Moritz Gottlieb Saphir
Album geselliger Thorheiten
Moritz Gottlieb Saphir

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der deutsche Litteraturwald.

Der Wald ist dick, der Wald ist groß,
Er hegt gar viel in seinem Schoß,
In seinen großen Räumen
Von Tieren und von Bäumen,
Von Vögeln und Gesträuchen,
Nur wenig Löw'n und Eichen!

Im Walde wird gar viel gebrummt,
Im Walde wird gar viel gesummt,
Von Ästen und von Zweigen
Will alles laut sich zeigen,
Und mindestens dünkt jeder
So hoch sich wie die Zeder!

Es rauscht und braust und wird nicht matt,
Es rauscht im Stamm, es rauscht im Blatt.
Ein jedes Sträuchlein flüstert,
Wenn's hell ist und wenn's düstert,
Und glaubt, in seinem Dichten
Sei herrlich es wie Fichten.

Das Moos, das an dem Boden kreucht,
Mit dünnem Sang den Wald durchkreucht,
Singt lyrisch und pathetisch,
Und episch und auch ethisch,
Und zählt sich zu den Mannen,
Gewachsen wie die Tannen!

Sein Haupt erhebt der schlaffe Schwamm,
Den Mund nimmt voll er aus dem Schlamm,
Singt Lieder und Sonette
Mit Riedgras um die Wette,
Und glaubt, er dufte Grazie,
Wie morgens die Akazie.

Das Schilf seufzt ohne Unterlaß,
Das Auge hat's vom Regen naß,
Es hüstelt von Empfindung,
Von Schmerz und Herzentbindung
Und wagt es, sich zu messen
Mit klagenden Cypressen.

Der Haselstrauch ereifert sich
Und krümmt sich gar erbärmlich,
Und speit aus Mund und Nasen
Die windgefüllten Phrasen,
Um sich hinauf zu winden
Zum Gipfel schlanker Linden!

Der Ampfer sieht gar sauer drein,
Er möcht' gar gern empfindsam sein,
Er singet unablässig
Von seinem Liebesessig,
Von Tau und Thränenperlen,
Als war' er Fürst der Erlen!

Der Brombeer predigt gar Moral,
Direkt wächst sie im Himmelssaal,
Sie will mit weisen Lehren
Die Welt ringsum beehren,
Möcht' sich in Würde kleiden,
Wie graues Haupt der Weiden!

Das Holz mit faulem Angesicht,
Es dünket sich ein echtes Licht,
Weil immer, wenn es dunkelt,
Sein fauler Leib erfunkelt,
Will es empor sich qualmen
Zum Glanze edler Palmen!

Und schweigt das Moos- und Pilzgeschlecht,
Dann hört man erst die Bestien recht,
Es singen, dichten, blasen
Die Dachse, Biber, Hasen,
Es singen ohn' Ermatten
Die Mäuse und die Ratten!

Das Wiesel schreibt die Epopö',
Der Bock besinget Lieb' und Eh',
Der Hamster schreibt satirisch,
Der Iltis wird gar lyrisch,
Der Maulwurf, sonst so mystisch,
Wird plötzlich humoristisch.

Und ist auch dies Geschrei verpufft,
Dann fängt es an aus heiler Luft,
Es schweigt nun auch nicht länger
Das wilde Heer der Sänger;
Es stimmen ihre Leier
Der Gimpel und der Geier!

Der Kuckuck singt: »Ich bin! ich bin!«
Der Kiebitz singt, die Kiebitzin,
Der Spatz dann à la Heine
Singt: »Süße Spätzin meine!«
Und Rab' mit heis'rer Kehle
Bespöttelt Philomele!

Drum weil's so ist, und weil's so war,
Sind in dem Wald die Eichen rar,
Drum lassen sie sich suchen,
Die Zedern, Palmen, Buchen,
Weil sie nicht gern gedeihen,
Wo Pilze stehn in Reihen!

Drum weil's so war, und weil's so ist,
Die Nachtigall verstummt zur Frist,
Drum werden auch stets rarer
Die Lerchen und Kanarer,
Weil sie nicht wollen weilen,
Wo Bär und Uhu heulen!


 << zurück weiter >>