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Zweites Capitel.
Habicht und Edelfalke.


Begeben wir uns jetzt in die eigentlichen Wohngemächer des Herrn Habicht. In dem eleganten Raume, in welchem der junge Kaufherr seine vertrauten Freunde empfing, war nichts zu sehen, was an sein ›Geschäft‹ erinnerte. In dieses Asyl drang nicht der Klang plebejischer Geldstücke, hier wurde nicht der Jargon der Börsensprache vernommen, hier störte Nichts die Illusion des Herrn Habicht, wenn er sich Edelfalke träumte – Cavalier! Die Wände waren braun getäfelt, die Flügelthüren von demselben dunkeln Holze, die Trumeaux, die Möbel paßten vortrefflich dazu; denn Alles hatte dieselben reichen Sculpturen, die Medaillons, die Karyatiden, die Schnörkelformen des Renaissance-Styls. Ein Glasschrank zeigte eine kleine Sammlung vortrefflicher Waffen, Büchsen, Pistolen, Doppelflinten von Lütticher, Pariser, englischer Arbeit. Ueber dem Sopha hing außerdem eine Trophäe von orientalischen Waffen, Dolce, Kris mit edelsteinbesetzten Griffen, Yatagane, türkische Säbel in Scheiden vom schönsten getriebenen Silber oder von goldbeschlagenem Sammt; daneben waren Rauch-Apparate geordnet, vom geschnitzten ungarischen Meerschaum bis zum Nargyle und Tschibuk; in der Ecke deutete eine kleine Sammlung von Reit- und Hetzpeitschen auf eine andere noble Passion, in Uebereinstimmung mit den Bildern an den Wänden, die Adam'sche Pferde und Landseer'sche Hunde mitten zwischen Grevedon'schen Weibern darstellten. Dem Spiegel gegenüber auf einer reichverzierten Console stand ein Abguß der Venus von Arles, eine ›gebannte Seele‹ in dieser Region, eine Iphigenie in Tauris, ›das Land der Griechen mit der Seele suchend‹, und wohl nur darum so starr in den Spiegel vor ihr blickend, um nur nichts Anderes als einen Strahl des Griechenthums, ihr eigenes ›holdes Selbst‹ in dieser ›Cavalier-Perspective‹ vor ihr zu sehen!

Auf dem runden Tische in der Mitte des Zimmers enthielt eine silberne Platte einen Haufen Confituren in ihren Hüllen von vergoldetem gepreßtem Papier mit Figürchen und Bouquetchen darauf. Herr Habicht, der, seit er im Gesellschafts-Anzuge war, seine Cigarre hatte wegwerfen müssen, vertrieb sich die Zeit damit, diese Enveloppen zu öffnen, und erwartete ungeduldig den Poeten mit den Versen, welche hineingewickelt werden sollten.

Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, schlank, von untadeliger Haltung und Toilette, mit einem hübschen Gesicht und einem allerliebsten Schnurrbart, den sein glücklicher Besitzer nicht um viele Tausende hergegeben hätte; denn an diesen Schnurrbart knüpfte sich für ihn die Erinnerung eines kühnen und genialen Entschlusses. Jahrelang hatte er mit Neid im Herzen die stolze Lippenzier auf den Gesichtern seiner militärischen oder bureaukratischen Freunde betrachtet; sie alle durften Bärte tragen – nur er, der Kaufmann, durfte es nicht! Der ärmste Schlucker, der Sattler, der Briefträger, der Logenschließer trugen einen Bart – o, er kannte sie alle, er hätte sie zeichnen können, alle Schnurrbärte in der Stadt! Auf seiner Oberlippe sproßte das rabenschwarze Haar in wahrhaft boshafter Fülle, und doch – er, der Erbe von Millionen, durfte keinen Bart tragen, sein Name in der Handelswelt wäre dahin, sein Credit ruinirt gewesen – seine Buchhalter, seine Commis, das ganze Haus Habicht jun. & Comp. hätte sich empört wider einen Chef mit einem Schnurrbart! In seiner Wuth machte Herr Habicht allen Bärten den Krieg, die sich in den Kreis seiner Macht begaben; wehe dem Diener, dem Jockey, dem Lieferanten, der sich mit einem Schnurrbart sehen ließ!

Endlich verlobte sich Herr Habicht: er warb um die Hand eines adeligen Fräuleins und erhielt sie.

»Warum lässest Du Dir keinen Bart wachsen, Arnold?« fragte seine Braut am Tage nach der Verlobung; »es ist so unendlich viel hübscher!«

Der Bräutigam wurde feuerroth bei dieser naiven Frage der jungen Aristokratin. Er war so verlegen, daß er nichts zu antworten wußte, als:

»Wenn Du meinst, Helene, so will ich ihn mir stehen lassen.«

»Thu' das!« sagte das Fräulein Braut so leichthin, als wenn es sich darum gehandelt hätte, eine Stricknadel vom Boden aufzuheben.

Nachdem das Wort gesprochen, erschrack er über seinen Leichtsinn; aber Habicht blieb seinem Worte treu. ›Und wenn ich darüber bankerott würde!‹ schwor er sich und hielt seinen Schwur. Kein Messer berührte mehr seine Lippe; der Schatten ober dem Munde wurde dunkler und dunkler; Herr Habicht wagte nicht mehr, die Börse zu besuchen; in seine Comptoirs trat er nur noch um die Zeit der Dämmerung. Aber auch die Dämmerung verhüllte endlich nicht mehr die immer höher wachsenden Zeugen seiner eitlen Verwegenheit; Alle bemerkten sie, doch keiner unternahm es, das erste Wort darüber fallen zu lassen; aber fallen mußte es einmal, dieses Wort, und ein naseweiser Commis war es, der es endlich laut und unverhohlen aussprach: ›Herr Habicht trägt einen Schnurrbart!‹ –

Von diesem Tage an sank der Einfluß des Chefs auf sein eigenes Geschäft um 50 Procent. Im Aerger darüber nahm der junge Kaufherr nun weiter auch keine Rücksichten. Er kaufte sich eine Meute Jagdhunde und ließ sich ein neues Petschaft stechen, ein Alliance-Wappen, auf dem sich sein bürgerlicher Raubvogel mit großer Hingabe an die drei Nestelhaken seiner Gemalin lehnte; beide Wappen krönte eine und dieselbe Krone, die siebenspitzige Freiherrnkrone seiner Helene. Abermaliges Sinken seines Einflusses um 25 Procent … und der Rest? Nun, der war denn allmählich auch dahin gegangen, wohin die 75 andern Procent gewandert!

Helene war so eben in das Zimmer ihres Gatten getreten, um von ihm ihre Toilette mustern, gutheißen, respective bewundern zu lassen. Sie war in jener Aufregung und Spannung, mit der eine junge Hausfrau ihrer ersten Gesellschaft entgegensieht, und sah in der That reizend aus. Ihre feine Taille wurde von einem Kleide von silbergrauem, sehr schwerem Atlas umspannt, über dessen bauschige Rockfalten Spitzen-Volants niederfielen, während eine breite, kostbare Spitzenborte die Büste umschloß.

»Du siehst charmant aus, Helene,« sagte der junge Mann, ihre Fingerspitzen küssend. »Aber weßhalb hast Du nicht rosenrothe Schleifen genommen, statt dieser farblosen, denen man bei Licht nicht recht ansieht, ob sie blau oder grün sind?«

»Ich dachte, es sei mauvais goût, zu auffallend für die Frau vom Hause. Liebst Du rothe Schleifen?«

»O ja.«

»So, Du liebst rothe Schleifen …«, antwortete die junge Frau, indem sie ihren kleinen Mund zum Schmollen spitzte; ich weiß schon, weßhalb Du Roth so liebst, und …«

»Weßhalb? weßhalb denn?«

»Ich bitte Dich, thu nicht so unschuldig! und darum soll ich nichts als dunkelrothe Schleifen tragen; das mag nun für eine helle Blondine, die so wenig Farbe hat wie ich, passen oder nicht …«

»Du bist einmal wieder komisch, Helene, ich habe ja rosenroth gesagt.«

Albert Ulrici trat ein, ehe der Streit über die rosenrothe und die dunkelrothe Schleife entschieden war, und brachte die Verse. Habicht dankte ihm herzlich und begann eifrig die farbigen Blättchen zu falten und um die Bonbons zu wickeln, die dann wieder in ihre Hüllen geschlossen wurden. Die meisten Verse hatte er schon früher gelesen und genehmigt, nur einige überblickte er vorher.

»Wo ist das für Gräfin Constanze?« fragte er, während er ein besonders elegantes Bonbon aussuchte.

Ulrici zeigte ihm das Blatt. Habicht las es, seine Frau blickte über seine Schulter. Es schloß jetzt mit den Worten:

›Darum nimm freundlich an, was Du erzwungen,
Der Dichter und der Blumen Huldigungen!‹

»Ich habe mir gedacht, daß Sie eine Enveloppe mit einem Bouquet, etwa Rosen oder dunkelrothe Camelien …«

»Dunkelrothe Camelien oder Rosen? auch wohl recht dunkelroth?« sagte die blonde junge Frau mit einem unbeschreiblich ironischen Tone, der Herrn Habicht veranlaßte, rasch dem Dichter mit den Worten die Hand zu geben:

»Ich will Sie jetzt nicht länger aufhalten, Herr Ulrici – Sie haben wohl noch zu thun – ich danke Ihnen nochmals von ganzer Seele, ich werde jetzt schon fertig.«

Der Referendar zog sich zurück. Als die Flügelthür sich hinter ihm geschlossen hatte, sah Habicht seine Frau mit einem imponirenden Blicke an.

»Helene!« sagte er sehr ernst, »wie kann man sich so gehen lassen?«

»Also ich soll ruhig dabei stehen, während Du Rosen-Bouquets und Liebes-Gedichte für Gräfin Constanze aussuchst! Du muthest mir in der That viel, sehr viel zu, Arnold!«

»Mit Deiner unseligen Eifersucht …«

»Zu der ich so gar, gar keinen Grund habe, nicht wahr?« sagte Helene mit unendlicher Bitterkeit.

»Nein, Du hast keinen Grund, ich schwöre Dir.«

»Schwöre nicht, Arnold,« fiel Helene ihrem Manne höchst ernsthaft und pathetisch in's Wort, »schwöre keinen falschen Eid – ich weiß ja – ja, ich weiß es, Arnold, daß Du im Geheimen Briefe mit Constanze Merwing wechselst!«

Ueber Herrn Habichts Züge flog etwas wie ein leises Erröthen, welches aber auch das des Erzürntseins sein konnte.

Er zuckte die Achseln, wandte sich ab und sagte: »Freilich! Geschäftsbriefe! Aber Du bist die thörichtste Frau auf Erden!« Dann nahm er die Verse an Constanze Merwing und zerriß sie.

»Du hast mir den ganzen Abend verdorben,« sagte er.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Flügelthür noch einmal, ein Diener trat herein und meldete, daß eben eine Equipage vorfahre. Herr Habicht eilte, die anlangenden ersten Gäste an der Treppe zu empfangen, und seine Frau begab sich in gesteigerter Aufregung in die Gesellschaftssäle.

Der Hausherr kam gleich darauf mit einer jungen Dame am Arme zurück; es war Niemand anders als die vielbesprochene Gräfin Constanze Merwing selbst.

Freilich, wer sie sah, der mochte die Eifersucht begreifen, welche sie einflößte. Sie war von auffallender Schönheit, eine Gestalt, die sich hüten mußte, Malern in den Wurf zu kommen, um nicht ein Vierteljahr später wiedergeboren zu werden, nicht wie die Venus aus dem Schaum des Meeres, sondern als Ideal des betreffenden jugendlichen Künstlers aus Lack-Ultramarin, Ocker und andern Oelfarben und dann als ›Lurlei‹ oder als ›Judith‹ von Stadt zu Stadt zur Ausstellung zu wandern, oder endlich gar als Nietenblatt zu dienen! – Constanze war groß, sie gab beinahe dem jungen Hausherrn neben ihr an Höhe nichts nach; sie hatte ein ovales Gesicht von frischer und doch zarter Farbe mit großen dunklen Augen; aber obwohl diese Augen dunkel waren und das Haar vom tiefsten Schwarz, so lag doch etwas so Helles, Leuchtendes in ihren offenen Zügen, daß sich viele Leute Gräfin Constanze in der Erinnerung blond vorstellten und, so oft sie sie sahen, die Entdeckung auf's Neue machen mußten, das sie ja eigentlich blau-schwarze Locken habe. Constanze trug dunkelrothe Schleifen im Haar. Dunkelroth war ihre Lieblingsfarbe; das war es eben, was Helene so bitter hatte werden lassen über ihres Mannes verrathene Vorliebe für Schleifen von dieser Farbe und für Alles was dunkelroth!

Hinter ganz makellosen, vollendet schönen Gesichtern schlägt nur selten, nur ausnahmsweise der Geist seine Wohnung auf; dieses unberechenbare launenhafte Wesen scheint eifersüchtig nur da einzuziehen, wo es weiß, daß es allein herrscht und den Zoll der Bewunderung nicht zu theilen braucht mit der Stirn, hinter der es arbeitet, mit den Lippen, über welche es schlüpft; es ist zu stolz, in den Beifall der Welt sich mit seinen Thürhütern zu theilen, es ist kein Stutzer, der durch sein Kleid glänzen will. Aber, wie gesagt, es giebt Ausnahmen, und Constanze Merwing war eine solche.

Freilich, ganz makellos war auch Constanzens Schönheit nicht. Die Gestalt, die biegsame Taille, die Büste, der Nacken, das alles war schön wie an Canova's Pauline Borghese; ihr Gesicht aber litt unter der großen Beweglichkeit ihrer Züge, die etwas Spöttisches annehmen konnten; dann verlängerten sich ihre Augen, sie wurden schmal und mandelförmig, und feine Falten zogen sich an den Schläfen zusammen. In solchen Augenblicken war der Charakter von stolzer Ruhe, der sonst auf ihren Zügen lag, verwischt. Ihr Antlitz athmete nicht mehr die Musik aus, welche Lord Byron von schönen Gesichtern entgegentönte; es war kein schwärmerisches Gedicht voll Ideal und Jenseits mehr; es wurde so modern, so schalkhaft und so reizend, wie ein spöttisches Märchen von Heinrich Heine.

»Ich bin die Erste von allen Ihren Gästen,« sagte Constanze, als sie die Frau vom Hause begrüßte; »zur Belohnung hat mir Ihr Mann diesen wundervollen Strauß überreicht.«

»Das ist schön von Ihnen, Gräfin,« antwortete Helene. Doch da Constanzens frühes Erscheinen nichts dazu beigetragen hatte, ihre Eifersucht zu vermindern, so setzte sie mit einiger Bosheit hinzu: »Aber auf die Aufmerksamkeiten meines galanten Gemals legen Sie keinen zu großen Werth – denken Sie, ich habe ihn eben ertappt, wie er mit dem Plane umging, Ihnen ein Gedicht zu überreichen, welches er nicht gemacht, sondern sich förmlich bestellt hatte! Heißt das nicht, sich mit fremden Federn schmücken? Er ist auch so beschämt gewesen, daß er es gleich zerrissen hat.«

»Das ist Schade,« lachte Gräfin Constanze; »Ihr Mann konnte sich ja mit Göthe entschuldigen, der sein Gedicht:

›Da droben auf jenem Berge,
Da steh' ich tausend Mal,
An meinem Stabe gebogen,
Und schaue hinab in das Thal …‹

an zwei Damen zugleich gerichtet hat. Das war noch viel schlimmer, als ein abgeschriebenes Gedicht einer Dame zu geben, und besonders, wenn man sich die Verse ganz eigens bestellt hat.«

»Ja, einen Hauspoeten darauf hält,« fiel Habicht ein; »das ist ja noch viel feierlicher und verbindlicher, als wenn man der Dame zumuthet, sich mit dem Dilettantenwerk, das man selbst zu Stande bringt, zu begnügen.«

»Sehen Sie, so sind die Männer – er macht sich noch ein Verdienst aus seinem Plagiat,« fiel die junge Hausfrau ein.

»Ich bin eigentlich so früh gekommen,« sagte Gräfin Constanze, »weil ich Sie gern einen Augenblick allein sprechen wollte, liebe Helene, und Ihren Mann dazu. Sie wissen, seit dem Tode meines Vaters habe ich allerlei Angelegenheiten zu erledigen, so gut ich es mit meinem kindischen Verstande vermag, und nicht allein für mich zu sorgen, sondern noch obend'rein für Andere, die mir am Herzen liegen. Jetzt zum Beispiel für einen jungen Mann, den ich nie sah, der auch für's Erste keine Ahnung davon haben darf, daß es eine Gräfin Merwing giebt, die sich um ihn kümmert. Ihr Mann weiß darum, liebe Helene!«

»Mein Mann ist in Ihr Geheimniß eingeweiht?« fragte die junge Frau und riß sehr weit ihre hellblauen sanften Augen auf.

»Nur so weit man bei solchen Angelegenheiten eines Banquiers bedarf, bin ich eingeweiht,« sagte Habicht.

»Jetzt muß ich durchaus den jungen Mann selbst sprechen, mit ihm persönlich verkehren, und Sie begreifen, daß das eine sehr häklige unangenehme Aufgabe für ein junges Mädchen ist – es ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß das fragliche Individuum von der gewöhnlichen Männerfadheit besessen ist, und dann ist es gar nicht möglich, unbefangen wie ein vernünftiger Mensch zum anderen über ernste Gegenstände mit ihm zu reden.«

»Das ist wahr,« fiel Helene lächelnd ein; »sie sind unerträglich, die Männer. Durch das, was Sie sagen, erinnern Sie mich, daß ich einen berühmten Dichter kenne, der auf seinen Reisen dafür sorgt, daß das Gerücht, er sei verlobt, ihm vorhergehe aus Schonung für unser armes Geschlecht; so überzeugt ist er, daß sich alle beim ersten Anblick in ihn verlieben werden.«

Constanze verstand die kleine Bosheit nicht, welche Helene Habicht gegen sie in diese Anekdote legte, oder zeigte es wenigstens nicht, daß sie sie verstanden. Sie fuhr in heiterem Tone fort:

»Es freut mich, Helene, daß Sie dieses Männervolk nicht höher schätzen, als es verdient; um so weniger werden Sie etwas dagegen haben, solch einen Mann einmal auf ein Paar Tage auszuleihen.«

»Auszuleihen?!«

»Darum wollte ich Sie bitten,« antwortete Constanze lachend, »ich habe über einige Tage für ein Paar Stunden einen Mann nöthig; aber ich denke nicht daran, mir ein solches Möbel für immer anzuschaffen; bewahre mich der Himmel davor! nein, ich ziehe vor, es einer Freundin abzuleihen und dann an dem bestimmten Tage mit bestem Danke sauf et sam wieder zurückzugeben. Ich verspreche Ihnen, meine theure Helene, Sie sollen ihn wieder bekommen, wie er da ist, in seiner ganzen Pracht; kein Härchen seines eleganten Stutzbärtchens soll ihm gekrümmt sein, und wenn er irgend Schaden nimmt, so lasst' ich ihn glänzend neu poliren, bevor Sie ihn mit schönstem Danke wieder erhalten.«

»In der That,« antwortete Helene, die bei diesem sonderbaren Antrage aus aller Fassung gerieth, »Sie treiben den Scherz so weit, Comtesse Constanze, daß er …«

»Daß es scheint, Sie haben doch eine bessere Meinung von uns Männern, als Sie gestehen,« fiel Habicht rasch ein, um die Bewegung seiner Frau zu verdecken, welche nahe daran war, vor Zorn zu weinen: »denn ich sehe, Sie betrachten uns doch wenigstens als außerordentlich harmloses Möbel.«

»Uebrigens, Helene, sollen Sie natürlich auch gegenwärtig bleiben und ihn selbst im Auge behalten; das versteht sich, er soll nur für meinen Mann gelten, Sie meinethalb für die Gemalin seines abwesenden Bruders … wir sind dann beide sicher, daß das, wie ich hoffe, nicht gar zu unvernünftige Individuum, welches ich erwarte, nicht seine überflüssigen Huldigungen an uns verschwendet.«

»Und wo erwarten Sie dieses … mythische Individuum? Hier in der Stadt?«

»Hier nicht – wir können unsere Rollen nur auf meinem Landgute spielen – da sind wir ungestört … aber mythisch ist mein Ankömmling nicht, leider nur zu wirklich …«

»Meine Frau irrt sich zuweilen in den Fremdwörtern, sie hat mysteriös sagen wollen,« fiel Habicht ein; »sie behauptet zwar Strauß David Friedrich Strauß: Das Leben Jesu. 1835/36. Mit diesem theologischen Werk beginnt die entmythologisierende Kritik der vier Evangelien. – Anm.d.Hrsg. gelesen zu haben, da ich aber dieser fixen Idee beharrlichen Unglauben entgegensetze …«

»Ich weiß recht wohl, was mythisch ist, und Du brauchst gar nicht den Schulmeister zu machen, Arnold! Du siehst ja, daß man Dich zu etwas ganz Anderem ausersehen hat!« fiel Helene mit solcher verzweiflungsvollen Bitterkeit ein, daß Constanzen plötzlich ein Licht aufging.

»Mein Himmel, Helene, Sie sind ja so außer sich über meinen Vorschlag, als glaubten Sie, ich wollte auf meinem Landschlosse an Ihrem armen Habicht mein Jagdrecht üben und ihn mit ausgebreiteten Flügeln über dem Thore aufnageln lassen. Poveretto! Sind Sie mir böse?«

Constanze nahm schmeichelnd die Hand der aufgeregten jungen Frau; sie war feucht und kalt.

»Sehen Sie,« fuhr Constanze fort, »meine Beziehungen zu dem jungen Manne, von welchem ich sprach, sind allen Menschen ein Geheimniß, außer Ihrem Manne, der von seinem Vater dieses Geheimniß geerbt hat. Mein verstorbener Vater hat nämlich sein Bankhaus zur Vermittlung der Geldgeschäfte in dieser Angelegenheit gebraucht; da war es denn natürlich, daß ich, als ich beschloß, mir einen Mann zu borgen, an ihn dachte. Aber Sie wollen es nicht – und deßhalb verzeihen Sie …«

»Nein!« sagte Helene mit sehr scharfer Betonung und ließ es ungewiß, ob diese Antwort sich auf ihr Wollen oder zugleich auch auf die erbetene Verzeihung beziehen sollte, denn sie stand auf, um ein Paar ankommende Damen zu begrüßen. Auch Habicht erhob sich, den Gästen entgegenzugehen.

Constanze lehnte sich in dem weichen Sammtsessel zurück, in welchem sie Platz genommen, und sog den Duft des prachtvollen Straußes ein, den der Hausherr ihr vorhin überreicht hatte. Als sie die Blumen ihrem Gesichte nahe brachte, bemerkte sie, daß etwas Weißes unter den Kelchen der fein duftenden Rosen verborgen war; sie zog es hervor, es war ein fein beschriebenes Blättchen Papier. Constanze erschrack und sah auf; da Niemand seine Blicke auf sie richtete, trat sie rasch und still in den nächsten Salon und las den Zettel. Er enthielt die Worte:

›Gräfin Constanze! Der Prinz liebt Sie mit glühender Leidenschaft; aber er ist zu schüchtern und blöde, es Ihnen zu gestehen, da er an Ihrem Herzen zweifelt und Ihrem Spotte zu verfallen fürchtet. Im Kampfe mit sich, und um der fortwährenden Qual zu entgehen, hat er beschlossen, Sie zu fliehen. Er will auf längere Zeit verreisen. Wollen Sie ihn zurückhalten, so kommen Sie dem Armen mehr entgegen, sprechen Sie das erste Wort aus!

Ein Freund des Prinzen.‹

Constanze las das Billet noch einmal, dann zerriß sie es nachdenklich in kleine Stücke, die sie in die Flammen eines Kamins warf.

›Von wem kommt das?‹ fragte sie sich … ›Vielleicht von dem Prinzen selbst; es sähe solch' einer Hoheit ähnlich, es sich möglichst bequem machen und sich mein Herz auf dem Präsentirteller unterthänigst entgegen tragen lassen zu wollen!‹



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