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Zehntes Kapitel

Der Ratmann hatte sich Ruhe und Wohlbehagen für sein Haus gewünscht. Dieser Wunsch ging ihm nicht alsobald in Erfüllung, vielmehr sollte er erfahren, daß böse Tage nicht schnell vorübereilen.

Der Dekan Johannes Rode war am vorbestimmten Abend sein Gast gewesen. Sie waren fröhlich und guter Dinge bei der Mahlzeit, und als die Hausfrau sich später verabschiedete, weil sie der Ruhe bedurfte, saßen die beiden Männer noch lange beim Wein. »Ihr habt wohl gethan,« hub der Kirchherr zögernd an, und setzte den silbernen Becher kraftvoll vor sich hin, »daß Ihr den Heiligen die Ehre gegeben habt; nun seid auch fernerhin nicht müßig, damit Ihr Euern angesehenen Namen unbefleckt erhaltet.«

Herr Johann blickte ihm fragend ins Antlitz und erwiderte verwirrt: »Ich verstehe Euch nicht, Hochwürden.«

»Nein, Ihr könnt mich auch nicht verstehen, aber ich will Euch die Augen öffnen, denn Ihr seid mein Freund.«

»Was ist's?« stieß der Ratmann beklommen hervor.

»Bruder Simeon ist die letzten Wochen bei Euch aus- und eingegangen,« begann der Dekan, nachdem er noch einen kräftigen Zug gethan hatte; »er ist einer der Treuen, Zuverlässigen, aber auch der Klugen und Feinen. Er hat sich allerlei Volks angesehen, das bei Euch verkehrt, und vornehmlich hat er beachtet, wie fromm und unwandelbar treu die Jungfer Kordula dem alten Glauben ist.«

Der Ratmann nickte. »Ich weiß, ich weiß; fahret fort.« »Gleicherweise ist ihm nicht entgangen, daß sie Liebe trägt zu Bruder Benedikt, dem Franziskaner, und –«

»Haltet ein!« rief Herr Johann, »das ist eitel Lüge.«

»Es ist Wahrheit. Glaubt Ihr, ich sagte Euch so harte Dinge, ehe ich sie bis auf den Grund geprüft habe? Es ist noch nichts verloren,« fuhr er beruhigend fort, als er des Ratmannen Zorn sah, »hört weiter. Da ist der junge Schulgeselle Karsten Malenbeke, nicht von hohem Herkommen, aber gescheit und studiert, der trägt heimlich Minne zu Jungfer Kordula. Gebt sie ihm zum Weibe, ehe böse Dinge geschehen, denn Ihr wißt, daß der Franziskaner der neuen Lehre sich zuneigt, und was für ein Beispiel haben diese Verworfenen am Luther! Daß sich die Heiligen erbarmen! Schon sind Mönche und Nonnen entflohen oder aus dem Kloster gegangen, und haben die neue Lehre zum Deckmantel eigener Gelüste gemacht, will sagen, sind ehelich geworden und gehen jetzt frei und erhobenen Hauptes umher.«

»Und Bruder Benedikt?« stieß der Ratmann keuchend hervor.

»Man kann nicht inne werden, wie er gesonnen ist. Er gehört zu den Leuten, die allezeit froh und zufrieden sind. Bis jetzt hat er nichts Unrechtes gethan.«

Herr Johann seufzte erleichtert auf, der Kirchherr aber, solches bemerkend, fuhr mit Wichtigkeit fort: »Deswegen nehmt die Sache nicht weniger schwer; man ahnt eben nicht, was einem solchen Gleißner im Herzen steckt.«

»Nimmer würde Kordula so weit vom rechten Wege abweichen.«

»Meint Ihr? Man muß daran denken, daß die Sünde der Väter heimgesucht wird an den Kindern und –«

»Hochwürden, was rühret Ihr an der alten Geschichte?« rief der Ratmann außer sich. »Das sind begrabene Dinge, und selbst Ihr solltet sie nicht erwähnen.«

»Ich thue es um Euretwillen. Es könnte eine Zeit kommen, da es zu spät ist, und wer den Schaden davon hätte, das wäret Ihr, denn sie ist Euer Mündel und lange in Euerm Hause gewesen; und weiß gleich niemand außer mir, wer sie ist, so redet man doch heimlich davon, daß sie Herrn Markus sehr ähnlich sei und hält sie für Euch nahe versippt.«

Herr Johann blickte zu Boden; kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Wenn der Dekan recht hätte, wenn seine Ehre auch diesen Stoß erleiden sollte! Er mußte alles thun, das Ärgste abzuwenden, koste es, was es wolle.

»Bruder Benedikt ist aus edlem Geschlecht,« warf der Kirchherr wie zufällig hin, »vielleicht reizt das die Jungfer.«

Der Ratmann schüttelte den Kopf. »Das würde höchstens Frau Herbort beeinflussen. Doch nein, ich kann es nicht glauben; Kordula würde immer die Sünde scheuen, sich mit einem Ketzer zu verbinden.«

»So? meint Ihr? Ein junger Mensch ist schwach und opfert manches dem, was das Herz wünscht. Und eben das wäre es ja, daß auch sie der Kirche verloren ginge.«

Herr Johann bedeckte seufzend die Augen. »Hochwürden, gebt einen Rat.«

»Den sollt Ihr haben; ich gebe ihn im Dienst und im Namen der Kirche. Entsendet Bruder Benedikt zu einer Wallfahrt, am besten nach dem gelobten Lande; da ist zu hoffen, daß er nicht zurückkommt oder doch sehr lange Zeit fern bleibt. Dann seht den passenden Zeitpunkt ab und gebt sie dem Karsten zum Weibe. Was kann sie mehr begehren, als einen Eheherrn, der sie auf Händen trägt? Und das wird er thun. Frau Herbort giebt ihnen das Fehlende zum Lebensunterhalt, und endlich, es kann Euch nicht schwer fallen, ihn zum Stadtschreiber zu machen. Ich sage Euch, er nimmt es mit jedem studierten Stadtschreiber auf.«

Herr Johann war in tiefes Sinnen versunken. Der Dekan wußte nicht, ob er seine Vorschläge gehört hatte oder nicht, aber unbeirrt fuhr er fort: »Redet mit Frau Herbort, überlegt die Sache gemeinsam mit ihr. Oder wollt Ihr mir das Vertrauen schenken, daß ich es thue?«

»Ich bitte Euch darum,« erwiderte der Ratmann schnell, »aber bedenkt, daß Frau Herbort nicht gern an vergangene Zeiten erinnert sein mag, und fahrt gelinde.«

»O, Ihr kennt mich schlecht. Ich weiß, wo das rechte Wundöl zu holen und wann es in Anwendung zu bringen ist.«

Mißtrauisch streifte des Ratmannen Blick das Antlitz des Kirchherrn, dann sagte er: »Laßt es mich überlegen, Hochwürden! Wir sprechen uns noch einmal, bevor Ihr zu Frau Herbort geht. Allzu plötzlich trifft mich Eure Rede, ich muß erst zur Klarheit darüber kommen; auch finde ich vielleicht Gelegenheit, selbst zu prüfen, was doch allemal das Beste ist.«

»Ganz wie Ihr wollt, Herr Johann, doch mahne ich, bei allen Erwägungen zu bedenken, daß ich Euer Freund bin, der Euer und der Euren Wohl fördern will.«

Es war spät, als der Dekan von St. Marien fortging. Der Ratmann aber fand noch lange nicht die gewünschte Ruhe. O, daß ihm auch das noch kommen mußte!

Bruder Simeons Augen hatten nicht fehl gesehen; alles verhielt sich so, wie er dem hochwürdigen Herrn Johann Rode hinterbracht hatte, – nicht etwa aus Liebe oder Fürsorge für den Ratmann; was kümmerte ihn der! – sondern der Haß gegen Bruder Benedikt hatte ihn getrieben. Der aber ahnte nicht, wie der andere gegen ihn gesonnen war; und traf ihn je ein gehässiger Blick, so achtete er, sorglos wie er war, dessen nicht.

Auch was Kordula für ihn empfand, war ihm verborgen. Er stand ihr bei in ihren Gewissensnöten, welche sie jedoch nicht nannte; er schloß sie in seine Fürbitte ein, wie er versprochen hatte; er hatte Wohlgefallen an dem schönen, verschlossenen Mädchen, aber andere Gedanken und Hoffnungen lagen ihm fern. Er war ja einer von Sankt Kathrinen; ganz ungefährlich schien es ihm, der Einsamen und Verlassenen öfter als anderer, zu gedenken. Dazu wußte er wohl, wie es um Karsten stand. Meister Andreas mußte doch einen haben, mit dem er die Sache im Vertrauen besprechen konnte, denn Karsten selbst hatte ihn gebeten, zu schweigen, und Hinrich war so unzugänglich, wie nur ein Flickschuster sein kann.

Bruder Benedikt hatte den Kopf geschüttelt, als der Schneider ihn vor einigen Wochen mit seinem Vertrauen beehrt hatte. »Es geht nicht, Meister, es geht nicht. Stellet Euch den Stolz des Ratmannen vor, und das Mägdlein ist ihm sicherlich verwandt, wenn man auch nicht weiß, wie.«

»Es geschehen wunderbare Dinge in der Welt,« hatte Meister Andreas pathetisch geantwortet. »Denkt an den Hirten David und des Königs Tochter Michal; das war doch noch mehr.«

»Es sind andere Zeiten gekommen,« hatte der Mönch lächelnd erwidert, »vielleicht dünkt sich der Ratmann noch mehr, als der König Saul seiner Zeit; wer kann's wissen.«

»Ich nicht und Ihr nicht, und wir wollen es abwarten.« Damit hatte Meister Andreas damals die Unterredung geschlossen.

Kordula kam fast täglich in des Ratmannen Haus; Eva war ihr dieselbe liebreiche Freundin geblieben; auch bei der Muhme Els saß sie oft, sie konnte sich dem wohlthuenden Friedenshauch nicht entziehen, der in dem Stübchen wehte. Wohl merkte die Muhme, daß ihr oft das Herz schwer war, aber sie schob es auf das ganze unfreundliche Leben bei Frau Herbort. Schmerzlich empfand sie es, daß sie ihr nicht von der rechten, einigen Quelle alles Trostes sagen konnte, aber dem wehrte das Mädchen allezeit eifrig. So mußte sie es genug sein lassen an der Liebe, die sie ihr bewies. –

Drei Wochen waren vergangen, seit Herr Joachim fortgeritten war und der Dekan Herrn Johann besucht hatte. Der Ratmann war bald nicht mehr im Zweifel, daß Bruder Simeon recht gesehen hatte. Obgleich ihn das mit heftigem Zorn erfüllte, ließ er sich doch nichts merken. Es sollte alles ohne Rumor abgehen; schon um Herrn Joachim war des Aufhebens genug gewesen.

Der Winter war vor der Thür, entweder mußte Bruder Benedikt sehr bald entsendet werden, oder man mußte bis zum Lenz warten. Das Erstere war notwendig, und noch desselben Abends wollte der Ratmann ihm Vorschläge machen. Der Mönch war verwundert, daß Herr Johann ihn aufforderte, in sein Gemach zu treten. »Ich habe eine Bitte an Euch, nehmt Platz, Bruder Benedikt!« hub er freundlich an. »Ihr wißt, daß mir Herzeleid erwachsen ist aus meines Stiefbruders Weigerung und nicht das allein; es gilt zu sühnen, denn es trifft mich mit. Ich weiß zwar nicht, worin ich gefehlt habe, sintemal ich stets bei allen meinen Thaten nach dem Wohlgefallen der Heiligen gefragt habe, aber dennoch mag eine verborgene Übertretung da sein, und überdies muß ein Mann in meinen Jahren bedenken, daß für einen jeden einmal, schneller als man denkt, das Ende kommen kann, und sorgen, daß er bald aus dem Fegefeuer gelöst werde. Darum habe ich beschlossen, Euch nach dem Gelobten Lande zu senden, auf daß Ihr auf dem heiligen Grabe für mein und der Meinen Seelenheil betet.«

Helles Erstaunen malte sich auf dem Antlitz Bruder Benedikts, und er schwieg verwirrt; wie kam Herr Johann dazu, ihn zu wählen? Denn nicht verborgen war ihm, daß Bruder Simeon ihm vorgezogen wurde. Zwar war es von jeher sein Wunsch gewesen, die Stätten zu sehen, wo des Heilandes Fuß gewandelt, nicht weil er glaubte, dadurch Vergebung der Sünden zu haben, sondern aus Liebe und Ehrfurcht. Daß er anders dachte als der Ratmann, konnte ihn nicht hindern, zuzustimmen.

»Ich begehre nicht,« fuhr Herr Johann fort, »wie viele es thun, daß Ihr ›wullen und barfot‹ Nur mit einem wollenen Gewande bekleidet und mit bloßen Füßen. den Weg zurücklegt, ich gebe Euch 100 Dukaten, dafür könnt Ihr reichlich die Kosten bestreiten, denn allerwegen giebt es Pilgerherbergen, die Euereins aufnehmen. Seid Ihr zufrieden?«

»Mehr als das,« rief der Mönch erfreut aus, »und wenn Ihr es bei dem Guardian von St. Kathrinen ausmachen wollt, so bin ich bereit, wann Ihr wollt.«

»Ja, es ist gut, bald zu gehen,« erwiderte der Ratmann; »das Wetter ist noch günstig; hernach wird es Winter.«

»O, ich würde mich auch dann durchschlagen, und es eilt ja nicht auf Tag und Stunde, da finde ich allezeit meine Wandergelegenheit.«

Fröhlichen Herzens verließ der Mönch den Ratmann. Dieser aber ging zu Frau Herbort; er wußte, daß der Kirchherr am Nachmittag dort gewesen war.

Als er bei ihr eintrat, saß sie auf ihrem gewohnten Platz am Fenster, war aber sehr bleich, und tiefer Gram lag auf ihren Zügen. »Der hochwürdige Herr Dekan ist hier gewesen,« begann sie mit unsicherer Stimme und streckte dem Kommenden die Hand entgegen, »o Herr Sohn, was werden wir noch erleben?«

»Nichts Sonderliches, Frau Mutter. Der Kirchherr hat Euch von allem benachrichtigt, und er hat, wie ich meine, einen guten Rat gegeben. Bruder Benedikt tritt in den nächsten Tagen die Wallfahrt nach dem heiligen Grabe an, und es liegt nur an Eurer Einwilligung, so wird Kordula des ehrsamen Stadtschreibers Karsten Malenbeke Eheweib.«

»O,« stöhnte Frau Herbort, »eines Altflickers Sohn!«

»Er wird als ›rechtskundiger Stadtschreiber‹ installiert. Ist Euch das zu wenig?«

Frau Herbort schwieg, und der Ratmann fuhr fort: »Er ist ein Beamter des Rates; wollet nicht zu hoch fahren, Frau Mutter. Ihr habt der Güter genug und seid schuldig, dem Mägdlein ein Erbteil zu geben. Weiset ihnen das Haus in der Hundstraße an, das jetzt leer steht.«

»Und Ihr meint in Wahrheit, es sei kein anderer Ausweg?«

»Wollt Ihr einen suchen, so thut es, aber mich bedünkt, es ist gefährlich. Übereilt nichts, wenn nur erst der Mönch fort ist! Aber nimmer darf er zurückkommen, bevor Kordula in den heiligen Ehestand getreten ist, denn wer weiß, ob nicht auch er heimkommt, wie Joachim. Und was habt Ihr gegen Karsten? Er ist ein stattlicher Mann geworden und –«

»Nun ja, Herr Sohn, aber sein Vater ist Flickschuster.«

»Bedenkt die Sache, Frau Mutter. Fürs erste geht Bruder Benedikt; er kommt morgen, um Euern Willen zu vernehmen, so Ihr ihm noch etwas Sonderliches aufzutragen habt.«

Am nächsten Tage trat dieser in Frau Herborts Gemach; sie war nicht anwesend, aber Kordula trat ihm errötend entgegen.

»Ich komme, um Abschied zu nehmen,« sagte er; »Ihr wißt, daß ich in zweien Tagen reise?«

»Ihr? Nein, ich weiß es nicht. Wohin denn?«

»Zum heiligen Grabe, in Herrn Johanns Auftrag; ich will auch Euer sonderlich allda gedenken.«

Kordula sah ihn erschrocken an und Todesblässe lag auf ihrem Antlitz; sie konnte nichts erwidern.

»Habe ich Euch erschreckt?« fragte der Mönch freundlich. »Ich dachte, Ihr wüßtet darum.«

»Und Ihr bleibt lange fort?«

»Sehr lange. Die Reise ist weit und gefahrvoll.«

»Kommt vielleicht nimmer wieder?« rief sie schmerzvoll aus.

»Das weiß der Hochgelobte. Ich stehe in seiner Hand und in seinem Dienst. Es ist manch einer hingezogen, der nimmer heimgekommen ist, aber dennoch freue ich mich der Wallfahrt. Wisset, es ist anders, wenn man mit dem Leben abgeschlossen hat und hinter Klostermauern seine Tage hinbringt, und dann heißt es plötzlich, daß die Welt einem offen steht, als wenn man eine liebwerte Heimstätte verläßt und weiß, daß sich ein Herz sorgt und grämt um einen.«

Kordula blickte ihn an und wollte etwas entgegnen, aber gewaltsam drängte sie das Wort zurück, und der Mönch fuhr fort: »Ich weiß, Ihr werdet zuweilen meiner gedenken, und auch die Jungfer Els, Frau Eva und Raimar. Ist's nicht so?«

Kordula nickte stumm. Da hörte man draußen Frau Herborts Stimme, und das Mägdlein flüsterte: »Fahrt wohl, Bruder Benedikt. Die Heiligen mögen Euch geleiten und Euch glücklich wieder heimführen. Wir warten auf Euch.« Sie reichte ihm die Hand mit mühsam verhaltenen Thränen und ging hinaus.

»Du siehst ihn nicht wieder,« klang's in ihrem Herzen. »Die Heiligen sind weise und gerecht, sie strafen die Sünde.« Nie hatte es deutlicher vor ihrer Seele gestanden, daß es eine Sünde sei, ihn, der geistlich, zu lieben, nie aber auch war sie sich der Größe ihrer Liebe klarer bewußt gewesen. Sie saß in ihrem Kämmerlein und blickte mit brennenden Augen in das Sonnenlicht, das trübe durch die kleinen Scheiben fiel. Was sie erfüllte, war wohl Jammer um ihres eigenen Herzens hoffnungsloses Lieben, aber mehr noch Buße für ihre Sünden. Er mußte gehen, weil ihr Herz ihm in Liebe zugewandt war, und er kam vielleicht nicht wieder, sondern erlag den Gefahren. Hatte sie ihn dann nicht getötet? Immer verworrener kreisten ihre Gedanken. Ach, es gab keinen Trost für sie, da sie den rechten Trost nicht haben wollte. Es mochten Stunden vergangen sein, da hörte sie, wie sich leise die Kammerthür öffnete, und fühlte, wie sich ein Arm um ihren Nacken legte. Dann lehnte sie das Haupt an Frau Evas Schulter und weinte lange und bitterlich.

»Ich habe gesündigt,« stieß sie endlich hervor, »o, dürfte ich doch selbst dafür büßen und müßte nicht ein Unschuldiger sein Leben aufs Spiel setzen!«

»Wünscht Ihr Euch denn noch weitere Strafe, als Euern Schmerz?«

Das Mägdlein sah die Freundin ernst und verwundert an, dann versetzte sie sinnend: »Ihr habt recht, ich bin hart gestraft, dennoch – es müßte ein ander Joch auf meinen Nacken gelegt werden, ich müßte nicht nur leiden, sondern auch etwas thun, zur Tilgung der Schuld.«

»Vielleicht wird das noch von Euch gefordert werden,« meinte Eva sanft, »wartet es ab.«

»O, ich würde den Heiligen danken, und es als ihre Versöhnung ansehen, wenn sie mir eine Buße auflegten; ich habe sie hart betrübt.«

»Ich wollte, Ihr könntet Euch eines Bessern trösten.«

»Redet nicht davon,« stieß Kordula hastig hervor, »jeder muß seinen eigenen Weg gehen; ich werde erst dann wieder ruhig sein, wenn die Strafe auf mich gelegt wird.«

Als Herr Johann am Abend mit Frau Eva beim Brettspiel saß, wie sie pflegten, schaute er sie plötzlich scharf an und fragte: »Wißt Ihr, wie Jungfer Kordula denkt?«

»Wenig weiß ich davon,« entgegnete die Angeredete. »Ihr kennet sie, sie ist sehr verschlossen, und es ist auch besser, nicht allzuviel davon zu reden. Aber, wenn Ihr festhaltet an dem Plan mit Karsten, so glaube ich, sie gehet darauf ein, sie wird es als eine Strafe der Heiligen hinnehmen.«

»Das ist eine gute Nachricht,« äußerte Herr Johann und that einen kräftigen Zug aus dem Bierkruge. »Ja, sie hat recht, und für diesmal wären wir aus der Not.«

Frau Eva antwortete nicht, sie hatte die Augen auf das Brettspiel gerichtet und sagte: »Ihr seid am Zuge.«

* * *

Bruder Benedikt war seines Weges gezogen. Lange noch hatte er mit Jungfer Elsabe geredet; diese sah ihn ungern scheiden, wie gut hatten sie sich verstanden; nun hatte sie niemanden. Aber sie wollte ihn nicht betrüben und sprach nur davon, wie herrlich es für ihn sein würde, die heiligen Stätten zu sehen, wo des großen Meisters Fuß einst gewandelt.

»Ja,« hatte er entgegnet, »und frei zu sein von den engen Fesseln allhier, ich meine schier, die ganze Welt gehöre mir zu. Dennoch wird mir das Scheiden von Euch schwer, Ihr habt mir allezeit Liebe erwiesen.«

»Meine Liebe bewahre ich Euch,« hatte Jungfer Elsabe gesagt, und dann waren sie mit langem innigen Händedruck geschieden.

Ein Monat war vergangen und Novemberstürme brausten durch die Straßen der Stadt, in den Kaminen flackerte das Feuer, und Raimar sprach schon vom heiligen Christfest.

Frau Eva war ein wenig bleicher als vordem, sonst war der alte stille, geduldige Zug auf dem süßen Antlitz. Wie sie heute dasaß vor dem Kamin, die Hände müßig im Schoß, dachte sie Bruder Benedikts und auch Herrn Joachims. In lichtem Glanz lagen die vergangenen Sommertage, wo sie sich seiner Nähe gefreut, wo sie jede Gelegenheit erfaßt, mit ihm über die großen Dinge zu reden, die ihr Herz bewegten und darinnen er so wohl unterrichtet war, hinter ihr. Erst beim Abschied war ihr ganz klar geworden, was das kurze Zusammensein in ihr gezeitigt: volle, innige Liebe zu dem großherzigen, edlen Manne. Sie konnte jetzt nicht begreifen, wie dieses ihr so lange verborgen geblieben war. Hart hatte sie gerungen, als sie erkannt, wie sie des Rechten gefehlt, und noch allezeit stand sie im Streite, aber auch ein Sieg nach dem andern war ihr gekommen im Aufschauen zu dem gnadenreichen einigen Helfer. O, wie manch liebwertes Wort fand sie in ihrer teuern Bibel, welches für sie und ihre Not geschrieben war und sie mutig und stark machte zum Kampf. Auf den verheerenden Sturm der ersten Zeit war die Stille in Gott gefolgt, und immer klarer bewußt wurde sie sich der Gnade und Größe der neuen Lehre.

Lange blickte Eva gedankenvoll in die Flammen an diesem rauhen Novembertage, bis nahende Schritte sie störten und Herr Johann, zu ihr tretend, sagte: »Was bedünket Euch, soll ich heute mit Karsten reden, dann könnte es zum heiligen Christfest Hochzeit geben.«

»Wenn's sein muß, thut es, je eher desto lieber; es nützet kein Aufschub,« erwiderte die Angeredete ernst, »aber wollet bedenken, ob es auch in Wahrheit das Rechte also ist.«

»Bah, das Rechte, natürlich ist's das Rechte,« sprach der Ratmann ungeduldig, »es ist von mehr als einem überlegt.«

Einige Tage später stand Karsten in des Ratmannen Gemach, und dieser begann herablassend und freundlich: »Ich habe gesehen, daß Ihr treu und gewissenhaft Euers Amtes gewartet habt, weiß auch, daß Ihr in allen Stücken wohlgelahrt seid. Es ist nun die Stelle eines rechtskundigen Stadtschreibers offen, und ich habe gebeten, sie Euch zu geben.«

Erstaunt blickte der Schulgeselle auf, dann entgegnete er: »Ich danke Euch, hochedler Herr, aber ich bin nicht rechtskundig.«

»Will nichts sagen, mein Werter; die Stadtschreiber sind bei uns sehr zahlreich vertreten, Ihr wißt mehr als sie, und was sonderlich in Euer Fach schlägt, lernt Ihr ihnen bald ab. Zuvörderst drücken wir ein Auge zu. Es hat nämlich noch einen andern Grund, daß ich Euch zu höherer Stellung verhelfen möchte; denn nicht ist mir entgangen, daß Ihr Minne tragt gegen Jungfer Kordula, deren Vormund ich bin. Sie hat keine Eltern, und wenn Ihr gleich nicht aus dem Stande seid, wie wir uns wünschen für ein Mägdlein, welches in unserm Hause gelebt hat, so fällt doch ins Gewicht, daß Ihr sie hoch und wert haltet.«

Dunkle Glut bedeckte Karstens Antlitz, als Herr Johann hier so kühl von seines Herzens geheimsten Wünschen sprach. Dann war es ihm, als umfinge ihn ein Traum; er konnte kein Wort erwidern, nur groß und fest richteten sich seine Augen auf den Sprechenden, als dieser nach kurzem Schweigen fortfuhr: »Frau Herbort giebt Euch ihr Haus in der Hundstraße und dem Mägdlein alljährlich eine ausreichende Geldrente; denn nicht allzu reichlich wird ein Stadtschreiber besoldet.«

Karsten schwieg noch immer in größter Verwirrung. Seines Lebens höchster Wunsch stand hier erfüllt vor ihm, nur begriff er nicht, wie der Ratmann dazu kam, ihm das alles anzubieten.

»Ich hätte mit Euerm Vater reden sollen,« hub Herr Johann von neuem an, »aber – nun, er ist mir zu unbekannt, vielleicht ist es ihm auch lieber so. Entbietet ihm meinen Gruß und laßt ihn sich erklären, ob die Bedingungen Ihm recht sind.«

Karsten fühlte die Notwendigkeit, etwas zu antworten, und ob er gleich keines klaren Gedankens mächtig war, stieß er doch endlich hervor: »Hochedler Herr, Euer Wohlmeinen ist größer, als ich je zu hoffen wagte. Ihr bietet mir der Segnungen größte und das höchste Glück. Ich weiß nicht, wie ich Euch recht danken soll, aber ich werde zeigen, daß ich Eurer Güte nicht unwert bin. Jungfer Kordula glücklich zu machen, soll mein höchstes Streben sein.«

»Doch noch eins,« sagte der Ratmann. »Ihr wißt, in was für Zeitläuften wir leben, und wie das Gift schädlicher Lehre heimlich Platz greift. Versprecht mir, daß Ihr nimmer von dem alten Glauben weichen wollt.« Er streckte Karsten die Hand hin, dieser aber schlug nicht freudig ein, sondern stand da, bleich bis in die Lippen mit gesenkten Augen.

Des Ratmannen Antlitz verfinsterte sich. »So seid auch Ihr einer der Abtrünnigen?« rief er zornig.

»Nein, hochedler Herr, das nicht, aber ich habe viel von der neuen Lehre vernommen und bin ihr nicht abhold gewesen.«

»So sage ich Euch heute, daß die Heiligen es wohl mit Euch meinen, und daß sie Euch zurückbringen wollen vom Irrpfade, denn allerdings könnte ich Euch Jungfer Kordula nur geben, wofern Ihr Euch verpflichtet, immerdar denselben Weg mit ihr zu gehen, den einigen Pfad, darauf bisher das Heil zu uns gekommen. Ihr müßt versprechen, niemals ein Wort zu sagen, das der neuen Lehre günstig, viel weniger sie zu überzeugen suchen, in Summa, ein guter Christ sein nach alter Weise. Könnt Ihr das nicht, so habe ich heute vergeblich zu Euch geredet, und Ihr bleibt Schulgeselle.«

Karsten schwieg in hartem Streite. O, sollte er darum alle die Jahre mit seinem Vater und Meister Andreas gehofft haben, um nun alles daran zu geben um irdischen Genügens willen? Und doch, er vermochte nicht das ihm gebotene Glück fortzuweisen; der Himmel hatte sich einmal vor ihm aufgethan, er hatte den Glanz irdischer Wonne und Befriedigung leuchten sehen. Sollte sich das goldne Thor wieder vor ihm schließen? Er konnte in seinem Herzen treu bleiben, man wußte ja noch kaum, wie die Sachen laufen würden, und ob die neue Lehre den Sieg davon tragen würde. Konnte er nicht äußerlich sein, was der Ratmann verlangte, und im Herzen anders denken?

»Wird Euch der Entschluß so schwer?« fragte der Ratmann mit schlecht verhehltem Unwillen, »dann laßt die Sache beendet sein und vergeßt, was ich gesprochen habe.«

»Es ist ein harter Streit in mir,« erwiderte Karsten ehrlich, »dennoch, ich kann nicht lassen von dem, was Ihr mir in Aussicht stellt. Ich will – bei der alten Kirche – bleiben – so lange Kordula mein Weib ist –. Kein Schatten soll ihre Seele trüben, oder ein Wort über meine Lippen kommen, das zu Unehren des Bestehenden sei.«

»Und Ihr versprecht mir das fest und feierlich?«

»Ich verspreche es als ein Mann, dem Ihr trauen könnt.«

Beide blickten einander fest ins Antlitz; dann sagte der Ratmann ernst: »Es ist gut; so wäre nun wohl alles erledigt, und Ihr redet mit Euerm Vater. Bringt mir morgen seine Antwort.«

Karsten ging wie träumend hinaus. Graue Dämmerung, herrschte draußen, und ein feiner Regen begann zu fallen. Ihm that die Kühle wohl, denn der Kopf brannte ihm; die höchste irdische Glückseligkeit war ihm beschieden, warum konnte er ihrer nicht so froh werden, wie er wünschte? Würde ihn der Kaufpreis nicht einstmals gereuen? An Kordulas Seite nimmermehr, klang es in seinem Herzen. Und doch war ein Zagen in seiner Seele, als er über die Schwelle des väterlichen Hauses trat.

Hinrich Malenbeke und Meister Andreas saßen, wie es ihre Gewohnheit zur Dämmerstunde war, in des ersteren Stübchen. Die Unterhaltung war ins Stocken geraten, und beide blickten nun auf den Eintretenden, als sollte er Neues bringen. Heute hatte er allerdings genug, um beide in Staunen zu setzen.

»Vater,« begann Karsten langsam, »ich habe Euch etwas kund zu thun.«

Der Flickschuster entgegnete ruhig: »Sage an, mein Sohn.«

Karsten zögerte, da sprang Meister Andreas auf und rief: »Wenn es besser ohne mich gesagt ist, will ich gehen.«

»Bleibt, lieber Meister,« erwiderte Karsten. »Ihr seid mein Pate und sollt es so gut wie der Vater wissen. Der Ratmann hat mir heute die Stelle eines Stadtschreibers angetragen, und läßt Euch, lieber Vater, fragen, ob Ihr einwilligt, wenn er mir die Jungfer Kordula zum Gemahl giebt.«

Der Altflicker schwieg, er meinte nicht recht verstanden zu haben; Meister Andreas aber riß die Zipfelmütze vom Kopf, warf sie in die Höhe und rief: »Viktoria! und abermals Viktoria! Und das sagst Du. so – so – so mit vollem Atem und seelenruhig. Karsten, Du wirst wie Dein Vater. Also die Jungfer Kordula! Habe ich nicht wieder einmal recht? Es geschehen noch alle Tage Wunder, und die Heiraten mit vornehmen Weibsleuten sind nicht zu Ende gewesen mit König Sauls Tochter. Aber nun erzähle uns die Sache ordentlich. Also er sagte zu Dir –«

Karsten hatte sich einen Schemel an des Vaters Seite gezogen. Es war gut, daß tiefe Dämmerung herrschte, so ließ sich leichter alles berichten. Mit wachsendem Erstaunen hörten die beiden Männer zu.

Als er nach und nach langsamer sprach und wiederholte, wie Herr Johann ihm die Hand des Mägdleins zugesagt hatte, rief Meister Andreas: »Und weiter? Die Sache ist noch nicht zu Ende, es muß noch ein Aber kommen. Habt Ihr so viel gesagt, Herr Stadtschreiber, dann laßt auch noch den Schluß folgen.«

»Ihr wißt, Vater,« Hub Karsten zögernd an, »daß der Ratmann festhält am alten Glauben, und die Jungfer Kordula ebenso. Ich habe ihm nun versprechen müssen, daß ich gleicherweise dem Alten anhangen will – und – des Neuen – nicht gedenken.«

»Und das habt Ihr gethan?« rief der Schneider und sprang auf; »das habt Ihr gethan? o du himmlische Barmherzigkeit? Ihr seid ja ärger als Esau, Ihr habt die Erstgeburt, ja die Seligkeit für ein Linsengericht gegeben. Und das alles um ein Weibsbild! Karsten, Karsten, das wird Euch übel geraten, Ihr werdet nie groß sein im Reiche Gottes, wie Ihr doch könntet. Was stehet geschrieben? ,Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater' Habt Ihr's verstanden, Stadtschreiber? Verleugnen vor meinem himmlischen Vater. Ihr wißt doch, was das heißt?«

»Haltet ein, Meister,« rief Karsten flehend, »verdammt mich nicht, ich konnte nicht anders.«

»Konntet nicht anders? wie? Weil ein Weibsbild Euer Gott ist, weil Ihr schier betäubt seid von Ehre und Gunst, weil –«

»Nein, Meister, das letztere nicht; aber von dem Mägdlein kann ich nicht lassen.«

»Und Ihr meint, das wollt Ihr antworten, wenn am jüngsten Tage die Bücher aufgeschlagen werden? Ihr meint, der Weltrichter wird urteilen: ,Es ist gut, das war ein triftiger Grund, Stadtschreiber von Lübeck?'«

Karsten schwieg, und Meister Andreas fuhr immer zorniger fort: »Was wird dann erst aus uns werden? Wenn Ihr Euern himmlischen Vater also verleugnet, so werdet Ihr ja auch sagen: Ich kenne den Schneider und den Altflicker da unten im Rosengarten nicht. Oh, oh! Es ist hart und ich bin doch Euer Pate. Aber ich hätte es mir denken können. Wer die Kreatur vernachlässigt, wie Ihr Eure Tauben, der weiß nicht, was Treue ist. Doch – ich habe den Schlag noch nicht zugemacht und muß eilends hinauf.« Damit sprang er zur Thür hinaus.

Es war dunkel geworden. Nur ein schmaler Streifen Mondlicht fiel durch die grünlichen Scheiben des kleinen Fensters, und lange war es still zwischen den beiden. Endlich sprach Karsten weich: »Vater!«

Hinrich Malenbeke reichte dem Sohn die Hand und sagte: »Es thut meinem Herzen weh, doch verdamme ich Dich nicht; Du mußt wissen, was Du thust. Die neue Lehre ist ein freies Gnadengeschenk, der eine nimmt es an, der andere verwirft es; Du wirst nicht leichtfertig Dein Versprechen gegeben haben.«

»Nein, Vater; und doch, ich will Euch und mich nicht täuschen, ich habe es gethan um des Mägdleins willen. Niemand weiß, wie ich sie geliebt habe alle die Jahre lang.

Nun, da sie mir angetragen und das Unmögliche Wirklichkeit wird, kann ich nicht widerstehen.«

»Mögest Du es nie bereuen, mein Sohn, und möge der Herr Dir vergeben. So wandeln wir also von jetzt ab geschiedene Wege?«

»Mit nichten, Vater, im Herzen bleibe ich, was ich war, nur äußerlich erfülle ich Herrn Johanns Forderung.«

Der Flickschuster schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht. ,Ihr könnt nicht zween Herren dienen,' das gilt hier mehr denn andern Ortes. Vielleicht aber schafft der Allmächtige Rat, daß unsere Wege sich einst wieder vereinigen. Er hat alles in seiner Hand, und Du bleibst mein Sohn, um dessen irdische und ewige Wohlfahrt ich immerdar flehe.«

Karsten flüsterte tief bewegt: »Ich danke Euch.« Dann wollte er gehen, aber noch einmal stand er still und sprach mit leise zitternder Stimme: »Ich bleibe der besseren Erkenntnis treu und – glaubt nicht, daß mir das Versprechen leicht geworden ist.«

»Dennoch thatest Du unrecht, Karsten. Aber, wie ich gesagt habe, das ist Deine Sache; und Gott schenke Dir das Glück, nach dem Dich verlangt, und das Du Dir so teuer erkauft hast.«

Langsam stieg Karsten die schmale, steile Treppe hinauf. Noch stundenlang ging er in dem engen, monddämmerigen Gemach auf und ab; er rang hart, aber er blieb nicht Sieger, das heißgeliebte Antlitz war seine Niederlage.

Bald nachdem Karsten das Stübchen unten verlassen hatte, trat Meister Andreas wieder ein. Er setzte sich nicht, sondern lief mit großen Schritten hin und her. »Hinrich,« rief er hastig, »mir ist da oben am Taubenschlag noch etwas eingefallen; wißt Ihr wohl, wie Euer Sohn uns noch kürzlich vorgelesen hat: ,Danach führte ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg –' und wie es weiter geht; ich behaupte, der neue Stadtschreiber ist niedergefallen und hat ihn angebetet.«

»Richtet nicht,« entgegnete der Altflicker milde.

»Ist das richten? Sieht man es nicht mit den Augen, und vernimmt man es nicht mit den Ohren? Ich will nicht richten, ich meine nur, er hat schlecht gehandelt, nicht wie ein Mann.«

»Er hat ein weiches Gemüt, er ist, wie seine Mutter war.«

»Das ist keine Entschuldigung. Das Gemüt wird stark im Kampf, wenn man des Hochgelobten Ehre sucht; aber freilich, wenn einem die Weibsleute lieber sind. – – Nun, wie gesagt, es wird sich einst ausweisen, ob wir mit einander in den ewigen Hütten wohnen, oder ob wir umsonst suchen und fragen: Wo ist Karsten Malenbeke? Es könnte mir ja einerlei sein, aber ich bin sein Pate, und, Hinrich, mein Herz hängt an dem Jungen, mein altes Herz.«

Er hatte die letzten Worte mit bebender Stimme gesprochen, jetzt fuhr er sich mit dem Ärmel über die Augen, räusperte sich stark und ging schweigend hinaus.

Der Altflicker zündete das Lämpchen an und begann die angefangene Arbeit von neuem. Von Zeit zu Zeit nahm er die Brille ab und rieb die Gläser mit einem leinenen Läppchen klar. Ach, es lag nicht an den Gläsern; die ganze Welt erschien ihm trübe.


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