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InitialIch möcht' schon gehen, Hanusch!« bat Fine, ihren Kopf gegen die Kirchenbank stützend, »Dann heb' den Schwanz wie'n Kalb und renn'!« murrte Anna, kaum vom Rosenkranz aufsehend.

»Aber es drückt mich doch so im Magen; mir ist sehr übel.«

»Stör' doch nicht die Andacht, gleich ist sie aus.«

Der Priester beendigte auch gerade die stille Trauermesse für Borynas Seele, die die Familie acht Tage nach seinem Tode abhalten ließ.

Die nächsten Verwandten saßen alle in den Seitenbänken, nur Jaguscha und die Mutter knieten vor dem Hauptaltar; von den Fremden war niemand da, einzig Agathe plapperte irgendwo am Chor ihre Gebete herunter.

In der Kirche war es still, kühl und dämmerig, nur durch die Mitte flutete ein breiter Strom flimmernden Lichts, denn die Sonne drang durch die offene Tür ein und ergoß sich bis unter die Kanzel.

Der Michael vom Organisten war Ministrant, er schüttelte, wie er das so immer tat, dermaßen die Schellen, daß es einem in den Ohren davon gellte; mit lauter Stimme sprach er die Worte des Meßdienstes und ließ seine Augen hinter den Schwalben gehen, die hin und wieder ängstlich aufzwitschernd, durch die Kirche schossen.

Irgendwo vom Weiher her klang das lärmende Klappern der Waschhölzer, die Spatzen schirpten vor den Kirchenfenstern, und dazwischen hörte man eine Glucke, die eine Schar piepender Küchlein in die Kirchenvorhalle zu locken suchte und die Ambrosius immer wieder vertreiben mußte.

Als der Priester die Messe zu Ende gelesen hatte, gingen alle auf den Kirchhof hinaus.

Sie waren schon beim Glockenhaus, als Ambrosius ihnen nachrief:

»Wartet doch! Hochwürden will euch was sagen.«

Es war auch noch kein Ave vergangen, als dieser mit einem Brevier unter dem Arme atemlos herankam; er wischte seine Glatze und begrüßte sie freundlich:

»Meine Lieben, da wollt' ich euch nur noch sagen, daß ihr christlich gehandelt habt, eine Messe für den Verstorbenen lesen zu lassen. Das wird seiner Seele gut tun und zu ihrer ewigen Erlösung beitragen!«

Er nahm eine Prise, nieste kräftig und sich schneuzend fragte er:

»Heute werdet ihr gewiß wegen der Erbteilung miteinander reden, was?«

»Versteht sich, das ist doch so die Sitte, daß man erst in acht Tagen ...« bestätigten sie.

»Das ist es! Gerade davon wollt' ich mit euch noch reden! Teilt es untereinander, denkt aber daran, daß es in Frieden und der Gerechtigkeit nach geschieht. Daß mir nur kein Zank und Unfrieden zu Ohren kommt, sonst rüg' ich es vor allen Leuten von der Kanzel herab! Der Selige würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen sollte, wie ihr sein sauer Erworbenes zerreißt, wie die Wölfe ein Schaf! Und Gott verhüte, daß ihr mir die Waisen schädigt! Der Gschela ist weit weg, und die Fine ist noch ein dummes Ding! Und was einem zukommt, das muß bis zum letzten Heller herausgegeben werden. Wie er sein Vermögen verteilt hat, das ist seine Sache, aber sein letzter Wille muß erfüllt werden. Vielleicht sieht der Arme in diesem Augenblick auf euch nieder und denkt bei sich: zu Menschen hab' ich sie gemacht, einen ordentlichen Hof hab' ich ihnen hinterlassen, da werden sie doch nicht aufeinander losgehen, wie die Hunde, wenn sie was teilen sollen. Ich predige doch in einem fort von der Kanzel herab: durch Frieden steht nur alles in der Welt, mit Zank hat noch keiner was fertig gebracht. Na, ich sag' es ja, keiner, nur Sünde höchstens und Gotteslästerung! Der Selige war freigebig und hat weder für Licht noch Messe oder für andere Bedürfnisse der Kirche an Geld gespart, darum hat ihn der liebe Gott auch gesegnet ...«

Er redete lange auf tiefe Weise auf sie ein, bis die Frauen losweinten und ihm zum Dank die Knie umfaßten, und Fine klammerte sich selbst aufheulend an seine Hände, so daß er sie an seine Brust zog, sie auf die Stirn küßte und voll Güte sprach:

»Heule nicht, Dumme, der liebe Gott hat die Waisen in einem besonderen Schutz.«

»Der leibhaftige Vater hätte einem nicht besser zur Seele gesprochen,« flüsterte Anna gerührt. Scheinbar war auch Hochwürden ergriffen, denn nachdem er sich die Augen heimlich getrocknet hatte, wandte er sich gleich an den Schmied, ihm eine Prise anbietend, und sprach schnell von was anderem.

»Und wie denn, kommt es zu einer Einigung mit dem Gutsherrn?«

»Das wird es wohl, gerade heute sind fünf Mann nach ihm hin ...«

»Gott sei Dank! Da werd' ich schon umsonst eine Messe lesen auf diesen Frieden hin!«

»Ich glaub', das Dorf müßte wohl für eine Frühmesse, mit Ausstellung des heiligen Sakraments sammeln. Das ist wirklich wahr, das ist doch wie neu zugeteiltes Land und fast ganz umsonst!«

»Du hast den Verstand auf dem richtigen Fleck, Michael, ich hab' schon dem Gutsherrn von dir gesprochen. Na, geht mit Gott und denkt daran: in Frieden und gerecht! He! Aber Michael!« rief er dem Schmied nach, »und sieh mal später nach meiner Chaise, die rechte Feder reibt gegen die Radachse ...«

»Die hat sich so unter dem Pfarrer aus Laznowo ausgeleiert.«

Der Priester sagte darauf nichts mehr; so gingen sie denn geradeswegs nach Hause.

Zum Schluß führte Jaguscha die Mutter, denn die Alte schleppte sich mit Mühe vorwärts und mußte jeden Augenblick ausruhen.

Es war Werktag, man arbeitete überall; so waren denn auch die Wege um den Weiher leer, nur die Kinder spielten hier und da im Sand, und die Hühner scharrten im herumliegenden Mist. Es war noch ziemlich früh, dennoch brannte die Sonne gehörig; zum Glück brachte der Wind etwas Kühlung, er wehte recht kräftig, so daß die Obstgärten, die voll sich rötender Kirschen hingen, hin und her wogten, und die Getreidefelder gegen die Zäune anfluteten, wie erregte Wassermengen.

Die Türen der Häuser standen offen, die Hoftore waren überall weit aufgesperrt, und auf den Zäunen wurde hier und da das Bettzeug gelüftet; alles was nur die Hände rühren konnte, arbeitete draußen im Feld. Manch einer fuhr noch den Rest der verspäteten Heuernte ein; der scharfe Heuduft erfüllte die Luft, und an den überhängenden Asten am Weg, wo die hochgetürmten Wagen vorbeigefahren waren, schaukelten ganze Büschel trockener Halme, die ausgerauften Judenbärten glichen.

Sie gingen langsam und schweigend nebeneinander, in Gedanken über die Teilung versunken.

Irgendwo, wie von den Feldern her, wo man die Kartoffeln behackte, stieg ein Liedlein auf und zog mit dem Wind in die Weite; bei der Mühle hörte man den Waschschlegel einer Frau, die ihre Wäsche wusch, laut ausklopfen und das Wasser, das über die Räder floß, dumpf rauschen.

»Die Mühle arbeitet jetzt in einem fort!« ließ sich Magda als erste vernehmen.

»Vorerntezeit ist es, da hält der Müller seine Ernte ab!«

»Die ist heuer schwerer, als im Vorjahr. Überall ist eine Not, daß es einem nur so in den Ohren gellt, und bei den Kätnern ist der Hunger schon geradezu zu Hause,« seufzte Anna.

»Und die Kosiols, die schnüffeln auch schon im Dorf herum, da braucht man nicht lange zu lauern, bis sie einem was Ordentliches weggestohlen haben,« warf der Schmied ein.

»Redet keinen Unsinn! Die Armen müssen sich helfen, wie sie können; gestern erst hat die Kosiol der Organistin ihre jungen Enten verkauft, damit hat sie sich ein bißchen aufgeholfen ...«

»Die werden es doch bald versoffen haben. Ich will nichts Schlechtes von ihnen gesagt haben, aber es ist doch merkwürdig, daß die Federn von meinem Enterich, der sich am Tage von Vaters Begräbnis verloren hat, von meinem Mathies hinter den Kosiols ihrem Kuhstall gefunden worden sind,« sagte Magda.

»Und wer hat denn damals unser Bettzeug gestohlen?« mischte sich Fine ein.

»Wann kommt denn ihre Sache mit dem Schulzen vor Gericht?«

»Nicht bald, aber der Ploschka unterstützt sie, da werden sie schon dem Schulzen genug einbrocken.«

»Daß doch der Ploschka immer seine Nase in fremde Angelegenheiten stecken muß!«

»Versteht sich, der sucht sich die Freunde zusammen, wo er kann, denn die Schulzenschaft sticht ihn.«

Es kam ihnen Jankel entgegen; er versuchte ein Pferd, das heftig hinten ausschlug und sich aus ganzer Macht sträubte, an der Mähne quer über den Weg zu zerren.

»Steckt ihm Pfeffer unter den Schwanz, dann rennt er vom Fleck los wie'n Hengst!«

»Mög' es gut bekommen, das Amüsieren! Was ich schon mit diesem Pferd ausstehen muß!«

»Stopft ihn mit Stroh aus, macht ihm einen anderen Schwanz an und bringt ihn auf den Markt, dann könnt ihr ihn vielleicht als Kuh verkaufen, denn zum Pferd paßt er nicht mehr!« scherzte der Schmied, und alle brachen in ein Gelächter aus; im selben Augenblick aber riß sich das Pferd los und sprang, ohne auf Jankels Locken und Drohungen zu achten, in den Weiher, wo es sich in aller Ruhe im flachen Wasser herumzuwälzen begann.

»Kluges Biest, der muß wohl von den Zigeunern kommen!«

»Stellt ihm einen Eimer Schnaps hin, dann kommt er vielleicht heraus!« lachte die Organistin, die am Weiher saß und eine Schar junger Enten bewachte, welche wie kleine gelbe Federbällchen herumschwammen; eine aufgeblähte Henne gackerte am Ufer.

»Feine Enten, das sind gewiß die von der Kosiol?« fragte Anna.

»Das sind sie schon, aber sie laufen mir immer nach dem Weiher. Taschuchny! Tasch, tasch, tasch, tasch!« lockte sie und streute ihnen immer wieder eine Handvoll Hirse hin.

Die Enten beeilten sich, um nach dem entgegengesetzten Ufer zu kommen, so daß sie ihnen nachrennen mußte.

»Kommt schneller, Frauen,« trieb der Schmied an; und als sie ins Haus gekommen waren und Anna das Frühstück zuzubereiten begann, fing er gleich an, in den Stuben und im Hof herumzuschnüffeln; selbst die Kartoffelgruben hatte er nicht vergessen, bis Anna sagte:

»Ihr beguckt alles, als ob euch was weggekommen ist!«

»Eine Katze im Sack kauf' ich nicht!«

»Ihr wißt hier besser Bescheid wie ich selbst!« sagte sie höhnisch, den Kaffee in kleine irdene Töpfe gießend. »Dominikbäuerin, Jagusch! Kommt doch zu uns 'rüber!« rief sie hinüber, denn die beiden hatten sich auf der anderen Seite eingeschlossen.

Sie setzten sich auf die Bank, tranken und aßen Brot dazu.

Niemand sagte ein Wort, denn jeder scheute sich als erster anzufangen und sah sich nach den anderen um. Anna war auch seltsam zurückhaltend; natürlich lud sie zum Essen ein, jedem immer wieder zugießend, aber sie ließ den Schmied nicht für einen Augenblick aus den Augen, denn er schob sich unruhig auf seinem Platz hin und her, ließ seine Blicke durch die Stube gehen und räusperte sich eins ums andere Mal. Jaguscha saß finster da, seufzte, und ihre Augen hatten einen Schimmer wie von eben vergossenen Tränen; die Dominikbäuerin blähte sich wie eine Henne und flüsterte auf sie ein; nur die Fine gab auf nichts acht, sie schwatzte dies und jenes und hantierte um die Töpfe herum, in denen Kartoffeln kochten.

Es wurde schon allen die Zeit lang, bis schließlich der Schmied als erster zu reden begann:

»Wie machen wir das also mit der Teilung?«

Anna zuckte auf, und sich gerade reckend, sagte sie ruhig und wohlbedacht:

»Was soll denn da zu machen sein! Ich habe hier nur für das aufzupassen, was dem Meinen gehört, und habe nicht das Recht, über etwas zu bestimmen. Kommt Antek zurück, dann könnt' ihr teilen.« .

»Wann wird der wiederkommen, und so kann es doch auch nicht bleiben.«

»Es wird aber so bleiben! Konnte es so lange sein, wie Vater krank war, so kann es auch so bleiben, bis Antek wiederkommt.«

»Er ist es doch nicht allein, der hier was kriegt.«

»Aber er ist der Älteste, dann kommt es ihm auch zu, die Wirtschaft vom Vater zu übernehmen.«

»Hale, er hat kein anderes Recht wie die anderen.«

»Vielleicht könnt ihr sie auch übernehmen, wenn ihr euch mit Antek so einigt. Ich werd' mich doch nicht mit euch herumzanken, das ist nicht mein Wille, der hier was zu bestimmen hat.«

»Jagusch!« erhob die Dominikbäuerin ihre Stimme, »du hast jetzt an dein Teil zu erinnern.«

»Was soll ich denn, die wissen das doch so ...«

Anna wurde plötzlich rot, und Waupa, der ihr gerade unter die Füße kam, einen Fußtritt gebend, sagte sie durch die Zähne:

»Versteht sich, daß wir uns gut an so ein Unrecht erinnern.«

»Ihr habt's gesagt! Hier geht es aber um die sechs Morgen, die der Selige Jaguscha verschrieben hat und nicht um dummes Gerede!«

»Wenn ihr die Verschreibung habt, dann wird euch niemand die wegreißen können!« brummte Magda zornig, die die ganze Zeit ruhig mit dem Kind an der Brust dagesessen hatte.

»Die haben wir, und die ist im Amt gemacht und vor Zeugen.«

»Wenn alle warten, kann auch Jaguscha das.«

»Gewiß, daß sie es dann muß, aber was von Ihrem da ist, das wird sie gleich wegnehmen; sie hat doch die Kuh und das Kalb und noch das Schwein und die Gänse ...«

»Das ist Gemeinsames und kommt zur Teilung,« widersetzte sich der Schmied hartnäckig.

»Zur Teilung! Das könnte euch passen! Was sie als Heiratsgut von mir bekommen hat, kann ihr keiner nehmen! Vielleicht möchtet ihr am liebsten ihre Röcke und das Federbett unter euch teilen, was?« Sie erhob ihre Stimme immer mehr.

»Ich spaß doch nur, und ihr kommt gleich mit euren Krallen. ...«

»Jawohl ... ich durchschau' euch gut, ich weiß Bescheid.«

»Was sollen wir denn hier umsonst herumschwatzen. Ihr habt recht, Anna, man muß auf Antek warten. Ich hab' es eilig zum Gutsherrn, denn da wartet man auf mich.« Er erhob sich, und da er Borynas Schafpelz entdeckte, der in einer Ecke über der Kleiderstange hing, begann er ihn vorsichtig herabzuziehen.

»Der müßte mir gerade passen.«

»Laßt ihn hängen, er soll da trocknen,« wehrte Anna ab.

»Aber diese alten Stiefel, die könnt' ihr mir geben. Die Schäfte sind nur heil, und besohlt sind sie auch schon mal,« sagte er schlau und suchte sie von der Stange herunterzuziehen.

»Ich lasse nichts anrühren. Ihr nehmt euch was, und nachher heißt es, daß ich die halbe Wirtschaft auseinandergetragen habe. Nicht eine Zaunlatte rührt ihr mir an, bis das Amt nicht alles aufgenommen hat.«

»Eine Aufnahme ist noch nicht dagewesen, und schon hat sich Vaters Bettzeug irgendwohin getan ...«

»Ich hab' dir doch gesagt, wie alles gewesen ist! Gleich nach seinem Tode hat man es über den Zaun zum Lüften ausgelegt, und in der Nacht hat es jemand gestohlen. Man hatte eben nicht den Kopf dazu.«

»Komisch, daß sich da gleich ein Dieb dazu gefunden hat ...«

»Wieso denn? Soll ich es vielleicht genommen haben und euch was vorlügen?«

»Still da, Weiber! Immer alles ohne Zank; laß das, Magdusch! Wer das gestohlen hat, der mag's für sein Totenlager behalten.«

»Allein das Federbett hat fast dreißig Pfund gewogen.«

»Ich sag' dir, halt' die Schnauze!« schrie er seine Frau an und lockte Anna mit sich nach dem Hof, da er angab, die Ferkel besehen zu wollen.

Sie folgte ihm nach, war aber gut auf der Hut.

»Ich wollte euch einen Rat geben.«

Sie spitzte neugierig ihre Ohren, da sie schon eine Ahnung hatte, worum es sich drehte.

»Wißt ihr was, man müßte noch vor der amtlichen Aufstellung irgendwann abends zwei Kühe zu mir 'rüberbringen. Die Sau könnte man dem Vetter so lange anvertrauen, und was nur angeht, bei anderen Leuten verstecken ... Ich werd' es euch schon sagen, wohin... Vom Getreide sagt ihr bei der Aufstellung, daß es schon lange dem Jankel verkauft ist, er wird es gerne bestätigen, man kann ihm auch dafür ein, zwei Scheffel geben. Die Jungstute wird der Müller nehmen, sie wird auf seinem Weideland sich etwas herausfüttern können. Und einzelnes von den Hausgeräten könnte man im Getreide und irgendwo in den Gruben verstecken. Das rat' ich euch aus guter Freundschaft! Alle machen es so, die Verstand haben. Ihr habt wie ein Lasttier gearbeitet, da kommt euch der Gerechtigkeit nach auch mehr zu. Mir könnt ihr dann davon irgend etwas abgeben, irgendeinen Brocken. Und Angst braucht ihr nicht zu haben, ich werd' euch schon in allem beistehen. Und dafür werd' ich schon sorgen, daß ihr den Grund und Boden kriegt. Hört nur auf mich, es hat noch keiner was zugezahlt, der meinen Rat befolgt hat ... Selbst der Gutsherr achtet darauf, was ich sage. Na, was meint ihr dazu? ...«

»Das nur, daß ich, was mein ist, nicht aus den Fingern lasse, und auf Fremdes bin ich nicht happig!« antwortete sie langsam, ihn mit verächtlichen Blicken messend. Er drehte sich herum, als hätte man ihm einen Schlag über die Schläfe versetzt, überflog sie mit seinen Augen und zischte hervor:

»Dann hätt' ich schon darüber nichts erwähnt, daß ihr den Vater so ausgeplündert habt ...«

»Das könnt' ihr tun! Und dem Antek werd' ich sagen, daß er mit euch über euren Rat redet.«

Er konnte sich kaum zurückhalten, um nicht loszufluchen, aber er spie nur aus, und schon im Weggehen rief er durchs offene Fenster in die Stube hinein:

»Magda, gib hier auf alles acht, daß die Diebe nicht wieder was wegschleppen.«

Anna sah ihn mit einem höhnischen Lächeln ein.

Er rannte davon wie verbrüht, und als er auf die Schulzin stieß, die gerade in den Heckenweg, der nach dem Borynahof führte, einbog, erzählte er ihr noch lange etwas, dabei heftig mit den Fäusten herumfuchtelnd.

Die Schulzin brachte irgendein Amtspapier.

»Das ist für euch, Anna, der Gemeindebote hat es vom Amt gebracht.«

»Vielleicht etwas über Antek!« flüsterte sie ängstlich, das Schreiben mit der Schürze ergreifend.

»Es soll über Gschela was drin sein. Meiner ist nicht zu Hause, er ist nach dem Kreisamt gefahren, und der Gemeindebote hat nur gesagt, daß da drin geschrieben steht, der Gschela sollte tot sein oder so was ...«

»Jesus Maria!« schrie Fine auf.

Die Magda sprang ebenfalls hoch.

Alle starrten voll Grauen und Angst auf das Schriftstück, und jede griff danach, um es ratlos in ihren zitternden Händen hin und her zu drehen.

»Vielleicht kannst du es herauskriegen, Jagusch!« bat Anna.

Sie umstanden sie voll Angst und Unruhe; nach einer Weile des Lautierens aber meinte sie mutlos:

»Hale, es ist ja nicht in unserer Sprache, ich kann es nicht herauskriegen.«

»Sie ist nicht beim Schreiben dabeigewesen! Dafür kann sie was anderes besser,« zischte die Schulzin herausfordernd.

»Geht eures Wegs und fallt die Leute nicht an, die euch schon von weitem aus dem Weg gehen, wie vor was Stinkendem,« knurrte die Dominikbäuerin sie an.

Doch die Schulzin, froh eine Gelegenheit gefunden zu haben, gab es ihr kräftig zurück.

»Andere zurechtweisen, das versteht ihr; warum verbietet ihr aber eurer feinen Jaguscha nicht, daß sie verheiratete Mannsleute verführt, hah?«

»Laßt das man sein, Pjetrowa!« Pietrowa: Peters Frau. mischte sich Anna hinein, da sie wohl merkte, wohinaus das gehen sollte; aber die Schulzin war schon nicht mehr zu halten.

»Einmal will ich mir wenigstens nicht Gewalt antun! So viel hab' ich mich wegen der 'rumquälen können, so viel Leib zu fressen gekriegt, daß ich ihr das, solange ich lebe, nachtragen werde!«

»Schnauz' du nur zu! Der Hund wird dich schon nicht überbellen!« knurrte die Alte noch ziemlich ruhig; die Jaguscha aber wurde rot wie eine Runkelrübe; und obgleich ein brennendes Gefühl der Scham in ihr aufgestiegen war, übermannte sie doch eine solche rachsüchtige Verbissenheit, daß sie den Kopf immer höher hob und um sie zu ärgern mit Absicht ihre höhnischen Augen in sie bohrte; ein aufreizendes Lächeln begann ihre Lippen zu kräuseln.

Die Schulzin riß schon ihr Maulwerk wie ein Tor auf, sie war bis ins Tiefste von ihren Blicken verletzt, fluchte und breitete sich geifernd über ihre Verfehlungen aus.

»Du bellst hier das erste beste Zeug herum, weil du dich voll Gift gefressen hast!« unterbrach sie die Alte, »aber Deiner wird schwer vor Gott büßen müssen für das Unglück, das er über sie gebracht hat«

»Versteht sich, der wird büßen, weil er da ein unschuldiges Kindlein verführt hat! Versteht sich, schönes Kindlein, das mit jedem gern in die Büsche läuft!«

»Haltet eure Schnauze, denn wenn ich auch blind bin, so find' ich noch meinen Weg zu euren filzigen Zotteln,« drohte die Dominikbäuerin, ihren Stock umklammernd.

»Versucht nur! Rühr' du mich nur an, rühr' du mich nur an!« schrie sie herausfordernd.

»Hale, hat sich mit Unrecht, das sie fremden Leuten getan, vollgemästet und will sich hier an einen hängen wie die Klette an einen Hundeschwanz.«

»Worin hab' ich dir denn unrecht getan, du?«

»Wenn man Deinen ins Kriminal steckt, dann wirst du es schon erfahren!«

Die Schulzin sprang mit den Fäusten auf sie los; zum Glück konnte Anna sie noch rechtzeitig zurückweisen und wandte sich scharf gegen die beiden:

»Mein Gott, ihr macht ja hier die reine Schenke aus meiner Wohnung.«

Sie schwiegen auf einen Augenblick und standen sich, schwer atmend und schnaufend, gegenüber; der Dominikbäuerin waren die zornigen Tränen unter den Lappen, mit denen sie ihre Augen verbunden hatte, hervorgequollen und flossen reichlich über ihr abgemagertes Gesicht; aber sie kam als erste zu sich, setzte sich nieder, seufzte auf und breitete ihre Arme auseinander.

»Gott sei mir Sündigen gnädig!«

Die Schulzin rannte wie besessen zur Tür hinaus, aber schon vom Weg kehrte sie um, steckte den Kopf durchs Fenster und fing an, Anna zuzuschreien:

»Ich sag' es dir, jag' sie dir vom Hof, die Schlampe! Jag' sie 'raus, solange es Zeit ist, damit es dich dann nicht reut. Nicht eine Stunde laß sie unter deinem Dach, sonst wird sie dich hier herausbeißen wie eine böse Seuche. Ich rat' es dir, Anna, nimm du dich für! Sei ohn' Erbarmen für sie, ohne Mitleid! Sie lauert nur auf Deinen, du wirst es schon sehen, was sie dir andrehen wird!« Sie beugte sich noch tiefer in die Stube hinein, und schon mit den Fäusten Jaguscha drohend, schrie sie in ihrer ganzen Wut:

»Warte du, du Höllenbrut, warte mal! Ich sterb' nicht ruhig und werd' so lang nicht zur heiligen Beichte gehen, bevor ich es nicht erlebt habe, daß sie dich mit Stöcken zum Dorf hinausjagen! Zu den Soldaten kannst du gehen, du Hündin! Da ist dein Platz, du Schwein!«

Und sie rannte davon; in der Stube aber wurde es still wie im Grab.

Die Dominikbäuerin schüttelte sich vor niedergehaltenem Weinen, Magda schaukelte ihr Kind, und Anna starrte gedankenvoll auf den Herd; die Jaguscha aber, obgleich sie noch den Trotz in ihrem Gesicht und ein böses Lachen auf den Lippen hatte, wurde weiß wie Linnen, denn die letzten Worte hatten sie mitten ins Herz gestochen; sie fühlte plötzlich, als hätten sie auf einmal hundert Messer durchbohrt, und ihr ganzes Herzblut, all ihre Kraft war von ihr gewichen; es blieb nur ein schneidender, ein schon gar nicht mehr menschlicher Schmerz zurück, so daß sie Lust hatte, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen und laut zu schreien; sie bezwang sich jedoch, und ihre Mutter am Ärmel zerrend, flüsterte sie fieberhaft auf sie ein:

»Gehen wir weg von hier, Mutter! Machen wir, daß wir bloß wegkommen!«

»Gut, gut! Ich bin schon ganz von Kräften gekommen, du aber kommst hier zurück und bleibst bei Deinem bis zu Ende.«

»Ich werd' hier nicht bleiben! Alles ist mir schon hier so über geworden, daß ich es nicht länger mehr aushalte! Daß ich eher die Beine gebrochen hätt', als über diese Schwelle zu kommen!«

»So schlecht hast du dich bei uns gefühlt?« fragte Anna mit leiser Stimme.

»Schlimmer wie ein Hund an der Kette; da muß einem noch in der Hölle besser zumute sein.«

»Das nimmt mich wunder, daß du es dann so lange ausgehalten hast, man hat dich doch nicht am Bein hier festgebunden. Du konntest gehen, wohin du wolltest. Du brauchst keine Angst zu haben, um die Knie werde ich dich nicht fassen, und bitten werd' ich dich auch nicht, daß du dableibst! ...«

»Ich werd' schon gehen, und daß euch hier die Seuche abwürgt, wenn ihr so seid!«

»Fluch' du man nicht noch obendrauf, daß ich dir nicht auch meins ins Gesicht sage!«

»Weil schon alle gegen mich sind, das ganze Dorf, alle! ...«

»Leb' in Ehren, dann hat dir niemand auch nur ein Wort vorzuwerfen!«

»Still, Jagusch! Die Anna ist doch nicht gegen dich, sei man ruhig!«

»Laß sie schnauzen. Laß sie doch! Mir geht ihr Bellen irgendwo hin. Was hab' ich denn getan? Vielleicht gestohlen oder einen umgebracht?«

»Hast du noch den Mut zu fragen, was?« sagte Anna, erstaunt vor ihr stehenbleibend. Zieh' mich nicht an der Zunge, damit ich es dir nicht sag'!«

»Sagt nur! Ihr könnt schnauzen, soviel ihr wollt! Das ist mir alles eins!« schrie Jagna immer hitziger. Die Wut loderte in ihr auf wie ein Brand; sie war schon zu allem bereit, selbst zum Schlimmsten.

Annas Augen standen plötzlich voll Tränen, die Erinnerung an Anteks Treulosigkeit biß sich so schmerzlich in ihr Herz fest, daß sie nur noch hervorstottern konnte:

»Und was hast du nur mit Meinem angestellt, was? Der liebe Gott wird dich noch um meinetwillen strafen, paß auf! Keine Ruhe hast du ihm gelassen ... nachgejagt bist du ihm, schon rein wie eine läufige Hündin ... rein wie eine ...« Der Atem ging ihr aus, so hatte sie ein Schluchzen gepackt.

Und Jagusch duckte sich wie ein Wolf, der auf seinem Lager angegriffen wird und bereit ist, alles zu zerfleischen, was ihm unter die Zähne kommt. Der Haß umnebelte sie, und eine Rachsucht ließ sie die Fäuste ballen, so daß sie bis in die Mitte der Stube stürzte und, bis zum äußersten aufgebracht, eine Flut böser Worte hervorstieß, die wie Peitschenhiebe auf Anna einschlugen:

»Ich bin hinter ihm hergelaufen, ich! Was du dir da nicht zurechtlügst! Alle wissen, wie ich ihn mir nicht vom Leib hab' halten können! Wie ein Hund hat er da vor meiner Tür gewinselt, daß ich ihm mindestens meinen Holzpantoffel zu sehen gab'! Gezwungen hat er mich! Er ist es doch gewesen, der mir was vorgeredet hat und dann mit mir Dummen gemacht hat, was er wollte! Und jetzt will ich dir die Wahrheit sagen, daß es dich nur nicht reut. Geliebt hat er mich, daß es schon gar nicht zu sagen ist! Und du bist ihm so zuwider geworden, wie ein alter, schmutziger Lumpen; bis über die Gurgel hat der Arme von deiner Liebe genug gehabt, daß er danach aufstieß, wie nach ranzigem Talg und ausspie, wenn er an dich dachte. Der wollte sich selbst was Schlimmes antun, nur um dich nicht immer sehen zu müssen. Da hast du die Wahrheit, die du gewollt hast. Und merk' dir das noch: wenn ich will, dann gibt er dir noch einen Fußtritt, selbst wenn du ihm die Füße küssen solltest, und rennt mir nach bis ans Ende der Welt! Das heb' du dir auf und mein' nicht, daß du neben mir aufkommen kannst, verstehst du?«

Sie schleuderte ihr diese haßerfüllten Worte schon furchtlos und voll Selbstbewußtsein zu und war dabei schön wie noch nie. Selbst die Mutter hörte ihr mit Staunen und Angst zu, sie war so anders wie sonst, schien ihr wie eine Fremde und sah dabei so drohend und zornig aus und war so grausig wie eine Wolke, die Blitze aus sich schleudert.

Anna aber war durch diese Worte zu Tode verwundet: sie schlugen sie bis aufs Blut, peitschten erbarmungslos auf sie ein und zertraten sie wie einen elenden Wurm; sie sank in sich zusammen wie ein Baum, den die Blitze zersplittern, ganz ohne Kraft und Besinnung. Sie konnte kaum mit ihren erblaßten Lippen Luft schöpfen, sie fiel auf die Bank zurück; unter dem Druck dieses Schmerzes schien in ihr alles zu einem mehligen, tauben Staub zu zerfallen; selbst die Tränen hörten auf, über das vor trostloser Qual fahl gewordene Gesicht zu rinnen, obgleich ein schweres, erregtes Schluchzen ihr die Brust fast sprengte. Mit Angst starrte sie vor sich hin wie in einen plötzlich sich öffnenden Abgrund; sie bebte wie ein Halm, den der Sturm zu vernichten droht...

Jaguscha hatte schon längst aufgehört, zu reden und war mit der Mutter auf ihre Seite gegangen; Magda, die aus Anna kein Wort herauskriegen konnte, hatte sich davongemacht, und selbst Fine hatte es vorgezogen, nach dem Weiher zu laufen, die jungen Enten einzuholen. Anna aber saß unbeweglich auf ihrem Platz wie ein zu Tode erschrockener Vogel, dem man sein Nest ausnimmt und der weder schreien noch um sich schlagen noch flüchten kann und nur manchmal ganz bange den Flügel regt und klagend aufzirpt.

Bis der Herr Jesus sich ihrer erbarmte, und der gequälten Seele Erleichterung gab, so daß sie endlich wie aus einer Ohnmacht zu sich kam; sie fiel vor den Heiligenbildern nieder und weinte erlösende Tränen; sie gelobte sich, nach Tschenstochau zu gehen, wenn das, was sie gehört hatte, nicht eintreffen sollte!

Und gegen Jagna hegte sie keinen Zorn mehr, nur eine Angst vor ihr hatte sie gepackt, so daß sie, als ihre Stimme ihr Ohr traf, sich wie vor etwas Bösem bekreuzigte ...

Schließlich griff sie wieder zur Arbeit, und die eingewohnten Hände arbeiteten von selbst, denn mit ihren Gedanken war sie weit fort; ohne es selbst zu wissen, hatte sie die Kinder in den Obstgarten gebracht, die Stube aufgeräumt und die Zweiertöpfe mit Essen gefüllt; dann trieb sie Fine an, sie schneller aufs Feld zu tragen.

Und als sie allein geblieben war, beruhigte sie sich etwas und fing an über jedes Wort zu sinnen und zu grübeln. Sie war eine gute und verständige Frau und hätte wohl die ihr zugefügten Beleidigungen vergeben, aber über den gekränkten Stolz konnte sie nicht hinwegkommen; immer wieder stieg es heiß in ihr auf, das Herz krümmte sich vor Qual, durch ihren Kopf zogen grausame Rachegedanken; und dieses Gefühl überwog schließlich, so daß sie vor sich hin zu flüstern begann:

»Das ist wahr, daß ich mich in der Schönheit nicht mit ihr messen kann! Aber ich bin ihm angeheiratet und die Mutter seiner Kinder!« Sie reckte sich stolz und voll Selbstsicherheit. »Und läuft er ihr nach, dann wird er schon wiederkommen! Er kann sich doch nicht mit ihr verheiraten!« tröstete sie sich bitter und sah in die Weite.

Es wurde schon Mittag, die Sonne hing über dem Weiher, und die Hitze hatte sich so gesteigert, daß die Erde brennend heiß war, und die glühende Luft wie aus einem Ofen stieg; die Leute kamen von den Feldern, und auf dem Pappelweg stiegen Wolken von Staub auf, die die einkommenden Herden aufwirbelten. Anna überkam plötzlich ein Entschluß, sie lehnte gegen die Wand und überdachte noch alles ein Ave lang; dann trocknete sie sich die Augen, ging über den Flur nach Jagnas Stube und sagte, in der Tür stehenbleibend, ganz gelassen und fest:

»Du kannst dich gleich aus dem Hause scheren!«

Jagna erhob sich von der Bank; sie blieben eine ganze Weile voreinander stehen und maßen sich mit ihren Blicken, bis Anna etwas zurückwich und mit heiserer Stimme wiederholte:

»Scher' dich sofort, und willst du nicht, dann laß ich dich vom Knecht hinausschmeißen... In diesem Augenblick noch!« fügte sie unversöhnlich hinzu.

Die Dominikbäuerin kam auf sie zu und versuchte auf sie einzureden und sie zu beschwichtigen, aber Jagna zuckte nur die Schultern:

»Redet nicht zu diesem Strohwisch! Man weiß, worum es der zu tun ist.«

Sie holte aus ihrer Lade ein Schriftstück hervor.

»Um die Verschreibung geht es dir, um diese paar Morgen, hier hast du sie, friß dich damit voll!«

Sie sagte es verächtlich und schleuderte ihr das Papier ins Gesicht.

»Kannst dich damit zu Tode verschlucken!«

Und ohne auf die Einwände der Mutter zu achten, begann sie rasch ihre Bündel zu schnüren und sie in den Heckenweg hinauszutragen.

Anna wurde es ganz schlecht, als hätte ihr jemand mit der Faust zwischen die Augen geschlagen; doch sie hob das Schriftstück auf und sagte mit drohender Stimme:

»Daß du mir aber schnell machst, sonst werd' ich dich mit den Hunden vom Hof hetzen!« Ein Staunen würgte sie, es wollte ihr gar nicht in den Sinn, daß das alles Wahrheit war. »Wie sollte es auch, ganze sechs Morgen Land hat sie weggeschmissen wie einen zerbrochenen Topf! Wie war das nur möglich! Die mußte wohl schlecht im Kopf sein!« dachte sie, und ihre Blicke gingen ihr nach.

Jagna aber fing schon an, ohne auf sie zu achten, ihre Bilder von der Wand zu nehmen, als Fine mit Geschrei hereingelaufen kam.

»Und gebt mir die Korallen wieder, das sind meine, die sind von der Mutter ...«

Jagna wollte sie schon losbinden, doch plötzlich hielt sie inne.

»Nein, das tu' ich nicht! Matheus hat sie mir gegeben, da gehören sie auch mir.«

Fine fing an, laut auf sie einzuschimpfen, so daß Anna sie anschreien mußte, sie möge still sein; Jagna war wie taub auf alles geworden, und nachdem sie ihre Sachen hinausgetragen hatte, lief sie fort, Jendschych zu holen.

Die Dominikbäuerin widersetzte sich schon nicht mehr, sie antwortete aber auch nicht auf Annas Fragen und Fines Geschrei; erst als man die Sachen auf den Wagen geladen hatte, richtete sie sich auf und hob drohend die Faust:

»Daß dich das Schlimmste ankommt.«

Anna überlief es kalt, aber ohne die Worte zu beachten, schrie sie:

»Und wenn der Witek das Vieh eingetrieben hat, dann kann er dir deine Kuh hinschaffen, und den Rest kann einer abends wegholen, dann wird man alles zusammentreiben.«

Sie verließen schweigend das Haus, bogen auf die Dorfstraße ab und gingen um den Weiher herum, ganz am Rande des Wassers, in dem man sie sich widerspiegeln sah.

Anna sah ihnen noch lange nach mit einem Gefühl des Grams und seltsamen Unbehagens. Da sie aber keine Zeit zum Überlegen hatte, denn die Tagelöhner kamen von den Feldern zu Mittag heim, so steckte sie die Verschreibung in einen Holzkoffer, verschloß ihn, machte die väterliche Seite zu und ging ans Zubereiten des Mittagessens. Den ganzen Nachmittag lief sie herum, als wenn sie Gift geschluckt hatte, war einsilbig und schenkte selbst Gusches einschmeichelnden Worten kein Gehör.

»Recht habt ihr getan! Schon lange hätte man sie rausjagen sollen. Die war ja schon ganz außer Rand und Band, die reine Bettlerpeitsche, denn wer kann ihr was tun, wenn die Alte den Priester hinter sich hat! Eine andere hätte er schon längst von der Kanzel 'runter verflucht.«

»Gewiß, wohl!« bestätigte sie, sich abwendend, um nur nichts mehr darüber hören zu brauchen; und als alle wieder aufs Feld an die Arbeit gegangen waren, nahm sie Fine mit, Flachs zu jäten, denn stellenweise kam der Hederich so dicht auf, daß die einzelnen Beete schon von weitem gelb leuchteten.

Sie ging eifrig an die Arbeit, aber dennoch quälten sie die Drohungen der Dominikbäuerin und erfüllten sie mit einer drückenden Angst; hauptsächlich aber sann sie darüber nach, was Antek zu alldem sagen wurde.

»Wenn ich ihm die Verschreibung zeige, dann wird er schon zufrieden sein. So eine Dumme! Sechs Morgen, das ist ja fast eine ganze Wirtschaft!« dachte sie, die Felder überblickend.

»Wißt ihr, Anna, wir haben ganz das Papier über Gschela vergessen.«

»Das ist wahr! Reiß das hier weg, Fine; da will ich doch gleich mal zum Priester laufen, der wird es mir vorlesen.«

Sie war selbst froh, unter die Leute zu gehen und zu hören, was sie zu allem sagten.

Sie brachte sich zu Hause etwas in Ordnung, und nachdem sie das amtliche Schreiben hinter einem Heiligenbild hervorgezogen hatte, begab sie sich damit nach dem Pfarrhaus. Sie traf jedoch den Priester nicht zu Hause an, er war im Feld und bewachte die Tagelöhner, die seine Mohrrüben vom Unkraut säuberten; sie sah ihn schon von weitem, denn er stand da ohne Rock und Weste, mit einem großen Strohhut auf dem Kopf; aber sie wagte nicht, näherzutreten, sie hatte Angst, er könnte über alles unterrichtet sein und wurde sie vielleicht noch vor allen Leuten anschreien. Sie wandte sich also nach der Mühle, wo der Müller mit Mathias zusammen gerade dabei war, etwas an der Sägemühle auszuprobieren.

»Soeben hat mir die Frau erzählt, daß ihr die Stiefmutter 'rausgesetzt habt! Hoho, was ihr für eine seid, zeigt sich zart wie 'ne Bachstelze und steckt solche Habichtskrallen aus!« lachte er und nahm das Papier, um es ihr vorzulesen. Doch kaum hatte er es überflogen, sagte er ernst: »Eine schlechte Neuigkeit! Euer Gschela ist ertrunken! Noch zu Ostern ist es gewesen! Man schreibt, daß ihr seine Sachen im Kreisamt abholen könnt ...«

»Der Gschela ist tot! Du lieber Gott! So jung und gesund, wie der war! Er war doch erst sechsundzwanzig. Zur Erntezeit sollte er doch heimkommen. Ertrunken ist er, im Wasser! Barmherziger Jesus!« stöhnte sie auf, die Hände ringend, denn die Nachricht war ihr sehr zu Herzen gegangen.

»Euch gehn jetzt aber die Erbteile leicht zu!« warf Mathias höhnisch ein. »Jetzt braucht ihr nur noch die Fine 'rauszujagen, dann wird schon alles nur euch und dem Schmied gehören ...«

»Bist du denn schon fertig mit Therese, daß du jetzt an die Jaguscha denkst,« gab sie zurück, so daß der Müller laut loslachte und Mathias sich wegdrehte und eifrig an den Sägen zu hantieren anfing.

»Die läßt sich nicht mir nichts dir nichts 'runterschlucken wie ein Löffel Grütze, das ist eine tüchtige Frau!« sagte der Müller, ihr nachblickend.

Anna trat unterwegs bei Magda ein, die, als sie die Nachricht erfahren hatte, in Tränen ausbrach und unter Schluchzen sagte:

»Gott hat es so gewollt, meine Liebe. So ein kräftiger, ein Mann wie eine Eiche, da gibt es in ganz Lipce kaum einen zweiten; was ist das doch für ein Menschenlos. Heute lebst du und morgen faulst du. Da kann ja der Michael hinfahren und die Sachen holen, was sollen sie verloren gehen! Der Arme, und wie hat er immer nach Hause verlangt! ...«

»Alles ist in Gottes Hand. Aber mit dem Wasser, da hatte er nie Glück gehabt; wißt ihr noch, wie er mal im Weiher fast ertrunken wär'? Der Klemb hat ihn kaum noch retten können. Es war ihm wohl schon so bestimmt, dadurch zu sterben!«

Sie klagten und weinten sich aus und gingen schließlich auseinander, denn jede hatte genug allerhand Alltagssorgen, besonders Anna.

Im Dorf hatten sich all diese Neuigkeiten schnell verbreitet, so daß man schon beim Nachhausegehen in der Dämmerung einander davon erzählte; natürlich bedauerte man Gschela allenthalben; was aber die Jaguscha anbetraf, so hatten sich im Dorf zwei Parteien gebildet: alle Frauen nämlich, besonders die älteren, stellten sich auf Annas Seite und schimpften empört auf Jagna, für die die Männer, wenn auch schüchtern, Partei ergriffen hatten, so daß es selbst hier und da schon zum Zank gekommen war.

Und ehe es noch völlig Abend wurde, ging es im Dorf her wie in einem Bienenhaus; die Gevatterinnen besuchten einander, um sich darüber zu besprechen, einzelne riefen sich etwas über die Zäune und Gärten hinweg zu, oder redeten beim Melken der Kühe in den Heckenwegen mit den Vorübergehenden. In der Dämmerung kam eine von frischem, herbem Duft durchzogene Kühle auf, der Himmel stand im blassen Gold des Abends, von den Feldern drang das Zirpen der Grillen herüber, die Rufe der Wachteln ließen sich vernehmen, und aus den Graben und Sümpfen klang das schläfrige Unken der Frösche. Kinderstimmen, Singen, Viehgebrüll, Wiehern, Blöken, Geschnatter und Wagengeroll hallten durchs Dorf; auf den Wegen aber am Weiher und wo sich nur die Menschen begegneten, redete man eifrig über die letzten Geschehnisse, und auch darüber, mit welchem Erfolg die Bauern vom Gutsherrn heimkehren würden.

Mathias, der von der Sägemühle nach Hause ging, horchte hier und da, spuckte aber immer wieder wütend aus und fluchte leise vor sich hin, um die redseligen Gevatterinnen im weiten Bogen herumgehend; doch schließlich hatten ihn einige, die gerade vor Ploschkas Haus eifrig miteinander schwatzten, dermaßen in Wut gebracht, daß er nicht länger an sich halten konnte und sich aufgebracht hineinmischte.

»Anna hatte kein Recht, sie 'rauszusetzen, sie saß auf ihrem Eigenen. Sie kann für eine solche Geschichte gehörig zu sitzen kommen und ordentlich was zahlen müssen!«

Die dicke, rote Ploschkabäuerin überschrie ihn aber.

»Die Anna hat ihr doch nicht den Grund und Boden vorenthalten wollen, das weiß man doch! Da aber Antek jeden Augenblick zurückkommt, so kann man sich denken, wovor sie Angst gehabt hat! Hale, als ob man sich vor einem im eigenen Haus schützen könnte! Sollte sie vielleicht mit den Fingern vor den Augen dabeistehen?«

»Ih. ... Ihr wißt wohl, einer will was, und ein Grashalm muß dazu herhalten! Ihr redet, was euch die Spucke in den Mund tragt, aber nicht der Gerechtigkeit wegen, sondern aus purem Neid!«

Als hätte er einen Stock in ein Wespennest gesteckt, so fielen sie alle über ihn her.

»Was sollen wir ihr denn neiden, was? Daß sie ein Rumtreiber, eine Schlampe ist, daß ihr ihr nachlauft wie die Hunde, daß jeder gleich zu ihr unters Federbett kriechen möchte, daß durch sie Schande und der Zorn Gottes über das ganze Dorf kommt?«

»Vielleicht auch darum ist es euch leid, das weiß der Hund, was ihr da denkt! Biester von Vogelscheuchen, vor der Sonne ist es ihnen bange! Wäre sie so wie die Magda von der Schenke, dann würdet ihr schon alles durchlassen, und wenn sie selbst das Schlimmste machte, aber weil sie schöner ist wie ihr alle, da würde sie eine jede von euch am liebsten gleich ersäufen.«

Sie keiften dermaßen auf ihn ein, daß er sich eiligst aus dem Staub machen mußte.

»Daß euch Hundepack die verdammten Zungen abfallen!« fluchte er vor sich hin; und am Haus der Dominikbäuerin vorbeigehend, sah er durch das offene Fenster hinein. In der Stube war Licht, die Jaguscha konnte er aber nicht sehen, und hineinzugehen traute er sich nicht; so seufzte er nur und wandte sich seinem Hause zu; gleich darauf stieß er von ungefähr auf Veronka, die zu ihrer Schwester wollte.

»Soeben bin ich bei euch gewesen. Der Stacho hat das Holz schon bearbeitet und die Löcher auch gegraben, man könnte es schon zersägen, wenn ihr kommen wolltet.«

»Wenn? Vielleicht komm' ich schon am heiligen Garnicht! Das Dorf ist mir schon so zuwider, daß ich wohl schon alles wegschmeiße und hingehe, wohin es mir paßt!« schrie er wütend auf und rannte weiter.

»Den hat was gut gestochen, daß er in solcher Fahrt ist!« dachte sie und wandte sich dem Borynahof zu.

Anna war am Abräumen nach der Abendmahlzeit; sie nahm sie aber gleich beiseite und erzählte ihr alles, und wie es gekommen war. Veronka schwieg sich absichtlich über Jaguscha aus und sagte nur etwas über Gschela:

»Da er tot ist, so kommt sein Teil zur Verteilung.«

»Das ist wahr, daran hab' ich noch gar nicht gedacht.«

»Und mit dem, was der Gutsherr für den Wald geben muß, wird für jeden von euch gut eine halbe Hufe herauskommen, ihr seid ja doch bloß drei! Mein Gott, den Reichen kommt selbst andrer Leute Tod zugute,« seufzte sie wehmütig auf.

»Was geht mich der Reichtum an!« versuchte Anna abzuwehren. Als jedoch alle schlafen gegangen waren, machte sie sich daran, auf ihre Art zu rechnen und sich heimlich zu freuen.

Und dann zum Gebet niederkniend, murmelte sie voll Ergebung:

»Wenn er schon gestorben ist, dann war es wohl Gottes Wille.« Und sie betete aufrichtig für sein Seelenheil.

Am nächsten Tage gegen Mittag trat Ambrosius in die Stube.

»Wo seid ihr denn hingewesen?« fragte sie, mit dem Anzünden des Feuers auf dem Herd beschäftigt.

»Bei den Kosiols, eins von den Kindern hat sich zu Tode verbrüht. Sie hat mich geholt, aber da ist nur noch ein Sarg und ein Begräbnis nötig.«

»Welches denn?«

»Dieses kleinere, das sie im Frühjahr aus Warschau mitgebracht hat. Es ist in einen Kochtopf mit siedendem Wasser gefallen und hat sich da fast gekocht.«

»Die hat kein Glück mit diesen Findlingen.«

»Nein, das hat sie nicht. Sie verliert aber auch nichts daran, denn sie zahlen ihr das Begräbnis! Aber nicht deswegen bin ich gekommen.«

Beunruhigt erhob sie auf ihn ihre Augen.

»Wißt ihr, die Dominikbäuerin ist mit der Jaguscha zum Gericht gefahren, sie will euch verklagen, von wegen daß ihr die Tochter 'rausgejagt habt ...«

»Laß sie klagen, was kann sie mir da tun!«

»Sie sind heute früh zur Beichte gewesen, und dann haben sie sich noch lange mit Hochwürden beraten; ich hab' natürlich nicht gehorcht, aber ich sag' nur das, was ich so hab' hören müssen; sie haben sich so über euch beklagt, daß der Pfarrer selbst mit den Fäusten gedroht hat.«

»Will Priester sein und steckt seine Nase in fremde Angelegenheiten!« brauste sie auf; sie war aber durch diese Nachricht dermaßen mitgenommen, daß sie den ganzen Tag wie irr herumging, voll Ängste und voll böser Ahnungen.

Bei voller Dämmerung schon hielt irgendein Wagen vor dem Heckenweg.

Sie rannte erschrocken und am ganzen Körper bebend vors Haus; auf dem Wagen saß der Schulze.

»Das von Gschela wißt ihr wohl schon!« fing er an. »Na, lauter Unglück und kein Ende. Aber ich hab' für euch auch eine gute Nachricht: heute, spätestens morgen kehrt der Antek heim!«

»Wollt ihr mich auch nicht anführen?« Sie wagte gar nicht, ihm zu glauben.

»Der Schulze sagt es euch doch, darum könnt ihr es glauben! Im Amt haben sie es mir gesagt ...«

»Das ist denn auch gut so, daß er wiederkommt, es ist die höchste Zeit!« sagte sie kühl, wie ganz ohne Freude. Der Schulze aber sann etwas nach und sagte sehr freundschaftlich: »Ihr habt das schlecht gemacht mit der Jaguscha! Die hat euch verklagt; man kann euch bestrafen für eigenmächtiges Handeln und Gewaltsantuung. Ihr hattet kein Recht, sie hinauszusetzen, denn sie saß doch auf ihrem Eigenen. Das wird was Böses geben, wenn Antek wiederkommt und es so weit ist, daß man euch einsteckt. Ich rat' euch aus lauter Freundschaft, macht das wieder gut. Ich will für euch tun, was ich kann, daß sie die Klage zurücknehmen; aber das Unrecht müßt ihr selber gutmachen.«

Anna reckte sich und sagte geradeaus:

»Wen verteidigt ihr da? Eine, der man unrecht getan hat oder eure Buhle?«

Er brannte den Pferden so scharf eins auf, daß sie von der Stelle weg losrasten.


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