Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

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Der Grasenthusiast in der musikalisch-deklamatorischen Gelsen=Akademie.

Herr von Graupenschieber ist ein Grasenthusiast. Frau von Graupenschieber ist eine Grasenthusiastin, Fräulein Alwine von Graupenschieber ist eine dilettierende Grasenthusiastin, die kleinen männlichen Graupenschieberchen sind angehende Grasenthusiastchen, der Hauslehrer, Herr Wenzeslaus Lautsch, ist ein Pflichtsgrasenthusiast, und sogar das Stubenmädchen Walburga Silberheitel ist eine Grasenthusiastin.

Das Allodialvergnügen der Graupenschieberschen Familie bestand darin, sich ins Gras zu setzen, sich im Grase zu wälzen, im Grase zu essen, zu trinken, im Grase Pfänder zu spielen, im Grase zu zwicken und im Grase zu schlafen.

Kurz, wenn weiland Ovid die Graupenschiebersche Familie gekannt hätte, er hätte sie in seinen Metamorphosen zu Heuschrecken verwandelt; denn gewiß ist es, aus jedem einzelnen Graupenschieberexemplar hätte die Natur zehn Heuschrecken machen können, und es wäre noch ein halber Graupenschieber und ein halber Laubfrosch übriggeblieben! Sie hatten auch alle einen Grasgeruch; wenn Herr Graupenschieber ins Zimmer trat, konnte eine gesunde Normalnase sogleich wittern, wie draußen das Gras steht, und wenn Frau von Graupenschieber um die Zeit des frischen Heumachens durch die Straßen ging, glaubten alle Pferde, es ginge eine duftende, eben gemähte Heuwiese vorüber, und wieherten sie grasenthusiastisch an.

Da meine Leser nun auf einige freundschaftliche Stündchen mit mir und mit Graupenschiebers ins Gras beißen müssen, so will ich eine kleine Charakteristik unserer gemeinschaftlichen Freunde entwerfen.

Herr von Graupenschieber war früher ein Romantiker, sein Geschäft zog ihn an den Busen der Natur; er war Naturforscher durch Schicksal, Botaniker aus Bestimmung, er war – Dürrkräutler!

Wenn ich kein Humorist wäre, ich möcht' ein Dürrkräutler sein!

Die Dürrkräutlerei ist aller Dichtkunst Anfang! Was ist jeder Mensch anderes als ein Dürrkräutler? Er sammelt im Schweiße seines Angesichtes Blümchen und würzige Kräuter auf der Lebensflur, um sie zu trocknen, zu dörren, um im Alter sie mit der Erinnerung aufzugießen und sich an ihrem Aroma gesund zu trinken!

Das Herz eines jeden Menschen ist am Ende seiner Tage eine Dürrkrautlerei! Darin liegt die getrocknete Rose der Liebe, die getrocknete Blume der Hoffnung, das abgeblaßte Vergißmeinnicht, das verdorrte Tausendschönchen u. s. w.

Graupenschieber hatte aber so lange Kräuter gesammelt und gedörrt, bis er aus diesen Dürrkräutern das frische Kräutlein der Münze, das Tausendguldenkräutlein, hervorsprießen sah: er wurde reich, sehr reich, er wurde ein Krautjunker! – Er gab sein Geschäft auf und widmete sich – der Musik! Er spielte Violine und – sang; dabei bildete er sich in einer Dürrbüchlerei, in einer Leihbibliothek, zum belesenen Mann.

Graupenschieber sah, daß kein Kräutlein auf dem Felde, keine Saite auf der Violine und kein Büchlein in der Bibliothek allein stehe, so dachte er sich: »Es ist nicht gut, daß der Graupenschieber allein sei, und ich will ihm eine Gehilfin geben!«

Und er sah sich um in den Pflänzlein und Kräutlein des Michelbeurischen Grundes und ersah sich eines der dürrsten Kräutlein, ein Hopfenstänglein im weiblichen Garten, die hoch aufgeschossene, ehrsam, magere Pfründnerstochter Margareta Zandl, zur Gesponsin, und er fragte sie: »Willst du mit mir teilen die grünen Freuden und die dürren Leiden dieses Lebens?« Und sie hüstelte: »Ja!« Darauf fragte er sie wieder: »Willst du mein eigen sein, wie du leibst und lebst, und willst mir zuhören, wenn ich Violin spiele?« Und sie seufzte wieder: »Ja!« So ward Graupenschieber vermählt! Aus dieser Ehe ging zuerst Alwine hervor, welcher in mehreren Abteilungen mehrere Graupenschieberchen nachfolgten. Jetzt, indem wir mit ihnen im Grase eine Zeitlang zusammen zubringen wollen, ist Alwine in jenem Alter, wo jedes weibliche Herz das Gras der Liebe wachsen hört, und Alwine hatte ein feines, ein geübtes Ohr. Sie besaß alle dürrkräutlerische Schwärmerei des Vaters und alle mathematische Magerkeit der Mutter. Sie war so mager, daß ein bißchen kühner Stil behaupten könnte: sie war gar nicht, sie sei eigentlich die personifizierte mathematische Linie. Dabei hatte sie einen grünen Teint und eine entschiedene Vorliebe für grüne Kleider und grüne Bänder. Kurz, man konnte sie füglich den gedörrten Genuß der Hoffnung heißen. Zudem trieb sie auch die Kunst ihres Vaters und spielte Violine! Wenn sie im Grase saß und Violin spielte, und man stand nur ein bißchen ferne, so fah man sie im grünen Grase gar nicht, und man hörte nur eine Violine, die, wie von sich selbst gespielt, die dämonischsten Töne von sich gab. Zu den drei jungen männlichen Graupenschiebers wurde Herr Lautsch als Lehrer angenommen. Es war eine kleine, stämmige Figur, auf dem dicken Haupte einige glatt anliegende, schwarze Härchen, und zwischen zwei Backen wie die Winterrettiche strengte sich ein rotes und blaues Näschen wie ein Stiefmütterchen an, durchzubrechen. Dieses botanische Näschen kam aber nur dann zum Vorschein, wenn Lautsch lächelte, dann schoben sich die Backen etwas abseits, und das Näschen in der Klemme atmete freier. Dabei hatte Lautsch die Gewohnheit, mit dem Zeigefinger der linken Hand stets in die linke Backe zu bohren, gleichsam als ob er da einen artesischen Brunnen graben wollte.

Auch Lautsch war musikalisch, er bluhs Klarinette! Lautsch und Alwine schienen sich zu lieben. – Den Schlußstein zu diesem Familiengemälde liefert das Stubenmädchen Walburga Silberheitel.

Ihre Mutter war Sattlersgesellfreundin und selbstausübende Wollschlagerin. Frühzeitig widmete sie ihre Walli den schönen Künsten, sie gab sie in die Erziehungsanstalt zu einer ledigen Zimmermalerswitwe, wo sie den ersten Anstrich von Bildung erhielt, bis sie durch eine geistige Hinneigung zu einem Turmwächter eine höhere Richtung bekam. Sie lernte von ihm, der früher als supernumerärer Marketender auf Wartegeld mit nach Frankreich ging, französisch, und so ausgerüstet mit allen Kenntnissen, die zur stubenmädlerischen Karriere nötig sind, kam sie zu Graupenschieber, um Alwinens Gesellschafterin, die Begleiterin eines Schattens zu werden; sie wich nicht von Alwinens Seite, das war ihre einzige Schattenseite! Sie war schön, sehr schön und grausam; grausam? nein, warum sollte sie grausam sein. Im neunzehnten Jahrhundert? Wahnsinn!

Ich aber wurde durch einen eigenen Zufall in die Graupenschiebersche Familie hineingeschoben.

Als ich in dem Briel wohnte, hatte ich vor meinem kleinen Landhäuschen einen fetten, üppig-grünen Grasplatz, auf welchem bequem einige Beduinen und sechs Kamele ein Beilager feiern konnten.

Eines Nachmittags öffnete ich das Fenster, und siehe da! es hatte sich eine kleine Kolonie Grasenthusiasten auf diesem Grasplätze angesiedelt; es war die Familie Graupenschieber. Sie fielen wie eine Heuschreckenwolke auf diese Smaragdwiese nieder und bedeckten sie. Es war eine gewisse nomadische Naivität in der ganzen Karawane; das Recht der Natur: »Der Mensch darf überall grasen, wo die Vorsehung Gras wachsen ließ!« sprach so deutlich aus dieser Ansiedlung heraus, daß ich als eigentlicher Grund- und Lehnsherr dieses grünsamtnen Graupenschiebersofas mein Recht nicht geltend machte und die ganze, große, schöne Heuwiese den Ankömmlingen zur freien Weide überließ.

Es war ein Glück, daß die Wiese niet- und nagelfest war, denn wenn sie mobil gewesen wäre, die Graupenschiebers hätten sie mir glatt weg- und aufgerochen! Denn man konnte im buchstäblichen Sinne des Wortes sagen: »Die Graupenschiebers trieben ihre Nasen auf die Weide!« – Sie bohrten alle ihre Nasen ins Gras, als wollten sie dieselben darin einkühlen.

Der Herr Lautsch, dessen kleines Penseenäschen sich kaum über das Niveau der Backen hinauswagte, hatte am meisten Plage mit dem Versuche, seine Nase auch in die Mutter Erde zu stecken.

Als ich die Familie so auf dem Bauche mit den Nasenspitzen in der Erde liegen sah, glaubte ich, sie seien alle Brahminen.

Allein, wie es im Leben oft geschieht, daß, während man seine Nase irgendwo hineinsteckt, sich ein Ungewitter hinter unserm Rücken zusammenzieht, so ging es auch da. Während ungefähr ein Dutzend Graupenschiebernasen sich in die Erde bohrten, stieg über dem Dutzend Graupenschieberrücken ein schwarzes Ungewitter empor, ein schnell erwachender Sturmwind ließ die herabhängenden Wolken platzen und sich über die Grasenthusiastengesellschaft entladen. – Nun hatten sie zwar ihre Nasen im Trocknen, allein der Mensch hat außer der Nase in seiner Aversseite auch noch Gegenstände auf der Reversseite, die er nicht gerne durchweichen läßt; auf einmal riß sich das Dutzend Nasen aus der Erde und streckte sich gen Himmel und empfand, daß der Regen auch wie auf die Nase gefallen war.

Da sich in der Kolonie einige Kinder und einige Frauenzimmer befanden, so eilte ich, der ganzen Gesellschaft durch meinen Bedienten mein Häuschen zum Schutz anbieten zu lassen.

In zwei Minuten war mein Salon von Graupenschiebers voll.

Alwine Graupenschieber sah aus wie der naßgewordene Geist einer verstorbenen Grasmücke, die zwei kleinen männlichen Graupenschieberchen trugen auf ihren Nankinghöschen einen grünen Abdruck der Wiese avant la lettre mit, in den weithinschattenden Haubenbändern der Frau Graupenschieber saßen mehrere Heuschrecken und machten Pläne für die Zukunft, und Walburga Silberheitel suchte aus der alten Garderobe ihrer französischen Sprache eine kleine Boa heraus und sagte mir mit einem vielsagenden, wollschlagerischen Lächeln: »Ah, que vous êtes du civil, ma bonne!«

Gut, dachte ich mir, daß ich deine Bonne bin, und machte bonnemine!

In fünf Minuten waren die Graupenschieber in meinem Salon so heimisch, als ob er eine Heuflur gewesen wäre. Alwine lag auf dem Sofa hingegossen wie ein nasser Seidenfaden, und die kleinen Grashüpfer nahmen meinen Erd- und Himmelglobus ganz naiv zum Ballonspiel. Herr Graupenschieber aber machte alle Augenblicke das Fenster auf, steckte die Nase hinaus, schnupperte und rief immer: »Ach, wie gut riecht das Gras!« Der Regen hatte nach und nach aufgehört, und Graupenschieber schickte, wie Noah aus der Arche, erst den Raben Lautsch aus, um zu sehen, ob das Gras schon trocken sei, allein der Rabe Lautsch kam zurück, weil er noch keinen trocknen Boden fand; nach einer halben Stunde sendete Graupenschieber aber die Taube Silberheitel aus, und sie flatterte zurück mit einem Bündel Gras im Munde, ein Zeichen, daß die Sündflut aufgehört hatte und das Gras wieder genußbar sei auf Erden.

Da rafften sich die Graupenschieber zusammen und dankten mir für Obdach und Kaffee. Ich mußte mit Hand und Ehrenwort versprechen, einmal mit Graupenschiebers eine Partie ins Gras zu machen und zwar in Graupenschiebers »Familienwagen«.

Beim Abschiede umarmte und küßte mich die ganze Grasmenschenschaft. Als Alwine an mir emporrasselte, kam es mir vor, als hätte man mir einen Wetterableiterdraht vom Kopf bis in die Erde angelegt; auch Walburga applizierte mir einen Mundsemmelkuß und lispelte: »J'espère à votre visitation, ma bonne!« Auch der Rabe Lautsch küßte mich, und als sein kleines Violettnäschen meine berührte, kam mir meine Nase wie Alexander der Große und sein Näschen wie Diogenes vor, der nicht aus der Tonne wollte.

In meinem Salon fanden sich nachher einige Dutzend Heuschrecken, Würmer, Käfer und andere Ehrenbürger des grünen Grases. Meine zwei Globen kamen noch so ziemlich gut weg, bloß Spanien bekam ein Loch, und die Jungfrau bekam einige Kirschkuchenflecken.

Ich aber hatte das ganze Graskontagium eingesogen und ließ mich zwei Stunden in die Luft hängen.

Nach langem Zögern und vielen Ermahnungen mußte ich mich endlich entschließen, die »Partie ins Gras«, meinem gegebenen Worte gemäß, mitzumachen, und ich begab mich zu Graupenschiebers, um meinen Platz in dem Familienwagen einzunehmen und in Weidlingambach ins Gras zu beißen.

Da stand er, der Familienwagen des Herrn von Graupenschieber! Es war ein erhabenes, ein rätselvolles Wesen! Wie soll ich ihn schildern?!

»Ein Gebäude steht da, von uralten Zeiten,
Es ist kein Tempel, es ist kein Haus,
Ein Reiter kann hundert Tage reiten,
Er umwandert es nicht, er reitet's nicht aus!«

Da stand er vor mir, in seinen gigantischen Umrissen, mythisch, hyperbolisch und doch demokratisch tölpelhaft!

Der Wagen sah aus wie Hamletswolke, sah aus wie ein Kamel und doch wiederum wie ein Walfisch; man konnte ihn für einen Schüttboden halten und doch auch für eine Fregatte; wenn man ihn beobachtete, nahm er die Miene eines Luftballons an, und wenn man ihm genau in die Augen sah, gab er sich das Ansehen einer Menageriehütte! Chemiker hielten ihn für einen Gasometer, wahrend Hydrauliker meinten, es sei eine Wasserleitung, und Architekten darauf bestanden, daß es eine Ziegelhütte!

Ich stand vor diesem mystischen Kasten wie der Jüngling vor dem verschleierten Bilde zu Sais. Endlich kam es mir vor, als ob es eine erfinderische Verschmelzung eines deutschen, ehrlichen Galgens mit der französischen, heuchlerischen Guillotine wäre. Um den Wagen herum standen schon alle Graupenschiebers mit einem Nachbarschaftsupplement. Es war dieses die Frau von Rogenbrösel mit ihrer Tochter Mitzi und ihr Anbeter Herr von Blauhappel, Magister der Bleistiftmacherkunde.

Rogenbrösel Mutter war eine kräftige Gestalt, eine deutsche Eiche, und Mitzi, die Eichel, fiel nicht weit vom Stamme, sie war ebenfalls von reckenhafter Individualität und von deutlichem, kernigem Gepräge. Sie war dick ohne alle Umstände, dick ohne Unterschleif, dick von erster Hand. Hübsch war sie aber, recht hübsch, und das ist etwas, etwas viel. Blauhappel aber war nichts als ein – Gelächter! Er lachte immerfort, er war ein lachender Bleistift. Er sah immerfort aus, als kitzelte ihn ein unsichtbarer Strohhalm im rechten Nasenflügel.

So standen wir um den »Familienwagen« herum und bestiegen die vier breiten Treppen, die auf vier verschiedenen Seiten in den innern Schiffsraum dieser Maschine führten. – Der Wagen war für neun Personen. Wir aber waren fünf Männer, zwei Gugelhupf, fünf Frauen, drei gebratene Gänse, ein Schriftsteller und acht Plutzer. Außerdem noch ein großer Korb und ein kleiner Korb, zwei Violinkästen, ein Kutscher, ein Mops und elf Regen- und Sonnenschirme.

Der »Familienwagen« aber stand fest, unerschütterlich und erhaben da, wie die Tugend!

Nach und nach fing Graupenschieber an, die Maschine zu füllen; die Tugend nahm uns alle auf. Als die Frau Rogenbrösel den Wagen erkletterte, seufzte die Tugend laut auf und dröhnte fürchterlich; nach ihr kam die Silberheitel und rief mir zu: »Ma bonne, vous après me!« Ich aber sah, wie die junge Rogenbrösel, le Gugelpupf à la main, einstieg, dachte: »Hier ist ein Magnet, der stärker zieht!« und ließ mich neben der Rogenbrösel wie ein Fallschirm nieder; mir nach schlüpfte Sylphide-Alwine, die Graupenschieber-Aerienne, und lehnte sich wie ein Seufzerzapfen an meine linke Seite. Ich saß also zwischen der ersten Idee von einem Frauenzimmer und zwischen der vollkommensten Ausführung desselben. Ich neigte mich immer zum Vollkommenen, die erste Idee war meine letzte Idee.

Mir gegenüber saß »Blauhappel qui rit!« und lächelte den Wagenboden durch. Auf seiner Stirne stand geschrieben:

»Ridendo bleistiftmachere quid vetat?«

Nach einer geraumen Stunde war die Füllung vollendet, und das Familienungetüm setzte sich in Bewegung. Die zwei Pferde, welche gewiß auch Grasenthusiasten waren, die sich aber in ihrem Enthusiasmus noch nicht bis zum »Hafer« emporgeschwungen, standen mit angespannter Aufmerksamkeit fest, und als der Phaethon die ermahnende Peitsche erhob, um sie zu erinnern, daß der Mensch im Leben vorwärts streben müsse, sahen sie sich erst nach dem vor der Thüre liegenden Bündel Heu um, und dann nach dem Kutscher, und ihr wehmütiger Blick schien zu sagen:

»Mußt du in die Weite schweifen?
Sieh', das Gute liegt so nah'!«

Allein der Kutscher hatte keinen Respekt vor Citationen, er hieb noch einmal auf die zwei friedlichen Pilger los, sie machten eine Kraftanstrengung – baf! Die plötzliche Gewalt machte, daß ein Strang sogleich riß und die Tugend zehn Schritte rückwarts rumpelte!

Die Explosion war so heftig, daß die Nachbarschaft glaubte, es sei ein Erdbeben!

Nach einer halben Stunde war das zarte Familienbanb zwischen Familienroß und Familienwagen wieder geknüpft, und nun ging es wirklich vorwärts; aber mit aller Bedächtigkeit, wie es sich für gesetzte Pferde, welche schon ausgetobt haben, geziemt. Indessen wurden im Wagen verschiedene Umgestaltungen vorgenommen; die Rogenbrösel fing ein bißchen zu transpirieren an, und indem sie einen Arm auf meine Schulter legte wie einen Querbalken, legte sie den Gugelhupf mir auf den Schoß. Von der andern Seite deponierte die mathematische Alwine ihren Ridikül, in welchem sich mehrere Vorratskammern befanden, und ihr großes Wollentuch dito auf meinen Schoß; der Pinscher des Herrn Lautsch legte sich wie eine Wärmflasche auf meine Beine, und das junge Graupenschieberchen fand Gefallen daran, sich auf den Boden des Wagens zu setzen und sein dickes Köpfchen auf meinen Knien ausruhen zu lassen. Daß ich bei diesen Umständen nicht erfrieren konnte, wurde mir zu meiner Beruhigung bald klar. Aber der Thermometer sollte noch steigen. Fräulein Silberheitel, die mein Hintermann war, fand sich angezogen, mit uns zu sprechen, und steckte ihren Kopf über meine linke Schulter, auf der andern Seite lehnte Frau von Rogenbrösel ihren linken Arm auf den Arm der jungen Rogenbrösel, der auf meiner Schulter lag, und so mag denn summa sumarum, direkt und indirekt, ein Gewicht von ein paar Zentnern auf meinen demütigen Schultern gelegen haben.

Ich schwitzte große Tropfen und legte in der Verzweiflung meine rechte Hand zur Erleichterung aus die Sitzlehne um die Rogenbrösel herum.

»Da entbrennt in Roberts Brust,
Des Jägers, gift'ger Groll!«

Blauhappel würbe eifersüchtig. Jeder seiner Blicke war ein gespitzter Bleistift! Ich flüsterte der Rogenbrösel ins Ohr:

»O Rogenbrösel, ist Blauhappel eifersüchtig?«

Sie aber gab mir mit dem Arm einen sanften Druck auf die Schulter – sie war vier Wochen lang nachher geschwollen – und erwiderte: »Manchmal, wenn er nichts zu thun hat; machen Sie sich nichts daraus!«

Ich wußte auch nicht, was ich mir aus Blauhappels Eifersucht hätte machen sollen?

Ich sah also die Rogenbrösel an mit einem Blick, o mit einem Bück, ein einziger solcher Blick vernichtet zehn Blauhappels! Auf einmal ein Ruck! Ein Sturz! Geschrei! Ums Himmelswillen!

Die Tugend lag im Chausseegraben! Und alle Bewohner der Tugend im Familienwagen mit!

Es war eine schöne Wirtschaft!

Wie es kam, daß dieser voluminöse »Familienwagen« stürzte, blieb ein Rätsel.

Wahrscheinlich erblickten die Pferde rechts in dem Chausseegraben einen kleinen Anflug von Heu, und

»Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme!«

Es bleibt in der Welt so vieles, was geschehen ist, ein Rätsel; zum Beispiel: wie im Piräus ein Bräuhaus errichtet wurde; wie das zivilisierteste Volk der Pariser die zivilisiertesten Beutelschneider sein kann; wie die allerliberalsten Redner Deutschlands auf ihrem kleinen Gütchen ihre Unterthanen am ärgsten schinden konnten; wie Strauß und Lanner an jedem Finger ungeheure Demantringe tragen, wie Grillparzer, Tieck und Uhland nie derlei aufzuweisen hatten! – Wenn dieses alles auf der Welt geschehen kann, warum soll nicht einmal ein »Familienwagen« rätselhafterweise in einen Graben stürzen können? Zum Beweise, daß es geschehen konnte, geschah es!

Die Maschine lag nicht so eigentlich, als sie sich vielmehr halb in den Graben lehnte, halb noch auf der Höhe erhielt, wie die neue Philosophie, die zwischen ihrer überschwenglichen Höhe und unergründlichen Tiefe auf der Nase liegt.

Aber die Anwohnerschaft lag im Graben, ganz und komplett! Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mir selbst nichts geschehen ist, dehnte sich meine Nächstenliebe gleich so weit aus, mich um alle andern gar nicht zu bekümmern, sondern dieses Schauspiel zu betrachten, und ich hätte Lust gehabt, wie jener Maler, der sich an den Mastbaum binden ließ, um den Sturm zu malen, mich an die emporragende Wagendeichsel anbinden zu lassen, um diese vereinigte Graupenschieber- und Rogenbröselgruppe recht zu übersehen.

So mag es in Friedrichs Lager nach dem Überfall bei Hochkirchen ausgesehen haben!

Ich kam auf die junge Rogenbrösel zu fallen, das war kein harter Fall; es kam mir vor, als wäre ich auf einen elastischen Diwan gefallen; Alwine Graupenschieber fiel mir auf die Nase, allein ich spürte sie kaum, ich balancierte sie auf meiner Nase wie ein Jongleur eine Pfauenfeder. Neben mir lag Blauhappel, wie ein in Ohnmacht liegender Bleistift, aber er lachte, und auf seinem Leibe lagen die zwei jungen Graupenschieber, ein umgestürzter Proviantkorb und der Pinscher. Hinter uns lag, wie ein gestürzter Berg, Frau Rogenbrösel und schnaubte glühenden Odem, so daß ich alle Augenblicke erwartete, der Berg würde anfangen, Feuer zu speien. Sie fiel unglücklicherweise auf einen Korb mit Bierplutzern, und ihr rechter Arm zerquetschte die ganze Saat der Gugelhupfe!

Herr von Graupenschieber hing mit einem Fuß im Wagen, und mit dem Oberleibe lag er im Graben, allein seine erste Frage war: »Ums Himmelswillen! ist den Plutzern nichts geschehen?«

Da »antwortetest du, ehrwürdiges Lautschchen«: »Es sind einige zerbrochen!« Und darauf »wieder fraget der würdige Graupenschieber im buntgeblümten Leinrocke«: »Von die großen oder von die kleinen?« Und züchtiglich entgegnet der fleißige Lehrer der Jugend: »Von die kleinen!«

»Gottlob, nur von die kleinen!« ruft Graupenschieber aus, »und ist meiner Frau nichts geschehen?« – »Nein«, rief ein junges Graupenschieberchen aus, »der Mama ist nix geschehen, aber die Gugelhupfe sein hin!«

Alles machte Anstalt, sich zu erheben, nur ich nicht! Quo sors nos trahet etc. Was ist alle Philosophie? Mit ruhiger Fassung da liegen bleiben, wo einen das Schicksal hinwirft! Ich machte gar keine Anstalt, aufzustehen, im Gegenteil, ich nahm die Korrektur meines übermorgigen Blattes heraus, um sie allda zu machen, und fragte Blauhappel zu diesem Behufe: »Haben Sie nicht zufällig einen Bleistift bei sich?«

Wählend dem war die übrige Gesellschaft bemüht, die Frau Rogenbrösel, die, wie Marius auf den Trümmern Karthagos, auf den Plutzerruinen lag, emporzuwinden, welches nach einer angestrengten Mühe von einer ganzen Viertelstunde auch bewerkstelligt wurde. Ich hatte indessen meine Korrektur gemacht und fragte Herrn Blauhappel, wie man sie am besten in die Druckerei befördern könnte, denn ich möchte gerne hier die zweite Korrektur erwarten. Auf einmal fühlte ich mich am Ohre gefaßt, es war Fräulein Silberheitel, die in Ohnmacht lag; als sie aber sah, daß ich mich nicht in fremde Ohnmächten mische, daß ich sie wohl mit ihrer Ohnmacht liegen sah, allein dachte: »Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen«, da fand sie es geraten, zu erwachen u»d mein Ohr als Rettungsast zu ergreifen, um sich daran emporzurichten, und rief: » Ah, ma bonne, aidez moi en haut!« (»Helfen Sie mir in die Höhe!«) Ich erwiderte ganz phlegmatisch: » Aide toi!« oder auf österreichisch: »Du bist sehr öd!«

Sie suchte sich aus den rinnenden Bierflaschen und Plutzerscherben herauszuarbeiten, da faßt es den Lautsch an:

»Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Und es blitzt aus den Augen ihm kühn.
Und er sieht erröten die schöne Gestalt,
Und sieht sie erbleichen und sinken hin,
Da treibt es ihn an, den Preis zu erwerben,
Und stürzt sich hinunter in Bier und in Scherben!«

Lautsch machte es sich sehr bequem; da zwischen ihm und Silberheitel ich mit meiner festen Position lag, so überkletterte er uns geradezu, er stieg die Stufen ordentlich über Rogenbrösel, mich und Alwine hinauf und zog die Silberheitel aus den Bierdardanellen empor. – Endlich mußte ich auch aufstehen, es war schon alles wieder arrangiert! Der »Familienwagen« stand wieder in seiner imposanten Größe da, er hatte keinen Schaden genommen, bloß bei dem dritten Meridian von seinem zweiten Sitz hatte die Seitenwand eine Beule bekommen, etwa eine deutsche Meile im Umfange.

Ich sprang noch einmal in den Graben zurück, um die kleinen Überreste da ängstlich aufzulesen. Ich raffte einige Gugelhupfbröckchen noch zusammen, ein Stückchen verlornes Butterbrot, einen halben Bierplutzer, in welchem sich noch etwas vorfand, auch eine kleine Scheibe Schlackwurst, welche aus Rogenbrösels Ridikül herausfiel, nahm ich heißhungrig auf und stoppelte alle diese armseligen Bruchstücke geschickt in meine Tasche. »Was machen Sie da?« fragte Herr Graupenschieber.

»Ich redigiere!« antwortete ich und suchte weiter nach den fremden Brosamen im Chausseegraben.

Endlich stieg ich wieder ein, die gefallene und wieder aufgerichtete Tugend setzte sich in Bewegung, wir stimmten ein fröhliches Lied an:

»Welche Lust gewählt das Reisen!«

und gelangten nach drei Stunden in der fettesten Wiese in der Umgebung von Weidlingambach an, stiegen aus und steckten sogleich das Lager ab.

Nicht weit von Weidlingambach wurde einer der üppigsten Grasplätze ausersehen, um unsere Soirée récréative auf demselben zuzubringen. In zehn Minuten hatten wir einen momentanen Traktat mit den hier heimischen Gelsen geschlossen und gegenseitige freie Ausübung unserer Gebräuche proklamiert.

Das Biwak im Grase war malerisch. Herr Graupenschieber hatte sich mit dem Grase bereits ganz amalgamiert, er wühlte in dem grünen Heuschusse wollüstig herum, während die dürre Alwine mit einer Heuschrecke um die Wette hüpfte. Rogenbrösel Mutter und Tochter lagen wie zwei gut ausgestopfte Diwanpolster da, Lautsch und Blauhappel schlüpften aber wie die Eidechsen von einer Dame zur andern und schnitten, so was man sagt, die Kour.

Ich hatte meine Blicke fest auf den einen großen Korb gerichtet, aus dessen Innerm sich eine Armee von Gänsen, Hühnern, Enten und Semmeln entwickelte; Frau Graupenschieber verrichtete Hebammendienst bei diesem Korbe und brachte alle Augenblicke ein neues gebratenes oder gebackenes Pfand der Eßliebe ans Tageslicht.

Und wie sie sucht mit dem Finger,
Auf thut sich der weite Zwinger,
Und es tritt aus dem geflochtnen Haus
Ein »Schlegel« heraus,
Und die Graupenschieber sucht wieder,
Da öffnet sich traut
Das zweite Thor,
Daraus schaut
Mit braunem Antlitz
Ein »Gansel« hervor.
Wie Lautsch das Gansel erschaut,
Brüllt er laut,
Und streckt aus dem Gras'
Empor seine Nas',
Und recket die Zunge;
Und im Kreise scheu,
Wälzt er sich herbei,
Grimmig schnurrend,
Drauf streckt er sich murrend
Zum Schlegel nieder!
Und die Graupenschieber sucht wieder,
Da speit das geflochtene Haus
Zwei »bachne Handel« auf einmal heraus,
Und Blauhappel mit Kampfbegier
Stürzt auf das Händeltier
Und packt es mit grimmigen Tatzen!
Und der Lautsch mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still,
Und herum in dem Kreis,
Von Hunger heiß,
Lagern sich die Graupenschieberschen Fratzen.

Herr Graupenschieber hatte indessen die Bierkrüge in Schlachtordnung gestellt:

»Wir hatten sechzehn Plutzer aufgebracht,
Jedlerseer Volk!«

Und die Schlacht begann. Im Vordertreffen aß Graupenschieber mit seinem Ehesechzehntel und dem Faksimile einer Tochter. Im Mitteltreffen hieben die Rogenbrösel ein, und Blauhappel deckte das Hintertreffen; ich aber sagte zu Lautsch: »Wir drei, Lautsch, Silberheitel und ich, wir fressen im Gedränge!«

Eine tiefe Stille herrschte ringsum. Die Natur feierte ein bewunderndes Schweigen, nur aus den nahen Bergen tönte ein Echo, das Zusammenknacken der arbeitenden Zähne, zurück; den Gelsen blieb das Maul vor Erstauuen offen, und eine Wolke, die abendwärts zog, donnerte links, als wollte sie den Göttern verkünden, daß die heiligen Tiere mit Begierde ihr Futter picken! – Keine Silbe entfloh unsern Lippen: »Das Schweigen ist der Gott der Essenden!«

Indessen kletterten die zwei kleinen Graupenschieber auf mir herum und legten auf meinen Schultern ein Depot von abgenagten Beinen an, während sie meine weiße Pantalon mit Butter, Gras und Bier kolorierten. Dabei legten sie auf der einen Seite im Grase einen Bierkanal zwischen Lautsch und Alwine und auf der andern Seite, zwischen mir und Rogenbrösel, eine Butterbahn an und rutschten weidlich auf diesen zwei neuen Erfindungen zum Nachteil der Pferde und zum Vorteil der Ochsen herum.

Rogenbrösels Tochter ging von einem Dichter zum andern über, nachdem sie den Schlegel bis ans Ende durchgemacht hatte, warf sie ihre einnehmende Zärtlichkeit wieder auf mich; sie hatte noch einen Gänseflügel in der Hand, es zog mich magisch zu ihr hin, und ich sang:

»O hätt' ich Flügel!« u.s.w.

Sie wurde immer freundlicher, und ich beschloß, ihr ein Liebesbutterbrot zu schreiben. – Ich strich auf eine ungeheure Brotscheibe die Butter ganz dick auf und schrieb mit meinem Zahnstocher auf dieses neue Papier.

Dabei fiel mir ein, daß es gar nicht übel wäre, wenn ich meinen »Humoristen« auf Butter redigierte und herausgäbe!

Der Leser brauchte nur zu dem Blatte zu riechen, um zu wissen, ob die Artikel frisch sind! Und dann, wären auch die Artikel schlecht, so könnte man doch das Blatt selbst genießen! Wie herrlich wäre ein solches Butterblatt! Das neue Jahr eines solchen Blattes wäre der Mai, wenn die Maibutter beginnt! Dann würde ich ankündigen:

»An die Bewohner von Weidlingambach!
»Frischer, schmalzblümerlgelber, mandelkernfester Maibutter-Humorist!

»Der erste Mai wird gefeiert! Er ist ein Festtag, ein Feisttag! Alle Wiesen werden neu begrünt, alle Kühe werden durch neuen Naturstoff anziehend gemacht!« Die Deckel fliegen von den Melknäpfen! Die Riegel werden von den Ställen zurückgeschoben! Die Butterfässer erhalten neue, glänzende Mitarbeiter! Es ist ein rührender Anblick!

»Der Humorist, der schon seit 25 Wochen Butter geliefert, liefert Butter wie keine Butter, Butter, wie man sie weder in Hochroterden und im roten Stadel hat, Butter wie Öl, Butter wie Balsam, Butter wie Ananas! Meine Kühe, die meine Butter liefern, sind keine gewöhnlichen Kühe, es sind eigene Kühe, es sind Kühe von Edukation! Meine Kühe geben das ganze Jahr Maibutter, Maibutter mitten im Winter!

»Meine Kühe sind Abkömmlinge von Pharaos sieben magern Kühen, welche die fetten verschlangen! Meine Kühe geben Butter, die nicht nur Butter, sondern zugleich auch Topfen und zugleich auch Käse ist! Meine Kühe, echt vaterländische Weidlingambacher Kühe, liefern auch Schweizerkäse, Chesterkäse, Parmesan, Emmenthaler, Groner, Primsen und Quargel! Von solchen Kühen stammt meine Butter, stammt mein Blatt! Also pränumeriert! Wenn ihr auf siebenzig Jahr Butterhumoristen voraus pränumeriert, so geb' ich euch im einundsiebenzigsten Jahrgang die Butter ganz umsonst! Wer auf 25 Jahrgänge pränumeriert, bekommt alle Butter, die ich noch von 6 Monaten übrighabe. Sie riecht zwar gewaltig übel, allein einem geschenkten Gaul u.s.w. u.s.w.«

Indem ich so darüber nachdachte, hatte Rogenbrösel schon meinen ersten Butterbrotliebesbrief im buchstäblichen Sinne ganz verschlungen! Ich schnitt ein zweites Stück Brot zu einem Billet-doux, strich fingerdick die Butter darauf und schrieb wieder.

Ich schrieb also auf das Butterbrot:

»Rogenbrösel meines Herzens!

»Klopstock sagt in Schillers ›Rinaldo Rinaldini‹: ›Geht den Frauen zart entgegen!‹ – Kann man zarter entgegenkommen als mit einem Briefchen auf Butter? Lieb Herz, sei weich wie sie, ich bin die Brotwissenschaft, sei du die Butter auf meiner Lebensbahn! u.s.w.«

Der kleine Graupenschieber war der Postillon d amour, allein, was geschieht? Auf dem Wege leckte er den Liebesbrief ab und brachte der Rogenbrösel leeres Brot!

Während wir uns so unterhielten, machte Herr Graupenschieber Anstalt, die musikalische Akademie zu eröffnen. – Er stimmte seine Geige und Lautsch seine Klarinette, auch Alwine packte ihre Violine aus.

Es stand mir ein Hochgenuß bevor. Indessen hatten sich alle Gelsen der Umgegend versammelt, und wir waren in einer summenden und surrenden Gelsenwolke eingeschlossen. Frau Rogenbrösel hatte auf dem Gesicht und auf den Schultern von den Gelsenstichen eine ganze Kette von roten Rosenhügeln, und Blauhappel war beschäftigt, diese Gelsenbeulen mit Bier zu waschen. Die junge Rogenbrösel forderte mich auf, sie völlig mit grünen Blättern und Zweigen zu behängen, so wie die Kutscher es mit den Pferden zu thun pflegen. Ich pflasterte die auch mit aller Aufmerksamkeit der Liebe mit grünen Blättern, die ich erst alle mit den Bierneigen anfeuchtete. Mamsell Silberheitel war die einzige, welche in offenen Kampf mit den Gelsen trat. Sie fuhr, eine zweite Johanna d'Arc, in die Feinde hinein, sie fing einzelne auf, sie jagte sie in Scharen, sie war unermüdlich. Die jungen Graupenschiebers aber machten sich das Privatvergnügen, die fettesten und ansehnlichsten Gelsen lebendig zu fangen, sie ganz zart bei den Flügelenden anzufassen und sie ihrem Hofmeister, Herrn Lautsch, von rückwärts in den offenstehenden Rücken hineinspazieren zu lassen.

Ich aber versammelte die Gelsen um mich und redete sie folgendermaßen an:

»Verehrteste Gelsen! edle Mücken!
Schätzenswerteste Insekten!
Insonders weitverbreitetes Geschmeiß!«

»Was summt ihr mich an? Was brummt ihr mich an? Was stecht ihr? Was beißt ihr? Was macht ihr für ein Gesurre? Hat einer von euch eine elende Komödie geschrieben, die ich in ihrer ganzen Erbärmlichkeit enthüllte? Hat einer von euch schlecht Komödie gespielt, und ich habe es frei gesagt? Hat einer von euch einen miserablen Almanach herausgegeben, und ich habe gesagt, er ist miserabel? Hat einer von euch sonst ein schlechtes Buch geschrieben, und ich hab' es lächerlich gemacht? Ist einer unter euch?

»If any, speak, for him have I offended!«
So sprecht! »I pause for a reply.«

»Also Gelsen, Countrymen and Lovers! hear me for my cause; and be silent that you may hear.

»Also, edle Gelsen, schämt euch, daß ihr euch zusammengelset wie eine Rotte und surrt und summt, ihr macht euch lächerlich! Hochgeschätzte Gelsen, kämpft mit gleichen Waffen, ergreifet die Feder und schreibt gegen mich, so handelt ein Edelmann! Es trete eine heraus von euch, ihr Gelsen, ihr Neinlichen, verleumderischen Summer, ihr Wirtshaus- und Kaffeehausinsekten, summt nicht so erbärmlich, sondern schreibt. Ist keine Gelse unter euch, die schreiben kann?

»If there be any in this assembly, to him I speak!«

»O Gelsen, Gelsen, wann werdet ihr anfangen, vernünftige, ordentliche Menschen zu werden?! O, man kann als Gelse auch seinen Platz ausfüllen, aber man muß als Gelse keinen Schnabel wie ein Adler machen!

»Also noch einmal, werteste Mücken, schnurrt und surrt nicht, sondern schreibt, ehrlich, redlich, mit gleichen Waffen, thut nicht vornehm, denn ihr mögt euch aufblasen, wie ihr wollt, man weiß doch, ihr seid Mücken, Gelsen; eure Kunst besteht in meuchlerischen Stichen, in heimtückischem Gesurre und Geschnurre.« – Und die Gelsen surrten und schwirrten wie zuvor und wimmelten durcheinander.

Da trat eine Gelse heraus aus dem großen Haufen und forderte mich zu einem litterarischen Zweikampf auf. Ich ging ihn ein, mit der Voraussetzung, daß wir rein auf litterarischem und artistischem Fechtboden bleiben.

Die Gelsen zogen einen Kreis um uns, und der literarische Probestreit begann:

Ich: Ich finde, daß Ihr deutscher Stil sehr schwülstig ist und Ihre Bilder oft ins Lächerliche gehen, zum Beispiel u. s. w.

Die Gelse: O, Sie haben einen fuchsroten Schnurrbart! (Alle Gelsen jubeln: »Ha! die hat ihn gut abgefertigt!«)

Ich: Eine Kunstansicht muß gehörig motiviert sein, nicht flach und mit lauter Phrasen überhängt in die Welt hineingeschwatzt werden.

Die Gelse: Sie haben eine häßliche und widerliche Nase! (Alle Gelsen klatschen in die Hände: »Bravo! bravo! bravo! Mit der kommt er nicht auf!«)

Ich: Der Witz ist eine schöne Waffe, aber diese Waffe muß immer blank und rein sein, nie unsittlich, nie unflätig, denn ein gesitteter Mensch nimmt selbst eine Perle nicht aus dem Kehricht auf!

Die Gelse: Sie werden einmal eine Ohrfeige bekommen! (Alle Gelsen wiehern vor Gelächter: »Himmlisch! himmlisch! die trumpft ihn ab!«)

Ich: In den großen Ozean der Litteratur strömen viele kleine Bächlein, sie alle machen das Weltmeer; darum trachte auch das kleinste Bächlein, auf seinen kleinen Wogen irgend einen Widerstrahl der Kunst- und Schönheitssonne in dieses Weltmeer hineinzutragen und nicht bloß mit seinen Fluten die Schneid- und Sägemühlen der Klatschlitteratur zu treiben und zu ernähren u. s. w.

Die Gelse: Sie haben eine Physiognomie wie ein Aff'! Eine abscheuliche Visage! (Alle Gelsen sind entzückt, rufen: »Vivat! So muß eine Gelse reden! Vivat, Gelse!«)

Ich trat bescheiden zurück und bekannte mich überwunden!

»Mit Gelsen kämpfen Götter selbst vergebens!«

Die Gelsen alle freuten sich auch über den brillanten Witz, über den edlen Eifer, über die seine Grazie und über die echt ritterlich-litterarische Würdigkeit der siegreichen Gelse und führten sie im Triumph davon.

Während ich diese kleine Episode mit den Gelsen hatte, ging die musikalische Akademie vor sich.

Und sie geigten und er blies! Graupenschieber und Alwine geigten und Lautsch blies! Was sie gegeigt, und was er geblasen, das mögen die Weidlingambacher Gelsen wissen!

Alwine sagte zwar, es wäre ein »Drio samt Boberi« (Potpourri),ich glaube aber, es waren Variationen über das Thema:

»Mich zwickt's in den Gedärmen«,

für zwei Violinen und eine Klarinette komponiert. Graupenschieber besah eine Bogenführung zum Krampfkriegen! Er fuhr von einem Ende desselben bis ans andere Ende über die E-Saite, wie ein Schlittschuh, und brachte einen Ton heraus, einen Ton –

»O, könnt' ich ihn zu Gericht stellen, diesen Ton!«

Lieber Leser, hast du schon einmal eine lyrische Katze belauscht, wenn sie in einer romantischen Hundstagsnacht aus einer idyllischen Dachlücke die schmelzendsten Eingeweidetöne durch die erschrockenen Lüfte hinmiaut?

Liebe Leserin, hast du schon einmal eine wahnsinnige Messerspitze über die aufgeritzte Brust eines irdenen Tellers mit dem zerreißendsten Fistelklang hinkratzen gehört?

Alle diese Töne sind weiche, elegische, milde Mandelöltöne gegen die Muttersprache der Graupenschieberschen Geigen! Und als nun gar Lautsch in diese Töne hineinblies, wie der Wind einer geplatzten Hausenblase, als diese Klarinettentöne sich mit diesen Geigentönen vermischten, wie Hundegeheul mit Eulengekreisch, da, da, da wünschte ich, ein Caligula in anderer Manier, der ganzen Menschheit nur ein Ohr, ein einziges Ohr, um das alles mit anzuhören!

Aber gleich nach der Wonne, diese Künstler gehört zu haben, kommt sogleich das Entzücken, sie gesehen zu haben.

Graupenschieber père kämpfte, während er spielte, zugleich mit einer Gelse, die sich auf seine Nase setzte; er fuhr immer mit dem Bogen nach der Nase, um diese Ansiedlerin auf dem Berge zu vertreiben, und sie setzte sich immer wieder hin. Graupenschieber spielte also nicht nur Violine, sondern man konnte auch sagen: »Er spielte Nase!« – Neben ihm saß Graupenschieber fille und frottierte die Violine. Alwine war so mager, daß man fast nur die Violine sah, und in einiger Entfernung glaubte man, die Violine spiele sich von selbst. Sie hatte eine besondere Passion, in der Applikatur zu spielen, und ihre Finger fuhren wie die soliden Zahnstocher auf den Saiten herum. – An Alwinens Mundwinkeln hing noch ein nachgelassenes Fragment von einem Butterbrot, um welches sich ein ganzer Schwärm von Verlegergelsen versammelte. Sie suchte diese zudringlichen Gäste durch Zucken mit den Lippen und mit dem Munde zu verjagen und schnitt solche Gesichter und Grimassen, daß eine Gelse sich wirklich davonmachte, um sich, wie sie sagte, nicht zu versehen. – Am komischsten sah Lautsch aus, wenn er blies. Sein Näschen, das ohnehin wie ein I-Tüpfelchen über seinem Munde stand, zog sich, wenn er die Backen zum Blasen voll nahm, ganz bescheiden bis in die innerste Schlucht dieser Backen zurück und wurde nur wieder, wenn er den Wind aus den Nacken ausließ, auf einen Augenblick, wie ein auftauchendes Wasserveilchen, sichtbar. – Die ganze Gesellschaft lag im Grase und streckte lauschend, wie die Laubfrösche, die Köpfe in die Höhe. Madame Graupenschieber konnte die Virtuosität ihres Mannes nicht genug bewundern, und sie sagte zu der Frau Rogenbrösel: »Mein Mann hat gar keinen Meister gehabt, er hat das alles aus sich selber gelernt, alles aus dem Grammaire!« – »Ja!« erwiderte Frau Rogenbrösel, »der Künstler muß einem von Mutterleib aus kommen, ich sag' immer: nur natural, nur natural!« – »Und«, fuhr Madame Graupenschieber fort, »meine Alwine ist g'rad auch so kein' Idee von Talent, bloß Scheine, Schenie!«

Rogenbrösel Tochter war indessen auf meiner Schulter selig entschlummert, sie mußte träumen, sanft und wonnig träumen, denn sie schnarchte fürchterlich! Ich glaubte, es spiele in ihrer Kehle ein Lautsch die Klarinette!

O Leser, »hast du die Liebe nie schnarchen gehört, nie hast du die Liebe gehört!«

Sie schnarchte an meinem Herzen, als hätte sie mein Herz zur lebenslänglichen Kammerschnarcherin ernannt.

Während mich Rogenbrösel auf der einen Seite mit den geheimsten Gedanken ihrer Seele anschnarchte, wand sich Fräulein Silberheitel durch das Gras zu mir heran wie eine Eidechse, um mir ihre Gefühle mitzunäseln: »Ah, ma bonne, comme Lautsch souffle la clarinette!«»Ah, oui«, erwiderte ich und sah dabei auf die schnarchende Rogenbrösel, »quelle souffleuse!«

Indessen war in Blauhappels Brust die Eifersucht entbrannt, er schob sich zu mir heran und fragte: »Wissen Sie, daß Mamsell Rogenbrösel meine Zukünftige ist?« Dabei streckte er mir die Hand wie fünf gespitzte Bleistifte entgegen.

»Wie?« sagte ich, »diese Gegenwärtige ist Ihre Zukünftige?«

»Ja«, sagte er, »und wenn sie schlummern will, so kann sie an meinem Herzen schlummern!«

»Wie?« fuhr ich auf, »an Ihrem Herzen soll sie schlummern, und an meinem Herzen soll sie schnarchen? – Wo der Mensch schlummert, da soll er auch schnarchen; folglich, wo der Mensch schnarcht, da soll er auch schlummern!«

Die Silberheitel näselte mir ins Ohr: »Oh, ma bonne, Mr. Blauhappel est très jalousie à la Rogenbrösel!«

Ich rüttelte die Rogenbrösel auf wie einen Federsack; als sich nach und nach ihr Schnarchen in ein leises Murmeln und endlich ganz verlor und sie die Äuglein aufschlug, sagte ich ihr: »Fräulein Rogenbrösel, es ist nicht jeder Sterblichen gegönnt, an dem Herzen eines großen Dichters, ich meine: an dem großen Herzen eines Dichters zu schnarchen.«

»Du hast geschnarcht, dein Lohn ist abgetragen!« und damit lehnte ich sie an Blauhappels Schultern, der unter dieser Last zusammenbrach und ins Gras hinsank.

Die Nacht brach indessen ein; der Familienwagen nahte sich durch das Dunkel wie eine ungeheure, ahnungsreiche Zukunft; wir alle rafften uns und die leeren Körbe auf und zogen paarweise in die Arche ein. Ich aber machte mich in der Dämmerung wieder an Fraulein Rogenbrösel an und bat sie, sich zu mir in den Hintergrund des Wagens zu setzen; denn, dachte ich: »Wer weiß, was in des Wagens Hintergründe schlummert!« Auf der andern Seite applizierte sich die Silberheitel zu mir; der Wagen setzte sich in Bewegung, und wir traten den großen Rückzug an! Noch vor Nußdorf ergab sich Fräulein Rogenbrösel der süßen Gewohnheit des Schnarchens hin, so daß Graupenschieber sagte: »In Nußdorf donnert es schon!« und ich sagte, wie Pitt im Unterhause: »Gut, Ihr ruft den Donner auf mein Haupt herab, so soll es für mich donnern!« Fräulein Silberheitel lehnte sich an meine Seite schmachtend an, wie ein umgesunkenes Lineal, und lispelte, in Schwärmerei aufgelöst, indem sie mir die Hand drückte und in den Mond hineinsah: »J'aime la chandelle de la luna, vous pas?« – Mir fiel Odry ein:

»A la clair de la lune
Je tombai dans un trou
Quil est doux pour sa brune
De casser le cou!«

Endlich gelangten wir bei dem Hotel Graupenschiebers an; ich machte ein französisches Kompliment und hörte nur noch, wie Graupenschieber der Rogenbrösel noch eine zweite Partie in das Gras bei Purkersdorf vorschlug. Guten Appetit!


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