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Sechstes Capitel.
Eine Verschwörung.


Es war Abend geworden. So lichtstrahlend und lärmerfüllt das große und schöne Habicht'sche Haus am vorigen Tage um dieselbe Stunde gewesen, so ruhig und still war es jetzt, und statt der Hunderte von Gasflammen in den erleuchteten Zimmerreihen von gestern, goß heute nur eine große Lampe ihr mildes Licht durch einen der Räume, das Wohnzimmer der jungen Hausfrau. – Helene Habicht selbst war von all der Aufregung des vorigen Abends abgespannt und ermüdet; aber sie sehnte sich dennoch nicht nach Muße; sondern eine innere Unruhe quälte sie, und sie wünschte irgend eine Zerstreuung, sie hätte plaudern, sich lebhaft unterhalten, durch eine neue Aufregung die Folgen der früheren vertreiben mögen. Daher war es ihr sehr willkommen, als ein Diener eintrat und ihr den Freiherrn von Dunow anmeldete.

Herr von Dunow war ein entfernter Vetter von Helene Habicht, aber seit ihrer Verheirathung mit einem ›Roturier‹ hatte er sie sehr vernachlässigt. Die junge Frau lächelte deßhalb etwas spöttisch und triumphirend, als er eintrat, allem Anschein nach gezwungen von dem königlichen Glanze, den ihre Häuslichkeit gestern entfaltet hatte und vielleicht auch von der Grazie, womit sie als Herrin und Zauberin dieses Glanzes gewaltet.

Herr von Dunow kam nicht allein. Hinter seiner wohlgenährten Gestalt glitt, wie eine Schaluppe im Tau eines Linienschiffes, lautlos über den weichen türkischen Teppich ein Wesen von unendlich bescheideneren Dimensionen heran, welches Herr von Dunow mit den Worten: ›Herr Geheimer Legationsrath Driburg‹ vorstellte.

Die junge Frau kannte den Fremden von Ansehen und empfing ihn desto freundlicher, je unangenehmer ihr im Grunde war, daß ihr ritterlicher Vetter sich so ohne Weiteres herausnahm, ihn bei ihr einzuführen.

Driburg war eine zwergenhafte, aber breitschultrige Figur. Wie die meisten verwachsenen Menschen war er sehr eitel, kleidete sich auffallend, trug eine Christus-Scheitel und langes, hinter die etwas umfangreichen Ohren gestrichenes Haar. Wenn man dieses geschniegelte Wesen ansah, mußte man unfehlbar zu dem Schlusse kommen, er ersetze den Mangel an Wohlgefallen, den Andere an seiner äußeren Erscheinung fanden, durch die desto größere Zufriedenheit, die er selbst mit sich empfand.

Er war von jüdischer Abkunft und einst ein durch seine Sarkasmen wider den Hof und die Regierung gefürchteter liberaler Schriftsteller gewesen. Dieß hatte ihm im Jahre 1848 die Stimmen des Volkes zur Wahl in die National-Versammlung verschafft; – so auf das hohe Meer der Politik gelangt, hatte die kleine Schaluppe sich so pfiffig im rechten Augenblicke gewendet und so klug ihre Segel nach dem Winde zu richten gewußt, daß sie jetzt, wo sie unverhüllt die Flagge der äußersten Rechten trug, von den Parteigenossen als ihr liebstes und gehätscheltstes Kriegsfahrzeug betrachtet wurde. Der Geheime Legationsrath Driburg, der früher einige satirische Schriften herausgegeben hatte, die übermäßig gepriesen worden – wie es gewöhnlich geschieht, wenn ein Autorlein das Glück hat, dem auserwählten Volk Gottes anzugehören, – war jetzt die Feder der christlich-germanischen Ultra-Partei und befehdete die Regierung, das Ministerium als zu liberal!

Herr Driburg machte der jungen Frau einige übertriebene Complimente über ihre Einrichtung, über ihren Anzug, über alles Mögliche, und Helene, die sich dadurch geschmeichelt fühlte, spähte doch mit einiger Aengstlichkeit nach den Zügen des gefürchteten Legationsrathes, ob sich nicht etwa ein spöttischer Ausdruck dabei in seiner Physiognomie ertappen lasse.

»Wo ist Herr von Habicht?« fragte nach einer Weile Dunow, der es für gut zu finden schien, nicht einzuräumen, daß Jemand, welchem er die Ehre erwies, nach ihm zu fragen, ein Roturier sein könne.

»Er ist am Vormittage nach Quadensieffen hinausgefahren und …«

»Welches Fest ist denn dort heute?« fragte Driburg sarkastisch – »wahrscheinlich wieder der Geburtstag irgend eines ausländischen Potentaten, den der alte Dynast durch ein Lever feiert!«

»Da müssen Sie den Gothaer Kalender fragen,« antwortete Dunow …

»Wir wollen uns die Mühe ersparen,« sagte der Diplomat, »und annehmen, daß es das Vermählungs-Anniversarium des Königs Tamea-Mea III. in Honolulu ist … Da der alte Baron von Quadensieffen aber seine Levers immer in der Sprache des betreffenden Hofes hält, welchem er eine seiner Huldigungen darbringt, so möchte ich wissen, wie er sich heute mit der owaihischen Landessprache aus der Affaire zieht.«

Herr von Dunow wurde über diese Spötterei, welche sich ein nicht zur Kaste gehöriges Individuum über einen Baron seiner Bekanntschaft erlaubte, im Geheimen empfindlich, und er beschloß, sich dafür im Laufe des Abends zu revanchiren; aber als er eben den Diplomaten unterbrechen wollte, wurde ein neuer Besuch gemeldet, und Herr von Rottenau trat ein.

Der Freiherr von Rottenau hatte ebenfalls einen diplomatischen Adjutanten, eine Charakter-Curiosität, eine Art gelehrten Ungeheuers bei sich, welches er seiner Cousine vorstellte und das diese mit größerer Gemüthsruhe empfing, als früher den eckigen Convertiten der Reaction. Professor Staudenbrecher war weniger im Munde der Menschen, mit welchen Helene Habicht umging, als jener, und so wußte sie nicht, daß er nicht weniger zu fürchten war. Staudenbrecher's Antecedentien waren wie die Geschichten der Völker, mit deren Schicksalen und Entwicklungen er sich beschäftigte, in mythisches Dunkel gehüllt; aus dieser Periode der unklaren Sagenhaftigkeit, in deren Nebel noch kein Niebuhr mit den aufhellenden Sonnenstrahlen der Kritik gedrungen, war er in die der documentirten Historie erst da eingetreten, als er von einem längeren Aufenthalt im Oriente zurückgekehrt. Der Orient hatte ihm seinen ganzen Fatalismus mitgegeben; er beugte sich mit der Ruhe und Entschlossenheit eines erprobten Stoikers unter den Willen des Schicksals oder, was nach ihm Eines und dasselbe war, jeglicher vis major, jeder eingesetzten Gewalt, und bückte sich mit über der Brust gekreuzten Armen vor allen Mächtigen und Gewaltigen dieser Erde in tiefster Demuth. Dabei pflegten aber, während rührende Betheurungen seiner allen Proben gewachsenen Loyalität über seine beredten Lippen glitten, solche spitze, scharfe Blicke aus seinen schmalgeschlitzten Augen zu schießen, solche Runzeln des Spottes in leisem Spiel über seine Schläfen zu laufen, daß nur wenige candide Seelen ihm ganz trauten …

Professor Staudenbrecher war der eigentliche Chef des Generalstabs der Ultra-Partei. Vielleicht war es aber ganz etwas Anderes, was diesen verkörperten Genius der Ironie in dieses Lager getrieben hatte, als das, was den Aesop der Satire, den kleinen Driburg, hinein brachte. War es bei diesem die nackte Selbstsucht oder der reine, von Eitelkeit gestachelte Widerspruchsgeist wider die öffentliche Meinung, so war es bei dem gelehrten Staudenbrecher vielleicht nur der consequenteste Pessimismus, was ihn belebte.

Helene Habicht fiel es erst nach einer Weile auf, daß sich heute gerade die einflußreichsten Führer der Reactions-Partei um sie versammelt hatten. Es lag etwas Beunruhigendes für sie darin; denn obwohl sie selbst keine bestimmte politische Ueberzeugung hatte, so scheute sie im Ganzen doch diese Leute, wie alles Extreme; aber es schmeichelte auch ihrer Eitelkeit, daß so einflußreiche Persönlichkeiten sich um sie versammelten.

Für Frauen vom Charakter Helenens hat der Geist der Intrigue etwas unwiderstehlich Lockendes, und so mochte sie denn nicht ganz ohne allerlei unklare Ahnungen und Gedanken über eine Zukunft der Bedeutung und des Einflusses sein, die sich für sie an diesen Abend knüpfen könne, wenn es ihr gelinge, diesen Männern anziehend zu erscheinen. Sie bereitete ihnen mit Hülfe ihres Kammerdieners mit größter Sorgfalt den Thee, und beim Sieden der Maschine, während der blaue Spiritus mit dem Freimuthe und dem Geiste ihrer klugen Gäste in die Wette flammte, gerieth sie nach und nach aus ihrer Aufregung in ein Gefühl von Wohlbehagen, wie sie es lange nicht mehr empfunden. Sie dachte dabei an die unendlich langweiligen Menschen, welche ihr Mann ihr zuzuführen pflegte, und zugleich machte sie die Entdeckung, daß sie mit den Ansichten dieser Herren hier doch eigentlich seit je in wunderbarer Weise übereingestimmt habe; denn diese hatten von vorn herein das Gespräch auf Politik gelenkt – vielleicht geflissentlich … Endlich aber brach Rottenau ab.

»Aber, meine Herren, nehmen wir Rücksicht auf unsere liebenswürdige Wirthin,« fiel er ein – »wir sind nicht unter uns – von etwas Anderem … Haben Sie Gräfin Merwing heute gesehen, liebe Cousine?«

»Nein … sie wird heute auch schwerlich sichtbar gewesen sein, sie ist mit den Vorbereitungen zu ihrer Abreise beschäftigt.«

»Ist denn die gnädige Comtesse ganz unabhängig?« fragte Staudenbrecher.

»Sie ist volljährig,« antwortete die Frau vom Hause mit einiger Bosheit.

»Seit dem Tode ihres Vaters, seit einem und einem halben Jahre etwa ist sie unabhängige Besitzerin eines enormen Vermögens,« erklärte Rottenau. »Sie wissen, die Merwings sind eine Nebenlinie unseres regierenden Hauses; da dieses nur noch auf vier Augen steht, so ist einige Aussicht vorhanden, daß unser verehrter Graf Julian Merwing als nächster Agnat für sich oder seine Nachkommenschaft den Thron erhält.«

» Tant mieux pour lui!« sagte Driburg.

Tant pis pour nous!‹ dachte Staudenbrecher.

»Es muß ja aber noch ein Sohn vom verstorbenen Grafen Florian Merwing existiren, der nähere Anrechte hätte,« bemerkte Helene.

»Der ist verschollen,« sagte Rottenau.« Der Graf Florian Merwing war ein Sonderling, ein Schwärmer, ein Frömmler; was aus dem Kinde geworden ist, weiß der Himmel; vielleicht hat er einen Missionar daraus gemacht, den jetzt längst die Japanesen aufgeknüpft oder die Reize der Königin Pomare zum otaheitischen Mucker-Cultus bekehrt haben. Der Graf Detlev Merwing, der Vater Constanzens und Inhaber des Majorats, hatte noch zwei Söhne außer dieser Tochter; es war deßhalb nicht zu erwarten, daß der Sohn des nachgeborenen Grafen Florian je eine große Erbschaft auf sich werde kommen sehen, um so weniger, da sein philanthropischer Papa den größten Theil seines Besitzthums für allerlei pietistische Unternehmungen, Missionen, Diakonissinnen u. s w., verschleudert hatte.«

»Sie glauben also,« fragte Driburg, »der Graf Florian habe seinen Sohn deßhalb … wie soll ich sagen? – hinter die Coulissen des Schauplatzes seiner Gottseligkeit geschoben, um ihm einst keine Rechenschaft über seinen ruinösen Verkehr mit frömmelnden Leuten ablegen zu müssen? …«

»Es mag diese Rücksicht dabei nicht ohne Einfluß gewesen sein; sicherlich hat Graf Florian jedoch die schönsten und erbaulichsten Gründe dabei anzuführen gewußt. Und wie denn die Frömmigkeit der Pietisten sich meist auf Kosten der bösen Weltkinder zu speisen und zu kleiden pflegt, so soll der edle Graf das Beispiel seines jüngeren Bruders Julian als seines Entschlusses mächtigsten Bestimmungsgrund vorgeschützt haben. Dieses ›Belialskind‹ hat eine etwas lockere Jugend verlebt, wie wir Alle wissen; das Entsetzen darüber soll den frommen Florian bestimmt haben, seinen Sohn den Lebenskreisen, für welche er geboren, ganz zu entziehen, ihn von der verführerischen Sünden-Atmosphäre der großen Welt zu entfernen und die Wurzel des Hochmuths in ihm zu ersticken, indem er ihn als das Kind irgend eines namenlosen und armen Mannes erziehen und darauf anweisen ließ, mit eigenen Kräften sich durch die Welt zu schlagen.«

»Schrecklich monströs!« sagte der Ironiker, der selbst der Sohn eines blutarmen Dorf-Schulmeisters war.

»Es war eine wahre Gewissenlosigkeit, seinem Kinde die Prärogative einer Geburt aus einem hohen und altadeligen Hause vorzuenthalten,« sagte Dunow.

»Was hat denn die Mutter des Kindes dazu gesagt?« fragte Helene.

»Die Frau des Grafen Florian? Die hat sich wenig um die Erziehung ihres Kindes gekümmert, denn sie ist sehr bald nach der Geburt desselben von ihrem Betbruder von Gemal fortgelaufen.«

»Die Sache hat dadurch eine doppelte Bedeutung erhalten,« fuhr Dunow fort, daß die beiden Söhne des alten Majoratsherrn, die Brüder Constanzens, bald nach einander, der eine am Nervenfieber, der andere durch Ertrinken beim Baden, gestorben sind. Der verschollene Sohn des Grafen Florian war nun plötzlich Majoratsherr – es ist aber niemals bekannt geworden, daß Graf Detlev sich große Mühe gegeben, ihn auszukundschaften.«

»Das kann man ihm so übel nicht nehmen,« meinte darauf Driburg; »denn als sein zweiter Sohn umgekommen war, hatte unser weises März-Ministerium bereits den Gesetz-Entwurf wegen Aufhebung des gesammten Lehnswesens in die Kammern gebracht. Die Gräfin Constanze ist durch dieses Gesetz die unabhängige, einzige Erbin des ganzen Merwing'schen Vermögens geworden.«

»Also natürlich eine Anhängerin aller demokratischen Principien und uns gefährlich!« lächelte Staudenbrecher.

Während des Schlusses dieser Unterhaltung hatte sich Rottenau, der seiner Cousine zunächst saß, zu dieser hinüber gebeugt und einige Worte mit ihr leise geflüstert. Es folgte daraus eine eifrig geführte halblaute Debatte, welche die Frau vom Hause mit den Worten beendete:

»Versuchen Sie's, ob Sie etwas aus ihm herausbringen … ich zweifle … Sie müssen seine Eitelkeit in's Spiel ziehen; ich will unterdeß das Zimmer verlassen.« –

Dann bat sie ihren Vetter, die Klingel zu ziehen, und befahl dem Kammerdiener, der auf dieses Zeichen erschien, Herrn Ulrici heraufkommen zu lassen.

Herr Ulrici war durch diese unerwartete Aufforderung sicherlich sehr überrascht: es dauerte eine geraume Zeit, bis er erschien; – wahrscheinlich hatte die Prüfung und Ordnung seiner äußeren Erscheinung ihm die Minuten geraubt. Endlich öffneten sich die Flügelthüren vor ihm; Herr Ulrici trat ein, verbeugte sich mit vieler Grazie, lächelte äußerst zuvorkommend und gab sich alle Mühe, an den Tag zu legen, daß er sich vollständig à son aise befinde.

»Nehmen Sie eine Tasse Thee mit uns, lieber Ulrici,« sagte die Hausfrau mit gewinnender Freundlichkeit. »Die Herren sind eigentlich gekommen, um eine Conferenz mit meinem Manne zu halten; da dieser aber zufällig abwesend ist, so habe ich Sie heraufbitten lassen; was das Geschäft angeht, sind Sie ja vielleicht noch besser orientirt, als Herr Habicht …«

»O, bitte, bitte! allerdings – ich habe einige Uebersicht …«

»O, keine falsche Bescheidenheit – man weiß, welcher Financier Sie sind!« bemerkte Driburg, während er den Mann mit seinen Luchsaugen fixirte.

Herr Ulrici verbeugte sich sehr geschmeichelt; aber bevor er seiner Bescheidenheit einen passenden Ausdruck geben konnte, war Dunow sehr laut eingefallen:

»Sie werden sicherlich bei der nächsten Minister-Krisis das Finanz-Portefeuille angeboten erhalten. Ich steh' Ihnen dafür!«

Der Buchhalter stutzte etwas bei dieser Betheurung – das war denn doch zu verbindlich; während er die Tasse entgegennahm, welche ihm Helene reichte, flog ein Zug von Argwohn über sein Antlitz; er prüfte betroffen die Gesichter der vier Herren und ließ zuletzt mit großem Mißtrauen seine Augen auf dem Antlitz des ironischen Professors haften.

Rottenau entging die Wirkung nicht, welche Dunow's plumpe Schmeichelei gemacht hatte; er wartete das Verschwinden der Hausfrau ab, die sich erhoben, um das Zimmer zu verlassen, dann sagte er:

»Sie stutzen über die Andeutung, welche Herr von Dunow eben machte, Herr Ulrici… nehmen Sie dieselbe deßhalb lieber als nicht gesprochen an, da, wie Herr von Dunow selbst zugestehen wird, dieselbe voreilig war. Nein, Herr Ulrici, es ist noch nicht an der Zeit, in die höchsten Staatsämter die wahren Verdienste, die organisatorischen Talente zu berufen, ganz ohne Rücksicht, ob sie als Kammerschwätzer sich beim Volke eingeschmeichelt haben oder nicht, ob sie den gewöhnlich an ganz Unwürdige verschwendeten Beifall der blinden Menge besitzen oder nicht. Aber die Zeit wird kommen! glauben Sie mir das, Herr Ulrici. Einstweilen bietet sich Ihnen eine Gelegenheit, Fäden anzuknüpfen, welche bei Seite liegen zu lassen, freilich nicht räthlich sein dürfte …«

»Einer dieser Fäden ist aus blauer und gelber Seide gewoben, wie das Band zu unserm Civil-Verdienstorden,« bemerkte leise lispelnd Professor Staudenbrecher, während er mit einem unbeschreiblichen Ausdruck – war es Spannung oder war es Hohn? – den Buchhalter fixirte.

Herr Ulrici hatte während dieser Reden still und betroffen einen Dessertteller, der neben seiner Tasse stand, umgekippt, und zerschnitt auf der Rückseite desselben ein Butterbrod mit außerordentlicher Sorgfalt in kleine Schnitten.

»Es handelt sich um einen wesentlichen Dienst, welchen Sie unserm Herrscherhause erweisen könnten,« fuhr Rottenau fort; »den das Vaterland von Ihrem Patriotismus erwartet und dem Sie als guter Bürger sich nicht entziehen können,« sagte Driburg.

Herr Ulrici blieb stumm und schielte von unten auf bald den Sprecher zu seiner Rechten, bald den zu seiner Linken an.

»Zunächst haben Sie die Güte, Ihr Ehrenwort zu geben, daß Sie über unsere Eröffnungen unverbrüchliches Schweigen beobachten wollen!«

»Ich kann schweigen, mein Ehrenwort darauf!« sagte hier der Buchhalter, ohne aufzublicken.

»Sie wissen,« nahm nun Rottenau das Wort, »unser Erbprinz August hat von früh auf eine ausgesprochene Neigung zu friedlichen Beschäftigungen gezeigt, welche sich mit einer sorgenvollen Regenten-Thätigkeit nicht wohl vereinigen; er malt, er musicirt, er liest Bücher und schreibt Gedichte, er ist Alles – nur kein Herrscher. In dem Bewußtsein, daß seine weiche, träumerische Natur nicht geschaffen ist, mit Ehren und zum Heile des Staates eine so dornenvolle Aufgabe zu lösen, wie das Herrschen ist und täglich mehr wird, ist Prinz August fast entschlossen …«

»Sie haben Ihr Ehrenwort gegeben, unsere Mittheilungen zu verschweigen, Herr Ulrici!« fiel Dunow ein.

Der Buchhalter antwortete nicht, sondern steckte langsam eine nach der anderen seiner kleinen Brodscheiben in den Mund, wo sie verschwanden, ohne daß man eine Thätigkeit der Kauwerkzeuge wahrnahm.

»Ist Prinz August beinahe entschlossen,« fuhr Rottenau fort, »auf die Thronerbfolge zu verzichten.«

Eine stumme Pause folgte. Die Herren erwarteten nach diesen inhaltschweren Worten sichtlich irgend einen Ausruf des Staunens und Schreckens von Seiten ihres Zuhörers.

»Zu verzichten!« wiederholte Herr Ulrici mit großer Ruhe, wie ein Schreiber, der mit einem dictirten Satze zu Ende ist.

Rottenau wurde etwas unheimlich zu Muthe bei dieser Ruhe, um so mehr, als Driburg mit seinen verkniffenen Augen ihm zublinzelte, ohne daß er verstand was, und Staudenbrecher ihn mit einem solchen ironischen Ausdrucke von Bewunderung und Beifall anblickte, daß ihm ganz schwül wurde. Aber er konnte nicht mehr zurück, und so fuhr er denn fort:

»Gewiß ist nicht alle Hoffnung verloren, Se. Hoheit von diesem, für das Land so betrübenden Entschlusse abzubringen; unterdeß aber ist es die Pflicht der dem Throne nahe stehenden Staatsmänner, sich auf alle Eventualitäten zu rüsten. Sie wissen, Herr Ulrici, daß, wenn der Prinz August dabei beharrte, der Regierung zu entsagen, das Erbfolgerecht auf einen Agnaten übergehen würde, der mit den glänzendsten Eigenschaften des Geistes, vielleicht auch mit nicht weniger achtenswerthen Eigenschaften des Herzens ausgerüstet, doch …«

»Für einen bösen Menschen gilt, den das Volk lieber todt schlüge als den Thron besteigen sähe,« fiel Herr Ulrici, der sich jetzt ganz gefaßt hatte, mit einem gewissen trotzigen Nachdruck ein.

»Wir wollen über die Eigenschaften des Grafen Julian Merwing nicht streiten,« nahm der Diplomat Driburg das Wort; »aber gewiß ist, daß seine Regierung uns in unangenehme Collisionen mit der öffentlichen Meinung bringen könnte und Erschütterungen in Aussicht stellte, welche nur dadurch zu vermeiden wären, daß …«

»Man jemanden herbeischaffte, der nähere Rechte auf den Thron hat,« fiel Dunow ein – »und Sie, Herr Ulrici, müssen von einem solchen wissen, wenn wir recht unterrichtet sind. Sie haben die Geschäfte des alten Grafen Merwing besorgt, Sie besitzen das Vertrauen seiner Tochter; wir wissen, daß Gräfin Constanze Merwing in den nächsten Tagen auf ihrem Schlosse Melsenz im Geheimen den Besuch eines jungen Mannes erwartet; Sie werden darin eingeweiht sein …«

»Und Sie sind dem Vaterlande schuldig, uns Ihre Eröffnungen nicht vorzuenthalten,«, sagte Driburg.

Die Reihe, zu sprechen, war an den Buchhalter gekommen. Dieser richtete sich auf; er war mit sich im Reinen, und seine Entschlüsse waren gefaßt. Sie lauteten: erstens diesen Herren Vaterlandsfreunden trotz ihrer liberalen Phrasen kein Wort zu glauben; zweitens ihnen eine Nase zu drehen, und drittens auf keinen Fall den dargebotenen Faden, den blauen und gelben Faden mit dem kleinen Orden daran, sich bei dieser Gelegenheit entgehen zu lassen.

»Es ist wahr,« sagte Herr Ulrici mit großem Pathos und geschlossenen Augen, »daß ich ein Pedant und noch mehr ein schlechter Unterthan sein würde, wenn ich Rücksichten auf die Pflichten einer alltäglichen Geschäfts-Verschwiegenheit nähme, wo es sich um so wichtige Interessen handelt. Persönliche Rücksichten bewegen mich übrigens keineswegs, und wenn die Aussichten, welche mir die Herren zu eröffnen für gut finden, auch zehn Mal glänzender wären, so weiß unser Eins doch, was von derartig hingeworfenen Versprechungen …«

»Bitte, Herr Ulrici, wir haben mit großer Ueberlegung, mit Besonnenheit und Vorbedacht geredet,« unterbrach ihn Professor Staudenbrecher und sah dabei mit Blicken der boshaftesten Moquerie Rottenau an, der etwas beschämt zur Seite blickte.

Der Buchhalter zuckte die Achseln.

»Es ist nicht das erste Mal, daß mir Herren vom Hofe einen Orden versprochen haben, wenn kleine Anliegen in Betreff ihrer derangirten Finanzen sie in mein bescheidenes Arbeitszimmer führten – ich habe aber immer gewußt, was davon zu halten … und in der That, ich habe sehr Recht gehabt, solchen ›Cavaliers-Parolen‹ nicht zu glauben!«

»Frecher Bursche!« murmelte Dunow zwischen den Zähnen.

Rottenau konnte solchen Offenherzigkeiten gegenüber nicht stumm bleiben; er war gezwungen, auf irgend eine Art für seine Versprechungen ein Pfand einzusetzen.

»Sind Sie zufrieden,« sagte er, »wenn ich Ihnen in Gegenwart dieser Herren mein Ehrenwort gebe, das binnen vierzehn Tagen der Fürst veranlaßt sein wird, Ihnen das besprochene Zeichen der Anerkennung für Ihre Verdienste zukommen zu lassen?«

»Ich nehme Ihr Ehrenwort an, Herr von Rottenau,« sagte der Buchhalter, indem er sich geschmeichelt und schmunzelnd in Selbstzufriedenheit über seine gelungene List verneigte. »Um aber zur Sache zu kommen,« fuhr Herr Ulrici fort, – »so bat mich allerdings die gnädigste Gräfin Merwing mit ihrem vollen Vertrauen beehrt, was ihre financiellen Angelegenheiten und alles, was damit in Verbindung steht, angeht; daß ich dieses Vertrauen in diesem Augenblicke mißbrauche … denn mißbrauchen muß ich leider es nennen, wenn ich jetzt … aber, meine Herren, ich habe Ihr heiliges Ehrenwort, daß Sie mich nun und nimmer compromittiren.«

»Unser Ehrenwort!« wiederholten die vier Herren in höchster Spannung auf die Enthüllungen des Buchhalters.

Dieser schloß die Augen.

»Der Sohn des Grafen Florian Merwing lebt allerdings noch … auch ist es richtig, daß Gräfin Constanze ihn in diesen Tagen zu Melsenz erwartet – er lebt …«

»Nun, wo? wer ist es?« brach Rottenau's Ungeduld aus.

»Erlauben Sie,« sagte der Buchhalter, stand auf und zog die Klingelschnur; als der Diener, der im Vorzimmer harrte, eintrat, flüsterte er diesem einen Befehl zu und kam dann zu seinem Sitze zurück.

»Nun reden Sie doch! wo ist er?« fragte Dunow, den Arm des Buchhalters ergreifend.

»Der junge Mann,« antwortete Herr Ulrici, »lebt nicht weit von uns: in bescheidenster Umgebung aufgewachsen, gilt er für den Sohn eines achtungswerthen Mannes, dessen Lebensberufe er sich gewidmet hat … er ist Maler.«

»Maler!« rief Driburg aus.

»Ja, Maler! Sein angeblicher Vater ist ein Maler hiesiger Stadt – officieller Künstler; Graf Florian Merwing hat durch seinen Einfluß und durch Bestechung den Knaben als Sohn des Malers Wallpott in das Kirchenbuch eintragen lassen.«

Die vier Herren sahen sich verwundert an. Sie hatten den jungen Merwing in weiter Ferne geglaubt.

Welche Beweise haben Sie für eine solche Behauptung, Herr?« fuhr Dunow endlich den Buchhalter an.

»Ich? Beweise?« versetzte dieser, indem er von dem Vortheil seiner Lage den ausgedehntesten Gebrauch machte – »als ob ich mich um Beweise kümmerte! Nachdem ich Ihnen diese wichtige Enthüllung gemacht, mögen Sie die Beweise selber suchen – mich geht das nichts an, es ist Ihre Sache.«

»Verzeihen Sie, Herr Ulrici,« fiel Driburg beschwichtigend ein; »Herr von Dunow hat keinen Zweifel in Ihre Behauptung gesetzt, er hat nur den Wunsch ausdrücken wollen, zu erfahren, ob Ihnen die Gräfin dieß offen anvertraut hat, oder …«

Er verstummte, denn der Diener trat herein und überreichte Ulrici ein großes Portefeuille. Dieser öffnete es, nahm ein beschriebenes Blatt Papier heraus und überreichte es Rottenau, der ihm zunächst saß. Rottenau las, nachdem der Buchhalter dem Diener hastig gewinkt hatte, sich zu entfernen, folgende Worte:

›Zahlen Sie gegen diese Anweisung auf meine Rechnung dem Herrn Manfred Wallpott hundert Thaler Pr. Crt. aus.

Constanze Gräfin Merwing.‹

Auf der Rückseite hatte eine kleine zierliche Hand, die mit den großen schlanken Schriftzügen der Gräfin eigenthümlich contrastirte, die Worte geschrieben:

›Erhalten Hundert Thaler. Manfred Wallpott.‹

»Durch meine Hände geben die Unterstützungen für den jungen Mann,« sagte Herr Ulrici triumphirend lächelnd.

Rottenau sprang auf.

»Wohin wollen Sie,« fragte Dunow.

»Ich habe augenblicklich einen Gang zu machen.«

Auch Ulrici erhob sich.

»Meine Herren,« sagte er mit vieler Würde und Feierlichkeit und mit abermals geschlossenen Augen, »Sie haben mich im Namen des Wohles des Vaterlandes und der Monarchie aufgefordert, zu reden: ich habe geredet; ich hoffe nun aber, Sie werden Ihres Ehrenwortes stets eingedenk sein, daß ich in dieser Angelegenheit keinenfalls compromittirt werden, daß unter keiner Bedingung mein Name genannt werden dürfe! In dieser Voraussetzung kann ich die Ehre haben, mich Ihnen zu empfehlen.«

»Bauen Sie auf uns!« antwortete Driburg.

Der Buchhalter nahm das Portefeuille unter den Arm, verbeugte sich sehr tief vor jedem der vier Herren und verließ mit großem Selbstbewußtsein das Zimmer.

»Der Orden ist verdient,« sagte er sich; die vier Bösewichter sind großartig mystificirt, und dieser arme Teufel von Manfred hahaha! es ist zum Todtlachen … sie werden ihn für einen Grafen Merwing halten und wahrscheinlich die famosesten Ränke spinnen, daß keine Seele jemals dahinter kommt! Unglücklicher jugendlicher Künstler! Hoffentlich wird diese Spitzbuben-Clique dir nicht nach dem Leben trachten; denn daß sie nicht dem Sohne des Grafen Florian Merwing nachspüren, um damit ihren eigenen Groß-Kophta Julian Merwing auszustechen, das ist gewiß: es waren das alles Lügen und Gleißnereien, um mich zu fangen. Unterdeß will ich doch der schönen Gräfin einen Wink über diese Spürereien geben – sie wird mir dankbar dafür sein, daß ich dieses vierblättrige Kleeblatt von modernen Rosenkreuzern auf die unrechte Fährte gebracht habe … Dankbar? vielleicht auch nicht … nun, wir werden es überlegen!«

Damit endete Herr Ulrici draußen im Fortgehen sein Selbstgespräch; im Salon war unterdeß Helene Habicht wieder erschienen, und gespannt hatte sie gefragt:

»Nun, haben Sie etwas herausgebracht?«

»Keine Sylbe!« versetzte Rottenau.

»Ich wußte es … trotz al' seiner Albernheit ist er doch ein zäher Pedant in Geschäftssachen. Also Sie haben keine Ahnung, wem Constanze in Melsenz ein Rendezvous gegeben haben kann!«

»Keine Ahnung!« antwortete Driburg, und dann wurde das fernere Gespräch dadurch unterbrochen, daß Rottenau sich bei seiner Cousine hastig beurlaubte und eilig das Zimmer verließ, worauf auch die anderen Herren nach ihren Hüten griffen und nach einigen conventionellen Redensarten sich der Dame vom Hause empfahlen.

Rottenau war unterdeß schon weit entfernt. Er eilte mit langen Schritten durch die dunklen Gassen und verlor sich in immer einsamer und stiller werdende Gegenden der Stadt. Endlich in einer ganz abgelegenen Straße blieb er stehen, blickte um sich, trat dann einer düster flackernden Laterne näher und zog die Uhr hervor. Sie zeigte Zehn. Gleich darauf schlug es zehn Uhr vom nächsten Kirchturm; etwa nach fünf Minuten, während deren Rottenau gedankenvoll auf- und abging, öffnete sich ein kleines Thor in einer Gartenmauer; eine dunkle Gestalt trat heraus, wandte sich noch einmal zurück, flüsterte etwas, lachte, wich vor einem, wie es schien, nicht ganz sanften und freundlichen Stoße, bei dem ein Arm in einem weißen Frauen-Gewande, der jetzt zum Vorschein kam, im Spiele sein mußte, und trat, während sie rasch das Thor hinter ihr schloß, auf Rottenau zu.

Es war ein Mann von mittlerer Größe und, so viel es der Mantel, in den er sich gehüllt hatte, erkennen ließ, von schmächtigem Bau.

»Sind Sie's, Allergetreuester? Ich glaube, ich habe Sie warten lassen?«

»Nicht doch ich komme eben erst …. und zwar athemlos angerannt; wir haben eine wichtige Entdeckung gemacht.«

»Nun?«

»Wir haben ihren verschollenen Neffen entdeckt, Merwing!«

»Unmöglich! Sie spaßen!«

»Es ist so, in allem Ernst.«

»Erzählen Sie – wie, wo?«

Rottenau erzählte, während er neben dem Grafen Julian Merwing die Straße hinabschritt:

»Es war gestern eine große Gesellschaft bei Habichts. Der Prinz und Comtesse Constanze waren zugegen. Wir beobachteten sie, wie Sie denken können; und das Ergebniß dieser Beobachtung war kein erfreuliches. Prinz August hat eine wirkliche, ernsthafte Leidenschaft für die Gräfin gefaßt, und es wird nicht mehr möglich sein, diese zu ersticken. Sie hat offenbar auf alle Weise mit ihm coquettirt; Sie werden sehen, er heirathet sie, und dann wird sie ihn beherrschen, und mit ihr würden die gefährlichsten Principien zur Herrschaft gelangen. Um dem zuvor zu kommen, ist Eines zu thun!«

»Und das ist?«

»Man muß den Prinzen zur Entsagung auf sein Erbfolgerecht bringen.«

»Unmöglich!«

»Durchaus nicht unmöglich. Staudenbrecher hatte heute eine lange Unterredung mit dem Prinzen. Der Prinz hat ihm seine philosophischen Ansichten vom Leben mitgetheilt, und Staudenbrecher hat klar herausgefühlt, daß ein solcher Entschluß auf dem Grunde der Seele des Erbprinzen schlummere. Prinz August ist aller unruhigen Thätigkeit, allem Drängen, Treiben, Mühen, allem Lärm und allem Ringen abgeneigt. Er setzt die Bestimmung des Menschen in contemplatives Bilden an sich selbst. Regieren ist ihm ein Gräuel. Dazu kommt, daß etwas zwischen ihm und Constanzen vorgefallen sein muß, was ihn darin bestärkt: vielleicht hat sie ihm sein System schonungslos befehdet, und nun will er sie durch eine große That, welche eben die Frucht seiner Philosophie ist, widerlegen, beschämen. Er will entsagen: das gilt ja diesen Philosophen für etwas Großes, Heroisches!«

»Das wäre ja vortrefflich!« rief Julian aus.

»Kurz,« fuhr Rottenau fort, »Staudenbrecher hat mit seinem diabolischen Scharfsinne ihn durchschaut und Alles gethan, ihn in seinen Ideen zu bestärken. Führt der Erbprinz nun seinen Vorsatz aus, so stände zwischen Ihnen, Graf Julian, und dem Throne nur der verschollene Sohn Ihres verstorbenen älteren Bruders Florian: es käme also darauf an, diesen aufzufinden und bei Zeiten unschädlich zu machen.«

»Das ist richtig,« bemerkte Julian.

»Nun hören Sie weiter! Ich habe am vorigen Abende von meiner Cousine Helene Habicht erfahren, daß Comtesse Merwing in Melsenz in den nächsten Tagen eine Zusammenkunft mit einem ihr fremden Manne haben wird. Dieß war ein Faden, den wir verfolgen mußten. Dazu kommt, daß das Haus Habicht in viele Verhältnisse der Gräfin Constanze eingeweiht ist, so weit diese financieller Natur sind. Driburg und Staudenbrecher, die mich heute besuchten und denen ich die Mittheilung Helenens nicht verschwieg, waren derselben Meinung; so beschlossen wir denn, für heute Abend noch einmal meine Cousine aufzusuchen und ihre Eifersucht auf Comtesse Constanze – sie ist eifersüchtig auf sie, die gute Helene – in's Spiel zu ziehen und sie zu weiteren Nachforschungen anzureizen. Sie selbst wußte nun weiter nichts, als was sie mir bereits mitgetheilt; ihren geistreichen Gatten, der zu hochmüthig ist, sich um die Angelegenheiten seines eigenen Geschäftes zu kümmern, hatte sie vergeblich auszuholen versucht; aber es fand sich ein Buchhalter, ein in Alles eingeweihtes Individuum, dem Constanze als ihrem eigentlichen financiellen Vormunde Alles anzuvertrauen scheint, und in dieses Individuum, ein echtes Exemplar eines coulanten Commis-Voyageur, sandten wir wie einen Taucher oder wie ein Frettchen das Versprechen eines rothen Falken hinab; dieser Raubvogel holte denn auch augenblicklich aus ihm alles herauf, was darin verborgen lag.«

Als Rottenau seinem Begleiter in dieser Weise die ganze Entdeckung mitgetheilt hatte, blieb Graf Julian Merwing kopfschüttelnd stehen.

»Die ganze Geschichte klingt mythisch; ich habe gute Gründe, anzunehmen, daß mein Bruder Florian seinen Sohn irgend einem Dorfpfarrer im Gebirge anvertraut hat, und daß er an dem Scharlachfieber gestorben ist. Jedenfalls müssen wir forschen und beobachten. Wenn Constanze einen jungen Menschen in Melsenz erwartet, so kann sie ganz einfach eine Liebschaft mit ihm haben; lassen Sie den Maler jedenfalls beobachten, und wenn er sich hinbegiebt, so lassen Sie es mich wissen. Ich will dann ungesehen zugegen sein bei ihrem Tête-à-Tête. Ich kenne das alte Raubschloß und alle seine verborgenen Gänge.«

»Aber sind Sie sicher, daß Sie Ihre Festung jeden Tag beliebig verlassen können?«

»Jeden Tag nicht, aber jede Nacht, wie Figura zeigt; doch bis dahin ist ja hoffentlich meine Begnadigung ausgewirkt. Wie weit sind Sie damit?«

»Dunow hat heute mit dem Fürsten darüber geredet, und dieser hat ihm versprochen, gleich morgen vom Justiz-Minister einen Bericht einfordern zu wollen.«

»So hängen wir also von der Gnade des Justiz-Ministers ab – der Graf Julian Merwing von der Laune eines ehemaligen Advocaten … eine schöne Wirthschaft … es wird Zeit, daß wir ihr ein Ende machen! Nun adieu, lieber Freund! Dort ist die Schenke, wo mein Reitknecht die Pferde eingestellt hat, und ich will Sie nicht noch weiter schleppen. Unterrichten Sie mich fleißig von allem, was vorfällt. Lassen Sie Staudenbrecher recht eifrig den Prinzen in seiner sokratischen Philosophie bestärken. Das ist das Wichtigste jedenfalls! Grüßen Sie die Freunde!«

»Verlassen Sie sich auf uns, Graf Merwing.«

»Auf Wiedersehen!«

Graf Julian schüttelte herzlich Rottenau die Hand, und dann verließ er ihn, um in einer neben dem Stadtthore liegenden kleinen Schenke zu verschwinden, vor der sie eben angekommen waren.

Rottenau wandte sich und ging langsam und sinnend heim.

›Wie cavalierement er das alles behandelt;‹ – so etwa mochten die Worte seines Selbstgesprächs lauten, – ›als ob es darauf ankäme, einer Kammerzofe eine Falle zu stellen! Es ist ein Mensch von fabelhaftem Leichtsinn! Leichtsinn? Vielleicht ist es Maske. – Die Entdeckung seines Neffen konnte unmöglich einen so geringen Eindruck auf ihn hervorbringen, wie er es mich glauben machen wollte! Was denkt er – welche Plane hat er?!‹

Während Rottenau mit solchen Gedanken seine Wohnung erreichte, hatte Graf Julian Merwing längst die Stadt im Rücken und ritt, von einem Diener gefolgt, in scharfem Trab der ein paar Meilen entfernten Festung zu, in deren stattlichstem Gefängnißzimmer er in diesem Augenblicke nach officieller Annahme wohlverwahrt hinter Schloß und Riegel stak. Auch unter seiner schmalen, gelben und vorzeitig welken Stirn kreuzten sich Gedanken mancherlei Art. Sie waren sicherlich nicht heiterer Natur; denn wenn der Mond auf Augenblicke von den Wolken frei wurde, welche der Wind daran vorüber jagte, wurde ein Ausdruck eigenthümlicher Art, wie von Grimm und von Schadenfreude gemischt, auf diesen stark markirten, feinen, ehemals schönen Zügen sichtbar; er blickte meist stier über den Kopf seines Pferdes fort auf den dunklen Weg vor sich, den Oberleib weit vorgebeugt, als ob seine Gedanken diesen dem Laufe eines Rosses vordrängten; zuweilen blickte er zu dem Monde auf, und dieser warf in solchen Augenblicken den vollen Guß seiner Strahlen in ein dämonisch gespanntes Gesicht mit starkem dunklem Barte und weit geöffneten Nasenlöchern, während der Mantel im Winde flatterte und die ganze Gestalt wie ein unheimlicher Genius der Nacht an der Reihe hoher und lautrauschender Pappeln, welche die Chaussée einhegten, daherschwebte.



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