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Es war am 14. Dezember desselben Jahres, der Tag neigte sich seinem Ende zu. Durch die Straßen der Stadt fegte der Nordwind und wehte den Schnee zu Haufen, wirbelte ihn von den Dächern herab und heulte in den Kaminen.
Frau Eva saß bleich und mit kummervollem Antlitz neben der Wiege ihres Kindes; sie hatte gehofft und gebetet. jetzt flehte sie nur noch um ein sanftes Ende, denn das Mägdlein litt schwer.
Es wurde schnell dunkel im Gemach. Sie zündete das Lämpchen an; keine Veränderung in dem Antlitz des sterbenden Kindes sollte ihr entgehen. Draußen heulte der Sturm weiter, im Hause aber war es totenstill; nur ein Holzwurm pochte im Getäfel.
Eva schauerte leicht zusammen, dann stand sie auf und holte ihr wertes Bibelbuch. Ihre Seele lechzte nach Trost. Leise und ruhig gingen des Kindes Atemzüge; die Macht der Krankheit war gebrochen, aber auch die Kräfte waren verzehrt. Noch hatte Frau Eva das Buch nicht geöffnet, sie gedachte der letzten Jahre. Es war ein trauriges Rückwärtsschauen, und langsam flossen ihre Thränen, dann faltete sie die Hände und sagte halblaut vor sich hin: »Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde.«
Sie schlug den Psalter auf. Wie oft hatten seine Worte sie milde getröstet! Ihre Seele war müde und ihr Leib auch. Nach einer Weile sank ihr Kopf auf die Brust, die Finger lagen zwischen den Seiten des heiligen Buches. – Sie war eingeschlafen.
Eine Viertelstunde mochte also vergangen sein, da kamen Schritte die Treppe herauf, und die Thür wurde leise geöffnet. Herr Johann stand vor ihr am Tische. Er hatte mit einem Blick alles übersehen. Sein Weib hatte ihn hintergangen; er hatte gemeint, sie habe ihm alle ketzerischen Bücher übergeben, nun hatte sie das ärgste, vor dem die Priester sonderlich warnten, behalten, und Bruder Simeon hatte recht. Der Zorn übermannte ihn; alle seine Liebe verkehrte sich in Bitterkeit. Und doch, als er ihr in das kummervolle Antlitz sah, wollten weichere Gefühle in ihm aufkommen; aber er drängte sie gewaltsam zurück, er wollte halten, was er angedroht, und sollte sein Weib darüber zu Grunde gehen. Noch einmal kam es wie Milde über ihn, als er auf sein krankes Kind blickte. Aber auch dies Gefühl schüttelte er ab. Es blieb ihm nach allem nichts weiter übrig, als seines Weibes Richter zu sein.
»Frau Eva!« Rauh und mit verhaltenem Zorn stieß er die Worte hervor. Sie richtete sich erschrocken auf und starrte ihrem Eheherrn in das kalte, finstere Antlitz.
»Ihr habt mich betrogen!« rief dieser, und seine sonst so ruhigen Augen loderten in hellem Feuer, »Ihr seid mein Weib nicht mehr, wie ich Euch gesagt habe. Geht, wohin Ihr wollt; mein Haus ist Euch verschlossen.«
Angstvoll blickten die großen, klaren Augen zu ihm auf. Eva konnte sich nicht schnell in die Gegenwart finden nach dem freundlichen Traum, der ihre Sinne umfangen gehalten hatte. Plötzlich aber wurde ihr alles klar; sie wußte, daß Herr Johann kein Erbarmen kennen würde. Aber mit dieser Erkenntnis kam ihr auch der heilige Mut wieder. Sie war aufgestanden und wartete auf ein weiteres Wort des Ratmannen; statt eines solchen aber entriß er ihr das Buch und warf es in die Flammen des Kamins.
Mit einem Wehlaut sank das junge Weib auf den Stuhl zurück und bedeckte das Antlitz mit den Händen. Das hatte sie nicht erwartet. Ihr Herz zog sich in peinlichem Weh zusammen; ach, ihr geliebtes Buch, Gottes Wort und Joachims Gabe! – Ein Wimmern des Kindes schreckte sie auf. Sie beugte sich über die Wiege und flüsterte ihm leise beruhigende Worte zu. Es war bald wieder still, und als sie sich aufrichtete und Herr Johann noch immer dieselbe Härte im Antlitz zeigte, sagte sie mit bebenden Lippen: »Das Kind stirbt.«
»Es fährt dahin um Eurer Abtrünnigkeit willen,« versetzte der Ratmann zornig.
Einen Augenblick ruhte seines Weibes ernster Blick auf ihm, dann sprach sie langsam: »Wollte Gott, ich könnte mit ihm abscheiden!«
»Ihr wißt meinen Willen, verlaßt mein Haus,« entgegnete Herr Johann.
Dunkles Rot bedeckte die eben noch so bleichen Wangen. War es nun doch so weit gekommen, daß sie heimatlos hinausgestoßen wurde von des eigenen Hauses Schwelle? »Ich gehe,« sagte sie ruhig, wenngleich ein schmerzlich Zucken um den Mund ihren Kampf verriet, »aber nicht eher, als bis das Kind gestorben ist.«
»Ihr werdet sogleich gehen,« herrschte der Ratmann. »Ich werde Benediktas Pflegerin rufen.«
»An das Sterbebett des Kindes gehört die Mutter,« erwiderte Frau Eva fest.
»Vielleicht wird es gerettet, wenn mein Haus rein ist von Ketzerei.«
Sie wandte sich von ihm, ohne ihn noch einmal anzuschauen, und kniete an der Wiege nieder. Schritte entfernten sich, und die Thür fiel ins Schloß. Sie blickte zur Seite auf die letzten Reste des werten Buches, die mit dem Feuer kämpften, und von da auf das Antlitz des Kindes, dann legte sie das, müde Haupt auf das Kissen und schluchzte laut.
Von St. Marien schlug es sechs Uhr, da that das Kind den letzten Atemzug, und Frau Eva geleitete die kleine Seele mit ihren Gebeten, nicht an einen unbestimmten Ort, sondern geradewegs zu dem guten Hirten, welcher die Lämmer in seine Arme sammelt. Nun, da der große Schmerz, in Wahrheit hereingebrochen war, trat alles Andere zurück, und ihr Kampf galt diesem Weh allein.
Lange noch betete sie an der Wiege ihres Kindes; darauf trat sie in die Kammer, wo Benedikta eben entschlummert war. Alle Wärme war aus ihrem Herzen gewichen, und nur leise flüsterte sie im Gehen: »Dennoch bleibe ich stets bei dir!«
Sie packte einige Sachen zusammen, bald aber ließ sie sie wieder liegen; sie wollte nichts von hinnen nehmen. Langsam und mit wankenden Schritten ging sie die Treppe hinab.
Sie war noch nicht bis zur Hälfte gekommen, da stürmte ihr Junker Raimar ganz außer Atem entgegen: »Frau Mutter, ich war bei dem welschen Medikus in der Herberge, die Leute reden viel von seinen Kuren, er hat mir ein Pulver gegeben, nun wird Edeltraud gesund werden.«
Frau Eva richtete den kummervollen Blick auf ihn und sagte tonlos: »Das Kind ist heimgefahren.«
Ein Schmerzensschrei entfuhr dem Knaben. Er umfing die Mutter, und seine Thränen fielen auf ihre Hand, dann, wie von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, fragte er hastig: »Und Ihr, Frau Mutter?«
»Ich gehe für immer; Dein Vater hat mich hinausgestoßen.«
Fassungslos starrte Raimar sie an. »Ich geleite Euch,« rief er dann und umschlang sie.
Der Kienspan warf sein rotes, flackerndes Licht über die hohe Diele, und draußen tobte der Sturm. Eva sah und hörte nichts, sie fühlte nur den tiefen Jammer, der ihr Herz erfüllte, und seufzte zu Gott um Hülfe.
Als sie an das Gemach des Ratmannen kamen, trat er hinaus. Er wußte, was geschehen war, daß sein Kind tot sei, daß sein Weib ihn verlasse für immer. Auch sein Weg war hart, aber er mußte gegangen werden. Als er Raimar erblickte, stieg ihm der alte Zorn wieder auf. »Wohin willst Du?« herrschte er ihn an.
»Die Frau Mutter geleiten.«
»Du bleibst hier.«
Furchtlos schaute der Junker dem erzürnten Vater ins Antlitz, dann erwiderte er stolz: »Des Ratmannen Gemahl soll nicht ohne Geleit gehen.« Und ehe ein weiteres Wort ihn treffen konnte, schritt er der Hausthür zu.
Herr Johann aber ging zurück und sank ächzend in einen Stuhl. Oh, es war alles wider ihn, nicht einmal seinen Sohn konnte er zum Gehorsam zwingen.
Nach einer Weile erhob er sich und schritt langsam die Treppe hinauf zu dem leeren Gemach, wo nur der Tod noch weilte. Das Feuer war erloschen, das Lämpchen brannte und warf seinen unsichern Schein auf das kleine Antlitz in den weißen Kissen. Mit verschränkten Armen stand der Ratmann vor der Wiege, finstern Blickes und gebrochenen Herzens. Was war ihm geblieben von allem erträumten Glück und Wohlsein? Ein ödes Haus und keines Menschen Liebe.
War er vielleicht doch zu hart gewesen? Nein, nein. Lieber einsam und liebelos, als verachtet und der Ehre bar. Er hatte so gehandelt, daß er erhobenen Hauptes vor den ganzen Rat hintreten konnte, er hatte durch die That seine Treue gegen den alten Glauben bewährt.
Als er in sein Gemach zurück kam, lehnte Bruder Simeon am Tisch. Schlecht konnte er die hämische Freude verbergen, und, Herrn Johann näher tretend, sprach er salbungsvoll: »Ihr werdet dereinst hoch stehen im Reiche Gottes, Ihr habt mehr geopfert als mancher, der ein Märtyrer heißt.«
Der Ratmann antwortete nicht, er stand ihm mit finsterm Antlitz gegenüber, und der Dominikaner fuhr fort: »Laßt Euch Euern Schritt nicht reuen, hochedler Herr; hat man scheel gesehen zu dem Thun Eures Weibes und Euch ob Eurer Milde gegen sie getadelt, so wird man Euch jetzt preisen, daß Ihr gutgemacht habt, was Ihr fehltet. Eure Ehre ist hergestellt und gleißt heller denn Gold.«
Es that dem Ratmann wohl, solche Worte zu vernehmen. »Woher wißt Ihr alles so bald?« fragte er.
»Ich sah, wie Frau Eva in der Jungfer Elsabe Haus trat, geleitet vom Junker. Da wußte ich, daß sie für immer von Euch gegangen ist, denn nimmer ist sie vorher Euerm Gebot ungehorsam gewesen und zur Jungfer Els gegangen. Ich vermute, Ihr fandet ketzerische Bücher?«
Der Ratmann nickte.
»Wie steht's um das Kindlein?«
»Es ist tot.«
»Tot,« wiederholte der Mönch ohne Trauer und Teilnahme. »Die Heiligen mußten Strafe auf Euer sündiges Haus legen. Sie haben es wohlgemacht; jetzt ist jeder Weg für Frau Eva abgeschnitten. Wie viele Seelenmessen sollen für das Mägdlein gelesen werden?«
»Ich will hundert Mark an den Altar stiften. Es soll ein Jahr lang jeden Tag eine gelesen werden.«
»Ihr thut genug damit,« entgegnete Bruder Simeon geschäftsmäßig, »oder wollt Ihr noch ein Gewand der Ratmannenfrau stiften zum Mantel der Mutter Gottes?«
»Nein,« brach Herr Johann kurz und scharf ab, und der Mönch sah ein, daß seine Gegenwart für heute unnötig sei. Er entfernte sich mit einem Segenswunsch. Der Ratmann blickte ihm finster nach, dann setzte er sich seufzend an den Tisch. Wie still und einsam war es in dem großen Hause! Nicht einmal Frau Evas leise Fußtritte hörte er über sich, nicht das Rücken ihres Schemels. Er konnte es nicht ändern, daß seine Gedanken immer wieder zu ihr zurückkehrten, und er sah unentwegt ihre großen, thränenlosen Augen auf sich gerichtet.
Frau Eva war indessen mit Junker Raimar bis vor das Stiftshaus gegangen. Allda bat sie ihn umzukehren, sie wollte lieber allein mit der Muhme sein. Der Mond sandte blassen Schein in die Straße, und dünne Wolkenschleier jagten unruhig vorüber. Raimar öffnete die schwere Thür, aber ehe seine Mutter die Schwelle überschritt, wendete sie sich ihm noch einmal zu, legte beide Hände auf seinen Arm, schaute ihn tief betrübt an und fragte leise: »Wer wacht bei dem Kindlein?«
»Ich, Frau Mutter.«
»Habe Dank, mein geliebter Sohn! Es ist mir tröstlich, daß kein Fremder ihm den letzten Dienst thut.«
»Seid ruhig, herzliebe Frau Mutter, ich thue dem Mägdlein, was Ihr würdet gethan haben.«
Innig drückte Frau Eva des Redenden Hände, dann stieg sie langsam die steilen Treppen hinan.
Die Jungfer Elsabe Engelstede ahnte nicht, was im Hause des Ratmannen geschehen war. Hatte auch Herr Johann gedroht und Frau Eva ihr versichert, daß er sein Wort halten werde, sie hatte gehofft, es werde so weit nicht kommen. Dazu war sie heute abend sonderlich froh, denn Herr Joachim hatte des Herzogs Sache erledigt und wollte nun den Abend bei ihr bleiben, den letzten, den er in der geliebten Vaterstadt zubrachte, vielleicht für lange. Denn wenn er auch festiglich glaubte, daß sehr bald alle Thore der neuen Lehre geöffnet sein würden, so konnte doch er nicht heimkehren, denn er kannte sein Herz wohl und überschätzte seine Kraft nicht. Hart hatte er gerungen, daß er vergessen möchte, aber es war ihm nichts geworden, als ein willig Entsagen und demütige Ergebung. Der Gedanke, Frau Eva zu besitzen, kam ihm nie, das war eine Unmöglichkeit, oder gab es doch einen Weg? Nein, und wenn sie hundert Mal von Herrn Johann verstoßen würde, dennoch würde er ihrer nicht begehren, die neue Lehre sollte nicht geschmäht werden als ein Mittel, solchen Wünschen Erfüllung zu schaffen. Es war ihm hart angekommen, durch die Straßen der freien Reichsstadt zu gehen wie ein Fremder. Er war des Nachts vor seines Bruders Haus gewesen und hatte nach dem Licht in Frau Evas Gemach geschaut, sein Herz hatte die sichere Ruhe verloren, die er in der Ferne gewonnen, und deshalb freute er sich, daß er der Heimat wieder den Rücken wenden konnte.
Er saß mit der Muhme Els am Feuer, und berichtete ihr von den großen Thaten der Gottesmänner.
Plötzlich legte diese ihre Hand auf seine Schulter und sprach aufhorchend: »Es naht jemand; ich denke, es ist der alte Martin, der mir heimlich Kunde von dem Mägdlein bringt. Tretet in die Kammer, bis er wieder gegangen ist.«
Herr Joachim gehorchte und eilte hinter den Vorhang, der das Kämmerlein von der Stube trennte.
Da öffnete sich die Thür, und Frau Eva stand auf der Schwelle, totbleich, mit glanzlosen Augen. »Muhme Els, ich komme zu Euch, ausgestoßen und verlassen; mein Kind ist tot, meine Bibel verbrannt. Herr Johann hieß mich gehen.«
Die Jungfer Elsabe hatte sich bestürzt aufgerichtet. »Also doch!« seufzte sie leise, dann breitete sie die Arme aus, aber noch ehe sie zu Eva eilen konnte, stand Herr Joachim neben ihr.
»Joachim, Oheim Joachim!« rief das junge Weib, zum Tode erschrocken.
»Ich will Euch schützen, wenn mein Bruder es weigert. Ich will mein Leben für Euch lassen. O stoßt mich nicht zurück!« Flehend sprach er die letzten Worte und streckte beide Hände dem geliebten Weibe entgegen. Er hatte in diesem Augenblick alles vergessen, nur was seine lange zurückgedrängte Liebe ihm eingab, sagte er.
Eva aber legte ihre Hände nicht in die seinen, sie sah ihn traurig an und versetzte leise: »Ich bin Eures Bruders Weib, wenn er mich auch verstoßen hat.«
Herr Joachim blickte lange finster zu Boden. Endlich schaute er ernst zu ihr auf: »Ihr habt recht; verzeiht meinem Ungestüm! Ich werde Euch nicht wieder begegnen. Ich konnte es ertragen, von fern zu stehen, da ich Euch zufrieden und geborgen wußte, aber –«
Er hielt inne. Frau Eva sah ihn vorwurfsvoll an. Was redete er nur! Wußte er nicht, was sie gelitten hatte? Wußte er nicht, daß alle Jahre ihrer Ehe freudlos für sie dahingegangen waren?
Einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann fuhr Herr Joachim weich fort: »Ich reise morgen, darf ich heute abend bei Euch allhier bleiben, oder heißt Ihr mich gehen?«
»Geht,« erwiderte Frau Eva zögernd und mit mühsam bewahrter Fassung.
Herr Joachim nahm den Mantel um und trat zur Base Els; dann faßte er Frau Evas Hände, küßte sie ehrfurchtsvoll und sagte mit bebender Stimme: »Fahrt wohl für immerdar! Gott segne und behüte Euch!«
»Fahrt wohl!« entgegnete Eva mit verhaltenem Schluchzen. Dann ging Joachim hinaus, und seine Schritte verhallten in dem hohen Stiftshause.
Da war es vorbei mit des jungen Weibes Standhaftigkeit. »Muhme Els!« rief sie schmerzerfüllt, kniete neben ihr nieder und barg das Haupt in deren Schoß, »o helft mir! Ich finde mich nimmer zurecht in dem Jammer, der über mich gekommen ist.«
Der Muhme Hand fuhr leise über des jungen Weibes lichten Scheitel: »Gott ist größer als Euer Leid, er wird Euch zurechthelfen,« und weiter deutete sie ihr das Geheimnis der Trübsal.
Kein Schlaf kam in die Augen der beiden Frauen. Als endlich der Himmel sich im Westen hellte, flüsterte Eva, indem leises Rot über ihr Antlitz flog: »Jetzt reitet Herr Joachim aus. Muhme Els, habe ich recht gethan?«
»Ja, Gott segne Euch und ihn!« Dann ließ sie sich von der Jungfer Elsabe in deren Kammer zur Ruhe betten und schlief bald ein.
Auch in des Ratmannen Hause hatte die ganze Nacht das Licht gebrannt. Junker Raimar hielt die Totenwacht bei dem Schwesterlein, wie er versprochen hatte. Er überdachte das Herzeleid seiner geliebten Mutter, aber auch tief empfand er, wieviel Liebe und Güte sie ihm erzeigt, und sein Herz wurde warm in Gegenliebe und Dankbarkeit. Er hatte dem Kindlein Tannenreiser auf die Wiege gelegt, er hatte es sehr geliebt, ach wie wenig konnte er ihm noch thun. Ohn' Ermüden saß er die ganze Nacht da. Der Morgen graute, er blickte hinaus, sorglich gedenkend, ob wohl seiner Mutter eine gute Nachtruhe beschieden gewesen.
Als das Stadtthor geöffnet wurde, zog ein einsamer Reiter durch dasselbe. Nicht fröhlich spornte er sein Roß, sondern langsam trabte es einher, der Reiter hatte das Haupt auf die Brust gesenkt; er hatte nicht allzu große Eile. Das Herz war ihm schwer vom Leide, sein Leben erschien ihm wie dieser graue, kalte Wintermorgen, und als er draußen noch einmal zurückschaute, meinte er, seine Vaterstadt zum letztenmal gesehen zu haben.
Zwei Tage darauf in der Morgenstille wurde des Ratmannen Herrn Johann Salige Töchterlein zu letzter Ruhe bestattet. Die schwere Steinplatte in St. Marien wurde gehoben und der kleine Sarg neben den von Frau Herbort gestellt. Herr Johann war müde und gebrochen, und als er hinausging, mußte Raimar ihn stützen. Hinter einem der Pfeiler, ungesehen von allen, saß ein junges Weib; sie war sehr bleich, und mit ängstlicher Spannung nahm sie alles wahr, was vorging. Als die Steinplatte sich wieder schloß, drückte sie die Hände vor das Antlitz, und heiße Thränen rannen durch die Finger. Dann sah sie noch in der Ferne Herrn Johanns gebeugte Gestalt, und ein tiefes Erbarmen ergriff sie. Sie that ein innig Gebet für ihn; es war ihr ja kein ander Recht geblieben, als von ihm fern ihm Frieden zu erflehen.