Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Va banque, der Visite de reconnaissance!

Nie hat die Sitte – wir wollen einmal einen Gebrauch so nennen – etwas Abgeschmackteres erfunden als die

»Visite de reconnaissance!«

Wie übersetzt man das? Ein Erkenntlichkeitsbesuch? eine Dankabstattung? ein Wiedererkennungsbesuch?

Wenn man kein Esser von Profession, kein Trinker von Passion, kein Spieler von Herzen und kein Tänzer von Metier ist, wozu soll man noch eine Visite de reconnaissance machen?

Man wird eingeladen, um abends zu Mittag zu essen. Das kostet erst ein Paar Handschuh, einen Wagen und – entsetzlicher Gedanke! – wenigstens vier Stunden Zeit! Vier Stunden Zeit! Was das für ein Kapital ist, das weiß nur der, welcher nichts besitzt als die Zeit, und dem deshalb die Zeit nie lang wird, als nur dann, wenn man sie ihm ums Himmelswillen verkürzen will!

Vier Stunden Zeit! Und wie sind sie ausgefüllt und wattiert, diese vier Stunden! Alle Augenblick etwas anderes für den Magen und nie etwas anderes für den Geist! Man wechselt alle Minuten die Teller und alle Stunde einen Gedanken aus! Will man den Wund aufmachen, um etwas zu reden, so nimmt einem der Bediente schnell das Etwas zum Essen fort. Will man rechts sein Ohr auf ein Gespräch neigen, so muß man links das Salz hinreichen. Will man links ein trauliches Wörtchen sprechen, so muß man rechts das Glas anfüllen. Will man gar nichts reden, so fragt die Hausfrau um Neues, um Theater, um Konzerte und um alle Hausunterhaltungen, die stattgehabt haben und haben werden. Will man ja einmal etwas Zusammenhängendes sprechen, so wird man alle Augenblicke von einem »Essen Sie doch!« – »Schenken Sie doch ein!« – »Ich bitte um die Montardière!« unterbrochen. Spricht man viel, so kann man nichts essen und gilt für einen Schwätzer, spricht man nichts,so gilt man für einen faden Patron. Wenn's hoch kommt, hat man das Glück, ein Glas roten Wein umzustoßen oder einen Löffel voll rote Rüben auf das Tischtuch fallen zu lassen, der Nachbarin mit dem Ellenbogen ihre Gabel in die Zunge zu treiben, einen Schluck Wein unrecht in die Kehle zu bekommen, eine Gräte zu schlucken und andere tausend kleine Tafelunfälle zu erleben, die man à la Camera brevi manu abmacht, die aber an großen Tafeln zu den allervertracktesten Unglücksfällen des Lebens gehören! Hat man endlich drei Stunden gesessen und den Repetiermagen erprobt, so steht man auf und macht dreißig oder vierzig tiefere oder flachere Verbeugungen, lehnt sich an eine Thürpfoste und verdaut in die Gesellschaft hinein, dann macht man wieder einige Verbeugungen, empfiehlt sich deutsch oder französisch, steckt mehreren Dienern und Fackelträgern die Belohnung für das Amusement in die Hand und zeichnet sich wie Hamlet in seine Schreibtafel ein:

»Nächsten Sonntag muß ich da eine
Visite de reconnaissance machen.«

Dafür, daß ich vier Stunden Zeit mich zum Möbel gebrauchen ließ, daß ich dem Wirt und der Wirtin helfen mußte, ihre Gäste zu unterhalten (denn eigentlich werden alle Gäste doch nur wieder für die Gäste gebeten), dafür muß ich einen Besuch machen, um mich zu bedanken!

Und dennoch gibt es Menschen, deren Lebenslauf nichts ist als eine Abwechslung von einer » Visite d'appétit« und einer » Visite de reconnaissance«!

Aber einen unendlichen Vorteil bringt diese Sitte der Visite de reconnaissance: wenn man sie nämlich einmal versäumt, wird man nicht mehr eingeladen! O himmlische Folge irdischer Gesittung!

Ich sehe aber eine Zeit kommen, wo besonders Menschen von Geist und Kunst sich sattsam und hoch genug schätzen werden, um das Recht ihrer geistigen Erstgeburt nicht um eine Schüssel Linsen hinzugeben; wo der Austauschhandel: »Gib mir Geist und Kunst, und ich gebe dir Pudding und steirischen Kapaun!« nicht angenommen werden wird; wo Menschen, die nichts haben als ihr Talent und ihren Genius, diese nicht als Flötenuhren und Spielaufsätze hinstellen werden unter die Reihe von Fasanen und Trüffeln und anderen Wildbretmarktdelikatessen; dann, dann, ja dann wird das goldne Zeitalter kommen, wo man dafür, daß man sich einladen ließ, eine Visite de reconnaisance bekommen muß und bekommenn wird!

Allein solange es noch Würdenträger des Geistes, der Kunst und des Talentes gibt, die ihren Genius gerne hinaustreiben auf den Naschmarkt der Société; die ihre Göttergabe als Tafelstückchen und Bänkelsängerei und Schaubrote loslegen und produzieren für ein paté de foie und für eine mit Wachs beleuchtete Puppengesellschaft, solange diese Selbstentwürdigung noch grassiert unter den Geniusbegabten, so lange wird die » Visite d'appetit,« und die » Visite de reconnaissance« ihren lächerlichen Zepter noch schwingen. Ich aber rufe aus: » Va banque, der Visite der reconnaissance!:


 << zurück weiter >>