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München, am 1. Februar
Herrin:
Entschwunden? Gänzlich verschwunden? Allerdings, ich erinnere mich: wir hatten beschlossen, die flüchtige Zartheit unsrer Berührung so falterhaft sein zu lassen, wie sie war; ihr nicht die Bleigewichte von Briefen anzuhängen und so weiter, Sie wissen schon. Aber – was alles beschließt nicht der Mensch! Es ist groß zu verzichten für den Reichen, aber nun bin ich verarmt und so einsam wie der letzte Wolf in Polen. Groß ist auch Einsamkeit, wo sie ganz ist und echt; ich aber bin niemals allein, – Sie kennen mein hiesiges Dasein, das nicht den Namen Leben verdient. Leben Sie? In dem Rohrdommelnest Beuglenburg zwischen den ewigen Mooren? Dann gewähren Sie mir ein gnädiges Zeichen!
Ihrer Huld mich empfehlend, gebeugt, ehrfürchtig
der Ihre
Georg Trassenberg
Beuglenburg, am Amtsgericht 2
Lieber Prinz!
Bin ich Ihnen aufrichtig genug, wenn ich sage, daß Ihre Zeilen mich sehr gerührt haben? Wie recht Sie haben! Wir beschließen so Vieles im Glück und können später noch froh sein, daß Beschlüsse keine Taten sind und sich zurücknehmen lassen. Ach, armer Georg, Sie rufen nach mir wie ein Schiff in Seenot nach dem Ufer – alles las ich zwischen den Zeilen! – aber bin ich denn am Lande? Taten, die sich nicht rückgängig machen lassen usw., und ich könnte Sie selber zitieren: »Sie kennen mein hiesiges Dasein ...« Aber nun bin ich nicht ganz aufrichtig, denn ich habe erstens den besten Mann von der Welt und zweitens ein süßes kleines Geschöpf, das Sie kennen, und mit der sich, wie Sie wissen, nicht konkurrieren läßt. Oder wagen Sies? Prinz, ich warne Sie!! Also hier haben Sie einen Brief! Freuen Sie sich? Dann sagen Sies Ihrer Sie vielmals grüßenden
Cora Bogner
10. Februar
Verehrungswürdige:
Mon verre est petit, mais je bois dans mon verre heißt auf Deutsch: Ihr Brief ist klein, aber ich trinke aus Ihrem Brief! Nämlich so wie der berühmte heiße Stein den Tropfen: völlig aufgesogen! Und nun bitte: mehr! Meine Verzweiflung ist am Siedepunkt. Wozu davon reden. Erleichterung, die ich für Augenblicke in dem mit Recht so beliebten Spiel der Takte und Reime fand, ging so geschwinde vorüber wie ein Falterschatten. Schatten eines Falters, von dessen Flügeldecken Ihr Augenpaar glänzte wie das des Pfauenauges. Was kanns Ihnen bedeuten?
Wobei Ihr großer Schwager mir einfällt, von dessen Bild ich Ihnen erzählte. Soll ich ihm eigentlich schreiben, daß er Sie besucht, wenn er Trassenberg verläßt? Wir kamen damals darüberhin. Wie ich ihn kenne, kann ich mir nicht denken, daß er dem Ansinnen, zu seinen Eltern zu gehen, Widerstand leisten würde, zumal wenn Sie ihn bezauberten wie mich.
Übrigens haben wir jetzt hier Karneval, ich bin jede dritte Nacht in einen andern Domino verliebt – o süßer Dunst, der sich manchmal im Morgengraun phantastisch zu Versen kristallisiert wie der Niederschlag der Ofenwärme an der Fensterscheibe, Lilien und Palmen! – aber im ganzen bin ich wohl zu norddeutsch schwer und treibe in der alkoholischen Flut wie ein Stück eisenbeschlagenes Holz, zu schwer zum Schwimmen, zu leicht zum Versinken, ein Holzklotz in Seenot, überhören Sie seinen Anruf! Mann und Kind und geliebt, Sie sind glücklich, was wollen Sie mehr? Sie haben Wärme, ich Hitze, Sie Licht, ich das Dunkel. Ich will versuchen, zu träumen. Sommerwiesen und ein goldenes Pfauenauge, – seien Sie gnädiger dem Träumenden, als Sie es dem Wachenden sein dürfen, eheu!
Trübsinnig
Trassenberg
Euer Liebden!
Sehr behaglich, obwohl verrenkten Fußes, sitze ich in meinem Sofa und schreibe Ihnen einen Gruß. Mein Kind Susanne versucht eifrigst, mich daran zu hindern, indem es mir den Bleistift aus der Hand reißt, ich muß sie mit Klapsen abwehren wie eine Brummfliege – da, jetzt wieder! Entschuldigen Sie den Krakel, den es gegeben hat!
Da ich im übrigen annehme, daß Sie ein Mann und gesonnen sind, das Übel wie ein solcher zu tragen, interessiert mich in Ihrem Brief vor allem das geheimnisvolle Pfauenauge aus Takten und Reimen. Warum lassen Sie es nicht her zu mir flattern? Ach, Sie wollen nur, daß ich darum bitte, aber – herrje! Diesmal kam der Klaps zu scharf, und es hat Tränen gesetzt. Die Spuren finden Sie auf dem Papier, – daß Sie nicht etwa glauben, sie wären von mir! O Himmel, da habe ich ja auch gereimt! Ist es immer so leicht? Aber ich höre nun doch lieber auf und grüße Sie!
Leichtsinnig
Cora B.
Altenrepen, Güntherstr. 5, 19. Februar
Mein lieber Georg!
Wir saßen am Kaminfeuer, den Nachmittag und den ganzen Abend. Es war, als säßen wir in einer kleinen, feurig rot erleuchteten Höhle in dem finstern Berg der großen Halle, die wieder in der großen Dunkelheit lag, die draußen ist, und es war schauerlich behaglich! Renate las ihrem Onkel und mir und Josefs – ihr Vetter! – Kater – groß und gelb saß er mit steifen, grüngelben Augen dicht vor den Flammen, und sein dicker, buschiger Angoraschweif stand wie eine Straußfeder hinter seinem Rücken – ihren geliebten Hoffmann vor, den ›goldenen Topf‹, der so wunderbar gruselig ist! – Aber ich mußte immer an Helenenruh denken, an die langen, einsamen Nachmittage nach Mutters Tode, und dann an die Weihnachtsferien einmal, wo Ihr alle da waret, und Deiner Mutter ging es so gut damals, daß sie uns Geschichten erzählte, weißt Du das noch? Wie alt mögen wir damals gewesen sein? Wir waren Kinder jedenfalls, und es ist schrecklich, o schrecklich lange her!
Der Winter dauert auch so endlos lange, und ich kann mir kaum vorstellen, daß einmal Sommer werden wird, wenn ich an den letzten denke. Soviel, soviel ist geschehen inzwischen, das ich vergessen habe, nur daß es furchtbar war, das habe ich behalten, und noch schaudert mich oft, wenn ich daran denke.
Oft denke ich an Dich, und was Du wohl für ein Leben haben magst, das glaub mir nur, wenn ich auch Dein liebes Weihnachtstelegramm nicht beantwortet habe. Ich weiß nicht einmal, wie ich dazu komme, Dir heut zu schreiben, aber auf einmal hatte ich die Feder in der Hand, und nun stehn da schon viele Worte.
Bald bin ich nun schon sieben Wochen bei meiner Freundin Renate; ich fürchte mich ein wenig vor Helenenruh, und da ich Papa kenne, so weiß ich, daß er mich nicht vermißt, wenn er mich immer wieder ermahnt, hier zu bleiben. Ich habe auch meine Stimme prüfen lassen und seit einiger Zeit Unterricht. Sie soll sehr schön sein, – ja, ich wundere mich manchmal selbst über ihren Klang, so tief und stark ist er – Alt, weißt Du –, als wäre gar nicht ich das, die da singt, denn es klingt traurig, und ich bin eigentlich immer vergnügt. Wir machen den halben Tag Musik; Renate, mußt Du wissen, hat eine Orgel, eine richtige, in einer richtigen kleinen Kapelle, die im Garten steht, und es ist so wunderbar, in der dunklen Kälte draußen zu stehn, wenn die drei hohen gotischen Fenster milde gelblich leuchten, und drinnen das seltsame Brausen umgeht, als wäre eine dunkle, summende Geisterversammlung dort, und tönende, lichte Engel gingen umher und verteilten köstliche Speise. Die meiste übrige Zeit verbringen wir bei der Schneiderin, denn ich brauche eine Unmenge Sachen, und immer giebt es Zank mit der Schneiderin wegen der allzu engen Röcke, die sie einem am liebsten um die Füße zusammenschnürte. Da giebts viel Gelächter, und das kann ich wohl brauchen.
Jason al Manach, denke Dir, ist noch immer in Helenenruh. Papa hat ihn sogar aufgefordert, ins Verwalterhaus zu übersiedeln, und er läßt sich ja alles gefallen. Papa schreibt, er wäre ja totsicher verrückt, aber es wäre eine angenehme Art – er erzählt nämlich immerzu Geschichten, – ach, Du weißt ja von alledem nichts, aber wenn ich anfange zu erzählen, dann ist es soviel, und tausend schwere Dinge stehn wieder auf, so daß ich lieber still schweige.
Hast Du Maler Bogner gesprochen? Hast Du seine Bilder gesehn? Vor einigen Tagen kam meines; es ist so wunderbar, daß ichs gar nicht begreifen kann. Ich bins ja nicht, die er da gemalt hat, obgleich es mein Gesicht ist. Du wirst es selber sehn, denn ich muß es ihm zurückschicken, weil er es kopieren will.
Nun leb wohl, lieber Georg! Viel liebe Grüße von Deiner
Anna
München, Schwabenkorpshaus, Aschermittwoch
Liebe Anna:
Es steht eine heilige Wand in dieser Stadt, eine heilige, selig machende, sündenvergebende Wand. Ein Haus ist um sie gebaut mit andern, ähnlichen Wänden, aber keine von ihnen hat die Kraft der einen, – man nennts: alte Pinakothek. Vier Bilder sind an ihr zu sehn, zwischen denen Auge und Seele schwankt und, von einem Entzücken ins andre stürzend, nicht weiß wohin vor grenzenloser Wonne. Die Madonna im Rosenhag von Francesco Francia ist das erste rechter Hand; daneben das zweite ist Raffaels heilige Familie (aus dem Hause Canigiani); das dritte ist Peruginos heilige Jungfrau, das Christkind verehrend, zwischen dem Evangelisten Johannes und St. Nikolaus – alle drei stehen –; und das vierte linkerhand ist Peruginos Madonna, die dem heiligen Bernhard erscheint. Das ist der vierarmige Leuchter der dreieinigen Gottheit: Schönheit, Frömmigkeit, Reinheit. Da erlischt die Welt, ganz leer wird das Herz, die Zeit steht still, der Geist Gottes schwebt über den Tiefen. Wenn ich nur daran zurückdenke, jetzt, jederzeit, zittert mir das Herz.
Raffael sah ich zuerst, damals als ich kam vor Monaten, vom weiten schon, und erschrak, noch ohne zu wissen, was ich sah, so sehr, daß meine Augen wegirrten. Da trafen sie auf Peruginos Madonna zwischen den Heiligen. Mir stand das Herz still. Ich weiß nicht, wie lange ich hinsah; schließlich merkte ich, daß ich schon lange das Bild von Francia betrachtete. Nun begriff ich nichts mehr; es war, als ob, wohin ich die Augen wandte, immer der eine Gott vor mir stünde, unweigerlich, allgegenwärtig. Und da mußte ich die Madonna sehn, wie sie dem heiligen Bernhard erscheint. Da lächelte derselbe ernste Gott, und ich wußte: er ist unendlich.
Ich saß dann still vor der heiligen Wand, und auf einmal merkte ich, daß ich an Dich dachte. Ich kann Dir die Bilder leider nicht beschreiben, vielleicht aber bekomme ich eine gute Nachbildung des Bernhardbildes, denn an Dich erinnerte mich die Madonna, was Du freilich nicht wirst begreifen wollen, weil sie dunkel ist, bräunlich wie alle Madonnen und Heiligen Peruginos (es war immer das gleiche Mädchen, das er malte), und doch mußte ich an Dich denken.
Ach, ich muß noch mehr von den Bildern reden. Von den andern ist mir wohl der zweite Perugino der liebste, vielleicht deshalb, weil es ein unglückliches Bild ist. Wie die Figuren äußerlich unverbunden nebeneinander stehn, so haben sie auch jeder ein eigenes inneres Leben, jeder für sich, und es klafft da etwas, besonders wenn man Raffaels, wie immer in ein Dreieck komponierte heilige Familie daneben sieht, in der eine so unsagbar liebevolle Einigkeit von Zueinanderbeugen und Ineinanderschmelzen vor sich geht, daß es wie der sanfteste Wirbel ist, der in die tiefste Andacht hinunterzieht.
Nein, nun nichts mehr von den andern Wunderdingen in diesem Hause, nichts von Dürers Selbstbildnis, nichts von seiner Beweinung Christi, dieser Glorie seliger Farben um die Leichenfarbe des Gekreuzigten, nichts von der Madonna Tempi, von der andern Peruginos, von der Francias, von Altdorfers Geburt Mariä – Kircheninneres mit einem mächtigen, um drei Pfeiler geschwungenen, dunkelfarbenen Engelskranz –, von Sebastiano del Piombo, von Stefan Lochner und Dierick Bouts, von den alten deutschen Meistern, von Rembrandt und Ruysdael, Pacchia und Holbein, – denn in einer Stunde geht mein Zug nach Wien.
Nämlich Aschermittwoch ist heute, – o glückliche Seele, die nicht ahnt, wag das bedeutet! Und als ich, ein wenig getröstet, aus der Pinakothek heimkam, so lag Dein Brief auf dem Tisch, und da: konnte ich einfach nicht mehr, beschloß auszureißen, erinnerte mich Giorgiones in Wien und fahre kurzerhand dorthin. Warum solche Verzweiflung? Ach, das erzähle ich Dir vielleicht mündlich, es lohnt sich nicht, davon zu schreiben, und in zwei Monaten hats ja ein Ende. Du hast wohl gehört, daß ich aktiv geworden bin. Nun, das ist alles. Falls Dir zufällig ein – literarisch unbeschreibliches – Buch namens ›Hellmut Harringa‹ in die Finger geraten sollte, so wirst Du darin die Beschreibung einer Kneipszene finden, die Dir genug sagen wird.
Lebe wohl, ich schreibe bald wieder! Hab tausend Dank, daß Du schriebst, ich bin heilig froh, daß es Dir nun gut geht! Nichts von mir! ich wußte Dir nicht besser zu danken, als daß ich Dir von den Bildern schrieb. Von Herzen Dein
Georg
Ja, noch etwas in Eile. Du erinnerst Dich an Pragers, bei denen ich wohnte, und an meinen Schulkameraden Benno, den Komponisten. Sein Vater hat es tatsächlich fertigbekommen, den armen Jungen in eine Bank zu stecken, da er zu keinem Studium Neigung hatte, und das der Musik verbot der Alte. Nun sitzt er unglücklich und allein in Altenrepen, und da ich höre, daß Ihr viel musiziert, so möchte ich Dich und Deine Freundin bitten, ihn bei sich aufzunehmen. Ich schreibe ihm sofort, daß er Besuch machen soll. Er ist das schüchternste, gütigste, reinste Wesen von der Welt, zum Sterben menschenängstlich, aber wenn man ihn zwingt, so giebt er nach, es ist ihm nicht gegeben, zu widerstehn, er würde dem Teufel aus reinem Mitleid mit seiner Teuflischkeit seine Seele schenken. Sei gut zu ihm, als ob ich es wäre! Ich und auch Papa haben ihn vergebens halb tot geschlagen, daß er seiner Wege geht und auf Papas Kosten Musik studiert, aber seine Mutter ist krank, eine armselige, törichte Frau, und solange sie lebt, will er nicht gegen ihren Willen handeln. Hab tausend Dank!
G.
Wien, abends am 22. Februar
Natürlich! da habe ich in der Hast der Abreise richtig vergessen, den Brief in den Kasten zu werfen, und nun ist er mit nach Wien gekommen. Mir nicht ganz unlieb, denn nun kann ich Dir zum Triumph Peruginos noch den Triumph Giorgiones hinzufügen, und zwar in spannendster Steigerung über Tizian, van Dyck, Velasquez, Moretto und Breughel (!!!).
Du fragst gewiß, warum ich nicht lieber nach Altenrepen gekommen bin, aber siehst Du, Kind, von den abscheulichen Dingen, mit denen ich zurzeit belastet bin, wird am besten geschwiegen, denn all das ist meine eigene Schuld, und am besten beißt man die Zähne zusammen und lauert aufs Ende. Dann hat man eher ein Recht, es sich auch von der Seele zu reden, nachdem man es schon heruntergehoben hat.
Nichts von dieser Stadt. Von ihr läßt sich alle Tage reden. Das Ewige dagegen bleibt immer unwahrscheinlich, man muß ihm Hymnen wie Ketten und Netze überwerfen, um es zu halten, um es zu glauben. Nur in unsern Gebeten leben die heiligen Dinge, nur in der heiligen Handlung wird das Brot Gottesleib. Nur wenn ich fühle, atmet der Gott, der um mich ist.
Und doch, wie ich nun anfangen will, – was kann ich sagen? Soll ich wieder aufzählen: Catena und Lorenzo Lotto, Amberger und Memling? Rubens, den ich nicht leiden konnte, überwältigt vollkommen mit leuchtenden Massen von Gliedern, – o Venusfeier! O unsagbare Hand des Prinzen Ruprecht, gemalt von van Dyck! D heilige Justina Morettos da Brescia! Ach, es ist noch schlimmer als in München: man sinkt nicht mehr in die Knie, man geht, man schleicht mit gedemütigten Knien durch die Säle und wagt nicht, sich aufzurichten. Unbeschreiblicher Breughel! Das sind gar keine Bilder, das sind – oh – Unwahrscheinlichkeiten! Justina wäre der Inbegriff – ihre Haltung verzaubert! – wenn nicht – –
Ja, wenn nicht das Wunder da wäre, das Unfaßliche, der innerste Inbegriff, das Überallemaßen, Natur und doch mehr als Natur, das Letzte, wo Bewunderung, Staunen, Ehrfurcht, Liebe einfach – abprallen, nichts mehr gelten, weil nichts mehr reicht; das man einfach zu empfangen hat, wie Baum und Berg, Himmel und Tau im Gras – – – Giorgione.
Klingt denn Dir auch schon der Name so geheimnisvoll, so riesenhaft und feierlich? Giorgione. Giorgione! Michelangelo klingt bloß üppig daneben. Das Bild heißt ›die drei Magier‹; mir scheinen es ein Feldmesser, ein Kaufmann und ein Astronom zu sein, die sich irgendwie im Ausgang eines Waldes zusammengefunden haben. Einer sitzt und hat ein grünes Kleid an und weiße Ärmel; von den beiden Stehenden trägt einer einen violetten Kragen auf rotem Gewand; einer ist ein Greis, dessen Kleidfarbe ich vergaß; herum ist Wald, schwarzbraun, pelzig, im Hintergrund ists offen, liegt hinter seltsam verbogenen, braunschwarzen Bäumen eine Abendlandschaft. Das ist alles. Nein, es sind nicht Farben, es ist nicht Leinwand, es ist nicht gemalt, es ist – Magie, Herrgott, merkst Du nicht, wie mir alles versagt! Ich möchte stundenlang davon reden und finde die erbärmlichen Worte nicht. Als er das Bild machte, muß er alles, was sich darüber sagen läßt, versteckt haben; oder vielleicht hat ers hineingemalt, und dies ist das Geheimnis. Er muß den Pinsel in Gottesblut getaucht haben, in reinen Äther, in Essenz von Natur und Seligkeit, in den Teich in Elysium, in den Atem zweier Liebenden, in die Seele einer Staude Heliothrop, in die Nacht, in den Nachtwind. Und dann hat er damit gemalt, lieber Gott, gemalt!
Oh kein Wort weiter! Die Stunde, wo ich dies schrieb, soll stehn bleiben um mich und um Dich. Ich habe die Uhr abgestellt, die im Zimmer ist. Ich denke nicht an morgen. Ich sage Dir nicht lebewohl! Ich sage nur ganz leise Dank, daß ich dies mit Dir teilen durfte.
Georg
Schau, wir waren doch so traurig,
Und nun sind wir oft so froh.
Dieses Leben, hart und schaurig,
Quält uns doch nicht immer so.
Seit wir uns bei Namen nennen,
Ward auch vieles Andre hold,
Und die Herzen müssen brennen
Wieder still und wieder Gold.
Wenn das Lager spät die kranke
Stirne gar nicht kühlen will, –
Nur ein leuchtender Gedanke,
So wirds friedlich schon und still.
Was wir auch verloren haben,
Immer wieder kommts zurück,
In den Blicken, in den Gaben,
Und es heißt auch dieses Glück.
Georg
Wien, am 23. Februar
Im Leben der Liebe, teuerster Benno, giebt es Augenblicke von seltener Fragwürdigkeit, – wie zum Beispiel den, wenn die Geliebte in einem kurzen Hemde von seltsamer Birnenform dasteht, die seltsam gespaltene Hose wie einen Danaidensack vor sich offen hält, zuerst mit dem linken Bein hineintappt – bzw. mit dem rechten, je nach der Drehung ihres lieben Charakters – alsdann mit dem andern, hierauf das Ganze vorn hochzieht und mit einer seltsamen Gebärde hinter sich das Hemde hineinwischt ...
Erschrick nicht, mein Benno, dies ist eine Beobachtung und kein Kynismus. Frauen haben seltsame Obliegenheiten zu erfüllen. Ich würde aber ins Uferlose geraten, wollte ich fortfahren, da mir eben männliche Unterhosen einfallen, in denen man wie ein Peijaz aussieht. Du, Benno, wirst vorgeben, daß niemand da wäre, den Peijaz zu sehn, aber es könnte doch Feuer auskommen! Trage deshalb lieber wie ich kurze weiße Leinenhosen mit langen schwarzen Strümpfen! Gleichwohl war es nicht dies, was ich Dir mitzuteilen gedachte, vielmehr das folgende: Von meiner Freundin Anna Magdalena, genannt Magda Chalybäus, höre ich, daß sie sich seit einiger Zeit in Altenrepen bei einer Freundin aufhält. Damit Du sie kennen lernst, und besonders weil ich vermute, daß Du Deine Tage verbringst in künstlicher Igelform, mein altes liebes Lamm, das Du bist, wirst Du Dich – bei meiner Ungnade! – stracks mit Deinem schwarzen Examensgehrock bekleiden, Dich in die Güntherstraße 5 in Waldhausen begeben und nach meiner Freundin fragen. Du bist bereits gemeldet. Die Leute heißen Montfort, und Magdas Freundin soll eine musikalische Leuchte sein. Also! –
Womit von Rechts wegen der Zweck dieses Briefes erledigt wäre. –
Vorwurfslos, wie es die angeborene Christlichkeit Deiner Seele bedingt, hast Du mein langes Schweigen und die kargen Kartenrufe ertragen. Ohne Scherz, lieber Freund, mein eigenes Verhalten hat mich genugsam geschmerzt, und doch war es nicht zu ändern. Der alberne Schlamassel, in den ich hineingeriet, machte mich unwirsch im Anfang, setzte mir Zotteln an die Seele, die ich nicht abzuschlenkern verstand, und so ward aus Wochen und abermals Wochen bald ein halbes Jahr, ohne daß ich Dir gegenüber treten konnte, wie sichs ziemt, reinlich, – ach, Du verstehst es ja! Nun sitze ich an einem nassen Winterabend in einem öden Hotelzimmer dieser Stadt von steinernen Schluchten (sogar die hineingehauenen Häuser behielten innerlich ein Skelett von steinernen Treppen!), die, wie mir scheint, bei ihrer Begründung nicht mit dem Winter rechnete, – sitze ich, wie gesagt, plötzlich unfähig, mich zu bewegen, nur einen Schritt nach außerhalb zu tun, z. B. ins Burgtheater, um die Musik zum Egmont zu hören. So kam denn der Augenblick, wo ich mich an Deine treue Brust stürzen muß, um männliche Tränen zu weinen.
Ja, nun – –
Nimm an, ich sei im vollen Zuge dabei, und da fragst Du nun mit erbarmender Stimme: Ja, was ist denn eigentlich los? – Ich weiß es nicht, Benno, ich weiß es bei Gott nicht, denn zu sehen ist nichts, gar nichts, geschehen ist auch nichts, bloß daß ich für den Augenblick nicht mehr konnte, das steht fest.
Wie wärs mit der Beschreibung eines Tageslaufs aus meiner derzeitigen Daseinsepoche? Laß sehn:
Aufstehen morgens gegen acht, in eine wartende Droschke hinein, bloß mit Nachthemd, Hose und Überzieher bekleidet, und zum Paukboden. Daselbst eine Stunde Arbeit mit Schläger und Säbel bis zum Schweißtriefen, und der bis dahin dumpfe Schädel ist licht und frei. Droschke, nach Hause, Bad usw. Um elf Uhr, das mittlerweile herankam, Frühschoppen, der sich hinzieht unter Wiederholung der nämlichen drei bis sieben Redensarten wie: Prost! Saufs doppelt! Päng päng! Das kann man wohl sagen! (Auch: das kann man wohl sagen!) Weils gleich ist! und: In die Kanne! – hinzieht, wie bemerkt, bis zum Mittagessen, an das sich die Kaffeehaussitzung anschließt – bis gegen drei, auch vier Uhr. Am Nachmittag giebts eine Ehrenratssitzung, oder einen Besuch, oder Schlittschuhlauf, oder eine Spazierfahrt. Oder ich lese. Ich habe so viel gelesen, daß ich krank davon bin. Vom ganzen Dostojewsky fehlt mir nun bloß noch der ›Jüngling‹. Alles bisher noch Unbekannte liegt nun hinter mir, viele Bände Balzac, Titan, Hesperus und die erhabenen Flegeljahre, viele Bände Strindberg, die Studien Stifters, Fielding, Thackeray, Stendhals Chartreuse, Jakob Wassermann, Salambo und Bovary und noch drei Mal soviel. Ich habe festgestellt, daß meine Durchschnittsgeschwindigkeit, die, wie Du weißt, immer bedeutend war, nunmehr genau hundert Seiten in der Stunde beträgt, also einen Durchschnittsroman am Nachmittag. Meist freilich, das heißt die letzten Wochen verbrachte ich die Nachmittage im Sofa mit nichts als der treuesten holden Freundin des Daseins, der Zigarette. Selten ein Gedicht und kein gutes. Nun der Abend. Das ist verschieden. Montags Konvent, Dienstags Spielkneipe (Filzlaus und andre Würfelspiele, da der Anblick von Spielkarten mich in tödliche Langweile versetzt, dazu schweigsames Anhören des Absingens der, an diesem Abend offiziellen Zotenlieder, es geschieht von wegen der Abhärtung, weißt Du). Mittwoch frei, Donnerstag Augustinerbräu, Freitag irgendein andres Bräu, Samstags große Kneipe. Und an jedem Samstag von früh bis tief in den Nachmittag hinein eine Mensur nach der andern, zum Verrecken, wäre nicht ab und an das fragwürdige Zwischenspiel einer Säbelkontrahage. Ich selbst habe meine fünf Mensuren hinter mir, davon zweimal p. p., und bin zum a. C. B. rezipiert. Anmerkung: die Bräuabende verlaufen wie der Frühschoppen; der Nachttopf vom Ganzen ist der Konventabend, (beiläufig: hast Du auch so eine Abneigung gegen Nachttöpfe? Ich schmeiße sie raus, wo ich sie finde!) das heißt die Beratungen über innere und äußere Korpsangelegenheiten, Stiftebiere, Rechnungsablage, Dechargierungen, Mensurbeurteilungen usw. Ausschweifungen Notabene verüben sich aus eigne Faust, im Plan liegen sie nicht. Nur an Samstagen ist die Duhne offiziell, sonst verlädt man seine fünf Liter im Leibe in ein Droschkon und zockelt heim. Fünf Liter von diesem leichten Bier trinken sich angenehm. Ich habe zehn Kilo zugenommen. Wirds einem mal zuviel, geht man ans Becken und speit sie von sich.
Ecco, wie Knallfred Err sagen würde, ich habe es bis hierher gelöffelt und werde es aus die Neige löffeln. Nur ein einziges Mal schlug der Betrieb mir überm Kopfe zusammen, nämlich als ein Korpsbruder die Benediktinerflasche über einige, eben von mir erworbene Luzusdrucke ausleerte unter der Begründung, er fühle sich dadurch angeödet, worauf ich ihm eine hineinknallte, die meinem lieben Herzen wohltat. Es waren unersetzliche Sachen darunter, jedoch nicht deswegen! Es war mir bei Gott ein Schwert durch die Seele gefahren, – kurz, es war mein Leben, was das Schwein besudelte. Nun, die Geschichte ließ sich beilegen, ich befinde mich – oh schöne Folgeerscheinung! – für vierzehn Tage ›im Schwarzwald‹ und entfloh nach Wien, – freilich höchst verbotener Weise, doch kann das die Dimission höchstens um zwei Wochen verlängern.
Ich will doch zur Schlußmusik vom Egmont gehen, Benno, und hören, wie er sagt: ›Kind, Kind, die Sonnenpferde der Zeit ...‹ Meine Seele grinst mich nun von diesen Blättern an, leider nicht wie ein abgelegter Schlangenbalg, sondern nur wie eine Maskenfratze, die ich wieder vornehmen muß. Aber für eine Weile spürte ich doch die Erleichterung vom schmerzlichen Druck der Gummibänder hinter den Ohren. Habe Dank, lieber Geduldiger, daß Du die Maske so lange hieltest! Weine nicht und gieb sie wieder her! Grüße die Anna und freue Dich mit mir auf Ostern und das nächste Semester Altenrepen. Ah habe wahrhaftig Heimweh nach den alten Straßen. Lege mich zu Füßen der Frau Mama sowie des Fräuleins Schwester und verbleibe mein Freund!
Am 24. Februar in Wien
Schaumgeborene!
Aus Wien, wohin ich gefahren bin, melde ich mich bei Ihnen mit der Versicherung meiner vollkommenen Untröstlichkeit über die Verrenkung Ihres Fußes!
Und nun sagen Sie bitte: Können Sie noch schnöder? Freilich ist zu merken, daß Ihr letztes Anschreiben unter Verteilung von Klapsen verfaßt wurde. Danke bestens! Mit Geduld und Spucke lassen vielleicht Mucken sich fangen, niemals aber Schmetterlinge mit Klapsen. Teuerste Bürgerin im Kanapee, Ihr Behagen möge so unendlich sein wie zwischen uns die vorhandene Ferne! Sollten Sie Wert darauf legen, es zu wissen, so will ich festzustellen versuchen, ob der Vorhang, den Ihr zufriedener Genius zwischen uns zog, aus Fries besteht, aus Kattun oder vielleicht einer Wäscheleine voll Barchentröcke.
Untertänig der Ihre
Georg T.
Wenn Sie sich entschlössen, ein Datum über Ihre Briefe zu malen, wie wäre das?
Lieber Georg!
Aber was ist das für eine Art, über mich, die ich wehrlos im Bett liege, mit einem derartigen Feuerbrand von Brief herzufallen! Sind Sie immer so wild? Liebe Durchlauchtigkeit, bedenken Sie, daß ich meinen Bleistiftbrief unter beständiger Bewachung Molles verfaßt habe, die, wie Sie selber wissen, schwerer zu hüten ist als ein Sack Flöhe. Sonst hätten Sie noch länger auf einen Brief warten müssen, und wenn ich Ihnen nicht mein Morgenstündchen opfere, wo ich so liebe, im Wachen zu träumen, ist mein Tag für eingehende Briefe zu unruhig. Heut aber bin ich vor Schrecken gleich aus dem geliebten Bett gesprungen. Aber muß man denn immer so gründlich sein? Sie haben vielleicht kein Verständnis für die gallische – ich sollte sagen: semitische – Leichtigkeit, die ich im Blute habe, dennoch könnte Ihnen eine Spur davon nicht schaden. Müssen Sie immer so teutonisch furieux, so ›voll und ganz‹ und ›unentwegt‹ sein? Nehmen Sie mich doch, wie ich bin, leicht, leicht, leicht, immer tanzen, das ist viel schöner, und nach Ihrem Karneval trage ich das heftigste Verlangen! Ihre freundlichen Belehrungen über die Gründe häufigen Verliebtseins und die Erhebung des Gegenstandes derselben zum gelinden Berauschungsmittel – also besserem Fusel – waren mir lehrreich. Ähnliches habe ich als selbstverständliches sousentendu innig in meiner Seele gehegt. Um so weniger dürfen Sie Bedenken hegen, die geheimnisvollen unsichtbaren Schmetterlinge vertrauensvoll auf meine hingehaltene Nadel zu spießen. Ich werde die poetische Freiheit zu würdigen wissen und nie vergessen, daß ich nur das Mittel zum Zweck bin. Faute de mieux on couche avec sa femme heißt ein schönes altes Wort.
Und da haben Sie – zum Köder? – ein Bild von mir. Wie gefällt es Ihnen? Sie wollten zu träumen versuchen. Haben Sie? Was? Ich konnte noch nicht träumen, Herbert ließ mich nicht. Warum Sie traurig sind, möchte ich wirklich wissen, frage mich im Gegenteil, warum Sie nicht himmelhochjauchzend sind. Dies wäre wenigstens schmeichelhaft für Ihre
Cora
Seien Sie lieb und geben Sie mir die Unsichtbaren! Bitte, bitte! Ich weiß keinen Grund, warum Sie sie mir vorenthalten. Ich muß sie haben. Es giebt keinen Grund. Erbarmen Sie sich!
Datum setz ich nur über formelle Briefe, prinzipiell.