Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

InitialPjetrek, bring mal Holz her,« ließ sich Annas Stimme vor dem Haus vernehmen. Sie sah ganz zerzaust aus und war über und über mit Mehl bestäubt, denn sie kam vom Brotkneten. Im großen Backofen war ein tüchtiges Feuer angefacht; sie stocherte hin und wieder darin und lief dann wieder zu den Broten, um sie mit Mehl zu bestreuen und sie auf einer Holzplatte auf die Galerie hinauszutragen, damit sie in der Sonne schneller aufgingen; sie schaffte emsig, denn der Teig drohte schon, aus dem mit einem Federbett zugedeckten Backtrog herauszuquellen.

»Fine, wirf mal Holz nach, der Rost ist noch nicht glühend!«

Aber Fine war nicht da, und Pjetrek hatte es auch nicht eilig. Er lud im Hof Dünger auf und klopfte ihn, nachdem der Wagen hoch vollgeladen war, bedächtig fest, damit er unterwegs nicht abrutschen konnte; dabei unterhielt er sich mit dem blinden Bettler, der an der Scheune mit dem Drehen von Strohseilen beschäftigt war.

Die Nachmittagssonne brannte noch so, daß die Wände Harz schwitzten, der Boden unter den Füßen glühte und die Luft wie lebendiges Feuer war; man hatte kaum Lust, sich zu regen. Nur die Fliegen summten unermüdlich um den Wagen, und die Pferde rissen an den Strängen und schlugen sich fast die Beine wund, um sich gegen die Bisse der Bremsen zu schützen.

Über dem Hof hing eine schläfrige, drückende Hitze; die Luft war voll vom scharfen Düngergeruch, selbst die Vögel im Obstgarten waren verstummt, die Hühner lagen wie leblos im Sand eingewühlt da, und die Ferkel wälzten sich grunzend in den Pfützen am Brunnen. Plötzlich fing der Bettler an heftig zu niesen, denn vom Kuhstall kam ein verstärkter Düngergeruch.

»Wohl bekomm's, Väterchen!«

»Das weht hier nicht aus einem Weihrauchbecken, und wenn ich es auch schon gewohnt bin, so ist es mir doch ordentlich wie Schnupftabak in die Nase gestiegen.«

»Ist einer was gewohnt, dann bekommt es ihm auch!«

»So'n Dummer, der denkt, ich krieg' nichts anderes in der Welt zu riechen, als nur Mist! ...«

»Ich sag' das nur, weil es mir in den Sinn gekommen ist, was mir mein Vormann im Militär gesagt hat, als er mir beim Einüben zum erstenmal eins übers Maul gelangt hat ...«

»Und hast dich daran gewöhnt, was? Hihihi! ...«

»Hale, das wär' noch besser! Dieses Üben ist mir bald zuwider gewesen, so daß ich das Aas in irgendeiner Ecke mal zu fassen gekriegt habe; da hat er denn sein Maul zugerichtet bekommen, daß ihm sein Kopf wie ein Kürbis angeschwollen ist. Danach hat er mich nicht mehr angerührt ...«

»Hast du lange dienen müssen?«

»Ganze fünf Jahre! Man hatte kein Geld, um sich loszukaufen, da mußte ich mich denn mit dem Karabiner abschleppen. Das war aber nur zu Anfang so, solange ich noch dumm war, da hat jeder mit mir machen können, was er wollte, und Elend hab' ich genug zu fressen gekriegt; aber von den Kameraden hab' ich es bald gelernt, wie man's macht, und wenn uns was gefehlt hat, da haben wir es denen einfach heimlich abgedreht, oder ein Mädel, eine Sluschanka Sluschanka: russisch Dienstmädchen. Die im russischen Militär dienenden Polen durchmischen ihre Rede mit russischen Brocken. hat es gegeben, weil ich versprochen habe, daß ich sie heiraten will! Und was haben sie mich immer Kartoffelpeter geschimpft und sich über meine Aussprache und unser Gebet lustig gemacht! ...«

»Ah, diese pestigen Heiden, über das Gebet haben sie sich lustig gemacht!«

»Da hab' ich denn jedem einzeln die Rippen abgezählt, gleich haben sie es nachgelassen.«

»Sieh, so ein Starker bist du!«

»Stark oder nicht stark, aber mit dreien werd' ich schon fertig!« prahlte er mit einem Lächeln.

»Hast du den Krieg mitgemacht?«

»Versteht sich, mit den Türken hab' ich doch ... Die haben wir ordentlich untergekriegt!«

»Pjetrek, wo bleibt denn das Holz?« rief Anna abermals.

»Da wo es immer gewesen ist!« brummte er vor sich hin.

»Das ist doch die Bäuerin, die dich ruft,« ermahnte ihn der Bettler aufhorchend.

»Laß sie rufen, jawohl, soll ich ihr vielleicht noch das Geschirr waschen!«

»Bist du taub, oder was?« schrie Anna ihn an und kam ganz dicht herangelaufen.

»Den Ofen werde ich nicht heizen, dazu hab' ich mich nicht verdingt,« schrie er zurück.

Sie fuhr ihn ganz zornig an; er aber redete trotzig dawider und dachte nicht daran, ihrem Befehl zu gehorchen; und als sie ihm mit irgendeinem Wort zu nahe getreten war, steckte er kurzerhand die Mistgabel in den Düngerhaufen und rief zornig:

»Ihr habt hier nicht mit der Jaguscha zu tun, mit Geschrei werdet ihr mir nicht beikommen.«

»Du wirst sehen, was ich tu! Du sollst noch an mich denken!« drohte sie tief gekränkt; sie ging mit ganzer Wut an das Zubereiten des Brotes heran, so daß der Mehlstaub die ganze Stube füllte und durch die offenen Fenster ins Freie drang. Sie murmelte in einem fort etwas vor sich hin über die Frechheit des Knechtes, während sie die Brotlaibe auf die Galerie trug, nach den Kindern ausschaute und Holz nachfüllte. Sie war schon ganz ermattet von der Arbeit und der Glut; in der Stube war eine beklemmende Hitze, und im Hausflur, wo das Feuer im Backofen loderte, konnte man auch kaum Atem holen. Da auch noch die Fliegen, von denen es an den Wänden wimmelte, ununterkrochen um sie herumsummten und empfindlich stachen, so scheuchte sie sie, schon fast weinend, mit einem Zweig von sich ob; sie schwitzte schon so und war so aufgebracht, daß sie immer langsamer und widerwilliger arbeitete.

Sie war gerade beim Kneten des letzten Teigrestes, als Pjetrek mit dem Wagen zum Hoftor hinausfuhr.

»Wart' mal, du kriegst noch das Vesperbrot mit!«

»Brr! Das will ich schon essen, mein Magen knurrt schon fast seit dem Mittagessen.«

»Hast du denn nicht genug gekriegt?«

»Ih? ... so'n windiges Essen, das geht einem durch den Bauch wie durch ein Sieb.«

»Windig! Sieh einer! Was denn, Fleisch soll ich dir wohl immerzu geben? Als ob ich mich in den Ecken heimlich mit Wurst vollfressen täte! Andere kriegen in der Vorerntezeit nicht einmal das. Kannst zu den Kätnern gehen und sehen, wie die leben.«

Sie brachte eine Satte saure Milch und ein Brotlaib auf die Galerie heraus. Er setzte sich gierig an die Schüssel heran und löffelte bedächtig das Essen in sich hinein, hin und wieder dem Storch eine Brotrinde zuwerfend, der aus dem Garten herausgestapft kam und wie ein Hund neben ihm lungerte.

»Lauter Magermilch«, brummte er, nachdem er sich schon etwas gesättigt hatte.

»Die schiere Sahne möchtest du wohl, darauf kannst du lange lauern.«

Als er sich ganz vollgegessen hatte und schon nach den Zügeln griff, warf sie noch ganz bissig nach:

»Kannst dich bei der Jaguscha verdingen, die gibt dir schon fetteres Essen.«

»Versteht sich, denn solange sie hier die Bäuerin war, hat niemand Hunger leiden brauchen!« Er hieb auf die Pferde ein, stemmte sich gegen den Wagen und machte, daß er fortkam.

Er hatte ihre schwächste Stelle getroffen; doch ehe sie sich aufraffte, ihm zu antworten, war er schon weg.

Die Schwalben unter der Dachtraufe begannen zu zwitschern, und ein Taubenschwarm, der sich auf der Galerie niedergelassen hatte, machte sich dort mit Gegurr zu schaffen. Als sie gerade dabei war, die Tauben zu verjagen, kam ihr ein Schweinegequiek vom Obstgarten her zu Ohren; sie erschrak, denn die Schweine konnten ihr ja die Zwiebeln aufwühlen. Zum Glück war es aber nur die Sau des Nachbars, die sich unter dem Zaune durchzuwühlen versucht hatte.

»Steck' du mir nur den Rüssel rein und untersteh' dich zu wühlen, dann werd' ich dich gleich mal zurichten!«

Kaum aber, daß sie sich wieder an die Arbeit gemacht hatte, sprang der Storch auf die Galerie, und nachdem er sich etwas geduckt und mal mit dem einen, mal mit dem anderen Auge um sich gespäht hatte, fing er an, aus die Brotlaibe einzuhacken und große Stücke Teig herunterzuschlingen.

Sie stürzte mit Geschrei auf ihn los.

Er floh mit vorgerecktem Schnabel, dabei noch eifrig etwas durch die Gurgel zwängend, und als sie ihn schon fast erreicht hatte, um ihm mit einem Stück Holz eins überzulangen, flog er auf das Scheunendach, wo er noch lange stehenblieb, sich den Schnabel am Dachfirst wetzte und klapperte.

»Warte, du Dieb, ich werd' dir noch mal deine Beine ausrenken,« drohte sie ihm, die durchlöcherten Brotlaibe von neuem zurechtknetend.

Gerade kam Fine angerannt, auf die sich nun alles entlud.

»Wo treibst du dich herum? In einem fort bist du am Laufen, schon rein wie eine Katze, der man eine Ochsenblase an den Schwanz gehängt hat! Ich werd' es mal dem Antek sagen, was du für eine Fleißige bist! Geh' und nimm die Kohlen aus dem Ofen, aber rasch.«

»Ich bin nur eben bei Ploschkas Kascha gewesen. Alle sind im Feld' und nicht mal Wasser haben sie der Armen gegeben.«

»Was fehlt denn der? Ist sie krank?«

»Das sind gewiß die Pocken, denn die ist ganz rot und heiß.«

»Bring' du mir hier die Krankheit ins Haus, dann steck' ich dich gleich ins Hospital.«

»Na, als ob das die erste Kranke ist, bei der ich gesessen hab'! Ihr habt wohl vergessen, wie ich bei euch gesessen habe, als ihr in Wochen gekommen seid?« Und sie schnatterte los, wie sie das so gerne tat, dabei verscheuchte sie die Fliegen vom Teig und machte sich daran, die Kohlen aus dem Backofen herauszuholen.

»Man muß den Leuten wohl Vesperbrot hintragen,« unterbrach sie Anna.

»Ich lauf' gleich, und soll ich Eier für Antek braten?«

»Das kannst du tun! Daß du mir nur nicht so mit dem Speck herumwirtschaftest!«

»Gönnt ihr ihm den nicht?«

»Was sollt' ich nicht! Aber was zu fett ist, das könnte auch dem Antek schaden.«

Da Fine gern noch einmal fortlaufen wollte, so hatte sie in einem Nu die Arbeit fertig gemacht, und kaum daß sie noch den Ofen geschlossen hatte, nahm sie die drei Zweiertöpfe mit Milch, tat das Brot in die Schürze und lief davon.

»Sieh mal nach, ob das Leinen schon trocken ist, und wenn du zurückgekommen bist, kannst du es noch einmal begießen, es wird noch bis Sonnenuntergang trocken werden,« rief sie ihr durchs Fenster nach. Aber Fine war schon hinter dem Zaunüberstieg verschwunden; es klang nur noch ein Liedlein von ihrem Weg herüber, und aus dem Roggenfeld tauchte hin und wieder ihr Flachskopf auf.

Auf dem Brachacker am Wald warfen die Kätnerinnen den Dung aus, den Pjetrek heranfuhr, und Antek pflügte ihn unter.

Da aber der lehmige Boden trotz des vorherigen Eggens vertrocknet und hart war, so barsten die Schollen als wären sie aus Stein, und die Pferde zogen den Pflug mit einer solchen Anstrengung, daß die Stränge zu reißen drohten.

Antek hielt den Pflugsterz fest in den Händen und pflügte ganz selbstvergessen und eifrig; ab und zu langte er den Pferden mit der Peitsche eins über, öfter aber noch trieb er sie durch Zurufe und Aufmunterungen an, denn sie waren ganz außer Atem gekommen. Die Arbeit war schwer und mühevoll, doch er führte den Pflug mit fester und wachsamer Hand, Scholle nach Scholle aufwerfend, und ließ breite lange Ackerbeete hinter sich zurück; der Acker war für Weizen bestimmt.

Ihm nach, die Furchen entlang, folgten Krähen und hackten sich Regenwürmer aus den Erdklumpen, und das braune Füllen, das am Feldrain graste, versuchte immer wieder, an die Stute heranzukommen und eifrig nach den mütterlichen Zitzen zu schnuppern.

»Was den da ankommt,« knurrte Antek und knallte ihm ein paarmal um die Beine, so daß es zur Seite sprang und mit erhobenem Schweif sich davonmachte; er aber pflügte unermüdlich weiter, nur hin und wieder das Schweigen des schwülen Sommertages durch ein paar Worte an die Frauen unterbrechend. Er war schon so durch die Arbeit und Hitze ermüdet, daß er den Pjetrek, der gerade angefahren kam, wütend anherrschte:

»Die Frauen warten, und du schleppst dich 'ran, wie ein Lumpensammler!«

»Versteht sich, der Weg ist schwer, und das Pferd kann schon kaum die Beine rühren.«

»Und was hast du solange am Wald stehen brauchen? Gemerkt hab' ich das schon!«

»Ihr könnt es nachsehen, ich scharr' meins nicht wie eine Katze mit Sand zu.«

»Aasschnauze! Wjo, Alte, wjo!«

Doch die Pferde gingen immer langsamer, sie waren mit Schaum bedeckt, und er selbst, obgleich er nur in Hemd und Leinenhose ging, war wie in Schweiß gebadet; die Hände waren ihm schon ganz lahm von all der Arbeit, so daß er, als Fine auftauchte, ihr freudig zurief:

»Du bist gerade zur rechten Zeit gekommen; wir blasen hier schon unsern letzten Atem aus.«

Er zog die Furche bis an den Wald, spannte die Pferde aus, und nachdem er sie abgezäumt hatte, ließ er sie am Waldweg grasen, dann warf er sich am Waldrand in den Schatten nieder und machte sich mit einem wahren Wolfshunger daran, das Essen aus dem Zweierkrug auszulöffeln; inzwischen schnatterte ihm Fine die Ohren voll.

»Laß mich in Ruh, ich bin nicht begierig auf deine Neuigkeiten«, knurrte er böse, so daß sie ärgerlich etwas dagegen sagte und in den Wald lief, Beeren zu sammeln.

Der Wald stand stumm und glutumfangen da, duftete und schien wie ermattet unter den heißen Strahlen der Sonne; nur hin und wieder bewegte sich leise das grüne Unterholz, und aus den Gründen kam ein harzdurchtränkter Luftzug, hin und wieder auch verlorene Stimmen und ein leises Vogelsingen.

Antek lag ausgestreckt im Gras und rauchte seine Zigarette, er blinzelte vor sich hin und sah wie durch einen immer dichter werdenden bläulichen Nebel auf die Felder der Waldmeierei, über die der Gutsherr dahinritt und auf denen verschiedene Leute mit Stangen zu sehen waren.

Mächtige, wie aus Erz gehauene Fichten erhoben sich über ihm und warfen schwankende und einschläfernde Schatten über seine Augen. Er hatte sich schon fast ganz in die Stille eingesponnen, als er plötzlich einen Wagen vorbeirollen hörte.

»Dem Organisten sein Knecht, er fährt Holz nach der Sägemühle, das ist so,« dachte er, seinen schweren Kopf hochhebend; bald ließ er ihn aber wieder sinken, doch er schlief nicht mehr ein, denn es war ihm plötzlich als sagte jemand dicht neben ihm: »Gelobt sei Jesus Christus!«

Es waren ein paar Kätnerinnen, die mit großen Reisigbündeln auf dem Rucken aus dem Wald traten, und ganz zuletzt schleppte sich Gusche tief gebückt unter ihrer Last heran.

»Ruht euch doch aus, die Augen sind euch schon ganz aus dem Kopf gequollen.«

Sie hockte, ganz außer Atem, neben ihm nieder, das Reisigbündel gegen einen Baum lehnend.

»So eine Arbeit ist nichts mehr für euch,« murmelte er mitleidig.

»Das ist schon wahr, ich bin sehr müde geworben.«

»Pjetrek, dichter die Haufen, dichter!« schrie er auf den Knecht ein. »Habt ihr denn niemand, der das für euch tun kann?«

Sie verzog nur das Gesicht und drehte die geröteten, trüben Augen ab.

»Euch kennt man ja gar nicht wieder, ihr seid ja ganz mürbe geworben.«

»Auch der härteste Stein läßt unter dem Hammer was von sich ab«, ächzte sie heraus und ließ den Kopf hängen, »die Not zerfrißt den Menschen schneller noch wie Rost das Eisen.«

»Eine schwere Vorerntezeit ist das dieses Jahr, selbst die Hofbauern müssen darunter leiden.«

»Wer nur Kleie mit Majoran zu essen hat, dem braucht man nicht erst über Not zu reden.«

»Du lieber Gott, ihr solltet doch mal abends rüberkommen, da findet sich immer noch ein Scheffel Kartoffeln für euch. Ihr könnt es ja später zur Erntezeit mal abarbeiten.«

Sie weinte auf, außerstande ein Wort des Dankes hervorzuwürgen.

»Vielleicht findet die Anna auch noch was mehr für euch.«

»Wenn nicht die Anna dagewesen wäre, dann hätten wir schon längst umkommen können,« murmelte sie unter Tränen. »Gewiß tu' ich abarbeiten, wenn ihr mich nur braucht. Und das sag' ich dir, nicht nur von mir aus, daß Gott dir das bezahlen möge. Was bin ich? Nichts weiter, als irgendwas Altes, über das man mit dem Fuß hinwegtrirt, ohne sich darum zu kümmern, und den Hunger bin ich schon gut gewöhnt. Aber wenn so diese kleinen Würmer zu jammern anfangen: Großmutter, Hunger! und man hat nichts, womit man den armen Dingern die Bäuche füllen soll, dann sag' ich, daß ich mir lieber die Klumpen abhacken möchte oder selbst was vom Altar herunterreißen könnte und es dem Juden bringen, um sie nur satt zu kriegen.«

»Seid ihr denn wieder bei den Kindern?«

»Ich bin doch die Mutter, da kann ich sie doch nicht im Elend allein sitzen lassen! Und es ist doch dieses Jahr alles Schlechte über sie gekommen. Die Kuh ist ihnen krepiert, die Kartoffeln sind verfault, daß man selbst zur Aussaat hat kaufen müssen, die Scheune hat der Wind umgeschmissen, und dazu kränkelt noch die Frau immerzu vom letzten Wochenbett her; alles geht da rein nur durch ein Gotteswunder vorwärts.«

»Versteht sich, denn dem Wojtek sticht der Schnaps in die Nase und zur Schenke kann er nicht schnell genug kommen.«

»Aus Verzweiflung hat er das manchmal getan, rein aus Verzweiflung; seitdem er aber Arbeit im Forst gekriegt hat, sieht er nicht ein einziges Mal mehr zum Juden ein, das können andere bezeugen«, versuchte sie ihren Sohn eifrig zu verteidigen. »Dem Armen wird jedes Glas angerechnet! Da hat sich der Herr Jesus nun mal in seinem Zorn gehen lassen, das hat er, und gegen so einen armen Teufel sich zu verbiestern. Und warum nun das bloß? Als wenn der was Schlechtes getan hätte?« murrte sie und sah mit einem zornig fragenden Blick nach oben.

»Ihr habt eure Kinder schon genug angeklagt!« sagte er mit Nachdruck.

»Hale, als ob der Herr Jesus auf irgendein dummes Gebell hören wollte! Versteht sich,« fügte sie gleich darauf etwas ängstlich und unruhig hinzu, »wenn die Mutter selbst fluchen sollte, so wünscht sie ihnen doch im Herzen nichts Schlechtes. Hat der Mensch einen Zorn, dann kommt die Wut auch die Zunge an. Das ist schon immer so ...«

»Hat denn der Wojtek schon die Wiese verpfändet, was?«

»Der Müller war mit ganzen tausend Silberlingen da, aber ich hab' es verboten, denn wenn diesem Wolf was zwischen die Krallen kommt, dann wird ihm selbst der Böse das nicht wieder abtreiben. Vielleicht findet sich noch ein anderer mit Geld.«

»Prächtige Wiese, wie ein Amen zwei sichere Heuernten das Jahr, wenn ich da so etwas Geld übrig hätte! ...« Er seufzte auf und leckte sich heimlich den Bart danach.

»Matheus wollte sie doch auch schon kaufen, weil sie gerade neben Jaguschas Feld liegt.«

Er zuckte zusammen bei diesem Namen, und erst nach einem Ave fragte er wie nebenbei, indem er seine Augen weit über die Felder gleiten ließ:

»Was sind denn da für Geschichten bei der Dominikbäuerin im Gange?«

Sie durchschaute ihn im selben Augenblick, ein Lächeln flog über ihre welken Lippen, ihre Augen funkelten auf, und indem sie näher rückte, fing sie an mit bemitleidender Stimme zu reden:

»Was soll da sein! Das ist die reine Hölle bei denen. Im Haus ist es da wie nach einem Begräbnis, es geht einen, ordentlich durch und durch, wenn man das Elend mit ansieht, und Trost und Hilfe kommt von nirgendwo! Die weinen sich die Augen aus und warten auf Gottes Erbarmen! Am schlimmsten aber ist es mit der Jaguscha ...«

Und sie begann wie ein feines Netz mancherlei Verschiedenes über Jaguschas Leid und ihre Verlassenheit vor ihm auszuspinnen. Sie redete hitzig drauflos in der Hoffnung, sich bei ihm einzuschmeicheln und versuchte immer wieder ihn bei der Zunge zu ziehen, doch er schwieg hartnäckig; denn eine solche zehrende Sehnsucht hatte ihn plötzlich gepackt, daß alles in ihm bebte.

Zum Glück kam gerade Fine heran, sie hatte die halbe Schürze voll Preiselbeeren gepflückt und schüttete sie ihm in den Hut, dann nahm sie rasch die Zweierkrüge und lief nach Hause.

Gusche, die keine Antwort von ihm bekommen hatte, fing an, sich aufstöhnend emporzurichten.

»Laßt das nur! Nimm sie auf den Wagen!« befahl er kurz.

Er griff wieder zum Pflug und zog eine Zeitlang geduldig seine Furchen in die harte, vertrocknete Erde. Gebeugt unter seinem Joch wie ein Arbeitstier gab er sich ganz seiner Tätigkeit hin und konnte doch seine Sehnsucht nicht bezwingen.

Der Tag wurde ihm schon lang, immer wieder sah er nach der Sonne und überflog mit ungeduldigen Augen das Feld: es blieb noch ein großes Stück zum Umpflügen übrig. Immer mehr kam der Arger ihn an, er schlug ganz ohne Grund auf die Pferde ein und schrie den Frauen zu, sich zu eilen! Es trieb ihn irgend etwas an, so daß er schon kaum an sich halten konnte, und solche Gedanken gingen ihm im Kopf herum, daß sein Blick ganz getrübt war und der Pflug immer häufiger in seinen Händen hin und her schwankte, an die Steine hakte und sich am Waldrand so unter einer Baumwurzel festbohrte, daß das Pflugmesser losgerissen wurde.

Es war keine Möglichkeit, länger zu pflügen; er legte also den Pflug auf die Kufen, spannte den Wallach vor und begab sich nach Hause, einen neuen zu holen.

Das Haus war leer, alles stand durcheinander, und die Gegenstände waren mit einer Mehlschicht bedeckt; im Obstgarten aber keifte Anna auf irgend jemand ein.

»Schlampe! Zum Zanken hat sie Zeit!« brummte er, in den Hof gehend. Er wurde da aber noch ärgerlicher, denn der zweite Pflug, den er aus dem Schuppen herausholte, war auch unbrauchbar. Lange bastelte er an ihm herum, immer ungeduldiger auf Anna hinhorchend, die schon ganz wütend loszankte:

»Bezahl' du den Schaden, dann laß ich dir die Sau raus, und willst du nicht, verklag' ich dich bei Gericht! Und für die Leinwand, die du mir letztes Frühjahr auf der Bleiche zerrissen hast, sollst du auch bezahlen; die zerwühlten Kartoffeln, das schenk' ich dir nicht. Ich hab' meine Zeugen für alles! Sieh bloß einer die Kluge, wird sich hier ihr Schwein auf meinem Land ausmästen! Das laß ich mir nicht gefallen! Und ein andermal werd' ich deiner Sau und dir die Klumpen zuschanden schlagen!« ließ sie ihr Maulwerk gehen. Da aber die Nachbarin ihr auch nichts schuldig blieb, so wurde das Gekeif immer wütender; sie drohten einander schon mit geballten Fäusten, sich über die Zäune reckend.

»Anna!« schrie Antek, sich den Pflug auf die Schultern ladend.

Sie kam mit Geschrei und wie eine Henne aufgeplustert angerannt.

»Du schreist ja, daß man es im ganzen Dorf hört.«

»Ich verteidige, was meins ist! Soll ich denn zulassen, daß fremde Schweine mir auf den Beeten alles zerwühlen? Dieser Schaden, den sie da machen! Und ich soll dabei still sein? Daß du eher verreckst, ich laß dir das nicht durch!« schrie sie abermals los, so daß er sie barsch unterbrach:

»Mach dich zurecht, du siehst ja gar nicht mehr menschlich aus.«

»Hale, werd' ich mich da für die Arbeit putzen, wie zur Kirche, das wär' so was.«

Er blickte sie verächtlich an, denn sie sah aus, als hätte man sie unter dem Bett hervorgeholt; dann zuckte er die Achseln und ging davon.

Der Schmied war an der Arbeit, schon von weitem hörte man die festen Hammerschläge niederklirren, und in der Schmiede loderte ein solches Feuer, daß es dort rein so heiß wie in der Hölle war. Michael bearbeitete gerade gemeinsam mit seinem Gehilfen ein paar dicke Eisenstäbe; der Schweiß überströmte sein rußgeschwärztes Gesicht, doch er hämmerte unermüdlich und wütend drauflos.

»Wer soll denn diese deftigen Achsen kriegen?«

»Für Ploschkas Wagen sind sie! Er wird nach der Sägemühle Holz fahren!«

Antek hockte auf der Türschwelle nieder und drehte sich eine Zigarette zurecht.

Die Hämmer sausten emsig nieder und schlugen dabei ihren Takt, auf und ab, auf und ab. Das rotglühende Eisen, auf das mit ganzer Wucht eingeschlagen wurde, wurde geschmeidig wie Teig; sie hämmerten es zurecht wie sie es gerade brauchten, so daß die ganze Schmiede bebte.

»Möchtest du nicht auch Holz fahren?« fragte der Schmied, das Eisen in die Feuersglut steckend, und setzte den Blasebalg in Bewegung.

»Wird mich denn der Müller zulassen wollen? Er hat doch das Einfahren mit dem Organisten zusammen übernommen und mit dem Juden ist er auch gut Freund.«

»Die Pferde hast du und alles was dazu gehört, und der Knecht treibt sich ohne rechte Arbeit herum. Sie zahlen ganz anständig«, sagte er aufmunternd.

»Gewiß, es würde mir schon etwas Geld für die Ernte gut zu paß kommen, aber ich werde doch nicht den Müller darum bitten, daß er mir beistehen soll.«

»Du müßtest mal ein Wort mit den Käufern reden.«

»Als ob ich mit denen Bescheid weiß! Wenn du dich mal für mich verwenden wolltest!«

»Wenn du darum bittest, dann werd' ich's tun; noch heute will ich zu ihnen hingehen.«

Antek trat rasch vor die Schmiede zurück, denn die Hämmer fingen wieder an zu spielen, und die Funken sprühten in einem wahren Feuerregen umher.

»Gleich komm ich wieder; ich will nur sehen, was für ein Holz sie einfahren.«

In der Sägemühle summte es von all der Arbeit, wie in einem Bienenstock; die Sägen waren unaufhörlich im Gange und zerfraßen mit einem dumpfen Knirschen die langen Baumklötze; das Wasser stürzte sich mit lautem Lärm über die Räder in den Fluß und schien, schaumbedeckt und verbraucht wie es war, in seinen engen Ufern zu kochen. Die mächtigen Fichtenstämme, von denen man kaum die Äste abgeschlagen hatte, wurden von den Wagen geschleudert, daß die Erde bebte; sechs Mann waren dabei, sie viereckig zu behauen, und andere wiederum trugen die frischen Bretter in die Sonne.

Mathias leitete den ganzen Betrieb, jeden Augenblick war er irgendwo anders zu sehen, er machte sich überall fleißig zu schaffen, gab Befehle und paßte eifrig auf alles.

Sie begrüßten sich freundschaftlich.

»Und wo ist denn der Bartek?« fragte Antek, die Arbeitenden überblickend.

»Dem ist Lipce zuwider geworden, der ist dem Wind nachgezogen.«

»Daß es doch so manch einen immerzu durch die Welt treiben muß! Arbeit hast du, wie ich sehe, für lange bei dem vielen Holz!«

»Das reicht für ein Jahr oder auch noch länger. Wenn der Gutsherr sich mit allen einigt, dann fällt er den halben Wald und verkauft ihn.«

»Auf der Waldmeierei sind sie heute wieder beim Messen.«

»Weil sich jetzt jeden Tag einer zur Abfindung bereit erklärt! Diese Schöpfe, daß der Gutsherr mehr geben wird, wenn man es gemeinsam macht, davon wollten sie nichts wissen, und jetzt machen sie es jeder für sich, im geheimen, um nur schneller dazu zu kommen.«

»Manch ein Mensch ist gerade wie ein Esel: willst du, daß er vorwärts geht, dann mußt du ihn am Schwanz ziehen! Gewiß, daß sie Schöpfe sind; der Gutsherr zwackt jedem noch sein Teil ab, weil sie sich allein einigen.«

»Hast du denn schon deinen Grund und Boden gekriegt?«

»Noch ist die Zeit nach Vaters Tode nicht um, man kann ja noch nicht teilen, aber ich hab' mir schon mein Teil ausgesucht.«

Jenseits des Flusses zwischen den Erlenbüschen tauchte ein Gesicht auf; es schien ihm, als könnte es Jaguscha sein, und obgleich er noch dieses und jenes redete, versuchten seine Augen immer unruhiger das Gebüsch zu durchspähen.

»Diese Hitze, ich will jetzt baden gehen,« sagte er schließlich und ging zum Fluß hinab, dabei um sich sehend, als suchte er eine geeignete Stelle; als er aber im Schutz der Bäume war, fing er plötzlich an zu laufen.

Natürlich war sie es. Sie ging mit einer Hacke nach den Kohlfeldern hin.

»Jaguscha!« rief er sie an, als er sie eingeholt hatte.

Sie sah sich aufmerksam um; als sie aber seine Stimme und sein Gesicht erkannte, das sich aus dem Gestrüpp hervorhob, blieb sie ängstlich stehen, ohne zu wissen, was sie tun sollte; sie war ganz hilflos und verwirrt.

»Kennst du mich denn gar nicht wieder?« rief er ihr mit gedämpfter, inbrünstiger Stimme zu und versuchte zu ihr hinüber auf das andere Ufer zu gelangen. Aber der Fluß war an dieser Stelle tief, obgleich er nur kaum ein paar Schritte breit war.

»Wieso sollt' ich dich nicht wiederkennen?« Sie blickte ängstlich nach den Kohlbeeten hin, wo man ein paar rote Frauenröcke aufschimmern sah.

»Wo steckst du denn, man kriegt dich ja nirgendwo zu sehen?«

»Wo? Deine hat mich aus dem Haus gejagt, da sitz' ich denn jetzt bei der Mutter ...«

»Davon wollt' ich doch auch noch mit dir reden; komm mal abends nach dem Friedhof 'rüber, Jagna. Ich werd' dir da was sagen, komm doch mal hin!« bat er leidenschaftlich.

»Hale, damit mich einer noch sieht! Ich hab' noch genug für das Frühere zu büßen ...« antwortete sie hart. Aber er bat und flehte so, daß ihr das Herz weich wurde; er begann ihr leid zu tun.

»Was willst du mir denn Neues sagen? Wozu rufst du mich denn?«

»Bin ich dir denn schon so ganz fremd, Jagusch?«

»Nicht fremd und nicht nah! Ich hab' was anderes im Kopf ...«

»Komm nur, du wirst es nicht bereuen. Und wenn du Angst hast, nach dem Friedhof zu gehen, dann komm hinter den Pfarrgarten! Weißt du noch, wo, Jagusch? Weißt du es noch? ...«

Sie drehte den Kopf weg, denn eine plötzliche Röte war ihr in die Wangen geschossen.

»Red' nicht, ich schäm' mich doch ...« Sie war ganz verlegen geworden.

»Komm doch, Jagusch! Ich warte, selbst wenn es Mitternacht werden sollte ...«

»Dann warte! ...« Sie wandte sich plötzlich um und rannte nach den Kohlfeldern hinüber.

Er blickte ihr gierig nach, und es packte ihn ein solches Verlangen nach ihr, eine solche Hitze ließ sein Blut aufbegehren, daß er bereit war, ihr nachzurennen und sie vor den Augen aller an sich zu reißen ... Er konnte kaum noch an sich halten.

»Das kommt bloß, weil die Hitze mich so mitgenommen hat!« sann er und begann rasch sich zum Baden zu entkleiden.

Er kühlte sich fein ab und fing an, über sich zu grübeln.

»Daß doch der Mensch so schwach sein muß; vom ersten besten wird er mitgerissen, wie Spreu vom Wind ...«

Ein Gefühl der Scham kam über ihn. Er sah sich um, ob ihn nicht jemand mit ihr zusammen gesehen hätte, und eifrig überlegte er alles, was man ihm über sie erzählt hatte.

»So ein Pflänzlein bist du also, so eine!« dachte er verächtlich und voll Bedauern und blieb plötzlich an einem Baum stehen; er stand da mit geschlossenen Augenlidern, denn sie war in ihrer ganzen Schönheit vor seiner Seele aufgetaucht.

»Eine zweite solche gibt's wohl in der ganzen Welt nicht wieder!« stöhnte er auf, und ein plötzliches Verlangen überkam ihn, sie noch einmal zu sehen, sie noch einmal mit seinen Armen zu umfassen, sie ans Herz zu drücken und von diesen roten Lippen zu trinken, den süßen Honig bis zur Besinnungslosigkeit in sich zu saugen, die Lust bis zur Neige auszukosten.

»Nur noch dieses letzte, dieses eine letzte Mal, Jagusch!« flüsterte er beschwörend vor sich hin, als redete er zu ihr. Lange rieb er sich dann noch die Augen und blickte von Baum zu Baum, bis er zu sich kam, schließlich aber wandte er sich nach der Schmiede. Michael war gerade allein da und wollte sich eben an den Pflug heranmachen.

»Wird denn dein Wagen so viel Holz tragen können?« fragte er.

»Wenn ich nur erst was zum Drauflegen habe ...«

»Wenn ich dir das verspreche, dann ist es gerade so, als ob du es schon auf dem Wagen hättest.«

Antek begann auf der Tür mit Kreide zu schreiben und zu rechnen.

»Da könnt' ich bis zur Erntezeit vielleicht noch meine dreihundert Silberlinge verdienen!« sagte er freudig.

»Da hättest du es dann gerade für deine Gerichtssache,« ließ der Schmied wie ganz unabsichtlich fallen.

Anteks Gesicht verfinsterte sich jäh, und seine Augen leuchteten dunkel auf.

»Die sitzt mir wie ein Alp, diese Gerichtssache! Sobald ich nur daran denke, fliegt mir alles aus den Händen, man hat selbst keine Lust mehr zu leben ...«

»Kein Wunder, es gibt mir nur zu denken, daß du dich noch nicht nach einer Rettung umgesehen hast.«

»Wie soll ich mir da helfen?«

»Man sollte aber irgend etwas tun! Man kann sich doch nicht wie ein Kalb dem Schlachtmesser ausliefern.«

»Mit dem Kopf kann man auch nicht durch die Wand rennen!« seufzte er wehmütig.

Der Schmied begann auf sein Eisen einzuhämmern, Antek aber versank wieder in qualvolles, bedrückendes Nachsinnen. Es überfielen ihn solche Gedanken, daß sein Gesicht die Farbe wechselte. Er sprang auf, und seine Augen schweiften ratlos umher; doch der liebe Schwager ließ ihn nicht lange sich sorgen, und während er ihn mit seinen schlauen Augen belauerte, sagte er mit leiser Stimme:

»Der Kasimir aus Modlica, der hat sich zu helfen gewußt ...«

»Der, der nach Amerika geflohen ist?«

»Derselbe! Ein kluges Biest, der hat die Schrift mit der Nase vorausgerochen.«

»Haben sie ihm denn bewiesen, daß er den Gendarm getötet hat?«

»Der hat nicht gewartet, bis sie ihm das bewiesen haben! Was soll er wohl so dumm sein, im Kriminal zu faulen ...«

»Dem war es leicht, als Junggeselle.«

»Es rettet sich ein jeder, wenn er muß. Ich will dich zu nichts bereden, damit du nicht denkst, daß ich dabei irgend etwas vorhab', ich sag' nur, was in solchem Fall andere getan haben. Tu' wie's dir gefällt. Der Wojtek Gajda aus Wolitza, der ist gerade zu Pfingsten aus dem Kriminal heimgekommen. Na, zehn Jahre sind auch noch nicht das ganze Leben, das kann man noch aushalten...«

»Zehn Jahre, mein Jesus!« stöhnte er, sich an den Kopf fassend.

»So lange hat er Zwangsarbeit tun müssen! Das ist schon wahr, eine Menge Zeit.«

»Alles würd' ich ertragen, wenn ich nur nicht sitzen brauchte. Jesus! ich hab' doch nur ein paar Monate gesessen, und alles ist mir schon im Kopf rundum gegangen...«

»In drei Wochen würdest du schon 'rüber sein, übers Meer, das kann dir auch der Jankel sagen...«

»Das ist ja furchtbar weit! Wie soll man da weg? Alles liegen lassen, das Haus, die Kinder, das Land, und so weit weg, für immer!« Ein Grauen erfaßte ihn.

»So viele sind doch aus eigenem Willen hingegangen, und keiner denkt daran, aus diesen guten Ländern heimzukehren.«

»Mir ist es schon schrecklich, wenn ich daran denken soll!«

»Das ist wahr, aber sieh dir mal erst den Wojtek an und höre, was er so vom Gefängnis erzählt, da wirst du noch mehr zu denken haben! Das ist schon so, der Kerl ist kaum vierzig Jahre und ist schon alt und grau geworden; das lebendige Blut spuckt er und kann kaum die Beine vorwärtsschleppen. Der schiebt jeden Augenblick nach Pfarrers Kuhstall ab. Was soll ich dir aber lang was erzählen, du hast ja deinen eigenen Verstand, an den kannst du dich halten.«

Er verstummte zur rechten Zeit, denn er merkte, daß er schon genug Unruhe ausgestreut hatte, den Rest überließ er der Zeit, sich im geheimen der künftigen Ernten freuend, die er einzuheimsen gedachte; und als er den Pflug nachgesehen hatte, sagte er vergnügt:

»Ich laufe jetzt nach den Händlern, und den Wagen kannst du für morgen bereit halten, denn das mit dem Holzfahren wollen wir schon kriegen. An die Gerichtssache brauchst du nicht zu denken, es lohnt sich nicht, sich da den Kopf zu zerbrechen, es kommt wie es kommt und wie Gott in seinem Ratschluß beschließt. Ich komme noch abends zu dir 'rüber.«

Aber Antek konnte nicht so rasch vergessen; er war auf das freundschaftliche Gerede des Schmieds eingegangen wie der Fisch auf einen Köder und würgte daran; es war ihm wie mit scharfen Krallen über die Leber gefahren, so daß er wie gelähmt dasaß unter dem Alpdruck der quälenden Gedanken.

»Zehn Jahre! Zehn Jahre ...,« flüsterte er ab und zu, immer starrer vor sich hinbrütend.

Die Dunkelheit sank schon herab, und die Leute zogen von den Feldern heim; auf dem Hof erhob sich ein lauter Lärm, denn Witek hatte gerade das ganze Vieh eingetrieben, und die Frauen machten sich an das Melken und an die Verrichtung der abendlichen Arbeiten; vom Dorf hallte Stimmengewirr herüber, und man hörte die im Teich badenden Kinder schreien.

Antek rollte den Wagen hinter die Scheune, um ihn für den nächsten Morgen zurechtzumachen, doch bald verging ihm wieder die Lust dazu; er rief Pjetrek, der die Pferde am Brunnen tränkte, zu:

»Schmiere den Wagen und mach' ihn zurecht, denn von morgen ab sollst du Holz nach der Sägemühle fahren.«

Der Knecht fluchte vor sich hin, die Arbeit paßte ihm gar nicht.

»Halt dein Maul und tu', was man dir befohlen hat! Hanusch, gib den Pferden drei Maß Hafer und Pjetrek soll Klee vom Felde holen, sie sollen sich ordentlich mal Kraft anfressen ...«

Anna versuchte ihn auszufragen, doch er brummte nur irgendwas darauf, und nachdem er hier und da im Hof eingesehen hatte, machte er sich zu Mathias auf, mit dem er jetzt in großer Freundschaft lebte.

Mathias war gerade von der Arbeit zurück, er saß vor dem Haus und war dabei, eine Schüssel saure Milch auszulöffeln, um sich etwas abzukühlen.

Von irgendwo, als käme es aus dem Obstgarten, drang ein leises, klägliches Weinen zu ihnen herüber.

»Wer flennt denn da so?«

»Die Nastuscha. Rein zum Verrücktwerden ist das mit dieser Liebschaft: das Aufgebot ist doch schon heraus, nächsten Sonntag soll die Hochzeit sein, und da läßt die Dominikbäuerin gestern durch den Schultheißen sagen, daß der Alte damals die ganze Wirtschaft ihr verschrieben hat und daß sie dem Schymek nicht ein Ackerbeet abgibt, und im Haus will sie sie auch nicht haben. Und sicher tut sie das, dazu kenn' ich diesen Hundesamen viel zu genau.«

»Was sagt denn Schymek dazu?«

»Der? Geradeso wie er sich heute morgen im Obstgarten hingesetzt hat, sitzt er noch, wie ein Klotz, selbst von der Nastuscha will er nichts wissen. Man kann schon rein Angst bekommen, daß er im Kopf nicht richtig ist.«

»Schymek!« rief er nach dem Garten zu, »komm doch her zu uns; der Boryna ist da, der kann dir vielleicht einen Rat geben.«

Schymek erschien nach einer Weile und setzte sich auf die Mauerbank, ohne einen von ihnen zu begrüßen. Der Bursche sah ganz abgefallen und dürr wie ein Espenbrett aus; nur die Augen glühten ihm in dem schmal gewordenen Gesicht, in dem ein harter Entschluß sich ausprägte.

»Was hast du dir denn ausgedacht?« fragte Mathias mit besänftigender Stimme.

»Was, ich nehm 'ne Axt und schlag' sie tot wie 'n Hund!«

»Dumm bist du! So ein Reden heb' dir für die Schenke auf.«

»So sicher wie Gott im Himmel, ich schlag' sie tot. Was bleibt mir denn da anderes übrig? Den väterlichen Grund und Boden will sie mir nicht geben, sie jagt mich aus dem Haus, eine Abzahlung gibt sie mir auch nicht, was soll ich denn da anfangen? Wo soll ich armer Kerl mich denn hintun? Und das tut nun noch die eigene Mutter!« jammerte er, sich die Tränen mit dem Ärmel wegwischend. Plötzlich aber sprang er auf und fing an zu schreien:

»Schenken tu' ich ihr, hundsverdammt, nicht, was mein ist, wenn ich auch darum im Kriminal verfaulen sollte, schenken tu' ich's nicht!«

Sie beruhigten ihn so weit, daß er verstummte und nur noch finster und grimmig dasaß, ohne auf das weinerliche Geflüster Nastuschas zu achten. Sie überlegten indessen, wie ihm zu helfen wäre; es kam aber doch nichts heraus, denn man konnte der Dominikbäuerin nicht beikommen. Schließlich aber zog Nastuscha den Bruder beiseite und setzte ihm irgend etwas auseinander.

»Ein Frauenzimmer, und hat einen klugen Rat gefunden!« rief er, vors Haus zurückkehrend, freudig aus. »Sie sagt, man soll beim Gutsherrn sechs Morgen von der Waldmeierei auf Abzahlung kaufen! Das ist doch ein guter Rat, nicht wahr? Und der Alten kann man den Hintern drehen, laß sie mal krank werden vor Wut ...«

»Der Rat ist schon gut, wie jeder Rat; wo aber das Geld hernehmen? ...«

»Nastuscha hat ihre tausend Silberlinge, das reicht für das Handgeld ...«

»Und woher soll denn noch das Haus, das Inventar, die Ackergeräte und das Saatkorn kommen?«

»Wo? Hier! hier!« schrie plötzlich Schymek los, sich aufreckend und die geballten Fäuste schüttelnd.

»Das sagt man so, aber ob du das können wirst?« brummte Antek ungläubig.

»Gebt mir nur das Land, dann werdet ihr schon sehen, gebt es nur her!« rief er mit Nachdruck.

»Dann braucht man sich ja nicht lange den Kopf zu zerbrechen, man geht einfach nach dem Gutsherrn und kauft.«

»Damit warte mal, Antek, laß mich erst noch mal alles durchdenken ...«

»Ihr sollt schon sehen, wie ich mir Rat schaffen werde!« redete Schymek schnell auf sie ein. »Wer ist das denn etwa gewesen, der bei der Mutter gepflügt und gesät und geerntet hat? Ich doch ganz allein! Hab' ich denn vielleicht bei ihr das Feld schlecht bestellt? Bin ich denn Faulenzer gewesen, was? Das kann das ganze Dorf bezeugen, und die Mutter muß es auch sagen! Wenn ihr mir nur Boden heranschafft und mir helfen wollt, Bruderherzen, das will ich euch bis zum Tode danken. Helft mir doch nur, meine Guten!« rief er durcheinander lachend und weinend, er war wie trunken vor freudiger Hoffnung.

Und als er sich etwas beruhigt hatte, fingen sie schon gemeinsam an, über diese Pläne nachzusinnen und zu beratschlagen.

»Wenn sich doch der Gutsherr mit der Abzahlung einverstanden erklären würde!« seufzte Nastuscha.

»Mathias und ich werden für ihn bürgen, dann gibt er es wohl schon.«

Nastuscha wollte ihm sogar die Hände küssen für so viel Güte.

»Ich hab' selbst genug Not gekostet, da weiß ich, wie es den andern schmeckt!« sagte er leise und erhob sich, um wegzugehen, denn die Dämmerung legte sich schon über das Land, nur der Himmel war noch hell und leuchtete im Licht des verglühenden Abendrots.

Antek blieb noch eine Weile am Weiher stehen, unentschlossen, wohin er sich wenden sollte. Doch bald darauf ging er seinem Hause zu.

Er ging langsam wie unter einem Zwang, blieb hin und wieder mit Bekannten stehen, denn viele waren noch unterwegs; die Dorfstraße war voll Leben und das Vieh und die Kinder trieben sich noch herum. Singen klang in den Heckenwegen, irgendwo hörte man aufgescheuchte Gänse kreischen, an der Mühle schrien badende Jungen, und irgendwelche Gevatterinnen zankten sich jenseits des Weihers, es schien vor dem Haus der Balcerek zu sein; die durchdringende Stimme einer Flöte bohrte sich einem in die Ohren.

Obgleich es Antek nicht eilig hatte und ganz gerne unterwegs mit diesem und jenem sprach, langte er, ehe er es sich versah, bei seinem Hause an. Die erleuchteten Fenster standen offen, eins der Kinder saß an der Hauswand und weinte, und vom Hof aus erklang die zankende Stimme Annas und hin und wieder Fines geifernde Widerreden.

Er wurde wieder unschlüssig, und als Waupa plötzlich neben ihm aufwinselte und an ihm freudig hochzuspringen versuchte, gab er ihm im jäh aufsteigenden Zorn einen Fußtritt und kehrte wieder nach dem Dorf um. Er wandte sich rasch dem schmalen Pfad zu, der nach dem Pfarrhof führte; dann schlich er so leise an dem Haus des Organisten vorüber, daß die Hunde nicht einmal anschlugen und ging vorsichtig am Obstgarten der Pfarrei entlang, sich immer dicht an dem breiten Feldrain haltend, der die Felder Klembs von denen des Pfarrhofes trennte.

Der tiefe Schatten der mächtig sich ausbreitenden Bäume verdeckte ihn ganz.

Die Mondsichel war schon am dunklen Himmel sichtbar, und die Sterne fingen immer heller an zu flimmern; es war ein taufeuchter, warmer Sommerabend gekommen. Die Wachteln riefen aus dem Korn, von den fernen Wiesen kamen die tiefen Stimmen der Rohrdommeln, und eine solche dufterfüllte Stille lag über den Feldern, daß einem der Kopf davon wirr wurde.

Jaguscha aber schien nicht zu kommen.

Dafür aber spazierte ein paar Klafter von Antek entfernt der Pfarrer im weißen Rock auf dem Feldrain auf und ab, er war barhäuptig und hatte sich dermaßen in seine Abendgebete vertieft, daß er nicht zu sehen schien, daß seine Pferde, die bisher auf dem mageren ausgeweideten Brachfelde grasten, über die Feldgrenze gekommen waren und sich gierig an Klembs Kleefeld herangemacht hatten; der prächtig gewachsene Klee hob sich dunkel ab und stand ganz in Blüte.

Der Priester wandelte immerzu auf und ab, murmelte seine Gebete und ließ die Augen über den Sternenhimmel schweifen; manchmal blieb er stehen, horchte eifrig auf, und wenn irgendein Geräusch von diesseits des Dorfes sein Ohr traf, kehrte er rasch um und begann wie ärgerlich auf die Pferde einzuschimpfen.

»Wo bist du denn hingekrochen, Schimmel? In Klemb seinen Klee, was? Sieh einer, solche Spitzbuben! Fremdes Eigentum schmeckt euch, was? Wollt ihr eins mit der Peitsche ausgewischt kriegen? Na, mit der Peitsche, sag ich!« drohte er ihnen streng.

Aber die Pferde knabberten mit solcher Begier, daß der Priester nicht das Herz finden konnte, sie aus dem Klee hinauszujagen; er blickte sich nur immer wieder um und redete leise vor sich hin:

»Na, freßt euch was/Man wird schon ein Gebet für Klembs Seele lesen oder den Schaden sonstwie gut machen! Faulenzer, wie die sich an den Klee heranmachen!«

Und wieder ging er auf und ab, betete und bewachte sie, ohne zu ahnen, daß er von Antek belauscht wurde, der noch immer da stand und mit wachsender Ungeduld auf Jaguscha wartete.

Es gingen auf diese Weise ein paar gute Paternoster vorüber, als Antek plötzlich der Gedanke kam, an ihn heranzutreten und ihm seine Sorgen anzuvertrauen.

»Ein solcher Gelernter, der findet vielleicht eher einen Rat!« überlegte er, sich im Schatten bis nach der Scheune zurückziehend, an deren Ecke er sich erst bis auf den Feldrain hervorwagte und sich laut räusperte.

Als der Priester merkte, daß jemand in der Nähe war, rief er sogleich die Pferde:

»Diese häßlichen Schadenmacher! Nur aus den Augen braucht man sie zu lassen, und gleich gehen sie in Fremdes hinein, wie die Schweine! Fort da, Brauner!« Er schürzte seinen Rock und begann, sie eifrig aus dem Klee zu treiben.

»Boryna! Na, wie geht es dir?« meinte er dann, als er ihn erkannt hatte.

»Ich suche Hochwürden, auf dem Pfarrhof war ich auch schon.«

»Ich bin hier hinausgegangen, um ein paar Gebete zu sprechen und auf die Pferde zu achten, denn Walek ist nach dem Gutshof herüber. Aber das sind solche störrischen Schadenmacher, daß Gott erbarm', ich kann mit ihnen gar nicht zurechtkommen. Sieh mal, wie dem Klemb der Klee aufgeschossen ist, wie ein Wald! Aus meinem Samen ist er ... Dafür ist aber meiner ganz erfroren, nichts als Hundekamillen und Disteln sind übriggeblieben!« Er seufzte schwer auf, sich auf einen Stein niedersetzend.

»Setz' dich mal, dann wollen wir miteinander reden! Herrliches Wetter! In drei Wochen werden uns die Sensen eins singen! Na, ich sag' es ja! ...«

Antek ließ sich in der Nähe nieder und begann langsam zu erzählen, weswegen er gekommen war. Der Pfarrer hörte aufmerksam zu, schnupfte aus seiner Tabakdose, schrie hin und wieder auf die Pferde ein und nieste mächtig dazwischen.

»Wohin denn! Kannst du nicht sehen, daß das fremdes Feld ist? Sieh mal diese störrischen Saufinken! ...«

Antek konnte nicht leicht vorwärts kommen, er stotterte und verwickelte sich in einem zu.

»Ich seh', daß dir was Schweres auf der Seele liegt. Gesteh' mir offen die Wahrheit, das wird dich erleichtern. Vor wem anders sollst du dich denn sonst ausklagen, als wie vor dem Priester?« Er strich ihm über den Kopf und bot ihm Schnupftabak an, so daß Antek Mut bekam, und ihm alle seine Sorgen anvertraute.

Der Priester überlegte eine Weile seine Worte, seufzte auf, und sagte schließlich:

»Ich würde dir wegen dem Förster eine Kirchenbuße auferlegen: Du bist für deinen Vater eingetreten, und er war ein Schelm und Ketzer, da ist es auch nicht weiter schade darum. Du wirst wohl mindestens deine vier Jahre sitzen müssen! Was soll man dir da raten! Mein Gott, in Amerika leben die Leute auch, aus dem Gefängnis kommen sie gleichfalls zurück. Das eine ist schlecht und das andere ist auch nicht besser.«

Einesteils war er dafür, daß Antek gleich morgen fliehen sollte, andererseits riet er ihm, dazubleiben und die Strafe abzusitzen, und schließlich sagte er:

»Eins ist sicher, auf Gottes Vorsehung soll man sich verlassen und auf seine Gnade bauen.«

»Hale, die werden mich in Ketten legen und nach Sibirien treiben ...«

»Viele kehren aber doch wieder zurück, ich hab' manch einen selber gekannt ...«

»Versteht sich, aber was find' ich dann zu Hause nach so vielen Jahren wieder? Wird denn die Frau mit allem allein fertig werden können? Alles wird zuschanden gehen!« murmelte er ratlos.

»Von Herzen gern würd' ich dir helfen, aber was kann ich da tun ... Wart' mal, eine Messe will ich für dich lesen, daß der Herr eine Änderung schickt. Treib' mir mal die Pferde nach dem Stall ein, es ist schon spät! Na, ich sag' es ja, spät ist es, Zeit zum Schlafengehen!«

Antek war so in seine Sorgen vertieft, daß er sich erst, als er aus dem Pfarrhof trat, Jaguschas wieder erinnerte. Er lief schnell nach der bezeichneten Stelle.

Natürlich hatte sie schon gewartet und saß zusammengekauert im Schatten der Scheune.

»Ich habe immerzu gewartet und gewartet!«

Ihre Stimme war durch die feuchte Luft rauh geworden.

»Könnt' ich denn dem Priester abschlagen, mit ihm zu gehen?« Er wollte sie umfassen, sie aber stieß ihn zurück.

»Ich hab' keinen Spaß im Sinn und kein Scharmuzieren!«

»Ich kenn' dich ja gar nicht mehr wieder!« Er fühlte sich ordentlich verletzt.

»So wie du mich zurückgelassen hast, gerade so bin ich jetzt ...«

»Das ist aber doch sonst nicht deine Art gewesen ...« Er schob sich näher an sie heran.

»Du hast dich so lange Zeit nicht um mich gesorgt; was brauchst du dich da jetzt zu wundern?«

»Mehr wie ich getan hab', hätte ich mich nicht sorgen können. Als wenn ich es gekonnt hätte, zu dir zu kommen!«

»Und ich hab' mit dem Toten und meinem Kummer allein bleiben müssen!« Sie schauerte zusammen.

»Und du? Nicht mal in den Kopf ist es dir gekommen, mich zu besuchen, du hast was anderes im Sinn gehabt! ...«

»Hast du denn auf mich gewartet, Antosch, wirklich?« stotterte sie ungläubig hervor.

»Und ob! Wie ein Dummer hab' ich jeden Tag hinter dem Gitter gesessen und mir die Augen nach dir ausgeschaut; und wie lange hab' ich auf dich gewartet!« Ein plötzlicher Groll überkam ihn.

»Mein Jesus! Und wie hast du mich damals hinter dem Schober angefahren! Und schon früher bist du böse auf mich gewesen! Und als man dich wegholte, hast du mich nicht einmal angesehen, nicht ein Wort hast du zu mir gesagt ... Ich weiß es noch gut, für alle hattest du ein gutes Wort, selbst für den Hund, nur für mich nicht! Ich hab' gedacht, daß ich rein verrückt werde!«

»Ich hab' keinen Groll auf dich gehabt, Jaguscha, nein. Aber wenn die Seele im Menschen vor Kummer ganz verbiestert ist, dann möchte einer am liebsten sich und die ganze Welt umbringen ...«

Sie schwiegen lange, Hüfte an Hüfte gelehnt. Der Mond schien ihnen gerade ins Gesicht. Sie atmeten, und ihre Herzen waren von quälenden Erinnerungen zerrissen, ihre Augen blickten kummervoll vor sich hin und standen voll Tränen.

»Anders hast du mich früher begrüßt!« sagte er traurig.

Sie fing plötzlich kläglich an zu weinen, wie ein Kind.

»Wie soll ich dich denn begrüßen? Du hast mir doch schon genug unrecht getan, und so herumgekommen bin ich durch dich, daß mich die Leute jetzt wie einen Hund angucken ...«

»Durch mich bist du so herumgekommen? Ich hab' es getan?« Der Zorn übermannte ihn.

»Versteht sich, durch dich! Um deinetwillen hat mich die Schlampe, dieser Schmutzwisch aus dem Hause gejagt. Wegen dir bin ich zum Gespött des ganzen Dorfes geworden ...«

»Und den Schulzen hast du vergessen? Und all die andern?« herrschte er sie an.

»Alles kommt durch dich! Alles!« flüsterte sie mit immer größerer Verbitterung. »Du hast mich doch immer zu dem allen gezwungen. Warum hast du denn das getan, wo du doch zu Hause die Frau sitzen hast. Ich bin schön dumm gewesen; so besessen hast du mich gemacht, daß ich in der ganzen Welt nichts anderes gesehen hab', als nur dich. Und warum hast du mich dann so verlassen, so sitzen lassen, daß mich jeder andere nehmen konnte?«

Aber auch in ihm hatte der Zorn aufbegehrt, so daß er sie durch die zusammengepreßten Zähne anzischte:

»Hab' ich dir vielleicht befohlen, meine Stiefmutter zu werden? Und das kann ich mir denken, daß ich das gewesen sein soll, der dich dazu angehalten hat, dich mit jedem herumzutreiben, der es nur wollte.«

»Warum hast du es mir denn nicht verboten? Wenn du mich geliebt hättest, dann hattest du mich nicht so laufen lassen und dich so wenig um mich gekümmert, dann hättest du mich geschützt vor den bösen Zufällen, wie es die anderen tun!« Sie klagte so schmerzlich und so voll unergründlichen Leids, daß er dem schon gar nicht mehr widerstehen konnte. Sein ganzer Zorn fiel von ihm ab, und sein Herz war durchbebt von sorgender Liebe.

»Sei nur still, Jagusch, sei nur still, Kleines!« flüsterte er zärtlich.

»Man hat mir doch so viel unrecht getan, und du ziehst jetzt gerade so über mich her wie alle anderen, du auch, du tust dasselbe!« schluchzte sie, den Kopf gegen die Scheune lehnend.

Er zog sie zu sich auf den Feldrain nieder und begann sie zärtlich zu umarmen, zu liebkosen und ihr übers Haar zu streichen; er trocknete ihr verweintes Gesicht, küßte ihre bebenden Lippen und die Augen, die voll bitterer Tränen standen, diese lieben, traurigen Augen. Er überschüttete sie mit seinen Zärtlichkeiten und beschwichtigte sie so gut er nur konnte, so daß sie schon immer leiser vor sich hinweinte, sich an ihn schmiegte und ihn voll Zuversicht umschlang; sie ließ ihren Kopf an seiner Brust ruhen, wie ein Kind am Herzen der Mutter, in deren Armen es so gut ist, allen Schmerz und alles Leid auszuweinen ...

Antek aber war schon ganz wirr im Kopf, denn eine solche beseligende Gewalt strömte von ihr, und die Wärme ihres nahen Körpers übergoß ihn mit solcher Glut, daß er sie immer wütender küßte und immer fester umschlang ...

Sie merkte gar nicht, was mit ihm vorging; erst als Antek sie ganz an sich herangezogen hatte und seine glühenden Lippen immer fester auf die ihren preßte, suchte sie sich ihm zu entziehen und begann, fast weinend, ängstlich zu bitten:

»Laß mich doch, Antosch! laß mich doch! Jesus, ich werd' sonst schreien.«

Aber wie sollte sie einem solchen Starken widerstehen, wo er sie so mächtig an sich riß, daß ihr der Atem ausging und eine Glut und ein Beben ihr durch alle Glieder rann.

»Laß mich doch nur, nur jetzt, nur dieses letzte Mal«, bettelte er atemlos.

Sie wehrte ihm nicht mehr und gab sich ihm hin wie einst, wie vorher oft, wie immer.

Die Nacht war voll Sternenglanz, und der Mond hing hoch am Himmel; die warme düfteschwere Luft umhüllte die in unergründlicher Stille schlafenden Felder; die ganze Welt lag wie mit verhaltenem Atem in trunkener Selbstvergessenheit und süßer Bewußtlosigkeit da.

Sie aber hielt schon nichts mehr zurück, nur eine stürmische Glut war in ihnen und eine ewig verlangende unersättliche Sehnsucht. Wie ein verdorrter Baum, der sich jäh mit dem Blitz vermählt und in hellen Flammen zum Himmel aufloht, so daß beide in ihrem aufprasselnden Hochzeitslied miteinander vergehen, so versanken auch sie im Brand ihrer auflodernden Liebesgluten. Das alte Lieben war noch einmal in ihnen aufgewacht und züngelte in einer hellen, seligen Flamme in ihnen empor, für diesen einen Augenblick der Selbstvergessenheit, für diese einzige Minute der letzten Seligkeit.

Denn als sie wieder nebeneinander saßen, hatte ihnen schon irgend etwas so die Seelen verdunkelt, daß sie ängstlich und heimlich zueinander hinblickten und ihre Augen voll Scham und Reue auseinanderstrebten.

Vergeblich suchte er mit seinen Lippen ihren ehemals nach Küssen so hungrigen Mund: sie drehte sich unwillig von ihm ab.

Vergeblich flüsterte er ihr die süßesten Kosenamen zu: sie antwortete nicht und starrte eifrig in den Mond; so begann er sich denn in seinem Innern zu empören. Ein frostiges Gefühl kam über ihn und erfüllte ihn mit seltsamem Mißmut und Groll.

Sie saßen nebeneinander ohne zu wissen, was sie reden sollten, voll Ungeduld darauf wartend, wer sich zuerst erheben sollte, um fortzugehen.

In Jagna war alles wie ausgebrannt; sie begann mit verhaltenem Zorn:

»Du hast dir wie ein Dieb genommen, was du wolltest!«

»Bist du denn nicht mein, Jagusch?« Er wollte sie an sich ziehen, aber sie stieß ihn jäh von sich.

»Ich bin nicht dein und niemand seine, daß du es weißt! Niemand seine!«

Sie fing wieder an zu weinen, aber er beschwichtigte sie nicht und liebkoste sie auch nicht mehr; nach einer Weile sagte er mit ernster Stimme:

»Jagusch, würdest du mit mir in die Welt hinaus gehen?«

»Wohin denn?« Sie hob ihre verweinten Augen zu ihm.

»Und wenn es selbst bis nach Amerika sein sollte! Würdest du mit mir gehen, Jagusch?«

»Und was wirst du mit deiner Frau machen?«

Er sprang auf, als hätte ihn jemand mit einer Peitsche geschlagen.

»Wahr ist es, du hast doch eine! Soll die denn Gift kriegen, oder was?«

Er griff sie um die Taille und zog sie heftig an sich, und ihr Gesicht mit leidenschaftlichen Küssen bedeckend, fing er an zu bitten und zu flehen, daß sie ihm in die Welt hinaus folgen sollte, damit sie für immer beisammen bleiben könnten. Eine lange Weile redete er zu ihr von seinen Plänen und Hoffnungen, denn er hatte sich plötzlich wie ein Trunkener an den Gedanken der gemeinsamen Flucht geklammert, und wie ein Trunkener redete er auf sie ein, ganz von einer fieberhaften Erregung ergriffen. Sie hörte bis zu Ende zu und sagte schließlich hämisch:

»Du hast mich zur Sünde verleitet, da denkst du, daß ich schon ganz dumm geworden bin und dir jedes Gerede glauben werde ...«

Er schwor ihr bei allem was heilig war, daß er die reine Wahrheit spräche; sie wollte es nicht einmal anhören, und nachdem sie sich seinen Armen entzogen hatte, sagte sie:

»Ich denk' nicht daran, mit dir zu fliehen: Wozu? Hab' ich es denn hier schlecht allein?« Sie schlug sich ihre Schürze um die Schultern und sah sich aufmerksam um. »Es ist spät, ich muß jetzt laufen!«

»Wohin hast du es denn so eilig, es lauert doch keiner auf dich zu Hause?«

»Aber für dich ist es schon Zeit. Da klopft Anna gewiß schon die Federbetten zurecht und wartet ...«

Ihre Worte hatten ihn ganz aufgebracht, und er preßte höhnisch hervor:

»Ich halt' dir nicht vor, wer da auf dich in den Schenken wartet ...«

»Du mußt es schon wissen, auf mich tut schon mancher gern bis zum Morgengrauen warten! Du bist mächtig eingebildet, wenn du glaubst, daß es keinen anderen außer dir in der Welt gibt!« redete sie und lachte bissig auf.

»Dann renn' doch, renn' selbst nach dem Juden!« keuchte er hervor.

Sie rührte sich nicht von der Stelle; sie standen immer noch beieinander, schwer atmend und sich mit wütenden Augen ansehend; es war, als suchte jedes in seinem Innern nach Worten, die den andern am meisten treffen könnten.

»Wenn du mir was sagen willst, dann sag' es gleich, denn ich komm' nicht mehr zu dir heraus ...«

»Brauchst keine Angst zu haben, ich werd' dich schon nicht rufen ...«

»Ist schon gut. Ich komm' nicht mehr heraus, und wenn du mir selbst zu Füßen winseln solltest!«

»Versteht sich, die Zeit wird dir zu knapp, wenn du zu so vielen in der Nacht heraus kommen sollst ...«

»Daß du wie 'n Hund verreckst!« Sie rannte plötzlich querfeldein davon.

Er rannte ihr nicht nach und rief sie auch nicht zurück, obgleich er sie über die Ackerbeete rennen sah, bis sie bei den Gärten wie ein Schatten verschwand; er rieb sich die Augen, als wäre er aus einem Schlaf erwacht und seufzte mißmutig vor sich hin.

»Ich bin schon ganz dumm geworden! Jesus, wie weit doch ein Frauenzimmer einen bringen kann.«

Er fühlte sich eigentümlich beschämt, als er den Weg nach Hause einschlug; er konnte sich das nicht vergeben, was geschehen war, und ärgerte sich und quälte sich darob.

Man hatte ihm schon sein Lager draußen im Obstgarten in einem Wagenkorb zurechtgemacht; in der Stube war das Schlafen wegen der Hitze und der Fliegen unmöglich geworden.

Er konnte nicht einschlafen; er lag da, starrte in das ferne Flimmern der Sterne, horchte in die vorüberschleichende Nacht und sann über Jaguscha.

»Nicht mit ihr und nicht ohne sie! Daß dich! ...« fluchte er leise vor sich hin und seufzte verzweifelt auf. Er wälzte sich hin und her, warf das Federbett zurück und ließ die Füße auf das kühle, taubedeckte Gras herab, aber der Schlaf wollte nicht kommen, und die Gedanken an sie ließen ihn nicht auf einen Augenblick los.

Irgendeins der Kinder fing an im Haus zu greinen, und Anna hörte er etwas im Schlaf murmeln; er hob den Kopf, nach einer Weile aber wurde es wieder still, und wieder überfielen ihn die Erinnerungen und zogen wie duftende Frühlingslüfte durch seine Sinne, seiner Seele süße Bilder vorgaukelnd. Doch er wollte sich ihnen nicht mehr hingeben; im Gegenteil, er sah sie sich nüchtern an und kam schließlich dazu, daß er sich feierlich, wie auf der heiligen Beichte vornahm:

»Ein für allemal soll es jetzt damit ein Ende haben! Eine Schande und eine Sünde ist das. Was würden wieder die Menschen dazu sagen. Ich habe doch Kinder und bin ein Hofbauer. Damit muß man ein Ende machen!«

Er hatte es sich fest vorgenommen, aber ein Bedauern kam ihn doch immer wieder an.

»Wenn der Mensch sich nur einmal gehen läßt, dann hat er sich auch gleich so mit dem Bösen verbrüdert, daß ihn selbst der Tod nicht davon losbekommt!« sann er voll Bitterkeit.

Es tagte schon, und der ganze Himmel überzog sich grau wie mit Sackleinen, doch Antek schlief noch immer nicht; und als der bleiche Tag ihm schon in die Augen zu lugen begann, kam Anna angelaufen, ihn zu wecken. Er wandte ihr sein düsteres Gesicht zu, war aber so seltsam gütig zu ihr, daß er ihr selbst über das ungekämmte Haar strich, als sie ihm erzählt hatte, weswegen gestern der Schmied spät abends noch gekommen wäre.

»Da das mit dem Einfahren geglückt ist, will ich dir auch was auf dem nächsten Jahrmarkt kaufen.«

Sie war über einen solchen Beweis seiner Gunst sehr erfreut und fing gleich an, ihn ganz eifrig zu bitten, er möchte ihr doch einen Glasschrank für die Teller kaufen, einen solchen, wie ihn die Organistenleute hätten.

»Bald wirst du dir noch dazu ein herrschaftliches Kanapee wünschen!« lachte er; doch er versprach ihr alles, worum sie gebeten hatte. Er stand rasch auf, denn die Arbeit wartete; man mußte den Nacken unter das Joch beugen und wie jeden Tag seine ganzen Kräfte anspannen.

Er hatte sich noch mit dem Schmied besprochen und trieb gleich nach dem Frühstück Pjetrek hinaus, Dünger zu fahren; er selbst aber begab sich mit einem zweispännigen Wagen nach dem Wald.

Im Schlag war die Arbeit im vollen Gange; eine große Anzahl Menschen machte sich an der Bearbeitung des im Winter gefällten Holzes zu schaffen; das Aufschlagen der Äxte und das Arbeiten der Sägen erklang wie ein ständiges Hämmern von Spechten; mitten im üppigen Gras des Schlages konnte man das Vieh von Lipce weiden sehen und das Aufsteigen des Rauchs der Hirtenfeuer beobachten.

Es kam ihm eine Erinnerung daran, was sich hier ereignet hatte, und er nickte mit dem Kopf, als er sah, wie jetzt die Leute aus Lipce einträchtig mit den Rschepetzkischen und anderen zusammen arbeiteten.

»Die Not hat sie klug gemacht. Und ist denn das alles nötig gewesen?« sagte er zu Philipp, dem Sohn der Gusche, der das Astwerk von den Fichtenstämmen losschlug.

»Und wer ist denn daran schuld gewesen, wenn nicht der Gutsherr und die Herren Hofbauern!« murmelte der Mann mit brummiger Stimme, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.

»Oder wohl vor allem das böse Blut und die dummen Aufreizungen.«

Er blieb an der Stelle stehen, wo er den Förster erschlagen hatte, und ein böses Gefühl klemmte ihm die Brust zusammen, daß er vor sich hinfluchte:

»Das Aas, durch den kommt all mein Unglück! Wenn ich könnte, würde ich dir noch was zulegen!« Er spie aus und machte sich an die Arbeit.

Und ganze Tage lang fuhr er Holz zur Sägemühle; er arbeitete so verzweifelt drauflos, als wollte er sich zu Tode mühen, dennoch konnte er die Gedanken an Jaguscha und an den unglückseligen Prozeß nicht unterdrücken.

Eines Tages hatte ihm Mathias erzählt, sie hätten schon Land von dem, was zur Waldmeierei gehörte, gekauft; der Gutsherr hätte es ihnen auf Abzahlung gelassen und noch dazu Latten und Balken zum Bauen versprochen; die Hochzeit Nastuschas hätten sie aber verschoben, bis daß Schymek die Wirtschaft etwas instand gebracht hätte.

Was gingen ihn aber fremde Angelegenheiten an? Hatte er nicht genug eigene Sorgen? Und außerdem ängstigte ihn der Schmied fast Tag für Tag auf verschiedene Weise mit der bevorstehenden Gerichtssache und erwähnte dabei allmählich behutsam und schlau, daß ihm dieser und jener Geld geben würde, wenn er es eilig brauchen sollte.

Antek war hundertmal bereit gewesen, alles liegen zu lassen und zu fliehen; jedesmal aber, wenn er das Dorf vor sich sah und ihn der Gedanke überkam, daß er von hier für immer fort müßte, ergriff ihn eine solche Angst, daß er eher alles ertragen wollte, Gefängnis und selbst das Schlimmste, nur nicht das.

Aber an das Gefängnis dachte er doch mit Verzweiflung in der Seele.

Von all den Kämpfen, die er mit sich auszufechten hatte, magerte er ab und wurde so verbittert, daß er sich gegen alle im Haus streng und unnachsichtlich zeigte. Anna zerbrach sich den Kopf darüber und versuchte vergeblich, herauszubekommen, was in ihm vorgegangen war. Zuerst argwöhnte sie, daß er sich wieder mit Jaguscha zusammengetan hätte; aber so sehr sie ihm auch nachspähte und die wieder aufgefütterte Gusche ihnen nachschickte, es war da nichts zu entdecken. Und da auch andere bestätigten, daß die beiden sich offenkundig aus dem Weg gingen und auch sonst nirgends zusammenkämen, so beruhigte sie sich denn nach dieser Seite hin. Aber was nützte es, daß sie ihm so treu, wie sie nur konnte, diente, daß er das beste Essen stets zur rechten Zeit hatte, daß im Hause überall Ordnung war und die Wirtschaft aufs schönste vorwärts kam: er blieb dennoch immer weiter böse und finster, fluchte bei dem geringsten Anlaß und hatte nie ein gutes Wort für sie übrig.

Am schwersten war es aber zu ertragen, wenn er still und voll Sorgen und trüb wie eine Herbstnacht herumging, sich weder ärgerte noch was auszusetzen hatte und nur schwer vor sich hinseufzte und ganze Abende in der Schenke saß, um dort mit seinen Freunden zu trinken.

Offen zu fragen, dazu fehlte ihr der Mut, und selbst Rochus versicherte ihr, daß er nichts darüber wüßte, was wohl wahr war; denn der Alte kam jetzt nur für die Nacht nach Haus und wanderte ganze Tage lang in der Umgegend mit seinen Büchern herum und hielt fromme Andachten zu Ehren des Herrn Jesu ab, die die Obrigkeit in den Kirchen abzuhalten verboten hatte.

Eines Abends, als sie wegen des Windes, der nach Sonnenuntergang aufgekommen war, wieder in der Stube aßen, fingen plötzlich in der Nähe des Weihers alle Hunde an zu bellen. Rochus legte den Löffel hin und horchte eifrig.

»Irgendwer Fremdes! Man muß nachsehen gehen.« Kaum aber war er hinausgetreten, da kam er ganz bleich wieder in die Stube.

»Ich hab' Säbelklirren auf dem Weg gehört! Wenn sie nach mir fragen sollten, dann bin ich im Dorf!«

Er stürzte in den Obstgarten und verschwand.

Antek sprang auf und wurde leichenblaß. Die Hunde schlugen schon im Heckenweg an, und auf der Galerie hörte man schwere Tritte.

»Vielleicht kommen sie schon für mich?« Ein ängstliches Stöhnen entrang sich ihm.

Alle waren wie erstarrt, als sie auf der Schwelle die Gendarmen erblickten.

Antek konnte nicht einmal einen Schritt tun; seine Augen irrten zwischen der offenen Tür und den Fenstern hin und her. Zum Glück lud Anna sie ganz ruhig zum Sitzen ein und schob ihnen die Bank näher an den Tisch heran.

Sie begrüßten alle freundlich, sich gleichzeitig zum Essen einladend, so daß Anna ihnen Rührei machen mußte.

»Wohin denn so spät?« fragte schließlich Antek.

»Dienstlich! Viel zu tun haben wir!« sagte der Sergeant, mit seinen Augen die in der Stube Anwesenden musternd.

»Gewiß hinter den Dieben?« fügte Antek etwas sicherer hinzu, während er eine mächtige Flasche aus der Kammer holte.

»Hinter den Dieben auch und hinter was anderem auch noch! Trinkt uns zu, Hofbauer!«

Er trank mit ihnen, und sie machten sich über die Schüssel mit Rührei her, daß man eine Weile nur die Löffel klirren hörte.

Alle in der Stube verhielten sich ganz still, wie verängstigte Hasen.

Die Gendarmen schabten die Schüssel sauber und tranken noch einen Schnaps darauf; sodann sagte der Sergeant, sich den Schnurrbart abwischend, feierlich:

»Seid ihr denn schon lange aus dem Gefängnis heraus, ah?«

»Der Herr Sergeant tut, als ob er das nicht mehr wüßte!«

Es kam ihn ein Beben an.

»Und wo ist denn Rochus hin?« fragte plötzlich der Sergeant.

»Welcher Rochus?« Er begriff sofort und beruhigte sich merklich.

»Es soll doch bei euch ein gewisser Rochus wohnen?«

»Redet vielleicht der Herr Sergeant von dem alten Bettler, der hier im Dorf herumgeht? Das ist wahr, der nennt sich ja Rochus!«

Der Gendarm machte eine unwillige Bewegung und sagte drohend:

»Macht hier keinen Scherz, der wohnt doch bei euch, das weiß man!«

»Bei uns hat er auch eine Zeit zugebracht, gewiß, das ist schon so, der kommt zu allen. So ein Bettler, der legt seinen Kopf hin, wo es sich gerade trifft. Heute im Haus, ein andermal im Stall und manchmal selbst am Zaun, wenn es nichts Besseres gibt. Was hat denn der Herr Sergeant gegen ihn vor?«

»Was werd' ich denn? Gar nichts, ich frag' nur so, weil ich ihn kenne.«

»Das ist ein guter Mensch, der tut keinem was zuleide,« mischte sich Anna ein.

»Na, wir wissen schon, was das für einer ist, wir wissen schon!« murmelte er bedeutungsvoll und versuchte auf alle mögliche Weise, sie auszuhorchen. Er traktierte sie sogar mit Schnupftabak, aber sie redeten alle in einem fort dasselbe, so daß er zuletzt, ohne etwas herausschnüffeln zu können, sich wütend von der Bank erhob: »Und ich sag' es euch, er wohnt bei euch im Hause!«

»Ich hab' ihn doch nicht in die Tasche gesteckt!« muckte Antek auf.

»Vergeßt nicht, daß ich hier dienstlich bin, Boryna!« fuhr der Sergeant heftig auf; doch er beschwichtigte sich merklich, nachdem er eine Mandel Eier und ein großes Stück frische Butter auf den Weg mitbekommen hatte.

Witek war ihnen Schritt für Schritt nachgelaufen und erzählte später, daß sie beim Schultheiß gewesen wären und unterwegs in verschiedene Fenster, die noch erleuchtet waren, einzusehen versucht hätten; die Hunde hätten aber so gebellt, daß sie, ohne irgendwo heimlich hineingucken zu können, unterrichteter Dinge wieder abziehen mußten.

Dieser Vorfall hatte Antek seltsam angegriffen, und als er allein mit seiner Frau geblieben war, fing er an, ihr seine Sorgen zu beichten.

Sie hörte klopfenden Herzens aufmerksam zu, ohne ein einziges Wort zu verlieren. Erst als er ihr zum Schluß sagte, daß ihnen nichts übrigbliebe, als alles zu verkaufen und in die Welt hinaus zu fliehen, selbst wenn es nach Amerika sein sollte, pflanzte sie sich vor ihm auf mit einem Gesicht, das weiß wie eine Kalkwand war.

»Ich geh' nicht, meine Kinder laß ich nicht ins Verderben bringen!« sagte sie drohend, »ich geh' nicht! Und wenn du mich zwingst, dann schlag' ich den Kindern mit der Axt die Köpfe ein, und selber spring' ich in den Brunnen! Die reine Wahrheit sag' ich, Gott helfe mir! Das merk' du dir nur!« rief sie, vor den Heiligenbildern niederkniend wie zu einem feierlichen Schwur.

»Sei doch ruhig! Ich hab' das nur so gesagt!«

Sie holte tief Atem und sagte etwas leiser, kaum ihre Tränen zurückhaltend:

»Du wirst deine Zeit absitzen und kehrst dann wieder heim! Hab' keine Angst, ich werd' mir schon zu helfen wissen ... nicht ein Ackerbeet werd' ich dir vertun, du kennst mich noch nicht... ich laß es nicht aus den Händen. Herr Jesus wird helfen, auch diese Prüfung zu tragen,« weinte sie leise vor sich hin.

Er sann lange nach und schließlich sagte er:

»Das kommt, wie Gott will! Man muß die Gerichtsverhandlung abwarten.«

So wurden alle schlauen Bemühungen des Schmieds zunichte.


 << zurück weiter >>