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Es ging gegen Mittag, die Hitze wurde immer stärker, das ganze Volk hatte sich schon vor dem Gemeindeamt versammelt, und der Natschalnik war noch immer nicht da. Der Gemeindeschreiber trat immer wieder vor die Haustür und blickte auf die breite, mit krüppeligen Weiden bestandene Landstraße, sich die Augen mit der Handfläche beschattend, aber man sah nur die Pfützen vom gestrigen Gewitterregen blinken, und hin und wieder kam ein verspäteter Wagen bedächtig des Wegs gefahren oder ein weißer Bauernkittel tauchte hier und da hinter einem Baum auf.
Die Menge wartete geduldig, nur der Schulze rannte wie besessen umher, spähte die Straße entlang und trieb die Männer, die die Löcher und ausgefahrenen Stellen auf dem Platz vor dem Amt mit Erde zuwarfen, immer lauter zur Eile an.
»Rasch, Leute! Daß man nur noch fertig wird, bevor er kommt.«
»Macht nur nicht aus Angst was in die Hosen,« ließ sich aus dem Haufen eine Stimme vernehmen.
»Rührt euch, Leute! Ich bin hier im Amt, das ist jetzt keine Zeit zum Spaßmachen.«
»Habt euch nicht so, Herr Schulze ...« lachte einer der Rschepetzkischen.
»Reißt mir hier noch mal einer das Maul auf, laß ich ihn einsperren,« schrie der Schulze giftig und lief davon, um vom Kirchhof aus Umschau zu halten; dieser war auf einem Hügel gelegen, an den das Gemeindeamt mit der Giebelseite grenzte.
Große uralte Bäume erhoben sich darüber, zwischen den Ästen sah man den grauen Kirchturm emporragen, und die schwarzen Arme der Kreuze sahen über die Steinmauer und über die Dächer der umstehenden Häuser auf die Dorfstraße.
Der Schulze ließ, nachdem er vergeblich gespäht hatte, einen der Schultheißen bei den Leuten zurück und betrat die Kanzlei des Gemeindeamts, wo die Menschen in einem fort ein- und ausgingen, denn der Gemeindeschreiber ließ immer wieder einen der Anwesenden zu sich kommen, um ihn leise wegen der rückständigen Steuern, wegen des noch unbezahlten Gerichtsbeitrages und noch wegen verschiedener anderer Dinge zu mahnen. Natürlich waren solche Ermahnungen nicht nach jedermanns Geschmack; sie hörten ihm aufseufzend zu, denn was war da jetzt zu machen bei der schweren Vorerntezeit? Wie sollten sie denn zahlen, wenn manch einer nicht einmal Geld hatte, um sich Salz zu kaufen? So verbeugten sie sich nur tief vor ihm, und manch einer küßte ihm selbst die Hand und ließ seinen letzten Silberling in seine ausgestreckte Hand gleiten, und alle baten sie um das gleiche, daß ihnen die Zahlung bis zur neuen Ernte oder mindestens bis zum nächsten Jahrmarkt gestundet werden möchte.
Der Schreiber war ein ganz schlauer und gerissener Kunde; er zog den Menschen, wo er nur konnte, das Fell über die Ohren, er tat, als verspräche er alles, drohte dem einen mit den Gendarmen, tat dem anderen ins Gesicht hinein freundlich, stellte sich mit dem dritten auf gleich und gleich und schwindelte dabei noch von jedem etwas für sich heraus. Einmal fehlte es ihm an Hafer, dann brauchte er junge Gänse für den Natschalnik, oder machte Anspielungen, daß er gern Stroh zum Drehen von Seilen hätte, und es blieb ihnen da nichts anderes übrig, als ihm alles zu versprechen, was er nur wollte; er aber nahm jeden von denen, die er besser kannte, noch ehe er ihn gehen ließ, beiseite und riet ihm, sozusagen aus guter Freundschaft:
»Stimmt aber ja für die Schule, denn wenn ihr euch widersetzt, kann der Natschalnik noch böse werden und euch den Frieden mit dem Gutsherrn verderben.«
»Wieso denn? Wir machen doch den Frieden mit dem Gutsherrn freiwillig,« sagte Ploschka erstaunt.
»Das ist schon wahr, aber ihr wißt ja, der Herr hält zum Herrn, und der Bauer hat dabei das Nachsehen.«
Ploschka ging ganz besorgt davon, und der Schreiber rief immer wieder neue Namen auf, und jeden wußte er mit etwas anderem zu schrecken und suchte sie alle zuletzt doch zu demselben zu zwingen, so daß es sich bald unter allen Anwesenden herumsprach.
Es war ein ganzer Haufen Menschen zusammengekommen, über zweihundert Mann waren wohl beisammen; sie standen zuerst dorfweise, ein jeder bei den Seinen, so daß man leicht erkennen konnte, welche Leute aus Lipce, welche aus Modlica und welche wiederum aus Pschylenka oder aus Rschepki waren, denn jedes Dorf zeichnete sich durch eine andere Tracht ab. Als sich aber die Kunde verbreitet hatte, daß man für die Schule stimmen sollte, denn so wünschte es der Natschalnik selbst, fingen sie an, sich untereinander zu mischen, von einem Haufen zum andern hinüberzugehen und sich, wie es einem jeden gerade paßte, diesem oder jenem zuzugesellen. Nur die kleinadeligen Dörfler von Rschepki hielten sich abseits und sahen trotzig und herausfordernd zu den Bauern hinüber, obgleich sie ja selber lauter arme Teufel waren, so daß man sich über sie lustig machte und sich erzählte, daß drei von ihnen auf einen Kuhschwanz kämen. Das übrige Volk aber hatte sich in einem bunten Durcheinander über den Platz ausgebreitet, und viele suchten Schutz im Schatten der Kirchhofsbäume oder machten sich an ihren Wagen zu schaffen.
An der großen, von einer Anzahl hoher Bäume umgebenen Schenke, die wie in einem schattigen Wäldchen gegenüber dem Gemeindehaus lag, war das Gedränge besonders groß; die meisten Menschen hielten sich da auf, denn die Hitze war, obgleich ein frischer Wind über die Felder strich, ganz unerträglich, die Sonne brannte dermaßen, daß schon manch einem schier der Atem ausging; man versuchte also, beim Bier Kühlung zu finden. Die Schenke war gedrängt voll, und selbst draußen unter den Bäumen standen die Menschen in Haufen, redeten und beratschlagten sich leise miteinander und achteten dabei eifrig auf die Gemeindekanzlei und auf die Wohnung des Schreibers, die in der anderen Hälfte des Hauses gelegen war, und aus der ein immer lauterer Lärm und ein eifriges Hin- und Herlaufen hörbar wurde.
Ab und zu steckte die Frau des Schreibers ihr wohlgemästetes Gesicht zum Fenster hinaus und schrie:
»Eil' dich doch, Magda! Daß du dir die Füße brichst, du Schlampe!«
Die Magd kam immer wieder durch die Stuben gerannt, so daß es nur so dröhnte und die Scheiben klirrten; ein Kind fing an laut zu schreien, hinter dem Haus gackerten die Hühner erschrocken auf, und der Gemeindediener jagte atemlos hinter den Kücken her, die auf die Straße und ins Kornfeld auseinander stoben.
»Das sieht ja aus, als ob sie den Natschalnik bewirten wollten,« sagte einer der Bauern.
»Der Schreiber soll gestern einen ganzen Korbwagen voll verschiedenerlei Flaschen aus der Stadt mitgebracht haben.«
»Die werden sich wieder so besaufen, wie im vorigen Jahr.«
»Als wenn sie sich das nicht leisten könnten! Das Volk zahlt ihnen doch genug Steuern, und kein Mensch ist da, der ihnen auf die Finger guckt,« sagte Mathias; doch jemand unterbrach ihn plötzlich:
»Sei still, die Gendarmen sind da.«
»Rein wie die Wölfe treiben die sich hier herum; man merkt schon gar nicht mehr, wann sie kommen, ehe man sich was denkt, stehen sie schon da.«
Sie verstummten ängstlich, denn die Gendarmen hatten sich vor der Kanzlei niedergesetzt. Eine dichte Menge hatte sich um sie versammelt; der Schulze und der Müller befanden sich im Haufen, und auch den Schmied sah man in der Nähe herumschleichen und aufmerksam aufhorchen.
»Der Müller wedelt um sie herum, wie ein hungriger Hund!«
»Der hat den am liebsten, vor dem sich andere fürchten.«
»Wenn die Gendarmen da sind, dann muß auch der Natschalnik gleich kommen!« rief Gschela, der Bruder des Schulzen, und trat auf Antek zu, der mit Mathias, Klemb und Stacho Ploschka etwas abseits stand; nachdem sie miteinander gesprochen hatten, trennten sie sich wieder und mischten sich sofort unter die Menge, wo sie hier und da etwas Wichtiges vorzutragen hatten, so daß man ihren Worten andächtig lauschte. Hin und wieder seufzte einer auf, kratzte sich besorgt den Schädel und schielte nach den Gendarmen hinüber; man drängte sich trotzdem immer dichter um die Vortragenden zusammen.
Antek, der gegen die Wand der Schenke gelehnt stand, sprach bestimmt und nachdrücklich, als teile er Befehle aus; in einem anderen Haufen im Schatten der Bäume redete Mathias, allerhand Witze dabei machend, so daß manch einer auflachte; in einem dritten Haufen führte Gschela das erste Wort, er redete klug, als läse er aus einem Buch vor, so daß es schwer war, alles zu begreifen, was er sagte.
Alle drei aber versuchten, zu ein und demselben die Leute zu drängen, und zwar, nicht auf den Natschalnik zu hören, noch auf die, die es stets mit der Regierung hielten, und den Bau der Schule nicht zu bewilligen.
Das Volk hörte aufmerksam zu; all die vielen Köpfe bewegten sich hin und her, so daß es aussah, als striche ein Windzug über die Waldeswipfel.
Keiner sagte etwas, sie nickten nur bejahend mit den Köpfen; denn selbst der Dümmste noch begriff, daß man von dieser neuen Schule nur das haben würde, daß sie wieder neue Steuern zahlen müßten, und damit hatte es keiner eilig.
Und dennoch hatte eine Unruhe die Menge ergriffen, sie traten von einem Fuß auf den anderen, begannen sich zu räuspern und zu hüsteln, und keiner wußte recht, was er tun sollte.
Das war schon so: der Gschela redete klug, und der Antek sprach einem aus der Seele, aber es war doch bedenklich, sich dem Natschalnik zu widersetzen und mit dem Amt in Uneinigkeiten zu kommen.
Der eine sah auf den andern, jeder überlegte es sich im stillen noch einmal gründlich, und alle achteten darauf, was die Reichen wohl täten; aber der Müller und was sonst noch die Ersten aus den anderen Dörfern waren, hielten sich seltsam zurück und standen wie absichtlich dicht unter den Augen der Gendarmen und des Schreibers.
Antek ging zu ihnen herüber, um ihnen die Sache auseinander zu setzen, aber der Müller sagte unwirsch:
»Wer Verstand hat, wird selber wissen, wie er stimmen soll,« und er wandte sich dem Schmied zu, der allen beipflichtete und sich unruhig in der Menge zu schaffen machte; er schnüffelte überall herum, denn er hatte gemerkt, daß irgend etwas im Gange sein müßte, sah beim Schreiber ein, redete mit dem Müller, traktierte Gschela mit Tabak und verstand so seine Absichten zu verbergen, da man bis zuletzt noch nicht wußte, zu wem er hielt.
Die meisten hatten schon die Absicht, gegen die Schule zu stimmen, sie zerstreuten sich über den Platz, und ohne auf die Mittagshitze zu achten, redeten sie immer lauter und dreister miteinander; plötzlich steckte der Schreiber den Kopf zum Fenster hinaus und rief:
»Laß einen von euch mal herkommen!«
Es rührte sich jedoch niemand daraufhin, man tat, als ob man es nicht gehört hatte.
»Es soll einer nach dem Gutshof wegen der Fische 'rüberlaufen, heute früh sollten sie sie doch schicken und haben sie bis jetzt nicht geschickt! Rasch aber!« befahl er mit lauter Stimme.
»Wir sind hier nicht da, um Knecht zu spielen!« ließ sich eine trotzige Stimme vernehmen.
»Laß ihn selber laufen; dem tut wohl sein Bauch leid,« lachte einer, denn der Schreiber hatte einen Wanst wie eine Trommel.
Der Schreiber fluchte vor sich hin, und nach einer Weile sah man den Schulzen quer durch den Hof sich hinter die Schenke schleichen, und plötzlich lief er eilig in der Richtung des Gutshofes davon.
»Er hat wohl die Kinder vom Schreiber trocken gelegt, danach muß er sich jetzt mal ordentlich durchlüften.«
»Versteht sich, die Frau Schreiberin mag den Gestank nicht in ihren Stuben.«
»Bald wird er denen noch das Putzelan 'raustragen,« höhnten sie.
»Hale, daß der Gutsherr immer noch nicht zu sehen ist,« wunderte sich einer, aber der Schmied sagte mit einem schlauen Lächeln:
»Der wird wohl so dumm sein und sich hier zeigen!«
Sie sahen ihn fragend an.
»Versteht sich, was soll er sich da den Natschalnik zum Feind machen, denn für die Schule wird er doch nicht stimmen, das würd' ihm doch zu teuer kommen! Der ist klug!«
»Aber du, Michael, hältst doch zu uns?« fragte Mathias ihn drängend.
Der Schmied wand sich wie ein getretener Regenwurm, und nachdem er irgend etwas in den Bart gemurmelt hatte, fing er an, sich zum Müller hindurch zu drängen, der an mehrere Bauern herangetreten war und laut zum alten Ploschka redete, so daß auch die anderen davon etwas hören sollten:
»Und ich will euch nur eins raten, stimmt so, wie das Amt das will. Die Schule ist nötig, und wenn es selbst die schlechteste wäre, wäre sie noch besser, als keine. So eine wie ihr wollt, gibt man euch doch nicht. Da ist nichts zu wollen, mit dem Kopf kann man nicht die Wand einrennen. Und werdet ihr die Schule nicht bewilligen, dann baut man sie euch einfach ohne eure Zustimmung.«
»Wenn wir kein Geld geben, wovon sollen sie denn da eine bauen?« ließ sich einer aus dem Haufen vernehmen.
»Du bist schön dumm! Die werden sich das schon selber nehmen, und gibst du es nicht freiwillig, dann werden sie dir deine letzte Kuh wegnehmen und sperren dich noch ein wegen Widerstand gegen die Behörden! Verstehst du! Das ist nicht, als ob ihr mit dem Gutsherrn zu verhandeln hättet,« wandte er sich darauf an die Leute aus Lipce, »mit dem Natschalnik ist nicht zu spaßen. Ich sag' euch, tut was man euch befiehlt und dankt Gott, daß es nichts schlimmer ist.«
Die, welche ähnlich dachten, pflichteten ihm bei, und der alte Ploschka ließ sich ganz unerwartet nach einer längeren Überlegung vernehmen:
»Ihr habt recht, Rochus hat das Volk irre geführt, er treibt die Leute ins Verderben.«
Darauf trat ein Hofbauer aus Pschylenka hervor und sagte laut:
»Das kommt daher, weil der Rochus zu den Herren hält und gegen die Regierung aufstachelt!«
Man schrie von allen Seiten auf ihn ein, aber er ließ sich nicht einschüchtern, und sobald es stiller geworden war, erhob er wieder seine Stimme:
»Und die Dummen helfen ihm! Das ist so,« er sah sich im Umkreis um, »und wem das wider den Strich geht, der kann herkommen, dann will ich es ihm ins Gesicht sagen, daß er dumm ist! Die wissen wohl nicht, daß es immer so gewesen ist, daß die Herren eine Verschwörung machen, dann das Volk aufwiegeln und ins Unglück bringen; aber wenn es zum Zahlen kommt, wer muß denn da die Sache ausbaden? Die Bauern! Und wenn sie euch Kosaken einquartieren, wer wird da nachher ausgepeitscht? Wer wird zu leiden haben? Wen werden sie ins Kriminal schleppen? Niemand anders als die Bauern! Die Herren werden sich nicht für euch einsetzen, wie Judasse werden sie alles verleugnen und werden noch die hohe Obrigkeit bei sich bewirten.«
»Was gilt denen das Volk? Es ist nur dazu da, daß sie ihm das Blut aussaugen.«
»Und wenn sie so könnten, dann würden sie gleich morgen die Leibeigenschaft wieder einführen!« erhoben sich verschiedene Zurufe:
»Der Gschela sagt,« fing er wieder an, »sie sollen in der Schule alles in unserer Sprache lehren, und wenn sie das nicht wollen, dann soll man keine Schule bewilligen und nicht einen Groschen geben; jawohl, ein Knecht kann vielleicht noch seinem Bauern zurufen: arbeiten werd' ich nicht mehr, kannst mir den Buckel 'runterrutschen! und dann kann er weglaufen, bevor man ihm was antut. Aber das Volk kann ja nicht wegrennen und kriegt, wenn es aufsässig wird, schon seine Prügel, niemand wird dafür seinen Buckel hinhalten. Das sag' ich euch, aber es wird noch billiger ausfallen, eine Schule zu bauen, als sich der Regierung zu widersetzen. Daß sie da nicht in unserer Sprache unterrichten, ist ja wahr, aber zu Russen werden sie uns auch so nicht machen, denn keiner von uns wird doch anders beten, oder mit den anderen sprechen, als wie die Mutter ihn gelehrt hat! Und zum Schluß will ich euch noch sagen: laßt uns Bauern zusammenhalten! Und wenn die Herren miteinander was haben, dann geht das uns nichts an, laß sie sich zanken und totbeißen; das sind mir gerade die rechten Brüder, die einen wie die anderen; daß sie die Pest hole!«
Sie drängten sich dicht um ihn und schrien auf ihn ein wie auf einen tollen Hund; vergeblich versuchte der Müller, ihn in Schutz zu nehmen, vergeblich traten einzelne für ihn ein. Gschelas Anhänger fingen schon an, ihm mit den Fäusten zu drohen, und vielleicht wäre es noch zu etwas Schlimmerem gekommen, wenn nicht der alte Pritschek plötzlich gerufen hätte:
»Die Gendarmen hören zu!«
Es wurde mit einem Male still, der Alte aber trat hervor und begann schon fast zornig zu sprechen:
»Die heilige Wahrheit hat er gesagt, an unseren eigenen Vorteil sollen wir denken! Kannst jetzt still sein, hast dein Teil gesagt, dann laß auch einen anderen seine Meinung sagen! Die schreien hier herum und glauben, daß sie die Klügsten sind! Versteht sich, wenn der Verstand im Geschrei läge, dann hätte jeder Maulheld mehr davon, als der Pfarrer selbst! Lacht nur zu, aber ich kann es euch sagen, wie es um jene Zeiten herum aussah, als die Herren ihren Aufstand gemacht haben; ich weiß noch gut, wie sie uns vorgeschwindelt und geschworen haben, daß wenn Polen wieder zurechtkäme, sie uns die Freiheit und Wald und Land und was nicht noch alles geben würden! Vorgeredet und versprochen haben sie es uns, und was wir gekriegt haben, das hat uns ein anderer gegeben, und bestrafen mußte er sie noch, weil sie in keiner Sache dem Volk eine Erleichterung schaffen wollten! Hört auf die Herren, wenn ihr so dumm seid, aber mich lockt seiner auf Spreu, ich weiß gut, was dieses /ihr Polen/bedeuten soll; das ist nur eine Peitsche für unseren Buckel und Knechtschaft und Leibeigenschaft! Mich hat noch keiner ...«
»Lang' ihm doch eine übers Maul, damit er endlich die Schnauze hält,« ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen.
»Und jetzt bin ich doch,« fuhr der Alte fort, »mein eigener Herr, mein Recht hab' ich jetzt, und niemand darf es wagen, mich auch nur mit dem Finger anzurühren. Für mich ist Polen da, wo ich es gut habe, wo ich ...«
Höhnische Zurufe, die von allen Seiten wie ein Hagel auf ihn eindrangen, unterbrachen seine Rede:
»Das Schwein grunzt auch vor Zufriedenheit und lobt seinen Schweinestall und den vollen Trog!«
»Und wenn es sich fein was angemästet hat, kriegt es eins mit dem Knüttel über den Kopf und mit dem Messer eins über die Kehle!«
»Und auf dem Jahrmarkt hat ihn erst neulich der Gendarm verprügelt, und da redet er jetzt, daß ihn niemand auch nur mit dem Finger anrühren darf.«
»Was der hier vorerzählt, und Verstand hat er gerade so viel wie 'n Pferdeschwanz!«
»Feiner Herr, seinen Willen hat er, jawohl, und die Läuse tragen ihn von selbst durch die Welt!«
»Das ist wahr, auch die Strohwische in den Stiefeln würden dasselbe sagen!«
»Kann nicht einmal die Hühner richtig abtasten und will hier was zu sagen haben! Der Mistfink! Schöps! ...«
Der Alte wurde ganz wütend, aber er sagte nur:
»Aaszeug! Selbst die grauen Haare wissen sie nicht zu ehren!«
»Dann müßte man jeden Grauschimmel ehren, schon allein, weil er grau ist, ha?«
Ein lautes Lachen setzte ein, und sie wandten sich von ihm ab, die Augen auf das Dach des Gemeindeamts richtend, auf das der Gemeindediener geklettert war, um, sich am Schornstein festhaltend, Ausschau zu halten.
»Jusek, mach' doch dein Maul zu, sonst fliegt dir da noch was hinein!« riefen sie lachend, denn ein ganzer Schwarm Tauben kreiste über ihm; im selben Augenblick aber schrie er plötzlich los:
»Er kommt, er kommt schon! Eben biegt der Wagen von Pschylenka auf die Landstraße ab!«
Die Menge fing sogleich an, sich vor dem Amtsgebäude zusammenzudrängen und spähte geduldig den noch ganz leeren Weg entlang.
Die Sonne war gerade ein bißchen hinter den Dachfirst gerückt, so daß sich unter der Dachtraufe ein immer längerer Schatten hervorschob, in welchem man alsbald einen grün gedeckten Tisch mit einem Kruzifix darauf aufstellte. Der rothaarige, rundliche Hilfsschreiber trug die Akten hinaus, legte sie auf dem Tisch zurecht und fingerte dabei immerzu an seiner Nase herum.
Der Schreiber begann hastig seinen Festtagsrock überzuziehen, und vom Haus herüber drang wieder die gellende Stimme der Frau Schreiberin, das Klirren der Teller, der Lärm geschobener Gegenstände und ein polterndes Hin- und Herlaufen herüber; kurz darauf erschien auch der Schulze. Er blieb, rot wie eine Rübe, schweißgebadet und völlig atemlos, unter der Haustür stehen; um den Nacken hing ihm schon die Amtskette, und nachdem er mit seinen Augen die Menge geprüft hatte, rief er streng:
»Still da, Leute, ihr seid ja nicht in der Schenke!«
»Peter, kommt doch mal her, ich will euch was sagen!« rief ihm der Klemb zu.
»Hale! Hier gibt es keinen Peter, nur einen Beamten!« knurrte er ihn von oben herab an.
Sie griffen seine Worte auf und schlugen sich vor Vergnügen auf die Schenkel, als plötzlich die feierliche Stimme des Schulzen laut verkündete:
»Tretet auseinander, Leute! Der Herr Natschalnik kommt!«
In diesem Augenblick erschien auf der Dorfstraße eine Kutsche und fuhr in einem Bogen, über die Unebenheiten des Platzes hinwegschwankend, am Gemeindeamt vor.
Der Natschalnik hob die Hand an die Mütze, die Bauern nahmen die Hüte ab und standen schweigend da, der Schulze und der Schreiber stürzten hinzu, um ihm aus dem Wagen zu helfen, und die Gendarmen blieben stramm an der Tür stehen, steif gereckt wie Stöcke.
Der Natschalnik ließ sich aus dem Wagen herausheben und sich den weißen Mantel abziehen. Sodann wandte er sich um, überflog die Menge, glättete seinen strohblonden Kinnbart, runzelte die Stirn, nickte mit dem Kopf und betrat das Haus, der Einladung des zu einem Bogen sich zusammenkrümmenden Schreibers folgend.
Die Kutsche fuhr davon, und die Bauern umzingelten wieder den Tisch in der Erwartung, daß die Sitzung gleich beginnen sollte, aber es ging ein gutes Ave, es ging selbst vielleicht ein ganzes Paternoster vorüber und der Natschalnik zeigte sich nicht; nur aus der Wohnung des Schreibers hörte man das Klirren von Gläsern und Lachen, und leckere Düfte breiteten sich aus.
Da manch einem das Warten zu lange wurde und auch die Sonne immer stärker brannte, versuchte dieser und jener sich nach der Schenke fortzuschleichen, aber der Schulze schrie sie an:
»Nicht auseinandergehen! Und wer fehlen wird, der wird aufgeschrieben.«
Natürlich blieben sie und fluchten nur um so wütender, ungeduldig auf die Fenster der Schreiberwohnung starrend, die man von innen geschlossen und mit einer Gardine verhängt hatte.
»Die schämen sich da, vor den Augen aller zu saufen!«
»Das ist auch besser, man hat ja auch nichts davon, als daß man seine eigene Spucke herunterschlucken kann!« redeten sie untereinander.
Aus dem Gemeindegefängnis, das in einer Reihe mit dem Gemeindeamt lag, ließ sich ein klägliches, langgezogenes Blöken vernehmen, und nach einer Weile tauchte der Gemeindediener auf mit einem kräftigen Bullenkalb, das er an einem Tau mit sich zerrte. Das Kalb widersetzte sich aus ganzer Macht, bis es ihm plötzlich einen Stoß versetzte, so daß der Mann so lang er war zu Boden fiel; darauf hob es den Schwanz und rannte davon, daß der Staub aufwirbelte.
»Greif' den Dieb, greif' ihn!«
»Und streu' ihm Salz auf den Schwanz, dann kommt er wieder!«
»Ist der aber frech, lauft aus dem Gefängnis davon und hebt noch den Schwanz vor dem Herrn Schulzen!« stichelten sie und lachten über den Gemeindediener, der dem Kalb nachjagte und es erst mit Hilfe der Schultheißen auf dem Hofplatz einfangen konnte. Sie hatten sich noch nicht einmal verschnauft, als der Schulze den Befehl gab, das Gefängnis sofort auszufegen; er überwachte sie selbst, trieb sie zur Eile an und half sogar mit, denn er hatte Angst, daß der Natschalnik vielleicht Lust bekommen könnte, einmal hineinzusehen.
»Herr Schulze, ihr müßt da räuchern lassen, damit er nicht herausschnüffelt, wen ihr da gefangen gehalten habt.«
»Ihr braucht keine Angst zu haben, nach dem Schnaps wird er die Witterung schon verloren haben.«
Immer wieder machte sich einer über ihn lustig, so daß der Schulze mit den Augen blitzte und die Zähne zusammenbiß; doch schließlich wurde ihnen selbst das Gespött zuwider, so hatte ihnen das Warten in der Hitze und der Hunger zugesetzt; sie rannten im hellen Haufen unter die schattigen Bäume, ohne auf das Verbot des Schulzen zu achten; und Gschela rief ihm noch zu:
»Hale, du denkst wohl, das Volk ist wie ein Hund, das kommt nicht auf deinen Pfiff und wenn du bis zum Abend schreien solltest!« Und zufrieden, daß die Leute nicht mehr unter den Augen der Gendarmen waren, begann er wieder von einem zum anderen zu gehen und jeden einzeln daran zu erinnern, wie sie stimmen wollten.
»Fürchtet euch nur nicht!« fügte er hinzu, »das Recht ist auf eurer Seite! Was wir bestimmen, das müssen sie tun, und was die Gemeinde nicht will, dazu kann sie niemand zwingen.«
Sie hatten sich kaum in den Schatten gelegt und etwas zu essen begonnen, als die Schultheiße zu rufen anfingen und der Schulze mit Geschrei angelaufen kam:
»Der Natschalnik kommt' raus! Eilt euch! Wir fangen an!«
»Der hat sich genug vollgefressen, da treibt's ihn jetzt. Wir haben keine Eile! Laß ihn warten!« murmelten sie ärgerlich und begannen sich widerwillig vor dem Gemeindeamt zu sammeln.
Jeder Schultheiß stellte sich an die Spitze seines Dorfes, und der Schulze nahm am Tisch Platz neben dem Gehilfen des Gemeindeschreibers, welcher bedächtig in der Nase herumbohrte und hin und wieder nach den Tauben pfiff, die, durch das Stimmengewirr aufgescheucht, vom Dach aufgeflogen waren und wie eine zerflatternde weiße Wolke über ihren Köpfen kreisten.
»Achtung!« schrie plötzlich einer der Gendarmen, die stramm am Eingang standen.
Aller Augen wandten sich nach der Tür, aber es kam nur der Schreiber mit einem Schriftstück in der Hand heraus und schob sich hinter den Tisch.
Der Schulze schellte und begann darauf feierlich:
»Jetzt fangen wir an, Leute! Ruhig da, die aus Modlica! Der Herr Sekretär wird jetzt vorlesen von dieser Schule sozusagen! Und hört gut zu, damit jeder begreift, worum es sich handelt!«
Der Schreiber setzte die Brille auf und fing an, laut und deutlich zu lesen.
Er hatte vielleicht schon ein Paternoster lang bei völligem Schweigen gelesen, als plötzlich jemand laut rief:
»Wir verstehen nichts!«
»In unserer Sprache lesen! Wir haben nichts verstanden!« erhoben sich zahlreiche Stimmen.
Die Gendarmen fingen an, eifrig in der Menge herumzusuchen.
Der Schreiber verzog sein Gesicht, aber las schon, indem er gleichzeitig die polnische Übersetzung hinzufügte.
Es wurde ganz still, sie hörten andächtig zu, sich jedes Wort reiflich überlegend und dabei auf ihn starrend wie auf ein Heiligenbild. Der Schreiber las bedächtig weiter:
»... um dessentwillen befohlen ist, eine Schule in Lipce zu errichten, die zugleich auch für Modlica, Pschylenka, Rschepki und andere kleinere Dörfer zu gelten hat.«
Darauf breitete er sich darüber aus, was für ein Vorteil ihnen daraus kommen würde und was für ein Segen die Bildung wäre, wie die Regierung Tag und Nacht daran dächte, dem Volk zu helfen, es zu fördern, zu bilden und vor dem Bösen zu beschützen. Und schließlich zählte er auf, was sie für den Platz mit dem dazu gehörigen Feld, für das Schulgebäude selbst und für die Erhaltung der Schule und den Unterhalt des Lehrers aufzubringen hätten, und daß man dafür zwanzig Kopeken pro Morgen Zusatzsteuer zu bewilligen hätte. Er schwieg, wischte sich die Brille und sagte vor sich hin:
»Der Herr Natschalnik hat gesagt, daß er, wenn ihr heute den Beschluß faßt, euch erlauben wird, noch in diesem Jahr mit dem Bau anzufangen, so daß die Kinder im kommenden Herbst schon die Schule besuchen können.«
Damit schloß er, aber niemand sagte etwas, jeder hatte noch etwas zu erwägen und duckte sich unter der Last der neuen Steuer, bis schließlich der Schulze das Wort ergriff:
»Habt ihr gut gehört, was der Herr Sekretär gelesen hat?«
»Versteht sich, wir sind doch nicht taub!« hörte man hier und da.
»Und wer was dagegen hat, der kann hervortreten und sagen, was er meint.«
Sie begannen sich anzustoßen und einer den anderen vorzudrängen, blickten unruhig auf die Älteren, kratzten sich die Köpfe, aber niemand hatte den Mut als Erster hervorzutreten.
»Wenn es so ist, dann wollen wir schnell die Steuer bewilligen und nach Hause gehen!« schlug der Schulze vor.
»Also was, alle erklären sich einstimmig einverstanden?« fragte der Schulze feierlich.
»Nein! Wir wollen nicht! Nein!« schrie Gschela und mit ihm wohl an die vierzig Stimmen.
»Wir brauchen nicht solch eine Schule! Wir wollen nicht! Wir haben schon genug Steuern! Nein!« rief man schon von allen Seiten dreister und trotzig.
Auf dieses Geschrei hin trat der Natschalnik heraus und blieb auf der Schwelle stehen; sie verstummten bei seinem Anblick, er zupfte seinen gelben Kinnbart und sagte sehr gnädig:
»Wie geht es euch, Hofbauern!«
»Gott bezahl's!« antworteten die ersten vom Rand, unter dem Druck der Menge, die den Natschalnik hören wollte, etwas vortretend. Dieser stand gegen den Türpfosten gelehnt da und redete jetzt in seiner Sprache weiter, mußte aber immerwährend aufstoßen.
Die Gendarmen sprangen auf das Volk zu und fingen an zu rufen:
»Die Mützen runter! Mützen ab!«
»Geh' mir aus dem Weg, du Aas, renn' mir nicht zwischen die Beine!« fluchte einer.
Der Natschalnik aber, obgleich er sehr wohlwollend begonnen hatte, schloß befehlend und auf Polnisch seine Rede:
»Macht vorwärts mit dem Bewilligen, denn ich hab' keine Zeit zum Warten.«
Und er blickte streng in ihre Gesichter, so daß manch einem die Angst kam; die Menge wogte auf, und ängstliches, gedämpftes Geflüster wurde vernehmbar.
»Na, was denn, stimmen wir für die Schule? Redet doch, Ploschka? Was wollen wir denn jetzt tun? ... Wo ist der Gschela? Er befiehlt es uns doch! Laß uns doch lieber stimmen!«
Immer lauter wurde das Stimmengewirr, bis schließlich Gschela hervortrat und keck sagte:
»Auf eine solche Schule wollen wir keinen Kopeken bewilligen.«
»Wir tun es nicht! Wir wollen es nicht! Nein, nein!« unterstützten ihn wohl hundert Stimmen.
Der Natschalnik runzelte drohend die Stirn.
Der Schulze erblaßte, und dem Schreiber fiel die Brille von der Nase; nur Gschela blieb unerschrocken; er bohrte ihn an mit seinen trotzigen Augen und wollte noch etwas hinzufügen, als der alte Ploschka hervortrat, sich tief verbeugte und demütig begann:
»Ich bitte Seine Gnaden, den hochwohlgeborenen Herrn Natschalnik, sich gnädigst anzuhören, was ich da zu sagen hätte, wie ich das so nach meinem Verstand begreife: Die Schule werden wir schon bewilligen, aber ein Silberling und zehn Heller pro Morgen sind zu viel. Die Zeiten sind jetzt schlecht, und Geld ist keins da! Das wollt ich nur gesagt haben.«
Der Natschalnik antwortete nicht; er schien in Gedanken vertieft zu sein, nickte hin und wieder wie bejahend und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Durch seine Haltung ermutigt, fing der Schulze an, eifrig den Bau der Schule zu befürworten; und danach versuchte seine Partei, die Sache durchzudrücken; am lautesten aber stimmte der Müller ihm zu, ohne sich durch die bissigen Bemerkungen von Gschelas Partei im geringsten beirren zu lassen, bis schließlich Gschela zornig ausrief:
»Das ist alles nutzloses Gerede,« und nachdem er den geeigneten Augenblick abgepaßt hatte, trat er hervor und sagte trotzig:
»Und wie soll denn diese neue Schule werden?«
»Wie die anderen alle!« sagte der Natschalnik und erhob den Blick auf ihn.
»Gerade die brauchen wir nicht!«
»Für eine, die in unserer Sprache unterrichtet, dafür würden wir auch einen halben Rubel pro Morgen geben, aber für die andere keinen Kopeken!«
»Wozu brauchen wir so eine Schule? Meine Kinder haben drei Jahre gelernt und kennen nicht A noch B auseinander.«
»Ruhig da, Leute, ruhig!«
»Was die Schafe sich hier leisten wollen, und der Wolf lauert schon.«
»Diese Maulhelden, sie werden sicher ein neues Unglück für das Dorf herabschreien!« riefen sie, einander überschreiend, so daß ein arger Lärm entstand; jeder wollte das Seine beweisen und versuchte den anderen zu überreden; sie wurden immer hitziger, zerteilten sich in Haufen, und Streit und Widerreden erklangen von allen Seiten. Am lautesten von allen schrien Gschelas Anhänger und gingen am wütendsten gegen die Schule an. Vergeblich versuchten der Schulze, der Müller und die Bauern der benachbarten Dörfer ihnen die Sache klar zu machen, baten und suchten sie mit Gott weiß was für Möglichkeiten zu schrecken: der größte Teil geriet in immer ärgere Wut und schrie immer dreister alles heraus, was ihm nur auf die Zunge kam.
Der Natschalnik saß inzwischen da, als hörte er nichts, flüsterte dem Schreiber etwas zu und ließ sie sich nach Herzenslust ausreden; und als ihm nun schien, daß es genug von diesem nutzlosen Gerede wäre, ließ er den Schulzen klingeln.
»Still da! Still! Zuhören!« versuchten die Schultheiße die Menge zu beruhigen.
Aber ehe es noch ganz still wurde, erklang die befehlende Stimme des Natschalniks:
»Die Schule muß kommen, versteht ihr! Ihr habt zu gehorchen und zu tun, was man euch befiehlt!«
Seine Stimme war streng, aber sie ließen sich nicht einschüchtern, und der alte Klemb erwiderte:
»Wir befehlen niemandem, auf dem Kopf zu stehen, dann sollen sie uns auch die Freiheit lassen, uns zu bewegen, wie uns die Klumpen gewachsen sind.«
»Haltet das Maul! Ruhig, hundsverdammte Bande!« fluchte der Schulze, vergeblich die Glocke schwingend.
»Was ich gesagt habe, das will ich auch wiederholen, daß man in unserer Schule auch in unserer Sprache lehren soll.«
»Karpenko! Iwanow!« brüllte der Natschalnik, sich an die Gendarmen wendend, die mitten im Gedränge standen; aber die Bauern hatten sie in einem Nu umzingelt, und jemand zischte ihnen zu:
»Versucht nur einen von uns anzufassen ... wir sind hier über dreihundert Mann ... merkt euch das ...«
Im selben Augenblick noch traten sie auseinander, ihnen eine freie Gasse lassend; dann drängte sich die ganze Masse mit wütendem Lärm ihnen nach auf den Natschalnik zu; sie fuchtelten mit den Fäusten, schimpften und standen mit keuchendem Atem da, und hin und wieder konnte man einen aus der Menge seine Meinung rufen hören:
»Jedes Tier hat seine Stimme, nur uns befiehlt man, ein fremde zu haben!«
»Und immerfort nichts als Befehle, und der Bauer kann gehorchen, zahlen und noch zum Dank die Mütze abnehmen.«
»Bald braucht man noch die Erlaubnis, um hinter die Scheune zu gehen.«
»Wenn sie so mächtig sind, dann laß sie mal gleich die Schweine wie die Lerchen singen,« rief Antek aus; ein Gelächter erscholl, und alsogleich begann er noch lauter zu rufen:
»Die sollen uns hier mal eine Gans wie einen Ochsen brüllen lassen. Dann werden wir ihnen gleich ihre Schule bewilligen.«
»Sie befehlen uns, Steuern zu zahlen, das tun wir; sie befehlen uns, Rekruten zu geben, das tun wir; aber davon, da sollen sie die Finger lassen ...«
»Seid man still, Klemb! Der allergnädigste Zar hat uns die Verfassung gegeben und darin steht deutlich, daß man in den Schulen und Gerichten polnisch reden soll. Das hat der Zar selbst befohlen; dann wollen wir auch so tun wie er will!« schrie Antek.
»Was bist du für einer?« fragte der Natschalnik, seine Augen in ihn bohrend.
Antek erbebte, sagte aber unerschrocken, auf die Papiere weisend, die auf dem Tisch lagen:
»Da steht es geschrieben. Eine Elster hat mich nicht verloren,« gab er dreist hinzu.
Der Natschalnik sprach etwas mit dem Schreiber, und dieser verkündete bald darauf, daß Antony Boryna, als ein in Untersuchung Stehender, kein Recht habe, an der Gemeindeversammlung teilzunehmen.
Antek wurde ganz rot vor Wut, doch ehe er auch nur ein Wort sagen konnte, brüllte ihn der Natschalnik an:
»Scher' dich fort von hier!« Und mit den Augen gab er den Gendarmen ein Zeichen.
»Bewilligt nichts, Leute! Das Recht ist auf eurer Seite! Es kann euch nichts passieren!« rief Antek zum Schluß. Dann wandte er sich langsam dem Dorf zu, und sah sich ab und zu nach den Gendarmen um, wie ein Wolf, dem die Hunde auf der Spur sind, so daß sie immer weiter zurückblieben.
In der Menge wallte es plötzlich auf wie in einem Kessel; alle fingen auf einmal an zu schreien, zu räsonieren und sich miteinander wütend zu zanken, so daß man niemanden mehr verstehen konnte; nur Flüche, Drohungen und Spottrufe flogen wie Steine umher. Sie lärmten, als wären sie vom Bösen besessen; niemand konnte begreifen, woher und wie das alles so plötzlich gekommen war.
Sie stritten sich wegen der Schule, wegen Antek und zuletzt noch wegen des gestrigen Regens; der eine hielt seinem Nachbar den Schaden vor, den er vergangenes Jahr durch ihn gehabt hatte, dem anderen lief plötzlich die Galle über, und es entstand ein solches Durcheinander, ein solches Geschrei und eine solche Verwirrung, daß es schon schien, als würden sie einander jeden Augenblick in die Schöpfe oder an den Kragen fahren. Gschela versuchte Ruhe zu stiften, und auch andere mischten sich ein, aber sie waren nicht imstande, die aufgeregte Menge zu besänftigen. Der Schulze klingelte, daß ihm die Hände fast lahm wurden, und rief sie immer wieder zur Ordnung; doch nichts wollte nützen. Wie wütende Truthähne sprangen sie aufeinander zu, blind und taub für alles andere.
Erst als einer der Schultheiße mit einem Knüttel gegen eine leere Tonne zu schlagen begann, die unter der Dachtraufe stand, so daß es wie Trommelwirbel klang, kamen die Leute etwas zur Besinnung und fingen an, einander zu beschwichtigen.
Der Natschalnik aber, der vergeblich darauf wartete, daß sie sich beruhigen sollten, schrie auf einmal zornig los:
»Schweigt ihr da! Genug von diesen Beratschlagungen! Maul halten, wenn ich spreche. Die Schule werdet ihr bewilligen!«
Es wurde still, daß man eine Nadel hätte fallen hören können. Eine Angst war über alle gekommen, es überlief sie kalt, sie standen wie erstarrt da und sahen einander stumm und hilflos an; es kam ihnen gar nicht mehr in den Sinn, sich zu widersetzen, denn er stand drohend da und ließ seine Augen in die Runde gehen.
Darauf setzte er sich wieder, und der Schulze, der Müller und einige andere stürzten sich unter die Leute, um sie zum Gehorsam zu bewegen und ihnen Angst einzuflößen.
»Stimmt für die Schule, stimmt, stimmt! ...«
»Sonst nimmt es ein böses Ende. Ihr hört ja, was er sagt.«
Inzwischen ging der Schreiber die Anwesenden durch, so daß man immer wieder: »hier, hier« rufen hörte.
Nachdem man damit fertig war, stieg der Schulze auf den Stuhl und befahl:
»Wer für die Schule ist, soll auf die rechte Seite herübergehen und die Hand heben.«
Viele gingen herüber, aber die Mehrzahl blieb auf der Stelle stehen; der Natschalnik runzelte die Augenbrauen und befahl, sie sollten, damit die Abstimmung richtig vor sich ginge, unter Nennung des Namens stimmen.
Das besorgte Gschela sehr, denn er begriff wohl, daß sich keiner trauen würde, dagegen zu stimmen, wenn er einzeln seine Stimme abgeben sollte.
Aber es gab keinen Ausweg mehr. Der Gehilfe des Schreibers fing an, die Leute der Reihe nach an den Tisch heranzurufen, und der Schreiber machte bei dem Namen einen Strich, wenn er dafür war, oder ein Kreuz, wenn er dagegen stimmte.
Das dauerte ziemlich lange, denn es war eine Menge Menschen da, und schließlich verkündeten sie:
»Zweihundert Stimmen für die Schule und achtzig dagegen.«
Gschelas Anhänger erhoben ein lautes Geschrei.
»Nochmals stimmen! Das ist Betrug!«
»Ich habe nein gesagt, und der hat mir doch einen Strich gemacht!« rief einer und darauf behaupteten noch viele dasselbe, und die Hitzigeren riefen einander zu:
»Nicht zulassen, Leute, die Papiere zerreißen!«
Zum Glück fuhr in diesem Augenblick die Kutsche vom Herrenhof vor, so daß die Leute, ob sie wollten oder nicht, auseinandertreten mußten; der Natschalnik aber erklärte nach Durchsicht des Briefes, den ihm der Lakai überreicht hatte, feierlich:
»Das ist gut so, die Schule in Lipce wird gebaut.«
Natürlich traute sich keiner dagegen was zu sagen, sie standen wie eine Mauer und sahen ihn reglos an.
Er unterschrieb die Papiere, bestieg den Wagen und fuhr davon.
Sie grüßten ihn demütig; er sah sie nicht einmal mehr an und erwiderte nicht ihren Gruß. Er rief den Gendarmen etwas zu und ließ sodann den Wagen auf den Weg zum Herrenhof von Modlica abbiegen.
Sie blickten ihm eine Weile schweigend nach, bis einer von Gschelas Partei sagte:
»Dieses Lämmlein, sanft, daß man ihn an eine Wunde legen möchte, und ehe du dich dessen versehen hast, packt er wie ein Wolf zu und tritt auf dir herum.«
»Womit sollte man denn sonst die Dummen im Zaum halten, als mit Drohungen?«
Gschela seufzte nur, blickte in die Runde und sagte leise:
»Das haben wir heute verspielt, da ist nichts mehr zu machen, das Volk ist noch nicht gewohnt, Widerstand zu leisten.«
»Es ist noch viel zu ängstlich, da gewöhnt es sich auch nicht so leicht daran!«
»So ein Mensch, der achtet das Gesetz selbst für nichts.«
»Das versteht sich, das Gesetz haben sie doch für uns geschrieben, nicht für sich.«
Ein Bauer aus Pschylenka trat heran und beklagte sich bei Gschela.
»Ich wollte ebenso stimmen wie ihr, aber wie er mich mit seinem Blick durchbohrt hat, da hab' ich rein meine Zunge nicht mehr regen können, und der Schreiber hat mich vorgemerkt, wie es ihm gerade gepaßt hat.«
»Bei der Sache ist so viel Betrug gewesen, daß man wirklich Klage gegen den Beschluß erheben könnte.«
»Kommt mit nach der Schenke rüber! Der Teufel soll das alles holen!« fluchte Mathias los, und sich gegen die Menge wendend, rief er laut: »Wißt ihr, Leute, was euch der Natschalnik vergessen hat zu sagen? Daß ihr nichts weiter als Schöpse und dumme Hunde seid. Ihr werdet schon gut für diesen Gehorsam bezahlen; aber laß sie euch schinden, wenn ihr so dumm seid!«
Sie versuchten sich zu rechtfertigen, und einer fing selbst an, auf ihn zu schimpfen, aber sie verstummten plötzlich, denn ein Judenwagen fuhr vorüber; der Jascho vom Organisten saß darin.
Die Leute aus Lipce umringten ihn, und Gschela erzählte ihm, was geschehen war. Jascho hörte aufmerksam zu, sprach dann über dieses und jenes und befahl, weiterzufahren.
Die Bauern aber gingen gemeinsam in die Schenke. Als sie bei der zweiten Runde angelangt waren, brüllte Mathias:
»Und ich will es euch sagen, an allem sind der Schulze und der Müller schuld.«
»Das ist wahr, sie haben am meisten zugeredet und einem Angst gemacht,« bekräftigte Stacho Ploschka.
»Und der Natschalnik hat gedroht, als ob er schon was über Rochus wüßte,« flüsterte einer.
»Wenn er es noch nicht weiß, dann werden sie es ihm schon sagen. Es finden sich immer solche!«
»Wo sind denn die Gendarmen?« fragte Gschela beunruhigt.
»Die sind scheinbar nach Lipce zu gegangen.«
Gschela stand einen Augenblick unschlüssig in der Schenke herum und ging, ehe sie sich versahen, hinaus; dann schlug er, ab und zu eifrig umspähend, den Richtweg ein, der über die Felder nach Lipce führte.