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Es war spät am Nachmittag.
Der Elefant kehrte eben vom Spaziergang durch den Garten heim.
Er hatte Kinder auf seinem Rücken getragen, hatte sie behutsam mit dem Rüssel umfangen und zu sich emporgehoben.
Er hatte auf Kommando die Knie gebeugt und geduldet, daß Erwachsene den Berg seines Körpers erklommen.
Auf seinen Stoßzähnen hatte er den Wärter getragen, der ihm über den Kopf in den Nacken stieg.
Jetzt waren die farbige Schabracke und der Hochsitz von ihm abgeschnallt worden und man ließ ihn aus dem Käfighaus noch eine Weile ins Freie treten.
Die kleine weiße Ziege, die nie von ihm wich, hatte ihn, wie immer, auf seinem Rundgang durch den Garten begleitet und stand nun erwartungsvoll in der Umhegung neben ihm.
Er empfing von den Leuten, die sich in dichter Menge an die Barriere drängten, allerlei Gaben. Immer bot er der kleinen Ziege alles an und aß nur, was sie verschmähte.
Nebenan standen die zwei Giraffen des Gartens.
Still, geduldig und ein klein wenig mokant.
»Du, mit deiner Ziege«, flüsterte Babina, die eine Giraffe, dem Elefanten zu.
Und Zoprinana, die andere, ergänzte: »Einfach lächerlich.«
Der Elefant posaunte: »Laß nur. Ich mag sie gern.«
Zoprinana wandte ihren kleinen hohen Kopf: »Das ist es ja. Das macht dich so lächerlich.«
Babina blickte ihn gar nicht an, als sie jetzt sagte: »Sie paßt gar nicht zu dir. Solch ein dummes, winziges Ding.«
»Dumm ist sie keineswegs«, entgegnete der Elefant. Er fuhr der Ziege liebkosend über den Rücken. »Nein, dumm ist sie gar nicht. Sprecht doch einmal mit ihr.«
Die Ziege meckerte: »Ich spreche nicht mit euch, ihr zwei trübselige Langhälse. Überhaupt, was kümmert ihr euch um mich? Ich kümmere mich ja auch nicht um euch. Gebt uns Ruhe!«
Wie zur entschuldigenden Erklärung begann der Elefant: »Ich bin ganz allein. Das könnt ihr schwer begreifen. Ihr seid glücklich, ihr seid beisammen.«
»Glücklich?« höhnte Babina.
Zoprinana seufzte: »Wir vergehen vor Langweile.«
»Und wir sterben vor Heimweh«, klagte Babina.
»Redet nicht weiter,« fiel ihnen der Elefant ins Wort, »redet nicht davon. Schweigen wir darüber. Ich werde rasend, wenn man mich daran erinnert.«
Er griff Sand, griff kleine Kiesel und schleuderte das hinaus zu den Leuten. Die Menge lachte.
»Du hast es doch herrlich,« sprach Babina, »du darfst hinaus, darfst dich bewegen. Wer weiß, wo du überall umherwanderst.«
»Ja,« fuhr Zoprinana fort, »wer weiß, was du alles zu sehen kriegst. Aber wir! Zehn Schritte, zwanzig in der Runde und aus!«
Babina geriet in Eifer: »Schau doch den winzigen Fleck an, den wir haben. Unmöglich zu laufen, unmöglich, sich zu rühren, wie wir's gewohnt sind. Uns werden die Beine steif und die Gelenke hart. Entsetzlich, wie wir leben müssen.«
Zoprinana zürnte: »Verstumpfen und Verdummen ist das beste, was uns bleibt.«
Babina reckte sich. Sie sah adelig, sah exotisch und hochmütig aus. Und in ihrer wehrlosen Größe, in ihrer ohnmächtigen Kraft machte sie den Eindruck von Albernheit. Doch es klang gar nicht albern, nun sie sagte: »Was sind das für widerwärtige Geschöpfe, die Tag für Tag kommen und uns begaffen? Was für bösartige Geschöpfe sind das, die uns so eingesperrt halten?«
Zoprinana setzte das Fragen fort: »Was für eine geheimnisvolle Gewalt haben sie? Du bist stark und sie haben dich doch gefangen. Du hast unlängst erst eines dieser häßlichen Wesen getötet. Warum erschlägst du sie nicht alle?«
Babina drang in den Elefanten: »Du könntest dich und uns befreien! Warum tust du es nicht?«
»Löwen, Tiger, Panther sind hier im Garten,« rief Zoprinana, »das wissen wir, obwohl wir sie nicht sehen. Aber wir wittern sie und hören sie. Du bist nicht der einzige, der stark genug wäre ...«
Der Elefant schmunzelte.
»Nun, von mir habt ihr nichts zu fürchten, ihr zwei ... aber mit Löwen, Tigern und Panthern ... Könnt ihr euch so was wünschen? Jetzt seid ihr doch in Sicherheit ...«
»Wir bedanken uns dafür ...« rief Babina.
»Oh – wie tapfer!« spottete der Elefant.
»Ich weiß nicht, ob wir tapfer sind«, wehrte Zoprinana ab.
»Tapfersein ist gar nicht unsere Sache«, warf Babina geringschätzig hin und drehte mit nobler Arroganz den schönen Hals.
»Na also«, lächelte der Elefant.
Babina streckte ihren Hals erbittert wagrecht vor: »Glaubst du, diese elenden Geschöpfe haben uns hier eingepfercht, um uns zu schützen? Glaubst du das?«
»Tapfer oder feig ... das ist egal«, murrte Zoprinana und hielt sich starr aufrecht. »Ganz gleich ist das! Wir wollen in Gefahr, aber frei sein. Wir sehnen uns danach, zu fliehen, wenn wir die gewaltigen Herrschaften, die Löwen oder Leoparden, von ferne wittern. Fliehen – mit Herzklopfen – den Feind durch Schnelligkeit besiegen, dann wieder ruhig werden, wachsam bleiben. Sich jede Stunde aufs neue retten und das bebend gerettete Dasein zu jeder Stunde zehnfach genießen – siehst du, das heißt Leben!«
Babina stampfte: »Laufen ... laufen ... laufen ... das heißt Leben!«
Zoprinana sagte still: »Aber hier stehen, den Löwen wittern, ihn hören und dabei wissen, daß das nichts bedeutet ... was für ein grauenvoller Zustand!«
»Nun,« der Elefant wiegte sich schaukelnd vor und zurück, »nun, man muß sich abfinden. Ich muß es geradeso wie ihr ...«
»Du?« Zoprinana musterte ihn sehr von oben herab. »Du hast es gut.«
Der Elefant hob den Rüssel: »Ich? Weil man mich durch den Garten führt? Das winzige Stückchen Weg ... was bedeutet das für meine Glieder? Tagelang, tageweit möchte ich wandern. In der Mitte meiner Brüder und Schwestern. Meine Kraft an Bäumen erproben, die ich aus der Erde hebe, an zähen Schlinggewächsen, die ich niederreiße ...«
Er atmete tief und gurgelnd: »Meint ihr wirklich, es bereite mir ein Vergnügen, durch diesen gräßlichen Garten eine kurze Stunde geführt zu werden? Vorbei an lauter Gefangenen, die hinter Gittern schmachten? Ich hab' mich abgefunden, sonst müßte ich toll werden.«
»Du kannst sie niederschlagen, diese krüppelhaften Geschöpfe, die auf zwei Beinen gehen«, ließ sich die reglos stehende Zoprinana vernehmen, in einem Ton, der aufreizend und zugleich neiderfüllt war.
»Nichts kann ich!« entgegnete der Elefant mit trübseliger Entschiedenheit. »Nichts! Sie sind mächtiger als wir. Ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht wodurch. Nur daß es keinen Widerstand gibt, weiß ich ...«
Eine Amsel saß schwarz und winzig auf dem Balken, der die beiden Gehege von einander trennte. Sie wippte mit den Schwanzfedern, sie sah aus klugen, schwarzen Perlaugen hinüber, herüber und neigte ihren kleinen Kopf zierlich nach beiden Seiten.
»Falsch!« zwitscherte sie. »Falsch! Für mich haben diese zweibeinigen Tölpel gar keine Macht. Gar keine! Und gar keine Bedeutung! Mir können sie nichts tun! Gar nichts!«
Sie breitete die Schwingen und flog mit einem Zwitscherschrei in die nahen Baumwipfel.
Melancholisch schauten ihr die Giraffen nach.
»Dummes Ding,« murmelte der Elefant, »wer kümmert sich um so was!«
Ein wenig weiter weg vollführte in seinem Zwinger das Gnu tolle Sprünge, feuerte mit gesenktem Haupt wie rasend hinten aus, schüttelte die spärliche Mähne, hopste am Ort, daß bald Kopf und Schultern, bald Lenden und Krupp zur Höhe stiegen, und verharrte zuletzt gebannt, bewegungslos, wie in leidenschaftliches Nachdenken versunken.
»Allein!« murrte das Gnu. »Allein! Nicht allein! Doch allein! Die Herde kommt! Gleich wird sie kommen! Warum läßt man mich warten? So lange warte ich schon! So lange!«
»Da ist ein Löwe!« erschrak das Gnu, fuhr auf, trampelte, senkte das Haupt, schlug wie im Trommelwirbel mit den Hinterbeinen aus: »Ein Löwe! Zwei Löwen!«
Es stand wieder und triumphierte: »Jetzt hab' ich sie vertrieben! Man muß sich nur wehren!«
Das Gnu gab sich seinen Wachträumen und seinen Traumgesichten hin. So verging ihm der Tag.
Gegenüber wandelte ein Axishirsch. Klein, gedrungen, auf ganz dünnen Beinen. Eine Figur von der zierlichsten Plumpheit. Beinahe feierlich wandelte er auf und ab.
Wenn ihm von den Besuchern des Gartens jemand eine Weißbrotkrume hinhielt, kam er zögernd, wie mißtrauisch oder im sacht geminderten Stolz, ans Gitter, beschnupperte den Bissen, mummelte ihn auf oder verschmähte ihn, je nach Laune.
»Wozu die Aufregung?« sprach er vor sich hin, während er kopfschüttelnd zum Gnu hinüberblickte. »Wozu die Aufregung? Das nützt so wenig! Uns geht es hier ganz gut.«
»Nicht wahr?« rief das Gnu herüber. »Man wartet, man trampelt hie und da einen Löwen davon, der einen überfallen möchte.«
»Hör' auf,« lachte der Axishirsch, »dich hat noch nie jemand überfallen!« Er stand mit dünnen, breitgespreizten Beinen da und sein dicker walzenförmiger Leib bebte vor unterdrücktem Lachen.
»Ich stimme dir doch bei,« rief das Gnu und überhörte die Berichtigung, »ich bin ganz deiner Meinung, wir haben es gut hier.«
Eine schlanke Gazelle hob das feine, spießgekrönte Haupt. »Überfälle gibt's hier keine,« mischte sie sich ins Gespräch, »und das ist wunderbar beruhigend.«
Der Axishirsch nickte höflich.
Weiter weg, in der Koppel neben der Gazelle wohnte ein Rehbock mit zwei Geißen. Der kam an die trennende Barriere, um sich zu erkundigen: »Wovon sprecht ihr?«
»Nun,« gab ihm die Gazelle Bescheid, »davon, wie gut wir's hier haben.«
»Ja,« sagte er, »es ist recht nett.«
»Und so schön sicher,« fuhr sie fort, »keine Überfälle ...«
»Nein,« bekräftigte er, »und keine Jagd ...«
»Jagd?« forschte die Gazelle. »Was ist das?«
Der Rehbock staunte: »Du weißt nicht, was Jagd ist?« Er rief über sie hinweg zum Axishirsch: »Du! Sie weiß nicht, was Jagd ist!«
»Ich kenne das auch nicht,« antwortete der Axis, »ist das sehr schlimm?«
Der Rehbock wurde ernst: »Oh, furchtbar! Wenn Er in den Wald kommt ... du hörst Ihn nicht, du witterst Ihn nicht, du siehst Ihn nicht – und plötzlich schleudert Er seine Feuerhand! Es kommt wie der Donner und du liegst in deinem Blut ...!«
»Du erzählst Schreckgeschichten, die nicht wahr sind«, meinte sanft die Gazelle.
»Ich glaub' dir kein Wort«, erklärte der Axishirsch bestimmt.
»So?« gab der Rehbock beleidigt zurück. »Wie seid ihr dann hierhergekommen?«
»Ohne Feuerhand«, erwiderte die Gazelle.
»Und ohne Donnerkrach«, fügte der Axishirsch hinzu.
»Man hat euch nicht gejagt?«
»Ich bin in eine Grube gestürzt«, berichtete die Gazelle, »und da haben sie mich herausgeholt. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich gezittert und wie ich mich geängstigt habe! Doch sie waren freundlich zu mir, haben mich gestreichelt und mir zu essen gegeben. Nur der hölzerne Kasten, in dem ich so lange blieb, war mir eng.«
»Ja,« erzählte der Axishirsch, »der hölzerne Kasten, den hab' auch ich schrecklich gefunden. Aber sonst ... Wenn das wahr wäre, was du sagst, warum schleudern sie hier nicht ihre Feuerhand, warum kracht es hier nicht? Hier hätte Er es doch leicht!«
»Wie bist denn du in den Holzkasten geraten?« erkundigte sich der Rehbock.
»Oh,« gab der Axishirsch Bescheid, »mir ist ein Unglück passiert. Ich weiß bis heute nicht wieso. In ein Netzwerk hab' ich mich verwickelt, in eine Pflanze, die ich nicht kenne, die ich nie gesehen hatte. Sie muß über Nacht gewachsen sein, denn sie befand sich plötzlich mitten im Dschungel, genau auf dem Weg, den ich jeden Tag ging, den ich wenige Stunden zuvor gegangen war. Ein ekelhaftes Schlinggewächs. Ich verwickelte mich immer mehr und mehr. Nie hätte ich mich losmachen können. Ich wäre verhungert. Aber Er hat mich befreit!«
Der Rehbock schwieg eine Weile. Dann begann er: »Ich spreche die Wahrheit. Die Jagd hab' ich erlebt. Oft und oft.«
»Bist du also auch in deinem Blut gelegen?« unterbrach ihn die Gazelle.
»Nein,« antwortete der Rehbock, »aber mein Vater. Vor meinen Augen und vor den Augen meiner Mutter. Ich habe mitangesehen, wie Er meinen toten Vater aufhob und forttrug. Und nachher hab' ich den Donnerkrach noch oft gehört, hab' noch oft gesehen, wie meine Vettern und Onkel hinstürzten, als habe sie der Blitz getroffen.«
»Unglaublich!« murmelte die Gazelle.
Der Rehbock fuhr fort: »Ich war noch ein Kind, ganz klein. Im Winter lag der Schnee so hoch und ich wurde so matt vor Hunger, daß ich mich niedertat, weil ich nicht weiter konnte. Da hat Er mich gefunden.«
»Und ...?« drängte die Gazelle.
»Und?« inquirierte der Axishirsch.
»Und?« rief das Gnu herüber.
»Und hat mich gerettet«, schloß der Rehbock.
»Wenn du uns nicht anlügst,« sprach der Axishirsch, »muß ich sagen, Er ist merkwürdiger als ich dachte.«
»Einmal mörderisch,« sagte die Gazelle, »dann wieder gütig ...«
»Rätselhaft«, murrte das Gnu.
»Ja, ja,« vollendete der Rehbock, »ich weiß mehr von Ihm als ihr andern, aber ich werde Ihn niemals begreifen.«