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31. Feindliche Mächte.

Dem inmitten des Verkehrs lebenden, in der Brandung der modernen Zivilisation sich wohl fühlenden Europäer muß es fremdartig und verwunderlich erscheinen, wenn ich behaupte, daß jahrelanges Reisen, unter Beförderung aller notwendigen Gepäckstücke ausschließlich auf den Schultern menschlicher Träger, weder besonders umständlich, noch auch lästig erscheint – wenn man es einmal kennen gelernt hat. –

Dies ist aber freilich nur möglich, wenn man ein so vorzügliches, durch Jahrhunderte herangebildetes Trägermaterial zur Verfügung hat, wie es heutigentages noch manche ostafrikanische Stämme liefern.

Höchst erfahrene Reisende haben mir erzählt, daß sie lange wissenschaftliche Reisen, mit vielfältigem und kompliziertem Gepäck beschwerte Expeditionen weit lieber mit diesem Trägermaterial vollbringen, als, wenn dies angängig sein würde, Kamele zu benutzen.

Das klingt vielleicht verwunderlich, wer aber die vorzüglichen ostafrikanischen Träger kennen gelernt hat, die stets auf dem Posten, in kindlicher Freudigkeit und Ergebenheit ihrem Herrn gegenüber, ihre sechzig- und mehr pfündigen Lasten tagaus, tagein gern schleppen; wer diesen einfachen Transport mit der Schwierigkeit und Umständlichkeit der aus Lastkamelen bestehenden Karawanen vergleicht, wird meinen Gewährsleuten beipflichten müssen.

Nach meiner und auch anderer Reisenden Ansicht bildet daher unser ostafrikanisches Trägermaterial ein ideales Transportmittel für das ungesunde Ostafrika, ganz besonders aber, solange dort allgemein Lasttiere wegen ihrer Hinfälligkeit nicht verwendet werden können.

Es war mir besonders erfreulich, daß ich bei meinen wiederholten Reisen immer wieder einen Teil meines alten Trägerstammes früherer Reisen, soweit die Leute sich überhaupt an der Küste befanden, zum Mitgehen willig und bereit fand.

Eine der schwierigsten Fragen bildet stets die Verpflegung der Träger, namentlich für einfache Privatreisende!

Außer seiner sechzigpfündigen Last, seinem Kochgerät und seinen wenigen Habseligkeiten vermag ein Mann bestenfalls Vegetabilien für etwa 14 bis 20 Tage mitzuführen. In der Praxis wird er freilich schon nach zwölf oder vierzehn Tagen nichts mehr davon haben. Daher gilt es, alle Reisedispositionen so zu treffen, daß die Verpflegung stets gesichert wird.

Wasser muß selbstverständlich täglich, mindestens aber alle 48 Stunden angetroffen werden. Freilich hängt die Leistungsfähigkeit der Träger sehr von der Witterung ab, und in der heißen Zeit vermag ein Mann ohne Wasser seine Last kaum länger als einen Tag zu befördern.

In der guten alten Zeit durchzog man die Steppe, dem Vernehmen nach, unter Umständen sich lediglich auf die Verpflegung durch erlegtes Wild verlassend. Die Leute schwärmten, im Lager angelangt, nach allen Zeiten in die Steppe aus, um sich Antilopen und anderes Wild zu erlegen.

Wenn ich auch in gewissem Maße meinen Trägern Fleisch zur Verfügung stellte, hielt ich dennoch stets strengstens darauf, daß jeder Mann täglich ein entsprechendes Maß von Vegetabilien erhielt. Ich habe dies – oft mit den größten Schwierigkeiten und Kosten – stets durchzuführen gewußt. Leider tun das die Karawanenführer nicht immer, sondern es wird auf das Wild zuweilen in unverantwortlicher Weise losgeknallt...

Hatte ich ein Lager für längere Zeit aufgeschlagen, so sandte ich viele Träger zurück, um Vegetabilien einzutauschen.

Mit Reserve- und Ergänzungslasten beladen, kehren die Leute dann in die Steppe zurück – oft erst nach Wochen oder Monaten.

Eine der Hauptschwierigkeiten zoologischer Sammelreisen liegt in den mühevollen Präparierarbeiten, namentlich größerer Objekte, viele Tage lang müssen oft alle Mann an der Zubereitung der Häute von Büffeln und Giraffen, Elefanten und Nashörnern tätig sein. Hat sich dann endlich genügendes Material aufgespeichert, ist dies alles auf das sorgfältigste etikettiert und in Lasten verpackt, so muß es endlich unter sorgfältigster Berücksichtigung etwa unterwegs eintretender Regenzeiten an die Küste gesandt werden.

Die Träger müssen, auch in den kleinsten Nebensächlichkeiten, kontrolliert und angeeifert werden. Dann aber leisten sie – namentlich bei engster Begrenzung der einem jeden im besonderen zugewiesenen Tätigkeit – sehr Zufriedenstellendes.

Der bittere Ernst, welcher Reisen in jenen Ländern begleitet, macht sich jedoch mit Sicherheit früher oder später geltend.

Die Tsetsefliege sticht und tötet die mitgenommenen Reittiere und einen Teil der Lastesel; sie und das Rindvieh erliegen allerhand Seuchen. Schlimmer aber noch ist es, wenn wir etwa Gegenden durchqueren müssen, in denen beispielsweise die schwarzen Pocken im Gefolge einer Hungersnot aufgetreten sind.

Im Jahre 1899 war ich gezwungen, Ortschaften zu durchreisen, in denen die »ndúi« geherrscht hatten. Nach etwa drei Wochen bemerkte ich im Lager an meiner linken Hand eine kleine dunkle Beule, wohl eine durch den bei der Präparation von Tierhäuten verwandten Arsenik herbeigeführte Entzündung.

Ich zeige sie meinem Präparator Orgeich. »Dat will ich dem Herr sage, wat dat is! Dat sin die schwarze Pocke!«

Auf meine Frage, wie er zu dieser Ansicht komme, erklärte er mir kurz und bündig, daß seit mehreren Tagen sich ein schwerleidender, an Menschenpocken erkrankter Träger im Lager befinde.

»Ich wollt' de Herr nit bang' mache!« erklärte er mir tapfer und lakonisch und begründete so, warum er mir keine Meldung von der Erkrankung gemacht hatte.

Diese im gemütlichen rheinischen Idiom erstattete Meldung wirkte auf mich wenig erfreulich.

Ich überzeugte mich denn auch, daß ein über und über mit Blattern bedeckter Träger sich mitten im Lager befand!

Selbstverständlich ließ ich ihn isolieren, ihm am Flusse eine für Raubtiere undurchdringliche Dornenumzäumung herstellen, und erstaunlicherweise trat auch kein weiterer Pockenfall in der Karawane auf. Eine spätere ärztliche Untersuchung des geheilten Patienten ergab die Nichtigkeit meiner Diagnose.

Leider machte ich mehrere Male weit schlimmere Erfahrungen mit unter den Trägern ausgebrochener Dysenterie.

Es ist etwas Unheimliches, wenn sich plötzlich, etwa nach Infizierung durch eine Wasserstelle, auf die man unbedingt angewiesen ist, diese furchtbare Krankheit im Lager verbreitet, gegen die sich auch der Europäer, durch sorgfältig kontrolliertes Abkochen des Trinkwassers, nur relativ schützen kann.

Zweimal habe ich selbst an Dysenterie gelitten und weiß aus Erfahrung, wie schmierig eine durchgreifende Heilung zu erzielen ist, und wie schwer es fällt, Diätfehler während der Rekonvaleszenz zu vermeiden. Mit Recht wird Dysenterie mehr gefürchtet als Malaria.

Bricht die Krankheit unter den Trägern aus, so kann dies unter Umständen die Weiterreise in Frage stellen. Für Wochen muß man auf die Dienste besonders brauchbarer Leute verzichten, und die oft schon in wenigen Tagen eintretenden Todesfälle bilden keine angenehmen Episoden während der Reise.

»Amekufa Bwana!« »Er ist gestorben, Herr!« meldet dann der Karawanenführer; in der Nähe wird ein Grab geschaufelt und eine eilige Bestattung, – durch die Temperaturverhältnisse dringend geboten, – findet statt.

Neben der Dysenterie bilden natürlich die häufig auftretenden Malariaerkrankungen weitere eingreifende Hindernisse dortiger Reisen. In der Nähe der Karawanenstraße und in der Nähe der bevölkerten Gegenden trat die Malaria unter meinen Leuten häufiger und bedenklicher auf, als in der weiten, menschenleeren Steppe, obwohl auch diese sich sehr ungesund für den Europäer und die eingeborenen Bergbewohner zeigt. An gewissen Lagerplätzen erkranken plötzlich zehn, zwanzig und mehr Leute an leichterer und schwereren Malariaanfällen, deren sie jedoch im allgemeinen bald Herr werden.

In Europa ist vielfach die Ansicht verbreitet, daß die Eingeborenen nicht unter der Malaria zu leiden hätten. Dem ist jedoch nicht so, sondern namentlich die Einwohner der bergigen Gegenden unterliegen schweren Anfällen, wenn sie in die Steppe hinabsteigen. Ich habe es erlebt, daß zum Kalkbrennen in die Ebene beorderte Wadschagga (Eingeborene am Kilimandscharo in der Gegend der Station Moschi) der Mehrzahl nach ungemein stark an Malaria erkrankten, als sie in ihre Wohnstätten nach mehrtägigem Aufenthalte in der Niederung zurückkehrten, und daß eine sehr große Anzahl der Leute binnen wenigen Tagen dem Fieber erlag.

Wapare, Einwohner des Paregebirges, vermochte ich während des Hungerjahres 1899 unter keinerlei Versprechungen geneigt zu machen, meine zoologischen Sammelobjekte an die Küste zu befördern, trotzdem die Leute begierig waren, etwas zu verdienen. Sie erklärten sich vielmehr nur bereit, meine Lasten bis zu einem gewissen Punkte in der Nähe der Küste zu bringen; der Anblick des Meeres aber würde für sie Tod bedeuten! Diese Anschauung entbehrt nicht einer gewissen Begründung, denn überall, wo die Bewohner der Berge in die Niederungen herabsteigen, unterliegen sie, wie schon gesagt, vielen und schweren Fieberanfällen.

Verwundungen verschiedener Art, Fußleiden, namentlich auch Verletzungen der Schienbeine machen ab und zu die Träger dienstunfähig.

Eine fernere, erst neuerdings bis zur ostafrikanischen Küste vorgedrungene, schlimme Landplage sind die Sandflöhe ( Sarcopsylla penetrans I.).

Aus Südamerika wurden diese Schmarotzer vor wenigen Jahrzehnten nach der Westküste Afrikas übertragen. Sie verbreiteten sich, den Karawanenwegen folgend, allmählich bis an die zentralafrikanischen Seen, wo ich sie im Jahre 1896 schon in großen Mengen fand. Der winzig kleine Sandfloh dringt, zuerst unbeachtet, in die Zehen der Füße oder in die Glieder der Finger ein, schwillt allmählich bis zur Größe einer Erbse an und verbreitet sich, wenn nicht rechtzeitig entfernt, in zahlreichen Individuen immer weiter, bis allmählich die betroffenen Glieder in Fäulnis übergehen und abfallen.

Überall, wo der Sandfloh auftrat, sah ich zahlreiche Eingeborene, denen eine oder alle Zehen des Fußes fehlen, an Stöcken umherwanken. Es ist erstaunlich, wie wenig man die Sandflöhe im Anfange empfindet, und wie schnell die nach ihrer Entfernung in den Zehen entstandenen Höhlungen wieder ausheilen. Die »Fundi ya funza«, auf deutsch »Sandflohdoktoren«, verstehen es ausgezeichnet, mit kleinen Hölzchen geduldig die Plagegeister ziemlich schmerzlos zu entfernen. Der Sandfloh nistet sich nicht nur in Menschen, sondern auch in Affen, Hunden und anderen Tieren ein.

Selbst mein später im Berliner Zoologischen Garten befindliches junges Rhinozeros wurde während der Aufzucht von zahlreichen Sandflöhen befallen, und es gehörte eine nicht geringe Geduld dazu, das kleine Geschöpf während seiner Siesta von den gefährlichen Parasiten zu befreien.

Hier und da habe ich trotz aller Vorsicht auch am eigenen Leibe diese Plage empfinden müssen. Am schlimmsten aber litt ich einst nach langer Bettruhe bei schwerem Fieber unter diesen Schmarotzern: nicht weniger als sieben erbsengroße Sandflöhe entfernte einer meiner schwarzen Boys aus meinen Zehen!

Hunde und in Gefangenschaft gehaltene Affen wissen sich übrigens der lästigen Plagegeister geschickt zu entledigen, werden aber nicht selten wieder neu infiziert. –

Wenn die Karawane Halt gemacht hatte und das Lager aufgeschlagen war, nahten sich stets eine Anzahl Patienten, meine Hilfe zu erbitten. Ich kann mich nicht entsinnen, jemals auch nur einen Mann abgewiesen zu haben, obwohl dabei die Geduld des Reisenden, wenn er selbst ermüdet oder leidend ist, oft auf eine harte Probe gesetzt wird.

»Bwana kubwa, nataka daua!«

Herr, ich möchte Medizin! klang's immer und immer wieder. Da heißt es bald Aloe-, bald Dowersche Pillen, Rizinus, Ipekakuanha, Augensalbe oder Verbandwatte und vieles andere verteilen, und ein dazu bestimmtes Gefäß steht stets mit Lysollösung bereit, um Wunden und Verletzungen zu behandeln.

Im allgemeinen aber heilen Wunden bei dem ausgezeichneten «Heilfleische« der Eingeborenen und bei entsprechender Behandlung schnell und gut. Ätzungen mit Karbolsäure erwiesen sich namentlich wirksam gegen die auch bei den Masai häufig auftretenden Unterschenkelgeschwüre, die, von eingeborenen Heilkundigen behandelt und mit Baumrinde bedeckt, oft einen schlimmen Anblick bieten.

Ich habe während meiner mehrjährigen afrikanischen Reisen von Fliegen, – mit Ausnahme der Tsetsefliegen – niemals besonders zu leiden gehabt und die Fliegenplage nicht so störend empfunden, wie etwa an der Somalküste.

Immerhin machen sich gewisse Stechfliegenarten während ihrer Schwarmzeit sehr bemerkbar. Das Reich der Dipteren und Odonaten Ostafrikas im allgemeinen ist ein noch wenig durchforschtes. Ich habe während meiner letzten Reise allein zwei neue Arten von Stechfliegen, die bis dahin unbekannt waren, heimbringen können. Für den Menschen am störendsten ist unzweifelhaft die Tsetsefliege, die für Pferde, Maultiere und Esel gleich tödlich ist und zu gewissen Jahreszeiten auftritt. Ich vermag mich der Ansicht nicht anzuschließen, daß gewisse Teile der Steppe tsetsefrei sind. Mit Ausnahme der Höhenlagen, in denen die Tsetsefliege fehlt, fand ich sie bemerkenswerterweise auch an Örtlichkeiten, die bis dahin als nicht von ihnen bewohnt erachtet wurden, beispielsweise überall am Panganiflusse im März und April.

Lästige und nicht seltene Gäste im Zelt sind Skorpione, deren Giftigkeit im allgemeinen jedoch übertrieben wird; freilich ist ihr Stich stets von unangenehmen Folgen begleitet. Einige meiner Träger machten sich ein besonderes Vergnügen daraus, große von ihnen eingefangene Skorpione auf ihren nackt rasierten Schädel zu setzen, um die Tiere dort unter dem Gelächter der übrigen Leute eine Weile umherspazieren zu lassen.

Unter den Zerstörungsversuchen der Termiten hat der Reisende besonders oft zu leiden.

Hatte ich für längere Zeit ein Lager aufgeschlagen, so fand ich oft die Unterseite meiner Lastenkisten schon nach einigen Tagen von den Termiten zerstört! Einst zerbissen sie mir in einer einzigen Nacht sämtliche Schnüre der Etiketten meiner aufgestapelten, zoologischen Präparate, mir so großen Schaden und Verdruß bereitend.

Ich erinnere mich noch, wie mein zeitweiliger Reisegefährte, Prinz Johannes Löwenstein, die Fahne seines Zeltes in einer Nacht völlig zerstört sah.

Sehr unangenehm sind auch nächtliche Überfälle von Ameisen.

Durch das Moskitonetz sich durchfressend, greifen sie unter Umständen den Schläfer im Zelte an. Die Gattin eines mir bekannten Bezirksamtmannes wäre in früheren Jahren einmal beinahe von Ameisen getötet worden.

»Siafu!« erklingt oft während des Marsches der Karawane der warnende Ruf der Voranschreitenden, so die nachfolgenden Träger vor den Zügen der großen Treiberameisen warnend, die namentlich in bevölkerten, feuchten Gegenden ihren Weg über den Karawanenpfad genommen haben!

Ebenfalls stark übertrieben scheint mir in den meisten Fällen die Schlangenplage zu sein.

In der Tagespresse pflegen wir alljährlich Berichte über eine große Anzahl der in Indien von Schlangen und Tigern getöteten Menschen zu lesen.

Es ist mir mitgeteilt worden, daß das dort herrschende Prämiensystem diese Zahlen unter den Prämien einheimsenden Händen der untergeordneten eingeborenen Behörden weit über das Maß des Tatsächlichen anschwellen läßt. Ich habe während meiner afrikanischen Reisen nur zwei Leute durch den Biß der Puffotter verloren. Selbstredend sind jedoch die auf den Plantagen arbeitenden Eingeborenen den Giftschlangen bei weitem mehr ausgesetzt, als das Land durchziehende Träger.

Über die unter Umständen ganz entsetzliche Plage, die durch Zecken herbeigeführt wird, habe ich in dem Kapitel über Büffeljagd genauer berichtet; in gewissen ungesunden Gebieten können die Zecken dem Europäer in der Tat den Aufenthalt unmöglich machen.

Unter allen Hemmnissen, die dem dauernden Aufenthalt und der Arbeit des Europäers in jenen Ländern entgegenstehen, ist und bleibt jedoch die Malaria an erster Stelle zu nennen. Jeder Laie weiß, daß nur wenige begnadete Naturen längere Zeit in jenen Ländern auszuharren vermögen, ohne ernste Malariaanfälle durchmachen zu müssen. Die große Anzahl der Europäer unterliegt aber von Zeit zu Zeit heftigen Anfällen. Das sollte niemals vergessen werden! Die heute im Schwunge befindliche Chininprophylaxe, also die regelmäßige Einnahme größerer Mengen von Chinin, hat zweifellos auf das Nervensystem einen höchst schädlichen Einfluß, und die durch die vielfachen Einflüsse des tropischen Klimas gesteigerte Nervosität wird durch die Chininwirkung sehr erhöht.

Zu den hier skizzierten Schwierigkeiten und Mühsalen, die sich dem Reisenden entgegenstellen, gesellt sich jedoch als Hauptfeind der Mangel an Wasser – ein bitterer Mangel –, den der Europäer immer und immer wieder empfinden wird.

Ich habe an anderer Stelle bereits die Qualen des Durstes näher geschildert und gesagt, daß solche nur schwer dem wasserverwöhnten Nordeuropäer klargemacht werden können, der Wasser als etwas Selbstverständliches erachtet.

Vielfach findet man in weiten Kreisen falsche Ansichten über Reisen im mehr oder weniger unbekannten Afrika verbreitet. Auch zur Zeit der völligen Unkenntnis jener Länder war es ihren Entdeckern einleuchtenderweise nicht möglich, aufs Geratewohl dem Kompasse folgend ins Unbekannte hinauszuziehen. Führer waren vielmehr stets Bedingung, es sei denn, daß man Flußläufen folgen konnte und so des Wassers sicher war.

Lange bevor unsere größten Entdeckungsreisenden Afrika durchquerten, hatten die Araber mit Sklavenkarawanen den Kontinent durchwandert! So waren längst traditionelle Karawanenstraßen entstanden, als Europäer begannen, ins dunkelste Afrika einzudringen. Diese Straßen sind auch vielfach bei jenen Unternehmungen benutzt worden.

Ich fand oft Eingeborene, welche imstande waren, von der Ostküste bis zum Kongo aus dem Kopfe jede einzelne Etappe des Karawanenweges anzugeben. Sie wußten, welche Nahrungsmittel die einzelnen Distrikte und Völker zu liefern imstande waren; sie kannten die Wasserplätze und Terrainschwierigkeiten, kurz alles in Frage Kommende, auf das allergenaueste. Bei näherem Nachfragen entdeckt man dann vielleicht zu seiner größten Verwunderung, daß diese Leute schon vor langen Jahren mit arabischen Händlern oder auch auf andere Weise jene Reise zurückgelegt haben.

Ein Wandern aufs Geratewohl hinaus ins Land ist nur in wasserreichen Gegenden und während der Masika, der großen Regenzeit, möglich. Zu jeder anderen Zeit, insbesondere in der Zeit der großen Trockenheit, wäre solches gleichbedeutend mit sicherem Untergang der Karawane binnen kürzester Frist. Schon wenn ein einziges Mal die erhoffte Wasserstelle ausgetrocknet oder nicht genügend ergiebig ist, kann man in allergrößte Bedrängnis geraten; in kürzester Zeit kann ein Teil der Karawanenleute oder auch die ganze Expedition dem Durste erliegen.

Es ist daher notwendig, sich stets mit eingeborenen Führern zu versehen oder aber auf alle Fälle genaueste Erkundigungen über die Wasserverhältnisse einzuziehen. Dabei ist sorgfältig zu beachten, daß bei großer Hitze Wasserpfützen mit ganz erstaunlicher Schnelligkeit durch die Gluthitze der Sonne ausgetrocknet werden.

Bei Reisen, ähnlich den meinigen, wird man jedoch trotz aller Vorsicht, heute oder morgen, durch Wassermangel in schwierige Lagen kommen. Doch auch ein »Zuviel« an Wasser kann verderblich werden!

Im schwanken Faltboote den Fluß übersetzend, verloren ich und zwei Schwarze im Dornengewirre der über das Flußufer hängenden Baumzweige durch Verlust eines Ruders die Herrschaft über unser Fahrzeug, und im nächsten Augenblicke flogen wir pfeilschnell in der Mitte des Flusses eine Stromschnelle hinab. Unterhalb derselben befand sich eine tiefe ruhige Strecke Wassers, in der eine Unzahl großer Krokodile auf Beute lauerten. Unglücklicherweise kippte unser Boot, auf einen Felsen auffahrend, in der Mitte der Stromschnelle plötzlich um und nur dem Umstande verdanken wir unsere Rettung, daß sowohl meine Leute als ich wohlvertraut mit dem Wasser, – dann aber auch von sehr erheblicher Körpergröße waren.

Dies ermöglichte uns, auf den Felsen im Wasser stehend, das umgeschlagene Boot festzuhalten, ohne jedoch imstande zu sein, uns fortzubewegen, da rechts und links tiefes reißendes Wasser uns daran hinderte.

Alles dieses geschah unmittelbar unserem Lager gegenüber. Blitzschnell waren die Soldaten und Träger alarmiert, und erstere eröffneten mit meinem Präparator ein Feuer aus ihren Mausergewehren auf den Wasserspiegel, um die Krokodile von einem Angriff abzuhalten.

Während so die Kugeln um unsere Köpfe sausten, stürzte sich Prinz Löwenstein, ohne einen Augenblick zu zögern, in den Fluß, um uns Rettung zu bringen.

Diese Handlung verdient die höchste Anerkennung, wenngleich der Prinz allein nicht fähig gewesen wäre, uns zu retten. Dies erforderte vielmehr das Zusammenwirken einer großen Anzahl unserer Leute, welche mit Stricken verbunden, sich uns näherten und uns unter dem andauernden Feuer unserer Askari ans Land beförderten.

Immerhin haben wir unsere Rettung aus dieser schwierigen Lage hauptsächlich der Initiative des Prinzen zu verdanken.

In solchen Augenblicken lernt man seine Reisegefährten besser kennen und schätzen, als vielleicht durch langen Verkehr inmitten der Zivilisation.

Zu den nicht erfreulichen Erinnerungen meiner afrikanischen Reisen gehören die Gewitternächte in den hochgelegenen Bergländern, in denen Sturmwind, Wasserfluten und Kälte, vereint mit den in unbeschreiblich großartiger Heftigkeit auftretenden elektrischen Erscheinungen in kürzester Zeit Unheil und Schrecken in die Karawane tragen.

Der schlimmste Feind der Träger ist nasse Kälte. Wenn sich oft urplötzlich bei Eintreten der Dunkelheit Regenwolken dräuend zusammenballen, das Firmament von Blitzen durchzuckt wird und Wirbelstürme sich erheben, dann aber prasselnde Regenfluten schon in wenigen Minuten das Lager unter Wasser setzen, – wenn im Nu die jüngeren Tiere der mitgeführten Herden, wie auch etwa mitgenommene Hühner ertrunken sind, die Menschen aber fröstelnd und halb erstarrt, von ihrem dürftigen Zeltchen kaum gegen den Regen geschützt, sich am Boden hinkauern; – wenn die Wut der Elemente einen Höhepunkt erreicht, der von unbeschreiblicher Großartigkeit ist, – so wirkt alles dies, wenn auch öfters erlebt, immer wieder aufs furchtbarste und großartigste auf den Menschen ein.

Ich erinnere mich solch einer tropischen Gewitternacht im britischen Ostafrika in den Ländern der Wasserscheide zwischen dem Viktoria-Nyanza und den zum Indischen Ozean abwässernden Gebieten, also in einer recht beträchtlichen Höhe über dem Meere. In kurzen Minuten durchlebte ich damals so viel schaurig Gewaltiges, daß ich wohl nicht fähig bin, auch nur einen Teil davon mit Worten wiederzugeben.

Damals vereinigte sich mit der Wut der entfesselten Elemente auch noch die Spannung, welche eine prekäre von Feinden bedrohte Situation im Reisenden hervorruft. Aufständische Gebirgsbewohner bedrohten die Karawanenstraße, die seit jenen Tagen durch einen Schienenweg ersetzt worden ist.

Die englische Regierung hatte damals wie heute nur die Sicherung dieses Karawanenweges im Auge und kümmerte sich gerechtfertigterweise mit Absicht wenig um das, was rechts und links im Lande geschah; wären doch zur Aufrechterhaltung einer Ordnung im europäischen Sinne ungezählte Soldaten und Beamte notwendig gewesen!

Der kommandierende Offizier des Forts von Nandi konnte mir daher nur acht Sudan-Askari als Begleitwache für die gefährdete Strecke zur Verfügung stellen. Steten Angriffs gewärtig, lagerte ich mit nur wenigen Leuten. So erlebte ich es, während des Gewittersturmes binnen wenigen Minuten das Lager unter Wasser gesetzt zu sehen, die Kälber meiner mitgeführten Kühe aber und eine große Anzahl von Gegenständen in den Wasserfluten zu verlieren. Meine halberstarrten Leute suchten zwar, so gut sie es vermochten, Schutz im Lager; aber jene Nacht legte den Grund zu Krankheiten verschiedener Art, die bald darauf ihre Opfer heischten. Mit einer unbeschreiblichen Heftigkeit wüteten Wasserfluten im Verein mit Wirbelwinden. Im Nu war mein Zelt umgelegt, ich selbst unter der nassen Leinwand begraben, und fast alle meine mitgeführten zoologischen Objekte waren teils fortgeschwemmt, teils vollkommen verdorben.

Die Heftigkeit der elektrischen Erscheinungen war unbeschreiblich; Blitz auf Blitz, gefolgt von furchtbaren Donnerschlägen, wechselten in unheimlicher Schnelligkeit miteinander ab, so daß die ganze Atmosphäre mit Elektrizität geladen schien.

Der Verlust meiner Kälber bedeutete für mich nichts Geringes.

Erst kürzlich vom schweren Siechenlager und Fieber erstanden, war es mir mit größter Diplomatie gelungen, von einem Häuptlinge in Mumia am Viktoria-Nyanza, unter Aufopferung meiner irgendwie entbehrlichen persönlichen Habseligkeiten, einige Kühe gegen alte Anzüge einzutauschen; nur so war der Häuptling zur Hergabe einigen Viehs zu bewegen gewesen. Der Verlust meiner Kälber nun bedeutete gleichzeitig das Versiegen der Milch meiner Kühe, denn die Zeburinder, welche sich allmählich dem seuchenreichen ostafrikanischen Klima einigermaßen angepaßt haben, – Afrika nennt keine Rinder, nur Büffel ursprünglich sein eigen, und das vermeintlich »afrikanische« Rindvieh stammt aus Indien – geben in den meisten Fällen nur dann Milch, wenn man die Mutter erst melkt, nachdem das Kalb eine Zeitlang getrunken hat.

Müssen dann nach solchen eisig kalten Regennächten auch während des Tages Gegenden durchzogen werden, deren hoher Graswuchs von Tau und Regen durchtränkt ist und bleibt; vermögen die belebenden Sonnenstrahlen die Regenwolken nicht zu durchdringen, und folgt solches vielleicht mehrere Tage hintereinander, so schimmeln dem Reisenden mit überraschender Schnelligkeit alle Bedarfsartikel und verderben pilzdurchwuchert.

So hat man das Gefühl, in einem unendlichen Grasmeere zu versinken, dessen Halme tropfenbeschwert über den Köpfen der Karawane zusammenschlagen, während alles, Mensch und Traglasten, bis zum kleinsten Gegenstand von Wasser trieft, mit Wasser gesättigt ist ...

Wochenlang kommt der Reisende unter solchen Umständen nur mit feuchten Kleidern, feuchten Betten, kurz nur mit feuchtkalten Sachen in Berührung, und jetzt zeigt es sich, ob in unserm Körper Fieberkeime der Entwicklung harren: mit Sicherheit werden sie durch die unerhörten Strapazen solcher Tage und Wochen ausgelöst ...

So sehen wir hier ein Land der schärfsten Gegensätze: die ödesten trockensten Durstländer, die zu anderen Jahreszeiten wiederum weiten, kaum passierbaren Sümpfen gleichen!

Ich glaube in vieljähriger Führung größerer Privatexpeditionen bewiesen zu haben, daß man imstande ist, als mit bewaffneter Macht reisender Privatmann in Ostafrika auf das ausgezeichnetste mit den Eingeborenen friedlich auszukommen.

Schwierigkeiten irgend welcher Art sind mir persönlich auch niemals erwachsen, und Übergriffe meiner Leute pflegte ich so streng zu bestrafen, daß ihnen die Lust verging, sich ein zweites Mal am Eigentum der Eingeborenen zu vergehen.

Nichtsdestoweniger bin ich zu nächtlicher Zeit zweimal von Masai überfallen worden, welche die Absicht hegten, mein Vieh zu stehlen.– – –

Im September 1896 lagerte die große und wohlbewaffnete Expedition, der ich mich damals hatte anschließen können, am Meruberge, einige Tage vom Kilimandscharo entfernt inmitten von Bananenhainen, mangels jedes anderen Platzes, an einer fraglos strategisch ungünstigen Stelle.

In Abwesenheit des Expeditionsleiters befand ich mich allein im Lager mit meinem geschätzten Freunde Alfred Kaiser Später Leiter der Agençe commerciale de la Suisse in Alexandrien. – einem Manne, der ein vieljähriges Leben unter den Beduinen Arabiens und auf dem Sinai hinter sich hat, – als gegen Abend eine Deputation von Greisen, geführt von dem damaligen Agenten der Station Moschi, einem Neger namens »Schundi«, ins Lager kam und um eine Unterredung bat.

Selbstredend wurde dieses »Schauri« gewährt, und in malerischer Gruppierung hockten die Leute im Zelte Kaisers nieder, der in arabischer Sprache – wir waren damals des Suaheli noch nicht mächtig – durch einen Dolmetscher die Beratung leitete.

Kaiser und ich erinnern uns jeder Kleinigkeit der Vorgänge jenes Abends.

Als die Eingeborenen den Vorschlag machten, eine große Anzahl ihrer jungen Speerkrieger in unser Lager zu senden, um dasselbe in Gemeinschaft mit den Bewaffneten der Karawane gegen einen eventuellen Angriff der Loitamasai zu verteidigen, lehnten wir das Ansinnen auf das bestimmteste ab. Die Begründung, daß nämlich die Masai sie selbst zu überfallen beabsichtigten, erschien uns allzu durchsichtig und verdächtig. Wir vermuteten beide ein Doppelspiel des politischen Agenten, der uns schon seit geraumer Zeit nicht sehr sympathisch war, und über dessen zweifelhaftes Verhalten in jener Nacht uns auch später volle Gewißheit wurde.

Mein Freund Kaiser wurde bei seiner sofortigen Entschließung über das Ansinnen der Eingeborenen vor allem unterstützt durch seine vielfältigen und mannigfachen Erfahrungen unter fremden Völkern, und in mir war ein plötzlicher, durch verschiedene Beobachtungen wachgerufener Argwohn aufgestiegen.

So verfloß die Nacht ereignislos, wohl hauptsächlich deshalb, weil Herr Kaiser und ich den Posten befohlen hatten, auf jeden sich zeigenden Eingeborenen unbedingt Feuer zu geben, und weil dieser Befehl von uns den abgesandten Greisen nachdrücklich eröffnet worden war. –

Viel später, nach Monaten, wurde es uns beiden klar, daß in jener Nacht unser Leben wohl nur an einem Faden gehangen hatte. ...

Kurze Zeit nach dem damaligen Ereignisse erschien nämlich der Kommandant des Forts von Moschi am Kilimandscharo in Begleitung zahlreicher Regierungsaskari am Meruberge, um zur Niederlassung zweier Missionare der Leipziger Missionsgesellschaft, der Herren Ovis und Seegebrock, ein Grundstück auszuwählen.

Gegen Abend warnten ein Häuptling und eine alte Frau die Europäer, es sei Gefahr im Verzuge. Ihre Warnung stieß auf Unglauben – indes nicht bei den Sudaanaskari, die ohne besondere Befehle, die geladenen Waffen unterm Arm, schlaflos die Nacht verbrachten.

In den ersten Morgenstunden vernehmen diese kriegsgewohnten und mit kriegerischen Instinkten begabten Männer ein Rascheln in den umgebenden Bananenhainen. Es wird ihnen klar, daß etwas im Gange ist. Ohne Überlegen eröffnen sie ein Feuer. Da klirrt es von Waffen und rauscht von anstürmenden Kriegern in der Dunkelheit – in so dichten Massen hatten sich die feindlichen Krieger bereits an das Lager herangeschlichen, daß die aufgehende Sonne am nächsten Morgen über dreißig tote eingeborene Krieger in nächster Entfernung vom Lager beleuchtete. ...

Ein oder zwei Schüsse waren gleichzeitig in dem nur wenige Minuten entfernten Lager der Missionare vernommen worden ... ...

Ein mutiger Schwarzer erbietet sich nach Abweisung des Angriffes, über einen Bach, der beide Lager trennte, ins Missionslager zu kriechen, um zu sehen, was sich ereignet habe.

Der Mann verschwindet in der Dunkelheit und nach einiger Zeit kommt er zurück. Alles dort drüben im Lager Befindliche war tot, beide Missionare von unzähligen Speerstichen durchbohrt, ihre Habseligkeiten bis aufs kleinste zertrümmert. ...

Es folgte nun ein großer Strafzug, und lange herrschte dann wiederum scheinbarer Frieden. – – –

 

Etwa drei Jahre später zog ich wiederum zum Kilimandscharo und fand dort alles scheinbar im tiefsten Frieden.

Auch den Missionaren war von neuen feindseligen Absichten der Bergbewohner nicht das geringste bekannt geworden.

Kurze Zeit nach meinem Abmarsche aus Moschi erlebte ich nächtlichen Alarm. Ich hatte den Abend als Gast der katholischen Mission verbracht und war, wie gewöhnlich, mit größter Liebenswürdigkeit bewirtet worden. Ins Lager zurückgekehrt, war ich kaum entschlummert, als ich unsanft geweckt wurde ... ... Eine große Anzahl Eingeborener waren plötzlich und schattengleich in mein Lager eingedrungen, aber bei dem sofort gegebenen Alarmsignal hatten sie sich ebenso schnell in die Dunkelheit geflüchtet. ...

Blitzschnell, ehe es sich beschreiben läßt, hatten mein Präparator und ich ein Karree mit unsern Askari gebildet. Scharfe Kommandorufe gellten durch die helle Mondnacht – – –

Monate vergingen wieder ohne Zwischenfall.

Als ich jedoch am Schlusse meiner damaligen Reise im Jahre 1899, von den Ndjirisümpfen kommend wiederum zum Fort Moschi zog, ahnte ich nicht, daß ich mitten aus tiefstem Frieden plötzlich in die kriegerischsten Ereignisse eintreten sollte. – In der Nacht vor meinem Einzuge hatten die Eingeborenen nämlich versucht, nächtlicherweile das Fort zu überrumpeln. Die von der Besatzung in dieser Nacht abgegebenen etwa 500 Schuß belehrten mich über den Ernst der Situation. ...

Wir verbrachten nun, die Büchse unter dem Arm, einige höchst spannungsvolle Tage und namentlich Nächte, in denen auch meine gesamten bewaffneten Privat-Askari und Mannschaften auf dem Hofe des Forts konsigniert und zur Verfügung des stellvertretenden Kommandanten Oberleutnant Merker gestellt wurden.

Dieser hatte in Abwesenheit des Befehlshabers mit größter Umsicht alles Notwendige veranlaßt, um fernere nächtliche Überfälle abweisen zu können.

In der Weihnachtsnacht gegen neun Uhr abends flüchtete denn auch von neuem die ganze Bewohnerschaft der Ansiedlung mit Weibern und Kindern in die schützenden Mauern des Forts.

Es kam jedoch nicht mehr zu einem nächtlichen Angriff, da die Eingeborenen nunmehr ihre Pläne verraten wußten.

Die nachfolgende Strafexpedition, die Überziehung der Bergbewohner mit Krieg, die Hinrichtung von neunzehn Häuptlingen an einem Tage zum warnenden Exempel werden den Ernst der Situation vollkommen darlegen ...

Zu meinem großen Bedauern wurde mir seitens des Kommandanten eine Teilnahme an dem Feldzuge nicht ermöglicht, obwohl ich mich zur Verwendung in irgend einer Qualität, sei es auch als Krankenpfleger, gemeldet hatte.

Nie wird diese Weihnachtsnacht meinem Gedächtnis entschwinden. Nun wurde mir auch klar, was die nächtliche Szene zu bedeuten gehabt, welche ich in Kidoscho zur Nachtzeit bei meinem Ausmarsche erlebt hatte ... Offenbar hatten die Eingeborenen damals schon verräterische Absichten, die nur durch die Wachsamkeit meiner Leute vereitelt worden waren.

Während des sich damals abspielenden Strafzuges der Schutztruppe, die von der Küste aus wesentlich verstärkt worden war, ereigneten sich übrigens einige bemerkenswerte Fälle heldenmütigen Benehmens einzelner Aufständischer.

Ein Krieger des Meruberges antwortete lakonisch auf die Vorhaltung, ob er sich denn nicht fürchte, umsonst gegen die übermächtigen europäischen Waffen zu kämpfen: »Ich kenne keine Europäer, ich kenne nur mich, meinen Speer, meine Weiber und meine Viehherden.«

Einer der hinzurichtenden Häuptlinge aber, Meli, ließ sich nicht erst von den Askari vom Brette am Galgen herabstoßen, sondern sprang, die Schlinge um den Hals, selbst in den Tod mit einem dem Kommandanten zugerufenen »Kwaheri Bwana!« (»Lebewohl!«) ...

Wiederum vier Jahre später, im Herbste des Jahres 1903, befand ich mich jenseits des Kilimandscharo weit draußen in der Steppe mit meiner gegen 120 Mann zählenden, mit gegen dreißig Hinterladern bewaffneten Karawane.

Es war mir nicht unbekannt, daß Masai-Moran vor etwa Jahresfrist unfern meiner Lagerstelle eine aus drei griechischen Händlern und einer Anzahl Schwarzer bestehende Karawane nächtlicherweile niedergemetzelt und die Viehherden dieser Karawane geraubt hatten. Nur einer dieser Griechen, ein alter Mann, hatte die Geistesgegenwart, sich tot zu stellen, als er einen Speerstich durch den Oberschenkel bekam. Im Nu hatten die Masai geschickt das Vieh in der dunklen Nacht weggetrieben. Nach einiger Zeit kroch der Verwundete, als er nichts mehr vernahm, an eines der Lagerfeuer, wärmte sich notdürftig in der kalten Nacht und wurde dann am nächsten Morgen von einigen ebenfalls dem Tode entronnenen schwarzen Begleitern zum Fort am Meruberge getragen.

Jedenfalls war hier in der Steppe, dicht an der englischen Grenze, die den feindlichen Masai Gelegenheit gab, sich über dieselbe in Sicherheit zu bringen, Vorsicht geboten. Es war vielleicht allzu vertrauensselig von mir, daß ich wochenlang einer immer mehr anwachsenden Menge von Masaikriegern in meinem Lager Obdach gewährt hatte.

Die Anwesenheit der Leute war mir aber zum Studium dieses seltsamen Volkes sehr erwünscht gewesen. Erst als ihre Anzahl allzusehr anschwoll, eröffnete ich ihnen, daß ich über zehn Mann fernerhin in meiner Nähe nicht mehr dulden würde. Daraufhin waren sie plötzlich in alle Winde zerstoben und nur einige ältere Leute hatten sich mir auch fernerhin angeschlossen.

Einige recht schwierige und weite Märsche standen mir nun bevor.

Es galt »Telekésamärsche« zu machen, um wasserlose Strecken zu überwinden.

Am 20. August war ich gegen 1 Uhr mittags aufgebrochen und hatte nach anstrengendem Marsche bei Eintritt der Abenddämmerung inmitten einer dürftig mit Terminalien und Akazien bestandenen hügeligen Steppe das Lager aufgeschlagen. Die Lasten waren zusammengelegt und mein Vieh, einige neunzig Stück, in einen schnell hergestellten Dornenverhau – »Boma« genannt – eingeschlossen worden.

Ringsumher lagerten die sehr ermüdeten Träger, trotz ihres Durstes bald in tiefen Schlaf fallend.

Das Zelt meines Präparators und mein eigenes waren ohne Sonnensegel in der Eile notdürftig aufgestellt worden. Wie gewöhnlich schliefen meine Bewaffneten zusammen an einem der Lagerfeuer, und ein Posten patrouillierte rings ums Lager.

Auch uns Europäer hatte bald tiefer Schlummer umfangen, als mitten in der Nacht ein plötzlicher Angriff der Masai, die uns in die Einöde verfolgt hatten, erfolgte.

Die Angreifer – einige hatten bereits das Lager erreicht – wurden indes zurückgeschlagen, und blitzschnell folgte Salve auf Salve in die Dunkelheit hinaus, während die feindlichen Krieger waffenklirrend die Flucht ergriffen.

Alle meine unbewaffneten Leute hatten sich, wie dies häufig von mir eingeübt worden war, auf den Boden geworfen, wir Europäer jedoch mit den Bewaffneten ein Karree gebildet. Alles das war das Werk weniger Augenblicke gewesen ... Nun folgten spannungsvolle Stunden in völliger Dunkelheit, nur unterbrochen von hier und dort hin gerichteten Schüssen in der Richtung, wo irgend ein Geräusch den Feind vermuten ließ.

Aufs äußerste spannten wir unsere Sinne an, und seltsam kontrastierte die tiefe Stille der sich auf den Boden duckenden Leute mit dem Brüllen des geängstigten Viehes und dem Knattern der Salven.

Längst waren die Lagerfeuer, die mangels Brennholzes schon beim Überfalle sehr niedergebrannt waren, völlig ausgelöscht worden. Da vernahmen wir alle deutlich nochmals, nicht weit vom Lager, ein Klirren wie vom Anstoßen von Speeren gegen Steine.

Sofort erfolgten einige Schüsse in der Richtung des vernommenen Geräusches.

Unter solchen Unterbrechungen verging die Nacht. –

Am nächsten Tage wurden sehr weit von der marschierenden Karawane zahlreiche Masai wahrgenommen, die nach uns ausspähten, aber auf einige Schüsse sofort die Flucht ergriffen.

Es ist bezeichnend für die Schlauheit der Masai-Moran, daß sie gerade jene Nacht zum Überfalle benutzten, in der weder ich noch meine Leute einen solchen erwartet hätten, da in jenem Teile der Steppe wegen ihrer Wasserlosigkeit kein menschliches Wesen vermutet werden konnte.

Jedenfalls waren wir mit knappester Not dem Schicksale der vor Jahresfrist niedergemetzelten Karawane entgangen. Wir hatten um so mehr von Glück zu sagen, als die Nacht absolut dunkel und schwarz war und somit die speerbewaffneten Moran im Nahkampf unseren wenigen Schußwaffen gegenüber sehr im Vorteile gewesen wären.

In einigen mir bekannten Fällen hatten die Masai stets versucht, geräuschlos den Viehbestand fortzutreiben, worin sie eine erstaunliche Meisterschaft besitzen. Erst als sie Widerstand fanden, hatten sie, alles Lebende blitzschnell niederstoßend, von ihren Speeren Gebrauch gemacht. Nur mein ganz außerordentlich schnell gelungener Alarm dürfte uns gerettet haben, und mein System, mit mehreren stets völlig schußfertigen Repetierbüchsen und Mauserpistolen umgeben zu schlafen, meine Leute aber neben der geladenen Büchse schlafen zu lassen, halte ich für gut.

Ich muß gestehen, daß solche Überfälle in schwärzester Dunkelheit nicht gerade zu den ausgesuchten Vergnügungen afrikanischer Reisen zu zählen sind, zumal da beim Gebrauche von Schußwaffen unter solchen Umständen gegenseitige Tötung und Verwundung der eigenen Leute kaum zu vermeiden sind.

In ähnlicher Weise verliefen wohl die meisten Überfalle der Masai, – fast ausnahmslos zur Nachtzeit.

Ich habe jedoch niemals erlebt, was einige Reisende in früheren Jahren, als die Rinderpest noch nicht gewütet hatte, erlebt haben, andere erlebt haben wollen: Den mutig in offener Schlacht mit Speer und Schild europäischen Feuerwaffen gegenüber stehenden Masaikrieger!

Selbstverständlich war ich von nun an höchst vorsichtig geworden, und eine größere Anzahl eiligst vom Fort erbetener und gelieferter Mauserbüchsen mit Munition gewährleisteten meiner Karawane denn auch für die Folge eine größere Sicherheit.

Mit welcher Gewandtheit das Masaivolk selbst mit den größten Viehherden fertig zu werden versteht, wie geschickt und schnell die Masaihirten Vieh zu treiben verstehen, davon lieferte mir einen drastischen Beweis ein Vorkommnis, das mir heute noch unerklärlich ist.

Um die Mittagsstunde kehrte ich einst in Begleitung einer ganzen Anzahl von Leuten zu meinem Lager zurück, als wir plötzlich – es war auf dem rechten Ufer des Panganiflusses – eine größere Viehherde und eine ganze Anzahl von Masai bemerkten. Sehr wahrscheinlich hatten wir Masaikrieger vor uns, denen ein Viehraub in der benachbarten Landschaft Useguha gelungen war, und die nun zu ihren Wohnsitzen an den Sogonoibergen zurückkehrten.

Die Entfernung zwischen uns und den Masai betrug etwa anderthalb Kilometer. Sofort eilte ich mit meinen Leuten so schnell es möglich war auf die Krieger zu.

Wir mußten eine Talsenkung durchschreiten, die uns einige Minuten die Aussicht versperrte. Als wir an Ort und Stelle angelangt waren, waren jedoch Masai und Vieh wie vom Erdboden verschlungen, und obwohl wir sofort nach allen Richtungen im allerdings ziemlich dichten Buschwerk des Flußufers ausschwärmten, gelang es uns nicht, die Gesuchten abermals zu Gesicht zu bekommen.

Erst spät am Nachmittage fanden wir, daß die Flüchtlinge in einer nicht von uns vermuteten Richtung das sämtliche Vieh – vereinzelt – flußaufwärts getrieben hatten. Die Verfolgung war schon deshalb aussichtslos, weil der steinige Boden, der die Flüchtlinge aufgenommen hatte, keine Spuren ihres Weges aufwies.

Angesichts so mancher bedauerlicher Streitigkeiten und Kämpfe von Reisenden mit den eingeborenen Stämmen kann ich nicht umhin, meine Ansicht dahin auszusprechen, daß viele dieser Verwicklungen sich wohl bei einigermaßen gutem Willen der Europäer hätten vermeiden lassen.

Freilich wird hierdurch das Reisen in diesen unerforschten Ländern bei weitem teurer.

In der »guten alten Zeit« war es freilich leicht, »billig« zu reisen, ausgerüstet mit zahlreichen Patronen, ohne jede weiteren Vorräte!

Merkwürdigerweise fingen unter solchen Umständen die Eingeborenen stets Streitigkeiten an, – ein verräterischer Pfeil flog den Ankömmlingen entgegen, – Salven wurden abgegeben; die Bewohner der Ortschaften ergriffen die Flucht – und alle ihre Vorräte waren nun den »Siegern« bedingungslos preisgegeben.

Ist aber der Reisende auf friedlichen Tauschverkehr angewiesen, so muß er begreiflicherweise eine große Menge von Tauschwaren mit sich führen, um die Verpflegung seiner Leute zu bewerkstelligen, und in Zeiten der Dürre und Teuerung verlangen die Eingeborenen gerechtfertigterweise für ihre Feldfrüchte weit mehr als in normalen Zeiten, da sie ja selbst bis zur nächsten Ernte ausschließlich auf die Erzeugnisse ihrer Scholle angewiesen sind.

So wurde das Hungerjahr 1899/1900 für mich ein außerordentlich teures, da ich, wie schon mehrfach erwähnt, meine Karawane hauptsächlich mit Vegetabilien ernährte und nur nebenbei den Leuten in Gestalt von Wildfleisch eine Zugabe zu ihrem täglichen »Poscho« (tägliche Verpflegung) bewilligte.

Mit ostafrikanischen Trägern zu reisen, mit den Eingeborenen dort auf friedlichem Wege auszukommen, ist, vorläufig noch, wahrhaftig kein schwieriges Unterfangen, und wenn ich auf irgend etwas mit Befriedigung zurückblicke, so ist es der Umstand, daß ich niemals persönlich das Blut eines Schwarzen habe wissentlich vergießen müssen. –


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