sie fingen immer hitziger an, gegeneinander anzugehen; und da auch die anderen dem Klemb beistanden, so entstand ein solcher Lärm, daß sogar Jankel hereingelaufen kam und vor ihnen eine große Flasche Schnaps hinstellte.

»Scht-scht! Die Herren Hofbauern! Laßt Frieden sein! Auf daß die Waldmeierei ein neues Lipce wird! Und daß jeder ein Herr Hofbauer wird!« rief er, das Glas in die Runde reichend.

Natürlich fingen sie gleich an zu trinken und noch eifriger sich zu besprechen, denn alle außer dem alten Ploschka neigten schon zur Einigung.

Der Schmied mußte dabei irgendeinen dicken Profit haben, denn er redete am lautesten von allen, breitete sich über die Güte der Gutsherren aus und spendierte der ganzen Gesellschaft mal Schnaps, mal Bier und selbst Arrak mit Essenz.

Sie waren schon so ins Feiern gekommen, daß manch einem die Augen aus dem Kopf hervortraten und die Zunge schwer wurde; der Kobus aber, der die ganze Zeit nicht einen Hauch vom Munde gelassen hatte, faßte auf einmal die Leute an den Rockklappen und rief plötzlich:

»Und die Kätner, was soll mit denen werden? Die sollen wohl zugucken? Auch uns kommt Land zu! Wir lassen keine Einigung zu! Es muß nach Gerechtigkeit gehen! Der eine kann schon kaum seinen dicken Wanst tragen, und der andere soll Hungers sterben; wie ist es damit? Das Land muß unter alle gleichmäßig verteilt werden! So 'ne Aasbande, wollen hier die Gutsherrn spielen! Manch einer von ihnen hat nichts als Löcher in den Hosen und trägt die Nase hoch, als wollte er in einem fort niesen! Diese pestigen Weichselzotteln!« Und er redete gegen alle so unziemliche Dinge, daß man ihn zur Tür hinauswerfen mußte; aber er fluchte selbst noch draußen vor der Schenke.

Man fing bald darauf an, auseinanderzugehen; nur die, die sich gern amüsieren mochten, blieben zurück, denn die Musikanten fingen schon an, hin und wieder auf ihren Instrumenten zu klimpern.

Es wurde auch schon gerade Abend, die Sonne sank hinter die Wälder, und der ganze Himmel war wie in einer Glut, selbst die Ähren der Getreidefelder und die Wipfel der Obstgärten badeten in rotgoldener Glut. Ein feuchter, weicher Wind kam auf, die Frösche begannen zu quarren, Wachteln lockten sich, und die Stimmen der Grillen breiteten sich über die Felder aus, wie ununterbrochenes Rascheln reifer Ähren; man fuhr schon von der Kirchweih nach Hause, und hier und da sang schon einer, der sich tüchtig traktiert hatte, ganz laut.

Es wurde still in Lipce, der Platz vor der Kirche leerte sich; aber vor den Häusern saßen noch viele Menschen, kühlten sich und genossen die Abendruhe.

Eine stille Dämmerung war über die Welt gekommen; es dunkelten die Felder, und die Fernen waren schon ganz mit dem Himmel verflossen. Alles wurde still, der Schlaf begann allmählich die Erde zu umfangen und umhüllte sie mit warmem Tau, aus den Gärten aber quollen hin und wieder Vogelstimmen, wie ein abendliches Gebet.

Die Herden kehrten von den Weideplätzen heim, immer wieder stieg ein langgedehntes, sehnsüchtiges Brüllen auf, und endlich sah man die gehörnten Köpfe am erglühten Weiher auftauchen. Irgendwo an der Mühle trieb unter Geschrei die badende Dorfjugend allerhand Schabernack, und von den Gehöften erklangen die Lieder der Mädchen, Gänsegeschnatter und Schafgeblök.

Nur im Borynahof war es still und leer. Anna war mit den Kindern zu irgendeiner Gevatterin gegangen, Pjetrek hatte sich auch irgendwo hingetan, und Jaguscha war seit der Vesper nicht wieder zum Vorschein gekommen; so machte sich denn Fine ganz allein mit den Abendarbeiten zu schaffen.

Der blinde Bettler saß auf der Galerie, streckte sein Gesicht dem kühlen Wind entgegen, murmelte ein Gebet vor sich hin und achtete genau auf Witeks Storch, der sich um ihn herum zu schaffen machte und heimlich lauerte, um mit dem Schnabel nach seinen Füßen zu zielen.

»Sieh mal an ... daß du sauer wirst, du Räuber! Da hat er mich aber gehackt,« murmelte er, seine Füße unter sich steckend, und scheuchte ihn mit dem Rosenkranz. Der Storch wich ein paar Schritte zurück und begann wieder, geschickt sich von der Seite mit vorgestrecktem Schnabel an ihn heranzuschleichen.

»Ich hör' dich gut! Du wirst mich nicht mehr kriegen. So ein geschicktes Biest!« murmelte er; da aber vom Hof her Geigenspiel erklang, hatte er sich mit Wohlgefallen ganz in die Musik vertieft und scheuchte nur ab und zu mit dem Rosenkranz den Storch von sich.

»Fine, wer geigt denn da so eifrig?«

»Der Witek doch! Der hat es vom Pjetrek gelernt und fiedelt jetzt immerzu, daß es einem in den Ohren brummt. Witek, hör' auf und lege dem Füllen Klee in die Raufe!« schrie sie.

Der Bettler aber hatte sich irgend etwas überlegt, und als Witek ins Haus gerannt kam, redete er ihn ganz freundlich an.

»Nimm hier den Zehner, weil du so schön den Ton herausgekriegt hast.«

Der Junge war sehr erfreut.

»Und könntest du denn auch fromme Lieder spielen? Was?«

»Ich spiel' euch alles her, was ich nur höre.«

»Jede Raupe lobt ihren Schwanz. Und diese Melodie, kannst du die denn auch spielen, wie?« Er jaulte auf seine Art los.

Aber Witek hörte nicht einmal mehr darauf, er holte die Geige, setzte sich neben ihn nieder und spielte gerade dasselbe; und dann fiedelte er noch andere Lieder herunter, alles was er so in der Kirche gehört hatte, und machte das so geschickt, daß der Bettler staunte.

»Sieh bloß, einen feinen Organisten hättest du abgeben können.«

»Alles krieg' ich heraus, alles, selbst solche herrschaftlichen und auch die, die man in den Schenken singt,« prahlte er freudestrahlend, dabei fröhlich drauflos geigend, so daß sogar die Hühner auf den Staffeln aufgackerten; da aber gerade Anna erschien, trieb sie ihn gleich davon, er sollte der Fine bei der Arbeit helfen.

Es wurde schon ganz dunkel, die letzten Abendgluten erloschen, und der hohe nächtliche Himmel war wie überstreut mit Sternen, das Dorf ging zur Ruhe; nur von der Schenke kam klirrende Musik und fernes Rufen.

Anna saß vor der Galerie, stillte das Kind und redete mit dem Bettler über dies und jenes; der Alte log, daß es nur so dampfte, sie aber redete nicht dawider, dachte sich ihr Teil dazu und sah sehnsüchtig in die Nacht.

Jagna war noch nicht zurückgekehrt, sie saß auch nicht bei der Mutter; gleich am Abend war sie zu den Mädchen ins Dorf gegangen; doch sie konnte nirgends lange aushalten, es trieb sie etwas umher. Es war ihr, als würde sie wie an den Haaren herumgezerrt, und schließlich irrte sie ganz allein im Dorf herum. Lange starrte sie ins Wasser, das erloschen dalag und unter einem leisen Lufthauch erbebte, blickte auf die sich sacht bewegenden Schatten und auf die Lichterscheine, die von den Fenstern über die glatte Fläche des Weihers zuckten und irgendwo erstarben, man wußte nicht recht, wo noch wie! Es trieb sie etwas vorwärts, so daß sie bis hinter die Mühle rannte, bis auf die Wiesen hinaus, wo schon die warmen Pelze der weißen Nebel lagen; die Kiebitze flogen über sie mit schrillen Klageschreien hinweg.

Sie hörte dem Wasser zu, das über das Stauwerk hinweg in den dunklen Rachen des Flusses niederrauschte, in das Bereich der hohen Erlen, die wie schlafbefangen dastanden, und dieses Rauschen schien ihr wie ein wehmütiges Locken und eine tränenschwere Klage zu sein.

Sie lief davon und starrte lange in die Fenster des Müllerhauses, aus denen Lichterglanz, Stimmengewirr und das Klirren der Teller zu ihr drang.

So lief sie schon lange umher, immer von der einen Ecke des Dorfes in die andere, und war wie ein irrendes Wasser, das einmal hier-, einmal dahin fließt und vergeblich nach einem Ausgang sucht und immer wieder klagend gegen die undurchdringlichen Wände anschlägt.

Etwas fraß an ihr, das sie gar nicht benennen konnte; es war weder Leid noch Sehnsucht noch Liebe; und doch waren ihre Augen voll einer trockenen Glut, und im Herzen stieg ein wühlendes, qualvolles Schluchzen auf.

Sie wußte gar nicht, wie sie sich plötzlich vor dem Pfarrhof befand; vor der Veranda des Pfarrhauses stampften ein paar Pferde vor einem Wagen ungeduldig auf; in einem Zimmer nur war Licht, man spielte dort Karten.

Sie hatte eine Weile zugesehen und ging dann durch den Heckenweg weiter, der Klembs Gewese von dem Pfarrgarten trennte. Sie schob sich ängstlich an der Hecke entlang vorwärts; die herabhängenden Zweige der Kirschbäume streiften ihr Gesicht mit taufeuchten Blättlein. Sie ging willenlos, ohne zu wissen, wohin es sie trug, bis das niedrige Organistenhaus ihr den Weg vertrat.

Alle vier Fenster waren erleuchtet und standen offen.

Sie schob sich im Schatten dicht an den Zaun heran und sah ins Innere.

Die Organistenleute saßen mit ihren Kindern im Schein der Hängelampe und tranken Tee, während Jascho im Zimmer auf und ab ging und etwas erzählte.

Sie hörte jedes Wort, das er sprach, jedes Aufknarren der Dielen, das ununterbrochene Ticken der Uhr und die lauten Schnaufer des Organisten.

Und Jascho erzählte solche Wunder, daß sie schon gar nichts mehr begriff.

Sie starrte ihn an wie ein Heiligenbild und trank jeden Ton seiner Stimme wie süßesten Honig in sich ein. Er wandelte in einem fort, immer wieder verschwand er im Innern der Stube und tauchte wieder im Umkreis des Lichts auf; manchmal blieb er am Fenster stehen, so daß sie sich erschrocken an den Zaun drückte, damit er sie nicht bemerken sollte; aber er sah nur in den sternenbedeckten Himmel und sagte dann etwas Lustiges, so daß sie plötzlich alle zu lachen begannen; die Freude kam in ihren Gesichtern wie Sonnenschein auf. Dann setzte er sich an die Mutter heran, die kleinen Schwestern krabbelten ihm auf die Knie und hingen sich an seinen Hals, er umarmte sie herzlich, schaukelte sie und schäkerte mit ihnen, so daß die Stube vor Kinderlachen widerhallte.

Man hörte die Uhr schlagen, und die Organistin sagte, sich von ihrem Platz erhebend:

»Wir reden hier herum, und für dich ist es Zeit schlafen zu gehen! Du mußt doch schon bei Tagesanbruch weg!«

»Das muß ich, Mütterchen! Mein Gott, wie war der Tag kurz!« seufzte er wehmütig auf.

Und Jaguscha war es, als preßte einer ihr Herz so schmerzlich zusammen, daß ihr die Tränen von selbst über die Backen liefen.

»Aber bald kommen die Ferien!« ließ er sich wieder vernehmen, »der Rektor hat mir versprochen, daß er mich für eine Zeitlang nach Hause läßt, wenn ihm der Pfarrer darum schreiben wird.«

»Brauchst keine Angst zu haben, er wird schon schreiben, wenn ich ihn darum bitte,« sagte die Mutter und ging daran, ihm sein Lager auf dem Sofa, gegenüber dem Fenster, zurechtzumachen. Sie halfen alle mit, und selbst der Organist beteiligte sich daran und brachte eine ziemlich große Satte, die er lachend unter das Sofa schob.

Sie nahmen lange Abschied voneinander, am längsten aber die Mutter, die ihn mit Weinen an die Brust preßte und immer wieder küßte.

»Schlaf wohl, mein Sohn, schlaf, mein Kind.«

»Ich bet' nur noch und gleich leg' ich mich hin, Mütterchen.«

Endlich gingen sie hinaus.

Jaguscha sah, wie sie in der nebenan liegenden Stube auf den Zehenspitzen umherschlichen, die Stimmen zu dämpfen schienen, die Fenster schlossen; und bald lag das ganze Haus stumm da und war in einem Nu in Dunkelheit versunken, damit der Jascho nicht gestört wurde.

Auch sie wollte nach Hause, sie hatte sich selbst schon etwas erhoben, aber es war ihr, als hielte sie doch irgend etwas an den Füßen zurück, so daß sie sich nicht von der Stelle bewegen konnte; um so fester preßte sie ihren Rücken an den Zaun, duckte sich um so tiefer und blieb wie verzaubert auf ihrem Fleck, in das letzte erleuchtete Fenster starrend. Jascho las etwas in einem dicken Buch, kniete dann am Fenster nieder, bekreuzigte sich, faltete die Hände, hob die Augen zum Himmel und begann in einem durchdringenden Geflüster zu beten.

Die Nacht war dunkel, eine unergründliche Stille verhüllte die Welt, die Sterne glimmten hoch am Himmel, warme, dufterfüllte Lüfte strichen von den Feldern herüber, und als die Blätter aufrauschten, hörte man auch einen Vogel singen.

Jaguscha ergriff ein Schauer, ihr Herz begann wild zu schlagen, ihre Augen brannten, ihre Lippen waren glühend heiß, und die Arme streckten sich von selbst nach ihm aus; und obgleich sie sich zusammenriß, hatte sie ein solches seltsames, unüberwindliches Beben erfaßt, daß sie sich unwillkürlich gegen den Zaun preßte und sich so fest gegen ihn stützte, daß eine Latte zu knarren begann.

Jascho steckte den Kopf zum Fenster hinaus, sah ringsum und vertiefte sich abermals ins Gebet.

Mit ihr ging aber etwas ganz Sonderbares vor; wahre Feuerströme rannen ihr durch den Leib und überkamen sie mit einer solchen Glut, daß sie fast aufgeschrien hätte vor süßer Qual. Sie hatte vergessen, wo sie sich befand und konnte kaum Atem fangen, so bebte und brannte alles in ihr. Sie war ganz von Schauern durchbebt, wilde jauchzende Schreie wollten sich wie Blitze aus ihrem Innern lösen, ein heißer Wirbelsturm schien sie packen zu wollen, und in einem rasenden Begehren dehnte sie ihre Arme weit, um sie dann wieder eng ineinander zu verkrampfen ... Sie wollte schon näher herantreten, ganz nah an ihn heran, um wenigstens mit den Lippen diese weißen, feinen Hände berühren zu können, um nur vor ihm knien zu dürfen und aus der Nähe dieses liebe Gesichtchen anzuschauen und ihn anzubeten wie ein wundertätiges Bild. Sie bewegte sich aber dennoch nicht, denn eine seltsame Angst und ein plötzliches Grauen hatten sie beschlichen.

»Mein Jesus, barmherziger Gott!« entrang sich ein leises Stöhnen ihrer Brust.

Jascho erhob sich, lehnte sich ganz hinaus, und ins Dunkel starrend, rief er:

»Wer ist da?«

Einen Augenblick war sie wie tot, sie hielt ihren Atem an, ihr Herzschlag stockte und ein heiliges Grauen legte sich wie lähmend über ihre Glieder; es war als ob ihre Seele bis in die Kehle hinauf gestiegen wäre, und voll einer seligen Unruhe erbebte sie erwartungsvoll.

Aber Jascho blickte nach dem Heckenweg, ohne sie zu bemerken; er schloß das Fenster, zog sich schnell aus, und das Licht erlosch ...

Nacht fiel auf ihre Seele, aber sie saß noch lange so, in das schwarze, stumme Fenster starrend. Eine Kühle umfing sie und schien wie mit Silbertau ihre himmelan strebende Seele zu benetzen, denn alles, was in ihr an begehrlichem Blute war, erlosch und ergoß sich über ihren Leib mit einer unaussprechlichen Seligkeit. Es floß auf sie eine feierliche, heilige Stille herab, die wie die Versonnenheit der Blumen vor dem Sonnenaufgang war, und es überkam sie wie ein Gebet des Glücks, das keine Worte hatte und nur eine seltsame Kette der süßesten Verzückungen war, ein urheiliges Staunen der Seele, die unerklärliche Freude eines erwachenden Frühlingstages, und dieses Gebet war mit dicken Perlen seliger Tränen durchflochten, die sich zu einem Rosenkranz des Dankes und der Gnade aneinanderreihten.


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