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Kleine Königsgeschichten

 

Die Angst vor dem Loslassen

Der Herrscher eines mächtigen Reiches trat in die Kinderstube. Der Kronprinz war gerade dabei, das Gehen zu lernen, konnte das aber noch nicht so recht. Deshalb führte die Wärterin ihn sorgsam an der Hand.

»Loslassen!« befahl der Vater.

»Dann könnten Se. Hoheit fallen,« sagte das Mädchen.

»Macht nichts!« entschied die Majestät. »Wenn Sie nur das alberne Vorurteil ablegen wollten, daß man kleine Kinder stets an der Hand führen müßte! Man soll die Menschen früh daran gewöhnen, auf eigenen Füßen zu stehen. Loslassen!«

So ließ das Mädchen denn los, und Se. Hoheit gingen wirklich allein. Sie wackelten zwar noch bedenklich, aber ruderten sich doch wacker wieder mit Ihren Händen ins Gleichgewicht und quietschten dabei vor Vergnügen.

»Sehen Sie wohl!« sagte der aufgeklärte Herrscher und verließ hochbefriedigt die Kinderstube. Dann ging er in den Sitzungssaal seines Ministeriums und arbeitete mit seinen Räten an einem neuen Gängelbande für das unmündige Volk. – –

»Loslassen, Majestät!!«

 

Das Kopfstehen

Es ist schon länger her, da gab es einen König, dem war sein Narr gestorben, und weil er so nicht leben konnte, ließ er ein Ausschreiben ergehen, die Stelle wäre neu zu besetzen.

Da meldete sich auch bald so ein Mensch, der ging stracks zum König, hob sich keck auf den Zehenspitzen empor und sagte: »Hier bin ich, Gevatter, dein neuer Narr.«

»Gemach, mein Junge,« erwiderte der König, »erst mußt du eine Probe machen. Was kannst du?«

»Ich kann auf dem Kopfe stehen.«

»Mach mir's mal vor.«

Da stellte der Mensch sich auf den Kopf und zappelte mit den Beinen lustig in der Luft herum.

»Das ist sehr schön,« meinte der König, »aber die Probe genügt mir noch nicht. Was kannst du sonst noch?«

»O, ich kann alles.«

»Ei, mein Bursch, wenn du alles kannst, dann mußt du auch regieren können.«

»Das kann ich auch, Gevatter.«

»Dann sage mir flugs, wie du das machst, aber ganz kurz.«

»Ganz kurz, Gevatter: dann pflege ich nicht auf dem Kopfe zu stehen.«

Als der König das hörte, sann er eine Weile nach, aber es wollte ihn bedünken, daß der Mensch ihm von Nutzen sein könnte; er sagte deshalb: »Die Prüfung ist bestanden. Bringt ihm seine Schellenkappe.«

 

Ein gefährlicher Mann

Der Minister beriet heute recht lange mit Se. Majestät. Es handelte sich darum, in seinem Amtskreise aufzufrischen und zu erneuern, und so fielen die Geheimräte, wie Mohnköpfe fallen unter der Gerte eines Knaben. Majestät gaben in allem gelassen Ihre Zustimmung. Darüber war die Exzellenz sehr erfreut. Der Ausblick in die Zukunft war frei, und man konnte mit frischem Mut an neue, drängende Aufgaben hinantreten. Aber eins blieb noch zu tun.

»Wenn Majestät endlich noch die Gnade haben wollten –«

»Nun, noch jemand?«

»Der Geheimrat Wallbach dürfte ebenfalls zu erneuern sein. Seine unleugbare frühere Schaffenskraft hat bedeutend nachgelassen, er wird alt.«

»Gut, Ruhestand. – Aber halt, Exzellenz! Wallbach, sagen Sie? Das geht nicht, der Mann ist gefährlich.«

»Majestät dürften verwechseln,« sagte der Minister. »Wallbach ist eine stille Natur, ein durchaus gutmütiger Charakter.«

»Gutmütig? Das möchte ich bezweifeln, Exzellenz.«

»In der Tat, Majestät, er hat mir nie zu schaffen gemacht.«

»Und dennoch ist der Mann gefährlich, äußerst gefährlich sogar. Ich weiß es aus sicherster Quelle, er schreibt Lebenserinnerungen

Einen Augenblick steht der Minister starr; dann sagt er: »Majestät haben recht. Er muß aufgebraucht werden; der Mann ist wirklich gefährlich.«

 

Vom König, den seine Krone drückte

Es gab einmal einen König, den seine Krone drückte, und weil ihm das nicht behagte, ließ er bekannt machen, wer ein Mittel dagegen wüßte, solle einen Taler haben. Da begann im ganzen Lande ein Sinnen und ein Raten, und es kamen ihrer einige, die sich gern den Taler verdient hätten; denn wenn ein Taler schon immer ein Taler ist, so ist ein Taler aus der Tasche des Königs noch etwas Besonderes.

Zuerst war da ein kluger Schäfer, der sagte: »Herr König, setzt Eure Krone in den Nacken; dann drückt sie nicht mehr. So mache ich es mit meinem alten Hut, wenn mir der Kopf mal zu heiß wird.«

Da setzte der König die Krone in den Nacken; aber sie drückte nach wie vor, und der Schäfer bekam den Taler nicht.

Dann kam ein alter Bauer, der war noch klüger als der Schäfer, und er sprach: »Herr König, nicht in den Nacken, auf die Nase müßt Ihr Eure Krone setzen; das tu ich auch mit meiner Mütze, wenn ich mein Mittagsschläfchen halten will.«

Schob der König also seine Krone auf die Nase; aber so drückte sie schlimmer als vorher, und auch der Bauer bekam den Taler nicht.

Zuletzt wollte sich ein Schneider den Preis verdienen, der war klüger, als Schäfer und Bauer zusammengenommen; er war so klug, daß er seinen Verstand durch ein Nadelöhr ziehen und einen zerbrochenen Sonnenstrahl damit aneinanderflicken konnte. Der sagte: »Halten zu Gnaden, nicht in den Nacken und auch nicht auf die Nase müßt Ihr Eure Krone setzen; Ihr müßt vielmehr ein Polster darunter legen. Hier habt Ihr eins, das ist aus bester Seide gemacht.«

Weil er meinte, daß man doch alles versuchen könnte, legte der König das Polster auf den Kopf und setzte die Krone darauf; aber die Krone drückte noch durch die Seide hindurch, und sein Schädel ward ihm ganz dumm. Als das die Leute hörten, gaben sie es auf, den Taler zu verdienen; denn einen feineren Kopf, als der Schneider, hatte niemand im Lande.

Jeden Tag drückte die Krone, und jeden Tag seufzte der König: »O weh, wie drückt doch meine Krone!«

Das hörte einmal auch des Königs jungfrischer Sohn, und er sagte: »Mein Herr Vater, wenn Euch denn die Krone gar so sehr drückt, ei wohl, so setzt sie ab; dann will ich sie tragen!«

Als der König das hörte, ruck! ging etwas durch seinen Kopf, und merkwürdig, von dem Augenblick an drückte die Krone gar nicht mehr, den nächsten Tag nicht und überhaupt nicht wieder.

Und also hat der junge Königssohn den Taler bekommen? Leider nein! Und das müssen wir sehr merkwürdig finden; aber es gibt eben sehr viel undankbare Menschen in der Welt.

 

Die verlorene Krone

Es war einmal ein König, der ging spazieren, und zum Unglück verlor er seine Krone, und es war ein Schäfer, der sie fand. Als nun der König seinen Verlust gewahr ward, ging er sie suchen und suchte solange, bis er die Krone fand, und da lag sie nicht an der Erde, sondern saß auf dem Kopfe des Schäfers.

»Du Bettler,« rief der König zornig, »du Dieb! Auf der Stelle gibst du sie mir wieder! Die Krone ist mein.«

»Nur nicht so heftig!« gab der Schäfer gelassen zur Antwort. »Gebettelt habe ich noch nie, und gestohlen erst recht nicht. Das Ding da habe ich gefunden, und es paßt genau zu meinem Kopf. Darum ist es mein.«

»Du irrst dich, guter Freund,« sagte der König etwas ruhiger, »die Krone habe ich geerbt.«

»Geerbt oder gefunden,« meinte der Schäfer, »das ist in meinen Augen dasselbe.«

»O nein, da ist ein Unterschied! Zum Herrschen muß man geboren sein, und ich bin ein geborener König.«

»Wie kannst du das beweisen?« fragte der Schäfer.

»Ja,« sagte der König, »mir gehorchen alle Soldaten auf hundert Meilen in der Runde.«

»Das werden wir gleich sehen!« rief der Schäfer. »Da kommt gerade so ein Kerl mit Spieß und Säbel daher. Nun probiere flugs einmal, ob du geborener König bist.«

Der König wartete, bis der Soldat herangekommen war, und dann befahl er ihm: »Zieh deinen Säbel und züchtige den frechen Menschen; er hat mir meine Krone genommen.«

»Halt!« rief der Schäfer mit gebieterischer Stimme, wie er das von seinem Hunde her gewohnt war, »halt! Nimm hier meinen Stab und prügele den Mann da, der mich berauben will!«

Was sollte der arme Soldat tun? Zum Glück war es aber keiner von den ganz Dummen; er blickte einen Augenblick prüfend von dem einen zum andern, und dann sagte er zu dem Schäfer: »Bitte, darf ich wohl die Krone näher besehen?«

Das war der Schäfer zufrieden, und da betastete der Soldat die Krone, und er stellte sich so, daß er den Glanz der Sonne darauf spielen sah, und sagte darauf: »Die Krone ist echt.«

Da nahm er gehorsam den Stab und prügelte den König.

Ob der König seine Krone nicht wiederbekommen hat? – Das läßt sich so genau nicht sagen; aber das ist gewiß: Ein echter König wird niemals seine Krone verlieren, es ist aber möglich, daß ein echter sie – findet.

*


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