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Georg saß auf einer Bank im Walde.
Von einem häßlichen und kaum anständigen Gefühl im Magen abgesehn, befand er sich überaus wohl, lieblich durchwärmt von der höher steigenden Sonne, vor den halbgeschlossenen Augen das zarte Flimmergespinst des Lichts, vor den hin und wieder geöffneten die geräumige Windhelle der Lichtung, von der ein sandiger Fußweg ihn trennte, und darin die weit auseinanderstehenden braunen Stämme und schwarzgrünen Schirmkronen der Kiefern, unten Wildnis von Farnkräutern und Brombeergestrüpp, mit den schönen rostroten Dornranken wie von Eisen –, hinter dem allem schließlich die schöne Bewegtheit des unwiderstehlichen Frühjahrshimmels, wo es wogte von unhörbarem Jauchzen, von Anmut und Leichtigkeit in Silberflocken und fliegender Bläue. Wenn die Sonne dann lichter hervorquoll, in alle grünen Winkel alles erfreuend hineinglänzte, so schwoll mit allem sein Herz, als dehnte Lichthauch und Lufthauch es von innen, und traumhaft ganz hingegeben, konnte er hübsche Entdeckungen gedanklicher Natur in sich machen wie etwa die Erkenntnis, daß jenes Gefühl von Zuversicht an holden Apriltagen jedenfalls daher rühre, daß bemerkbar wird: auch diese große, unbändige Natur ist bekannten Gesetzen unterworfen, – es muß doch Frühling werden! Wieviel Genugtuung für Kaiser und Bürgersmann! – Erlosch aber die Sonne, senkte sich mit den Schatten die Wölbung seines Gefühls, und es ward enger in ihm, – war alle Tapferkeit mit eins aus den Wipfeln, Mutlosigkeit um die grünen Spitzen gefallen, die ergraut standen, zitternd, ängstlich, – so fiel er, unfreiwillig, der allgemeinen Beklommenheit mit anheim und empfand unglücklich die tiefe Ratlosigkeit der Fragen um ihn her: Mein Gott, wo ist das Licht geblieben? Warum ist es fortgegangen? Und dann erschien ihm auch, als wäre sie es, die mit breitem Schatten den Glanz verdeckte, Magdas traurig abgewandte Gestalt, erloschen rund um sich her wie der sonnenlose Augenblick, – da ging sie wieder neben ihm, von innen gehalten, gefesselt in ihrem Gang, und in ihrem Herzen – – ihrem Herzen ...
Ach, sie wußte es nun doch! die Wahrheit hatte sie nun, war es nicht besser als ... Ah! Mit dem wieder hochquellenden Golde im glücklichen Grün wich die lastende Schattenhand auch von seiner Brust, er atmete auf. Sie wußte es, – welche Erleichterung! Erleichterung – für ihn, ja, ob aber für sie?
So saß er denn im Wechsel der Natur und im eignen, gedämpfter Traurigkeit überliefert, im warmen Labyrinth seines Gehörs, seines ganzen Innerns, das unablässige Vogelgezwitscher der Nähe und der Ferne, den metallenen Finkenschlag, den Gesang des Baumläufers, fernher den eintönigen Zweiklang des Zilpzalp, und wie aus einer blaugrauen Wolke heraus das schläfernde Gurren der wilden Taube. Ein wenig drückte im Rücken das Holz der Banklehne, aber er saß doch weich in sich selber, ganz versunken in offene Lässigkeit, im Pendelschwingen des Lichts beklommen und froh, ja wie in einer wesenlosen Schaukel fühlte er sich, beim Vor- und Aufschwung munter und kühnlich, im Zurückfallen vom Schwindel süßlich geängstet, immer in Wärme und köstlicher Wehmut.
Oh daß ich dieses doch habe, dachte er, diesen selbstverständlichen Rückzug in mein eigenes Innere; dorthin, wo es Natur ist, Hingebung an Licht und die Luft, an Vogelruf und dies kühle, dies schaurige Sausen in den Kronen. Was schließlich verschlägt da eine Nacht wie die letzte! Man sollte es nicht tun, freilich, Sinn hats auch schon gar keinen, man sollte es nicht, gerade wenn man, wie eben ich, nur so hineingerät, so lustlos und versehentlich, und es wird auch nicht wieder vorkommen. Das war bloß München, das mir noch nachhing. Oh Renate!
Unter einem zitternden Schlage im Gehirn setzte Georg sich auf, geblendet, legte die Ellbogen auf die Knie, seinen Gehstock in der Mitte packend, und sah eine Weile lang nichts als den Staub in den Falten seiner Lackschuh, das braune Gold der Strümpfe und zwei, am Ende zusammengeheftete Fichtennadeln, die im Aufschlag seiner dunkelgrünen Hose steckten. Die kleinen Steine, der Sand und die Spuren von Füßen und Striche von Stöcken darin sahen ihn fremd an in lebloser Wesentlichkeit. Er seufzte auf. Du lebst, Renate, ach, daß du lebst, was will man denn mehr? – Und Georg bewog sie, zu erscheinen, sie und sich belistend, daß sie immer schöner würde und vollkommener, und so kamen erst nur ihre Augen zum Vorschein, im Dunkel, unterm Vorhang der Zweige, ihr Arm, nun – nun der Augenaufschlag gegen ihn, – er erbebte, er wollte ihn fassen, er war fort. Alles was Blau war in der Welt, mußte in diesem nächtigen Schwarz enthalten sein, Sommerhimmel und das dunkelste Buchtenwasser, Bergseen und grünes Eiswasser, – und nun – ihr Gesicht, ihr Mund, und ihr Haar, – Gott im Himmel, welch Haar! Da stand sie auf dem Rasen, das Licht fiel von oben über ihre abgewandte Gestalt, über das hangende weiße Dreieck des Schals, über ihr Haar von stumpfem, hellem Braun – dürres Buchenlaub, wars nicht so? – von einer goldenen Spinne überwebt. Und von ihren eigenen Bewegungen war sie ganz umrieselt wie von unsichtbaren Wasserfalten, in denen es blühte. Gott verzeih mir, Anna, aber nun ist das so gekommen, und wie kann ich denn anders! Mußte es nicht einmal kommen? Habe ich nicht durch Monate gelitten, damals, wie sehr gelitten, nachdem du von mir warst? Wie lassen sich solche Selbstbezwingungen dann rückgängig machen? Wie sollte ich dich wieder hineinholen in mich, nachdem – – freilich, daß ich dich austreiben konnte! Und wie kann ich denn gegen mein Herz?
Ein Kohlweißling taumelte aus dem Brombeerdickicht hoch, zog über den Weg daher, schaukelte höher, taumelte vor einer unsichtbaren Gewalt abwärts, beschrieb um einen der braunen Stämme einen haltlos flattrigen Kreis und fiel ins grünende Buschwerk. Es zwitscherte – oh wie es zwitscherte! Überdem kam Josef Montfort ihm in Erinnerung.
Das war ein Mensch! jawohl! Betäubend, berauschend, wahrhaftig! Ich muß ihn näher kennen lernen. Richtig – wollte er nicht fort, aus dem Lande? Wer – ach, Cornelia Ring, – sie gab mir ihre Adresse. – Ihre runden Dryadenaugen erschienen ihm, er erinnerte sich, wie sie ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte, – der sonderbare Nachtweg, – und er versprach, an seinen Vater zu schreiben. Nein, das Sonderbarste war doch diese Fahrt in der Droschke ... Aber Montfort, der hatte Gewalt über Menschen! Wer konnte wohl so ausgesehen haben wie er? Fernando Cortez vielleicht, ja, irgendeiner, der eine verlorene Sache verteidigt, ein Prätendent; in Gefahr müßte man ihn sehn, auf dem Rückzug durch Urwälder, von Schwärmen vergifteter Pfeile verfolgt, und mit jedem Leben, das hinsinkt, wächst ihm ein neues an sich selbst, und er schwingt sich in eigenen Händen wie einen Feuerbrand zu einem Dutzend gefährdeter Stellen, ermutigend, tröstend, versprechend, drohend, versiebenfachtes Leben, aus sich selber wimmelnd, bei Gott, so war er! Und er und Cornelia, Renate und Magda zogen einen abenteuerlichen Reigen, Magda trat vor und sah ihn herzbewegend an, da fühlte er, wie sein wehmütiges Empfinden in Takten zu schaukeln begann, die sich allmählich mit deutlichen Vorstellungen besetzten ... Ach, wie traurig sind die Tage ... auf einmal hatte er den Anfang ... Seit ich in dem Schatten lebe ... und Georg nahm hastig ein Blatt, eine Rechnung, wie es schien, aus seiner Brieftasche, legte es darauf und schrieb schwermütig, hin und wieder streichend und ändernd:
Ach wie traurig sind die Tage,
Seit ich in dem Schatten lebe,
Nicht mein Antlitz zu ihm hebe,
Nicht sein Mund mich heilt.
Friedlos, ach, von bittrer Plage,
Frage ich die stummen Haine,
Frage Pfade, Ufer, Steine,
Wo mein Herr verweilt.
Von der Schwelle ausgetrieben,
Die mir unterm Abendglänzen,
Oder unter Sternenkränzen
Wundersam erschien,
Kann ich noch mein Antlitz lieben,
Das nur fremde Blicke preisen,
Und den Mund, dem nur die leisen
Seufzer noch entfliehn?
An der Flamme auf dem Herde
Rötet sich mir Stirn und Wange,
Daß ich wie in Purpur prange,
Den Erhabnen gleich.
Spät, mit trauriger Gebärde,
Blickt ins Fenster, durch die Zweige,
Mond, dem ich mein Antlitz zeige,
Und dann bin ich bleich.
Georg merkte, daß während des Schreibens die Sonne entwichen war, und ihn fröstelte. Als er das Blatt in die Brieftasche zurücklegen wollte, fiel ein kleiner Zettel heraus, auf dem stand von fremder Hand geschrieben: G. T. 17. Was mochte das bedeuten?
Heftiger fröstelnd – und wie öde war auf einmal der Wald! – überlas er noch einmal das Geschriebene, strich in der zweiten Strophe das ›Wundersam‹, um dafür ›Freudenreich‹, und in der letzten ›Erhabnen‹, um dafür ›Geliebten‹ zu setzen, legte das Blatt fort, stand auf und ging in der Richtung der Stadt davon. Nach einigem Kopfzerbrechen fiel ihm ein, daß er Cora Bogner seinen Besuch versprochen hatte, sodann, daß 17 die Hausnummer der Cornelia Ring war, und ihm wurde heiß im Gedanken, daß er mit Josef Montfort nichts besprochen hatte, aber vor allem kam es ja auf seinen Vater an, und Montfort würde wohl nicht über Nacht davongegangen sein. Die Fabrik stand schlecht, wer hatte ihm das nur erzählt? Josef selbst? Richtig, Cornelia Ring war es gewesen. Da durchglühte ihn wieder Renates Leiblichkeit, unendliche Sehnsucht befiel ihn, er umschlang sie mit den Armen, er fand ihren Mund, – aber siehe, was war das für eine Süße, die ihm jählings durch Mark und Bein loderte? Das mußte er geträumt haben, nur in Träumen steigen Gefühle in solches Übermaß, o mit welch ungeheuerlicher Schmerzenswollust hatte er einmal im Traum geweint! Und nun fiel ihm Lenusch, fiel ihm alles ein, die Bar, das endlose Gespräch zwischen Montfort und dem Saint-Georges, der Lärm, das Mädchen, ihr Stirnband, ihr Bein, ihr Strumpf, in den er das Geld –, und zuletzt – nein, bloß das nicht! aber er sah es wieder deutlich vor sich, ihn schauderte maßlos, er wehrte sich mit allen Kräften, stellte sich hundert andre Dinge vor, und es gelang ihm endlich, sie wieder vor sich zu sehn, wie sie die gekrallten Hände gegen die Schultern erhob. Sie hätte die größte Tischplatte über seinen Kopf heruntergeschmettert, so sah sie aus. Warum haßte sie ihn nur so? Vielleicht hatte Montfort ihm bloß Lügen erzählt, obgleich er ein Mensch schien, der keine Lügen nötig hatte, der Unwahrscheinlicheres erlebt, keine selbstgeschnitzten Stützen brauchte. Ach, es war doch schrecklich! Da war der Augenblick gekommen, wo sie ihr ganzes, verfahrenes Dasein in eine einzige Flamme von Haß zusammenriß, um es – ja um es wie eine schwere Tischplatte ihrem Feinde über das Haupt zu schlagen, und da mußte sie so zusammenbrechen.
Georg fiel ein, daß er sie um ein Uhr mittags treffen sollte. – Ich werde natürlich hingehn, ich bin ja nicht fähig, ein weibliches Wesen umsonst warten zu lassen, und außerdem werde ich versuchen, sie auf reinlichere Wege zu bringen. Versuchen kann man das immer, obwohl es wahrscheinlich ist, daß, wie bei all diesen Mädchen, das Grundübel in Arbeitsscheu besteht. Man muß es versuchen. –
Mittlerweile war er am Pferdeturm angelangt, wartete eine Weile auf eine elektrische Bahn, fuhr in die Stadt und ging in die Eichstraße zu Cora.
Georg mußte im Salon warten, und der Salon gefiel ihm nun ganz und gar nicht. An diesem Ort, dachte er, kann man sehr traurig werden. Er hatte grünliche Damastsofas und Sessel mit Troddeln daran, und ein Sofa hatte einen Mahagoniumbau mit Spiegeln und gemalten Parforcejagdszenen, im Erker aber stand eine Bronzebüste der milesischen Venus und blickte ihn trübe an. Er sah auch, daß der venezianische Kronleuchter, von dem sie geschrieben hatte, von der Decke hing und hier und da mit Draht geflickt war, und rechts vom Erker stand Coras Schreibtisch auf äußerst dünnen Beinen, bedeckt mit Photographierahmen und Schreibwerkzeugen aus Messing und grün geädertem Marmor, so daß kaum ein viertel Quadratmeter Raum zum Schreiben war, im ganzen ein ungemein fataler Aufenthalt. Georg, lustlos und immer fröstelnd, blickte aus dem Erker auf die langweilige Straße hinunter, wo sich jetzt schwärzliche Regenflecken zeigten. Endlich erschien Cora, in einem hellgelben Morgenrock, mit flüchtig zusammengegriffenem Haar, trug ihre herbstlichste Miene und die Entsagungsgeste zur Schau, worüber Georg sich ärgerte, weil er hinter dem abwehrend vorgestreckten Schild nur zu deutlich die Verlockung zu wittern hatte, also daß er in ein plätscherndes Geschwätz über die bezaubernde Fähigkeit schöner Frauen ausbrach, die es verstünden, ohne Hut als ein völlig andres Wesen zu erscheinen, als mit Hut, – ha überhaupt Hüte! Da gewöhnte er sich wieder langsam an ihren Anblick, ihre Eigenart, und es gefiel ihm wieder sehr, wie sie mit der Oberlippe über die beiden, ein wenig zu groß geratenen oberen Mittelzähne hinablangte, was ihn immer an die Gebärde eines Mädchens erinnerte, das einen eingelaufenen Ärmel straff zupft, und in Coras Züge kam mit dieser Verlängerung der Nase durch die Oberlippe ein völlig verquerer Ausdruck von Hoheit. Alsdann sagte er auf, was er am vergangenen Tage in der Bahn Bogner über ihr römisches Aussehn vorgetragen hatte, was sie andächtig anhörte, die schlecht zueinander passenden Ringe an ihren, ein wenig grauen, lang geschwungenen Händen hin und her schiebend; die Fingernägel waren nicht durchaus rein, – und überdem meldete das Dienstmädchen den Maler, der hinter ihm eintrat.
»Wie herrlich, Benvenuto, daß du kommst!« entzückte sich Cora. »Grad eben sprachen wir von dir, das heißt, du kamst drin vor, weil der Prinz etwas über mich sagte, das er gestern dir ... es war, ja, es war ein Gedicht!« schloß sie begeistert.
Das Mädchen trug einen Teller mit Gebäck, Gläschen und spanischem Wein herein, und Cora sprach nun unaufhörlich, indem sie zum Zulangen nötigte, Wein einschenkte und die Gläser hinreichte.
»Gott, unsereins,« sagte sie, »unsereins fühlt das natürlich auch, aber wir können es nicht ausdrücken, wir brauchen es auch nicht auszudrücken, und das, seht ihr wohl, giebt uns Frauen eben die Macht, das – Unbewußte, wie soll ich sagen ... Nun, wir fühlen, was wir sind, und brauchens uns doch nicht zu gestehn. Beim Namen nennen ist immer verurteilen, und wir sind immer unschuldig. Gott, eigentlich sollte ich euch ja Zigaretten anbieten, – du rauchst doch, Ben – weißt du, eigentlich ist dein Name zu lang, ich werde einen für dich erfinden, – aber Herbert raucht ja leider nicht. Aber wenn ihr eure eignen ...«
Und da Bogner seine Dose hervorzog:
»O was hast du da? Welch himmlische Dose! Was ist das für Holz? Birkenholz? Wie gut der Tabak riecht! Oh du drehst sie selbst, das muß ich sehn! Ist es schwer? Aber Sie nehmen ja gar nicht, Georg! Die Makronen hab ich selber gebacken, dafür drehst du mir eine Zigarette! Ich finde es reizend, selbst! Nein, wie geschickt du bist! Zeig bloß mal! Ich könnte das nie! Was für gelbe Finger du hast! Ist das vom Rauchen? Aber weißt du denn auch, daß das furchtbar – furchtbar schädlich ist? Und nun wollen wir Brüderschaft trinken.«
Während der Stille dieser Feierlichkeit sah Georg sämtliche Ausrufungszeichen Coras leibhaftig durchs Zimmer und zum Erker hinaus wimmeln. Dem Maler die Wange zum Kusse reichend, blickte sie Georg zum ersten Mal seit Minuten wieder voll an, so daß es ihm vorkam, als werfe sie ihm eine Handvoll Erinnerungen zu.
Nun sollte ihr Schwager von Paris erzählen, doch kam er nicht dazu, da sie selber vom Montmartre und der Roten Mühle, vom Louvre und den fliegenden Bücherverkäufern auf den Quais zu schwärmen begann. Plötzlich sagte sie:
»Prinz! Sie machen doch Gedichte. Sie müssen ein Gedicht daraus machen! Aus dem vorhin! Werden Sie?«
»Augenblicklich,« erwiderte Georg, »wenn Sie mir erlauben, fünf Minuten ihren Schreibtisch zu benutzen.«
Ah, da mißhandle ich sie ja wieder, dachte er, also käme nun das Zuckerwerk, und er beugte sich zu ihr und redete:
»Liebe, gnädige Frau, Sie wissen doch: jeder gebildete junge Mann macht Ihnen heutigen Tages jedes Gedicht, das Sie wünschen. Aber wenn Sie ein richtiges haben wollten, eines, das wert wäre, in einem richtigen Buche zu stehn, – das könnte ich Ihnen freilich nicht versprechen. Dazu gehörten –« er hob sein Glas und verneigte sich – »andre Ingredienzien, diesem Weine vergleichbare ...«
Und er trank. Was tat Cora? Zuckte sie wie unter einem Peitschenhiebe zusammen? Keineswegs, sondern sie strahlte wie eine Sonnenblume und rief:
»Ja, verlieben Sie sich in mich, Prinz! das wäre entzückend! Ja, bitte, tun Sie mir den Gefallen! Denke dir,« wandte sie sich an ihren Schwager, »es hat sich noch kein Mensch in mich verliebt seit meiner Backfischzeit, außer Herbert, und der gleich so furchtbar. Ihr könnt euch gar nicht denken, wie er mich liebt! Grenzenlos überhaupt! Und nun ein Prinz!« Halloh, Brandpfeil der Verachtung, dachte Georg. »Oh, es ist wunderbar, so geliebt zu werden!« Wieder ein Brandpfeil. »Früher machte er auch Gedichte, sehr nett, aber nun müssen Sie! Werden Sie? Georg, ich bin außer mir!«
Der dritte Pfeil mißlang, weil in diesem Augenblick ihr Mann eintrat, der meinte, daß man es ihr durchaus nicht ansehe; ja, er habe die letzten Worte wohl gehört. Wie eine große, gelbe Katze lag sie behaglich und spinnend in der Sofaecke.
Ein Weilchen später hielt Georg, aus Furcht, sie möchte ihn nun allein mit Beschlag belegen, es für gut, fortzugehn. Geschwind zeigte sie ihm noch eine Kopenhagener Vase auf ihrem Schreibtisch und gab dabei eine Erklärung über den wundervollen Eindruck ab, den ihr Schwager auf sie gemacht hatte. Sie entließ ihn mit unbegrenzter Ausdrucklosigkeit, indem sie, noch während er ihre Hand an die Lippen hob, sich ihrem Mann näherte, um mit der Linken ein weißes Fädchen von seiner Schulter zu nehmen und ihm bei dieser Gelegenheit den Rockkragen glatt zu streichen.
Pfui, es regnet! sagte Georg, als er aus dem Hause trat. Cora regnete auch, grad wie dieser Regen, nicht kräftig, sondern bloß haltlos. Ist keine Droschke da? Merkwürdig: früher, wenn ich allein mit ihr war, schien sie doch so angenehm, ja, wie schön sie zuhören konnte, wenn man von seinen Plänen sprach. Ach, das kommt wohl von Renate, daß alle Andern neben ihr wie Kellerpflanzen aussehn, – auch Magda, – aber Frau Tregiorni –, die war doch entzückend! Dies ist schön, dies ist ein schöner Gedanke: Wenn ich neben ein vollkommen Schönes etwas auch Schönes stelle, das vielleicht nur lieblich, nur anmutig ist, so läßt das ganz und gar Schöne es ruhig glänzen und tut ihm nichts an; das Fehlerhafte aber, das Unreine, das Schillernde, das wird verneint, ausgetilgt vom Vollkommenen, und nur das Abstoßende daran bleibt sichtbar. Gott sei Dank, es hört auf zu regnen. ›Da kömmt die liebe Sonne wieder – Da kömmt sie wieder her!‹ Er sah auf die Uhr. Wenn ich zu Fuß gehe, werde ich gerade rechtzeitig zum Stelldichein kommen.
So schlenderte er dahin, hielt hier und da vor einem Schaufenster, ärgerte sich über die Gesichter der Menschen, gelangte ans Gänseliesel, lief eine Viertelstunde um das eingefriedigte Rasenoval, verbiß seine Enttäuschung über Lenuschs Ausbleiben und dachte, es liege vielleicht ein Brief auf der Post. Nun, er war bereit, auch dies Opfer zu bringen, ging hin und erhielt wahrhaftig einen kleinen Brief, der so durchaus rosa war, daß es ihn erstaunte, weil er gedacht hatte, das gäbe es nur in Zeitungsromanen. – Himmel, und auch solch eine Handschrift hätte ich nie für möglich gehalten! – Er lag, am Gossenrande neben einem feuerroten Eilbotenjungen stehend, der darauf zu warten schien, daß er die Antwort auf Georgs Brief übernehmen solle, das Folgende:
Mein Süßer!
Du bist vielleicht erstaunt und denkst schlecht von mir, daß ich nicht da Gewesen bin es tut mir auch Schrecklich leid aber ich war ja so betrunken, da bin ich Treppe hinuntergefallen und habe mir das Ganze Gesicht aufgeschlagen. Bitte bitte, verzeih mir mein Süßer! und ich hätte ja so gerne mein Herz bei dir ausgeschütet du hast ja sicher gemerkt das du mir nicht gleichgildig bist und deshalb will ich auch Offen zu Dir sein. Zunächst einmal Tausend Dank für das gute, das Du mir ohne jegliche veranlasung gethan hast, es ist zu lieb von dir. Ich will offen zu Dir sein, ich habe nemlich noch so Allerlei kleine Schulden bei meiner Wirtin und Schneiderin nun, vieles kan ich ja nun zahlen. Ganz Schlecht zu werden habe ich Keine Lust und so wird es besser sein, ich fahre zuhause bei meine Eltern, wo ich am Besten aufgehoben bin. Morgen muß ich nun dringent etwas bezahlen und zu Diesem Zweck wollte ich dich bitten ob Du mir nicht mit 100 M. aushelfen könntest. Fals du kannst gieb mir bis 5 Uhr bescheit ich wohne Nelkenstraße 4 ich muß nemlich bis zu Dieser Zeit dringent etwas zalen andernfalls meine Ringe wieder fortgeben. Ich will dir Gern was zum Pfand lassen. Verzeihe bitte Lieber Süßer, und denke um gotteswillen nicht Schlecht von mir, nur Äußerste Verzweiflung treibt mich Hierzu. Bitte, Kerlchen sprich auch nicht Hierüber ich schäme mich ja sonst. Nim es mir bitte nich Übel ich will auch gleich an meine Eltern schreiben, Sie müssen mir ja helfen. Bite gieb mir Unbedingt nachricht oder komme selbst. Sollt ich dan nicht zuhause sein, gieb meiner Wirtin bescheit. So jetzt bin ich Eis kalt gefroren sitze im ungeheizten Zimmer.
Gute nacht! Schlaf wohl! Herzlich grüßt und küßt dich
Deine Dankbare
Helene Kick.
Georg war überwältigt von Schwermut. Dies ist Lenusch, Helene Kick, dachte er, o wie jämmerlich ist es doch bestellt mit dem Dasein des Menschen! – Er kehrte in das Postamt zurück, ließ sich eine Briefkarte geben, schrieb einen Gruß, legte zwei Hundertmarkscheine hinein und schickte das Ganze, sorgfältig eingeschrieben und durch Eilbotenbestellung an Fräulein Helene Kick, Nelkenstraße 4. Ich werde sie nie wieder sehn, dachte er, als er wieder draußen stand, in nachdenklicher Betrachtung des feuerroten Eilbotenjungen, der zögernd das rechte Bein über sein Fahrrad legte.
Benno! Natürlich! dieser Mensch war von einer solchen Bescheidenheit, daß er ihm jetzt erst einfiel! – Georg winkte dem Eilboten königlich bloß mit einem Auge, nahm eine Besuchskarte aus der Tasche, schrieb darauf: »Ich esse bei Pust, mein Herz, komme sofort! Schreibe die Antwort hierunter!« und drückte sie dem Jungen in die Hand. »Öltzenstraße zwei, Mensch!« bedrohte er ihn, »und wenn Sie in einer halben Stunde mit der Antwort bei Pust sind, in der Weinstube, kriegen Sie einen Taler, sonst nischt nich!«
Der Junge quetschte ein zuversichtliches Grinsen aus seiner sommersprossigen und finnigen Blondheit, schwang sich auf sein Rad und segelte davon. Georg schlenderte, lächelnd in vorfreudigen Gedanken an den guten Benno, gemach über den Platz, die Bahnhofstraße hinunter, hinter dem Theater an seinem Hotel vorüber – wo ihm die Erinnerung an seine Morgenbegegnung mit Magda einen Gewissensbiß und inneres Erröten versetzte über seine erste Feigheit – und betrat die stille Weinstube, eine angenehme Dämmerung, goldig von goldgelben Vorhängen, in deren Tiefe er sich unter Palmengewächsen an einem der weißüberhangenen Tische niederließ. Eine Ochsenschwanzsuppe, ein Stück Forelle, ein sanftes Hammelkotelette mit Morcheln, Pfirsich Melba – das wars, was ihm munden sollte. Dazu ein schönes, großes Glas Pilsener.