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Der Schmied.


Einsam an der Landstraße wohnt der Schmied, nur mit seinem Gesellen; Frau und Kinder sind ihm gestorben. Das Haus ist weiß gestrichen und hat nur wenige Fenster. Das schwarze Schieferdach hängt auf der einen Seite bis zur Erde herunter. Wenn der Schmied des Morgens in die Tür tritt, um nach dem Wetter zu sehen, füllt er den Rahmen mit seinem mächtigen Schurzfell ganz aus und muß sogar, obwohl er nicht übermäßig groß ist, den Kopf ein wenig biegen und von unten herauf nach dem Himmel sehen.

Neben dem Wohnhaus steht ein Anbau aus Lehmwänden, der die Schmiede enthält. Da sieht man in dem schwarzen Hintergrund, über den hin und wieder ein Feuerschein geht, das bärtige und russige Gesicht des Mannes, in dem nur die Augen weiß sind, und in regelmäßigen Zwischenräumen hebt und senkt sich sein nackter Arm durch die Finsternis. Dann hört man jedesmal einen Schlag, hell oder tief, schnell, behende oder langsam, wuchtig auf den ersten folgend. Es ist eine immerwährende Musik auf der Landstraße, die hier auf der einen Seite den breiten Rhein, auf der anderen Seite steil anklimmenden Buchenwald neben sich hat. Selbst die Eisenbahn hat sich, wie aus Scheu vor diesem einsamen, schweigsamen und finster sehenden Mann, einen anderen Weg gesucht und gräbt sich durch den Berg hindurch, um erst jenseits wieder an die blitzende Wasserfläche heranzutreten.

Eines Abends saß der Schmied, der schon vom Großvater her protestantisch war, in Hemdsärmeln bei der Lampe und las in der Bibel. Der Geselle war schon ins Bett gegangen. Da klopfte es ans Fenster, das wegen des Regens geschlossen war. Der Schmied schob den Stuhl zurück, nahm die Lampe und öffnete die Haustür. Da stand ein Mann, der zögerte, in den Lichtkreis der Lampe zu treten. Der Schmied hielt die Lampe näher, und da griff der Mann an den Hut und bat um ein Obdach. Für eine halbe Stunde nur. In dem Regen und Sturm war schwer weiterzukommen.

Der Schmied warf nicht einmal einen prüfenden Blick auf den Bittenden, zögerte keine Sekunde und sagte: »Kommt eren!«

Der Mann packte seinen großen Radmantel, den er nur übergeworfen hatte, mit der einen Faust fester, nahm den Hut mit der andern Hand ab und trat ins Haus.

»Jaoht en't Zemmer! Setzt Üch!« sagte der Schmied und wies mit seiner riesigen, schwarzen Hand auf das Ledersofa hin. Er selbst ging auf die andere Seite des Flurs in die Küche. Der Mann im Zimmer hörte ihn Holzspähne schneiden, Feuer anmachen und mit dem Geschirr umgehen.

Nach einer Weile kam er zurück und trug eine Suppe, in der ein Stück Fleisch lag, in beiden Händen. Er setzte den Teller vor den Gast hin, holte das Brot vom Fensterbrett und legte es zusammen mit dem breiten Messer und dem Salzfaß auf den Tisch.

»Laoht et Üch schmecke,« sagte er, indem er mit den Augen prüfte, ob er nichts vergessen hatte.

Dann hörte ihn der Fremde die Kellertür draußen heben und mit seinen schweren Schuhen die Treppe hinunter gehen. Bald kam er mit einem Krug Wein zurück, den er mit dem Hemdärmel abwischte. Er holte ein Glas aus dem Schrank, setzte sich wieder vor seine Bibel und las weiter, als ob er allein wäre.

Der Fremde aß unterdes, schnitt sich Brot ab und trank dem Schmied zu. Der hob nur ein wenig den Kopf und nickte. Nur einen Moment hafteten seine Augen dabei an dem Mantel des Fremden. Der Fremde zog schnell den Mantel, der sich eine Hand breit geöffnet hatte, zusammen und sah mit einem ängstlichen Zweifel nach dem Schmied hin. Aber der las und zuckte nicht mit den Augen.

»Ne schlechte Herbst,« sagte der Gast. »Nur jood, dat der Wein schon erunger es, ävver Ür Handwerk jedeiht jao, wenn die Straoße schlecht sen.«

Der Schmied antwortete nichts. Er stand nur auf und schloß die Fensterladen fest zu. Er sah nach der altmodisch großen Taschenuhr, die an einem Nagel an der Wand hing, nahm sie herunter und zog sie auf.

Plötzlich schlugen leise Schläge an die Tür draußen.

Der Fremde griff nach dem Glas, um arglos zu trinken. Dann aber setzte er das Glas hin, ohne es an den Mund gebracht zu haben, und sah den Schmied in hellem Schrecken an, öffnete den Mund zum Sprechen, ohne ein Wort hervorzubringen und stand vom Sofa auf.

Der Schmied schob ruhig seinen Stuhl wieder zurück, ging zum großen Schrank und öffnete. »Jaoht do erein,« sagte er.

Der Mann war ganz verwirrt, hatte keinen Tropfen Blut mehr im Gesicht und hob die Hände mit einer zwecklosen Bewegung in die Luft.

»Vorwärts!« Der Schmied nahm dem Mann trotz seines Sträubens den Mantel von der Schulter.

Unter dem Mantel zeigte sich eine durchnäßte und beschmutzte Infanteristenuniform, deren goldene Knöpfe nur zum Teil geschlossen waren.

Der Schmied faltete den Mantel zusammen und legte ihn unten in den Schrank, ganz in den Winkel, alles mit schnellen, geräuschlosen Bewegungen.

Der Fremde sah ihn mit großen, angstvollen, bittenden Augen wie ein Kind an, wischte sich das Wasser ab, das ihm von den nassen Haaren übers Gesicht lief, und ging dann in den Schrank. Er bewegte die Lippen fortwährend in aufgeregtem Selbstgespräch, indem er dabei die Augen nicht von dem Schmied tat, prüfend, mißtrauisch und flehend.

Es schlug wieder an die Tür, dringender. Eine Stimme rief leise.

Der Schmied hing Kleider über den Mann, schloß den Schrank, ohne den Schlüssel abzuziehen, setzte Teller und Glas, als ob sie vor den Stuhl und nicht vor das Sofa gehörten, schob den dünnen Teppich unter dem Tisch so, daß die nassen Spuren der Schuhe verdeckt waren, und ging öffnen.

Es standen zwei Gendarmen draußen ohne Mäntel, die Gewehre am Riemen über den Schultern, große, magere Männer. Der Regen troff ihnen vom Helm, von den Ärmeln und den Rockenden herunter.

»Ist ein Soldat vorbeigekommen? Oder – es ist möglich, daß er in gestohlenen Zivilkleidern läuft – irgend ein Verdächtiger, der Eile hatte? Oder, wer überhaupt ist die letzten zwei Stunden vorbeigekommen? Habt Ihr keine schnellen Schritte draußen gehört?«

»Nä,« sagte der Schmied immer und sah die beiden ruhig und offen an.

»Er muß hier vorbeigekommen sein.«

»Nä.« Der Schmied traf, als er den Kopf nach dem Sprecher drehte, auf zwei gelbliche, mißtrauisch auf ihn gerichtete Augen. Er zuckte nicht. »Kommt erein,« sagte er, »trinkt enen Schluck.«

»Besten Dank.«

Die beiden Männer traten, ohne die Gewehre abzulegen, ins Zimmer, nachdem sie auf dem Flur den Regen wie Hunde von sich geschüttelt hatten.

Der Schmied nahm noch ein Glas vom Ofen und schenkte ein.

Der eine der Leute ließ, während er trank, noch mißtrauischer seine Augen über den gedeckten Tisch und das Zimmer gehen.

»Trinkt met,« sagte der andere zum Schmied.

»Well mir e Jlas holle,« sagte der und ging zum Schrank, wo oben über den Kleidern eine Reihe Gläser stand. Er machte den Schrank ohne weiteres auf, nahm ein Glas nach dem anderen in die Hand, hielt sie gegen das Licht, wählte recht lange und kam schließlich, nachdem er den Schrank recht langsam geschlossen hatte, mit einem an den Tisch zurück.

Der gemütlichere der beiden Gendarmen hatte sich auf das Sofa gesetzt, legte sich zurück, zog mit den Fingern das Wasser aus seinem Schnurrbart und besah sich die Bilder an den Wänden, die Schlachten, die der Schmied im deutsch-französischen Krieg mit geschlagen hatte, in dem ihm das linke Knie ein wenig steif geschossen worden. Der andere ließ die Hand nicht von seinem Gewehr, setzte sich nicht und trank sein Glas in einem Zug leer.

»Er muß irgendwo nahebei stecken. Wenn ihn wer im Dorf oder« – er machte eine Pause – »sonst wer versteckt hat« – er pfiff ein paar Töne – »fünf, sechs Wochen sind dem sicher.«

»Trinkt,« sagte der Schmied ruhig, »well neue holle.« Er zündete eine Kerze an und ging langsam zum Keller hinunter.

Als er weg war, flüsterten die beiden mit einander, der eine heftig, der andere abwehrend. Schließlich nahm der eine die Lampe, ging in den Flur, in den Hof, hinter die Treppe, ging die Treppe hinauf und oben den Speicher entlang. Er leuchtete in alle Winkel, kniff die Augen zusammen, um schärfer zu sehen, und hielt den Kopf auf die Seite, um das kleinste Geräusch zu hören. Schließlich ging er in den Keller hinunter und begegnete schon auf der Treppe dem Schmied.

»Nehmt es nicht übel. Er kann sich verkrochen haben, ohne daß Ihr es wißt. So'n Teufelskerl! Habt Ihr die Tür draußen zu gehabt?«

»Nä, die Tür waor op.«

»Also – seht Ihr?«

Der Schmied zuckte nicht und ließ den Mann hinuntergehen, indem er ihm noch die Falltür hochhob.

Als der Gendarm ins Zimmer zurück kam, reichte er ihm sein Glas, das er wieder vollgeschenkt hatte.

Die Gendarmen gingen. »Wenn Ihr was hört, steht auf. Haltet fest, wenn etwas vorbeikommt, dem Ihr nicht traut.«

Der Schmied nickte, sah nach dem Himmel, horchte auf den Rhein hinaus und ließ sie gehen. »Hät Üch besser Wetter maache solle,« sagte er. Als er die Haustür hinter sich zuklinkte und die sich entfernenden Schritte hörte, die in dem Wasser der Straße planschten, kroch zum ersten Male ein Lachen aus seinen zwei Mundwinkeln hervor, das sich fröhlich und übermütig über das ganze starke und gesunde Gesicht ausbreitete. Dann setzte er sich wieder vor seine Bibel, schlug die Blätter um, sah nach der Uhr an der Wand und stand schließlich auf.

Er ließ den Mann aus dem Schrank, führte ihn in die Küche und machte ihm dort ein Bett am Boden zurecht. Er ließ die Kerze da, verschloß die Haustür und ging mit der Lampe die Treppe hinauf, um sich schlafen zu legen. –

In aller Frühe, als der Himmel noch nicht weiß war, weckte er den Fremden, kochte ihm Kaffee und schnitt ihm Brot ab. Er hatte ihm einen alten Anzug mit herunter gebracht, der noch von seinem ältesten Sohn oben gehangen hatte, und ließ ihn den anziehen. »Die Uniform litt do« – er zog eine Schublade auf und legte sie zu unterst – »Könnt' sie holle, späder, wenn dat do vürbei es. Den Mantel gevv' ich dem Mühlenwirt unge zoröck, dem Ihr in enommen hat.«

Er gab ihm einen Stock, holte ihm seinen Hut und gab ihm in einem Bündel Brot, Speck und eine Flasche Wein mit. »On dä,« sagte er, »do hat Ihr 'nen Daler.«

Der Fremde, der den Schmied nicht ansah, bedankte sich, indem er für einen Augenblick lachte, und ging, ein wenig bleich vor Aufregung, mit Augen, die er nicht stet halten konnte, in der Richtung in den Wald hinein, die der Schmied ihm zeigte. –

Der Schmied hämmerte schon längst an seinem Amboß, während der Geselle das Eisen hielt, und das Feuer ihre Gesichter rot färbte, als der Fremde wieder an der Tür stand. Er winkte dem Schmied hinaus.

»Weg,« sagte der Schmied, »die Gendarmen sen hondert Schrett dovon.«

Der Fremde aber blieb stehen, griff mit der Hand in die Jackentasche und hielt dem Schmied seine, des Schmiedes, Uhr hin, die an der Wand gehangen hatte. »Dä,« sagte er, »ich hatt' sie mir jenomme. Dä, Üch well ich net bestehle, Üch net. Ihr sed – su –« Dabei hatte er die Tränen in seinen schwarzen Augen und sah den Schmied mit einem schüchternen Kinderlachen an.

Der Schmied nahm die Uhr. »Sie es von mingem Jrußvatter, die kann ich Üch net jevve. Ävver waed – sie hät ene Wert von dreißig Mark, sie es nur silvern. Woröm hat Ihr mir net jesaht, dat Ihr mih Jeld nüdig hat? Ich hätt' et Üch jäen jejovve.«

Der Bursche sah den Schmied mit großen Augen an und mit einem Gesicht, das fast wie von Schmerz verzerrt war.

Der Schmied aber hielt ihn am Arm fest, nahm ihn mit ins Zimmer, holte dreißig Mark aus einem Holzkoffer und gab sie ihm.

»Ich danken Üch, ich danken Üch,« stammelte der Bursche und küßte mit einer plötzlichen, irren Bewegung dem Schmied die Hände.

»Dat Eisen waor jood,« schrie der Schmied mit einem Male, der die Gendarmen kommen sah, »wenn et Üch net rääch es, dann schert Üch zom Düvel.«

Damit warf er den Burschen vor die Tür, steckte die Hände unter dem Schurzfell in die Taschen und sah den Gendarmen entgegen. »Na?« –


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