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Die geküßte Frau.


In Bonn kommen Studenten und Bürger gut miteinander aus. Die Nähe der sieben grünen Berge, die am Ende jeder Straße stehen, die nach Süden geht, die Allgegenwart des sonnenbreiten Rheins, der, von Schiffen und Nachen bedeckt, in weitem Bogen an der Stadt vorüberzieht, die weiche Luft, die von den Küsten des Meeres herweht, die bunte Fülle des Obstes und die begrünten Stangen der Weinberge, die Gärten, die jedes Haus wie ein kleines Paradies umgeben, das unzählbare Volk der Vögel, das diesen Erdenfleck mit jedem Frühjahr überflutet und fast zur Last wird, – das alles macht die Herzen der Menschen hier weit offen für jede Freude. Die vielen Fremden, die jedes Jahr mit den Vögeln kommen, werden angesteckt von der Heiterkeit und dem sonnigen Glück des Lebens hier, fühlen sich zu Hause und sind, wenn sie scheiden, für immer krank an der Sehnsucht nach dem Paradies, das sie zurückgelassen haben. In keiner Stadt hört man so viel Lachen und Singen aus den offenen Fenstern. Die Leute, die auf den Straßen aneinander vorübergehen, sind sich alle freund, auch wenn sie sich nie gesehen haben.

Die Studenten gehören aber auch zu Bonn. Wenn im Frühjahr und im Herbst, zu den Ferienzeiten, die bunten Mützen aus den Straßen verschwinden, denen sie mit ihren leuchtenden Farbenflecken aller Ecken und Enden ein so heiteres Aussehen geben, dann ist Bonn gestorben. Die Straßen sind grau und still, die Fenster geschlossen, die holzgetäfelten Zimmer und die blumengefüllten Veranden der Wirtshäuser leer. Aber wenn nach einigen Wochen die bunten Mützen – die ersten von den Kindern jedes halbe Jahr wieder von Neuem angestaunt und begrüßt – plötzlich wieder in den Straßen aufblitzen, wie schnell aufschießende Blumen, dann zeigt es sich, daß die Stadt nur geschlafen hat. Jetzt wacht sie wieder auf, ein Dornröschen, aus der Verzauberung geweckt durch die zweitausend jungen Männer, die mit ihren langen Schritten, ihren lachenden Augen eine Flut von Freude und Jugendkraft um sich ausbreiten und alles in ihren Bann ziehen.

Alte Leute, die wieder jung werden wollen, sollten nach Bonn kommen, um in diesem Jungbrunnen unterzutauchen.

Die, die von selber, mit weiten Armen und frohen Füßen in diesen Bann hineinlaufen, das sind die jungen Mädchen, deren hier so viele wie die Vögel sind. Hinter allen Gardinen schimmern hochgetürmte Haare und neugierige Augen, hinter allen Zweigen im Hofgarten und in den umgitterten Vorgärten der Häuser leuchten helle Röcke. An den Nachmittagen ziehen die Pensionate in langen Reihen, zwei und zwei, die kleinen Mädchen voran, die großen hinterher, an den Spiegelscheiben der Läden vorbei, in denen ihre Kleider von allen Seiten wiedererscheinen, oder unter den breiten Ästen der Anlagen her, durch deren Lücken die Sonne tausend spielende Flecke auf sie herabwirft. Am Ende des Zuges geht die Erzieherin mit der ältesten der jungen Damen, und es ist ein Glück, daß sie, so scharf sie auch sieht, doch nicht durch die Köpfe der jungen Mädchen zu sehen vermag. So hindert denn nichts die jungen, lebenlachenden Augen, nach den bunten Mützen hinüberzuschweifen und ihnen zu folgen, ohne daß der Kopf sich mitdreht. Manch ein Erröten und Bleichwerden kommt und geht da vorn, von dem die Lehrerin da hinten nichts ahnt. Ganze Romane spielen sich im Laufe eines halben Jahres auf diese Weise ab, deren einzelne Kapitel nur in der Augensprache geschrieben sind, und die doch hin und wieder mit aller Traurigkeit und für immer krank gemachten Herzen enden, wie das in wirklichen Romanen nur vorkommen mag.

Da es aber nicht die Art der Studenten ist, sich immer mit bloßen Blicken zu bescheiden, wo ihnen ihre Jugend ein Recht auf mehr gibt, so steigt die Liebe oft bei ihnen von den Augen zum Mund herunter, der nicht nur sprechen, sondern auch noch küssen kann. Es ist in Bonn keine Gardine an den Fenstern, keine Straßenecke an den Enden der Stadt und kein Baum auf den Bergen, die nicht schon alle einen geschwinden, heimlichen Kuß versteckt hätten. Es liegt an einem Sommermorgen, an dem die Häuser und das Pflaster brennen, die Vögel schreien und die Berge voll wandernder Menschen hängen, ordentlich eine Schwüle in der Luft, eine Wolke, nur feineren Sinnen fühlbar, die von der schweren Elektrizität all dieser geschwinden, heimlichen Küsse geschwängert ist.

Es ist gewiß keine große Sünde in solch einem Studentenkuß. Sie werden nur geküßt, um vergessen zu werden. Sie sind nur Versuche in der Liebe. Aber natürlich steckt in den Romanen, die in dieser Sprache geschrieben, sind, schon mehr Tiefe und Aufwallung aller Gefühle. Auch sie enden oft mit Augen, denen für immer ihre Fröhlichkeit genommen ist, mit Backen, die nicht mehr blühend werden. Hin und wieder auch enden sie so früh, daß sie nur als Novellen, Novelletten, Skizzen zu bezeichnen sind.

Und es kommt sogar vor, daß die arbeitsbraune Faust des Lebens dazwischen packt, so früh, daß aus einem hingehauchten Gedicht ein rauhes, stöhnendes Trauerspiel wird.

Es war an einem Sonntagmorgen.

Der lange, schwarzhaarige Student, der in dem niederen, breiten Haus am Rheinufer wohnte, lag noch im Bett und schlief. Ein junger, frischer Kerl. Das Gesicht sah mit seinen Backen, die schon am frühen Morgen rot waren, tief aus den Kissen heraus, die Haare hingen in zerdrückten Strähnen über die Stirn herein, die noch rund war wie eine Kinderstirn, und zwischen den offenen, dicken Lippen lachten die breiten, weißen Zähne, wie sie die Studenten in die Stadt mitbringen, die auf dem Land bei Milch und Schwarzbrot groß geworden sind.

Das ganze Haus liebte den langen Burschen, der eine Gesundheit und grundlose Fröhlichkeit in sich hatte wie ein junger Hund. Wenn er morgens – nicht zu früh – die Treppe hinunterging, die rote Mütze auf dem schönen, schwarzen Haar, die Jacke offen, so daß das breite, dreifarbige Band zu sehen war, das quer über die Brust ging, die Hände in den Taschen, dann gingen alle Türen auf. Da fing eine an, Kleider auszuklopfen, da kehrte eine mit dem Besen über den Flur, da ließ eine die Kinder hinaus auf die Straße – kurz, alles, was Röcke trug im Haus, jung oder alt, hatte mit einem Male auf der Treppe etwas zu schaffen.

Und er, mit seinem gutmütigen Gesicht, auf dem nichtsdestoweniger der Ausdruck des Selbstbewußtseins lag, das die bemützten Studenten mit den jungen Offizieren gemeinsam haben, lachte einer jeden zu, stellte fest, ob es heute kalt oder warm war, ob es regnete oder die Sonne schien, gab den Kindern die Hand und strich ihnen über das Haar, zog die Mütze ab vor der Frau Geheimrat, über deren Schultern die blonden Köpfe ihrer beiden Töchter sahen, und trat, während alle sich über das Geländer beugten und ihm nachsahen, auf die Straße hinaus. Wie ein König, der durch die Gasse des Volkes geschritten ist, ließ er einen Glanz von Glück und Sonne hinter sich, der nun für den ganzen Tag über die bis dahin stille Treppe gebreitet schien.

Es klopfte.

Der Student war noch müde von gestern und machte deshalb eine ärgerliche Bewegung mit der Oberlippe.

Es klopfte wieder.

Er legte den Kopf auf die andere Seite und seufzte tief auf.

Es klopfte zum dritten Male. Der draußen war unerbittlich.

Der Schläfer zog den nackten Arm unter die Decke, und ohne die Augen aufzutun, rief er: »Zum Teufel, komm' herein!«

Die Einladung war wenig freundlich, aber ruhig und leise ging die Tür auf, und ein Mann kam ins Zimmer. Er war schwarz gekleidet, von den Schuhen bis zum Hut, sah nach dem Bett hin und machte die Tür hinter sich zu. Leise. Dann blieb er stehen, eine ganze Weile, ohne ein Fußwechseln, ohne ein Husten, ohne ein Handheben.

Mehr als durch den rohesten Lärm wurde der Schläfer durch die unerwartete Stille wach. Er hob den Kopf. »Was willst du?« fragte er gähnend. Und als er keine Antwort erhielt, richtete er sich halb auf und sagte laut: »Wer ist denn da? Was wollen Sie?«

»O, nix weiter,« sagte der Mann mit einer leisen, angenehmen Stimme, »ich hätt' nur en Sach' zu besprechen.«

»Aha! Entschuldigen Sie, ich dachte, das Dienstmädchen – ich kann nicht sehen, wer sind Sie denn?«

»O, nur ene Handwerker, ene Schuster.«

»Ja, lieber Mann, so kommen Sie doch später wieder!«

Der Student wollte sich wieder zum Schlafe legen.

»Nä, nä,« sagte der Mann.

»Dann machen Sie schnell – was ist los? Wollen Sie eine Rechnung bezahlt haben?«

»Nä, im Jejenteil, ich will ein' bezahlen.«

Der Student sprach in der norddeutschen, kurzen Art der wohlhabenden jungen Leute, die sich von den Dienstmännern an den Ecken und den Kutschern am Marktplatz unterwürfig gegrüßt sehen, die in den Wirtschaften der Ausflugspunkte sitzen können, während so viele andere Menschen um ihr tägliches Brot die Glieder rühren müssen, die die Anwartschaft auf ein hoch angesehenes und hoch bezahltes Amt in sich fühlen. Der Mann aber sprach immer mit der gleichen ruhigen Stimme, in der Weise der Leute aus dem Volk, die sich einem Gebildeten gegenüber befinden und die Worte in hochdeutscher Form aussprechen, ohne daß sie ihnen den heimatlichen Klang nehmen können. Dabei sang er, wie alle Bonner, ein wenig von unten nach oben.

Der Student faßte hinter sich an die Wand und zog an der Schnur den Fenstervorhang zur Seite. Das mächtig einströmende Sonnenlicht blendete ihn, und er schloß die Augen eine Weile. Dann betrachtete er den sonderbaren Gast.

Es war nur ein kleiner Mann, der da, aber hager und kräftig. Er hatte den Hut abgenommen und stand einfach an der Tür da, mit schlichtem, blondem Scheitel und sonderbar düster strahlenden blauen Augen. Der schwarze Rock war ihm nicht auf den Leib geschnitten, denn an den Ärmeln sahen nur die halben Hände heraus, und die Flügel hinten hingen zu weit über die Kniee herab. Aber kein Staub und kein Faden lag darauf.

Der Student lachte unwillkürlich über den so feierlich dastehenden kleinen Mann. Als er ihm in die Augen sah, die, ohne zu zucken, fest auf die seinen gerichtet waren, die in die seinen hineinbrannten, zog er den Mund schnell wieder herunter.

»Ja, zum Teufel,« sagte er, »was ist denn das für 'ne Rechnung? Was hab' ich Ihnen denn gegeben, das Sie mir bezahlen wollen?«

»Die Sach' ist die: ich möcht' Ihnen nur den Kuß bezahlen, den Sie meiner Frau jejeben haben.«

Der Student veränderte seine Lage im Bett. »Was geht mich Ihre Frau an? Ich weiß ja nicht einmal, daß Sie eine Frau haben.«

»Dat is richtig. Meine Frau jeht Sie durchaus nix an.«

»Was sagen Sie, wann soll ich Ihrer Frau den Kuß gegeben haben?«

»Jestern Abend.«

Der Beschuldigte strich sich mit den gespreizten Fingern durch die Haare. »War das Ihre Frau? Wo war das doch?« Diese Fragen hätten einen spöttischen Sinn haben können, sie waren aber ganz einfach gemeint.

Ebenso einfach antwortete der Mann: »Es war am Blumenjeschäft am Markt. Sie waren in einem hellen Anzug und weißem Strohhut mit rotem Band – seh'n Sie, da hängt der Hut, an der Tür da! Meine Frau kam vom Fleischer, mit dem kleinen Korb am Arm, von dem der Deckel verloren ist. Sie sind ins Dunkel jetreten, haben sie schnell um den Leib jenommen und auf den Mund jeküßt. Ich hab' da jestanden und auf meine Frau jewartet. Sie hat Sie mit beiden Armen von sich jestoßen, und Sie sind dann in die Straß' hineinjejangen. Sie haben Ihren Hut jradgesetzt und Ihren Stock in der Luft jedreht, als wenn nix jewesen wär'.«

Der Andere dachte nach. »Sie hat mich von sich gestoßen?« fragte er dann mit kaum merklichem Lächeln, ohne den Mann anzusehen. Aber dann drehte er ihm das ehrliche, gutmütige Gesicht zu und sagte treuherzig: »Nein, glauben Sie mir, ich habe wirklich nicht gewußt, daß das Ihre Frau war!«

»Wer sich nit bedenkt, en Frau, en fremde, die daherkommt, auf der Straß zu nehmen und zu küssen, der, mein' ich, darf sich auch nit wundern, wenn die Frau plötzlich enen Mann hat, und wenn der Mann da auch ein Wort mitsprechen will. Ziehen Sie sich, bitte, an! Ich seh' mir die Bilder da unterdessen an, wenn Sie nix dajejen haben.«

»Was wollen Sie denn nun eigentlich? Ich kann doch nichts dafür, daß es nun gerade Ihre Frau war!«

»Nä, und dat ich jrad' der Mann von der Frau bin, dat is doppelt schlimm für Sie.«

»Bitte setzen Sie sich!« sagte der Student, sprang auf die Füße und kleidete sich an.

»Besten Dank,« sagte der Handwerker und ging mit ruhigen Schritten über den weichen Teppich zu einem Stuhl hin. Er knöpfte seinen Rock auf, zog die Hosen an den Knieen hoch und setzte sich.

Der Andere entzündete die Spiritus flamme unter dem blauen Kessel, in den er Milch und geriebene Chokolade schüttete. Er brach einen schmalen, grünen Brief auf, mit einer Adresse, die von weiblicher Hand geschrieben war, las ihn, steckte ihn in die Tasche und pfiff ein paar Töne. Dann stieß er beide Fenster weit auf, und der ganze Sonntagmorgen da draußen fuhr mit seiner Sonne und seinem Vogellärm und seinem dicken, süßen Gartengeruch wie ein plötzlicher Sturm ins Zimmer.

Der Mann saß da und sah sich der Reihe nach die Bilder an den Wänden an, indem er den Kopf von einem zum anderen drehte. Hin und wieder richtete er die Augen auf den Studenten, der sie auf seinem Gesicht brennen fühlte, ohne hinzusehen.

Der Student knöpfte seinen Rock zu – unwillkürlich, vielleicht nur, um das Gegenteil von dem zu tun, was der Andere getan hatte. Er beugte sich weit zum Fenster hinaus. Der breitästige Lindenbaum davor hing voll zwitscherndem, kommendem und gehendem Vogelvolk. Einer der Braunröcke schoß ins Zimmer hinein, setzte sich auf den Spiegel, drehte den Kopf hierhin und dorthin und stieß wieder in die Sonne hinaus. Der junge Mann goß den braunen, dampfenden Trank aus dem Kessel in die bemalte Tasse. »Trinken Sie mit!« sagte er und goß eine zweite Tasse voll.

»Nä.« Die Augen des Handwerkers hingen an einem goldgerahmten Bild über dem Sofa, das eine Schlacht darstellte. Er stand auf und ging, mit dem Hut in der Hand, vor das Bild hin und betrachtete es sich genauer.

Jener sah ihn mit einem flüchtigen Blick an, steckte die Hände in die Taschen und ging auf und ab, eine ganze Weile lang. Dann blieb er mit einem Male vor dem Manne stehen, hielt ihm die Hand hin und sagte mit einem gutherzigen, ein wenig verlegenen Kinderlachen: »Na, wenn es denn Ihre Frau war, so ist es ja nicht mehr als recht von mir, wenn ich Sie um Entschuldigung bitte. Ich habe ja nicht gewußt, daß Ihre Frau einen so braven Mann hat.«

Der Handwerker drehte sich um und sah ihm hinauf ins Gesicht. Und dem Studenten war es mit einem Male klar, daß es Haß war, mühsam unterdrückter Haß, der aus den zwei Augen da brannte. Seine Backen wurden um eine Spur weniger rot und gesund. Der Mann sah auf die Hand hinunter, die sich ihm entgegenstreckte, und machte keine Anstalt, auch seine Hand hinzugeben.

»Sie sind doch ein junger Kerl wie ich,« sagte der Andere, »was liegt denn schließlich an einem Kuß? Wenn ich Mal verheiratet bin, so dürfen Sie kommen und auch meiner Frau einen Kuß geben.«

Der Mann legte aber seine freie Hand und seine Hand mit dem Hut auf den Rücken. Er ließ den vor ihm Stehenden nun nicht mehr aus den Augen. »Wenn meine Frau die Frau von einem Ihrer Freunde wär', würden Sie da auch Ihre Hand mit den breiten Ringen hinhalten und sagen: »Na, so bitt' ich um Entschuldigung?«

Der Student schwieg, steckte die Hände in die Taschen und fing wieder an, auf und ab zu gehen.

»Ich weiß, wat Sie jetzt denken,« sagte der Andere, immer hinter ihm her. »Sie denken: na, die Frau von einem Freund würd' ich eben nicht auf der Straße küssen. Ja, dat is et! Eine solche Frau ständ' Ihnen zu hoch für solche Sachen. Aber mein' Frau, die Frau von em Schuster, die klein', schmal' Frau in ihren einfachen Kleidern, ihrem wollenen Tuch um die Schultern und ihrem Korb in der Hand – die is Ihnen jut jenug, um sie an dem ersten besten dunklen Platz um den Leib zu packen und sie zu küssen, wie man 'nem Mädchen, die auf der Straß' zu Haus is, in den Weg tritt und sie an die Hüften packt. Aber« – er hob die Hand mit dem Hut – »ich will et Ihnen zeigen, dat meine Frau eine Frau is so jut wie irjend eine von Ihnen da oben, und dat sie ihre Ehre hat so jut wie die, und dat ich ihre Ehre in meinen Schutz nehme, und dat ich weiß, wie ich sie zu schützen habe. Ich bin dieser Frau viel Dank schuldig. Ich weiß et, sie is eine junge, schöne Frau mit ihrem dicken Haar und ihren zwei schwarzen Augen. Und ich, dat weiß ich, bin nur ein schmächtig Mannsbild, und damals war ich ein armer Teufel dazu, der nit einmal zehn Taler hatte für ein Sofa zwischen den zwei Fenstern – und doch hat sie mich jeheirat't! Sie muß jeden Vormittag unsere zwei Zimmer und die Küch' putzen und die zwei steinernen Treppen aufwischen, sie muß die Kinder versorjen und muß mir in der Werkstatt bei der Arbeit helfen, sie muß einkaufen und kochen und die Schuh' zu den Kunden tragen – und doch will sie nix wissen von Biertrinkenjehn und Tanzenjehn. Sie hat keinen Hut mit Federn, keine seidenen Blusen und keine Röcke mit Schleppen, sie jeht nit des Sonntagvormittags im Hofjarten und am Rhein spazieren. Sie hat nix bei mir als Arbeit und ein wenig Essen, und doch lacht sie und hat mich lieb und dreht den Kopf nit nach einem Einzijen von dem Dutzend, die jeden Tag hinter ihr herjehn.«

Der Mann hielt ein, atmete tief auf und griff mit der Hand unter sich in die Luft, als sei ihm die Weste zu eng auf der Brust.

Der Student sah mit Verwunderung zwei Tränen in seinen blauen Augen stehen. Er wurde verlegen und unwillig zugleich – die Sache wurde ihm zu ernsthaft. Ohne stehen zu bleiben, fragte er, so rauh, daß er sich selber darüber wunderte: »Was wollen Sie also von mir? Mehr als meine Hand kann ich Ihnen doch nicht geben?«

Der Mann schwieg eine Zeitlang und bürstete mit dem Ärmel über seinen Hut. »Wat ich will?« fragte er dann. »Jenugtuung will ich haben, jenau en so volljiltige wie für irjend ein' der anderen Frauen.«

»Was wollen Sie damit sagen? Ich kann mich doch nicht schießen mit Ihnen?«

»Jawohl! Dat können Sie! Sie sollen sich mit irjend ener Waffe in der Hand mir jejenüber aufstellen und Ihr Leben für den Kuß einsetzen. Dat und nit wenijer is meine Frau wert.«

Der Student blieb vor dem Mann stehen und sah ihn an. »Sie sind verrückt!« sagte er mit einem kurzen Auflachen und ging weiter auf und ab, mit schnelleren Schritten, immer von den Fenstern bis zur Tür und von der Tür bis zu den Fenstern.

»Ich bin nit satisfaktionsfähig, wollen Sie sagen,« sprach der Mann weiter.

»Das sind Sie allerdings nicht.«

»Dann muß ich mich wundern. Ich bin Ihnen doch jut jenug jewesen, mich zu beleidijen, und nun bin ich nit jut jenug, Jenugtuung zu bekommen? Dat wär nit anders, denk' ich, als ob Sie ohne Jeld zu enem Kaufmann kaufen jingen.«

»Lieber Freund! Sie gehören nun einmal nicht in die Kreise, in denen man sich schießt, – nicht wahr, das wissen Sie doch?«

»Jut. Dann will ich mir Jenugtuung verschaffen, wie et in meinen Kreisen üblich is.« Der Mann machte zwei Fäuste. »Mir wollen uns prüjeln!«

Der Student biß sich auf die Lippen und stellte heftig einen Stuhl von seinem Platz.

»Aha, dat wollen Sie nit,« fuhr jener fort. »Nehmen Sie also, bitte, da die zwei Pistolen von der Wand und laden Sie sie! Mir stellen uns auf, Sie da, ich hier, oder wie sie wollen, und schießen. Ich kenne die Rejeln nit, die dabei üblich sind, aber darüber werden mir schon einig werden.«

Der Student antwortete nicht.

»Oder, wenn Ihnen dat lieber is, so steijen Sie auf den Stuhl da und nehmen Sie die zwei Säbel herunter, über dem Spiejel! Zeijen Sie mir, wie man so ein Ding anpackt, und ich denke, ich werd' meinen Mann stellen. Ich hab' mich immer jefreut mal so enen Säbel in die Hand zu kriejen.«

»Wissen Sie was?« unterbrach ihn der andere, der dem Handwerker aber nicht mehr in die finster und unbewegt auf ihn haftenden Augen sah. »Ich habe keine Zeit mehr jetzt, wir können ja ein ander Mal über die Sache reden.«

»Dat is en Ausred'. In einer Minut' is die Sach' jemacht. Ziehn wir den Rock aus dabei?« sagte der Mann mit unerschütterlicher Ruhe.

»Sie sind ein Kind! Wenn Sie sich schon einmal nach den Gesetzen meiner Kreise schlagen wollen, lieber Mann, so schicken Sie mir auch erst Ihren geehrten Kartellträger ins Haus!«

»Wen?« fragte jener.

»Und dann muß die Sache vor das Ehrengericht. Das alles geht nicht so schnell.«

Der Mann sah den Studenten mißtrauisch an. »Und wie lang soll dat alles dauern?« fragte er.

»Wenn Sie es schnell haben wollen: ein paar Tage.«

Jener senkte den Kopf und rückte seine schwarze Kravatte wieder in die Mitte der weit ausgeschnittenen Weste. »Dat is mir zu lang,« sagte er dann. »Außerdem würd' die Sach' dann mitten in die Woch' fallen, und ich hab' nur Sonntags Zeit.« Das war immer dieselbe kalte, finstere, entschlossene Stimme, die diese kindlichen Einwände mit einfacher Selbstverständlichkeit vorbrachte.

Der Student kehrte sich um. »Geh'n Sie endlich zum Teufel!« sagte er und grüßte mit einem Handschwenken zu einem Kameraden hinunter.

»Bitte,« sagte der Mann, nähertretend und mit zitternder Erregung in der Stimme, »machen Sie sich fertig! Et muß jetzt sein. Meine Frau is zu Haus' und wartet.«

»So scher' dich doch zu deiner Frau, dummer Kerl!« rief der Andere, sprang mit einem langen Schritt hinzu, wie in fröhlichem Spiel und griff lachend nach dem Arm des kleinen Mannes, um den störenden Gast vor die Tür zu werfen.

Der hatte keinen Blutstropfen mehr im Gesicht. Sein Mund stand offen, aus der breiten Brust kam ein sonderbarer, keuchender Ton. Plötzlich ging er zur Wand, riß die zwei gebogenen Säbel herunter, warf dem anderen einen hin, hob den seinen hoch und sagte mit merkwürdig leiser Stimme, fast flüsternd: »Wehren Sie sich! Jetzt werd' ich Sie schlagen.«

Der Student zog die Stirn zusammen und griff blitzschnell nach einem Stuhl, den er in die Luft hob, um den Schlag des Mannes abzuwehren.

Im selben Augenblick klirrte ihm das schwere Eisen dumpf über den Schädel. Er machte noch den Mund auf, als wollte er etwas Fröhliches sagen, – dann überschlug er sich nach hinten, fiel mit dem Rücken auf den Tisch und vom Tisch auf den grünsammetnen Teppich. Und da unten fing aus dem zweihandlangen Schnitt in dem schwarzen Haar das helle, von der Sonne durchleuchtete Blut an zu strömen.

Der Handwerker hielt den Arm eine Weile hoch, dann atmete er tief auf und betrachtete den Säbel in seiner Hand. Er breitete eine Zeitung über den Tisch und legte ihn darauf, um die weiße Spitzendecke nicht zu beschmutzen.

Dann nahm er seinen Hut von der Erde, bürstete mit dem Ärmel darüber und setzte ihn auf. Er sah sich noch einmal im Zimmer um und wendete sich.

An der Tür drehte er den Kopf nach dem Schwerverwundeten.

»Ich jeh' jetzt zum Doktor und zur Polizei,« sagte er.

Dann ging er.


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