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Antek sah sich nach den Zurückgebliebenen um, wie ein Kater, den man von einer Milchschüssel weggejagt hatte, und überlegte, ob er nicht doch umkehren sollte. Als er aber die ihm nachfolgenden Gendarmen erblickte, faßte er plötzlich einen anderen Entschluß: er brach sich unterwegs einen tüchtigen Ast ab, und gegen einen Zaun gelehnt, schnitt er ihn sich zurecht, wägte ihn in der Hand und achtete auf die sich nähernden verhaßten Graumäntel, die, trotzdem sie nur zögernd vorwärtsgingen, ihn doch bald eingeholt hatten.
»Wohin geht denn der Herr Sergeant spionieren?« redete er ihn spöttisch an.
»Dienstlich, Herr Hofbauer, vielleicht haben wir selbst dieselbe Richtung, was?«
»Das würd' ich schon gerne tun, aber es scheint mir, daß unsere Wege sich bald trennen werden.«
Er sah sich rasch um; auf dem Weg war nicht eine lebendige Seele, nur daß das Gemeindeamt noch etwas zu nahe lag; so ging er denn mit ihnen weiter, sich dabei immer dicht am Zaun haltend und eifrig darauf achtend, daß sie ihn nicht plötzlich überrumpelten.
Der Sergeant merkte das und begann sofort ein freundschaftliches Gespräch mit ihm, wobei er sich beklagte, daß er vom frühen Morgen an noch nichts gegessen hätte.
»Für den Natschalnik hat der Schreiber doch an Essen nicht gespart, da haben sie für den Herrn Sergeanten gewiß noch was aufgehoben. Im Dorf werden doch keine Leckerbissen zu finden sein; Kohl und Klöße, das ist doch nichts für so feine Herren,« höhnte er absichtlich, so daß der Jüngere, der ein mächtiger Kerl war und einen unsteten Blick hatte, irgend etwas vor sich hinmurmelte; doch der Ältere schwieg sich aus.
Antek lächelte nur in sich hinein und machte immer größere Schritte, so daß sie ihm kaum folgen konnten, obgleich sie weder auf die ausgefahrenen Löcher auf der Landstraße noch auf die Pfützen achteten. Das Dorf war wie ausgestorben, und die Sonne brannte so stark, daß nur selten einer herauskam, um ihnen nachzublicken; hier und da nur sah man im Schatten ein paar helle Kinderköpfe auftauchen, und nur die Hunde gaben ihnen ihr Geleit, sie treulich mit lautem Gebell und Gegeifer verfolgend.
Der Sergeant zündete sich eine Zigarette an, und nachdem er zwischen den Zähnen hindurch ausgespien hatte, begann er sich zu beklagen, daß er niemals Ruhe hätte, weder einen Tag noch eine Nacht, denn immerzu hatte man Dienst und nichts als Dienst.
»Gewiß, es ist jetzt nicht leicht, dem Bauer auch nur das geringste abzutreiben ...«
Der Gendarm fluchte plötzlich auf und schimpfte los, bis er zuletzt selbst an die »Hundemutter« kam; Antek aber, dem die Sticheleien zu viel geworden waren, packte seinen Knüppel fester und sagte ganz herausfordernd:
»In Wahrheit hat euer Dienst nur so viel Nutzen, daß die Hunde in den Dörfern bellen und der eine oder der andere seinen letzten Silberling los wird.«
Auch dieses ließ der Sergeant über sich ergehen, obgleich er schon ganz grün vor Gift war und nach seinem Säbel tastete; erst als sie beim letzten Haus des Dorfes waren, stürzte er sich plötzlich auf Antek und rief seinem Kameraden zu:
»Faß den Kerl!«
Sie hatten sich verrechnet; denn kaum hatten sie versucht, ihn festzuhalten, als er sie auch schon wie lästige Hunde von sich stieß, beiseite sprang, sich an der Hauswand aufstellte, die Zähne gegen sie fletschte wie ein böses Tier und, mit dem Knüttel um sich herum fuchtelnd, mit gedämpfter Stimme herauspreßte:
»Geht eurer Wege ... mit mir werdet ihr doch nicht fertig, mich kriegen nicht mal vier, das ihr es wißt ... ich schlag' euch Hundepack noch eure Zähne aus! Was wollt ihr denn von mir? ... Ich hab' euch doch nichts getan ... Und wenn ihr hier Schlägereien sucht, gut ... aber bestellt euch nur erst einen Wagen für eure Knochen ... ihr sollt mir hier bloß mal herankommen und mich anrühren, versucht es!« schrie er, ihnen mit dem Stock drohend und schon zum Äußersten bereit.
Die Gendarmen blieben voll Bedenken stehen, denn er war ein mächtiger Kerl und schon ganz außer sich vor Wut; sein Knüttelstock schwirrte ihnen nur so vor den Augen hin und her. Der Sergeant aber, der merkte, daß mit ihm nicht so leicht fertig zu werden war, versuchte die ganze Sache als einen Spaß hinzustellen.
»Ha, ha, prächtig! Das ist nur mal geglückt,« und sich die Seiten wie vor Lachen haltend, zog er sich zurück; kaum aber hatte er sich einige Schritte von ihm entfernt, als er ihm mit Fäusten zu drohen begann und ihm schon mit ganz anderer Stimme zurief:
»Wir kriegen uns noch zu sehen, Herr Hofbauer, und werden miteinander reden!«
»Daß dich die Pest eher holt!« schrie Antek ihm zurück. »Hale, die Angst ist ihn angekommen, da will er sich mit Scherzmachen ausreden. Ich hab' auch noch was mit dir zu reden, wenn du mir mal auf einem einsamen Weg vor die Beine kommst,« knurrte er und bewachte sie, solange er ihnen noch nachblicken konnte.
»Der andere hat sie auf mich gehetzt; er hat wohl gedacht, daß sie mich einfach so nehmen können wie Hunde, die sich einen Hasen fangen. Das ist dafür, daß ich mich widersetzt habe, natürlich, die Wahrheit schmeckt ihm nicht,« sann er; und als er das Dorf eine gute Weile hinter sich gelassen hatte und an den Garten des Herrenhofs gelangt war, setzte er sich im Schatten nieder, um etwas auszuruhen; denn er bebte noch und war ganz in Schweiß gebadet.
Durch die Holzumzäunung konnte man das weiße Herrenhaus sehen, das in einem Wäldchen hoher Lärchenbäume stand. Die aufgesperrten Fenster sahen wie schwarze Löcher aus, und auf der Veranda, deren Dach sich auf Säulen stützte, sah man die Herrschaft sitzen. Sie mußten beim Essen sein, denn die Bedienten machten sich in einem fort um sie zu schaffen, und man hörte das Klappern des Geschirrs; zuweilen drang ein lustiges, langwährendes Gelächter zu ihm herüber.
»Die haben nichts auszustehen! Sie essen nur und trinken, und das andere ist ihnen gleich,« sann er und machte sich an seine Käsestulle heran, die ihm Anna in die Tasche gesteckt hatte.
Er aß langsam und ließ seine Augen über die gewaltigen Linden gehen, die den Weg umsäumten und ganz in Blüte und Bienengesumm dastanden. Der süße, sonnenwarme Duft erfüllte ihn mit Behagen; irgendwo vom Teich her quakte eine Ente, und das schläfrige Unken der Frösche stieg zu ihm auf. Aus dem Gebüsch erklangen leise Laute verschiedenen Getiers, und das Zirpen der Grillen auf den Feldern schwoll an und verebbte immer aufs neue; allmählich aber wurde alles stumm, als hätte die Sonnenglut jeglichen Laut erstickt. Die Welt lag still da, alles Lebendige hatte sich vor dem Sonnenbrand in den Schatten geflüchtet, und nur die Schwalben schossen unermüdlich durch die Luft.
Der Mittag lag glühend über dem Land, und die Augen taten einem weh von all dem Glanz und Geflimmer. Selbst im Schatten war es glühend heiß; die letzten Pfützen waren ausgetrocknet, und von den Getreidefeldern und dem glutversengten Brachland kam hin und wieder eine heiße Welle wie aus einem offenen Backofen.
Nachdem er sich ordentlich ausgeruht hatte, wandte sich Antek rüstigen Schritts den nahegelegenen Wäldern zu; doch kaum war er auf den von der Sonne überfluteten Weg getreten, kam die Hitze über ihn, so daß er wie durch zuckende weiße Flammen ging. Er zog den Kapottrock aus, aber das naßgeschwitzte Hemd fing an, ihm dennoch bald am Leib zu kleben; er entledigte sich der schweren Schaftstiefel und watete mit bloßen Füßen durch den Sand weiter, der wie glühende Asche war.
Die schiefen Birken, die hier und da am Weg wuchsen, gaben noch keinen Schatten, der Roggen beugte sich mit seinen schweren Halmen über den Wegrand, und die von der Glut entkräfteten Feldblumen ließen matt ihre Blüten hängen.
Eine heiße Stille lag in der Luft, und nirgends sah man weder einen Menschen noch einen Vogel oder ein anderes Lebewesen, nirgends bewegte sich weder ein Blatt noch der kleinste Halm; es war als ob um jene Stunde sich die Mittagsgöttin über die Welt gebeugt hätte, um mit trockenen Lippen die ganze Kraft der ohnmächtigen Erde in sich einzusaugen.
Antek verlangsamte seine Schritte immer mehr und sann im Gehen über die Gemeindesitzung nach; dabei packte ihn einmal die Wut, dann mußte er wieder lachen, und zuletzt kam ihn eine Entmutigung an.
»Was soll man mit solchen anfangen! Vor dem ersten besten Gendarmen kriegen sie Angst ... Wenn man ihnen befehlen würde, dem Stiefel des Herrn Natschalnik Order zu parieren, dann würden sie es ebensogut tun! Diese Schafsköpfe!« dachte er und fühlte Mitleid und Zorn bei diesem Gedanken. »Das ist schon wahr, daß es ein jeder von ihnen schlecht genug hat, daß jeder sich wie ein Beißker winden muß, und keiner weiß vor Armut aus noch ein; wie sollen sie sich da noch um solche Dinge kümmern. Das Volk ist so unwissend und arm, daß es nicht einmal weiß, was ihm not tut.« Betrübt sann er über das Ganze nach und eine bange Sorge legte sich über ihn.
»Der Mensch ist gerade wie ein Schwein, dem fällt es auch schwer, seinen Rüssel zur Sonne zu heben.«
Er grübelte und seufzte, und aus diesem Sinnen und Sorgen kam für ihn zuletzt nur das heraus, daß er sich dessen bewußt wurde, er hatte es auch nicht gut und vielleicht schlechter noch als die anderen.
»Gut haben es nur die, die nichts zu denken haben!«
Er machte eine wegwerfende Bewegung und ging so tief versonnen seiner Wege, daß er fast auf einen Lumpenjuden getreten wäre, der am Rande des Getreidefeldes saß.
»Ihr seid wohl außer Kräften gekommen bei dieser Hitze,« redete er ihn an und blieb stehen.
»Das ist ein Backofen, das ist eine Strafe Gottes, nicht nur 'ne Hitze,« ereiferte sich der Jude, und sich erhebend, legte er einen Gurt über seinen vom Alter gebeugten Nacken; er hatte sich wie ein Blutegel an seine Karre festgeklammert und schob sie mit ganzer Anspannung seiner Kräfte vor sich hin, denn sie war mit Säcken voll Lumpen und Kisten hoch vollgeladen, und obenauf stand noch ein Korb mit Eiern und ein Käfig voll Kücken. Da obendrein der Weg ganz sandig und die Hitze furchtbar war, so mußte er immer wieder ausruhen, obgleich er seine letzten Kräfte dran setzte, um die Karre weiterzuzerren.
»Nuchem, du wirst zu spät zum Schabbes kommen!« versuchte er sich mit weinerlicher Stimme anzuspornen.
»Nuchem, schieb du mal, du bist doch stark, wie ein Pferd!« murmelte er, um sich Mut zu machen. »Nuchem, nu, eins ... zwei ... drei ...« und er stürzte sich mit einem Verzweiflungsschrei auf die Karre los, schob sie etliche Schritte weiter und hielt wieder inne.
Antek nickte ihm einen Gruß zu und ging vorüber; doch der Jude rief ihm mit flehender Stimme zu:
»Helft mir, Herr Hofbauer, ich bezahl' es euch gut; ich kann nicht mehr, ich kann gar nicht mehr.« Er ließ sich auf seine Karre fallen, atmete schwer, und sein Gesicht war leichenblaß geworden.
Antek kehrte wortlos um, legte seinen Rock und seine Stiefel auf die Karre, griff fest zu und schob sie so rasch vorwärts, daß das Rad zu quietschen begann und Staub aufwirbelte; der Jude trippelte nebenher, schnappte keuchend nach Luft und redete aufmunternd auf ihn ein.
»Nur noch bis zum Wald, da ist der Weg gut, es ist nicht mehr weit, ich geb' euch einen ganzen Zehner.«
»Steck' ihn in deine Nase! Dummer, glaubst wohl, daß ich auf deinen Zehner was geb'! Was so ein Jude sich denkt, daß man alles in der Welt für Geld kriegen kann.«
»Ärgert euch nicht, ich geb' euch wunderschöne Hähnchen für die Kinder, nicht? Dann vielleicht Zwirn und Nadeln oder ein paar Bänder? Nein! Es können auch Semmeln, Bonbons, Brezeln oder andere Sachen sein? Ich hab' alles. Und vielleicht kauft der Herr Hofbauer ein Paket Tabak? Vielleicht soll ich ein Glas feinen Schnaps geben? Ich hab' ihn nur für mich, aber weil wir uns miteinander kennen ... Auf mein Gewissen, nur von wegen der Bekanntschaft!«
Er bekam einen Hustenanfall, daß ihm die Augen herausquollen, und als Antek seinen Schritt etwas verlangsamt hatte, hielt er sich an der Karre fest und schleppte sich mühselig nebenher, mit tränenden Augen zu ihm aufsehend.
»Da wird eine gute Ernte kommen, der Roggen ist schon billiger geworden,« fing er von einem anderen Ende an.
»Und wenn er keine gute Ernte abgibt, werden sie auch nicht mehr bezahlen. Alles nur zum Schaden des Bauern.«
»Ein gutes Wetter hat der liebe Gott gegeben, das Korn ist schön trocken.« Er zerrieb die Ähren und fing an, die Körner zu zerkauen.
»Versteht sich, der Herr Jesus leistet sich da mal was; die ganze Gerste ist schon zuschanden geworden.«
Sie redeten bedächtig über dieses und jenes, bis sie endlich auf die Gemeindeversammlung zu sprechen kamen. Der Jude wußte etwas darüber, denn er sagte, sich ängstlich rings umsehend:
»Wißt ihr, der Natschalnik hat schon im Winter einen Kontrakt mit einem Maurermeister gemacht, daß er die Schule in Lipce bauen soll. Mein Schwiegersohn war dabei Faktor, er hat es vermittelt.«
»Vergangenen Winter schon? Vor dem Beschluß? Ist das möglich?«
»Sollte er vielleicht einen um Erlaubnis bitten? Ist er denn nicht der Herr in seinem Kreis?«
Antek begann ihn auszufragen, denn der Jude wußte verschiedene besondere Dinge und erzählte gern; und zum Schluß sagte er noch versöhnlich:
»So muß es auch sein! Der Bauer lebt von der Erde, der Händler vom Handel, der Gutsherr von seinem Gut, der Priester von dem Kirchspiel und der Beamte von allen zusammen. So muß es sein, und so ist es auch gut, denn jeder muß ein bißchen leben. Hab' ich nicht recht?«
»Ich glaube, daß es nicht darum zu tun ist, daß der eine dem anderen das Fell über die Ohren zieht, aber darum, daß jeder nach der Gerechtigkeit lebt, wie es Gott befohlen hat.«
»Was soll man dagegen tun? Jeder lebt wie er kann.«
»Ich weiß, jeder ist auf seinen Vorteil bedacht, darum ist es auch schlecht in der Welt.«
Der Jude schüttelte nur seinen Kopf und dachte sich was.
Sie waren gerade in den Wald gelangt, wo der Weg fester wurde. Antek setzte die Karre nieder und kaufte für einen ganzen Silberling Bonbons für die Kinder; als aber der Jude sich bedanken wollte, knurrte er nur:
»Dummheiten, ich habe dir geholfen, weil es mir so gepaßt hat.«
Er bog schnell den Weg nach Lipce ein und ging davon. Eine wohltuende Frische umfing ihn; breitverzweigte Bäume überdachten den Weg so dicht, daß man nur in der Mitte einen Streifen Himmel sehen konnte, eine Flut flimmernden Sonnenlichts strömte bis auf den Weg. Es war ein alter mächtiger Forst: Eichen, Fichten und Birken drängten sich in einer dichten Schar zusammen, und in ihrem Schutz wuchs das geringere Volk der Haseln, Espen, Wacholder und Hainbuchen; hier und da breitete sich eine Tannenschonung trotzig aus, und die jungen Wipfel reckten sich gierig ins Sonnenlicht.
Auf dem Weg schimmerten noch überall die Pfützen vom gestrigen Gewitter, abgebrochene Äste lagen hier und da am Boden und hin und wieder sah man selbst eine Baumkrone oder ein junges entwurzeltes Bäumchen, das quer über den Weg gestürzt war und wie eine Leiche dalag. Es war ganz still, kühl und dämmerig ringsum, in der Luft lag ein modriger Duft, es roch nach Pilzen; die Bäume standen unbeweglich da, wie in das Anschauen des Himmels versunken, und nur hier und da drang die Sonne durch das dichte Laub. Das Licht kroch wie goldene Spinnen über die Moose und legte sich auf die roten Beeren, die wie geronnene Blutstropfen aus dem bleichen Gras hervorleuchteten.
Die Kühle und die tiefe Stille des Waldes hatten Antek übermannt, so daß er sich unter einen Baum setzte und unwillkürlich einschlief. Er wachte erst durch ein Schnaufen und ein Pferdegetrampel wieder auf, und als er erkannte, daß es der Gutsherr war, der vorübergeritten kam, trat er an ihn heran.
Sie begrüßten sich gut nachbarlich.
»Das ist heute eine Hitze, was?« redete ihn der Gutsherr an und tätschelte besänftigend den Hals seiner unruhig gewordenen Stute.
»Das ist rein so, daß man wohl gut in einer Woche mit der Sense ins Feld muß.«
»Auf den Feldern von Modlica sind sie schon tüchtig beim Roggenmähen.«
»Das ist auch Sandboden, aber heuer ist die Ernte überall früher.«
Der Gutsherr fragte ihn nach der Gemeindeversammlung, und als er gehört hatte, wie alles vor sich gegangen war, sperrte er die Augen auf vor Staunen.
»Und ihr habt richtig und laut eine polnische Schule gefordert?«
»Wie ich es gesagt habe, ich hänge mein Maul nicht in den Wind.«
»Daß ihr euch aber getraut habt, dem Natschalnik damit zu kommen, na, na!«
»Es steht doch deutlich genug im Gesetz, da hab' ich doch das Recht dazu gehabt.«
»Wie ist es euch denn aber bloß in den Kopf gekommen, eine polnische Schule zu fordern?«
»Wie! Wir sind doch Polen und keine Deutschen oder sonst was.«
»Wer hat euch das in den Kopf gesetzt?« fragte er etwas leiser und beugte sich zu ihm vor.
»Die Kinder kommen auch ohne Lehrer zur Vernunft,« antwortete er ausweichend.
»Ich sehe, daß der Rochus nicht umsonst in den Dörfern herumgeht,« setzte er Gutsherr in derselben Art seine Rede fort.
»Er und der Onkel vom gnädigen Herrn, die unterrichten das Volk, wo sie nur können,« fügte Antek nachdrücklich hinzu, ihm scharf in die Augen sehend; der Gutsherr machte eine hastige Bewegung und fing von was anderem an zu reden. Antek aber kehrte immer wieder wie mit Absicht zu derselben Angelegenheit zurück und berührte allerhand bäuerliche Mißstände, dabei immerwährend über die Unwissenheit und Verwahrlosung klagend, in der das Volk leben müsse.
»Weil sie auf niemanden hören wollen! Ich weiß doch, wie die Geistlichkeit sich mit ihnen abmüht, wie sie sie zur Arbeit anhält; das ist aber geradeso, als ob einer taube Erbsen zu dreschen versuchte.«
»Hale, mit Predigen hilft man gerade so viel, wie dem Toten mit Weihrauch.«
»Womit denn sonst? Ich sehe, daß du im Gefängnis klug geworden bist,« gab der Gutsherr hämisch zurück, so daß Antek rot wurde, ihn schief ansah, aber noch ganz ruhig sagte:
»Das ist schon so; klüger bin ich geworden, und das weiß ich, schuld an allem sind mir die Herren.«
»Unsinn, was haben die dir denn Schlechtes getan?«
»Das haben sie mir getan, daß sie, als wir noch polnisch waren, nichts anderes gekonnt haben, als uns zu unterdrücken und uns mit der Peitsche zu regieren, und selbst haben sie nur immerzu Feste gefeiert, bis sie aus dem Volk den letzten Heller herausgefeiert haben; und jetzt können wir alles wieder von neuem aufbauen.«
Der Gutsherr, der ein heftiger Mensch war, wurde böse und herrschte ihn an:
»Was hast du, Bauernlümmel, dich an die Herren heranzumachen? Bleib' du bei deinem Mist und deiner Heugabel, hast du verstanden! Und deine Zunge behalt' im Maul, damit man sie dir nicht einklemmt.«
Er ließ die Reitpeitsche durch die Luft sausen und ritt so schnell davon, daß der Stute die Milz zu spielen begann.
Antek machte sich ebenfalls ganz zornig und erregt auf den Heimweg.
»Das Hundeblut!« murmelte er wütend. »Gnädige Herren, dieses Schweinepack! Solange er die Bauernfreundschaft nötig hatte, da hat er mit jedem Brüderschaft geschlossen. Aas! Ist selbst nicht mal eine gebratene Laus wert und will hier andere mit Bauernlümmel traktieren!« grollte er und stieß vor Wut nach jedem Fliegenpilz, der ihm im Weg stand.
Er trat gerade aus dem Wald auf den Pappelweg, als es ihm plötzlich vorkam, daß er bekannte Stimmen hörte; er sah sich aufmerksam um: im Schatten der Birken am Kreuz hielt ein staubbedeckter Wagen, und dicht dabei am Waldrand stand Jascho, der Organistensohn, mit der Jaguscha.
Er rieb sich die Augen, überzeugt, daß ihn da was narrte; aber doch nicht, sie standen kaum ein paar Schritte von ihm entfernt, waren ganz ineinander vertieft und lächelten sich an.
Er war sehr verwundert und spitzte eifrig die Ohren, konnte aber, obgleich er die Stimmen hörte, doch kein Wort verstehen.
»Die ist wohl gerade aus dem Wald gekommen, als er hier vorüber gefahren ist, und da haben sie sich denn getroffen,« dachte er. In demselben Augenblick aber stach ihn der Neid; er runzelte die Stirn, und ein dumpfes, fressendes Mißtrauen setzte sich in ihm fest.
»Verabredet haben sie sich, das wird es wohl sein!« Als er aber Jaschos stilles Gesicht und seine Priesterkleidung sah, beruhigte er sich und atmete erleichtert auf. Er konnte nur nicht klug daraus werden, warum die Jaguscha, wenn sie in den Wald ging, sich dermaßen aufgeputzt hatte. Und warum leuchteten ihr denn die blauen Augen so? Warum bewegten sich ihre roten Lippen so eifrig und war solche Freude in ihrem Gesicht? Er sah gierig zu ihr hinüber, wie sie Schultern und Brust vorreckte und ihm einen kleinen Spankorb entgegenhielt, aus dem Jascho ein paar Beeren nahm, sie verzehrte und ihr hin und wieder ein paar in den Mund schob ...
»Ist schon fast ein Priester und spielt hier herum wie ein dummer Junge,« murmelte er verächtlich und wandte sich rasch seinem Hause zu, denn an dem Stand der Sonne sah er, daß es schon um die Vesperzeit war.
»Solange ich diesen Splitter in Ruhe lasse, merk' ich ihn nicht!« sann er. »Und wie die ihn gierig angeguckt hat! Am liebsten hatte sie ihn gleich aufgefressen! Laß die nur, laß sie nur! ...«
Aber vergeblich versuchte er, sie sich aus dem Sinn zu schlagen; der Splitter saß und schmerzte ihn bis ins innerste Mark.
»Vor mir rennt sie weg, wie vor der Pest. Versteht sich, ein neues Lieben ist besser wie ein altes; zum Glück wird das mit dem Jascho zu nichts kommen.« Er wurde immer ärgerlicher. »Manch eine ist doch gerade wie eine Hündin: wenn einer pfeift, dann rennt sie.«
Er beschleunigte seine Schritte, konnte aber die bitteren Erinnerungen immer noch nicht los werden. Verschiedene kamen ihm entgegen, aber er sah sie nicht. Er beruhigte sich erst, als er schon ganz in der Nähe des Dorfes war, denn er hatte plötzlich die Organistin erblickt, die mit einem Strickstrumpf am Graben saß; ihr Jüngstes kugelte sich vor ihr im Sand, und eine Schar zum Teil gerupfter Gänse weidete zwischen den Pappeln.
»Sind die Frau Organistin so weit mit ihren Gänsen herausgekommen?« Er blieb stehen und wischte sich den Schweiß vom Gesicht ab.
»Ich bin meinem Jascho entgegengefahren, er muß gleich hier sein.«
»Ich hab' ihn am Wald gesehen.«
»Den Jascho? Kommt er schon?« rief sie und sprang auf. »Pilusch, Pilu, Pilu, wohin wollt ihr denn, ihr Schadenmacher, he, ihr da?« schrie sie auf die Gänse ein, die sich ganz unerwartet an den Roggen herangemacht hatten, der an der Landstraße wuchs, und dabei waren, die Ähren gierig abzuknabbern.
»Der Wagen stand am Kreuz, er aber redete mit irgendeiner Frau.«
»Gewiß hat er eine Bekannte getroffen, da unterhalten sie sich miteinander. Da muß er auch gleich hier sein. Ein herzensgutes Kind: er läßt nicht einen fremden Hund an sich vorbei, ohne ihn zu streicheln. Wen hat er denn da getroffen?«
»Ich hab' sie nicht gut erkennen können, aber es schien mir, daß es die Jaguscha war.« Und als er merkte, daß die Organistin ihr Gesicht unwillig verzog, setzte er noch mit vielsagendem Lächeln hinzu: »Ich konnte es nicht gut sehen, sie sind mir etwas außer Gesicht gewesen, in der Schonung waren sie ... gewiß wegen der Hitze.«
»Ihr Heiligen! Was euch in den Kopf kommt! Der Jascho sollte sich mit einer solchen abgeben ...«
»Die ist ebenso gut wie die anderen, und vielleicht noch besser!« Er wurde ganz zornig.
Die Organistin begann noch rascher ihre Stricknadeln zu bewegen und schenkte ihrem Strumpf eine besondere Aufmerksamkeit.
»Daß dir die Zunge steif wird, du Quasselpeter,« dachte sie, tief verletzt. »Jascho sollte sich mit so einem Frauenzimmer ... ist doch schon fast ein Priester ...« Es kamen ihr aber plötzlich verschiedene Priestergeschichten in den Sinn, und eine Unruhe bemächtigte sich ihrer; sie kratzte sich mit einer Stricknadel im Haar und beschloß, den Antek eingehend darüber zu befragen; doch er war schon fort. Anstatt dessen sah sie auf der Landstraße eine Staubwolke auftauchen, die vom Wald her immer schneller herankam; und es war kaum ein Ave vorüber, als Jascho sie schon stürmisch umhalste und ihr zujubelte:
»Mütterchen! Liebes Mütterchen!«
»Ihr Heiligen! Du wirst mich noch erwürgen. Laß los, du Ungestüm, laß los!« Und als er das tat, fing sie selbst an, ihn zu umarmen und zu küssen und betrachtete ihn voll Zärtlichkeit.
»Haben die dich aber ausgehungert, mein Armer! Und so blaß wie du bist, Kind! Und so mager!«
»Die Brühe aus geweihtem Wasser macht nicht dick!« lachte er und hob den kleinen Bruder auf, der vor Freude aufkreischte.
»Hab' keine Angst, ich werd' dich schon wieder zurechtfüttern,« sprach sie und strich liebkosend über seine Wangen.
»Laß uns doch fahren, Mütterchen, da kommen wir eher nach Hause.«
»Und die Gänse! Ihr Heiligen! Die sind wieder beim Schadenmachen!«
Er sprang hinzu, um sie wegzujagen, denn sie hatten sich an den Roggen gemacht und zupften sich gierig das Korn aus den Ähren; dann setzte er den Bruder auf dem Wagen zurecht und ging mit der Mutter nebenher, die Gänse vor sich hertreibend und über seine Reise erzählend.
»Sieh bloß mal, wie der Bengel sich schmutzig gemacht hat,« bemerkte sie, auf den Kleinen weisend.
»Er ist bei meinen Beeren gewesen. Iß, Stascho, iß! Ich habe im Walde die Jaguscha getroffen, sie kam vom Beerensammeln und hat mir welche abgegeben ...« Er wurde verlegen und errötete.
»Gerade vor einem Augenblick hat mit der Boryna erzählt, daß er euch begegnet ist ...«
»Ich hab' ihn nicht gesehen, er muß wohl irgendwo seitwärts vorbeigegangen sein.«
»Mein liebes Kind, die Leute im Dorf sehen durch die Wände hindurch, selbst das, was gar nicht gewesen ist!« sagte sie mit Nachdruck, ihre Augen auf die blitzenden Stricknadeln senkend.
Jascho schien nichts davon verstanden zu haben, denn als er einen tief über dem Kornfeld kreisenden Taubenschwarm erblickte, schleuderte er ihm einen Stein nach und rief fröhlich:
»Man erkennt gleich an den dicken Kröpfen, daß es dem Pfarrer seine sind ...«
»Sei doch still, Jascho, es kann's noch einer hören,« wies sie ihn sanft zurecht; und in ihren Gedanken malte sie sich aus, wie er einmal auch Pfarrer werden würde und daß sie dann bei ihm ihre alten Tage in Ruhe und Glück verleben könnte.
»Und wann kommt denn dem Müller sein Felek auf Ferien?«
»Weißt du denn noch nicht, Mutter, daß sie ihn verhaftet haben?«
»Ihr Heiligen! Verhaftet? Was hat er denn gemacht? Das hab' ich immer gesagt, hab' ich es nicht vorausgesagt, daß es mit ihm noch mal ein schlechtes Ende nehmen wird! Solch ein liederlicher Mensch, für den wäre eine Schreiberstelle gerade gut genug gewesen, aber die Müllersleute wollten gleich einen Doktor aus ihm machen! Und was haben sie mit ihm großgetan und die Nasen in die Luft gesteckt, und jetzt sitzt das Söhnchen im Gefängnis, da haben sie ihre Freude!« ... Sie war ganz erregt und voll rachsüchtiger Freude.
»Es ist doch aber wegen ganz was anderem, er sitzt ja in der Zitadelle.«
»In der Zitadelle? Da muß es ja etwas Politisches sein.« Sie senkte ihre Stimme.
Jascho wußte nichts zu entgegnen oder wollte es vielleicht auch nicht; sie aber flüsterte ängstlich:
»Mein Kind, misch' du dich nur ja nicht in so was hinein.«
»Bei uns darf man über solche Sachen gar nicht mal reden, sonst würden sie einen gleich fortjagen.«
»Siehst du! Sie würden dich fortjagen, und du würdest kein Priester werden können! Und ich würde mich totgrämen! Gott erbarm' dich!«
»Du brauchst keine Angst wegen mir zu haben, Mutter.«
»Du weißt doch auch, wie wir arbeiten und vorsorgen, damit ihr es wenigstens etwas besser habt. Und daß es uns schwer fällt, weißt du doch auch, denn ihr seid doch viele, und die Einkünfte werden immer geringer; und wenn wir nicht das bißchen Grund und Boden hätten, dann müßten wir, so wie unser Pfarrer ist, manchmal geradezu Hunger leiden. Du mußt wissen, daß neuerdings sich der Pfarrer wegen den Hochzeiten und Begräbnissen selbst mit den Bauern einigt. Hat man so was je gehört! Er sagt, der Vater hätte den Leuten das Fell über die Ohren gezogen! So ein Wohltäter ist er, wenn es nicht aus seiner Tasche geht!«
»Das ist doch aber auch wahr,« preßte er schüchtern hervor.
»Was! Du willst über den Vater herziehen? über den leiblichen Vater! Und wenn er das getan hätte, für wen denn wohl? Nicht für sich doch, sondern für euch, für dich, für dein Studium,« klagte sie schmerzlich.
Jascho begann sie um Verzeihung zu bitten, wurde aber von einem lauten Klingeln, das vom Weiher kam, unterkrochen.
»Hör' mal! Das ist gewiß der Priester, der mit dem Leib Christi zu einem Kranken geht.«
»Die klingeln jetzt eher für die Bienen, damit sie ihnen nicht wegfliegen; sie schwärmen wohl schon auf dem Pfarrhof. Der Pfarrer kümmert sich jetzt mehr um seinen Bullen und um die Bienenstöcke als um die Kirche.«
Sie waren gerade vor den Kirchhof gelangt, als plötzlich ein lautes Summen zu ihnen herüberdrang. Kaum daß Jascho Zeit hatte, dem Kutscher zuzurufen:
»Bienen! Haltet die Pferde, sonst werden sie noch scheu.«
Tatsachlich kam auch über den Kirchplatz ein großer Bienenschwarm geflogen; er schwebte noch hoch in der Luft wie eine summende Wolke und beschrieb Kreise, nach einer Stelle suchend, wo er hatte niedergehen können. Dann senkte er sich und zog zwischen den Bäumen vorüber, hinterdrein aber sah man den Priester, nur mit Hose und Hemd bekleidet, ohne Hut, atemlos laufen und ununterbrochen den Weihwasserwedel in der Luft schwenken, während Ambrosius, sich immerzu im Schatten haltend, von der Seite heranschlich und aus Leibeskräften läutete und schrie; sie rannten ein paarmal, ohne anzuhalten, um den Platz herum, denn die Bienen sanken immer tiefer, als hätten sie die Absicht, auf eins der benachbarten Häuser niederzugehen, so daß die Kinder erschrocken auseinanderstoben. Plötzlich aber flogen sie etwas höher und kamen geradeswegs auf Jaschos Wagen zu; die Organstin kreischte auf und duckte sich, die Rocke über den Kopf ziehend, im Graben nieder, die Pferde fingen an, unruhig zu werden, so daß der Kutscher auf sie zusprang, um ihnen die Augen zuzudecken; und die Gänse rannten auseinander. Nur Jascho blieb ruhig stehen und sah zu ihnen hin; der Schwärm drehte dicht vor ihm ab und flog schnurstracks auf das Glockenhaus zu.
»Wasser her!« brüllte der Pfarrer und rannte im Trab hinterdrein; er holte sie ein, besprengte sie dermaßen, daß sie, ohne die nassen Flügel bewegen zu können, sich im Fenster des Glockenhauses festzusetzen begannen.
»Ambrosius! Her mit der Leiter, und das Netz, aber rasch, sonst gehen sie noch weg! Rühr' dich, Klumpfuß! Guten Tag, Jascho! Mach' mal gleich Feuer im Weihrauchschiffchen, man muß sie beräuchern, dann beruhigen sie sich!« schrie er ganz aufgeregt und ließ nicht nach, den niedersinkenden Schwarm immer wieder zu besprengen. Es war kaum ein Ave vorüber, als schon die Leiter an dem Glockenhaus lehnte, Ambrosius klingelte, Jascho schwenkte das Weihrauchschiffchen, so daß es wie ein Schlot qualmte, und der Pfarrer kletterte die Leiter empor; als er die Bienen erreicht hatte, tastete er mit den Händen herum, um die Königin herauszufinden.
»Die haben wir! Gott sei Dank, jetzt fliegen sie uns nicht mehr weg! Räuchere mal von unten herauf, sie kriechen auseinander!« befahl er und scharrte mit bloßen Händen die Bienen in das Netz; er fürchtete sich nicht, obgleich sich schon viele Bienen auf seinen Kopf gesetzt hatten und ihm übers Gesicht krochen, er redete immerzu auf sie ein und scharrte und scharrte sie immer weiter in sein Netz, denn der Schwarm war sehr groß.
»Paß auf! Sie werden unruhig, sie können noch stechen!« warnte er, die Leiter herabsteigend, er war von dem ganzen Bienenschwarm umgeben, der ihn mit lautem Gesumm umkreiste; als er wieder unten angelangt war, hob er das Sieb etwas von sich ab und hielt es wichtig und feierlich wie eine Monstranz; Jascho beräucherte ihn, das Weihrauchschiffchen hin- und herschwenkend, und Ambrosius klingelte und besprengte die Bienen immer wieder. So schritten sie in dieser feierlichen Prozession auf den Bienengarten zu, der hinter dem Pfarrhof lag, und wo hinter einer besonderen Umzäunung an die dreißig bis vierzig von lautem Gesumm umgebene Bienenstöcke standen, um die ein Schwärmen war, als wollten aus allen bald die neuen Bienenschwärme auffliegen.
Als der Pfarrer sich an das Einsetzen der Bienen machte, entschlüpfte Jascho, der bereits hungrig und müde war, und lief nach Hause.
Natürlich freuten sich alle über seine Ankunft, und was da geschrien, geküßt und ausgefragt wurde, das läßt sich gar nicht sagen. Als die erste Freude vorüber war, setzten sie ihn an den Tisch und begannen ihm allerhand Leckerbissen aufzutragen, ihn zu nötigen und zum Essen einzuladen. Das ganze Haus war voll Gelaufe und erregter Stimmen, denn alle wollten ihn auf einmal bedienen und ihm nahe sein. Mitten in diese Aufregung kam Gschela, der Bruder des Schulzen, und fing an, sie unruhig auszufragen, ob nicht jemand von ihnen Rochus gesehen hätte; aber niemand wußte etwas von ihm.
»Ich kann ihn nirgends auffinden,« klagte er besorgt, und ohne sich weiter in eine Unterredung einzulassen, rannte er fort, um ihn von Haus zu Haus zu suchen. Kaum daß er weg war, wurde Jascho nach dem Pfarrhaus gerufen. Er zögerte etwas, aber schließlich mußte er doch hin.
Der Propst saß auf der Veranda beim Nachmittagkaffee, er küßte Jascho mit väterlicher Herzlichkeit ab, ließ ihn sich an seine Seite niedersetzen und sagte sehr gnädig:
»Ich freue mich, daß du gekommen bist, da werd' ich einen haben, mit dem ich zusammen das Brevier vornehmen kann. Weißt du, wie viele Schwärme ich in diesem Jahr habe? Fünfzehn! Und stark sind sie, wie die Alten, manche haben schon ein Viertel vom Bienenstock voll Honig. Es wären noch mehr gewesen, ich hab' aber den Ambrosius auf den Bienengarten aufpassen lassen, der Esel ist natürlich eingeschlafen, und die guten Bienlein sind, hast du nicht gesehen, auf und davon über alle Berge. Und einen Schwarm hat mir der Müller gestohlen! Na, ich sag' es dir, gestohlen hat er ihn! Sie sind auf seinen Birnbaum geflüchtet, und er hat sie sich geholt, als ob es seine eigenen wären, vom Wiedergeben wollte er nichts hören. Wegen dem Bullen ist er böse, da versucht er sich jetzt an mir zu rächen, wo er nur kann, dieser Gauner! Hast du das schon von seinem Felek gehört? Das Fliegengeschmeiß beißt heute wie die Wespen. Weg da!« stöhnte er und fächelte sich mit dem Taschentuch die Fliegen weg, die sich immer wieder auf seine Glatze setzten.
»Ich weiß nur das eine, daß er in der Zitadelle sitzt.«
»Wenn da nur nicht noch etwas Böseres herauskommt! Da hat er nun, was er sich eingebrockt hat. Und was hab' ich auf ihn eingeredet und ihm alles auseinandergesetzt! Der Schafskopf hat aber nicht hören wollen, und jetzt haben wir die Bescherung! Der Alte ist ein Dummkopf und ein Narr; aber um den Felek ist es doch schade, ein begabtes Luder, und das Latein kannte er, ein Bischof hätte da nicht besser Bescheid gewußt. Was hilft's aber, wenn man Flausen im Kopf hat und mit der Hacke gegen die Sonne angehen will ... Und es steht doch geschrieben: wie war das denn doch ... aha! was nicht erlaubt ist, das rühre nicht an, und was verboten ist, da gehe im weiten Bogen darum herum! Ein demütiges Kalb wird von zweien Müttern gesäugt ... so ist es ...« redete er in einem fort; seine Stimme klang zuletzt aber immer leiser, und er wehrte die Fliegen immer nachlässiger ab. »Merk' dir das, mein Lieber! Na, ich sag' es ja, merk' dir das!« Er nickte mit dem Kopf und sank in den weichen Lehnsessel zurück; als aber Jascho vom Stuhl aufstand, schlug er die Augen auf und murmelte: »Die Bienlein haben mich müde gemacht! Und abends kannst du zum Gebet 'rüberkommen. Gib aber acht auf dich und laß dich nicht mit den Bauern ein, denn wer sich in die Spreu tut, den fressen die Schweine! Na, ich sag' es, sie fressen ihn, und fertig damit!« Er deckte die Glatze mit dem Taschentuch zu, und man hörte bald nur noch sein Schnarchen.
Dasselbe schien auch der Organist zu denken, denn als der Knecht die Pferde auf die Nachtweide treiben wollte und Jascho eins davon bestieg, schrie ihn der Vater an:
»Steig' mir da gleich herunter! Es schickt sich nicht, daß ein Priester auf einem ungesattelten Pferd reitet und sich mit Pferdehirten einläßt!«
Jascho hatte große Lust mitzureiten, kletterte aber vom Pferd herunter und ging wie begossen nach den Gärten zu, in denen es schon ganz schummrig war, um seine Abendgebete zu lesen. Wie hätte er sich aber da sammeln sollen, wenn Mädchenlieder immer wieder irgendwo aus der Nähe erklangen, Weiber in einem benachbarten Garten schwadronierten, daß jedes Wort über die taugebadeten Wiesen herüberkam, wenn das Gekreisch und Gelächter der im Weiher badenden Kinder immer wieder zu hören war, die Kühe brüllten, die Perlhühner des Pfarrers mit durchdringendem Glucksen sich lockten, und das ganze Dorf wie ein großer Bienenstock vor allerhand Stimmen summte. Immer wieder kam er aus dem Konzept, und als er schließlich den Zusammenhang gefunden hatte, am Roggenfeld niederkniete, die Blicke dem Sternenhimmel zugewandt und die Seele hoch in eine ferne Welt hinaussendend, erklang vom Dorf her ein solches furchtbares Geschrei, Weinen und Fluchen, daß er aufsprang und eiligst nach Hause rannte vor Angst und Unruhe.
Gerade kam die Mutter zur Tür heraus, um ihn zum Abendbrot zu rufen.
»Was ist da los? Man prügelt sich wohl?«
»Der Joseph Wachnik ist vom Kreisamt etwas angetrunken nach Hause gekommen und hat mit seiner Frau das Zanken gekriegt. Die hat schon lange eine ordentliche Tracht Prügel verdient! Brauchst dich nicht zu ängstigen, der wird schon nichts passieren.«
»Die schreit doch aber, als wenn man ihr die Haut abzöge.«
»Das ist so gewöhnliches Weibergeschrei. Wenn er sie mit dem Stock prügeln würde, würde sie still sein. Sie wird sich schon morgen dafür rächen, das wird sie schon! Komm, Kind, das Abendessen wird sonst kalt.«
Er berührte kaum das Abendessen und legte sich, da er sich ermattet fühlte, gleich schlafen. Am nächsten Morgen aber, kaum daß die Sonne aufleuchtete, war er schon auf den Beinen. Er rannte ins Feld, brachte den Pferden Klee, neckte die Truthähne des Pfarrers, so daß sie zornig aufkollerten, begrüßte die Hunde, die sich vor Freude fast von den Ketten losgerissen hätten, streute den Tauben Futter aus, half dem jüngeren Bruder die Kühe hinaustreiben, hackte für Michael das Holz, untersuchte die reifenden Birnen im Obstgarten, spielte mit dem Füllen und war überall dabei. Mit zärtlichen Blicken begrüßte er jegliches Ding, alles was da leibte und lebte, als wäre noch das Kleinste ihm wie ein herzlicher Freund und leiblicher Bruder, selbst die blütenüberschütteten Malven, selbst die Ferkel, die sich behaglich in der Sonne räkelten, selbst die Disteln und das Unkraut, das sich am Zaun versteckt hielt. Die Mutter aber, die mit liebevollen Blicken ihm nachsah, lächelte begütigend dazu und murmelte:
»So ein Närrchen! So ein Närrchen!«
Er aber schlenderte herum, und strahlte wie ein heller, froher, sonniger, warmer Julitag. Die ganze Welt umfing er mit seiner liebenden Seele; als aber die Betglocke zu läuten begann, ließ er alles liegen und rannte in die Kirche. Und als der Pfarrer mit der Frühmesse heraustrat, ging er voran, mit einem neuen Chorhemd bekleidet, das mit frischen roten Bändern geschmückt war. Die Orgel ertönte und stimmte laut eine vielfältige Weise an, und eine kräftige Stimme setzte vom Chor herab singend ein, so daß die Lichter erbebten, während die Anwesenden vor dem Altar niederknieten: die Messe begann.
Obgleich Jascho den Meßdienst versah und in den Zwischenpausen eifrig betete, wurde er bald Jaguscha gewahr, die etwas nach der Seite zu kniete; und jedesmal, wenn er den Kopf erhob, sah er ihre blauen, leuchtenden Augen, die ihn anstarrten, und ihr heimliches Lächeln, das um die roten, leicht geöffneten Lippen spielte.
Gleich nach dem Gottesdienst nahm ihn der Propst mit sich ins Pfarrhaus und setzte ihn ans Schreiben, so daß er erst nach Mittag sich losreißen konnte, um ins Dorf zu eilen und alle Bekannten zu begrüßen.
Zuerst sah er bei den Klembs ein, denn sie waren die nächsten; ein schmaler Pfad nur trennte den Pfarrhof von ihrem Gewese; er fand jedoch niemanden vor, nur im Flur, in dem die Türen nach beiden Seiten zu offen standen, bewegte sich plötzlich etwas in einer Ecke, und eine heisere Stimme ließ sich darauf vernehmen.
»Ich bin es ja, die Agathe!« Sie versuchte sich zu erheben und breitete erstaunt ihre Arme aus: »Jesus, der Herr Jascho!«
»Bleibt ruhig liegen, seid ihr denn krank?« fragte er besorgt, und einen Holzklotz heranschiebend, setzte er sich zu ihr hin; aber ihr erdfahles, ausgetrocknetes Gesicht war kaum zu erkennen.
»Auf Gottes Erbarmen wart' ich nur noch!« Ihre Stimme nahm einen feierlichen Klang an.
»Was fehlt euch denn?«
»Nichts, der Tod wächst nur in mir und wartet auf seine Erntezeit. Die Klembs haben mich zu sich genommen, daß ich bei ihnen sterben kann, da bet' ich denn meine Gebete und warte geduldig auf die Stunde, daß die Knochenfrau anklopft und sagt: komm her, müde Seele.«
»Warum bringt man euch denn nicht in die Stube?«
»Hale, solange die Zeit nicht da ist, werd' ich ihnen doch nicht den Platz wegnehmen ... sie mußten schon sowieso das Kalb irgendwo anders hintun ... Aber sie haben es mir versprochen, daß sie mich, wenn meine letzte Stunde kommt, in die Stube tragen werden, aufs Bett, unter die Heiligenbilder, und eine Kerze werden sie für mich anzünden ... und den Priester herholen, ... und dann ziehen sie mir meine Feiertagskleider an und bereiten mir ein hofbäuerliches Begräbnis. Versteht sich, daß ich ihnen alles gegeben habe ... und die guten Leute werden die arme Waise wohl nicht benachteiligen. Lange werd' ich ihnen doch hier nicht im Wege sein ... und vor Zeugen haben sie es mir versprochen, vor Zeugen.«
»Und wird euch die Zeit nicht lang, so allein zu sein?« Seine Stimme war voll Mitleid und Tränen.
»Ganz gut hab' ich es hier, mein junges Herrchen, und ein ordentliches Stück Welt kann ich noch dazu hier durch die Tür sehen. Da kommt mal einer über den Weg gegangen, sagt mal einer was, guckt vielleicht ein und spricht ein gutes Wort, da ist es mir denn, als lief ich noch selber im Dorfe herum. Und wenn alle an die Arbeit gehen, dann kommen hier die Hühner und scharren im Kehricht, die Schweinchen knurren hinter der Wand, mal kommt ein Hund, mal stürzen Spatzen in den Flur, die Sonne leuchtet ein bißchen herein, bevor sie untergeht, und manchmal wirft ein Schlingel ein Klümpchen Erde herüber; so geht der Tag vorüber, ehe sich der Mensch versieht. Auch nachts kommen welche zu mir ... jawohl ... manch einer ...«
»Wer denn? Wieso?« Er sah ihr aus der Nähe in die weit offenen Augen, die wie blind um sich stierten.
»Alle die Meinen, die schon lange gestorben sind, all die Verwandten und Bekannten. Ist wirklich wahr, mein junges Herrchen, daß sie kommen ... Und einmal,« flüsterte sie mit einem Lächeln voll unsagbaren Glücks und Zärtlichkeit, »ist zu mir die heilige Jungfrau gekommen und hat ganz leise gesagt: lieg' du nur, Agathe, der Herr Jesus wird dich belohnen! ... Die Tschenstochauer war es in eigener Person, gleich hab' ich sie erkannt ... eine Krone hatte sie auf und hatte einen Mantel um/ganz in Gold und Korallenschnüren war sie. Sie hat mir den Kopf gestreichelt und hat gesagt: hab' keine Angst, armes Kind, eine erste Hofbäuerin wirst du im Himmelshof sein, Herrin wirst du sein ...«
Und so plapperte die Alte vor sich hin wie ein zirpendes Vöglein, das einschläft. Jascho aber horchte, über sie gebeugt und starrte wie in eine rätselhafte Tiefe, in der etwas Heimliches gurgelt und plaudert und blitzt und etwas vergeht, was der menschliche Verstand gar nicht begreifen kann. Es wurde ihm plötzlich ganz grausig zumute, doch er konnte sich nicht von diesem Menschenhäufchen trennen, das wie ein verkohlter Halm war, wie ein in der Dämmerung erlöschender Strahl und dennoch von den Tagen eines neuen Lebens träumte. Zum erstenmal im Leben sah er so aus der Nähe in ein unerbittliches Menschenschicksal hinein; so war es denn auch kein Wunder, daß ihn eine grausige Angst überkam und ein schmerzliches Leid ihm das Herz zusammenschnürte, Tränen überfluteten seine Augen, mitleidiges Erbarmen beugte ihn zur Erde nieder, und eine heiße Fürbitte kam von selbst auf seine bebenden Lippen.
Die Alte kam wieder zu sich, und den Kopf etwas hebend, murmelte sie verzückt:
»Mein heiliger Engel! Mein herziger kleiner Priester!«
Er blieb dann lange noch an einer Hauswand stehen, sich in der Sonne wärmend, und ließ seine Augen gierig den hellen Tag und das Leben trinken, das sich rings regte.
Was lag auch daran, daß eine Menschenseele in den Krallen des Todes wimmerte?
Die Sonne hörte darob doch nicht auf zu scheinen; es rauschte das Korn, ganz hoch segelten weiße Wolken vorüber, Kinder spielten auf den Wegen, reifende Früchte blitzten rot aus den Obstgärten, in der Schmiede hämmerten die Hämmer, so daß es im ganzen Dorf widerhallte. Man hörte einen seinen Wagen richten, einen seine Sense für die bevorstehende Erntezeit zurechtklopfen, es duftete nach frisch gebackenem Brot, Frauengeschnatter klang herüber, Tücher hingen zum Trocknen auf den Zäunen, ein Leben war überall im Feld und in den Gehöften/es war wie an jedem Tage, immer krabbelte noch der Menschenschwarm herum, in seiner Sorge und Mühe befangen und ohne daran auch nur zu denken, wer als erster in den Abgrund hinabrollen muß.
Was würde das einem auch nützen!
So schüttelte auch Jascho rasch seine Trübsal ab und wandte sich dem Dorf zu. Er sah eine Weile Mathias zu, der das Haus Stachos schon bis an die Dachbalken hochgerichtet hatte, blieb mit der Ploschkabäuerin, die Leinwand bleichte, im Gespräch stehen, machte der kranken Fine einen Besuch, hörte den Klagen der Schulzin zu, ließ sich einen Augenblick beim Schmied nieder, der Sensen im Feuer härtete und die Schneiden der Sicheln mit Einschnitten versah, und bald darauf sah man ihn zwischen den Gemüsebeeten, wo die meisten Frauen und Mädchen an der Arbeit waren; und überall war er willkommen, überall begrüßte man ihn freundlich und betrachtete ihn mit Stolz, denn er war doch einer aus Lipce, ganz wie ein Verwandter des ganzen Dorfes.
Erst ganz zum Schluß sah er bei der Dominikbäuerin ein; die Alte saß vor dem Haus und spann Wolle; er wunderte sich darüber, denn sie hatte doch ihre beiden Augen verbunden.
»Mit den Fingern tast' ich mich schon zurecht, da weiß ich es auch wie der Faden ist, dünn oder dicker,« erklärte sie, sehr erfreut über seinen Besuch; sie rief die Jagna herbei, die auf dem Hof arbeitete. Diese kam auch bald, sie war etwas nachlässig gekleidet und trug nur einen Beiderwandrock und ein Hemd. Als sie Jascho erblickte, verdeckte sie ihre Brust mit beiden Händen und rannte, über und über rot geworden, davon.
»Jagusch, bring' doch mal Milch her, vielleicht wird sich der Herr Jascho abkühlen wollen!«
Jaguscha brachte bald darauf eine volle Satte Milch und einen kleinen Krug zum Trinken. Sie hatte sich schon ihr Tuch um den Kopf gebunden, war aber so befangen, daß ihr die Hände flogen, als sie die Milch einschenkte; sie wurde abwechselnd blaß und rot und wagte nicht, ihn anzusehen. Und die ganze Zeitlang sagte sie kein Wort zu ihm. Als er aber davonging, begleitete sie ihn bis auf die Dorfstraße und sah ihm nach, bis er ihr aus den Augen entschwand.
Es drängte sie mit solch' unwiderstehlicher Gewalt, ihm nachzufolgen, daß sie, um dem Versuch zu widerstehen, in den Obstgarten lief, einen Baumstamm umschlang, und sich an ihn schmiegend, ohne Atem und ganz geistesabwesend stehenblieb, während die fruchtbelasteten Zweige des Apfelbaums sie wie mit einem Mantel umhüllten. Sie stand da mit geschlossenen Lidern, mit einem heimlichen Lächeln um die Mundwinkel, voll Glückseligkeit und voll einer seltsamen Bangigkeit, ganz in Tränen aufgelöst, die von einer unbekannten Süße waren, sie stand voll eines wollüstigen Bebens, wie damals, als sie in jener Frühlingsnacht ihn durchs Fenster belauscht hatte.
Auch den Jascho schien etwas zu ihr zurückzulocken, denn er besuchte die beiden, wenn auch ganz unabsichtlich, noch öfters auf ein paar Augenblicke und ging dann immer ganz eigentümlich beglückt davon. In der Kirche sah er sie alltäglich, sie kniete da immer während der ganzen Messe und betete so inbrünstig und wie weltentrückt, daß er mit einer zärtlichen Rührung auf sie blickte, und einmal sagte er selbst etwas zu Hause über ihre Frömmigkeit.
Die Mutter zuckte nur die Achseln.
»Die hat Grund genug, den lieben Gott um Verzeihung zu bitten ...«
Jaschos Seele war noch rein wie eine weiße Blume, darum verstand er auch ihre Anspielung nicht, und da sie zu ihnen ins Haus kam und sie sie alle gern leiden mochten, und da er immer sah, wie fromm sie war, so hatte in ihm auch nicht der leiseste Verdacht aufkommen können; er wunderte sich nur der Mutter gegenüber, warum Jagna denn seit seiner Ankunft noch gar nicht gekommen sei.
»Gerade habe ich nach ihr geschickt, denn wir haben viel zu plätten,« sagte die Organistin darauf.
Jagna kam denn auch bald und war so fein herausgeputzt, daß Jascho ganz erstaunt ausrief:
»Was ist denn bloß mit euch, wollt ihr zu einer Hochzeit gehen?«
»Oder hat man zu euch mit Schnaps geschickt?« piepste eins der Mädchen.
»Wem hätte das einfallen sollen! Den hätte ich einfach zum Haus hinaus gejagt!« lachte sie auf und wurde rot wie eine Rose, denn alle blickten auf sie.
Die Organistin trieb sie gleich ans Plätten, die Organistentöchter und Jascho aber rannten ihr nach, und es ging dabei so laut zu, sie brachen immer wieder in ein solches Gelächter wegen jeder Kleinigkeit aus, daß die Mutter sie beschwichtigen mußte.
»Ruhig da, Elsternvolk! Geh' lieber in den Garten, Jascho; das schickt sich nicht für dich, hier Unsinn zu machen.«
Widerwillig griff er nach einem Buch und schlich wie gewöhnlich aufs Feld hinaus, wo er weit weg vom Dorf auf dem Feldrain, unter einem Birnbaum, an einem der Feldmarkhügel sich ins Lesen zu vertiefen pflegte, oder auch manchmal nur so vor sich hin sann.
Jaguscha kannte diese einsamen Verstecke schon gut und wußte wohl, wo sie ihn mit ihren sehnsüchtigen Blicken suchen sollte, wohin ihm ihre freudigen Gedanken folgen konnten; sie umkreiste ihn wie der Schmetterling einen Lichtschein, sie hätte es nicht anders können, es trieb sie unwiderstehlich dazu und lockte sie mit solcher Allgewalt, daß sie sich ganz sinnlos dieser unbekannten süßen Macht hingab, die wie auf den Wogen eines schäumenden Gewässers sie in eine erträumte Welt des Glücks trug. Sie gab sich mit ganzer Seele und mit dem ganzen Herzen dieser Gewalt hin, ohne daran zu denken, an welchen Strand und zu welchen Schicksalen sie das alles bringen könnte.
Und ob sie sich spät in der Nacht schlafen legte oder des Morgens von ihrem Lager aufsprang, immer durchbebte ihr Herz dasselbe Gebet:
»Heut werd' ich ihn wiedersehen! Heute noch!«
Und oft, wenn sie vor dem Altar kniete und der Pfarrer die Messe las, wenn die Orgel in durchdringenden Tönen klang, die Weihrauchdünste stiegen und das heiße Flüstern der Gebete sich ausbreitete, wenn sie mit andachtstrunkenen Augen sich dem Anschauen Jaschos hingab, der weiß gekleidet, schlank und lieblich mit gefalteten Händen sich inmitten dieser Weihrauchdünste und farbigen Scheine bewegte, die, von den Fenstern kommend, ihn überfluteten, war es ihr zumute, als wäre ein wirklicher Engel vom Altar niedergestiegen, um ihr mit einem lieben Lächeln entgegenzuschweben, als käme er immer näher ... so daß Paradiese sich vor ihrer Seele auftaten, so daß sie in den Staub sank, ihre Lippen auf jene Stellen pressend, die sein Fuß berührt hatte, und von einer Verzückung hingenommen, sang sie aus ganzer Macht menschlicher Glückseligkeit:
»Heilig! Heilig! Heilig!«
Und manchmal war schon die Messe zu Ende, die Leute waren auseinandergegangen, und nur Ambrosius klirrte mit dem Schlüsselbund in der leeren Kirche, aber sie kniete immer noch und starrte zu dem Platz hinüber, wo Jascho gestanden hatte, ganz in die allerheiligste Stille einer Verzückung versunken, voll einer bis zum Schmerz gesteigerten Seligkeit und ganz in Tränen aufgelöst, die von selbst über ihre Wangen flossen wie volle schwere und klare Perlen.
Die Zeit strich ihr vorüber wie ein endloses Fest, wie frohe Kirmestage, die nicht enden wollten; die Andacht hielt ein ewiges Hochamt in ihrem Herzen, und wenn sie ins Feld hinausging, war es ihr, als rauschten die reifen Ähren freudig mit, und die sonnenverbrannte Erde, die Gärten unter der Last ihrer Früchte, die fernen Wälder, die wandernden Wolken und die allerheiligste Sonnenhostie, die über der Welt hing/alles sang mit ihr das Lied ihrer Seele, den himmelanstrebenden Hymnus des Dankes und der Freude:
Hei, wie ist doch die Welt so herrlich, wenn verliebte Augen sie ansehen!
Und wie mächtig ist der Mensch in einer solchen heiligen Stunde! Mit Gott würde er ringen, sich dem Tod widersetzen und selbst gegen das Schicksal gehen. Das Leben ist ihm eine einzige Freude und zum Bruder wird ihm die geringste Kreatur! Vor jedem Tag wäre er bereit, dankerfüllt niederzuknien und jede Nacht zu segnen, auf Schritt und Tritt sich der Mitwelt zu schenken, und immer würde er noch ein Reicher bleiben, und seine Macht und seine Liebe würden noch wachsen, und die herrlichen Tage würden kein Ende nehmen.
Seine Seele schwebt über Welten einher, blickt aus der Nähe in die Sterne, langt dreist nach dem Himmel und träumt von ewiger Seligkeit, denn es ist ihr, als gäbe es weder eine Grenze noch ein Hindernis für ihre Macht und für ihr Lieben.
So empfand auch Jaguscha in jener Zeit der seligen Liebe.
Die Tage der mühevollen Vorbereitungen zur Ernte folgten einander im alltäglichen Trott, sie aber ging wie eine Lerche singend an ihr Tagwerk, war unermüdlich froh und festlich erblüht, wie der Rosenstrauch in ihrem Garten, der sich mit Blüten geputzt hatte, und war schlank wie die Malven und üppig wie eine Blume auf himmlischen Ackerbeeten. Sie zog die Blicke auf sich, ihre leuchtenden Augen verlockten die Menschen, sie anzuschauen, und sie war so voll eines unermüdlichen Lachens, daß selbst die Alten ihr nachblickten und die Burschen sich wieder um sie mühten und ihr aufs neue seufzend vor dem Hause aufzulauern begannen. Aber sie wollte von keinem etwas wissen.
»Wenn ihr da selbst am Boden festwachst, so werdet ihr euch doch nichts erlauern,« höhnte sie.
»Und über jeden macht sie sich lustig! Und fein ist sie wie eine Gutsherrin!« klagten sie dem Mathias, der zur Antwort wehmütig aufseufzte, denn er selbst hatte nur so viel erreichen können, daß er in der Dämmerung hin und wieder mit der Dominikbäuerin reden durfte und dabei der Jaguscha zuschauen konnte, wie sie sich in der Stube zu schaffen machte, oder auch zu hören, wenn sie ihre Liedlein vor sich hersang. Er blickte so eifrig um sich, und horchte so fleißig, daß er immer düsterer davonging und immer häufiger die Schenke aufsuchte, worauf er dann zu Hause des öfteren skandalierte. Natürlich war es Therese, die das meiste dabei abbekam, so daß sie schon halb tot vor Kummer herumging, und als sie einmal der Jaguscha begegnete, drehte sie ihr den Rücken und spie aus.
Doch Jaguscha blickte irgendwohin in die Ferne und ging an ihr vorüber, ohne sie überhaupt gesehen zu haben.
Therese drehte sich wütend zu einigen Mädchen um, die am Weiher ihre Wäsche wuschen und sagte:
»Habt ihr gesehen, wie sie sich spreizt? Sie läuft vorüber, ohne einen selbst mal anzusehen.«
»Und geputzt ist sie wie zu einer Kirmes.«
»Natürlich, die sitzt doch bis Mittag und kämmt sich immerzu, und in einem fort kauft sie sich Bänder und Putz,« redeten sie neidisch miteinander, denn schon seit einiger Zeit gingen ihr wieder Weiberblicke nach, scharf wie Krallen und giftig wie Nattern, wenn sie sich nur im Dorf zeigte. Man nahm sie auch bei der geringsten Gelegenheit durch und zog über sie her, daß Gott erbarm; sie konnten es ihr nicht vergeben, daß sie sich putzte wie keine andere im Dorf, daß sie alle an Schönheit übertraf, ganz abgesehen davon, was sie mit all den Männern anstellte. »Sie erhebt sich über die anderen, daß man es rein gar nicht mehr ertragen kann!«
»Sie putzt sich wie eine Gnädige, und woher nimmt sie nur das Geld dazu?«
»Na, und weshalb steht denn der Schulze so in ihren Gnaden?«
»Man sagt, daß auch dem Antek für sie nichts zu teuer ist,« flüsterten die Bäuerinnen einander zu, die sich im Heckenweg, der zu Ploschkas Haus führte, versammelt hatten.
»Den Antek geht sie gerade so viel an, wie den Hund das fünfte Bein,« mischte sich Gusche hinein. »Da ist noch ein ganz anderer in Aussicht!« lachte sie so vielsagend, daß sie die anderen zu bitten und um alles was heilig zu beschwören begannen, sie sollte es ihnen doch sagen. Schließlich ließ sie sich auch folgendermaßen vernehmen:
»Ich trage seinen Klatsch herum. Ihr habt ja Augen, da könnt ihr es selbst ausspähen.«
Von diesem Augenblick an verfolgten Jagna an die hundert wachsame Augen auf Schritt und Tritt. Sie stellten ihr nach wie die Meute einem armen Hasen; Jaguscha aber, obgleich sie immerzu den lauernden Blicken begegnete, ahnte nichts. Was ging es sie schließlich an, wenn sie zu jeder Zeit Jascho sehen konnte, um sich in seinen Augen bis zur Selbstentäußerung zu verlieren?
Zu den Organisten kam sie fast Tag für Tag und immer zu einer Zeit, wenn Jascho zu Hause war. Und oft, wenn er sich in ihrer Nähe niedersetzte und wenn sie seine Blicke auf sich ruhen fühlte, wäre sie fast vor Wohligkeit gestorben; eine Glut überrieselte sie, ihre Knie bebten, und das Herz schlug wie mit einem Hammer. Ein andermal wiederum, wenn er im Nebenzimmer die Schwestern unterrichtete, hielt sie den Atem an, ganz nur auf seine Stimme hinhorchend, als wäre sie das süßeste Singen, so daß selbst die Organistin es schließlich merkte.
»Was horcht ihr denn so eifrig?«
»Der Herr Jascho redet so gelehrt, daß ich nichts herauskriegen kann!«
»Ihr möchtet wohl?« lachte die Organistin herablassend. »Es ist doch keine geringe Schule, in der er lernt,« gab sie stolz hinzu und ließ sich in eine weitschweifige Erzählung über ihren Sohn ein. Sie mochte die Jaguscha und lud sie gern ein, denn sie half bereitwillig mit bei jeder Arbeit und brachte außerdem auch manches Mal was mit: einmal Birnen, dann Beeren und manchmal selbst ein gutes Stück frische Butter.
Jaguscha hörte stets mit gleicher Andacht diesen Ergüssen zu, wenn aber Jascho Anstalten machte auszugehen, hatte sie auch immer gleich Eile zur Mutter zu kommen; sie mochte es, ihn von weitem zu beobachten; und oft sah sie ihm im Korn oder hinter einem Baum versteckt, lange und so voll Innigkeit nach, daß ihr zuletzt selbst die Tränen in die Augen stiegen.
Am liebsten waren ihr aber die kurzen, hellen, warmen Nächte, denn sobald die Mutter schlief, trug sie ihr Bettzeug in den Garten und starrte, rücklings liegend, in den Nachthimmel, dessen Glitzern durch die Äste rieselte; sie verfiel dann in die Grenzenlosigkeit einer seltsam süßen Schwärmerei. Die heißen Atemzüge der Nacht streiften ihr Gesicht, die Sterne sahen ihr in die weitgeöffneten Augen, und über sie ergossen sich in einer seltsamen Musik die duftgeschwellten Stimmen des Dunkels, die voll beunruhigender Glut und Wollust waren/das atemlose Geflüster der Blätter, die schlafbefangenen abgerissenen Geräusche des Lebendigen, die gedämpften Seufzer, seltsames Rufen, das irgendwo aus der Tiefe der Erde zu kommen schien und irgendwelch' scheues Gekicher. All das erfüllte sie mit heißem Sehnen, raubte ihr schier den Atem und schüttelte ihren Körper mit solchen Schauern, daß sie aufs kühle, taubenetzte Gras schwer niedersank wie eine reife Frucht. Und von einer heiligen Macht der Fruchtbarkeit ganz erfüllt lag sie da; den reifenden Feldern und den fruchtbeladenen Asten war sie gleich und ruhte wie ein Weizenfeld, das bereit ist, sich den Sicheln, den Vögeln und den Winden preiszugeben und das in Sehnsucht auf jegliches Los wartet, das ihm beschieben ist.
So waren diese kurzen, warmen und hellen Sommernächte und diese heißen, glühenden Julitage für Jaguscha, und sie flohen dahin, wie ein süßer Traum, den man immer wieder von neuem träumen möchte.
Sie ging wie in einem Bann herum, ohne zu merken, wann es Tag wurde und wann die Nacht kam.
Die Dominikbäuerin fühlte, daß mit ihr etwas Seltsames vorging, aber sie begriff nicht, was es sein konnte; so freute sie sich nur über Jaguschas unerwartete, leidenschaftliche, heiße Frömmigkeit.
Jaguscha lächelte nur darauf vor sich hin, ganz erfüllt von einer demütigen Glückseligkeit und Erwartung.
Eines Tages stieß sie ganz unabsichtlich auf Jascho, der mit einem Buch in der Hand an einem Grenzhügel saß. Sie konnte nicht mehr ausweichen und blieb ganz erglüht und stark beschämt vor ihm stehen.
»Was macht ihr denn hier?«
Sie stotterte irgendeine Antwort voll Angst, er könnte irgend etwas gemerkt haben.
»Setzt euch, ich sehe, daß ihr müde seid.«
Sie stand unschlüssig da und wußte nicht, was sie tun sollte; er zog sie bei der Hand zu sich nieder, so daß sie neben ihm niederhockte, die bloßen Füße unter dem Beiderwandrock versteckend.
Aber auch Jascho war befangen und sah sich hilflos in der Runde um.
Die Felder waren leer, die Dächer und Gärten von Lipce hoben sich aus dem Getreide wie ferne Inseln, ein Luftzug wühlte etwas in den Halmen, es duftete nach wildem Quendel und Roggen, ein Vogel flog über ihren Häuptern vorüber.
»Furchtbar heiß ist es heute!« bemerkte er, um nur ein Gespräch anzufangen.
»Auch gestern hat die Sonne ordentlich gebrannt!« Ein freudiger Schreck schnürte ihr die Kehle zu, daß sie kaum imstande war, was zu antworten.
»Bald geht die Ernte los.«
»Gewiß ... versteht sich ... bejahte sie; ihre Augen hafteten schwer an ihm.
Er lächelte und versuchte unbefangen, fast wie scherzend zu sprechen:
»Jaguscha wird jeden Tag schöner ...«
»Was soll ich da schön sein!« Eine Röte übergoß ihr Gesicht, die Augen sprühten, und die Lippen bebten von einem heimlichen Freudelächeln.
»Und will denn Jaguscha wirklich nicht heiraten?«
»Ich denk' nicht daran! Hab' ich es denn schlecht allein?«
»Und keiner gefällt euch, wie?« Er wurde immer unbefangener.
»Keiner, nein, keiner!« Sie schüttelte den Kopf und sah auf ihn mit schwärmerischen Blicken; er beugte sich zu ihr hin und schaute tief in diese blauen Abgründe hinein. In ihren Augen lag ein allertiefstes, allersüßestes, hingebendes Gebet und ein inbrünstiger Schrei des Herzens, wie zur Zeit des Hochamtes, wenn der Priester das heilige Sakrament dem Volke zeigt. Die Seele flatterte in ihr wie Sonnenfunken über den Feldern, wie ein Vogel, der sangerfüllt sich über der Erde wiegt.
Er wich zurück, eine seltsame Unruhe überkam ihn, er rieb sich die Augen und stand auf.
»Ich muß jetzt gehen!« Er nickte zum Abschied und wandte sich über den breiten Feldrain dem Dorf zu, hin und wieder im Buch herumlesend. Seine Augen aber irrten irgendwo in die Weite; nach einer Weile blieb er stehen und sah sich um.
Nur einige Schritte hinter ihm ging Jaguscha.
»Für mich ist das auch der nächste Weg,« entschuldigte sie sich ganz schüchtern.
»Dann wollen wir zusammen gehen,« murmelte er. Er schien nicht sehr über diese Gesellschaft erfreut zu sein, heftete seine Augen auf das Buch und las, langsam vorwärts gehend, halblaut vor sich hin.
»Was steht denn da wohl geschrieben?« fragte sie, scheu ins Buch blickend.
»Wenn ihr wollt, dann les' ich euch ein bißchen vor.« Da gerade in der Nähe des Feldrains ein breitästiger Baum wuchs, setzten sie sich im Schatten zurecht, und er fing an zu lesen. Sie hockte ihm gegenüber und, ihr Kinn auf die Faust stützend, lauschte sie andachtsvoll, ohne die Augen von ihm zu lassen.
»Wie gefällt es euch denn?« fragte er nach einer Weile und hob den Kopf.
Sie wurde rot, und ihre Blicke rasch zurückziehend, stotterte sie beschämt:
»Ich weiß nicht ... Das ist keine Geschichte von den Königen, wie?«
Er verzog das Gesicht und fing wieder an zu lesen, aber langsam und klar, Wort für Wort: von Feldern und Fluren las er ihr vor, von einem Gutshof, der in einem Birkenhain stand, von einem Herrensohn, der nach Hause gekommen war und von einem Gutsfräulein, das mit Kindern im Garten saß ... Und alles paßte so zum Vers, wie bei den heiligen Liedern, und war so, als redete einer von der Kanzel, so daß sie oft Lust bekam aufzuseufzen, sich zu bekreuzigen und aufzuweinen, so stark ging es ihr zu Herzen.
Es war furchtbar heiß an dem lauschigen Plätzchen, wo sie saßen; rings umgab sie eine dichte Mauer des Getreides, das mit Kornblumen, Wicken und duftenden Winden durchflochten war, so daß nicht ein kühlender Hauch zu ihnen hindurchdrang, und in der glühenden Stille hörte man nur das Rascheln der tief gebeugten Ähren. Manchmal schilpten ein paar Spatzen in den Zweigen, eine vorüberfliegende Biene kam summend über ihren Köpfen vorbeigeschwärmt, und Jaschos Stimme klang voll seltsamer Süße; aber Jaguscha, obgleich sie auf ihn starrte, wie auf ein Bild, das über alle Maßen schön war, und nicht ein Wort von dem zu verlieren trachtete, was er las, ließ immer wieder den Kopf sinken, denn die Hitze hatte sie müde gemacht, und eine Schlaftrunkenheit war über sie gekommen, sie konnte sich schon kaum wach halten.
Zum Glück unterbrach er das Lesen und sah ihr tief in die Augen.
»Wie ist das schön, nicht wahr?«
»Versteht sich, wunderschön ... ganz wie eine Predigt.«
Seine Augen blitzten auf, und eine Röte stieg in seine Wangen, als er ihr zu erzählen begann und nochmals die Stellen wiederholte, wo etwas von den Feldern und Wäldern geschrieben stand. Sie unterbrach ihn aber:
»Das weiß doch auch ein Kind, daß im Wald Bäume wachsen und in den Flüssen Wasser ist, und daß man auf den Feldern sät; was soll man das alles noch drucken!« ...
Jascho fuhr zurück vor Staunen.
»Mir gefallen solche Geschichten von Königen und Drachen oder auch von Gespenstern, bei denen es einem wie Ameisen über den Rücken kriecht und es einem so heiß wird, als hätte man Feuer in der Brust. Wenn der Rochus manchmal solche Geschichten erzählt, dann könnt' ich Tag und Nacht zuhören. Hat denn der Herr Jascho auch solche Bücher?«
»Wer sollte solchen Unsinn lesen!« fuhr er verächtlich und verletzt auf.
»Unsinn? Hale, der Rochus hat doch darüber aus Gedrucktem gelesen ...«
»Dummheiten hat er euch vorgelesen, das ist lauter Schwindel!«
»Wie denn, hätte er nur zum Schwindel sich solche Wunder ausgedacht?« ...
»Jawohl, alles das das sind Fabeln und unwahres Zeug.«
»Dann ist das auch nicht wahr von den Mittagsgöttinnen? Und von den Drachen?« fragte sie immer trauriger.
»Es ist nicht wahr! Ich sag' es doch!« entgegnete er ganz ungeduldig.
»Und auch das soll nicht wahr sein, wie der Herr Jesus mit dem heiligen Petrus gewandert ist, wie?« ...
Er kam noch nicht dazu, ihr zu antworten, als plötzlich, wie aus dem Erdboden hervorgewachsen, die Kosiol vor ihnen auftauchte und sie mit spöttischen Augen ansah.
»Man sucht doch den Herrn Jascho im ganzen Dorf,« sagte sie mit zuckersüßer Stimme.
»Was ist denn geschehen?«
»Ganze drei Wagen Schandarmen sind auf dem Pfarrhof.«
Er sprang beunruhigt auf und rannte davon über Stock und Stein.
Jaguscha wandte sich auch seltsam befangen dem Dorf wieder zu.
»Gewiß hab' ich euch die Gebete unterbrochen?« zischte die Kosiol, neben ihr gehend, hervor.
»Wieso denn, Gebete! Er hat mir nur aus dem Buch Geschichten gelesen, ganz in Reimen.«
»Sieh' mal an ... und ich habe ganz was anderes gedacht. Die Organistin hat mich hergeschickt zu suchen ... ... da lauf' ich denn hier vorbei, seh' mich nach allen Seiten um ... alles leer ... eine Ahnung kam mir plötzlich, unter den Birnbaum zu gucken ... da seh' ich denn, wie da so zwei Turteltäubchen sitzen ... und plaudern miteinander ... Jawohl, der Platz ist gut geeignet ... kein Mensch kann was sehen ... jawohl ...«
»Daß euch eure häßliche Zunge schief und krumm wird!« brach Jaguscha los und rannte voraus.
»Da wirst du gleich einen haben, der dich von den Sünden freispricht!« rief ihr die andere höhnisch nach.