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InitialPlötzlich wandte er sich zur Tür, um ihr nachzurennen.

»Wohin denn da?« knurrte ihn die Mutter drohend an und versperrte ihm den Weg.

»Warum hast du sie hinausgejagt, wofür bloß? Daß sie gut zu mir war? Das ist ungerecht, das laß ich nicht zu! Was hat sie denn Schlechtes getan?« rief er erregt und versuchte sich den harten Händen der Mutter zu entwinden.

»Du setzt dich jetzt gleich hin, sonst rufe ich den Vater herbei ... Wofür? Das will ich dir gleich sagen: sollst doch Priester werden, und ich will nicht, daß du dir in meinem Haus eine Geliebte anschaffst, eine solche Schande will ich nicht erleben, daß die Leute auf dich mit den Fingern zeigen! Darum hab' ich sie hinausgejagt, verstehst du es nun?«

»Im Namen Gott des Vaters und des Sohnes! Was doch die Mutter sagt!« stöhnte er tief entrüstet hervor.

»Ich sage, was ich weiß! Natürlich wüßt' ich es, daß du mit ihr hier und da zusammentriffst, aber Gott soll bezeugen, daß ich keinen Verdacht gegen dich hatte! Ich dachte mir: da mein Sohn das Priesterkleid trägt, so wird er sich niemals erdreisten, es zu beflecken! Ich würde dich ja in alle Ewigkeiten verfluchen, dich aus meinem Herzen ganz ausreißen und sollte es darob in Stücke gehen!« Ihre blitzenden Augen waren voll einer solchen heiligen Empörung und Unerbittlichkeit, daß Jascho vor Angst erstarrte. »Die Kosiol hat mir die Augen geöffnet, und jetzt hab' ich es selbst sehen können, wozu dich diese Hündin bringen wollte ...«

Er fing an zu weinen und gab ihr unter Schluchzen so offen über sein Zusammentreffen mit Jaguscha Auskunft, daß sie ihm vollends Glauben schenkte; und nachdem sie ihn umarmt hatte, begann sie ihm die Tränen aus dem Gesicht abzuwischen und ihn zu beruhigen.

»Wundere dich nicht, daß ich wegen dir Angst gekriegt habe, denn die ist doch der schlimmste Rumtreiber im ganzen Dorf.«

»Jaguscha! Die Schlimmste im Dorf!« Er wollte seinen Ohren nicht glauben.

»Ich muß mich rein schämen, aber zu deinem Besten will ich dir alles sagen.«

Und sie erzählte ihm verschiedene Geschichten, dabei allerhand Klatsch und Erfundenes zulegend.

Dem Jascho sträubten sich die Haare; er sprang auf und rief:

»Das ist nicht wahr! Daran werd' ich nie glauben, daß die Jaguscha so niederträchtig ist, niemals ...«

»Die Mutter sagt es dir, verstehst du! Aus dem Finger hab' ich mir die Geschichten nicht herausgesogen.«

»Das ist Klatsch, nichts als Klatsch! Das wäre doch furchtbar!« Er rang verzweifelt die Hände.

»Warum verteidigst du sie denn so heiß, was?«

»Ich verteidige jeden, der unschuldig ist, jeden.«

»Du bist ein dummes Schaf!« Sie wurde wieder wütend denn sein Unglauben hatte sie verletzt.

»Wie die Mutter glaubt. Aber wenn die Jaguscha eine solche Schlechte ist, warum läßt denn die Mutter zu, daß sie zu uns kommt?« Er wurde rot wie ein junger Hahn.

»Ich werde mich nicht vor dir entschuldigen, wenn du einmal so dumm bist und nichts verstehst, aber das sag' ich dir: halt' du dich von ihr fern, sonst werd' ich ihr, wenn ich euch irgendwo zusammen treffe, solche Prügel verabreichen, mag auch das ganze Dorf dabei sein, daß sie an mich einen ganzen russischen Monat Ein russischer Monat: der russische Kalender unterscheidet sich von römisch-katholischen und westeuropäischen um 13 Tage. In der angeführten Redensart soll es bedeuten, daß die Folgen einer Prügelei mehr wie einen Monat, einen langen Monat, einen »russischen« Monat anhalten sollen. denken soll. Und du kannst auch noch dabei dein Teil abkriegen.«

Sie ging hinaus und warf die Tür laut hinter sich zu.

Jascho aber, ohne recht zu verstehen, warum er sich so um den guten Ruf von Jaguscha sorgte, käute die mütterlichen Worte wie stachelige Disteln wieder; er würgte immerzu daran, und seine Seele war voll Bitterkeit.

»So eine also bist du, Jagusch! so eine?« klagte er vorwurfsvoll vor sich hin; und wäre sie in diesem Augenblick erschienen, hätte er sich von ihr zornig und verächtlich abgewandt. Hätte er so etwas auch nur denken können? Nicht einmal in den Sinn waren ihm solche schrecklichen Gedanken gekommen. Er durchdachte sie aber jetzt mit immer größerer Qual, und immer wieder wollte er aufspringen, um zu ihr zulaufen. Aug' in Auge vor sie hinzutreten und ihr das ganze Sündenregister ins Gesicht zu schleudern ... »Mag sie hören, was man über sie redet und laß sie es verneinen, wenn sie es kann ... Laß sie laut sagen: es sei nicht wahr!« grübelte er erregt, aber immer sicherer glaubte er an ihre Unschuld. Ein Bedauern ergriff ihn, eine stille Sehnsucht wachte in ihm auf, süßes und seliges Erinnern an einzelne Begegnungen wurde lebendig, und ein sonniger Schimmer unerklärlicher Lust umflorte ihm die Augen und legte sich wie eine süße Qual auf seine Seele, so daß er plötzlich aufsprang und laut vor sich hinsprach, als wollte er es vor der ganzen Welt beteuern:

»Nicht wahr! Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr!«

Beim Abendessen starrte er eigensinnig auf seinen Teller und wich den mütterlichen Blicken aus; obgleich von Agathes Tod geredet wurde, mischte er sich nicht ins Gespräch, hatte immerzu etwas auszusetzen, mäkelte an dem Essen herum, ärgerte die Schwestern und klagte über die Hitze in der Stube; und kaum daß sie das Essen abgeräumt hatten, ging er in der Richtung des Pfarrhofes davon.

Der Pfarrer saß auf der Veranda mit der Pfeife im Mund und beredete etwas mit Ambrosius; er machte einen weiten Bogen um die beiden herum, und unter den Bäumen des Pfarrgartens auf und ab gehend, versank er in bedrücktes Nachsinnen.

»Vielleicht ist es auch wahr! Die Mutter hätte sich das doch nicht ausgesonnen.«

Aus den Fenstern des Pfarrhauses ergossen sich lange Streifen über den Rasenplatz, auf dem sich die Hunde balgten, miteinander freundschaftlich herumknurrend, und von der Veranda erklang eine tiefe Stimme:

»Hast du die Gerste in der Schweinekuhle besehen?«

»Das Stroh ist noch etwas grün, aber das Korn ist trocken wie Pfeffer.«

»Du mußt morgen mal die Meßgewänder lüften, sie werden sonst ganz schimmlicht. Das Chorhemd kannst du nach der Dominikbäuerin tragen, Jaguscha kann es auswaschen. Und wer ist denn heute nachmittag mit einer Kuh dagewesen?«

»Einer aus Modlica. Der Müller ist ihm auf der Brücke begegnet und wollte ihn zu seinem Bullen überreden; er hat ihm selbst versprochen, umsonst die Kuh decken zu lassen, aber der Bauer hat doch unseren Bullen vorgezogen.«

»Der hat seinen Verstand auf dem richtigen Fleck, für einen Rubel hat er für das ganze Leben einen Profit; wird doch mindestens rechte Kühe kriegen. Weißt du denn, werden die Klembs für die Agathe ein Begräbnis zahlen?«

»Versteht sich, sie hat doch ganze zehn Silberlinge hinterlassen.«

»Da können wir sie ja mit Pomp wie eine Hofbäuerin begraben. Und sage den von der Brüderschaft, daß ich ihnen Wachs verkaufen kann, laß sie sich noch gebleichten hinzukaufen. Morgen kann der Michael in der Kirche helfen, und du gehst mit den Erntearbeitern ins Feld: das Barometer ist etwas unsicher, es kann ein Gewitter kommen! ... Wann sammelt sich denn der Pilgerzug nach Tschenstochau?«

»Sie haben für Donnerstag eine Frühmesse bestellt, nach der werden sie wohl aufbrechen ...«

Jascho ärgerte diese Unterhaltung; er entfernte sich noch mehr von ihnen und kam bis an den niedrigen geflochtenen Zaun, der den Obstgarten von dem Bienengarten trennte. Hier wandelte er auf einem schmalen unkrautüberwucherten Fußsteg auf und ab und streifte im Gehen hin und wieder an schwer herabhangende Äste von Apfelbäumen.

Der Abend war warm und schwül, es duftete nach Honig und nach frisch gemähtem Roggen, der in Schwaden auf einem Feld gleich hinter dem Garten lag; die Luft war drückend, die geweißten Stämme schimmerten in der Dunkelheit wie zum Trocknen ausgehängte Hemden; irgendwo vom Weiher her hörte man ein giftiges Hundegegeifer, und von den Klembs herüber drangen hin und wieder Totenlieder und Wehklagen.

Durch seine Grübeleien ganz ermattet, wollte sich Jascho nach Hause begeben, als ein gedämpftes und heißes Geflüster, das vom Bienengarten kam, sein Ohr traf.

Er konnte niemanden sehen, doch blieb er stehen und horchte mit verhaltenem Atem.

»Daß dich ... laß mich doch los, laß doch ... sonst schrei' ich! ...«

»Was hast du denn, Dumme? Ich tu' dir doch kein Unrecht...«

»Es wird noch einer was hören. Mein Gott, du wirst mir noch die Rippen eindrücken ... laß mich doch ...«

Der Pjetrek vom Borynahof und die Maryna vom Pfarrhof! Er erkannte ihre Stimmen und wandte sich lächelnd weg; doch nachdem er ein paar Schritte gegangen war, kehrte er auf die alte Stelle zurück und horchte mit wild klopfendem Herzen. Dichte Büsche und nächtliches Dunkel verbargen sie ganz, es war gar nicht möglich, etwas zu unterscheiden, aber immer deutlicher hörte er die kurzen, abgerissenen, wie glutgeschwängerten Worte, die wie Flammen hervorzüngelten, und dann wieder vernahm man nichts als keuchende, erregte Atemzüge und das lautlose Ringen zweier Menschen.

»... Ganz eine solche, wie sie die Jaguscha hat, du wirst es sehen ... aber du mußt doch nicht so sein, Marysch ...«

»... Als wenn ich dir das gleich glauben wollte ... so eine bin ich nicht ... Mein Gott, laß mich doch Atem schöpfen ...«

Es raschelte plötzlich heftig im Gebüsch auf und etwas fiel schwer zu Boden; nach einer Weile erklang wieder ein abgerissenes, leidenschaftliches Geflüster, leises Lachen und Küsse.

»... ich kann schon gar nicht mehr schlafen, Marysch ... immerzu tu ich an dich denken ... meine Einzige ...«

»Das sagst du jeder ... ich hab' auf dich bis Mitternacht gewartet, du bist wohl bei einer anderen gewesen ...«

Jascho war es plötzlich, als könnte er nichts mehr hören, er bebte wie Espenlaub. Ein Lufthauch strich über den Garten, die Baume bewegten sich etwas, flüsterten ganz leise wie schlaftrunken auf, und aus dem Bienengarten kamen solche süße Düfte, daß ihm der Atem stockte und die Augen sich mit Tränen füllten. Eine zuckende Glut und etwas unendlich Liebes begann ihn zu bedrangen, so daß er hin und wieder die Glieder reckte und aufseufzen mußte.

»... die geht mich so viel an, wie diese Sterne da ... den Jascho hat sie sich jetzt 'rangeholt ...«

Er kam plötzlich wieder zu sich, preßte sich gegen den Zaun und horchte mit immer stärkerem Zittern.

»... das ist wahr ... jede Nacht geht sie zu ihm heraus ... Die Kosiol hat sie doch im Wald ertappt ...«

Die ganze Welt begann sich um ihn herum zu drehen, es wurde ihm vor den Augen dunkel, er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, und aus dem Dickicht klang erregend das Schmatzen der Küsse, Gekicher und leises Flüstern.

»... sonst werd' ich dir mit heißem Wasser den Kopf verbrühen, wie einem Hund.«

»... nur dieses eine einzige Mal, Schatz ... ich tu dir doch nichts an, du wirst es schon sehen.«

»Pjetrusch, oh Gott, Pjetrusch!«

Jascho taumelte zurück und rannte eiligst davon. Sein Priesterrock blieb immer wieder an den Büschen hängen ... er stürzte mit glühendem Gesicht, schweißgebadet und wie im Fieber ins Haus. Zum Glück bemerkte ihn niemand. Die Mutter saß am Herd mit einem Spinnrocken und spann, leise das Abendgebet: »Alle unsere Tagesmühen« vor sich hinsummend, und allmählich fielen die dünnen Stimmlein der Schwestern ein, und die tiefe Stimme von Michael, der die Kirchenleuchter putzte, gesellte sich ihnen bei; der Vater schlief schon.

Jascho verschloß die Tür seines Zimmers und setzte sich ans Brevier, aber was half es, daß er die lateinischen Worte eigensinnig wiederholte: er hörte doch immer nur wieder jenes Geflüster und jene Küsse, so daß er schließlich die Stirn gegen das Buch aufstützte und sich willenlos seinen Gedanken hingab, die wie glühende Winde dahinbrausten.

»So ist das also?« sann er mit immer größerem Grauen, und ein dennoch angenehmer Schauer überrieselte ihn. »So ist das!« wiederholte er plötzlich ganz laut, und um sich von dem verhaßten Gedanken zu befreien, nahm er das Brevier unter den Arm und ging zu der Mutter hinüber.

»Ich geh' jetzt, um bei Agathes Leiche zu beten,« sagte er mit leiser, demütiger Stimme.

»Geh' du nur, mein Sohn, ich komme später und hole dich! ...« Sie sah ihn sehr gnädig an.

Bei den Klembs war fast kein Mensch mehr in der Stube, nur der Ambrosius murmelte seine Gebete, an der Bahre der Toten sitzend, die mit einem Leichentuch überdeckt dalag; auf der Bettlehne glimmte die in einen kleinen Topf gesteckte Totenkerze, durch die offenstehenden Fenster sahen mit Äpfeln behangene Zweige in die Stube hinein, die sternenfunkelnde Nacht breitete sich still aus, und hin und wieder steckte ein spät Heimkehrender sein erstauntes Gesicht herein; vom Flur her klang immer wieder das Knurren der Hunde.

Jascho kniete im Lichtschein der Kerze nieder und hatte sich so in sein Gebet vertieft, daß er gar nicht merkte, daß Ambrosius nach Hause gehumpelt war, die Klembs sich irgendwo im Garten schlafen gelegt hatten und die Hähne zum erstenmal zu krähen anfingen. Zum Glück hatte ihn die Mutter nicht vergessen und ihn endlich heimgeholt.

Doch der Schlaf wollte ihm diese Nacht gar nicht kommen, denn kaum daß er einzunicken begann, erschien ihm Jaguscha, als stände sie leibhaftig vor ihm, er sprang vom Lager auf, rieb sich die Augen und sah sich erschrocken um. Natürlich war niemand da, das ganze Haus lag im tiefen Schlaf, und vom Nebenzimmer klang das Schnarchen des Vaters zu ihm herüber.

»Sie hat also vielleicht nur darum ...« Er versank in Nachsinnen und dachte an ihre heißen Küsse, an ihre leuchtenden Augen und die zitternde Stimme. »Und ich habe gedacht! ...« Er erbebte vor Scham, sprang aus dem Bett, öffnete das Fenster und verbrachte die Zeit bis zum Tagesanbruch in Grübeleien, voll Reue über die Versuchungen, denen er unwillkürlich erlegen war.

Des Morgens aber, wahrend der Messe, wagte er nicht einmal seine Augen auf die Leute zu heben, oder sich in der Kirche umzusehen, um so heißer aber betete er für Jaguscha, denn er glaubte jetzt schon ganz an ihre großen Sünden; nur war es ihm unmöglich, in seinem Herzen des Gefühl des Zornes und des Abscheus für sie zu erwecken.

»Was fehlt dir? Du hast ja geseufzt, daß fast die Kerzen auf dem Altar erloschen wären!« fragte ihn der Pfarrer in der Sakristei.

»Der Priesterrock drückt mich so!« klagte er, sein Gesicht rasch abwendend.

»Wenn du dich daran gewöhnst, dann wirst du ihn wie eine zweite Haut tragen.«

Jascho küßte ihm die Hand und wandte sich nach Hause zum Frühstück. Er ging im Schatten am Weiher entlang, denn die Sonne brannte schon ganz unerträglich; plötzlich begegnete er der Maryna vom Pfarrhof, sie zog die blinde Stute an der Mähne vorwärts und sang laut vor sich hin.

Die Erinnerung stach ihn plötzlich wie mit einer langen Nadel; er trat ärgerlich auf sie zu.

»Und warum freut sich denn die Maryscha so?« Er sah sie halb schamhaft, halb neugierig an.

»Weil ich froh bin!« lachte sie. Ihre Zähne blitzten auf, sie zerrte das Pferd weiter und sang noch lauter.

»Nach dem Gestrigen ist sie so lustig!« Er wandte sich rasch ab, denn unter dem geschürzten Rock des Mädchens blitzten die nackten Waden hell auf; er breitete seine Arme ratlos aus und trat bei den Klembs ein. Agathe lag schon im vollen Prunk mitten in der Stube; man hatte ihr ihre Festtagskleider umgetan, die Haube mit dem reichen Faltengekräusel über der Stirn aufgesetzt, ihr die Perlen um den Hals gelegt und die Schuhe, die mit roten Litzen verschnürt waren, über die Füße gezogen. Ihr Gesicht sah aus, als wäre es aus gebleichtem Wachs gegossen, es hatte einen seltsam heiteren Ausdruck, und zwischen den steifen Fingern steckte schräg ein Heiligenbildchen; zwei Kerzen brannten ihr zu Häupten. Gusche verscheuchte mit einem großen Zweig die Fliegen, die um sie summten, und der Wacholderrauch schlängelte sich vom Herd herüber durch die ganze Stube. Immer wieder trat jemand ein, um ein Gebet für die Tote zu sprechen, und ein paar Kinder machten sich in der Stube zu schaffen.

Jascho sah sich etwas beängstigt in dem dämmerigen alten Haus um.

»Die Klembs sind nach der Stadt gefahren,« sagte Gusche mit gedämpfter Stimme. Sie hat ihnen genug für die Beerdigung hinterlassen, da müssen sie sich ein nobles Begräbnis leisten, es ist doch eine Verwandte! Die Überführung der Leiche ist abends, weil Mathias mit dem Sarg noch nicht fertig ist.«

Die Luft war schwül in der Stube, und das gelbe, unbewegliche Gesicht der Toten, das in einem Lächeln erstarrt war, erfüllte ihn mit Grauen; so bekreuzigte er sich nur, trat hinaus und stieß Nase an Nase mit Jaguscha zusammen. Sie kam mit der Mutter vorbei, und als sie ihn sah, blieb sie stehen; doch er ging vorbei, ohne selbst Gott zum Gruß angeboten zu haben. Erst im Heckenweg sah er sich nach ihr um; sie stand unbeweglich da und starrte ihm mit traurigen Augen nach.

Als er zu Hause angelangt war, schob er das Frühstuck beiseite und klagte über starke Kopfschmerzen.

»Geh' doch etwas spazieren, vielleicht wird es dann aufhören,« riet ihm die Mutter.

»Wohin soll ich denn gehen? Damit die Mutter sich dann Gott weiß was denkt.«

»Was redest du bloß, Jascho!«

»Die Mutter läßt mich doch nicht aus dem Haus gehen! Die Mutter verbietet mir ja, mich mit den Menschen zu unterhalten ... Ich kann doch nicht ...« versuchte er sich in seiner gereizten Stimmung an ihr zu rächen. Das Ende war, daß sie ihm den Kopf mit einem essigbesprengten Tuch umbinden mußte und ihn im verdunkelten Zimmer zu Bett legte; die Kinder jagte sie weiter in den Hof hinein und wachte über ihn wie eine Glucke, bis er ordentlich ausgeschlafen und darauf gehörig gegessen hatte.

»Und jetzt geh' etwas an die Luft, auf den Pappelweg, da ist es im Schatten kühler.« Er entgegnete nichts, doch da er fühlte, daß die Mutter ihm eifrig nachsah, wandte er sich ihr zum Trotz nach einer anderen Richtung hin; er schlenderte im Dorf herum, sah den Schmiedsknechten zu, die mit ihren Hämmern laut auf den Amboß schlugen, sah in die Mühle ein, trieb sich in der Nähe der Gemüsebeete und der Flachsfelder herum, überall wo nur rote Frauenkleidung zu sehen war, saß eine Weile bei Herrn Jacek, der Veronkas Kühe an einem Feldrain hütete, trank bei den Schymeks am Wald Milch und kehrte erst in der Dämmerung nach Hause, ohne Jaguscha getroffen zu haben.

Er sah sie erst am nächsten Tag bei Agathes Begräbnis, sie starrte ihn während des ganzen Gottesdienstes dermaßen an, daß sich ihm die Buchstaben vor den Augen zu verwirren begannen und er immer wieder sich im Singen irrte; und als man die Leiche nach dem Friedhof trug, ging sie dicht neben ihm, ohne sich um die drohenden Blicke der Organistin zu kümmern. Er hörte ihre kläglichen Seufzer, und sein Groll zerrann wie Schnee im Frühlingssonnenschein.

Während man den Sarg in den Boden versenkte, erhob sich lautes Weinen ringsumher, er hörte auch ihr Schluchzen; doch er begriff, daß sie nicht wegen der Toten so weinte, sondern daß es die schwere Qual einer verletzten Seele war, der man unrecht getan hatte.

»Ich muß mit ihr sprechen,« beschloß er auf dem Rückweg von der Beerdigung, doch er konnte nicht so schnell wie er wollte loskommen, da gleich von Mittag an Leute aus entlegenen Dörfern und selbst aus andern Kirchspielen, die alle am nächsten Morgen sich am Pilgerzug nach Tschenstochau beteiligen wollten, in Lipce einzutreffen begannen. Der Zug sollte ganz früh nach einer feierlichen Messe das Dorf verlassen; so kamen denn allerhand Wagen bedächtig herangezuckelt und füllten die Wege am Weiher mit lautem Stimmengewirr. Viele kamen auch auf den Pfarrhof, und Jascho mußte da so lange bleiben und für den Pfarrer allerhand Angelegenheiten erledigen; erst als es schon gegen Abend ging, hatte er sich einen geeigneten Augenblick ausersehen, nahm ein Buch mit und schlüpfte auf einen Feldrain, der hinter den Scheunen auf einen Birnbaum zulief, unter dem er schon manches Mal mit Jaguscha gesessen hatte.

Natürlich rührte er das Buch nicht einmal an, schleuderte es irgendwohin ins Gras, und nachdem er sich umgesehen hatte, sprang er ins Getreidefeld, um geduckt, fast auf allen vieren, sich bis an den Hof der Dominikbäuerin heranzuschleichen.

Jaguscha war gerade auf dem Kartoffelacker beschäftigt und ahnte nicht einmal, daß sie belauscht wurde, denn sie dehnte sich hin und wieder etwas träge, und, auf die Hacke gelehnt, sah sie wehmütig in die Weite und seufzte tief auf.

»Jaguscha!« rief er etwas ängstlich zu ihr hinüber.

Sie wurde blaß wie ein weißes Leinentuch und blieb wie erstarrt stehen, kaum ihren Augen trauend; ihr Atem stockte und etwas schnürte ihr die Brust zusammen, aber sie starrte auf ihn wie auf ein wundersames Gesicht, und ein süßes Lächeln erblühte um ihre dunkelrot gewordenen Lippen, flammte auf und strahlte wie Sonnenschein von ihr aus.

Auch Jascho leuchteten die Augen auf, und eine süße Wohligkeit nahm sein Herz gefangen, doch er beherrschte sich noch und schwieg; er hatte sich auf den Acker niedergesetzt und sah sie mit einem plötzlichen Wohlgefallen an.

»Ich hab' schon gefürchtet, daß ich den Herrn Jascho nie mehr wiedersehen sollte ...«

Die Worte kamen über ihn wie ein duftgeschwellter Luftzug vom frischen Wiesenland; er beugte den Kopf, denn der Klang dieser Stimme hatte ihn mit unbegreiflicher Glückseligkeit erfüllt.

»Und vor den Klembs gestern, da hat mich der Herr Jascho nicht einmal angesehen ...«

Sie stand erglüht vor ihm wie ein Rosenstrauch, wie ein Apfelblütenbaum in der Glut ihrer Sehnsucht und wundersam wie ein Märchen.

»Gott, bald wäre mir das Herz gebrochen! Den Verstand hätt' ich bald verloren.«

Tränen blitzten an ihren Wimpern auf, wie mit Diamanten das Himmelsblau ihrer Augen verschleiernd.

»Jaguscha!« kam es ihm plötzlich ganz aus den tiefsten Tiefen des Herzens.

Sie kniete in der Ackerfurche nieder, sich an seine Knie heranschiebend und verschlang ihn mit ihren abgrundtiefen, glühenden Blicken, mit Augen, die wie der blaue, unergründliche Himmel selbst waren, mit berauschenden Augen, die wie Küsse, wie Liebkosungen geliebter Hände waren, mit Augen der Versuchung und kindlicher Unschuld zugleich.

Er erschauerte, und als wollte er sich gegen den Zauber wehren, fing er an, ihr streng alle ihre Sünden vorzuhalten, alles was ihm die Mutter gesagt hatte. Sie trank jedes seiner Worte in sich, ohne die Blicke von ihm zu lassen, sie konnte aber kaum was verstehen, sie wußte nur eins, daß vor ihr ihr über alles Geliebter säße, daß er etwas erzählte, daß seine Augen leuchteten und sie vor ihm kniete wie vor einem Heiligtum und voll unermeßlicher Liebesmacht ihn anbetete.

»Sag' doch, Jagusch, daß das alles nicht wahr ist, sag' es doch!« drängte er flehentlich.

»Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr!« bejahte sie mit einer solchen Offenherzigkeit, daß er ihr sofort glaubte, sofort glauben mußte. Sie aber stützte ihre Brust gegen seine Knie, und in seinen Augen versunken, beichtete sie ihm ganz leise ihre Liebe. Wie auf der heiligen Beichte öffnete sie weit ihre Seele vor ihm, warf sie ihm zu Füßen wie ein hilfloses Vögelchen und gab sich voll heißer Hingabe seiner Gnade und seinem Willen hin.

Jascho erzitterte wie ein Blatt, das vom Sturm ergriffen wird, er wollte sie zurückstoßen und von ihr fliehen, aber er flüsterte nur mit einer besinnungslosen, schwachen Stimme:

»Still, Jagusch! Das darf man nicht, das ist Sünde, still!«

Bis sie schließlich ganz entkräftet schwieg ... Sie sprachen nun beide nicht mehr, einander mit den Blicken ausweichend und sich doch aneinander drängend, so daß sie das Klopfen ihrer eigenen Herzen hörten und ihre leisen, heißen Atemzüge fühlten; es war ihnen wunderbar wohl und so froh zumute, daß die Tränen von selbst über ihre erblaßten Wangen flossen. Ihre roten Lippen aber schienen einander anzulachen, und die Seelen waren wie in der Zeit der Erhebung des heiligen Sakraments in eine heilige, heimlich strahlende Stille getaucht und stiegen höher und höher über die Welt hinaus.

Die Sonne war schon untergegangen, die Erde, von der Abendglut umflossen, war wie in goldig schimmernden Tau getaucht, alles verstummte rings, hielt den Atem an und erstarb, dem Glockengeläut lauschend, das zum Ave klang, und alles war wie in ein tiefes Dankgebet für den empfangenen Tag versunken. Sie wandten sich nach den Feldern, die im glühenden Staubdunst der Abendröte lagen, gingen über Feldraine, die voll Blumen waren, mitten durch reife Kornfelder und streiften mit den lässig herabhängenden Händen die sich zu ihren Knien niederbeugenden Ähren; sie gingen ganz in den Glanz der Abendröte starrend, in die breiten, goldenen Himmelsabgründe, und sie hatten selber den Himmel in ihrer Seele, und um ihre Köpfe wob sich das Licht wie ein goldener Heiligenschein.

Es war als ob ein Hochamt in ihrem Inneren abgehalten wurde, so voll heiliger Andacht waren sie; ihre Seelen knieten in einer Verzückung, und ihre himmelsversunkenen Herzen sangen von der Gnade, die ihnen allein offenbar geworden war in dieser Stunde des Lebens.

Sie redeten kein Wort mehr zueinander, nur ihre Blicke kreuzten sich immer wieder wie aufleuchtende Blitze und waren ganz von ihrer eigenen Glut erfüllt und ihrer selbst schon kaum mehr bewußt.

Es war ihnen gar nicht recht klar, daß sie eigentlich ein Lied zu singen begonnen hatten, das ihnen ganz von selbst aus ihrer Seele entstiegen war, um wie ein jubilierender Vogel weit über die dämmerigen Felder hinauszufliegen.

Sie wußten selbst gar nicht einmal, wo sie waren, wohin sie gingen und was sie mit dieser Wanderung bezweckten; da fiel plötzlich eine harte, trockene Stimme über sie her; sie kam ganz aus der Nähe und unerwartet.

»Nach Hause, Jascho!«

Er ernüchterte sich in einem Nu; sie waren auf dem Pappelweg, und die Mutter stand dicht vor ihnen mit einem drohenden, unerbittlichen Gesicht. Er begann irgend etwas zu stottern und etwas Unverständliches vor sich hin zu murmeln.

»Du gehst mir auf der Stelle nach Hause!«

Sie griff ihn beim Arm und zog ihn wütend mit sich fort. Er ließ alles demütig mit sich geschehen und widersetzte sich nicht.

Jaguscha folgte ihnen wie gebannt nach, bis plötzlich die Organistin einen Stein vom Weg hob und ihn mit furchtbarem Haß nach ihr hin schleuderte.

»Fort, du! Geh in dein Hundehaus, du Hündin!« schrie sie ihr verächtlich zu.

Jaguscha sah sich um, ohne zu begreifen, worum es der anderen zu tun war, und als sie ihr entschwunden waren, trieb sie sich noch lange auf den Wegen herum; und nachdem sich alle im Hause schlafen gelegt hatten, saß sie vor dem Haus, bis der Tag graute.

Stunden vergingen. Es krähten die Hähne, am Weiher bei den Wagen der Pilger wieherten die Pferde, es tagte allmählich, das Dorf begann sich vom Schlaf zu erheben, man holte Wasser, trieb das Vieh auf die Weide, hier und da traten selbst schon einige hinaus, um zur Arbeit zu gehen, Frauen schwatzten, Kinder greinten; Jagna aber saß immer noch auf derselben Stelle und träumte mit offenen Augen von ihrem Jascho – daß sie mit ihm redete, daß sie sich ganz aus der Nähe in die Augen schauten und eine selige Glut sie überkam, daß sie irgendwohin gingen und etwas sangen, das sie gar nicht behalten konnte – das eine und immer nur das eine Einzige träumte sie.

Die Mutter erweckte sie aus diesen Märchenträumen, und vor allem auch Anna, die schon reisefertig gekommen war, und, wenn auch schüchtern, als erste die Hand zur Versöhnung darbot.

»Ich geh' nach Tschenstochau, vergebt mir darum, wenn ich gegen euch gefehlt habe.«

»Gott bezahl's euch, das gute Wort, aber Unrecht bleibt Unrecht!« knurrte die Alte.

»Rühren wir nicht daran! Ich bitt' euch aus aufrichtigem Herzen, daß ihr mir verzeihen wollt.«

»Einen Groll bewahr' ich nicht mehr gegen euch,« seufzte die Dominikbäuerin schwer auf.

»Ich auch nicht, obgleich ich viel dadurch gelitten habe!« sagte Jaguscha mit Nachdruck und ging fort, sich zur Kirche umzukleiden.

»Wißt ihr schon, daß der Jascho vom Organisten mit dem Pilgerzug geht?« ließ sich Anna nach einer Weile vernehmen.

Jaguscha, die diese Neuigkeit gehört hatte, kam halb angekleidet vors Haus gelaufen.

»Soeben hat es mir die Organistin selbst gesagt, daß er durchaus darauf bestanden hätte, nach Tschenstochau zu gehen! Es wird uns schon viel besser zumute sein, wenn wir mit einem kleinen Priester gehen können, und eine Ehre ist es für uns doch auch. Bleibt mit Gott!« Sie verabschiedete sich freundschaftlich und ging in der Richtung der Kirche davon, unterwegs die unerwartete Neuigkeit allen erzählend. Man wunderte sich allgemein darüber, Gusche aber schüttelte nur immerzu den Kopf und sagte vorsichtig:

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu, der wird wohl nicht aus freiem Willen gehen, nein ...«

Doch die Zeit war nicht dazu, sich darüber auszubreiten; das halbe Dorf hatte sich in der Kirche versammelt, wo der Priester eine Frühmesse für das gute Gelingen der Pilgerfahrt las.

Jascho versah, wie immer, den Meßdienst, er hatte aber heute ein etwas blasses Gesicht, auf dem ein schmerzlicher Zug zu sehen war, seine Augen waren schwarz umrändert und schimmerten wie von kläglich vergossenen Tränen, so daß er alles in der Kirche wie durch einen Nebel sah; er sah Therese mit flach ausgebreiteten Armen während der ganzen Messe auf dem Boden liegen, sah Jaguschas erschrockene Augen, die Mutter, die in der Bank der Gutsherrschaft saß und die zum heiligen Abendmahl herantretenden Pilger – wie durch einen Nebel schien er sie zu sehen, so verdunkelten ihm die Tränen, die er nur mit Mühe zurückhalten konnte, seine Blicke, so trüb war es ihm zumute; seine Seele war tieftraurig.

Der Pfarrer machte das Zeichen des Kreuzes über die Davonziehenden und besprengte und segnete sie. Man erhob die Fahne, das Kreuz blitzte an der Spitze des Zuges auf, jemand stimmte ein Lied an, und der Pilgerzug setzte sich in Bewegung.

Aus Lipce gingen: Anna, Maruscha Balcerek, die Klemb mit ihrer Tochter, Gschela mit dem schiefen Maul, Therese mit ihrem Mann, die beide gelobt hatten, während der ganzen Wanderung nichts Warmes zu sich zu nehmen, und noch ein paar Kätnerinnen; mit den Leuten aus den anderen Dörfern waren es zusammen an die hundert Menschen.

Das ganze Dorf gab ihnen das Geleit, und mit Gepäck beladene Wagen folgten ihnen nach. Trotz der frühen Stunde steigerte sich schon die Hitze recht empfindlich, die Sonne blendete, und der Staub wirbelte so stark unter den Füßen auf, daß sie wie in einer grauen drückenden Wolke dahinschritten.

Jaguscha ging mit ihrer Mutter zwischen den anderen in der Menge, sie sah furchtbar mitgenommen aus, bebte innerlich vor Kummer, und die Tränen der bittersten Verlassenheit niederkämpfend, starrte sie immerzu wie geblendet auf Jascho; natürlich mußte sie sich in einer ziemlichen Entfernung von ihm halten, denn die Organistin und die Geschwister verließen ihn nicht einen Augenblick; es war keine Möglichkeit, ihm etwas zu sagen, oder auch nur ihm vor die Augen zu treten.

Mathias redete sie an, die Mutter und andere noch sagten ihr was, aber sie wußte nichts, außer dem Einen, daß Jascho für immer fortginge, daß sie ihn nun nie und nimmer wiedersehen würde.

Am Kreuz beim Wald verabschiedeten sie sich von den Pilgern, die weiterzogen und singend sich immer mehr entfernten, bis sie ganz ihren Augen entschwunden waren und nur in sonnenheller Ferne der aufsteigende Staub ihren Weg bezeichnete.

»Warum denn das? Warum nur?« stöhnte sie und schleppte sich wie eine Tote hinter den ins Dorf Heimkehrenden drein.

»Ich falle hin und sterb'!« sann sie, und es war ihr, als nähme schon der Tod von ihr Besitz, so daß sie immer langsamer, immer schwerfälliger ging ... die Hitze, die Übermüdung, die furchtbare Seelenpein hatten ihr alle Kräfte geraubt.

Sie wartete voll heißen Verlangens auf die Stille der Nacht, aber auch die Nacht brachte ihr keine Erleichterung und keine Beruhigung. Sie machte sich bis zum Morgengrauen vor dem Haus zu schaffen, ging immer wieder auf die Dorfstraße, lief sogar bis an den Wald, nach dem Kreuz, wo sie zum letztenmal Jascho gesehen hatte, ihre vor Qual brennenden Augen suchten auf der breiten, sandigen Landstraße nach den Spuren seiner Schritte, nach dem Schatten seiner Gestalt, sie hätte jedes Erdklümpchen aufheben mögen das sein Fuß berührt hatte.

Nichts blieb ihr, nicht das geringste mehr, es gab kein Erbarmen und keine Rettung mehr für sie.

Schließlich versiegten ihr selbst die Tränen, die von Trauer und Verzweiflung stumpf gewordenen Augen waren wie tiefe Brunnen voll unergründlichen Leids.

Und manchmal nur beim Beten entriß sich ihren fieberheißen Lippen die Klage:

»Und warum denn das alles, mein Gott, warum?« ...


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