Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Naturgeschichte der Mädchenjahre.

1. Die Luftschlösserjahre. – 2. Die Kartenhäuserjahre, – 3. Die Versorgungsjahre. – 4. Die Strohhüttenjahre. – 5. Die Verzweiflungsjahre. – 6. Die »Hol's der Teufel!«-Jahre.

1. Die Luftschlösserjahre.

Bis zum sechzehnten Jahre sind alle Mädchen Engel. Von dem Lichte, welches Umgebung und äußere Verhältnisse in ihnen und um sie verbreiten, hängt es ab, ob sie Engel des Lichtes oder Engel der Finsternis werden.

Ein Mann hat um diese Zeit seine Flegeljahre, allein bei dem weiblichen Geschlechte verschmelzen diese Jahre in einen Gemütszustand von Dämmerung, in ein Nebeln und Schwebeln, und das Herz eines Mädchens in diesem Zeitraum gleicht unsern lyrischen Produkten, in welchen Gefühl und Unsinn, hysterische Blässe und rosafarbne Dünkelhaftigkeit nebeneinander wohnen.

Erst mit dem sechzehnten Jahre tritt das weibliche Herz aus der Stiftshütte von Träumen und aus dem Spinnhause nicht verstandener Gefühlsfäden in die Schule des Lebens, in eine Schule, in welcher leider das Examen erst dann vor sich geht, wenn das Leben kein Diplom und keine Preise mehr zu verteilen hat.

Mit dem sechzehnten Jahre der Tochter fängt die eitelste und gefallsüchtigste Mutter, so gerne sie erst selbst für nicht viel über sechzehn Jahre gelten möchte, doch an, einzugestehen, daß »das Kind erstaunlich groß und unbegreiflich früh reif« wird.

Von diesem Augenblicke treten die Mädchen ihre Luftschlösserwelt an, und indem sie von Phantasie und Einbildung große Summen aufnehmen, fangen sie ihren Bau an und bauen, wie die meisten Bauherren, größtenteils auf eine Masse von Einwohnern, die teils neben-, teils nacheinander diese Schlösser bewohnen sollen.

Jedes Ruhekissen, auf das sie ihr nachdenkliches Köpfchen hinlegen, wird zum ersten Stockwerke dieser himmelansteigenden Schlösser, und jeder Held aus dem eben gelesenen Roman macht die geflügelte Besatzung dieser Schlösser aus.

Vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahre sind die Luftschlösserjahre. Wehe dem Mann, der sich den Bauenden naht, wenn er nicht Demanten als Ziegelsteine, Rang und Würden als Stukkatur, glänzende Aussichten als Fensterscheiben und Ruhm, Größe, Glanz als pompejanische Wandgemälde zu diesen Luftschlössern liefern kann!

Am aufgetürmten, schwindelhohen Luftschlosse sitzt die schöne, junge, hoffnungsblühende Erbauerin und präludiert und singt:

»In meinem Schößlein ist's gar fein,
Komm, Ritter, kehr bei mir ein.«

Aber ach, wir haben keine Ritter mehr, wir haben bloß Reiter; und diese irrenden Ritter springen höchstens über eine zwei Fuß hohe Barriere, aber nicht über die Barrieren der Konvenienz, und daher kommt es, daß kein Reiterritter in das Luftschloß sprengt und es von seinem Wolkenkuckkucksheim in die wirkliche Welt herüberbaut und die Erbauerin mit demselben. So bleiben denn die schönsten Luftschlösser unbewohnt, und, meine lieben Leserinnen, in einem Luftschlosse ist es kalt und öde und unheimlich zu wohnen, besonders für ein junges Mädchen und ganz allein!

Wie oft werden in diesen drei Jahren die Luftschlösser umgeändert, überbaut, mit andern Pfeilern und Säulen verziert und in andere Luftregionen verpflanzt, aber nirgends will der Schloßherr aus der Erde springen, und keine Wirklichkeit macht das Phantom bewohnbar! Endlich mit dem neunzehnten Jahre fängt die Phantasie an, nach etwas Haltbarerem als Luftbaumaterialien zu greifen, und es beginnen:

2. Die Kartenhäuserjahre.

Diese Häuser werden doch nicht ganz auf nichts gebaut, wenn sie auch nicht auf festem Grund und Boden aufgeführt werden, so ist es doch ein dichter Gegenstand, auf dem sie errichtet werden. Die Mädchen fangen an, mehr in die Breite als in die Höhe zu bauen; sie sehen schon mehr auf den Platz, den sie brauchen, als auf den Raum, den sie einnehmen möchten. Man fügt sich etwas williger dem Stoffe, der einem zu Gebote steht. Man gibt hier zu und läßt dort nach. Es stürzt ein Kartenhaus nach dem andern ein; wenn die geschäftige Baumeisterin zu hoch hinaus will, so hält es nicht, das ganze Gebäude fällt ineinander, und es müssen andere Karten zu einem solidern Hause geholt werden. Da lernen die Mädchen behutsamer bauen; sie sehen, daß man nirgends anstoßen, nicht ungeheuer von sich blasen und recht sachte und obachtsam zu Werke gehen muß, wenn man ein solches Kartenhaus aufführen will! Sie lassen sich die Mühe nicht verdrießen, einen Bauplan zehn- und zwanzigmal zu erneuen, wenn ein Windstoß, ein böser Luftzug den Bau zehn- und zwanzigmal über den Haufen geworfen hat. So ein Kartenhaus ist freilich solider und wohnlicher als ein Luftschloß; allein es sind doch nur Kartenhäuser; wenig Männer werden versucht, ihr ganzes Leben in einem Kartenhause zu wohnen! Da ist wohl Glätte von außen und buntes Bildwerk von innen, aber es ist nicht fest gefügt, nicht hub- und hebfest, nichts auf festem Grund, die Männer verweilen lachend einen Augenblick bei der noch immer schönen Erbauerin solcher Kartenhäuser, aber sie werden keine Einwohner bekommen. Das dreiundzwanzigste Jahr kommt heran und mit ihm:

3. Die Hausmannsjahre.

Die Luftschlösser waren bei der undankbaren Welt nicht assekuriert, und die Kartenhäuser waren auf Sand gebaut; das Leben wird aber immer sorglicher, die Jahre kälter, die Gesinnung schwalbenmäßiger, häuslich, in den flatternden Zipfel der Jugend ist nur noch ein Stückchen Frühling mit sparsamen roten Fäden eingemerkt, und alles ruft aus dem Mädchenherzen: »Ehe, kehr ein, denn es will Abend werden!« Und da, auf diesem Wendepunkt des Krebses, fangen die Mädchen an, sich bloß Versorgungshäuser zu bauen.

Die Besorgung über die Versorgung fängt an, und die Bauwut ist von der schwindelnden, bunten Höhe der Luftschlösser bis in die mausfarbene Region eines kleinen häuslichen Lebens versunken, wo eigener Herd und Küche den Grundriß ausmachen.

In diesen Jahren von fünfundzwanzig bis achtundzwanzig, da fangen die Paradiesvögel, die vom Tau der Hoffnung lebten und ohne Füße zwischen Himmel und Erde flatterten, allmählich an, die zarten Füßchen auszustrecken, um auf der lieben prosaischen Erde, wo die Männer wachsen, festen Boden zu fassen. Leider fangen in diesen Jahren schon an, die Freierschwalben sich zum Abzug aus den herbstlichen Tagen zu rüsten; die Männer, die eine häusliche Versorgung lieben, tragen Bedenken, ob Wesen, die einige Jahre in Luftschlössern und einige Jahre in Kartenhäusern, möbliert mit dem kostbaren Geräte ihrer Einbildung, zu wohnen gewohnt waren, lange und reell zufrieden bleiben würden in dem einfachen Versorgungshause eines bescheidenen Loses, und so nahet denn oft das achtundzwanzigste Jahr unter Zagen und Bangen, unter Harren und Hoffen, unter Sehnen und Täuschen heran, und da beginnen:

4. Die Strohhüttenjahre.

Vom achtundzwanzigsten bis zum einunddreißigsten Jahre sind die drei parforce-romantischen Jahre, wo die Mädchen endlich auf Luftschloß, Kartenhaus und Versorgung verzichten, aus der Not eine Tugend und aus der Heiratsucht eine bloße Lieb-, Schmacht- und Sehnsucht machen! Sie wollen nichts als ein liebendes Herz und eine »Strohhütte«!

In frühern Zeiten fanden sich bei den Mädchen diese Strohhüttenphantasien nur im Paroxysmus des frühen Jugendfiebers ein. Da waren es bloß die Schneeglöckchen unter den Mädchen, die zarten Mägdlein, welche vor dem Frühling aus der Gefühlsdecke in die romantische Welt hineinwuchsen, die, großgezogen an Fouqués blauflämmlicher Minne, an Lafontaines taubenfütterndem Insichsehnen und an Claurens butterflüssiger Dahingebung, dieses Sehnen und Drängen nach dem Lande, wo die Strohhütten blühen, in sich verspürten.

Jetzt aber finden wir diese Strohhütten nicht mehr am Eingange in die Mädchenjugend, sondern am Ausgange, und die Mädchen flüchten sich nur dann hinein, wenn sie schon zu lange leeres Stroh gedroschen haben. Dann werden bloß Herz, Gefühl, Liebe, Austausch der Gesühle, inniges Erkennen u.s.w. als die reellen Güter der Ehe betrachtet, und man will ja weiter nichts als ein liebendes Herz, um sich an-, und eine Strohhütte, um sich einzuschließen!

Aber ach, du mein lieber Himmel! Strohhütten findet man zu achtundzwanzig Jahren wohl im Notfalle noch manchmal, aber liebende Herzen sind in dieser Gegend sehr selten! Die »liebenden Herzen« bekommt man bloß am Morgen des Lebens auf dem Wochenmarkt der Männer! Liebende Herzen muß man zum Gabelfrühstück nehmen und nicht zur Abendsuppe! Und so kommt denn das einunddreißigste Jahr und mit ihm:

5. Die Verzweiflungsjahre.

Das Schrecklichste der Schrecken ist ein Mädchen, das schon daran verzweifelt, ob es einen Mann bekommt, und doch à tout prix einen haben will! Wie jeder Mensch fürchterlich ist, der von Menschen oder vom Schicksal bis zur Verzweiflung getrieben wird.

In diesen Verzweiflungsjahren muß man ihnen aus dem Wege gehen, wenn man nicht angefallen sein will. Da sind sie fürchterlich, da gilt Gewalt und Faustrecht und Überfall! »Ein Mann!« ist die Losung, das Feldgeschrei; was er ist, wer er ist, wie er ist, was er hat, ob er was hat, das thut alles nichts zur Sache. Von den Hilfszeitwörtern »Sein« und »Haben« ist es ihnen genug, wenn er nur ist und sie ihn nur hat.

Ich rate allen Männern, den Mädchen in den Verzweiflungsjahren nicht nahezukommen, denn auf jeden Fall setzt es einen harten Kampf!

Diese Verzweiflungsjahre dauern bis ins sechsunddreißigste, dann an diesem Eckstein, an dieser kalten, steinernen, eckigen Grenzsäule aller Hoffnungen beginnen:

6. Die »Hol's der Teufel!«-Jahre.

Im sechsunddreißigsten, da, nach jahrelangem Ringen, Hoffen, Zweifeln, kommt die eiserne, notwendige, nicht mehr zu umgehende Entsagung!!! – Nach einem furchtbaren Kampfe unterschreiben sie in sich, an sich die furchtbar schmerzliche Abdikationsakte und sagen endlich:

»Hol's der Kuckuck!«

Wie Marius auf den Trümmern von Karthago sitzen sie auf den Ruinen von allen Luftschlössern, Kartenhäusern, Versorgungshäusern und Strohhütten, hinter ihnen raucht die Schädelstätte aller ihrer Wünsche und Hoffnungen auf, und vor ihnen liegen die langgestreckten Pampas, die ungeheuren Grasebenen ihrer Zukunft, und hier, auf diesem Bileamspunkte ihres Lebens, hier entsagen sie, reißen sie alle Erwartungen aus ihrem Heizen und werfen sie wie deukalionisches Gebein hinter sich und rufen aus:

»Hol's der Kuckuck!«

Aber mit diesem Resignationsruf schwören sie blutigen Haß allen Männern und grimmige Rache allen Frauen und Mädchen! Sie weihen ihr Leben nun ganz wie die Pampasindianer der blutigen, wilden, schonungslosen Menschenjagd in den Pampas ihrer künftigen Jahre! Sie schleifen ihre Lippen um zu Sicheln und ihre Zungen zu Schwertern! Sie metzeln alle Männerliebe, alle Mädchentreue, alle Frauentugend nieder! Sie zerfleischen alles, was liebt, geliebt hat und lieben wird, mit den Zähnen; sie waschen sich in dem Blute aller, die heiraten, geheiratet haben oder heiraten wollen; sie waten in dem vergossenen guten Ruf von Mädchen, Frauen und Witwen; sie scharren tote Skandale aus dem Grabe der Vergessenheit!

Gott behüte jeden guten Namen, jedes gute Mädchen, jede treue Liebe, jedes redliche Verhältnis vor den Mädchen in diesen Jahren!!


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