Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Das Pfänderspiel in der Paniglgasse und der Humorist vom Thurn.

Der Mensch, das heißt der Mann, das heißt der ledige Mann, soll seine Sachen, das heißt seine Halskrägen, alle selbst kaufen. Dieser Satz aus der Moralphilosophie der Liebe hat sich bei mir erwiesen. Ich konsumiere jährlich viel Halskrägen und lege wirklich das ganze Jahr nichts zurück als eben meine Halskrägen. Es glaubten schon viele Humoristen, der Humor bestände darin, seinen Halskragen zurückgelegt zu tragen, und siehe da, kaum hatten sie ihren Halskragen zurückgelegt, so hatte ihr Humor Hals und Kragen zurückgelegt!

Also ich kaufte meine Halskrägen in der – Straße. Da saß sie und säumte ein Tuch. Es war nicht die Modiste selbst, nicht Lucina selbst, sondern eine ihrer Priesterinnen, eine der dienenden Grazien in dem Tempel der modischen Göttin. Da saß sie, – sie mag Pamela heißen – da saß sie und säumte. Ich begehrte mit jenem warmen flanellenen Lächeln, welches ebensogut für geheime Ironie als für unendliche Schafmäßigkeit genommen werden kann, ein halb Dutzend Halskrägen.

Sie säumte fort; ich ergriff sofort sie und die Gelegenheit beim Kinn und wurde bedeutend witzig, indem ich sagte: »Sie sind sehr saumselig!« – Darauf lachte ich ein Erkleckliches und wartete auf den Eindruck, den diese Witzkugel auf das Modistenherz machte. Allein Pamela war hochgebildet und also ein abgesagter Feind des Witzes. Ein Buch lag auf dem Nahtisch, ich schlug es auf, es war »Emilia Galotti«. – »Ach«, sagte ich, »lesen Sie auch so gerne Räubergeschichten?« – Sie aber warf einen nichtssagenden Blick auf mich und eine durchbohrende Nadel auf die Erde, stand auf und zeigte mir stumm mehrere Muster von Halskragen. Ich fuhr fort, bezaubernd zu sein. »Nicht nur diese Kragen, sondern auch Sie sind ein Muster: selig, wem Sie wie ein Kragen um den Hals fallen!«

Ich wollte noch weiter unwiderstehlich sein, allein Pamela unterbrach mich mit den Worten: »O, ich habe keine Zeit zu Ihren Dummheiten!« – Diese Klarheit der Idee bei dieser Präzision des Ausdrucks vollendete meine Niederlage!

Der Mensch kann alles, was er will, wenn er nur will, was er kann!

Ein Schriftsteller kann eine Modiste gewinnen, wenn er nur will, und ich wollte. Sie hatte bald sehr viel Zeit zu meinen Dummheiten, so viel Zeit, daß ich bald nicht genug Dummheiten zur Zeit hatte.

Pamela hatte außer einigen hundert Wünschen nur noch zwei Wünsche, erstens: ein Gedicht zu ihrem Geburtstage; zweitens: ich sollte mit ihr einmal eine Freundin in der Paniglgasse besuchen, wo sich mehrere Freundinnen, die alle vom Nadelgelde des Luxus lebten, oft zu einem Pfänderspiele versammelten.

Mit dem Gedicht ging's gut; ich entschuldigte mich, daß ich den vierten Reim zu einem Sonette nicht fand, ich habe nur drei Reime: Nadel, Adel, Tadel; ich sann lange nach, endlich rief sie aus: »Ich hab' den vierten Reim: Stadl!« – Ich fiel ihr um den Hals und sagte entzückt: »Dieser Stadl räumt dir einen der ersten Plätze unter Deutschlands Dichterinnen ein!« – Wir näheten also den Stadl an den Tadel, den Tadel an die Nadel und die Nadel an den Adel an, und das Gedicht war fertig. »Nun«, sagte die Stadlmuse, »nun gehst du auch mit mir in die Paniglgasse!«

Ich sagte zu und ging mit hinaus.

Lieber Leser, hast du schon einmal Pfänder gespielt? Du lächelst? Du Schalk! Ich seh' es dir an, du hast schon einmal Pfänder gespielt! Bist vielleicht gar »in den Brunn gefallen?« Erröte nicht, man will bestimmt wissen, daß Cäsar leidenschaftlich Pfänder spielte und Xenophon das Spiel: »Rette sich, wer kann« gespielt habe.

Was Cäsar und Xenophon thaten, darf ich auch thun. Ich habe in meiner Jugend – »längstvergangene Zeit, erste Person, anzeigende Art« – viel Pfänder gespielt und daher die Bemerkung gemacht, daß jeder Mensch ein anderes komisches Gesicht schneidet, wenn er Suppe ißt, wenn er Billard spielt, und wenn er küßt.

Ich freute mich im Grunde herzlich auf das Pfänderspiel in der Paniglgasse, denn ich wußte, da wird recht altmodisch geküßt werden. Die Prüderie unserer aufgeklärten Mädchen hat das ehrliche Pfänderspiel ganz um seinen Charakter gebracht. Früher glich die Auslösung der Pfänder einer kleinen Kanonade, man hörte die Küsse in der Nebengasse.

Wir stiegen eine schmale, matt beleuchtete Stiege empor, wanden uns durch einen engen Gang und gelangten endlich in den Tempel des Pfänderspiels, in eine kleine, reinliche, ziemlich große Stube, in welcher um einen länglichen Tisch ungefähr sechs bis acht Mädchen und ebenso viele Männer saßen. Alle sprangen auf und riefen: »Sie bringt ihn!« Darauf wurde Pamela von allen Mädchen besonders geküßt, und die Mädchen untereinander küßten sich ad libitum.

Hier mache ich en passant die Bemerkung, daß alle Mädchen, bevor sie jemanden lieben, etwas lieben, sei es eine Katze, einen Papagei oder – eine Freundin. Die Neigung, mit welcher zwei Mädchen aneinander hängen, ist nur die Vor- und Musterzeichnung, welche nachher auf einen andern Gegenstand übertragen wird. Habt ihr schon Männer gesehen, die sich untereinander stets küssen? Bei den Mädchen aber sind das lauter Generalproben, Studien, so wie Künstler zuerst an Modellen ihre Rollen einstudieren; diese Küsse sind bloß Ventilzüge, um die gesteigerte Temperatur zu entladen. Wenn ich zwei so zärtliche Freundinnen sehe, die sich in Küssen verzehren, denke ich immer: das sind Nasch- und Brandbriefchen unter falscher Adresse! Es sind Noten ohne Text.

Doch ich komme zurück in die Paniglgasse, wo schon alle Vorkehrungen zu einer endlosen Pfänderspielerei getroffen wurden. Ich will erst eine kleine Personalschilderung des gesetzgebenden und ausübenden Körpers vorausschicken.

Frau Brandt, die Hausfrau, Inhaberin einer modistischen Kunstschule. Sie war eine Frau zwischen 16 und 54; aber so viel war gewiß, daß sie nicht unter 16 war. Sie sah aus wie eine Phantasieblume, denn in der Natur gab es solche Blüten nicht. Sie trug das Haar à la Titus, aber dieses Haar spielte ein ganzes Prisma von Farben und sah zuweilen aus wie eine Malerpalette. Die Gestalt war ganz Geist, denn Fleisch war gar nicht da, bloß Geist, und was nicht Geist war, war Bein. Sie kam mir vor wie eine angezogene Nähnadel unter dem Mikroskop. Der erste Mann ihrer Liebe, der zuerst anbiß, starb bald darauf infolge dieses Imbisses, und ein kleiner Amor, genannt »Gustl«, war das hinterlassene Werk des Verblichenen, und wenn er sagte: »Das ist Fleisch von meinem Fleisch«, so setzte sie dazu: »Und Bein von meinem Bein!« Gustl war 9 Jahre alt und wurde von der Mutter bloß »mein Genie« genannt. Wenn der Leser sich einen kleinen Rangen mit rotem Haar, mit langen Schürhakenhänden, mit aufgeschlitzter Nase, mit stets offenem Mund und einer schnarrenden Fistelstimme denkt, wenn er diesem Ideal einen gelben Rock, bis unter das Kinn zugeknöpft, verleiht und einen Ärmel, der anstatt des Schnupftuches eine Glanzrolle spielt, so hat der Leser ein Bild vor sich, wie die jungen Genies aussehen. Sodann waren da: Luise Pfannendorfer, die Weißnäherin, Antonie Zwiebl, die Hemdknöpfelmacherin, Tini Zwickmauser, die Faltlerin, Nani Leinzgerber, die Handschuhnäherin, und noch einige, die ich nimmer weiß. Von den Männern nenne ich: Mai Kirschlinger, étudiant en Schneiderkunst; Pepi Gränzmacher, Hörer der Gelbgießerei; Toni Leimsuster, Greislereibeflissener von Erdberg, und Karl Takelhuber, supernumerärer Lackiereradjunkt vom Thurn. Von dem letzten hatte mir Pamela schon Wunderdinge erzählt, wie witzig und komisch er ist, und wie sie ihn alle nur den »Humorist vom Thurn« nennen. Mit Stolz bemerkte ich, daß Pamela eine Art von imposanter Macht in der Gesellschaft war. Es war die Gewalt der Bildung, die Obermacht der Belesenheit! Pamela wußte den Monolog: »Lebt wohl, ihr Berge«, und den andern: »Eilende Wolken, Segler der Lüfte«, auswendig; Pamela deklamierte die »Pfarrerstochter von Taubenhain« und wußte mehrere Stellen aus »Menschenhaß und Reue«, »Ahnfrau« und »Tassos Tod« zu citieren; sie war bei großen Thränenstücken die erste im zweiten Parterre und die bekannteste »Weinerin« auf acht Bänken in der Runde. Sie war eine lebendige Thränendrüse; sie weinte, wenn sie den Totenzettel las; sie weinte, wenn ein Mädchen ihren Geliebten verlor; sie weinte, wenn ein Kanarienvogel sich mauserte; sie weinte, wenn sie das Hinterteil eines Chemisettes verschnitt; sie weinte, wenn sie von einer Totentruhe träumte; sie weinte, wenn sie den Stellwagen nach Dornbach versäumte; sie weinte, wenn man vom Dreißigjährigen Krieg erzählte; sie weinte, wenn man ihrem Hündchen die Pfote einzwickte u. s. w. Kurz, sie war ein Thränenkrug in Form einer Modistin. Diese Sentimentalität gab ihr ein vollkommenes Übergewicht über alle.

Sie installierte mich sogleich als ihren Moritz; womit ich denn als ein integrierender Teil ihres Selbsts sogleich als ein förmliches Mitglied des Pfänderspielvereines betrachtet wurde. Man verlor auch keinen Augenblick Zeit, sondern Frau Brandl, das Beinautomat, stellte sogleich die Stühle in einen Kreis und sagte: »Nun, Kinder, wollen wir anfangen.«

Frau Brandl präsidierte, und Gustl, das Genie, saß auf einem Schemel zu ihren Fußen. Wir setzten uns alle. »Bunte Reihe, bunte Reihe!« schrie Jakelhuber, der Humorist vom Thurn; ich kam zwischen Pamela und Toni Zwickmauser zu sitzen, und es wird daher nötig sein, daß ich die letztere auch ein wenig bei meinem Leser einführe.

Toni Zwickmauser, die Faltlerin, war klein, aber was man in der Lokalphilosophie punket nennt. Die Natur wußte, daß sie nie einen Halsschmuck tragen wird, und setzte deshalb den Kopf sogleich an den Rumpf, ohne das überflüssige Bindezeichen des Halses. Was aber die Natur am Halse verkürzte, das ersetzte sie an den Händen, welche bis zu der Erde prolongiert wurden. Die Zwickmauser konnte, wenn sie gut aufgelegt war, mit Bequemlichkeit eine ganze Vorstadt umarmen. Sie hatte kleine Äuglein, die immer nach Luft schnappten, und eine kleine Knorpelanspielung auf eine Nase, die aber unverständlich blieb, welche über einen sehr breitwilligen Mund, wie ein Lämmchen über einem offenen Abgrund, hing. Von diesem Mund war die Unterlippe mit sich selbst in Zwiespalt geraten, so daß sie sich von dem wachthabenden Dienst auf der Brandstatt der Zähne zur Hälfte zurückzog. Mit dieser Annehmlichkeit der Gestalt verband sie die liebenswürdige Eigenschaft, als ein Gegenstück zu Pamela, stets zu lachen! Sie lachte immer dreimal, erst, bevor sie wußte, warum, bloß mit den andern; dann über die Sache, dann noch einmal als Nachdonner oder Echo. Sie lachte über alles und über nichts. Wenn sie lachte, zwinkerte sie Augen und Mund so zusammen, daß das ganze Gesicht wie ein gefaltetes Jabot aussah, in welchem die ersten Anfangsgründe ihres Näschens wie ein Perlmutterknöpfchen saßen. Dabei rief sie immer: »S'is himmlisch!« und zwickte einen bei jedem »s'is himmlisch!« wie ein Hummer in die Seite oder in den Arm. Das war meine Nachbarschaft in der bunten Reihe!

Das Spiel begann, und man war lange nicht darüber einig, was gespielt werden sollte. Es war ein Geschrei durcheinander: »Der Kirmesbauer!«

Es fuhr ein Bauer ins Holz,
Es fuhr ein Bauer ins Kirmesholz,
Es fuhr ein Bauer ins Holz!

– »Nein! stirbt der Fuchs, so gilt der Balg!« – »Nein! Schenken und Logieren!« – »Nein! Jakob kömmt!« – »Nein! Okele Rinkele, jeder in sein Winkele!« – »Nein! Lirum Larum Löffelstiel, Jakob Michel, such dein Ziel!« – »Nein! Moquierstuhl!« – »Nein! par odre du Mufti!« – »Nein! Munkezen, Munkezen!« – »Nein! stumme Musik!« – »Nein! guten Tag, Herr Nachbar!« – »Nein! ein Schiff ist aus Holland gekommen!« – »Nein! das Advokatenspiel!« – »Nein! Schranken auf, Schranken zu, Maus, Maus, wer bist du?« – »Nein! Brüderchen, wer klopft?« – »Nein! Ihr Diener, Herr Eberhard, Sie haben einen blauen Bart!« – »Nein! schau dich um, der Plumpsack geht um! – »Nein, nein! Ja, ja! Ja! Nein!«

So ging es fort; Pamela weinte schon, die Zwickmauser lachte und versetzte mir einige gefaltete Zwicke in den Arm. Endlich drang der Humorist Takelhuber durch: »Ähnlichkeit und Unterschied!« »Ja, ja, ja! Ähnlichkeit und Unterschied!« Akklamation, allgemeine Freude, Pamela trocknete die Thränen, Zwickmauser stopfte das Lachen, und mein Arm feierte Zwickement suspendu. Also das Spiel begann. Takelhuber schrie: »Rechts gibt man eine Person, links eine Sache.« Richtig. »Ach«, hieß es nun unter allen Mädchen, »ich weiß nicht, was ich geben soll!« Es dauerte eine halbe Stunde, bis alles ringsherum fertig war, und nun kam es an die öffentliche Mitteilung. Frau Brandl begann: »Ich habe geschenkt bekommen Herrn Saphir und Linsen mit Abschrödel; ach Gott, ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich weiß keinen Unterschied!«

»Es nutzt nichts, es nutzt nichts, Sie müssen sagen!« Allgemeine Gärung.

»Nun wegen meiner, Herr Saphir und Linsen mit Abschrödel sind sich darin ähnlich, daß sie sehr gut sind, Unterschied ab« weiß ich nicht.« Da schrie Gustl aus seiner Versenkung herauf: »Mutter, Mutter, ich weiß einen Unterschied: die Linsen kann man essen, und den Herrn Saphir kann man nicht essen!«

»Bravo, bravo!« Allgemeiner Jubel. Die Frau Brandl ruft: »Sag' ich's nicht, er wird ein Genie!?«

Nun kam die Reihe an Max Kirschlinger, den ètudiant en Schneiderismus. »Ich habe geschenkt bekommen Mamsell Zwickmauser und einen Pantoffel; gleich sind sie sich darin, daß sie beide ein nötiges Möbel sind. Der Unterschied ist, der Unterschied, ja der Unterschied – «

Da schrie Gustl wieder:

»Der Unterschied ist, daß die Zwickmauser ein Stückel Rasen hat, der Pantoffel aber gar keine!«

»Richtig, bravo!« Allgemeiner Jubel, die Mutter heult Freudenthränen: »Gustl, mein Gustl, mein einzig Genie!«

Nun kam die Reihe an Toni Zwickmauser. »Ich hab' bekommen, hi hi hi den Sänger Pöck und hi hi hi einen hi hi hi einen Zwetschkenröster! Der Unterschied ist, daß Pöck hi hi hi! singen kann und der Zwetschkenröster hi hi hi! kann nicht singen hi hi hi! und gleich, gleich, gleich sind sie, hi hi hi! gleich weiß ich gar nichts hi hi hi!«

Allgemeine Stockung, Gustl konnte auch nicht aushelfen. »Ein Pfand! ein Pfand!« Toni legte das erste Pfand auf den Pfänderaltar nieder, es war ein Krapfen, den sie sich mitgebracht hatte. Jetzt kam Takelhuber: »Ich habe die Pamela bekommen und einen Rosenstrauß; gleich sind sie darin: sie ist eine Rose und das ist auch ein Rosenstrauß. Der Unterschied ist der, da sind mehrere Rosen, Pamela ist eine einzige Rose!«

»S'is himmlisch!« schrie Zwickmauser mit einem obligaten Zwick, und ein einstimmiges »Einzig!« belohnte die zarte Idee; selbst Pamela warf einen Regulaquinqueblick auf den triumphierenden Jean Paul vom Thurn, und an mich kam die Reihe:

»Ich habe die Frau von Brandl bekommen und eine Lichtschere; gleich sind sie sich darin, daß sie beide putzen, jene die Menschheit, diese die Kerzenheit; unähnlich, unähnlich – «

Da unterbrach mich plötzlich das Genie vom Fußschemel: »Die Lichtputzen muß man fleißig ausklopfen, die Mutter aber nur selten!«

»S'is himmlisch!« mit einer Zwickfermate, unauslöschlicher Beifall.

So ging das Ding herum, einmal, zweimal, dreimal, dann wurde ein anderes »Ratespiel« gespielt. Einer mußte nämlich hinausgehen, die Gesellschaft wählt ein Wort, der Ratende kann jedem drei Fragen vorlegen: wie, wann und wo lieben Sie es? und aus den Antworten mußte er es erraten. Pepi Gränzmacher, der Hörer der Gelbgießerei, kam an die Reihe; er ging hinaus, die Gesellschaft wählte das Wort »Spiegel«, er kam herein und begann bei Frau Brandl: »Wie lieben Sie es?« – Viereckig, – »Wo lieben Sie es?« – Im Zimmer. – »Wann lieben Sie es?« – Wann ich's brauch'! – »Süperb geantwortet!« rief alles. – Gränzmacher stand lange da wie eine nachdenkende Zitterpappel, endlich rief er: »Ich hab's! a Zahnbürsten!« – »Ein Pfand! ein Pfand!«

Jetzt ging Karl Leimsufter hinaus, der »Spiegel« wurde beibehalten. »Wie lieben Sie es?« fragte er Antonie Zwiebl beim Eintreten. Nach einer langen Pause sagte sie: Wie? achteckig. – »Wo lieben Sie es?« – Wo? über mein Bett. – »Wann lieben Sie es?« – Früh Morgen. – Lange Pause, endlich sagte er mit siegvollem Gelächter: »Ein Handtuch, ein Handtuch!« – »Nichts, nichts, ein Pfand!«

Nun mußte Leinzgerber Nani hinaus. Es wurde »Auge« gewählt; sie kam herein, auf mich gerade zu: »Wie lieben Sie es!« – Ohne Butter. – »Wo lieben Sie es?« – Im Schweizerkäse. – »Wann lieben Sie es?« – Alle Augenblick. – »Ah, ich weiß schon: Maccaroni, Maccaroni!« – »Nichts da, ein Pfand, ein Pfand!«

Nun mußte ich hinaus. Ich kam herein und fragte die Frau Brandl: »Wie lieben Sie es?« – Wie eine fidele Haut. – »Wo lieben Sie es?« – Auf der Hand. – »Wann lieben Sie es?« – Wann es nicht beißt. – »Aha, das ist Ihr Mops!« – »Ach nichts, nichts, das sind Sie selbst, ein Pfand, ein Pfand!«

So ging es noch lange, bis eine Anzahl Pfänder beisammen waren und es Zeit war sie auszulösen.

Pamela hatte mir schon gesagt, daß der »Humorist vom Thury« einen »Pik« – wie sie es nannte – auf mich habe. Ich konnte mich nicht erinnern, wodurch ich Jakelhubers Zorn erregt haben sollte. Allein Jakelhuber gehörte nun einmal zu meinen Feinden. – Er war eigentlich ein Wachsbleicher. Späterer Trieb bestimmte ihn, zu studieren, allein es erging ihm wie dem »ph« in der neuen Rechtschreibung: es wurde nämlich aus der »Fisik«, aus der »Filosofie« und aus der »Filologie« hinausgeworfen. – Er fand sich dadurch aus seinem Beruf ganz herausgeworfen und ging in sein Wachstum zurück. Hier fand er seinen Stoff biegsamer und nachgiebiger, allein durch Versehen blieb einmal etwas zu viel an ihm kleben, wie das bei dem Wachs zu sein pflegt, und sein Herr fand sich bewogen, ihn von einem Geschäfte zu entfernen, das unwillkürlich eine Anhänglichkeit an fremde Gegenstände mit sich führt. Darauf verlegte sich Jakelhuber auf freie Künste, wurde Markeur in einem Kaffeehause, wo einige Litteraten täglich eine heiße Tasse Kaffee und jährlich ein aufgewärmtes Bonmot verzehrten. Hier profitierte er an Humor und Witz, und da er sah, daß man fremde Einfälle für die seinigen ausgeben kann, hielt er eines Tages sechs Kaffeelöffel für sechs Einfälle und eignete sie sich auch zu. Die Gerechtigkeit aber, die zwar goldne Einfälle, aber keine silbernen Löffel entwenden läßt, bewies Jakelhuber, daß das Sichaneignen fremden Eigentums bloß ein Vorzug im Reiche der Ideen, aber nicht in dem Reiche der Wirklichkeit ist. – Es wurde ihm günstige Gelegenheit geboten, einen zweijährigen, ungestörten Monolog über »Sein« oder »Mein« zu halten und darüber nachzudenken, ob es besser sei, vermittelst einer Feder fremder Gedanken sich zu bemächtigen, oder vermittelst des Fünffingerkrautes eine unglückliche Leidenschaft zu Kaffeelöffeln zu fassen, die schon früher durch gesetzliche Bande an einen beglücktern Gegenstand gefesselt sind.

Nach Beendigung dieses zweijährigen Monologes wurde Jakelhuber herausgerufen, er warf sich wieder auf Transcendental-Wissenschaft, wurde Lackierer, und am Sonntage lebte er dem Humor, las Zeitungen, machte Witze, rupfte Guitarre, lackierte alte Rätsel und Scharaden neu auf und wußte sie richtig in Journalen als Lachstoff anzubringen.

Daß ein Mann, der Witze wichst, Guitarre rupft und alte Bonmots neu lackiert, bald nur der »Humorist vom Thury« genannt wurde, wird jeder natürlich finden, der unsere humoristischen Lackierer kennt, und ebenso natürlich, daß ein solcher Mann mein Feind sein mußte.

Pamela sagte mir sogleich: »Jakelhuber hat einen ›Pik‹ auf dich, er wird dich gewiß stets sticheln!« Ich aber erwiderte: »Holde Pamela! ein Jakelhuber mehr oder weniger, was wiegt das auf der großen Wagschale? Ich sage mit jenem Franzosen: Ce n'est qu'un Jakelhuber de plus!« – Und so gingen wir denn ruhig an das Auslösen der Pfänder.

Pepi Gränzmacher hatte den Hut mit den Pfändern in der Hand, und die Auslösung begann. »Was thut das Pfand, was ich hab' in meiner Hand?« – »Schinken schneiden!« schrie Gustl. »S'is himmlisch!« schrie Zwickmauser. Das Pfand gehörte der Antonie Zwiebl. Sie stellte sich an die Thür und schrie wie besessen:

»Ich schneide, schneide Schinken,
Wen ich lieb hab', werd' ich winken!«

Mein Herz bebte, ein ganzer Frühling voll Winterrettich ging durch mein Herz, eine Ahnung lüpfte mir den Schnurrbart, allein – der Blitz ging vorüber – der Greislerei-Beflissene war der Gewinkte – er floh hin – es schnalzte. – Es war geschehen, ich atmete leichter.

»Was thut dies Pfand, das ich hab' in meiner Hand?« – »Satzaufgeben!« – »Nein, seinen Schatten küssen!« – Endlich drang Gustl mit seiner Drosselarie durch: »Sich auf den Kopf stellen!« – Leimsuster suchte einen Nagel in den Dielen und stellte sich auf den Nagelkopf.

»Bravo! bravo!« Allgemeine Bewunderung.

So ging es fort, »Ein Glas Bier trinken, ohne die Nase ins Glas zu stecken,« – »Trauben lesen,« – »Statue machen« u. s. w.

Mit mir meinte es das Schicksal grausam! Mein Pfand wurde verdammt: »den Thron der Lieb' zu bilden!« – Ich war sehr begierig, wie ich diesen bilden sollte, und es wurde mir erklärt, ich müßte mich auf Händen und Füßen niederlassen und ein Paar bestimmen, die sich auf meinen Rücken niedersetzen. – Eine saubere Proposition! Indessen, was war zu thun? Ich ließ mich mit einer Behendigkeit nieder, wie der Elefant in der Menagerie, und bestimmte, daß Jakelhuber und Leinsgerber, die Handschuhnäherin, das Liebespaar machen sollten. Das edle Paar bestieg mich, als ob ich ein Mietkamel gewesen wäre, mit einer Behaglichkeit und Solidität, als ob sie eine Sommerwohnung auf meinem Rücken beziehen wollten. Ich aber, ein Bösewicht von Haus aus, ich beschloß, Rache an dem feindlichen Humoristen zu nehmen, und im Augenblicke, als sie sich so bequem machten, als ob sie auf meinem Rücken auf Wartegeld säßen, streckte ich mich plötzlich ganz flach aus; das edle Paar purzelte natürlich zu Boden, und Jakelhuber zerschlug sich die Nase. So rächt sich ein Deutscher! Jakelhuber, mit dem humoristischen Zirkumflex auf der Nase, war wütend, allein ich entschuldigte mich mit meinem Krampf, den ich gewöhnlich bekomme, wenn hinter meinem Rücken geküßt wird.

Ein zweites Mal wurde mir bestimmt, dreimal zu niesen, dreimal zu köckern und dreimal zu krähen. Ich vollbrachte alles mit einer Sonorität und mit einer Grazie, daß selbst Jakelhuber sagte: »Nun, es ist zwar nicht neu, aber es passiert!«

Nun kamen die Rätsel und Scharaden, und da war der Ort, wo Jakelhuber glänzte und ich in meines Nichts durchbohrendem Gefühle da stand. Er war unerschöpflich, zehn Grenadiere hatten ihn nicht zum Schweigen gebracht. Er begann:

»Vorne wie ein Lamm,
Mitten wie ein Lamm,
Hinten wie ein' Sichel,
Rate, lieber Michel!«

Gustl schrie: »Nix sagen, nix sagen, ich muß wissen! Ich weiß schon, kikiriki! kikiriki! ein Hahn! ein Hahn!«

Frau Brandl neigte sich und weinte eine Harzthräne auf das rote Haupt des kleinen Genies! –

Jakelhuber fuhr fort: »Es hat den Kopf von einem Krebs; die Mitte von der Kuh, den Schwanz von einer Maus, das Ganze liebst du.«

»Nun«, wandte er sich zu mir, »Sie wissen ja alles, was ist das?« Ich sann lange nach und gestand meine Unwissenheit. Alle rieten, Brandl riet: Zwirnknäul! Zwickmauser riet: Regenbogen! Kirschlinger riet: Griessterz! Da lächelte der Humorist vom Thury triumphierend und sagte: »Soll ich's Ihnen zeigen, was es ist?« – »Ja, ja!« Er fiel über Pamela, küßte sie und rief: »Ein Kuß: K von Krebs, U von Kuh, S von Maus!« Gustl klatschte jauchzend in die Hände und rief: »Man kann auch sagen: Kopf von Kirschlinger, Kopf von Kirschlinger!«

»S'is himmlisch, hi hi hi!« lachte die Zwickmauser und applizierte mir einen ungeheuren Zwick in die Seite.

Da ließ ich mein Licht leuchten: »Warum schreit der Esel immer JA?« – Alles schwieg, Jakelhuber war sehr gespannt, und ich fuhr fort: »Weil er ein Esel ist, sonst würde er schreien: Sie A!« – Gustl fuhr wie ein Erdzeisel in die Höh' und jauchzte! – Jakelhuber wurde rot wie ein Zinnoberlack, und die Lust, mich an geistreichen Rätseln zu überflügeln, spornte ihn zu Unerhörtem an; er begann:

»Was sind das für Leut', die sich immer rüsten, nie rasten und stets rosten?«

Kein Mensch wußte es; da sagte er mit einem durchbohrenden Blick auf mich: – »Die Humoristen!« – Pamela weinte an Leib und Seele, Zwickmauser lachte an Händen und Füßen, und Jakelhuber strahlte im Lichte süßer Rache.

Ich ließ mich auch nicht spotten. »Was ist der Unterschied zwischen einem Humoristen und Lackierer?« Totenstille? Nur Gustl schnalzte mit der Zunge und stach Steckrübchen mit den Fingern. »Weiß niemand? – Also: beim Lackierer kommt erst der Wichs, dann der Glanz, bei dem Humoristen umgelehrt!«

Gustl schnalzte und rief: »Spüren's was?« Jakelhuber verbiß seinen Grimm und ging zu Scharaden über:

»Es ist ein einsilbiges Wort,
Im Winter liegt's am Ort,
Im Sommer geht es fort.«

»Was ist das, Herr Saphir?« Ich sann lange nach und sagte endlich: »Nankingbeinkleider!« Jakelhuber lächelte höhnisch und sagte: »Sie haben nicht das geringste Talent zum Erraten, es ist Eis!« – »Richtig, Eis!« riefen alle, »das ist sehr witzig!« – Das Rätselspiel ging auch zu Ende, und ein neues:

»Was thut das Pfand,
Das ich hab' in meiner Hand?'

erscholl. »Eine Vorlesung halten, eine humoristische Vorlesung! Eine Vorlesung!« Ich war einer Nervenlähmung nahe! Da kam das Pfand, es gehörte Jakelhuber!!

»S'is himmlisch!« zwickmauserte meine Nachbarin. Jakelhuber machte einige Umstände, allein er gab dem allgemeinen Drange nach. Ein Tisch wurde gebracht, zwei Leuchter mit Kerzen. Jakelhuber setzte sich in Positur, zog ein Heft aus der Tasche und begann.

Totenstille herrschte im Zimmer. Pamela hatte sich zu meiner Rechten an mich angeheftet, als ob ich eine Musterzeichnung wäre, und links hatte sich die Zwickmauser in mich eingezwickt. Jakelhuber bereitete sich zu seiner Vorlesung vor, räusperte, hustete, rückte auf dem Sessel und begann endlich mit jener nachlässigen Grazie, wie sie im Thury wild wächst, und mit einer unwiderstehlichen Zeiselbärstimme:

»Variationen über Spieß, Speis und Spaß, in Wichs-, Wuchs- und Wachsleinwand.

»Meine freundlichen Hörer und Hörerinnen! Indem ich beginne zu beginnen, beginnen Sie mich begönnen, diese zur Begünstigung gesteigerte Begönstigung zeigt sie mir als könnende Gönner, als gönnende Kenner! Jeder Beginn ist ein Spieß, auf dem man die Aufmerksamkeit der Hörer aufspießt; aber so wie der Spieß nur dann ist ein Spieß, wenn er ist da zur Speis und nicht bloß zum Spaß, so ist jeder Beginn, das heißt jeder Anfang eigentlich nur ein »fang an!« vom Hörer, sonst ist nichts an dem Fang!«

(Hier unterbrach allgemeiner Beifall den schwitzenden Jakelhuber. Mar Kirschlinger sagte zu Nani Leinzgerber: »Ganz in Schander von Saphir!« Und die Brandl sagte leise zu Toni Leimsuster: »Der Saphir ärgert sich, daß ihm der alles so abgelernt hat!«)

»Meine freundlichen Hörer und Hörerinnen! Was ist das Leben? Ein Spieß! Beim Armen kommt das ganze Jahr kein Braten daran; der Reiche aber hat alle Tage einen anderen! Das Leben ist ein Spieß, das Schicksal dreht den Menschen auf ihm am Feuer des Schicksals, und die fetten Thränen fallen in das prasselnde Feuer, bis er vom Schicksal gebräunt auf den Tranchierteller des Totenbrettes kommt und vom Spieß des Lebens zur Speis der Würmer wird, die nicht Spaß machen!«

Pamela weinte bitterlich. Luise Pfannendorfer sagte zu Gränzmacher: »Und das Gemüt! bei dem Witz so viel Gefühl! da muß sich der Saphir verstecken!« Ich hörte das, drückte ihr die Hand und sagte: »Ach Luise, wo kann ich mich verstecken?«

»Von diesem Spieß kommt der Mensch in die Leinwand, in die Totenleinwand, in die Wachsleinwand, in die Leinwand, in der man nicht mehr wächst, sondern wo nur Wachs über uns brennt, und aller irdische Glanzwichs abgestreift ist!

»Das Wachs, meine freundlichen Hörer, spielt im Leben eine große Rolle, denn kommt nicht alles drauf an, wie man gewachsen ist? Je schöner der Wuchs eines Mädchens, desto eher leuchtet das Wachs zu ihrem Brautfeste, und je weniger Wichs kriegt sie. Je schöner die Weiber gewachsen sind, desto weniger sind ihnen die Männer gewachsen! Darum sind unsere bartlosen Rezensenten so frech, weil ihnen keiner gewachsen ist! Ein junges Mädchen, das im Wachsen ist, ist ein Rosenstock und zugleich ein Wachsstock; wenn sie größer werden, wird's eine Wachsfackel, da darf man nicht lange mehr fackeln! Ein Weibsbild ist schön, wenn es ist wie ein Wachsbild! Es bildet sich im Wachsen und wächst in der Bildung, dann macht das Bild einen solchen Eindruck, daß man macht davon aus Wachs einen Abdruck, man poussiert sie und bossiert sie, und sie wird umringt von Wachspoussierer und Wachsbossierer!«

»Scharmant! scharmant!« – »S'is himmlisch!« – »Ganz Saphir!« – »Bravo! bravo!« Ein furioses Händeklatschen ging herum, alles überschüttete ihn mit Komplimenten, und Gustl schrie: »Wichs, Wachs, Wuchs, Weichsel, Wachset, Wauchsel etc.«

Jakelhuber war glücklich zu Ende, ging in seinem Sieg an mir vorüber und sah mich mitleidig an.

Ich war für den Abend ein geschlagener Mann! Selbst Pamela warf einen Blick mit zärtlichen Schrauben auf Jakelhuber! Das ist die Macht des Geistes! Die Zauberkraft des Witzes! O Pamela!

Das Pfänderspiel dauerte noch immer fort, und Jakelhuber war nun Hahn im Korbe, ich spielte eine erbärmliche Nebenrolle. Ein neues Pfand verurteilte mich, eine Blumensprache zu erfinden. »Aber so«, sagte Jakelhuber, »daß es allgemein verständlich ist, und nicht im schwüligsten Stil.« Ich versprach, mich ganz zu seiner Verständigung auszudrücken, und begann folgende

Blumensprache im Thury.
Aloe Oe!
Aglei Sein Se a dabei?
Aurikel Kommens nur, lieber Nickel!
Baldrian Schau mi an!
Butterklee Kan'Idee!!
Curcum Das bringt a Viech um!
Diptam Fragens die Frau Mahm.
Distelfackel Kennst du den Lackel?
Erdbeer Schatzerl, kommens her!
Granat Gehst außi ausm Krautsalat.
Hagebutten d'Hand von der Butten!
Johannisbeeren Spaenzeln möcht' er gern!
Königkerzen Sonst hobens kane Schmerzen?
Lotwurz Se sein a Zwiderwuarz!
Moos Schnecken in der Sauce!
Polei Hörens auf, i schrei'!
Quitten Da muß i bitten!
Rosenblatt Seins stat!
Rosenstengel Fahrn mer, mein Engel!
Sellerie Sali, halt mi!
Steinbirn Wons wos gspürn! !
Türkischer Weizen Thuns Ihnen nit spreizen
Viola matronalis Gebens acht, wenn's hal is!
Winde Kecker Zahnd, verschwinde!
Weichsel Gengens zum Teuxel!
Ysop Judithel, hopp!
Zibeben Hörens auf von Fried' geben!

Pamela weinte still an meinem Herzen, so gerührt war sie von diesem Selam; sie sagte mit weicher Stimme: »Moritz, du bist doch gemütlich!« – Ich aber war ganz persisch gestimmt und sagte daher auf spanisch:

»Que flos no es da amor un concepto feliz!« (Calderon)
(Welche Blume ist nicht ein süßer Einfall der Liebe!)

»Ach«, sagte Pamela, »was heißt das auf deutsch?« Und ich erwiderte: »A jed's Pflanzl hat sei G'stanzl!« – Sie schluchzte, und ihre Thränen rollten in meine Westentasche, wo sie ein Bonbon von Mittag erweichten.

Jakelhuber schien nicht zufrieden, daß ich bei Pamela wieder einen Stein im Brett hatte, und er schlug vor, er wolle improvisieren.

»S'is himmlisch!« schrie die Zwickmauser und zwickte ein Improvisatorium in meinen rechten Arm, und die ganze Gesellschaft wiederholte das ihnen fremde Wort: »Improvisinieren!« – »Improsinisiwieren!« – »Inprprimsermosiwieren!« – »Insinprovisinieren!« – »Inpronisisinieren!« u. s. w.

Die Vorbereitungen zu dem Improvisatorium dauerten ziemlich lange. Die Aufgaben wurden in einem Hute gesammelt. Es befanden sich fast lauter empfindsame, lyrische Themata darunter: Gedicht an den Schoßhund der Frau Brandl. – Das Zeiserl auf dem Stickrahmen. – Liebeserklärung an ein Lungenbratel. – Die Thränen um einen ungetreuen Liebhaber. – Das Herz, wenn es zerbrochen ist. (?) – Die Verzweiflung um den Tod. (?) – Dahinreißung! – Ich gab das Thema auf: »Warum wächst der Mensch von unten hinauf, und nicht von oben herab?« – Das Los entschied, es wurde gezogen:

»Das Herz, wenn es zerbrochen ist.«

Jakelhuber begann zu arbeiten. Er stellte sich wie ein Eisbock inmitten des Zimmers, schürzte sich die Rockärmel auf, dehnte sich, fuhr sich mit den Nägeln rechts und links in die Haare, hustete, räusperte, lüftete sich die Halsbinde, zog sich die Weste zurecht, wiegte den Kopf rechts und links hin und her wie ein saufender Kakadu, feuchtete sich mit der Zunge die Ober- und Unterlippen an wie ein zahnendes Kind, streckte endlich beide Hände aus wie ein Wegzeiger, machte noch einen Huster, holte mehrmal tief Atem und fing an:

»Du –«

hier blieb er etwas stecken, faßte sich bald:

»Nein, nicht du, ich bitte,

»O du, mein Herz, mach nur kein Gepumper,
Das rechte Aug' und das linke Ohr
wird mir auf Ehre schon tumper,
Wie es thut schlagen,
Kann ich Ihnen wahrhaftig mit Worten gar nicht sagen,
Mein Herz, das ist schon grausam in mir zerbrochen,
Da liegen die Scherben, –

Da liegen die Scherben, Scherben, liegen die Scherben. – «

(Hier trat die Figura repetitionis ein, da er nicht mehr weiter wußte, und Gustl schrie:

»Die Mutter thut kochen Strudel mit Gerben!«

– Er schlug sich mit den Fäusten vor die Stirne und schrie: »Wenn mich Herr Saphir anschaut, kann ich nichts!« Pamela drehte mich mit dem Rücken zur Gesellschaft, Jakelhuber ließ nun eine neue Ladung los.)

»Mein Herz, das ist schon grausam in mir zerbrochen,
Da liegen die Scherben,
Sie hat mich beim ›Schaf‹ in der vorigen Wochen
Mit Blicken zerstochen,
Und, o Menschen, Menschen, heuchlerische Krokodilenbrut,
Schon gut! Den Wolken, den Winden
Will ich's verkünden,
Das sie's verbreiten,
Wie sie mich kujoniert so vor allen Leuten,
Eilende Wolken, Segler der Lüfte,
O Gott geb', daß ich kein Spektakel stifte;
Denn Herz, o mein Herz, o dies Herz
Hat Schmerz
Schon seit vorigen Weihnachten bis zum März!
Es ist zerbrochen, aus meinem Grab ruf' ich ihr nach:
Weh! Adie!«

Hier schnappte er zusammen wie ein Taschenmesser, Pamela stürzte sich mit einer Thränenflut über ihn, und Frau Brandl fiel über ihn her wie ein Fläschchen Kölner Wasser. Die ganze Akademie der nätherischen Wissenschaften war mit ihm beschäftigt (ie spritzten ihn mit kaltem Wasser an, sie rieben ihm die Schläfe), sie rissen ihm die Halsbinde auf, sie riefen ihm ins Ohr: »Jakelhuber, lieber Jakelhuber, teuerster Humorist!« – Pamela vergaß sich und rief, ganz von Thränen erweicht: »Teuerster Lackierer und Humorist, ich will dich nimmer kujonieren; vergiß das ›Schaf‹.« – Da schlug er die Augen auf und »atmete wieder im rosigen Licht!«

Ich aber saß noch immer mit dem Rücken gegen die Szene gekehrt, und als Pamela mir sagte: »Sehen Sie denn nicht, es hat die Nerven angegriffen!« – erwiderte ich tückisch: »Er kann nichts, wenn ich hinsehe.« – Der Bund zwischen mir und Pamela war gebrochen, ich seufzte und sagte zu meinem Herzen: »Es geht ein finsterer Jakelhuber durch dieses Haus!«

Die Zwickmauser merkte das Ding und schloß sich mir mit einer rippenzerschmetternden Zärtlichkeit an.

Ich wäre ihr gerne um den Hals gefallen, allein ich unterließ es wegen Alibi des Halses. Es war gegen zwei Uhr nach Mitternacht. Ich warf einen meiner Lilablicke auf Zwickmauser und fragte sie mit bebender Stimme: »Liebst du mich, Zwickmauser meiner Seele?« – Sie erhob ihre langen Arme wie ein Telegraph und gluckte: »Wie kannst noch fragen, Tschapperl!« – »O, dann gib mir einen halben Krapfen, oder ich verhungere!« – Sie hatte nämlich einen halben Krapfen in ihrem Ridikül; sie nahm ihn heraus, gab mir die Hälfte, und die andere Hälfte hielt sie in der Hand. Ich umfing sie wie eine Rettungsmaschine und flüsterte zärtlich: »O meine teuerste Hälfte, ganz muß ich dich haben!« – Allein sie hatte die andere Hälfte in diesem Augenblicke in den Mund gesteckt und

»Er fiel ins Bodenlose.«

»Ach«, sagte ich, »Zwickmauser, hast du in deinem stillen Kämmerlein keine Semmel, kein Brot, komm, laß uns glücklich sein!«

Alles empfahl sich, Pamela und Jakelhuber waren die ersten, die zusammen die Gesellschaft verließen. Die Zwickmauser wohnte in der Kotgasse, ich führte sie nach Hause. – Da der Zweck dieses Aufsatzes nicht ist, Reiseabenteuer zu Wasser und zu Lande zu schreiben, so füge ich bloß bei, daß mir Toni Zwickmauser aus ihrem Fenster einen Apfel und eine halbe Semmel herunterwarf und mir zurief: »Da hast du einen Apfel, eine halbe Semmel und mein Herz!« – »Ich danke«, rief ich hinauf, »werde alles mit Dank zurückstellen!«

Am andern Tage schickte mir Pamela drei seidene Taschentücher, die sie von mir zu säumen hatte, zurück und dazu folgendes Billet:

»Ir Bedragen gesdern wahr unter der Gridig! Der neit auf andern Schenie hat Ihnen die larfe won die Masge abgezohgen. Ich habe Ihnen nie gelihbt! bloß Ihr Widz und Ihr Muntwerg hat mein Herz geteuscht. Wenn Sie mich begegnen, so werde ich thun, als hät ich Ihnen nie gekennt; und hoffe von Ihnen auch das Gegentheil, denn mein Jakelhuber – ich sahge ausdrüglich mein Jakelhuber – verstehd in einem gewissen Bunkt keinen Schpas nicht. Atje, ihre gewesene Pamela.«


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