Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Va banque, Stammbuch und Album!

Stammbuch! Album!

Das Album ist das moderne Stammbuch; das Stammbuch ist das antike Album!

Jetzt ist die Zeit der Albums! Musikalische, theatralische, graphikalische Albums!

Eine ganze Sündflut von Albums bricht über uns herein!

Schillers Album!

Was heißt: Schillers Album? Ein Papierschiff, in welchem sich kleine Dichter an den Rockschoß eines großen Dichters anhängen, um mit ihm in die Zukunft hineingeschleppt zu werden!

Schillers Album! Eine gedruckte Ausrede der lebendigen Eitelkeit, um unter dem Respekt, welchen man den Toten schuldig ist, wasserdicht und feuersicher in die Lesewelt hineinzukutschieren.

Schillers Album! Ein Leichenschmaus für litterarische Würmer, die sich auf diesem Feste zu Tische laden. Weg mit den Albums, weg mit den Stammbüchern! – Va banque!

Ein Stammbuch!

Ich bekomme Nervenzufälle, wenn ich das Wort höre!

»Wollen Sie sich nicht in mein Stammbuch schreiben?«

Das war einmal die Wutfrage aller sentimentalen Mädchen, aller Gesellschafterinnen, aller gebildeten Kommis, aller Geschäftsreisenden.

Wenn man wohin kam, wurde das Stammbuch ausgepackt.

Da stand die Freundin, die Kousine, die Lehrerin, die Großtante, die Klaviermeisterin, der Sprachlehrer, ein Hausfreund, ein Leibdichter, ein Akteur, eine Musterstickerin u, s, w.

Da las man:

»Wandle auf Rosen und Vergißmeinnicht.«

Wenn's auch übers Kreuz sollt' sein,
Mein Name muß ins Stammbuch 'nein!«

»Dieses Stammbuch ist ein schöner Baum,
Gib mir als ein Blatt darauf auch Raum!«

»Wenn die Sonne vom Himmel gerissen,
Wirst du meine Freundschaft vermissen!«

»Die Maus in der Falle,
Die Kuh in dem Stalle,
Das Schaf auf der Wiese
Blökt freudig: Luise!«

»Un Cœur qui soupire,
N' a pas ce qu'il désire.«

»Adore un dieu, sois sage et aime-moi!«

»Sii felice
Il cour me lo dice.«

Und tausend andere solche Kraftsprüche.

Wenn man nur einen Namen hat so groß wie eine Haselnuß, so hat man keine Ruh', bis man auch seine Kakelfüße in das seidene Namensfaulbett hineingesteckt hat. Und nun jetzt gar die Albums!

Ein Charlatan und Farceur, ein Bauchredner erbeutet sich mit Feuer und Schwert ein Album mit den Namen berühmter Notabilitäten, läßt es dann drucken und wird ein berühmter Schriftsteller!

Musikalisches Album! Litterarisches Album!

Schrecken der Musiker, Geißel der Litteraten! – Wer Teufel hat alle Augenblicke ein Sonett, ein Madrigal, ein Impromptu bei der Hand? Wer Teufel kann Witz und Einfälle aus dem Ärmel schütteln? Ein Schriftsteller kann jetzt ohne solchen Vorrat gar nicht unter die Leute gehen!

Wer Teufel hat stets eine musikalische Boutade, ein melodisches Epigramm, ein singbares Variatiönchen, ein tönendes Gedankchen, ein harmonisches Sentenzchen in den Schreibfingern? Ohne diesen Taschenkompositionsapparat darf ein Komponist gar nicht mehr in Gesellschaft gehen!

Da liegt man in einem solchen Album wie ein melancholischer Hering, man liegt wer weiß neben wem, wer weiß mit wem!

Va banque, Stammbuch! – Va banque, Album!


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