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Die Sünde im Wasser.


Nicht die Wellen haben es gesungen –
Was wissen die Wellen von der Liebe?
Nicht die Vögel haben es gepfiffen –
Was wissen die Vögel von den Menschen?
Es geschah in der Stadt und stand in jeder Zeitung –
Aber was weiß auch die Zeitung?
Nur der Dichter versteht, der allen freund ist.

Auf eine Stunde weit hatte der Rhein die Felder überflutet. Ohne Regung und sonnenbeschienen, wie eine Metallscheibe, lag das Wasser da.

Ein weitästiger Baum stand einsam mitten darin. In seinem Zweigwerk sprangen an allen Ecken und Enden die schmalen Blätter aus den braunen Knospenknoten, und über ihm und immer um ihn her lärmte ein tausendstimmiges Vogelvolk.

Auf den Baum zu kam ein junger Mann. Das Wasser ging ihm bis an die Hüften, und er schob die Flut mit den Schenkeln vor sich her. Oft hielt er die Hand an die Augen und sah nach dem Baum hin. Mit vorgebeugten Schultern und weitgesetzten Beinen kam er schnell näher. Um das Gleichgewicht zu wahren, machte er sonderbare Bewegungen mit den Armen. Dann stand er still, hielt die Hände, zu einem Kreis gebogen, vor den Mund und rief: »He, Grete! Bist du da?«

Aus dem Baum kam keine Antwort, aber um so kräftiger, in wachsender Angst und Erregung schritt er aus, und als er unter den breitgebogenen Ästen stand, rief er laut auf in freudigem Schreck.

Über zwei Äste gestreckt lag das junge Mädchen da, ihre Arme hielten den dicken Stamm umfaßt, und ihre Beine hingen weit aus dem Kleid hervor.

Der junge Mann stand und sah zu ihr hinauf. Er wollte jubeln, aber nur ganz leise: »Grete –« kam es aus seinem Mund. Dann griff er schnell und entschlossen in die noch regennassen Äste und zog sich hinauf. Bald war er mit dem Kopf bei ihr, während seine Füße auf dem Ast darunter standen. Er beugte sich ganz über ihr Gesicht, in dem die Augen müd geschlossen waren, horchte auf ihren Atem und legte die Hand auf ihre Brust – ja, die bewegte sich.

Er betrachtete sie: ihr weißes Kleid war schmutzig und naß und zerrissen, ihre Schuhe und Strümpfe waren mit nasser Erde bedeckt und ihr roter Strohhut verfärbt und verbogen. Aber darunter atmete ihr Gesicht still und fröhlich.

Er nahm ihre Hände: sie waren warm. Er fühlte mit den Fingern an ihren Armen hinauf, so weit er konnte: auch sie waren warm, so kalt und naß auch das Kleid daran klebte. Er zitterte in den Armen vor innerem Jubel, beugte seinen Mund und küßte sie auf die Stirn, wie eine Schwester, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und betrachtete es und lachte es an, bis sie, wie durch die Gewalt seiner Blicke, endlich die Augen auftat.

Sie lachte schon vorher, noch im Schlaf. Dann, als sie in das Gesicht über dem ihren sah, war sie erstaunt, war sie erschreckt, stammelte sie, indem ihr die Tränen aus den Augen brachen.

Sie wollte in die Höhe in ihrer Freude, aber er drückte ihren Leib hinunter auf die Äste. Sie faßte nach seinen Händen, um ihn zu fühlen, aber er hielt ihr die Arme fest, zog seine Beine auf ihren Ast hinauf und setzte sich neben sie.

»Sei still und iß!« sagte er, holte ein Butterbrot aus der Tasche und hielt ihr das an den Mund. Aber sie wollte sprechen und sich freuen, und er mußte ihre beiden Hände mit seiner einen zusammenhalten und ihr mit der andern das Brot zwischen die Zähne stecken. Da biß sie hinein und aß langsam, während ihr ganzes Mädchengesicht leuchtete. Sie hatte Hunger, sie aß das ganze, männerhandgroße Brot und noch ein zweites.

Aber dann lachte sie und atmete mit sattem Magen auf, und er ließ sie los. Gleich faßte sie ihn. »Hein, du,« sagte sie leise und legte ihre Stirn in seine Hände.

Er sah auf sie hinunter und war glücklich. »Ist dir kalt?« fragte er.

»So warm ist mir,« sagte sie und nahm seine Hände und jeden einzelnen Finger und drückte sie mit den ihren.

»Du liegst wohl nicht sehr weich auf dem Holz da, was?«

»Sehr nicht,« sagte sie, »mein Rücken tut mir weh genug.«

Er zog seine Jacke aus, brach kleine Äste ab und legte sie über die großen hin. Er breitete die Jacke darüber aus und legte die Freundin darauf nieder.

Sie sah ihm fröhlich und dankbar in die Augen. »Daß du gekommen bist! Was wäre mit mir nun ohne dich?«

»Hast du gezweifelt, daß ich zu dir komme? daß ich dich finden und nach Haus bringen würde? Nein du! Sieh, ich war noch keine Minute in eurem Haus, als dein Verlobter lachte: ›Ja, die Grete ist seit zwei Stunden weg, die ist dir entgegen, die konnte ja nicht erwarten, ihren lieben Vetter endlich zu begrüßen – hast du sie nicht getroffen unterwegs?‹ Ich aber schnell den Hut auf und wieder zum Haus hinaus, wieder den Weg zurück. Und da war mir bald klar: die hat abkürzen wollen, ist über den Hügel, hat plötzlich das Wasser gesehen, ging zurück, sah nun auch da Wasser, versuchte doch durchzukommen und kletterte schließlich auf den Baum – es ist ja nichts andres da als der Baum.«

Sie schmiegte sich an ihn. »Was tun Vater und Mutter?«

»Sie stehen am Gartenzaun und halten Ausschau nach uns.«

»Laß uns fort von hier,« sagte sie hastig.

»Ach was, sei jetzt nur nicht mehr bang. In einer Stunde, in zwei Stunden hast du wieder trocken Land unter den Schuhen.«

»Kann ich nicht durch das Wasser so gut wie du?«

»Und wenn das Wasser steigt – was dann?« Er legte sich und streckte sich neben sie aus. Die Äste beugten sich ein wenig, und die Blätter an den Enden raschelten. Sie taten Arm in Arm, er erzählte ihr, und sie hörte mit großen Augen zu. Sie sah ihm in das sonnenverbrannte Studentengesicht, das eine breite Narbe auf der Backe verwegen machte, und bewunderte ihn und drückte seinen Arm an sich.

»Dein Verlobter ist nach einem Boot und nach Leuten aus. Wir müssen auf ihn achten und ihm ein Zeichen geben,« sagte er mit gleichgültiger Stimme. »Sei nur ruhig. Wenn man einen Bürgermeister, so einen kleinen Herrscher, zum Vater hat, wie du, und einen Professor zum Bräutigam, dann kann man schon unbesorgt sein. Dann wird schon geschehen, was nötig ist. Herrgott, wie ich mich auf die paar Wochen bei euch freue! Sag', sind solche Ferien nicht eine wohltätige Einrichtung?«


Nach langer Zeit richtete er sich auf, bog die Zweige auseinander und sah nach allen Seiten auf das Wasser hinaus. Die Sonne fing an unterzugehen. »Na, jetzt werden sie bald kommen,« sagte er.

Ihr war es gleichgültig. Jetzt hatte sie den Vetter bei sich und war ruhig.

Er sah unter sich: wie das Wasser stieg! Vor weniger Zeit noch sahen die Arme des hölzernen Kreuzes da über der Flut hervor und schon waren sie verschwunden. Er legte sich wieder neben sie, und sie sahen schweigend in das noch kärgliche grüne Laubdach über ihnen, in die kommende und gehende Vogelschar. Er hielt sich die beiden Ohren zu, und sie tat es ihm mach: an der plötzlichen Stille merkten sie erst, welch ein Lärm da über ihnen trillerte und zwitscherte, pfiff und kreischte. Aber dann lauschten sie wieder, und es klang ihnen wie Frühlingsjauchzen. Sie fühlten sich eins mit den herzschlagenden Tieren, die das Wasser mit ihnen auf den Baum getrieben hatte.

»Woran denkst du?« fragte er.

»Ich denke an Pudel – lache nicht.«

»Hattest du ihn mitgenommen?«

Sie nickte mit dem Kopf. »Er war hinter einem Hasen her. Ich pfiff und rief eine halbe Stunde und wollte zurück, aber nun war überall Wasser vor mir, und ich watete bis zu dem Baum her.«

»Und dann bist du eingeschlafen?« fragte er mit gutmütigem Spott.

»Ja – denke: ich habe die ganze vorige Nacht getanzt – und dann kam's – ich weiß nicht wie. Ich weiß nur, daß ich wieder wach geworden bin, als du da warst.«

Er sprach nichts weiter, und als sie die Augen wieder eine Weile zumachte, bog er von neuem heimlich die Äste auseinander und sah hinaus, ohne den Kopf zu heben. Aber es war nichts zu sehen, als der Rand der fernen Berge ringsum und über den Obstbäumen hinten der spitze Kirchturm der Stadt. Ebenso heimlich zog er seine Uhr aus der Weste. Aber sie merkte es und fragte ihn.

»Sechs Uhr,« sagte er, obwohl die Uhr still stand und die Sonne schon mit ihrem untern Rand an den Bergrücken rührte.

Sie rückte mit den Schultern hin und her, leise, damit er es nicht gewahr wurde. Aber er spürte es dennoch. »Liegst du noch hart?« fragte er.

»Nein,« sagte sie und lag ganz ruhig.

Er glaubte ihr nicht und zog seine Weste aus, um ihr die unterzulegen. Sie wollte sich nicht aufrichten, und er schob sie ihr mit Gewalt unter den Rücken. Sie konnte sich nicht wehren gegen ihn: er hatte so viel Kraft in seiner einen linken Hand, daß sie mit ihrem ganzen Leib nicht dagegen ankam.

So lagen sie, und wieder eine Stunde verging.

Ein jedes fühlte, wie in seinem Magen ein Gefühl der Angst anfing zu zittern. Aber keines sagte davon dem andern.


Durch den Spalt seines Hemdes lugte seine nackte Brust. Sie rührte mit dem Finger daran und lachte ihn an. Dann streifte sie seine Hemdsärmel auf und besah und befühlte voll Staunen seine sehnigen Arme. Er ließ seine Muskeln spielen und weidete sich an ihrer Verwunderung. Nun wollte sie sich auch mit ihren Muskeln rühmen. Sie beugte ihren Arm, und er befühlte ihn mit zwei Fingern. Sie biß sich auf die Zähne, um alle ihre Kraft hineinzulegen. Dann fühlte sie selber, und beide lachten.

So warteten sie und warteten sie. Der Schmutz der Vögel fiel auf sie herab; sie bauten ein Dach von abgerissenen Zweigen über ihren Köpfen, um sich dagegen zu schützen. Auch Scharen von Mücken und Fliegen schwärmten ihnen um Hände und Gesicht und schienen sich mit dem steigenden Abend zu mehren, als ob das dunkle, sonnenwarme Wasser sie ausbrüte.

Schon sah von der Seite her der Himmel rot durch die Zweige, und das Grün der Blätter wurde dunkler. Er gab ihr wieder zu essen, aber er mußte mit ihr teilen, sonst wollte sie nicht. Er schöpfte Wasser in seinen Hut, und sie tranken zusammen daraus – es schmeckte warm und nach Erde.

Die Vögel sahen das Brot und flatterten dicht um sie herum. Grete warf ihnen Brocken zu, und mit ohrenbetäubendem Gezwitscher stürzten sie sich darauf. Einem setzten die andern so mit Schnabelhieben zu, daß er blutend durchs Gezweig ins Wasser fiel. »Iß deine paar Brocken selber,« sagte Hein, und sie warf nur noch heimlich.

Ihre Kleider, von der Flucht durch Weiden und Gestrüpp, vom Ausgleiten und Hinfallen naß geworden, waren schon wieder trocken und warm. Aber die Schuhe waren von dem Wasser steif und drückten. Sie zogen beide ihre Schuhe aus und hingen sie an einen Zweig über sich. –

Sie lagen, und jedes ging seinen Gedanken nach.

»Sieh doch, wie nah das Wasser ist,« rief sie mit einem Male, streckte ein Bein aus und erreichte das Wasser mit den Zehen.

Sie spritzte ihm dicke Tropfen ins Gesicht, während er vor sich hinstarrte. »Du,« sagte er, »wir wollen höher hinauf klettern.«

Sie sann, und auf ihr Gesicht legte sich großäugige Angst: »Müssen wir die Nacht hierbleiben – was, du?«

»Ja,« sagte er leise, »sie werden erst morgen kommen und uns holen.«

Sie überlegte. »Können wir nicht auf einen Balken klimmen, der im Wasser treibt?«

Er schüttelte mit dem Kopf. »Dummes Zeug,« sagte er, »alles andere als Hierbleiben ist der Tod.«

Sie lachte, aber dann schwieg sie, atmete schneller und drückte sich an ihn. Ein kalter Schauer lief ihr unter dem Kleid über den Leib. »Daß du bei mir bist,« sagte sie.

»Es wird eine schöne Nacht werden, eine Nacht wie im Märchen, freu' dich doch darüber – du hast dein ganzes Leben davon zu erzählen.«

»Ja,« sagte sie mit weiten Augen.

Nun kletterte er hinauf, und sie reichte ihm Jacke und Weste mit ausgestreckten Armen. Er nahm die Schuhe dazu und legte alles über sich, so hoch er reichen konnte. Dann kletterte er weiter und suchte den, besten Platz aus. Wie ein Affe kroch er auf Händen und Füßen auf die andere Seite des Stammes, breitete die Kleider aus und legte von dem jungen Laub darauf, was er erreichen und abreißen konnte.

»Komm hinauf,« rief er zu ihr hinunter.

Sie kam, geschickt wie ein Junge, zog sich an seiner hingehaltenen Hand hinauf und war voller Freude über das schöne Nest, das er gebaut. So legten sie sich behutsam hin und streckten Glied für Glied aus. Die Äste hier waren nicht mehr so dick und schnitten noch mehr in die Knochen. Sie legten Brust an Brust, schlangen die Arme umeinander, und die dunkle Nacht schlug langsam ihre Decke über den Baum. Auch das Vogelvolk, jetzt nahe über ihnen, war ruhig und schlief. Nur hin und wieder kreischte ein kurzer Zank auf.

Grete begann leise ein Lied zu singen, ein stilles, wie es die jungen Mädchen abends in der kleinen Stadt an den Türen sangen. Es klang so sonderbar in der lautlosen Nacht, in der nur das Wasser leise schluckte und gurgelte. Hein summte die tiefe Stimme dazu, dann kam ihnen die Lust, und sie sangen laut mit weiter Brust. Es klang innig und selig wie ein Märchen, eine Nachtigall löste sich von den Zweigen oben und vermischte ihr Lied, das ihnen den Atem nahm und Tränen in die Augen lockte, mit dem Menschensingen. Nicht lange, dann verhallte es draußen, den Bergen zu, und dann war auch ihr Lied zu Ende. Es schauerte sie beide in der plötzlichen Stille, und sie schmiegten sich enger aneinander.

»Tu deine Augen zu,« sagte er, »und schlafe nur. Habe keine Furcht: ich bleibe wach.«

»Ich bin nicht müde,« sagte sie.

»Tu deine Augen zu,« befahl er und tastete nach ihren Lidern. Sie hatte die Augen zu und atmete bald leise und regelmäßig.

Er lauschte. »Grete?« fragte er. Sie war still, sie schlief. Er lag lange und träumte. Als sie im Schlafe sonderbar aufseufzte, drückte er in einem aufwallenden Gefühle der Gemeinsamkeit ihrer Lage seinen Mund auf ihre Backe und auf ihre Stirn und legte seine Arme nun fest um ihren Leib: o, er wollte wach bleiben und sie hüten! Ihm fielen ihre guten, alten Eltern zu Hause in der kleinen, enggassigen Stadt ein, er stellte sich vor, was sie tun und reden mochten – nun, morgen hielten sie ihr Kind ja wieder in ihren Armen und streichelten ihr mit den weißen, alten Händen über das Haar.

Er ertappte sich darüber, daß ihm die Augen zugefallen waren, und um sie offen zu halten, begann er Verse vor sich her zu sagen. Aber bald hörte er nur noch den Klang, und der Sinn schwand seinem Bewußtsein. Stundenlang lag er und zwang sich, wach zu bleiben. Er setzte sich und lauschte auf die unbestimmten Töne, die aus der Welt da draußen fast unhörbar herüberhallten – wie ein Schlag an Holz, dann wie ein Schleifen und Klirren.

Die Augen taten ihm weh und brannten. Er entschloß sich, sie zuzumachen, ohne zu schlafen. Er fing an, Reime zu machen – ein schönes, edles Gedicht auf das Mädchen neben ihm, das er ihr morgen, wenn die Sonne schien, sagen wollte. Das Wort »weiß« kam zweimal darin vor: das war die Farbe, die er vor sich sah, wenn er an ihren Namen dachte.

Sie atmete laut und tief. Wenn ihre Brust sich hob, fühlte er sie an der seinen. Er sog ihren Atem ein und dachte, wie duftig der war, und dann dachte er noch, daß er ja nun doch eingeschlafen war, und dann schlief er wirklich. Bald mischten sich seine vollen, breitbrüstigen Atemzüge mit den ihren.


Früh am andern Morgen war sie wach.

Über ihr tollten schon die Vögel. Gleich drehte sie den Kopf nach dem Vetter, und als sie ihn noch schlafen sah, war sie ganz still. Sie rieb sich die Augen und gähnte, und erst nach einer Weile fiel ihr ganz ihrer beider Lage ein. Aber sie war nicht mehr bange bei dem hellen, steigenden Tag: heute kam ja ihr Verlobter mit den Leuten, und Hein war ja bei ihr.

Sie richtete sich leise auf. Wie tat ihr der Rücken weh! Sie war wie gelähmt, wie mit Stöcken geschlagen an allen Gliedern. Sie bewegte die Arme und drehte sich in den Schultern und in den Hüften. Sie schob die Zweige über sich auseinander, und ein blendender Sonnenstrahl blitzte ihr in die Augen.

Dann wollte sie zum Wasser hinunterklettern und trinken und sich waschen – aber da erschrak sie. Das Wasser stand dicht unter ihr. Ihre Schuhe schwammen darauf, und die Sonne erleuchtete es, so daß sie die Äste, auf denen sie gestern gesessen, tief unten schimmern sah. Und wenn sie ihren Ast mit den aufgestemmten Armen hinabdrückte, berührten die Enden die Oberfläche.

Im ersten Schreck wollte sie ihn wecken. Aber dann zögerte sie und hielt es für besser, ihn in seinem Schlaf zu lassen. Sie legte ihm eine Handvoll Blätter über die Augen, daß er sie nicht sah, und schichtete eine Handvoll um seine Ohren auf, daß er sie nicht hörte. Dann bückte sie sich hinunter und streckte die Hände ins Wasser. Sie wusch sich Hals und Gesicht und die Arme und trocknete sich mit ihrem Kleide ab. Wo die Sonne nicht hinfiel und das Wasser dunkel war, da spiegelte sie sich und steckte sich das Haar auf. Dann legte sie sich wieder still neben ihn und sann mit offenen Augen und hörte den Vögeln zu.

Aber mit einem Male entsetzte sie sich vor der Einsamkeit und beugte sich über Heins Gesicht. Sie rief ihn. Sie rührte mit dem Finger an seine Stirn, an seine Nase, an seinen Mund. Sie griff ihn bei den Schultern. Sie zog seine Hände auseinander, die unter dem Kopf gefaltet waren, und schüttelte seine Arme. Sie riß an jedem einzelnen seiner Finger.

Ihre Angst stieg, auch der Eigensinn, der in ihren zusammengewachsenen Brauen mädchenhaft versteckt lag. Sie nahm seinen Kopf und schlug ihn leise auf das Holz, sie zog endlich seine Augenlider an den Wimpern, die sie mit zwei Fingern faßte, in die Höhe. Seine Augäpfel drehten sich nach unten, ein Netz von roten Adern zeigte sich. Und er erwachte.

Schnell hob er sich in den Hüften und saß und sah sie mit großen, fremden Augen an. Wie ein Blitz kam ihm dann die Erinnerung, während Grete leise, mit sonderbaren Tönen jubelte und sich an ihn drückte. Er bog das Laub auseinander und sah nach allen Seiten – er fing den Tag damit an, womit er ihn gestern aufgehört hatte. Überall blendete die grelle, sonnenglänzende Fläche seine schlafmüden Augen. Er wollte unter sich nach dem Wasser sehen und prallte fast zurück, als es dicht unter seinen Augen stand. Aber er bezwang sich, und keine Muskel zuckte in seinem Gesicht.

»Guten Morgen, Hein,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »habe ich dich endlich lebendig?«

»Morgen, Grete,« sagte er und gab ihr die Hand und lachte sie von der Seite an. »Wie fühlst du dich?«

»Du, wenn dir so wohl und so froh ist!« rief sie.

Aber er konnte eine leise Unruhe auf seinem Gesicht doch nicht verbergen. Sie sah es. »Du, wie hoch das Wasser steht,« sagte sie und sah ihn erwartend an.

»Was macht das? So klettern wir wieder ein Stockwerk höher in den Himmel.«

»Ich bin kein Kind, Hein. Sag' mir, wir sind in Gefahr?«

»Ach was, jede Stunde müssen sie jetzt kommen: die lassen uns doch nicht sitzen und verhungern.«

»Ich weiß wohl, wie es mit uns steht. Ich sehe es so gut wie du, wie schnell das Wasser gestiegen ist. Zu Haus sitzen sie selber bis über die Fenster im Wasser.«

»Dummes Zeug, sei doch nicht kindisch.« Sein Gesicht hatte sich ernst, fast düster überzogen.

»Das wird ein schöner Tag heute, was?« sagte sie, »sieh nur, wie die Sonne scheint.« Sie streckte die Hand aus, und ein Sonnenstrahl blitzte in dem Brautring an ihrem Finger. Dann bog sie einen Ast herab, daß die warme Sonne auf ihr Gesicht fiel. Wie ein Kind versuchte sie hineinzusehen. Schließlich brach sie den Ast mit ihrer ganzen Kraft ab und ließ sich das volle Gold über den Leib rieseln. Durch die Wärme glücklich gemacht, pfiff sie mit spitzen, ungeschickten Lippen ein Frühlingslied, während sie die Blätter von dem Ast pflückte, sie in ihren Schoß häufte und mit den weißen, kurzen und kräftigen Fingern Blatt an Blatt zu einem Kranz fügte. Sie musterte ihn und setzte ihn dann schnell dem Vetter aufs Haar.

»Wie schön du bist,« sagte sie, und nach einer Weile fügte sie hinzu, indem sie ihn mit einem lächelnden Seitenblick ansah, »ich wollte, du wärst jetzt mein Bräutigam, und ich säße mit dir auf dem Baum. Dann wollte ich nicht aufhören, zu küssen.«

Er nahm sich den Kranz vom Kopf und zerpflückte ihn langsam und ließ ein Blatt ums andere ins Wasser fallen.

»Du,« fing sie plötzlich an, »hast du denn noch keine, die du lieb hast?« Sie fragte es leise und legte den Kopf dabei nach hinten und sah den Vögeln zu.

»Ich?« sagte er und wurde ein wenig rot. »Nein.«

»O,« sagte sie und rückte näher an ihn, »ich kenne euch Studenten wohl. Ihr habt immer eine, die ihr eure Flamme nennt. Meistens ist es die Tochter eurer Hauswirtin.«

»Nein. Ich nicht,« sagte er ernst und einfach wie ein kleines Mädchen.

»Möchtest du eine haben?« fragte sie nach einigen Augenblicken.

»Sei doch still,« sagte er, »was ist das für dummes Zeug?«


Sie lagen beide und sahen über sich. Die Sonne kam höher und höher herauf. Überall strahlte der blaue Himmel, an dem keine weiße Wolke hing, durch die Zweige.

Aus dem ganzen breiten Wipfel um sie quirlte und strömte ein betäubender Duft. Der Baum hatte den ganzen vollen Wassertrunk mit allen Wurzelfasern in sich gesogen und über Nacht ein ganzes grünes Sommerwunder ausgebreitet. Eine einsame Biene flog und surrte, und dazu stiegen die Vögel in Scharen in die goldne Luft und lärmten mit tausend Schnäbeln, flogen weg und kamen wieder, flogen weg und blieben. Es wollte ein Tag werden voll Glück und Sonnenjubel.

Aber den beiden sank trotz der Sonne ihr Mut und ihre Zuversicht schon ein wenig. Sie warteten und horchten. Aber schon fing ihr Warten an, keine Freude mehr zu enthalten und machte ihre Herzen klopfen. –

»Du,« begann er, »eine gibt es doch, die mir lieber ist als die andern.«

Sie hielt den Atem an. »Ist sie schön?« kam es fast unhörbar von ihren Lippen.

Er nickte mit dem Kopf.

»Was hat sie für Haare?«

»Blonde, goldene,« sagte er.

»Und ich habe braune, dunkle,« sagte sie. –

Sie schwiegen und sahen in den Himmel. Sie machten die Augen zu, und ihr Atem wurde laut und regelmäßig.

Sie hob den Kopf und sah nach ihm. »Schläfst du?« fragte sie.

»Nein, ich träume nur,« sagte er.

Sie ließ den Kopf sinken und horchte auf ihn, dann führte sie langsam ihre Hand an seinen Fuß, von dem er den beschmutzten Strumpf gezogen hatte, und berührte leise seine Zehen. Sie befühlte – wie Kinder, die spielen – eine nach der andern. Sie schob ihre Nägel in seine Nägel. Sie strich mit den Fingerspitzen über seine Ferse und den ganzen Fuß. Dann rückte sie an ihn und zog seine beiden Füße in ihren Schoß und faltete die Hände darüber.

Ohne die Augen zu öffnen, legte er seine Hände auf die ihren. »Hast du Hunger?« fragte er nach einer Weile.

»Ja du, gib noch etwas zu essen her.«

»Ich habe nichts mehr, arme Grete.«

Sie lachte, holte den kleinen Kamm, den sie in ihrer Tasche trug, heraus, und ordnete ihm das schlafverdrückte Haar. –

Die Sonne stand im Mittag.

Die beiden waren still. Immer mehr begann nur noch das eine Gefühl in ihnen zu zittern: die Angst – kommt keiner? Ist kein Boot zu sehen? Ist keine Stimme, kein Ruderschlag zu hören?

So saßen sie eine Stunde nach der anderen. Er hatte seine Uhr aufs Ungefähre gestellt, aber er sah nicht darnach, wenn sie ihn bat, um nicht über das Jagen der Stunden – bei aller Langsamkeit – zu erschrecken. –

»Du,« sagte sie, »mein linkes Bein ist eingeschlafen.«

Sie zog sich die Strümpfe ab, die der Schmutz gesteift hatte, und bewegte das hängende Bein wie einen Pendel hin und her. Dann hielt sie den nackten Fuß bis über die Knöchel ins Wasser. »Nun will ich zusehn, wie's an meinem Bein in die Höhe steigt,« sagte sie.

Er antwortete nicht, kroch auf seinem Ast bis ans Ende, daß er ins Wasser hing, und hielt Umschau. Er setzte die Hände an den Mund und rief über das Wasser hin, das bis an die flimmernden Berge hin eine einzige blitzende Fläche bildete – langgedehnte Rufe, steigend, von unten nach oben, wie die Rufe der Schiffer auf dem Rhein. Und jedesmal wartete er eine Weile und horchte. Aber alles blieb still, und immer wieder sah er und immer wieder rief er.

»Komm zu mir,« sagte sie, »ich fürchte mich allein.«

Und er kehrte langsam zu ihr zurück. –

Wieder saßen sie und warteten.

Sie stellte ihren Fuß auf seinen. Sie betrachteten den Mädchenfuß und den Jünglingsfuß und wunderten sich über die Andersartung.

»Hast du Hunger?« fragte er wieder.

»Nein. Gar keinen.«

»Doch. Ich höre deinen Magen bis hierher.« Er nahm ihre Hände in seine. »Du arme Grete,« sagte er, »komm auf meinen Schoß.«

Ein Lachen und ein Schämen ging über ihre braunen Augen, die ein wenig tief in den Backenknochen lagen, wie oft bei den rheinischen Mädchen. Er zog sie an sich, sie tat die Arme um seinen Hals und legte den Kopf an seine Schulter.

»Wie schön das ist,« sagte sie leise.

Er schwieg.

Sie saßen lange und träumten und redeten nicht.

Schon sank die Sonne hinter ihnen. Aber die Wärme und der Duft um sie nahmen immer noch zu. –

Sie hatte die Augen geschlossen. Und er sah vor sich in das grüne Gezweig und lauschte nicht mehr und wartete nicht mehr. Eine Traurigkeit sank langsam auf beide nieder.

»Wir müssen sterben,« sagte sie mit einem Male.

Er lachte nicht, er sah sie nicht an und war still.

Plötzlich trug es der Wind ganz von fern wie den Schall eines Kapellenglöckchens zu ihnen. Beide waren wie erstarrt. Sie hielten den Atem an und lauschten mit offenem Mund. Es war eine fremde Glocke, die sie nie gehört hatten. Er bog die Zweige auseinander, als ob er's sehen wollte. Er schüttelte den Wipfel über sich, um das Vogelgeschrei verstummen zu machen. Aber sie hörten nichts mehr.

Ein Zittern war in beide gekommen. Keines sprach. –

Die Vögel über ihnen lärmten mehr als je. Sie jubelten noch einmal auf, ehe sie schlafen gingen.

Hein suchte mit den Augen in dem Wipfel über sich.

»Was willst du?« fragte sie.

»Nach oben will ich und Umschau halten.« »Weißt du – du solltest eine Fahne machen und sie hoch oben an die Spitze stecken.«

Er stimmte ihr bei und kletterte hinauf.

Sie sah ihm zu. Die Vögel flogen scharenweise auf und kreischten und umflatterten den Baum.

Er kletterte höher, die rote Sonne schlug auf ihn, der dünne Stamm beugte sich wie eine Weide und schaukelte mit ihm im Winde. Er machte seine Augen klein und schützte sie mit der Hand gegen die blendende Lichtüberfülle der im Horizont stehenden Sonne und blickte wie ein Adler nach allen Seiten. Aber nichts war zu sehen, als immer nur der Waldrand mit dem Kirchturm und der niedere Rücken der Berge.

Er brach einen Ast ab und säuberte ihn von seinen Blättern, machte mit seinem Taschentuch ein Fahne daraus und befestigte ihn, so hoch er reichen konnte.

Er sah zu ihr hinunter.

Sie sah zu ihm hinauf.

»Komm herab,« sagte sie.

»Komm herauf,« sagte er, »du glaubst nicht, wie schön es hier oben ist. Die Sonne ist eine Scheibe aus goldenem Feuer und riesengroß, und vom Baum bis zu ihr geht ein Streifen, rot wie Blut und breit wie ein Wagen. Du, man muß die Hand vor die Augen halten, wenn man lange hineinsieht.«

Es drängte sie zu ihm. Heimlich erhob sie sich und achtete nicht darauf, daß alle Glieder sie schmerzten, und kletterte zu ihm hinauf. Sie war ängstlich, und ein Ast brach unter ihrer Hand – da sah er sie und lachte ihr entgegen und half ihr mit beiden Händen.

Nun standen sie beide oben auf den dünnen Ästen. Sie stand vor ihm und hielt sich mit beiden Händen an dem wiegenden Stamm, und er hatte einen Arm um sie und den Stamm geschlungen und seine gespreizten Beine von beiden Seiten an sie gestellt.

Die Vögel flatterten zu Hunderten mit Geschrei und Flügelschlagen um sie her, setzten sich und flogen bei jeder Bewegung wieder auf.

Sie standen da und sahen in das Abendrot. Nach und nach ging das ganze Blau des weiten Himmels in ein einziges leuchtendes Rot über, dessen Widerschein in der schmutzigen Flut ein tiefdunkles Rot war. Von oben und unten schlugen die Flammen zusammen. Und in der Ferne hob sich schwarz der lange und vielbucklige Rücken der Berge in den Feuerschein des Himmels hinein. Sonst nichts als Wasser und Wasser, in dem hier und da die Spitzen der Weiden, wie in lichtes Blut getaucht, herausragten.

»Wir sind wie auf dem Meer,« sagte er.

»Ja,« flüsterte sie und wagte nicht zu sprechen, kaum mit dem Kopf zu nicken vor der Stille und der Größe um sie her.

Ein ganzer Wald trieb langsam und sich drehend vorüber – ein Dutzend junger Birken, die sich aneinander gehängt hatten, an denen das junge grüne Laub noch blühte, und deren weiße Stämme, sowie sie in den Abendsonnenstreifen kamen, rot aufleuchteten.

»Was ist das?« sagte er schnell, »das Weiße, das da an dem Ast hängt?«

Sie sah ihn an und er sie; beide hatten denselben Gedanken. Beide warteten, ohne ein Wort zu sprechen, bis das Getriebe nahe an ihnen war.

»Es ist dein Pudel,« sagte er.

Sie sprach kein Wort und starrte hin.

»Pudel!« rief er.

Aber der Hund war tot, seine vier Pfoten hingen ins Wasser hinab, und langsam trieb er in seinem blühenden Frühlingsbett vorüber.

Gretes Augen sahen groß und starr, ihre Lippen lagen fest aufeinander. Hein sah sie verstohlen an und war ganz still. Auch auf ihn senkte sich eine wortlose Trauer tiefer herab, wie ein großer Vogel, der auf seinen Schultern saß und seine schweren Flügel langsam über ihm zusammenlegte. Ihm kam ein wehes Denken an ein Sterben im jubelnden Frühling.

Eine Weile sahen sie noch in den Abend hinaus. Die Sonne war hinter einem schwarzen, zackigen Wolkenstrich verschwunden, der wie eine zweite, höhere Bergkette über der ersten hing und dessen Enden noch golden leuchteten. Dann wurde der Himmel dunkler.

Er rührte die Schwester an die Schulter. »Komm,« sagte er, »du wirst müde.«

Sie kletterten nicht mehr auf ihren Sitz zurück; auch an den spülte das Wasser jetzt heran. Der Widerspruch, der in dem wolkenlosen Frühlingstag und der immer noch steigenden Wassermasse lag, erhöhte ihnen das Unheimliche dieser endlosen, plötzlich gekommenen Flut.

Er holte die flachgedrückten Kleider und den Blätterhaufen herauf und breitete sie von neuem aus, so daß sie nun ein schöneres Bett wie vorher hatten.

»Jetzt wollen wir schlafen gehen,« sagte er.

Sie legte sich über zwei Äste und drückte sich an den Stamm, damit er Platz hatte. Sie schlang ihre Arme um seinen Rücken und er seine Arme um ihren Rücken, sie zog ihn dicht an sich, so daß sie jede seiner Rippen spürte. Sie nahm sein Gesicht und suchte seinen Mund und küßte den, und er küßte gegen ihren Kuß. Wie Bruder und Schwester. Es war aber, als ob sie sich darüber wunderten, und sie küßten sich noch einmal. Der Wipfel über ihnen schwankte mit jeder Bewegung.

Er hörte wieder ihren Magen, er fühlte, wie sie sich wand vor Schmerzen. Er faßte über sich und riß eine Handvoll Blätter ab.

»Da, iß das,« flüsterte er und schob es ihr zwischen die Zähne. Sie aß es, aber gleich darauf brach sie's wieder aus. Er schlang in überströmendem Mitgefühl seine Arme inniger um sie.

»Schlafe,« flüsterte er.

»Ja. Gute Nacht, Hein.« –

»Schläfst du?« fragte er.

»Ich kann nicht. Wir wollen wach bleiben.«

»Ja, wir wollen sprechen.«

Aber sie lagen still und sprachen nicht. Aus der schwarzen Tiefe unter ihnen, die die Flut in sich barg, dunstete noch die Tageswärme zu ihnen herauf.

Ihm war heiß bei der engen Umarmung, seine Stirn war feucht und hing voll Tropfen. Er legte seine Hand auf ihre Stirn und fühlte auch bei ihr Glut und Fieber. Und doch lief bei jedem Luftzug ein Nachtfrösteln von einem zum andern. –

»Sterben,« flüsterte sie wieder.

»Versaufen wie zwei alte Gäule,« sagte er.

Sie drückte sich enger an ihn. »Wir sterben nicht,« sagte sie, »wir sind zu jung zum Sterben, Hein, wir sind zu froh zum Sterben.«

Er schüttelte traurig mit dem Kopf. »Komm ganz in mich,« sagte er.

Eine Nadel an ihr ritzte ihm die Wange. Er fühlte mit der Hand über ihr Haar und suchte darnach. Er nahm ihr alle Nadeln heraus, und sie duldete es.

Die ganze dicke Flut ihrer langen Haare wogte in seinen Händen. Er fühlte darüber und wagte kaum, es zu berühren. Er versuchte, wie lang es war und war voll Bewunderung und kindlichen Staunens, als es bis über ihre Kniee reichte. Sie schüttelte mit dem Kopf, daß ihm das ganze, dichte Haar über Mund und Augen fiel, und er sog den Duft davon mit begierigen Nasenflügeln in sich und wühlte den Kopf ganz hinein. Er suchte unter der duftenden Decke nach ihrem Mund und wollte ihn küssen, wie ein Bruder die Schwester, wie er ihn oft vor ihren Eltern und ihrem Verlobten geküßt hatte. Aber er küßte nur ihre Stirn und zog dann schnell den Kopf zurück und hielt ihn weit von ihr ab. Er sog die reine Nachtluft ein und ließ sich den frischen Windzug über die Stirn rinnen.

»Wir wollen schlafen,« sagte er wieder.

»Ja, schlafen.« –

Sie horchte: ja, er schlief, er atmete tief und unruhig. Sie tat die Augen zu, um auch zu schlafen. Allmählich wurde das Schlagen ihres Herzens stiller, aber ihre Augen wollten nicht zu bleiben. Sie hielt sich die Lider mit den Fingern fest und begann so zu schlummern. Noch einmal nur regte sie sich – sie hatte ihr Abendgebet vergessen. Sie faltete die Hände und betete.

Dann senkte es sich über ihr Bewußtsein. Sie sah sich und die Eltern und Hein um den Mittagtisch sitzen, in der hellen, grünen Laube, und Hein war ihr Verlobter. Und dann schlief sie ein.


Mitten in der Nacht machte er die Augen auf. Aber er tat sie gleich wieder zu. Er wollte nicht wach sein, er wollte nicht denken, er wollte schlafen. Er legte den Kopf von einer Seite zur andern. Alles schmerzte ihn, über seinen Augen lag ein dumpfer Druck. Er rieb mit der Hand über die Stirn, seine Pulse an den Handgelenken klopften schnell, und mit jedem Klopfen stach es ihn in den Schläfen. Jetzt sprang ein heftiger Schmerz in seinem Hinterkopf auf, und als er mit der flachen Hand über sein Haar fuhr, kam es ihm vor, als sei es hart und spröde und stehe aufrecht. Es rieselte ihm kalt über die ganze Kopfhaut.

Endlich tat er die Augen auf. Alles war schwarz um ihn, auch der Himmel war nicht zu sehen, kein Stern flimmerte durch die Blätter. Er stöhnte und drehte sich um. Es war so finster, daß er Grete kaum sah. Er tastete nach ihr. Er wollte etwas Lebendes fühlen, er wollte nicht allein sein.

Ihr Kopf lag in ihren Händen gebettet. Er beugte sich über ihr Gesicht und suchte hineinzusehen und horchte auf ihren Atem. Wie sonderbar ihn das anrührte, daß sie schlief und er wach war!

Seine Augen fingen an, sich an das Dunkel zu gewöhnen, und er unterschied schon die Linien ihres Gesichtes. Sie seufzte und wimmerte im Traum, wie ein junger Hund an der Kette wimmert, und es drängte ihn zu ihr. Er strich ihr gut und liebevoll mit der Hand über die Backe, die glühend und weich wie der Sammet auf seinem Sofa war.

Er zog ihr Haar langsam durch seine Hände und es lockte ihn, es ihr rund ums Gesicht und auseinandergebreitet über die Brust zu legen. Er nahm ihre Hände und legte ihre Finger zusammen, er drückte auf ihre Kniee und streckte sie, bis sie lang auf dem Rücken dalag, etwas nach unten gebogen, nur von den Ästen gehalten, mit gefalteten Händen, in ihrer Reinheit, in ihrem Schlafe, wie eine Heilige.

Das ganze Weh ihrer Lage kam über ihn. Er versteckte seine Stirn an die ihre, um nicht denken und denken zu müssen. Aber er mußte sitzen und denken.

Wieder kam es über ihn, daß er sterben sollte in seiner Jugend, in seiner Kraft, in seinem Leben voller Freunde und Hoffnungen. Und nicht zur Klage – zum Trost und Nichtduldenwollen wurde dieses Gefühl bei ihm.

Und plötzlich war der Gedanke an das Weib da, vor dem er sich lange gefürchtet hatte. Hätte er ein andres Mädchen da neben sich auf den Ästen liegen, wahrhaftig! er würde die Liebe bei ihr suchen – hätte er doch ein andres da liegen!

Sein Atem ging schneller. Er setzte sich anders.

Wie vom Blitz erhellt, standen die klugen, blauen Augen seiner Mutter vor ihm. Aber der Gedanke, daß er sterben mußte, hatte sein erschöpftes Gehirn wie im Taumel erfaßt. Er tastete nach ihren Augen, um zu sehen, ob sie schlief.

Da plötzlich fühlte er ihre Kniee an den seinen zittern, und da lief ein Schauder über das ganze Mädchen, von dem Nacken abwärts bis in die Füße, so stark, daß er selber ihn fühlte, und da schlug sie beide Hände vors Gesicht.

Er beugte sich zu ihr und wollte ihre Hände wegziehen und in ihr Gesicht sehen. Sie wehrte ihm nicht, sie regte sich nicht. Aber er fühlte, wie eine Träne zwischen ihren Fingern hervortrat. Er wischte sie mit seinem zitternden Finger weg, er zog ihr die Hände auseinander und küßte ihr die nassen Augen, die geschlossen waren. Er küßte ihre Lippen, die zuckten. Sie nahmen seinen Kuß willenlos, aber sie gaben ihn nicht wieder.

»Du bist so schön,« hauchte er ihr ins Gesicht.

Wie zum Schutze kreuzte sie die Arme über sich. Große Tränen kamen, eine nach der andern, aus ihren geschlossenen Lidern. Er küßte sie weg und wieder weg, er nahm sanft ihre Arme fort und zog ihren ganzen Leib an den seinen.

»Weine doch nicht,« flüsterte er, »ich tu dir keine Sünde. Ich will dich ja doch nur küssen, deinen Mund küssen, weil du so schön bist. Es ist ja nur ein Spiel. Siehst du, morgen sind wir müd und können den Rücken nicht mehr von den Ästen heben, und wieder morgen sind wir tot, sind wir beide tot.«

Aber da kam plötzlich Leben in sie. Wie ein Aal wand sie sich in seiner Umarmung und drängte von ihm weg. Sie stieß ihn mit beiden Händen ins Gesicht und wehrte seinen Kopf von sich ab.

Er nahm ihre ausgestreckten Arme, beugte sie in den Ellenbogen und bog sie auseinander, und zwischen ihnen senkte er seinen Kopf hindurch und suchte ihre Lippen.

Sie machte sich los mit aller ihrer Kraft, hob sich auf die Kniee, griff in die Zweige über sich und stand oben, über ihm.

Er lag und regte sich nicht, hörte, wie sie sich leise setzte, und wagte nicht, den Kopf zu heben und zu ihr hinaufzusehen. Das Herz schlug ihm so laut, daß er das Fleisch seiner Arme darüber legte. Er stellte sich schlafend, er zwang sich zu steinerner Unbeweglichkeit – dabei horchte er mit tausend Ohren auf das junge Mädchen über ihm. – –

Eine Stunde verging.

Oft dachte er, jetzt ist der Schlaf über sie gekommen, und hielt den Atem an, aber gleich hörte er, wie sie sich anders setzte.

Da! da, da! Was war das?

Ihm stand der Atem, er hob den Kopf – ein Wimmern und Winseln drang durch die Blätterwand zu ihm. Es schien nicht nahe zu sein, und doch hörte er es deutlich über das weite schwarze Wasser herkommen. Ein Mensch trieb da einsam und ohne Hilfe auf der Flut – und da! ein Schreien, wie wenn einer aus dem Schlaf erwacht und den Mörder vor seinem Bett sieht, entsetzt und flehend, ein Heulen voll Wut und Verzweiflung, voll haarsträubender Todesangst, die Stimme eines Mannes, die aber hoch wie eine Frauenstimme gellte.

Hein fühlte, wie sein Herz zu schlagen aufhörte. Er fühlte Gretes Füße auf seinen Leib treten, sie ließ sich entsetzt und zitternd zu ihm herabfallen. Er tat seine Arme auf und zog sie hinein. Eins kroch in das andere, um sich zu bergen.

Eine Minute dauerte das gellende Schreien, das ihnen das Blut erstarren machte und Arme und Beine lähmte. Er hatte die Lippen geöffnet und wollte rufen, aber kein Ton kam darüber. Jetzt hörten sie einen Strudel schlucken und schlingen, aufzischen und brausen, und mit einem Male war es still.

Die beiden sprachen kein Wort. Er faßte sie fester und legte ihr die Hand auf den Kopf, um sie zu schützen. Sie fühlten die Nähe des Todes, der da draußen in der Wassernacht ein Menschenherz hatte ausschlagen machen. Sie glaubten ihn langschrittig über das Wasser zu ihnen herkommen zu sehen.

Sie bückten sich ganz in sich zusammen, wie zwei Katzen, die sich klein vor dem Hund machen. Sie klammerten sich enger an den Stamm, als ob die Blättermauer sie schützen könne, vor der Knochenhand, die aus dem Dunkel heraus weiß und mit langen Fingern nach ihnen zu greifen schien.

So hockten sie lange. Sie fürchteten sich, ein Wort zu sprechen. Nur hin und wieder drückte sich eins fester ans andere, wie um zu sagen: ›Ich lebe noch, lebst du noch?‹

Sie redeten nicht mehr davon, daß sie sterben mußten – sie wußten es, sie fühlten es wie ein Schwarzes und Schweres auf sich liegen.


Schliefen sie, oder waren sie wach? Sie wußten es nicht mehr, sie hatten keine Kraft mehr, darüber nachzudenken. Nur das Bewußtsein von etwas Überglücklichem, von etwas Wunderseligem, etwas geheimnisvoll Stummem, das sich nicht sagen ließ, und das doch in ihnen jauchzte und jauchzte, das Gefühl, dieses Seligste gelebt zu haben, eine Minute oder eine Ewigkeit – lag dämmernd auf ihren Stirnen. Und keine quälende Sehnsucht, nur noch Stille und Friede waren in ihnen.

Sie hatten Arm in Arm geschlungen, wie zwei, zwischen denen alles, was sie getrennt hatte, gefallen war, die sich gehörten, ganz, für immer.

So lagen sie und warteten auf den Tod.

»Mein Fuß hängt im Wasser,« sagte er noch einmal.

Sie antwortete nicht. Sie träumte. Sie hörte die Orgel in der Kirche brausen, durch die großen Fenster flutete das goldene Sonnenlicht auf die vielen weißen Kleider der Mädchen und die ernsten Gesichter der Männer. Ihre Mutter, die kleine Frau, drehte den Kopf nach ihr und lachte ihr zu.


Der junge, goldene Tag stieg auf.

Ruderschläge und Stimmen kamen näher – das Leben kam.

Hein schrie auf. Er schlug mit den Fäusten auf das Mädchen, um sie wach zu machen.

Mit großen, verständnislosen Augen sah sie ihn an. Sie ließ es geschehen, daß er ihr Strümpfe und Schuhe anzog, sie ließ sich den Hut von ihm aufsetzen, in den er das lange Haar ungeordnet und ungeflochten hineinsteckte.

Als die Stimme ihres Verlobten an ihr Ohr schlug, faßte sie in die Äste und wollte fliehen, wollte ins Wasser hinein.

Hein packte sie mit eisernem Arm, schwenkte seinen Hut und rief und schrie.

Und von dem Baum weg warfen sich die Vögel mit jauchzenden Kehlen den Kommenden entgegen.

 

II.

Es war ein Tag im Mai, voll phantastischer, weißer Wolken am blauen Himmel und goldener, wechselnder Schatten überall.

Das über die Ufer geflutete Wasser war seit Wochen verlaufen, und aus der satten Erde war wunderbare Sommerpracht hervorgeschossen. Alles wogte von Duft und Farbe. An allen Hecken, an allen Fenstern leuchtete ein Rosenglück aus grünen Blättern, das noch dem hemdärmeligen Schiffer weit im Rhein mit seinem süßen Geruch die Brust eng machte.

In den Wipfeln lärmte ein Heer von tausend Kehlen gegen das andere, so voll Sang hing der Himmel, daß die Sonne kaum durchzudringen schien. Und an den Bächen, die zwischen den Weiden dahinschäumten, im Gras der weiten Wiesen, auf den Sonnenflecken im Buchenwald kroch und flog und surrte und summte alles von Ameisen und Käfern und Fliegen und Bienen. In den Ställen brüllten die Kühe, scharrten die Pferde mit den Hufen. An den Ketten weinten die Hunde und gingen im Bogen umher, so weit die Kette reichte.

Und die Menschen!

Sie taten alle Fenster auf. Sie ließen die Bettler sich in die Laube setzen und machten ihnen die Suppe vom vorigen Tage warm. Sie gaben allen die Hand, an denen sie sonst vorübergingen. Die jungen Frauen fühlten ihr Kind unter dem Herzen und waren ganz still vor verschwiegenem Glück. Die Mädchen und Burschen streiften mit den Ellenbogen aneinander und sahen sich eins nach dem andern um, ehe sie ins Haus gingen. Und die alten Leute saßen mit gebogenen Rücken und altmodischen Jacken auf den Bänken am Ufer und sahen die Schiffe mit schwarzen Schornsteinen und weißen Segeln an sich vorüberziehen.

Alle, die sonst ernst und bedächtig waren und die Hände auf dem Rücken hielten, gingen nun mit einem leisen Lied und mit schwingenden Armen durch die Straßen. Eine unerklärliche Freude am Leben war über alle gekommen. Jede zwei Augen waren der Spiegel eines Menschenherzens voll Liebe und geheimnisvoller Seligkeit. –

Die beiden Freunde, Hein und Georg, der Verlobte Gretes, waren wie immer beisammen, an ihrem alten, trauten Platz hinter dem Haus. Das Haus war auf den Resten einer alten Kirche gebaut, und in der hinteren Basaltwand war eine Nische ausgehauen, die wohl einmal ein Muttergottesbild und brennende Kerzen, eine Betbank und stille gefaltete Hände umfaßt hatte. Jetzt stand ein weißgedeckter Tisch, eine Bank und hell gestrichene Stühle da.

Der schlichthaarige Georg hatte eine Zeitung über den Tisch gebreitet und stand darauf und stellte mit leisen Händen einen blühenden Wiesenstrauß vor das geschlossene Fenster oben.

Hein saß auf der Bank und ließ sich die Sonne auf die gesunden Backen brennen. Seine breite Brust atmete tief, wie die eines Schlafenden. Er hatte seinen Rock neben sich gelegt und das Hemd an den starken Armen in die Höhe gestreift. Voller Lust putzte er über das Metall der Flinte, die auf seinen Schenkeln lag, und hielt sie von sich, daß die Sonne darin blitzte.

Dann saßen sie nebeneinander.

Georg blätterte in seinem Buche, legte dann den Kopf zurück und sah in den blauen Himmel über sich. »Kerl,« sagte er einfach und mit leiser Stimme, »ich bin glücklich – ehe du gehst heute, will ich dir das noch sagen.« Und das Glück sah durch die goldne Brille aus seinen schönen, blauen Kinderaugen, die so groß waren, als hätte das lange Ausschauen nach dem Glück sie weit gemacht.

Dann horchten sie beide: über ihnen ging das Fenster auf. Sie legten sich ganz an die Wand zurück, um nicht gesehen zu werden. Sie hörten Gretes Atemzug, der tief und lang die Sommer-Herrlichkeit in sich zu trinken schien. Sie hörten, wie das duftende Blumenglas ins Zimmer genommen wurde.

Und jetzt kam die Mutter aus dem Haus, mit Lachen und Singen. Sie war klein und zart und glich von weitem einem Mädchen von sechzehn Jahren, aber das Haar, das hoch und dicht ihr frohes, leuchtendes, gesundes Gesicht einfaßte, war silberweiß. Sie brachte den Morgentrunk, der aus der großen Zinnkanne dampfte, und war ausgelassen wie ein Mädchen, das noch kurze Röcke trägt. Ihre Augen lachten, ihre Brüste bildeten kleine und runde, lebendige Hügel unter dem Kleid, und die Burschen in den Straßen sahen gern darnach.

Sie setzte geschwind das schwere Brett auf den Tisch und doch so geschickt, daß kein Teller an den andern klirrte. Und dann saß sie schon auf den Knieen ihres großen Neffen und hob seinen Kopf mit ihren beiden Händen in die Höhe, bis sie in seine Augen sah.

Voll Glück und Liebe nahm Hein den schmalen Frauenkopf zwischen seine beiden großen Hände und küßte sie mitten auf den Mund. Wie zwei Liebende küßten sie sich. Sie wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, und ihre Augen glänzten stolz, wie wenn eine Zwanzigjährige ihren langbeinigen Burschen geküßt hat.

»Mutter, was macht sie?« fragte der junge Gelehrte und stand auf.

»Ei, Herr Bräutigam, frag' sie selber.« Sie sah ihn an, wie er es leise und mit zitternder Stimme fragte, und gerührt zog sie ihn zu sich, schloß ihn in ihre Arme und flüsterte ihm ins Ohr: »Geh sie dir holen, sie ist aufgestanden heute und will mit uns hier draußen sitzen.«

Mit einem Glückaufleuchten über das ganze Gesicht machte er sich los und wollte ins Haus, aber nach zwei Schritten blieb er stehen.

Der alte Bürgermeister kam aus der Tür. Er war klein und schmal wie seine Frau, aber sein Kopf war groß, und seine Augen standen dick und breit unter kräftigen Brauen hervor. Sie strahlten wie Edelsteine in der Sonne und machten jeden verstummen und den Hut ziehen, der hineinsah.

Als Georg ihm die Hand gab, sah er plötzlich Grete hinter ihm stehen. Grete war krank gewesen und lag zu Bett seit dem Tage, wo sie vom Baum gerettet worden war. Jetzt stand sie da und hielt die Hand an die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. Ihr Kleid war über den Hüften von einem Ledergürtel gehalten, und in dem Gürtel steckte ein Zweig junger Heckenrosen. Stumm stand sie da, ohne daß ein Freudenschein über ihr verblaßtes Gesicht flog – wie das grüne Tal in den Bergen, in das die wärmende Sonne nicht hinabkommt und in dem die Vögel nicht singen.

Georg stand mit weiten Augen wie vor einer Heiligen.

Die Mutter faßte sie um den Leib und zog sie sanft zu der Bank hin, auf die sie ein Kissen gelegt hatte. Die Fröhlichkeit der Mutter war eine stille geworden, seit die Tochter da war.

»Guten Morgen, meine Grete,« sagte Georg, hielt ihr seine Hand hin und sah in drängender Liebe zu ihr auf. Sie nahm seine Hand und wollte auch ihn ansehen, aber vor seinen großen, guten, ehrlichen Augen schlug sie die ihren sonderbar plötzlich nieder. Hein kam hinzu und gab ihr einfach die Hand. Ihm sah sie für einen Augenblick in das offene, fröhliche Gesicht.

Alle setzten sich, und ein unausgesprochenes Glückjauchzen saß mit in der Reihe. Sie sprachen von allem, über das Obst, über den Krieg, über die Ereignisse im Städtchen. Alle waren bemüht, Grete fröhlich zu machen. Sie nahm das Tuch von ihren Schultern und rückte auf ihrem Platz, bis sie in der vollen Sonne saß. Sie badete sich tiefatmend in der goldenen Flut, aber mitten in dem schönen Morgen lachte ihr Mund nicht und blieben ihre Augen still.

Die Sonne kam höher herauf.

Der Vater aß nicht. Er zog an seiner Pfeife und wendete jedesmal den Kopf, um den Dampf zur Seite zu blasen. Er sprach nicht viel, hing seinen Gedanken nach mit weiten Augen und sah hin und wieder verstohlen nach Grete hin.

Die Mutter lachte und erzählte für alle. Ihre lustigen, braunen Augen, die tief lagen wie die Augen der Tochter, standen nicht still. Oft mußte sie mit der Hand das weiße Haar zurückstreifen, das die schnellen Bewegungen, die der Kopf machte, immer wieder über die Stirn herein warfen. Aber sie sorgte für alle, goß dem die Tasse voll und hielt dem das Brot hin. Nur zur Tochter war sie still und weich wie eine Krankenschwester. Sie wehrte ihr die Mücken ab, schnitt ihr das Brot klein, legte ihr das Kissen am Rücken immer wieder zurecht.

Georg saß da und sprach kein Wort. Man sah ihm seine Überglückseligkeit an, seine Hand lag auf der Hand der Verlobten und zitterte da leise.

Hein sprach vom Gehen. Aber die Tante bereitete ihm ein neues Brot, und er aß es nicht schnell. Grete, als sie vom Gehen hörte, hielt den Löffel still, der an die Tasse geklirrt hatte. Sie lächelte ein wenig, doch als sie sicher war, daß ihr niemand aufs Gesicht sah, da lief das wenige Blut mit einem Male vollends aus ihren Backen.

Dann stand der Vater auf und ging ins Haus, um dem Neffen ein paar Bücher in den Ranzen zu packen. Die andern saßen noch, fröhlich, bis plötzlich ein Zweig vom Kirschbaum fiel.

Schnell sprang die Mutter hin, um ihn an sich zu nehmen, aber Hein war so schnell wie sie, und beide bückten sich zu gleicher Zeit. Die alte Frau faßte den Zweig mit den halbreifen Früchten und lief über den Weg davon, Hein machte nur ein paar lange Schritte durch die morgennasse Wiese und stand vor ihr. Sie wollte mit ihm ringen wie ein Junge. Ihre Augen und ihre Backen leuchteten. Sie war ganz voll Eifer, versteckte den Zweig an ihrer Brust und kreuzte die Arme darüber, drehte ihm den Rücken und beugte sich zur Erde. Aber Hein war stärker, er hielt ihre beiden Arme mit seiner einen Hand und nahm ihr mit seiner andern den Zweig weg.

»Du,« sagte sie und eilte ihm mit ihren kürzeren Beinen nach, »wir wollen die da eine halbe Stunde allein lassen. So zwei Verliebte haben allerlei Zeug zu reden, was andere nicht hören dürfen.«

So schritten sie Arm in Arm durch den Garten, zum Rhein hinab. Um sie her lag der frühe Sommer gebreitet. Sie standen hier und standen da. Sie suchten den Vogel, der tief in den Zweigen pfiff, und bogen einen Ast beiseite und sahen voll Staunen in die Fülle des reif werdenden Obstes. Sie näherten sich den Knospen und Blumen, an denen der Tau glitzerte, und zogen den morgenreinen Duft in sich.

Die alte Frau fühlt Jugendlust in ihren Gliedern. Sie sang ein Lied, wie es die Burschen abends auf der Mauer am Wasser sangen, und griff mit der Hand, um einen Sonnenstrahl zu fangen. Dann standen sie an der hochgeschichteten Basaltmauer, die steil in den Rhein fiel, und suchten mit den Augen nach den Spuren, die das hohe Wasser gelassen hatte.

Sie sahen auf die goldene Flut hinaus. Am andern Ufer blitzte die Sonne aus einem Turmfenster, daß sie die Augen zumachen mußten. Und hoch über ihnen strahlte der blaue Himmel, an dem sich weiße, leuchtende Wolkengebirge übereinander schoben. Klein wie ein Punkt stand ein einsamer Vogel daran, und dicht über ihren Köpfen kreisten flatternd Gretes Tauben, deren weiße Leiber hin und wieder in der Sonne aufblitzten.

Wie in einem blühenden, klingenden Dom standen sie, in dem sie nicht zu atmen wagten und in dem es ihnen in den Händen zuckte, die sich von selber zusammentun wollten. Die Linien der sieben Berge, die schön wie Frauenhüften und Brüste gezogen waren, begrenzten lachend ihre schweifenden Augen und ließen kein Sehnen in die Weite aufkommen.

Sie wendeten sich und gingen über den weißen Kies zu den Beerensträuchern hin. Da sah die lebhafte Frau fremde Hühner mitten darin. Sie rief laut, wie der Wind war sie davon und hinterher. Sie klatschte in die Hände, aber als sie alle bis an den Zaun gejagt hatte, gackerte hinter ihr eins, das zurückgeblieben war. Und als sie auf dieses zueilte, liefen die andern den Zaun entlang und in das Gemüse hinein.

Hein stand und sah ihr zu und lachte – da hörte er einen Schritt hinter sich. Er drehte sich um und sah Grete den Weg daherkommen, langsam, mit ungleichen Schritten. Er sah nach dem Tisch hin und sah, wie Georg sein Buch nahm und glücklich sinnend ins Haus ging. Die Tante hörte er hinter den Bäumen mit den Nachbarn sprechen und lachen.

Grete blieb vor dem Taubenhaus stehen und sah mit zurückgebeugtem Kopf hinauf. Es war ein kleines Schloß, schneeweiß mit goldenen Kanten, mit Zinnen, Erkern und Türmen, und steckte wie ein dicker Fahnenknauf oben auf einer langen Stange. Aber die Tauben waren ausgeflogen, und Grete ging weiter.

Hein stand und erwartete sie. Seine Augen hingen wie festgebannt an dem sonnenbeschienenen Bild. »Was das ein Wundertag heute ist,« sagte er.

Sie sahen sich in die Augen.

»Bleib doch noch hier – eine Woche,« sagte sie.

Er schüttelte den Kopf und sah in die Zweige über sich. »Wie das alles von Frucht und Knospen überquillt,« sagte er, »ihr lebt in einem Paradiese hier.«

Sie bog einen Zweig herunter und pflückte mit den Lippen eine einzelne Kirsche davon, die fast reif war. »Bleib noch einen Tag,« sagte sie, ohne ihn anzusehen. Dann faßte sie plötzlich seine Hand mit ihren beiden Händen und sagte, wie in Angst und Zu-ihm-drängen: »Geh nicht, geh noch nicht.«

Da kam die Mutter wieder. Sie ging durch den Weißkohl und den Salat und hob den Rock hoch, und stand dann lachend zwischen ihnen und sah von einem zum andern. Sie hing sich beiden in den Arm, daß sie, die Kleine, zwischen den beiden Großen ging, und so schritten sie zusammen über den glitzernden Kies dem Hause zu, aus dessen Epheuwand die Fenster mit den weißen Gardinen wie freundliche Augen heraussahen.

Hein zählte auf, was er im Ranzen mitnehmen wollte, und die Tante gab fleißig acht, damit sie nichts liegen ließ.

In der Tür kam ihnen Georg entgegen. Er hatte den Hut auf dem Kopf, und aus dem blassen Gesicht darunter leuchtete sein ganzes Glück. Er wollte Grete fortführen, sie wollten den ersten kleinen Gang in die Wiesen und den Wald versuchen. Es war fast, als ob er das Mädchen keinem der andren gönnen wollte, und er war daher ein wenig ungeduldig.

Die Mutter sah Grete an: waren ihre Backen nicht schon ein wenig rot geworden in der einen Stunde Sonnenschein?

Hein sagte ihr Lebewohl. Sie wendete sich nach ihm und gab ihm die Hand.

»Küßt euch doch!« rief die Mutter.

Und Georg legte einen Arm um den Freund und einen Arm um die Braut und schob sie gegeneinander.

Hein beugte seinen Kopf und wollte sie auf die Stirn küssen.

»Nein, auf den Mund!« rief Georg.

Aber Hein küßte sie doch auf die Stirn.

»Es wird Zeit, daß du dir auch eine Braut zulegst,« sagte der andere, »ich will dir zeigen, wie man küßt.« Er nahm Gretes Kopf und drückte seine Lippen auf ihre Lippen.

Hein gab ihm die Hand und ging, ohne ein Wort zu sagen, mit seinen langen Schritten ins Haus.


Eine Stunde später ging er durch den Wald, auf dem grasgetretenen Pfad hin. Sein Ranzen hing ihm auf dem Rücken. Er ging still, nur die Äste brachen unter seinen breiten Schuhen. Er ging nicht schneller, nicht langsamer. Seine Füße hoben sich von selber und wichen den Wurzeln und Baumstümpfen aus, während seine Augen oben in den Zweigen hingen und sein Stock den Boden in gleichmäßigem Takte schlug.

Er kam an den Platz, wo das Gezweig wie ein langes Kirchenfenster auseinanderstand und wo man in der weißen Lichtung die Kuppen der sieben Berge und das Sonnenzittern über dem Rhein sah. Er blieb stehen und sah hinaus, aus dem schweigsamen Dunkel der Buchen in die schimmernde, laute Welt. Er nahm den Hut ab und streifte das lange Haar von der Stirn, daß der kühle Schatten daran konnte. Er löste sich den Ranzen von den Schultern, warf ihn ins Gras und setzte sich daneben.

Er sah starr auf einen Punkt und öffnete wie im Selbstgespräch hin und wieder halb den Mund, während er unwillkürlich um sich sah, ob ihn jemand beobachte. Er brach einen Zweig ab von dem Strauch, der neben ihm blühte und duftete, zog sein Messer und fing an, zu klopfen und zu schneiden. Aber seine Augen sahen immer über seine Hände weg auf den einen Punkt. Er höhlte das Holz aus und schnitt oben ein Mundstück daran. Als er aber die Pfeife an den Mund setzte, klang sie zu hart. Er warf sie weit in den Wald und lachte über sich, daß ein Sommermorgen im Wald so schnell wieder ein Kind aus ihm machte. Dann legte er sich der Länge nach in das kniehohe Gras. Er zog den würzigen Duft mit weiter Nase in sich und schüttelte die Gräser mit den Händen, damit ihm der fallende Tau das warme Gesicht kühlte. Erlegte die Arme unter den Kopf und sah in das grüne Blättermeer über sich. Kein blauer Punkt war darin, kein Luftzug regte sich da oben, kein Vogel saß und pfiff, alles war still und einsam.

Aber er hatte keine Ruhe. Er drehte sich auf die Seite und legte seine Stirn ins Gras. Dann nahm er sein Messer, hob die großen Farnblätter auf, die neben ihm hoch aufgeschossen standen, und schnitt, in einen flirrenden Sonnenflecken hinein, in hartes Wurzelholz gradgezogene Buchstaben: Grete – Hein. Und rund herum zog er in großem Bogen ein Herz. Er war ganz vertieft in seine Arbeit, und ein glückverträumtes Lachen hing an seinen Lippen. Plötzlich und schnell deckte er dann das heimliche Wunder wieder mit den Blättern zu, daß es selbst vor der Sonne verdeckt war.

Aber da – was hörte er denn da?

Die gefallenen Äste im Wald knackten: es kam wer. Er war wie aus dem Traum gerissen, wie durch einen Mißton war das schöne Lied, das in ihm klang, unterbrochen. Er unterschied das Geräusch der Zweige, die zur Seite gebogen wurden und wieder zusammenschlugen. Schnell machte er ein leeres, gleichgültiges Gesicht und drehte dann ruhig den Kopf darnach hin, um nicht gedankenversunken zu erscheinen: da sah er ein weißes Kleid durch die Äste leuchten – nur einen Augenblick, dann wendete er rasch den Kopf zurück. Das Blut stockte ihm, er öffnete den Mund. Grete war's.

Er wollte sich einreden, daß es eine andere war. Aber mit einem Male sprang er auf und griff nach Hut und Stock und eilte in den Wald hinein, seinen Weg weiter, indem er seinen Ranzen an dem Riemen mit sich schleppte.

Nach einigen langen Schritten ging er langsam und trat mit den Zehen auf, um das Holz unter seinen Schuhen nicht zum Verräter werden zu lassen. Er bückte sich und schlich sich von Baum zu Baum.

Aber sie sah ihn, sie kam hinter ihm her. Er hörte sie eilen. Jetzt nützte ihm das Verstecken nichts mehr, er setzte seinen Hut auf und ging mit gleichgültigen, gesetzten Schritten weiter. Er schlug mit dem Stock in die Zweige und pfiff ein Lied dazu, als ob er so ganz voll Waldlust und Waldsinnen stecke. Aber das Lied kam zitternd heraus, und seine Beine liefen ihm davon.

Ängstlich und aufjubelnd rief es hinter ihm her. Er schritt weiter, schneller, und sein Lied stockte einen Augenblick. Er fiel über einen Eichenstumpf, an dem noch die Blätter wucherten. Er sprang wieder auf die Füße, schon hörte er ihren Atem hinter sich. Sein Pfeifen verstummte, er kämpfte mit seinem Stolz, als Zwanzigjähriger lief er nicht gern davon. Aber dann fing er an zu eilen.

Sie blieb zurück, er hörte sie nicht mehr und eilte weiter. Er hielt den Arm vors Gesicht, um sich vor dem Schlag der Zweige zu schützen. Jetzt kam er in den Tannenwald. Der Pfad wurde steiler, das Moos und die Nadeln, auf die er trat, waren schlüpfrig und gaben seinen Sohlen wenig Halt.

Aber vor ihm flimmerte das Licht. Und dann stand er oben und schöpfte Atem. Er hielt sich mit der Hand an dem Drahtzaun, der neben ihm von Pfahl zu Pfahl gezogen war. Und er sah in den Steinbruch hinab, der dahinter mit gelben, in der Sonne brennenden Wänden tiefer und tiefer hinunterstürzte.

Er lauschte da hinein. Nur das Geröll der Steine klang aus der sonnendunstigen Tiefe herauf und die Stimmen der Arbeiter. Er zauderte, sah noch einmal hinab. Dann schwang er sich über den Draht und trat mit dem Fuß auf den ersten vorspringenden Stein unter ihm, trat weiter, mit dem Drang zu eilen, und doch langsam und mit prüfenden Augen. Er nahm den Stock zwischen die Zähne und drehte sich gegen die Wand hin, er kniete nieder und suchte mit den Fingern einen Halt, er ließ seine Beine hinab und tastete unter sich. Aber es brach ab unter ihm und polterte in die Tiefe. Er konnte nicht weiter hinunter.

Da! Er hörte Gretes Schritte, er hörte sie oben stehen und fühlte ihre Augen wie ein greifbares Gewicht auf sich ruhen. Er sah hinauf und sah gerade hinein. Sie stand über den Draht gebeugt, ihre Brust war vom Lauf erregt. »Hein –« sagte sie bittend.

Er suchte von neuem mit Händen und Füßen nach einem Halt unter sich – da schlug sein Stock hinab. Beide sahen ihm nach, wie er mit der Krücke nach unten aufschlug, die Spitze nach vorne drehte und wieder ausschlug. Sie sahen ihn noch fallen, als sie ihn nicht mehr hörten.

Die Arbeiter, die tief unten schwarz an dem gelben Stein hingen, wie Fliegen auf einem hellen Brot, riefen Flüche herauf und lachten. Es klang wie Mäusewispern. Hin und wieder blitzte etwas in der Sonne, das waren ihre Hacken. Und einer hatte etwas Rotes an.

Endlich sprach Hein. »Grete, was tust du denn? Du wirst wieder krank.«

»Komm herauf,« sagte sie.

»Was willst du denn nun?«

»Ich bin so daher gegangen – da habe ich dich mit einem Male gesehen.«

Er schwieg eine Weile. »Wo hast du Georg gelassen?«

»Weshalb willst du nicht heraufkommen?« fragte sie, ohne ihm zu antworten.

Er wendete sich und setzte sich. Seine Beine hingen herab, aber um nicht zu fallen, mußte er den Rücken dicht an die Wand hinter sich legen und die Hände neben sich aufstützen.

»Weshalb bist du vor mir weggelaufen?« fragte sie.

»Was willst du von mir?« fragte er wieder.

Sie riß Gräser und Blumen aus und warf sie auf ihn hinab. Sie fielen auf seinen Kopf und seinen Leib und fielen an ihm vorbei die Steinwand hinab. Sie hüllten ihn in Duft und Farbenschein ein.

»Ich komme zu dir,« sagte sie mit einem Male.

»Tu's nur,« sagte er und lachte spöttisch.

Aber wirklich – sie kroch auf Händen und Füßen unter dem Draht her. Ihr Fuß streckte sich weit aus dem Rock heraus und tastete. Die bröckelnde Erde fiel ihm in die Augen. Wie ein Kind, das die Gefahr im Blumenspiel nicht sieht, wollte sie weiter hinab.

»Bleib' oben, ich komme,« rief er.

Sie richtete sich auf und war voll Freude. Erst innen, dann ging's in ihre Glieder über. Wie der Hund an der Kette war sie, der seinen Herrn kommen sieht und ihm mit Bellen und Wedeln entgegenstrebt.

Sie suchte nach etwas, was sie ihm hinhalten und woran sie ihn hochziehen konnte. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, während sie sich mit der andern an einem Pfahl hielt.

Aber er kam ohne ihre Hilfe hinauf, stand da und befestigte seinen Ranzen auf dem Rücken. Dann wendete er sich dem Berg zu und wollte gehen.

»Warte, du bist voll Schmutz,« sagte sie, fuhr ihm mit der flachen Hand über den Rücken und pflückte ihm das Gras von den Schultern.

Er schritt aus, aber sie hielt ihn hinten an seiner Jacke. »Laß mich ein Stück mit dir gehen.«

»Nein, ich habe keine Zeit mehr, du weißt es doch.«

Sie kam hinter ihm her. »Laß uns doch ein wenig im Gras sitzen.«

Sie war immer dicht an seinen Fersen, und er schritt immer schneller aus.

Plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus. »Ich kann nicht mehr gehen,« sagte sie.

Er hielt nicht ein.

Sie hinkte hinter ihm her. »Ich kann nicht auftreten, sieh doch nur.«

Er drehte den Kopf. »Ist es wahr?«

»Nein. Es ist nicht wahr,« sagte sie, sah an ihm vorbei und sah ihn dann an.

Ohne ein Wort machte er längere Schritte.

Da war sie plötzlich wie der Wind hinter ihm und neben ihm und stand vor ihm und sperrte ihm den Weg. »Laß mich doch nicht wie einen Hund hinter dir herlaufen,« sagte sie und senkte den Kopf.

Er sah flüchtig auf ihr Gesicht und wollte an ihr vorüber, aber sie stand entschlossen vor ihm.

»Hilf mir,« flüsterte sie plötzlich, ohne ihn anzusehen.

Er zögerte, er war erschreckt. Ohne, daß sie es aussprach, wußte er, was sie wollte, seit langem hatte er sich davor gefürchtet. Er wollte sie beiseite schieben, fast rauh.

Aber sie umklammerte mit beiden Armen seinen Arm. »Sag du es ihm, ich kann es ihm nicht sagen.«

»Was?« fragte er unwillig und ungeduldig und wußte es doch, ehe sie es aussprach.

»Ich kann nicht länger seine Verlobte sein, ich kann nicht seine Frau werden.«

Da war es ausgesprochen. Sie sah mit ihren großen, flehenden Augen zu den seinen auf, sie suchte nach seiner Hand.

In ihm zitterte alles. Er war entsetzt, dann war er zornig und wollte sie rauh an die Schulter fassen mit seiner Faust.

Sie sah ihn an, als könne sie nicht glauben, daß er anders als gut mit ihr sei. »Ich kann ihm nicht in seine Augen sehn, ich kann nicht seine Hand nehmen, ich kann nicht mehr mit ihm reden,« sagte sie. »Wenn er mich küßt, steht mir das Herz still.«

Er schämte sich seines Davonlaufens. Er sah, daß er bleiben und helfen mußte. »Was sagst du für dummes Zeug da?« kam es rauher, als er wollte, aus seinem Mund. »Zwinge dich, dann kannst du es. Sag mir nur: was willst du sonst tun?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht rein.«

Er wich ihr aus mit seinem Blick.

»Und ich habe ihn nicht mehr lieb,« sagte sie weiter.

Er schwieg lange. Dann sagte er, leise, immer ohne sie anzusehn: »Grete du, denke doch an deine Eltern, an die Leute alle, denke an ihn: du machst ihn unglücklich.«

Sie hielt den Kopf gesenkt.

Und wie er auf ihr Gesicht herabsah, kam ihm das Mitleid mit ihr. Er nahm ihre beiden Hände und ward selber traurig. »Grete – was tust du denn? Warte, laß dir Zeit, denke nach, kämpfe mit dir, du weißt nicht, was du da tust.«

Sie schüttelte immer mit dem Kopf. »Du willst Zeit gewinnen. Du denkst, wenn du weg bist, dann werde ich ruhig sein. Aber glaube das nicht. Ich werde immer denken wie heute, wie jetzt, wo du bei mir bist.«

Sie stand vor ihm und drängte sich an ihn.

»Adieu,« sagte er kurz und ließ ihre Hände fahren.

Schnell hielt sie ihn mit beiden Fäusten an seinen Schultern fest. Sie stand regungslos, mit gesenkten Augen. Sie wollte die Augen heben und zu ihm aufsehen, aber sie vermochte es nicht.

Seine Augen hingen mit wachsender Angst an ihrem Mädchengesicht, sie überflogen die Linien ihrer niederen Stirn, das Fleisch an ihrem Kinn, die trotzigen Lippen, die blaß und rein, fest aufeinanderlagen, und er wollte weg von ihr. Er fühlte ihre Hände auf seinen Schultern zittern und schwer werden. Er sah, wie sie ihren Mund auseinandertat, um zu sprechen, und es zog ihn wieder zu ihr hin.

Und dann flüsterte sie so leise, daß es kaum bis zu seinen Ohren hinauf kam, und tat die Augen dabei zu und neigte den Kopf ganz zur Erde, daß Hein auf das rote Stroh ihres Hutes sah: »Ich habe dich lieb, Hein.«

Es war so still, daß die Hämmer aus dem Steinbruch wie klingende Messer herauftönten.

Sie hob die Augen zu ihm auf und sah ihm fest in die seinen und sagte noch einmal leise und ruhig: »Ich habe dich lieb.«

Und da schlug er seine Augen nieder, nieder vor diesen frommen, reinen Mädchenaugen, die sich keiner Schuld bewußt waren und die Antwort von ihm forderten. »Bist du verrückt?« fragte er leise.

Sie drängte sich näher an ihn. »Hast du mich lieb?« fragte sie flehend. Sie umfaßte ihn mit beiden Armen und sah ihn mit angstgroßen Augen an. »Hast du mich nicht lieb?«

Er machte sich heftig los. »Jetzt höre! Jetzt laß mich gehen, halte mich nicht länger auf. Grete, Grete, was tust du? Du bist sein ganzes Glück, weißt du das nicht? Er hat nichts auf der Welt als dich – denk dir das doch! Und nun denk dir weiter: mich willst du liebhaben, mich, der ich sein Freund bin, sein Freund von der ersten Schulbank an, mich, der einzige, an dem er hängt, hängt wie an einem Bruder? Denkst du denn das? Grete, meine gute Grete, denk doch nur ein wenig.«

»Ich denke an dich,« sagte sie und stand vor ihm und breitete die Arme aus, »da Hein! Nimm mich, laß mich dein Hund sein, mache mit mir, was du willst.«

Er wurde ruhiger. »Gut denn – so denke an mich. Gehöre ihm und denke daneben an mich und sage ihm nicht und mir nicht, sage keinem Menschen ein Wort davon.«

Sie senkte den Kopf wieder und schüttelte ihn traurig. »Das Denken an dich, das läßt für nichts anderes Platz in mir. Ich denke Tag und Nacht an dich, an deine zwei guten braunen Augen, an dein linkes Auge, Hein, mit deiner Narbe darüber – an deine langen Haare denke ich, wie sie übereinander liegen und auf deine Stirn herabhängen und wie ich sie dir ordnen möchte – immer, wenn die Sonne scheint und abends, wenn wir um den Tisch bei der Lampe sitzen – immer sehe ich deine langen Schritte, hör' ich dich mit deiner tiefen Stimme lachen und Grete rufen. Ich kann nicht mehr schlafen, ich weiß wohl, warum ich krank bin, ich ziehe mir die Decke über die Ohren, und doch höre ich dich und doch immer sehe ich dich. Hein, siehst du? Ich möchte mir ja all das Denken aus dem Kopf reißen, ich möchte ein Kind sein und wieder morgens zur Schule gehen, ich möchte eine alte Frau sein und mit einem Schoß voll Strümpfen am Fenster sitzen, ich möchte in irgend einer Stadt über dem Meer wohnen und dich nie gesehen haben – aber, sei mir nicht böse, nun kenne ich dich und nun kann ich nicht mehr anders. Ich kann nichts dafür. Ich habe es nicht gerufen, und es ist da – was ist es nur, das in mir ist? Glaube mir, ich will nicht, ich muß – ich muß mit allem, was ich denke und was ich gehe und was ich tue, immer bei dir sein, immer bei meinem großen, starken Hein sein. Und es ist solch ein Glück in mir! Ich wollte, du stecktest mich wie einen Stein in deine Tasche und trügest mich mit dir, wo du durch die Straßen gingst und wo du an den Läden ständest. Siehst du wohl, Hein, daß ich dich liebhabe?«

Jedes dieser Worte fiel wie ein glühender Hammerschlag über ihn, er zwang die Lippen aufeinander, um nicht sprechen zu müssen, er hielt sich die Hände an die Ohren und wollte nichts hören. Aber dennoch drang jedes der Worte in seinen Leib ein und hämmerte sein Herz heiß und wach.

Er warf sich ins Gras, er war unfähig, im Ansturm seiner Gefühle reden und handeln zu können.

Sie setzte sich neben ihn. Wie neues Glück, neues seligstes Leben war es über sie gekommen. Ihr Gesicht hatte sich mit einer feinen, dunklen Röte überdeckt. Sie saß ruhig da, aber in allen ihren Gliedern sprang ein heimliches Klingen und Jauchzen.

Sie zog langsam die Nadel aus ihrem Hut und legte ihn neben sich ins Gras. »Weshalb hast du mich nicht lieb?« fragte sie leise.

Er gab keine Antwort und sah in die Tannen über sich.

»Nimm mich mit dir,« bat sie, »ich habe über alles nachgedacht. Ich will zu Kindern gehen, oder an eine Schule gehen, oder in einem Laden hinter dem Tisch stehen – nur laß mich nicht zu Hause bleiben!«

Sie sah ihn an, wie er stumm war. »Sag' doch Ja! Ich will ja dann alles tun, was du willst. O Hein, sieh mal, dann komme ich jeden Morgen und klopfe an deine Tür, und du tust mir auf, und ich mache die Fenster weit auf und lasse die Sonne herein und wische den Staub von den Stühlen und stelle deine Bücher in den Schrank und nähe dir deine Kleider – Hein du!«

Er sagte nichts, er verzog keine Miene. Nur seine Brust atmete so schnell, daß er es nicht verbergen konnte.

»Oder alles, wie du willst,« flehte sie weiter, »ich will dich auch nur alle Sonntage sehen, ich will nur hin und wieder auf der Straße stehen und dich von fern mit deinen Freunden lachen sehen – nur laß mich in einer Stadt, in einem Sonnenschein mit dir sein, laß mich nicht so über die Berge weit von dir leben. Sag, weshalb hast du mich nicht lieb? Weshalb willst du nicht, daß ich mein Glück nehmen und haben soll? Sage mir, daß du mich lieb hast, dann will ich nichts mehr von dir.«

Er drehte den Kopf. »Du arme Grete,« sagte er.

»Ich weiß, daß du mich verachtest. Ich weiß, daß ich schlecht bin. Aber ich kann nicht anders sein.«

Sie schwiegen, lange. Sie flocht einen Kranz und hing den um seinen Hut, der im Gras lag. Dann sah sie auf ihren Ring am Finger, drehte ihn rund herum und zog ihn ab. Sie wog ihn in ihrer offenen Hand, und plötzlich warf sie ihn mit einer schnellen Bewegung den Grashang hinunter, in das dichte Gebüsch, und machte ihre Augen zu, um nicht zu sehen, wo er hinfiel.

Er ließ sie gewähren. Eine immer größere Traurigkeit kam über ihn, während sie sinnend ihr Kleid vom Grase säuberte und heimlich nach ihm hinüberschielte.

Da stieg ein Ruf ganz in der Nähe auf, und ein Vogel, dadurch aufgeschreckt, brach über ihnen durch die Wipfel. Georg rief nach ihr, lachend und erwartungsvoll, wie sich Kinder rufen, die sich voreinander verstecken.

Die beiden waren ganz still. Gretes Gesicht war sonderbar weiß, selbst ihre Lippen waren weiß. Auch in Hein stieg, zu seiner Verwunderung, ein plötzliches Gefühl des Unwillens auf.

Zum zweiten Male flog der Ruf aus dem Laub heraus. Grete saß da, ihre Arme hingen herab, und ihre Augen starrten auf einen Stein, als wenn sie ihn an die Erde heften wollten.

»Georg!« rief Hein plötzlich entschlossen, »hier ist sie!«

Sie hörten das Fallholz unter Georgs Schuhen brechen. Hein stand auf und ging ihm mit drei langen Schritten entgegen.

Da war er!

Seine Augen suchten sofort und ein wenig ängstlich nach der Verlobten, seine schmalen Backen waren vom Lauf gerötet.

Über Gretes Leib jagte ein Schauder, als er auf sie zueilte und ihr seine beiden Hände hinhielt und ihr ein Jauchzen aus seinem ganzen Wesen entgegensprang.

Hein stand abseits und klopfte den Staub aus seiner Jacke und pfiff ein Lied und schien froh und aller Sorgen ledig zu sein.

Grete saß da und sah zu Boden und gab dem Verlobten ihre Hand nicht. Die Muskeln ihres Gesichtes hatten sich fest und nach unten gelegt – das gab ihr bei dem vollen Fleisch ihres Gesichtes um so mehr den Ausdruck finsteren Trotzes.

Georg sah sie an und erschrak. Seine Züge nahmen unwillkürlich den Ausdruck der ihren an. Er sah ungewiß nach dem Freund hinüber und hielt ihr noch immer seine Hände hin.

Jetzt stand Grete auf, langsam. Ihr Gesicht und ihre Brust waren von Stein. Georg suchte ihr gut und bang in die Augen zu sehen. Er nahm ihre Hand zwischen die seinen und drückte und streichelte sie, er legte den Arm um ihren Leib, um sie zu schützen. »Was hast du? Sag es mir, wenn du mich lieb hast.«

Da mit einem Mal tat sie den Mund auf. »Ich habe dich nicht lieb.«

Georg sah sie an und wollte lachen, aber er verstummte vor dem Ausdruck ihres Gesichtes. »Wer hat dir was getan?« fragte er ein wenig heftig und machte eine drohende Wendung nach dem Freund hin. »Gib mir deinen Arm, komm, wir wollen nach Hause.«

»Nein, Georg,« sagte sie, ohne die Augen aufzuschlagen, »das ist die letzte Hand, die du von mir hast. Ich bin es nicht wert, daß du sie hältst.«

Er begriff den Sinn ihrer Worte nicht, und da er sie von ihrer Hand sprechen hörte, legte er seine andere Hand auf die ihre.

Hein hatte sich nach ihr umgedreht und sah ihr entsetzt ins Gesicht. Er sah sie an, wie sie da stand: die liebe Grete, das frohe Kind, das starknackige Mädchen, so bleich und ernst. Sie erschreckte ihn, es war, als ob sie eine Fremde wäre. Und doch war etwas an ihr, wie sie da stand, schmal und mit gesenktem Kopf, wie von der Last ihres Schicksals zur Erde gedrückt, das ihm die Tränen in die Augen trieb. Ihm war, als wenn er seine Arme auftun müßte und den lieben, armen Leib ganz in sich ziehen. Er fühlte sich ratlos, er fühlte sich schwach.

Sie schlug die Augen auf, atmete ein wenig schneller und sagte einfach und rein, wie ein Kind, das betet: »Sei mir nicht bös, daß ich dir wehe tun muß – aber ich kann nicht anders; sieh Georg, ich kann nicht deine Frau sein.«

Georg öffnete den Mund und wollte sprechen. Er sah sie an, als ob sie verwandelt, als ob sie eine andere sei. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war höchstes Entsetzen, dann ein jubelnder Schimmer von Hoffnung, dann ein Verstehen, ein Zweifeln und dann wieder ein einziges Entsetzen.

Er stand eine Weile wie im Traum, sein Mund schloß sich herb, jeder Tropfen Blut ging aus seinen Backen, er sah plötzlich um zehn Jahre älter aus.

Dann drehte er sich um und ging mit schnellen Schritten, die für immer Abschied nahmen, den Berg hinab, während ein goldfarbiges Vogelpaar glückzwitschernd und sonnenblitzend vor ihm herstrich.

Hein wollte dem Freund nach. Doch seine Füße waren gefesselt. Und da stand sie vor ihm. Ihre Augen, blitzten, ihre Backen und ihre Stirn leuchteten, und ehe er sie hindern konnte, hing sie mit beiden Armen an seinem Hals, netzten ihre Lippen und ihre lachenden Tränen sein ganzes Gesicht. »Du hast mich lieb, Hein, ich weiß es,« jauchzte sie leise.

Aber da packte er ihre Schulter mit beiden Fäusten. Und als sie, sich windend vor Schmerz, die Arme von seinem Hals löste, da schlug er sie. Mit der breiten Hand schlug er sie über Ohr und Backe.

Die Backe wurde dunkelrot und glühte, weit übers Ohr hin ging der flammende Kreis, und die andere war weißer als Wachs. Grete senkte den Kopf und ließ die Arme zu beiden Seiten herabhängen, wie das Sklavenmädchen, das ohne Zorn den Peitschenschlag seines Herrn mit den schmalen Schultern hinnimmt. Und mit einem Mal wurde auch ihre andere Backe rot, und die Stirn, und der Hals, vor Scham. –

Hein ging. Er stieg den Pfad hinauf und sah sich nicht um, immer weiter, bis er auf der Berghöhe stand und in das weite Land sah, in die sonnenzitternde Ebene, durch die der Rhein hinzog, breit und weiß wie Milch.

Er atmete tief auf – o, wie doch die Sonne schien! Wie alles flutete von Duft und Licht und an die Sinne schlug!

Und er stand und sah hinaus und sah nichts mehr vor Tränen in seinen Augen. Und plötzlich umklammerte er mit irren Händen einen dünnen Birkenstamm und warf die Stirn gegen das Holz und schrie laut: »Hör mich nicht! Ich habe dich lieb! Wie ich dich lieb habe!«

 

III.

Leise ging die Tür zu Heins Zimmer auf, und Grete schlich sich auf den Zehen herein.

Es war dunkel, und die zwei offenen Fenster schleuderten den Lärm der Straße in den tiefen, schmalen Raum.

Grete stand da und wagte nicht näher zu kommen. Nur ihr Gesicht und ihre beiden Hände schimmerten weiß. Dann zog sie den Schlüssel draußen aus dem Schloß, legte ihn wieder unter die Matte und klinkte die Tür zu hinter sich.

Zwei lange Schritte machte sie über den Holzboden hin bis zum Teppich und erst auf dem weichen Tuch, das jeden Schall in sich nahm, trat sie fester auf.

Sie stand am Tisch und sah sich um. Aber sie konnte nur wenig erkennen, nur das, worauf die Lichtflecke von der Straße fielen: die Scheibe des langen Spiegels, eine Stuhllehne und die schwarze Fläche des Klaviers. Sie legte den Strauß Rosen, der dick wie ein Mannskopf war, und dessen Duft schon aus allen Ecken und Winkeln des Zimmers zu strömen schien, auf den Tisch, tastete nach dem Feuerzeug, horchte nach der Treppe hin und zündete die niedere Lampe an, die auf dem Schreibtisch stand.

Als sie den rosafarbenen Schirm wieder aufsetzte, war das ganze Zimmer in ein trauliches Rot getaucht, und ihre Hände, die den Schirm hielten, glühten.

Sie ging und schloß die Fenster und zog die Vorhänge dicht zusammen: mit einem Mal war's ganz still im Zimmer, als ob ein Windstoß plötzlich Wagen und Menschen draußen verschluckt hätte. Dann drehte sie sich um und nahm das Zimmer von vorn bis hinten ganz in ihre Augen auf. Sie wagte kaum zu atmen, wie in der Kirche war ihr zu Mut. Sie fühlte, daß es Heins Zimmer war – sie hätte es gefühlt, wenn sie es nicht gewußt hätte. Wie die Stühle standen, wie die Bücher und Hefte lagen, wie die Säbel an der Wand hingen – aus allem sahen ihr seine breiten Hände, und seine ehrlichen Augen entgegen.

Sie sah die rote Decke, die rote Tapete mit den goldenen Blüten, das tiefe Sofa und die Stühle aus dunkelrot leuchtendem Sammet. Dieses ganze rote Glühen tat ihren Augen wohl und stimmte mit der Farbenempfindung ihrer Seele überein.

Ihre Augen waren weit und glänzten wie im Fieber, und obwohl sie sich nach Ecken und Wänden drehten, starrten sie doch nach einem unbestimmten Ziel in die Weite, weltverloren und herzglücklich. Sie faltete die Hände in tiefer Erregung vor ihrer Brust und ließ die Augen immer wieder über seine Bücher, seine Bilder, seinen Tisch gehen.

Sie ging auf den Zehen zu seinem Schreibtisch. Da stand das Bild ihrer Eltern in einem Kupferrahmen, und die vier zufriedenen Augen strahlten Glück und Freude aus. Sie betrachtete das Bild lange und legte dann mit flinken Händen, von denen sie die Handschuhe noch nicht abgezogen hatte, all die Bücher und Papiere in Ordnung, auf- und nebeneinander. Sie wischte mit dem Staubtuch über Tisch und Stuhllehnen: nun war sie seine Hausfrau, wie sie sich's so oft, lachend vor Glück, geträumt.

Sie stellte sich vor die beiden Büsten an der Wand: Helios und Klytia, die beiden Märchenkinder aus versunkenen Jahrtausenden. Sie betrachtete sie und neigte dann die beiden Köpfe einander zu, daß sie sich besser in die Augen sehen und glücklich sein konnten. Sie nahm eine Rose aus ihrem Strauß, der im Purpur der Möbel leuchtete, und legte sie der schönen Nymphe um die Schulter. Und eine schöne, große Rose hängte sie quer über das Bild der Eltern, damit ihre Augen ganz bedeckt waren, deren Blick ihr überallhin folgte.

Und dann ging sie dahin und dorthin und steckte da eine Rose an den Spiegel und legte dort eine auf das Wasser, das in der Schüssel stand. Wo ein leerer Platz war, da ließ sie Duft und Farbe aufspringen. Endlich sah sie sich um und betrachtete ihr Werk; wie mitten in einem blühenden Garten stand sie und summte ein stilles, frohes Lied.

Plötzlich hörte sie ihn kommen. Sie kannte seinen Schritt auf der Treppe. Ein schnelles Leuchten ging über ihr Gesicht, sie legte die Hand auf die schneller atmende Brust, sie sah nach allen Seiten und ging dann in die Ecke, hinter die Tür, und da stand sie und wartete auf ihn.

Sie hörte ihn den Schlüssel unter der Matte nehmen, hörte ihn versuchen, die offene Tür damit zu öffnen. Dann drückte er auf die Klinke, und da war er.

Er war verwundert und sah nach der Lampe hin, die eine unbekannte Hand angezündet hatte. Er ging dahin und dorthin und sah die Rosen überall, dann sah er das schmale Mädchen in engem, schwarzen Kleid in der Ecke stehen, das die Arme zu beiden Seiten hängen ließ und ihn mit großen Augen, die sonderbar glänzten, ansah.

Er sprach kein Wort und zuckte mit keiner Muskel im Gesicht. Er ging zum Tisch und legte Stock und Hut hin. Sein Gesicht ward dabei vom Lichtschein getroffen – es sah älter aus, hatte zwei scharfe Falten um den Mund, und das Kinn war vorgeschoben und schien gewachsen.

Er stand lange an dem Tisch, ohne eine Bewegung. Dann steckte er die Hände in die Taschen und ging langsam zum Fenster. Er hob den Vorhang ein wenig und sah auf die Straße hinaus. Ihr Kleid raschelte, sie machte ein paar leise, schnelle Schritte zu ihm hin, sie stand hinter ihm und nahm von hinten seine Hand.

Er regte sich nicht und sah starr auf die Straße. Dann entzog er sich ihr und ging durchs Zimmer, langsam, auf und ab. Vor dem Klavier blieb er stehen, setzte sich auf den Stuhl, von ihr abgewandt, legte beide Arme auf und stützte den Kopf in die Hände. Dann machte er den Deckel auf und schlug ein paar Töne an, kaum hörbar. Stille, traurige Akkorde spielte er, die den Atem anhalten machten, und dann eine Melodie, die ganz oben in den hohen Tönen begann und niederstieg und ganz unten in den tiefen Tönen starb. Nach einem rauhen, schneidenden Akkord, der keine Auflösung fand, klappte er den Deckel zu und ließ die Arme sinken.

Sie stand hinter ihm und strich ihm über das Haar und lehnte sich an seine Schulter. Sie sah ihn von der Seite an, drängte sich an ihn und berührte seine Hand mit ihren Lippen. Sie kniete sich neben ihn und legte ihr Gesicht auf seine Hände.

Er wehrte ihr nicht. Er fühlte seinen Hals von zwei Armen niedergezogen, fühlte zwei nasse, warme Lippen über sein Gesicht gehen und sich auf die seinen legen, fühlte sein Gesicht naß von ihren Tränen werden.

Er nahm ihren Kopf in seine Hände und sah auf sie hinunter und lachte traurig. »Bist du gekommen?« fragte er.

»Ich bin da,« flüsterte sie und sah zu ihm auf.

Er küßte ihr Haar. »Weißt du, was das bedeutet?« fragte er.

»Ja,« sagte sie ruhig, ohne ihre Augen zu senken.

»Wir sind Betrüger, wir sind Diebe,« sagte er, »wir stehlen das Glück eines Freundes.« Und dann atmete er tief auf, zog sie zu sich, zog ihren Mund an seinen, und sie hingen sinnlos, mit immer neuem Jubel, merkwürdig leise und anschwellend, aneinander. Beider Lippen küßten wie irr über des andern ganzes Gesicht hin. Sie waren zwei Liebende, die nur noch das waren, was da in ihnen war, was da mit tausend Pferden zu einander strebte.

»Daß du gekommen bist!« sagte er und legte seinen Kopf an ihre Brust.

»Wir wollen in ein ander Land gehen, wir wollen über das Meer gehen,« sagte sie, »und immer zusammen bleiben.«

Er zog sie fester an sich, senkte seinen Kopf tiefer und sagte: »Küsse mich! Wie lange habe ich darauf gewartet!«


War es Morgen? War es Mittag?

Sie standen am Fenster, hoben den Vorhang beiseite und sahen auf die Straße. Das ging vorüber da unten, hastig und träge, mit fröhlichen Augen und krummen Rücken.

Er sah nach den Fenstern und Giebeln, um aus dem Stand der Sonne die Zeit zu sehen. Aber Grete zog ihm den Vorhang vor die Augen und richtete sich an ihm auf und stand auf den Zehen und berührte seinen Mund von unten.

Und er trug sie auf seinen Armen ins Zimmer zurück.


»Hast du Hunger?« fragte er und sah ihr in die großen, weltentrückten Augen.

»Küsse mich noch einmal,« sagte sie.


Sie saßen auf dem Tisch und sahen auf das Bild ihrer Eltern, von dem die Rose gefallen war.

»Wie schön deine Mutter ist,« sagte er.

»Du bist schön,« sagte sie leise und selig und küßte seine zwei Daumen.

Wie Kinder waren sie.


»Wir sind ehrlos,« sagte er, »unser Glück gehört uns nicht. Unser Glück kann nicht dauern. Es hat die Kraft der Reinheit nicht, die nötig wäre, damit es leben bliebe.«

Sie deckte seine Hände über ihr Gesicht und antwortete nicht.


Ein Sonnenstreif fiel ins Zimmer, gerade aufs Sofa hin.

Er nahm ihren Kopf und hielt ihn so, daß der Strahl über ihr Gesicht ging. Und ihre Augen leuchteten bis in die Tiefe hinein, und ihre weiße Haut wurde rosig und blühte und lebte, ihr Haar schimmerte wie eine Krone über ihrer Stirn.

Es war ihnen, als ob der goldene Gruß eine Verklärung, die segnende Berührung einer Hand vom Himmel sei.


»Was soll aus uns werden?« fragte er, ohne sie anzusehen. »Was wird das Ende sein?«

»Wie schön deine Stimme klingt,« sagte sie, »sprich weiter.«

»Gib mir deine Hände,« sagte er, »laß mich deine Hände küssen und nicht aufhören. Ist es denn wahr, daß du neben mir sitzt, und daß du mir gehörst?«


Sie saßen auf dem Sofa und hatten die Arme ineinandergelegt.

Er nahm einen Säbel von der Wand, zog die Schneide prüfend durch seine Hände und setzte ihr die Klinge auf die weiße Kehle.

Sie sah es, ohne zu erschrecken, und hielt den Kopf ganz still.

»Nein,« sagte er, »wir wollen leben.«

»Wie du willst,« sagte sie mit träumenden Augen, »ich gehöre dir.«


»Bist du glücklich?« fragte sie leise.

»Du auch?« fragte er.


Als sie jeden einzelnen seiner Finger küßte, klopfte es an die Tür, leise, wie fragend.

Die Wirtin war es.

Er antwortete nicht, und Grete rückte enger an ihn.


»Mein Weib du,« sagte er.

»Mein Gatte und Gebieter,« sagte sie.


Sie hatte die Augen geschlossen. – Schlief sie?

Er beugte sich mit seinem Gesicht über das ihre. Er konnte seine Augen nicht wegwenden von dem jungen Mädchengesicht da mit seinem unbeschreiblichen Übererdenschimmer von Glück.

Sein Herzschlag schlug ihm bis an die Zunge. Es war ein Jubel in ihm, nicht ein Jubel, der sich stürmend auf die Lippen drängte, der die Beine durch das Zimmer jagte und die Arme hob – ein Glückjubel, der tief in ihm strömte, kreisend, wirbelnd, der in tausend Rieseln durch seinen ganzen Leib verfloß, der ihm einen Schleier vor die Augen breitete, der ihm in Stirn und Backen glühte und bis ins Braun der Locken zu wehen schien – ein Jubel, der nichts mehr sehnte, der nichts rief, was noch weit war, der in herztiefster Seligkeit die Lippen geschlossen hielt.


Er nahm ihr langes Haar und zog es durch die Hände. Er legte es ihr unters Kinn, um den starken Nacken herum, holte es auf der andern Seite wieder hervor und zog es leise an.

Schlief sie?

Er zog die Schlinge immer fester an. Ihr Gesicht rötete sich, er hörte sie schlucken. Er atmete nicht und zog fester an.

Da schlug sie die Augen auf. »Küß mich doch,« sagte sie.


»Bist du glücklich?« fragte er wieder.

»Du bist's!«


Sie saßen, an die Wand gelehnt, Arm in Arm und sahen der Nacht zu, die sich über das Zimmer legte.

Draußen brannten die Laternen. Sie sahen zur Decke und sahen, wie da das ganze Leben der Straße in Schattenbildern vorübereilte. Jetzt ein Wagen, dann Kinder, dann zwei, die sich im Arm hielten, und Hosen der Männer und Röcke der Frauen. Und alle standen auf dem Kopf.

Und sie legten ihr Glück in die Schattengestalten hinein und träumten sich einen Hochzeitszug daraus, der sie beide über teppichbelegtes Gras zu der Kapelle auf dem Hügel führte. Da sahen sie Blumen und bekränzte Haare, weiße Kleider und sonnige Augen. Da hörten sie plötzlich, wie Harfen tönten und junge Mädchen sangen, so daß sie ihn erschreckt ansah. Und von allen Seiten, von den Schränken, von den Gardinen, von Spiegel und Bildern flatterten jauchzende Kinder dazwischen, denen die Haare nachhingen, und die Rosen umherwarfen.


Er schloß ein Fach seines Schreibtisches zweimal ab und warf den Schlüssel auf die Straße.

»Was tust du?« fragte sie.

»Da liegt, was gut zum Tod ist. Es kam über mich, daß ich es dir an die Schläfe setzen und losdrücken wollte.«

»Was habe ich dir getan, daß du mich nicht glücklich sein lassen willst?«

»Beide, du und ich,« murmelte er im Selbstgespräch.


Er stand auf dem Balkon draußen, und seine Arme hielten sie.

So sahen ihre vier Augen in die Nacht hinaus: tief unter ihnen die Lichter und die Menschen und die Wagen, ihnen gegenüber die dunkle Häuserreihe, in der nur ein Giebelfenster erleuchtet war, über dessen weißen Vorhang der Schatten eines Mädchens ging, das seine Kleider ablegte.

Und hoch über ihren Köpfen war der Himmel.

Sie hoben ihre Gesichter zu den Sternen auf, die in unzähligen, goldenen Punkten da oben schimmerten. Sie sprachen nicht, sie hingen nur mit starrenden Augen an der Höhe. Da oben über ihren Stirnen war die Stille, war die Reinheit, war ihre Welt: die Sterne waren ihre Brüder, denn sie waren so hoch über allem Irdischen, wie ihre zwei Seelen.

Sie falteten ihre vier Hände ineinander und sahen immer hinauf. Und es war ihnen so fromm, als ständen sie in der Kirche. Es war ihnen, als ob ein Kuß wie der Kuß der Ewigkeit und der Kraft und der Macht und der Herrlichkeit ihre Scheitel berühre.


Da! Wieder klopfte es an die Tür, leise und schnell. Wieder die Stimme der Hausfrau. Eine andere, flüsternde, lachende Stimme sprach dazwischen.

Sie hielt ihm die Hand auf den Mund, damit er still sei.

Man schlug mit der Faust gegen das Holz, man steckte Schlüssel ins Schloß.

Sie hielten den Atem an und horchten.

Er war mit einem Male traurig, und seine Augen sahen sie nicht mehr an, als sie ihn ins Gesicht hinauf anlachte. Dann stieß er sie rauh zurück und sagte: »Schnell, wir müssen gehen.«


Sie gingen auf den Zehen über die braune Matte der Treppe hinunter. Sie gingen über die Straße, deren Läden erleuchtet waren, eins neben dem andern, nicht Arm in Arm, nicht einmal ihre Ellenbogen berührten sich. Sie sprachen nicht, hatten die Hüte tief über die Stirn gezogen und senkten die Köpfe nach dem Steinpflaster hinunter.

Aber es kümmerte sich niemand um sie. Sie gingen mit hastigen Schritten durch die Menschen hindurch, wie nach einem bestimmten Ziel, und als ob sie keine Zeit mehr zu verlieren hätten.


Sie saßen in ihrem Nachen mitten auf dem Rhein. Nach allen Seiten von der Finsternis umgeben, die so schwarz war, daß Spitze und Ende des Bootes in ihr verschwanden, und so lautlos, daß man nur das Gurgeln der Wellen an den Brettern hörte, schienen sie auf einem Meer ohne Grenzen dahinzutreiben.

Hin und wieder wuchs am Ufer, in unendlicher Ferne, ein gelbes Licht auf, ein ausstrahlender, handgroßer Kreis, der eine lange Gasse in das Wasser hineinwarf.

Einmal ein schwarzes Schiff, das mit seinen Schaufeln schlug, dicht an ihnen vorbei.

Dann vom Ufer langgezogenes Hundegebell.


Er hatte das Steuer angebunden. In gerader Richtung trieb der Nachen weiter, immer weiter.

Ein kühler Nachtwind kam.

Sie saßen auf derselben Bank, und er hatte sie mit seiner Jacke zugedeckt, um sie warm zu halten.

Vor ihnen, noch fern, zuckende und lodernde Flammen: das Reich der Fabriken fing an. Jetzt nur nicht mehr weiter! Sonst werden sie, wenn der Himmel weiß wird, keine ansteigenden Wiesen, keine leise bewegten Weiden mehr zur Seite haben, nur noch Mauern und qualmende Schornsteine.

Nein – nicht mehr weiter! Nicht in diese Häßlichkeit hinein!


Ein lang anhaltendes Schreien.

Sie standen beide im Nachen. Er hielt sie mit den Fäusten an den Armen gepackt, rang mit ihr, sie biß in seine Fäuste hinein, mit schnellen, scharfen Zähnen, schrie und schlug mit ihren Fäusten gegen sein Gesicht, warf sich auf die Kniee, wälzte sich am Boden umher, klammerte sich mit tausend Händen und Füßen an das Holz. Nicht in das Wasser hinein, das schwarze, gurgelnde, noch nicht! Noch eine Stunde sitzen, von seinem Arm gehalten, den Kopf in seiner Jacke vergraben!


Den gekrümmten Kiel oben, trieb der Nachen mit den wandernden Wellen. Das gelbe Holz war schon von der Sonne getrocknet.

Fischer am Ufer, mit breiten Hüten und Ringen in den Ohren, schoben ein Fahrzeug ins Wasser und fuhren dem umgestürzten Boot mit kurzen Ruderschlägen entgegen, die Köpfe vorgestreckt, mit lachenden, dann streitenden Worten.

Aber schon vorher trafen sie auf einen Mädchenhut, rund, aus rotem Stroh. Wie eine riesige Rose schwamm er dicht unter der Oberfläche daher.

Einer traf ihn mit dem Ruder und zog ihn so hinaus. Die andern griffen mit den Händen darnach, hielten ihn vor sich hin, lachten und fuhren wieder dem Nachen zu, der unterdes vorbeigetrieben war.

Einer rief nach dem Nachen hin, als ob das ein verstehendes Wesen sei: »He! Haal aan!«

Ein andrer zog sich den Rock aus, um das Brennen der Sonnenstrahlen weniger zu spüren.

Sie banden den Nachen an den ihren und kehrten ans Ufer zurück.


Eine einzige Weite und Leere auf dem Strom.

Die besonnten Wellen treiben und hören nicht auf zu treiben. Kein Geräusch, als dieses unbarmherzige, höhnische, unablässige Gurgeln.

Ein einsamer Spaziergänger am Ufer, der den Kopf auf die Seite gedreht hält und auf das Wasser hinaussieht.

Weiter im kahlen Feld ein Totenkreuz, das sich schwarz und riesig gegen den Himmel abhebt. Eine Bäuerin mit weißem Tuch um den Kopf steht davor und hat die braunen, mageren Hände vor ihrer Schürze zum Gebet gefaltet. Sie steht da, ohne eine Regung, wie zum Erdboden gehörig. Nur ihr Mund öffnet sich und geht zu.

Kein Vogel irgendwo, der das Lied von den beiden, die da unten im Wasser von Stein zu Stein treiben, über das weite Gras hin pfeift.


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