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Fünftes Capitel.
Zwei Briefe.


Die Wohnung der Gräfin lag in dem belebtesten Theile der Stadt. Es war ein großes, in würdigen und schönen Verhältnissen gebautes Palais, dessen solide, mitunter altfränkische Pracht den schärfsten Contrast zu den üppigen, von Gold und Purpur strotzenden Gemächern, in welchen das Ballfest am gestrigen Abend sich bewegt hatte, bildete. Es war das aristokratische achtzehnte Jahrhundert neben dem goldenen neunzehnten. Diese Räume waren zu stolz, mit der kostbaren Einrichtung eines Millionärs und Parvenu's zu wetteifern. Sie waren hoch, ihre Verhältnisse sprachen eine ernste Schönheit aus, der vergilbte Damast der Wände paßte vortrefflich zu den Kunstschöpfungen, den Gemälden oder Marmor-Statuen, die nichts von den schreienden Farben, nichts von der gedankenlosen Oberflächlichkeit moderner Kunstwaare hatten, deren Schönheit vom Kennerauge unter den nachgedunkelten Farben, unter der Aerugo nobilis aufgesucht sein wollte und auf die Bewunderung derer, welche diese Schönheit nicht zu finden verstanden, gern verzichtete. Die Möbel standen an den Wänden nach alter Sitte, nicht kreuz und quer durch einander; die hohen Flügelthüren aus geschnitztem Holzwerk und mit verblaßten Vergoldungen waren nicht den weichen Sammt- und Damast-Portiéren gewichen kurz, das achtzehnte Jahrhundert hatte hier noch keinen Fuß breit dem revolutionären Geschmacke des neunzehnten eingeräumt.

Am Ende der großen Zimmerreihe des ersten Stocks im Hotel Merwing hatte die Modernität freilich einige Eroberungen gemacht. Hier lag das Wohnzimmer der jungen Gräfin. – Der Raum, den sie sich zum Boudoir ausersehen, war nicht klein, wie ein solches innerstes Heiligthum einer Dame der großen Welt zu sein pflegt. Es war im Gegentheil ein großes Gemach, ein Saal; aber er war angefüllt mit hunderterlei Dingen: da waren Etagèren voll schöner Bronze-und Alabaster-Figuren, und Blumentische mit blühenden Narcissen, Hyacinthen und Crocus; ein großer Flügel stand in der Mitte des Raumes, und in einer Ecke ein runder Tisch mit einer kostbaren Mosaikplatte von römischer Arbeit, besetzt mit Schalen und Gefäßen, welche offenbar aus Italien heimgebrachte Erinnerungen waren, wie der Giallo nero und Rosso antiquo der Schalen und die Form der Bronzen bewies, während in der Mitte sich eine Nachbildung des schönen ›Raubes der Sabinerinnen‹ in leuchtendem Alabaster erhob.

Gräfin Constanze saß hinter einer Epheuwand, welche in einer Ecke des Salons einen kleinen Schmollwinkel abschnitt, dessen Raum beinahe ganz ihr eleganter Schreibtisch aus Pallissander mit eingelegtem Rosenholz einnahm. Sie war im weißen Morgen-Ueberrock, ihr Gesicht hochgeröthet, wie von dem Inhalte des Briefes aufgeregt, den sie hastig niederschrieb. Zuweilen hielt sie an, legte sinnend ihre Stirn auf ihre Hand und blickte dann wieder in ein duftiges, auf rosenrothes Papier mit einer zierlichen Hand geschriebenes Billet, welches vor ihr lag. Es lautete:

›Sie haben mir gestern bitter wehe gethan, Gräfin Constanze, und ich habe die Nacht durchwacht, um diesem Schmerze nachzuhangen. Sie haben mich in meinem ganzen Sein und Denken gekränkt, indem Sie mein Sein und Denken verspotteten. Ich will mich dafür rächen an Ihnen, indem ich einst ein solches Leben Ihnen zu Füßen lege, wie ich behaupte, daß jedes edle Leben zu werden sich begnügen müsse. Die, welche anders gewollt, welche gestrebt haben, welche Rettungsengel der Menschheit, Wohlthäter der Völker oder Apostel der Ideen haben werden wollen, sind immer dafür vom Schicksal mit Prometheus-Qualen gestraft worden. Aber es giebt Kinder des Glückes, denen über Nacht in den Schooß geworfen wird, wofür Andere umsonst ihr Leben einsetzen; jene, welche die Worte von den Lilien des Feldes verstanden haben; jene, von denen gesagt ist, sie werden Kinder des Lichtes genannt werden; jene, die nicht »trachten«, sondern nur verlangen, in sich selbst das Reich Gottes zu spiegeln, und nichts wollen, denn als reinen Ton sich in die große Harmonie des Als einfügen.

Sie fragen mich, weßhalb ich Ihnen dieß schreibe? Ich wage nicht mehr, es Ihnen offen zu gestehen. Nehmen Sie diese Zeilen als einen Abschied auf. Ich reise morgen schon. Ich gehe in den Orient, in das Land der Weisen; Rahat olsun – er soll Ruhe haben, ist der höchste Wunsch des Türken für seinen Freund. Ich gehe zu den Türken. Auch nach Hellas; ich will auf den Ruinen Athens der Bedeutung der Schönheit für das Leben nachsinnen und, auf das weißschimmernde Alanthushaupt einer zertrümmerten Säule gestützt, das Land der Griechen mit der Seele suchen. Ich will sehen, mit welchen Zügen die Jahrtausende von den Pyramiden Aegyptens niederblicken. Vielleicht hat, wenn ich heimkehre, der Geist unendlicher Majestät, Trauer und Größe, der über dem Oriente ruht, einen leisen Schatten über mich ausgegossen, und Sie, Gräfin Constanze, gestehen dann dem Pilger nach den heiligen Stätten der Menschheit zu, daß seine Weise, die Bestimmung des Lebens zu fassen, die richtige war. Und nun Rabat olsun … Sie mögen Ruhe haben – ja, das ist es, was ich Ihnen sagen wollte. – Sie mögen, während ich entfernt bin, Ruhe haben, Ruhe des Herzens vor allem – o, verständen Sie mich, Gräfin Constanze, und ließen mir ein volles Jahr Zeit, zu gehen, um mich im Jordan taufen zu lassen, zu einem, der um das Himmelreich wirbt! Davon hängt ab, ob ich für immer sein werde

Ihr
blühender oder verwelkender
August, Prinz von ***‹

»Sehr poetisch, sehr zuversichtlich, sehr eitel … doch anders, als der plumpe Wink von gestern,« sagte Constanze, als sie diesen Brief durchflogen hatte.

Sie verhehlte sich nicht, daß die verhüllte Liebeswerbung des Prinzen ihr schmeichelhaft war, ja, daß dieses Gefühl einen kleinen Theil hätte an den gerötheteren Farben ihrer Wangen, an den rascheren Schlägen ihres Herzens. Der Prinz war ein liebenswürdiger Mann, er war weit unterrichteter und weit weniger brusque, als alle die jungen Leute ihres Standes, welche Constanzen je im Leben begegnet waren. Dazu war er der Erbe des Thrones; er machte die Hand, in welche er die seine legte, zur Segensquelle für viele Tausende; sein Weib werden, hieß die höchste, glänzendste, benedeitste Stelle einnehmen unter einem ganzen Volke. Dazu war eine Verbindung zwischen der Gräfin und dem Prinzen eine passende – sie war die Erbin einer jüngeren Linie des regierenden Hauses – sie war eine Verwandte des Prinzen, und ihre Besitzungen würden, in die Wagschale gegen die Aussteuer irgend einer königlichen oder großherzoglichen Prinzessin geworfen, sicherlich nicht in die Höhe geschnellt worden sein.

Aber Constanzens Verstand war zu groß, zu weit gespannt, und ihr Herz war zu schwärmerisch, um sich solchen Lockungen von mehr oder minder äußerlichem Werthe gefangen zu geben. Sie liebte den Prinzen nicht, er war kein Mann für sie, denn er imponirte ihr nicht. Er hätte dazu größer sein müssen. Aber freilich, es war möglich, daß er größer würde unter den Palmen von Gaza, daß die Cedern des Libanon ihren heiligen Thau auf die braunen Locken seines rothwangigen Hauptes schüttelten und daß von dieser Weihe sein Geist sich beflügelte, seiner Seele sich Schwingen ansetzten, die ihn auf die Höhen neuer und größerer Anschauungen trügen.

Constanze antwortete deßhalb:

›Ziehen Sie, Prinz, und möge Gott sie geleiten! Mein inneres Auge folgt Ihnen in die Ferne mit Blicken, die Ihnen gespannte Theilnahme und herzliches Wohlwollen ausdrücken würden, wenn Sie sie sehen könnten.

Aber ich erkläre Ihnen, daß diese Blicke eben so mit denselben Gefühlen, wie auf Ihnen, noch auf einem anderen Erdenpilger haften; er ist im Gegensatze zu Ihnen ein Ringender, Strebender, Kämpfender der Abendländer, Sie, der Orientale. Ich will treu beider Waller Pfade verfolgen, und die goldene Frucht des Lebens, nach der Beide pilgern, will ich von dem annehmen, welcher sie eben selbst zuerst sie erringt.

Noch einmal ein herzliches Lebewohl!

Constanze Merwing!‹

»Scheint ihn das hieroglyphisch,« sagte Constanze lächelnd, indem sie das Blatt faltete, »ei nun, so hat er ein Jahr Zeit, fern von Madrid darüber nachzudenken; es ist eine Vorschule für die Reise zu den Pyramiden.«

Constanze siegelte den Brief und schellte ihrem Mädchen, um ihn absenden zu lassen. Dann schritt sie eine Zeit lang sinnend in ihrem Zimmer auf und nieder. Nach einer Weile trat sie an ihren Schreibtisch zurück und nahm aus einer Schublade ein kleines Convolut von Briefen, löste das rothseidene Band, welches die Blätter zusammenhielt, und durchlas flüchtig eines nach dem andern. Die Briefe waren ohne Adresse, ohne Unterschrift. Ueber jeden war ein doppeltes Kreuz gezeichnet. Die Handschrift groß, ein interessanter Gegenstand des Studiums für einen Authographen-Sammler; es war weder die Hand eines Geschäftsmannes, noch eines Gelehrten. Der Körper der Schrift deutete auf eine gewisse Haltlosigkeit, während die verschwenderischen Schnörkelzüge auf ein Streben, nach allen Richtungen hin aus einander zu fahren, hinwiesen. Es war, als ob der Schreiber dieser Zeilen einem peripherischen Zuge aus sich hinaus folge; war es ein Dichter, so war er eine pathetische Natur, die tragische Stoffe allen andern vorzog; ein Politiker, so war er Socialist; ein Geistlicher, so hatte er Hang zum Missionär.

›Läugnen Sie mir es nicht,‹ hieß es in einem der jüngsten Schreiben, ›daß es ein weibliches Wesen, ein schönes glückliches, vom Schicksal auf den Händen getragenes, weibliches Wesen ist, welches mit Theilnahme an mich denkt und mir, dem mühsam durch die Dornen des Lebens sich Fortkämpfenden, von Zeit zu Zeit ein kurzes Wort der Ermuthigung sendet. Ach, diese Worte der Ermuthigung – wie sehr bedarf ich ihrer … doch nein, lassen Sie mich wahr sein – wie sehr sie mir wohlthun, wie sehr sie mir ein Himmels-Manna in der Wüste der Verzweiflung, in der ich irre, sind – ich bedarf ihrer nicht – denn untreu an mir selbst würde ich auch ohne sie nicht werden, und ich bin gestählt, mit dem Schicksal zu ringen, bis an mein leuchtendes Ziel, welches auch das der Menschheit ist! Nicht wahr Sie pflichten mir bei: die Menschheit ist von den Hütern, welche die Geschichte ihr gegeben hat, grausam verwahrlost worden. Aberglaube, Dummheit, Egoismus … waren das nicht die drei Schicksals-Schwestern, die an ihrer Wiege standen, die ihre Erziehung leiteten? Nur zuweilen durch bricht ein heller Strahl den Nebel. Moses – Mahomet – Luther – denn ich fasse Luther rein politisch – solch' ein Genius, in dem neben der durchschlagenden Thatkraft die glühende Begeisterung für die Ideen der Humanität vorhanden; und wenn Energie und Begeisterung die beiden Schwingen sind, auf denen der Adler des Heroen-Bewußtseins die Sonne erreicht, weßhalb dann verzweifeln? Ich fühle sie in mir beide, Energie und Bewußtsein, und wenn Ikarus fällt, ist es nicht neidenswerth, so hoch zu fallen? Sie sagen es selbst, anbetungswürdiges Wesen, die Welt wankt dem Untergange zu, weil es ihr an einem Helden fehlt, der sie emporreißt, der ihre zerfahrenen, zersplitternden Elemente zusammenfaßt, ihre zerflatternden Kräfte vereinigt, der ihr Messias wird. Einer muß es doch sein! aber Keiner wird es werden, der nicht damit beginnt, seiner eigenen Kraft sich bewußt zu werden. Und so trau' ich ihr denn, meiner Kraft … strebe, kämpfe, wirke … ist es umsonst, bin ich es nicht, der erlesen, dann wird es ein Anderer sein. Die Welt bedarf seiner, und deßhalb wird er kommen, der Napoleon der Humanität …‹

Constanze legte das Blatt fort, als sie so weit gelesen, und versank wieder in ihr Nachsinnen. Hier war das gerade Widerspiel jener Natur, die sich in den Zeilen des Prinzen ausgesprochen hatte. Hier war ein Geist, der im Menschen nicht die Pflanze, in der Menschheit nicht einen Baum mit von Uralters her bestimmter Blüthe- und Fruchtentwicklung sah, sondern dem das, was bisher geschehen, die Geschichte, das Ergebniß reiner Willkür schien; der deßhalb mit dem Maßstabe der Vernunft an die Gesellschaft trat und damit bewaffnet wahrnahm, daß sie schlecht war, und – nichts konnte logischer sein – sich entschlossen hatte, sie besser zu machen.

Constanze kannte den Mann nicht, der diese und ähnliche Briefe an sie schrieb, aber für ihr inneres Leben hatte er eine hohe Bedeutung. Es war ein glänzendes Bild, welches sie sich von ihm machte; Frauen von großer Schönheit und großem Geiste verschenken schwerer ihr Herz als andere, die weniger von Huldigungen umringt sind. Das Uebermaß der Zuvorkommenheit isolirt sie, wie die Könige isolirt sind. Auch Constanze war fünfundzwanzig Jahre alt geworden, ohne eine Neigung empfunden zu haben.

Vielleicht auch war es ihre Erziehung, welche die Schuld daran trug. Sie hatte früh ihre Mutter, dann hatte sie ihre zwei Brüder bald nach einander verloren. Sie war nun das einzige Kind, das Eins und Alles ihres Vaters, eines Mannes von großer Bildung und großer Schärfe des Verstandes, geworden. Sie hatte von ihm eine Erziehung erhalten, wie sie selten Frauen wird. Er hatte sie auszurüsten gestrebt mit allen Eigenschaften, deren sie bedürfen könnte, um ihrer einstigen Selbstständigkeit gewachsen zu sein; er hatte sie an Denken, an besonnenes Untersuchen und behutsames Urtheilen gewöhnt, er hatte sie gewöhnt, an die Erscheinungen einen hohen Maßstab zu legen, und war eifrig beflissen gewesen, durch reiches, ausgebreitetes Wissen ihr eine große geistige Unabhängigkeit zu geben.

Ein so erzogenes Mädchen konnte schwer unter den sie umgebenden Erscheinungen eine finden, welche ihr Herz, ihre Intelligenz, ihre Sinne gefangen nahm. Und doch bedarf ein Frauenherz einer Neigung; so war es gekommen, daß über Constanzens unbefriedigtes Herz eine stille Schwärmerei für einen Ungekannten, nie Gesehenen gekommen, mit welchem eine seltsame Verkettung von Umständen sie in Berührung gebracht hatte. Ihn dachte sie sich mit jenen großen Eigenschaften ausgerüstet, welche den Männern, die sie sah, fehlten. Auf ihn concentrirte sie die größte Summe jener Theilnahme am geistigen Leben, das in ihrer Umgebung keinen Ankergrund fand.

Sie war erfüllt von der Wahrheit der Anschauungen dieser ihr verhüllten Gestalt, dieses Jünglings von Sais, der mit ihr vor der Bildsäule der Isis stand, nur mit dem Unterschiede, daß hier nicht die Göttin, sondern die beiden Jünger sich einander verschleiert schienen.

»Ja, er hat Recht,« sagte sie sich: »Mag die Welt auch noch so spröde jedem reformatorischen Gedanken widerstehen, mögen dämonische Geister tausendmal den starken Genius, der triumphirend die Hand auf ein hohes Ziel zu legen glaubt, zurückwerfen, in den Abgrund, worin er untergeht, schleudern; mag man Giftbecher und Scheiterhaufen bereit halten für die Wohlthäter der Völker … eppur 'se muore!

›Die Wenigen, die was davon erkannt,
Hat man zu aller Zeit gekreuzigt und verbannt,‹

sagt Göthe; aber hat man nicht auch unendlich mehr solcher verbannt, welche nichts davon erkannt? Das Leben ist einmal grausam: desto größer die Aufforderung an uns, thätig zu sein, um es milder zu gestalten. – Streben, Wirken ist die Aufgabe der Menschen, darum umgiebt uns nach allen Richtungen hin der unendliche Raum, die unendliche Zeit. Diese Unendlichkeit ist der deutlichste Ruf an uns, ist die stete Lockung, mit unserem Wesen in sie hinein zu wachsen. Die Harmonie schöner, allseitiger menschlicher Bildung errungen in Ruhe und Contemplation, sollte das Ziel unseres Lebens sein? Wie egoistisch: als ob von einer Harmonie für uns die Rede sein könnte, wenn wir nicht in Harmonie mit allem Erschaffenen auf Erden blieben, das wächst, sich ausdehnt, immer höheren Entwicklungen zustrebt, kurz, in immerwährendem Ringen sich vorwärts arbeitet! Und das ganze All – saust, wirbelt das nicht in ewiger unendlicher Bewegtheit durch einander mit unbegreiflichem Drange seinen Zielen zu?«

Das alles sagte sich Constanze und folgte im Geiste dem Unbekannten, der mit jugendlichster Wärme diese ihre Theorie vom Leben ihr gleichsam in Scene setzte, der mit schwungvoller Erhabenheit sein Blut an die Durchführung seiner Ueberzeugungen zu wagen schien – in Verhältnissen, deren nähere Beschaffenheit Constanzen verborgen blieben, die aber desto mehr ihre Phantasie erfüllten.

Indem Constanze aber so sich für ihres unbekannten Freundes Lebensphilosophie entschied, hatte sie mehrfache Regungen in sich zu bekämpfen, und dieser Kampf mit sich machte sie natürlich nur zu desto eifrigerer Vertheidigerin dessen, wofür sie sich entschieden. Zuerst war es ein gewisser conservativer Instinct und die aristokratische Tradition, in welcher sie aufgewachsen, und die beide zuweilen doch zu stark verletzt wurden durch die Herzensergüsse des sturm- und drangvollen Unbekannten, der alle Schranken überflog und keinerlei Rücksichten gegen das Bestehende zu kennen schien. Eine frauenhafte Aengstlichkeit überkam sie oft vor diesem Menschen, die sie nicht ganz unterdrücken konnte, und diese Aengstlichkeit wuchs mit jedem Tage, welcher sie der Stunde näher brachte, in der sie persönlich dem Unbekannten, auf dessen Haupt sie so große Hoffnungen gesetzt, begegnen sollte. Wie konnte es auch anders sein … hatte sich nicht ihr Herz nach und nach mit in dieses Spiel gemischt, und mußte sie nicht deßhalb mit Zittern an den Augenblick denken, in welchem sich entscheiden sollte, ob der wirkliche Mensch das Bild der Phantasie rechtfertige, welches sie in so großen Umrissen sich von diesem Manne, diesem Helden der Zukunft gemacht? So fühlte sie auch jetzt sich beklommen, als sie die Briefe aus der Hand legte.

Sie trat an's Fenster und blickte in die Straße auf die da unten sich durch einander drängenden Menschen hinab. Wie das hastig an einander vorübereilte: da zeigte es sich ja, da war ja Alles in strebendster Thätigkeit! Die große Maschine arbeitete, alle die Einzelnen, welche hier an einander vorüberrannten ihren Geschäften nach, waren Theile der Maschine, das Leben genannt; arbeiteten einander in die Hände, griffen zusammen wie Kamm- und Stirnrad. Aber kam mit all' der Arbeit das Räderwerk von der Stelle? Nein! Sisyphus-Arbeit! Und solche Arbeit, war sie des Menschen Bestimmung: Arbeit um der Arbeit willen? Hatte die Arbeit absoluten Werth? Und wie! dachte Constanze, hat nicht die Religion erhabene Warnungen gegen die Eroberungssucht des Thätigkeitsdranges? Weist sie nicht auf die Lilien im Felde, die nicht spinnen und nicht säen? Verbietet sie nicht, nach dem morgenden Tage zu fragen? Und die Philosophie, widerspricht sie nicht auch, weist die geläutertste ihrer Disciplinen, die Stoa, nicht auf die Nichtigkeit alles Erreichbaren hin? Wollten sie nicht alle, die großen Denker der Vorzeit, statt des unruhigen Abmühens um irdische Dinge einen ruhigen Verkehr mit dem Geistigen?

Und noch eines: lag nicht der Drang zum strebenden Kampfe mit der Welt zumeist im männlichen Naturel, während Ruhe und Harmonie wenigstens jedenfalls der Frauen Bestimmung? Und konnte Constanze anders, als dem feineren, tieferfühlenden, sittlicheren Wesen der Frauen den Vorzug vor der materielleren und roheren Natur der Männer geben?

So versank sie in ein Meer von Gedanken, in welchem ihre Schwimmkraft nicht mehr ausreichte. Es war gut, daß sie unterbrochen wurde. Ihr Mädchen trat ein und meldete zugleich Herrn Heinrich Ulrici und Manfred Wallpott an.

»Führe den Buchhalter herein – der junge Mensch will die Galerie sehen; Wistock soll sie ihm aufschließen, und sag' ihm, wenn er zu Ende sei, wolle ich ihn sprechen.«

Das Mädchen ging, und der Buchhalter trat ein; er machte seine tiefsten Verbeugungen, zeigte sein strahlendstes Gesicht und ließ sich mit der vollendetsten Grazie auf den Stuhl nieder, auf den Constanze deutete.

»Was bringen Sie mir, mein Herr Buchhalter?« sagte die Gräfin. »Die Zusammenstellung, welche ich wünschte?«

Der Buchhalter antwortete halblaut und geheimnißvoll, indem er ein Papier hervorzog:

»Wie Sie es zu befehlen geruhten; hier ist das Verzeichniß aller Summen, welche wir ausgezahlt haben!«

Constanze überflog das Papier.

»Im Anfange ist man sehr bescheiden gewesen,« sagte sie. »280 Thaler im Jahre 1819 – dagegen schon 400 im Jahre 1827 – Ausgaben für Lehrer, Bücher, kleine Reisen scheinen begonnen zu haben. 600 und 700 kommen im Anfange der vierziger Jahre – das ist die Universitätszeit – dann wieder 400 und 500 nun, das ist doch immer ziemlich bescheiden – aber, mein Gott! welcher Sprung: 3000 Thaler im Jahre 1848 und 3380 im Jahre 1849 …!«

»Freilich auffallend,« antwortete Ulrici, »und es scheint, als ob der junge Herr durch das Jahr 1848 in große Bewegung gekommen sei: vielleicht hat er Parteizwecke gefördert, Flüchtlingen geholfen u. s. w.«

»Es ist gut,« sagte Constanze, das Blatt auf ihren Schreibtisch legend. »Ich danke Ihnen, Herr Ulrici; was wollen Sie mit dem Papier da?«

»Es ist eine Quittung, welche Ihrer eigenhändigen Unterschrift bedarf; Ihr Advocat fordert sie, um die 10 000 Thaler auszuzahlen, welche Ihnen aus dem großen Concurs der Baumwollenspinnerei zukommen. Es sind 40 Procent. Was befehlen Sie, daß mit dem Gelde gemacht werden soll?«

Constanze erledigte diese Angelegenheit, die sie in so ganz andere Sphären führte, dann fuhr sie fort:

»Sagen Sie mir etwas über den jungen Mann, welcher mit Ihnen gekommen ist.«

»Den jungen Maler? Es ist ein gutmüthiger, bescheidener und zuverlässiger Mensch; ein armer Teufel, der es trotz eines bedeutenden Talentes nicht weit bringen wird, und dem auch nicht zu helfen ist. Er ist der Sohn eines wahren Originals, des Malers Wallpott. Leider hat dieses Original aber eine nicht sehr originelle Eigenschaft: er ist ein Egoist, und indem er seine väterliche Autorität und die Liebe seines Sohnes mißbraucht, schmiedet er den armen Jungen an seine Staffelei fest; das heißt, an seine eigene, väterliche Staffelei; er braucht ihn als Gehülfen, wie er sich ausdrückt, als Schüler, dem er die Ausführung seiner leuchtenden Ideen, seiner Raphaelischen Compositionen überträgt, und so von seinem Vater ausgebeutet, kommt der junge Mensch nie dazu, sich und seinem Talente freien Spielraum zu gewinnen und seiner eigenen Ausbildung leben zu können. Und doch ist ein Talent, ja, ich glaube, ein großes Talent in Manfred; der ewig unbefriedigte Drang, seinem Genius zu folgen, drückt ihm das Herz ab.«

»Aber der alte Wallpott ist ein Rabenvater!« fiel Constanze lebhaft ein.

»Das nicht – der beste Mensch von der Welt. Er ist ein ganz gewöhnlicher Egoist, er fühlt, daß er ohne seinen Sohn nichts mehr zusammenbrächte, und so hält er seinen Schüler in der Sclaverei, ahnt aber gar nicht einmal, daß er ein Unrecht thut, indem er seine sehr mittelmäßige Kunst zu einer Art von Vampyr macht, welche sich am Lebensblut seines Kindes das Leben fristet. Ich glaube, er betrachtet es als ein Glück für Manfred, daß dieser gewürdigt wird, an die großen Schöpfungen von Peter Paul Wallpott – der große Künstler heißt wie Rubens – die helfende Hand legen zu dürfen. Der arme Junge hatte im vorigen Frühjahre sich die Stunden wahrhaft zusammengestohlen, um eine größere Landschaft mit Fleiß ausführen zu können, welche er zu unserer letzten Ausstellung einsenden wollte. Herr Peter Paul Wallpott sieht dem fortschreitenden Gelingen des Werkes mit Befriedigung zu; endlich, als es vollendet, führt ihn eines Tages der Unstern mit Pinsel und Palette vor die Landschaft, während sein Sohn im anderen Zimmer beschäftigt ist; er vertieft sich im Anschauen des Bildes, dann erhebt er, seine Rechte mit einem lackgefüllten Pinsel – er zieht einen großen flammend rothen Halbkreis über die Leinwand, dann einen gelben, einen violetten, und triumphirend ruft er:

›Manfred – jetzt komm', sieh' und freue Dich! – Deinem Werke ist der Stempel der Vollendung, die Weihe des Genius aufgedrückt; es fehlte mir immer etwas in Deiner Landschaft, meine Hand hat es mit einem Wurf hineingezaubert.‹

Der Sohn stürzte Unheil ahnend herbei, und als er den Regenbogen in seinem Werke erblickte, der gar nicht hineingehörte, hätte er sich die Haare ausraufen mögen. – Es blieb nichts übrig, als das Bild in einen Winkel zu werfen. Aber glauben Sie, daß der große Peter Paul dieß gelitten hätte? Nein, das Bild mußte zur Ausstellung gesandt werden, wo es den Spott aller derer auf sich lud, die es sahen; aber Manfred schwieg – er hat nicht nur sein Leben, seine Kunst an seinen Vater verloren – er hat sich auch durch ihn lächerlich machen lassen, und das alles mit der stillen Ergebenheit eines Märtyrers.«

»Ach, deßhalb spottete der Prinz über seine Kunst im Regenbogenmalen; aber das ist ja rührend!« sagte Gräfin Merwing »ich will ihn sprechen und sehen, ob ihm nicht zu helfen ist.«

Sie stand auf und verabschiedete den Buchhalter mit einer Verbeugung.

Manfred war unterdeß nach Constanzens Geheiß in die Galerie geführt worden. Ein Haushofmeister hatte ihm gesagt, daß die Gräfin ihn sprechen wolle, wenn er die Galerie gesehen, und dann hatte er die verschlossenen Flügelthüren eines großen Raumes vor dem jungen Manne geöffnet, aus dem eine kalte und winterliche Luft dem Eintretenden entgegenströmte: es war ein hoher, weiter Saal, decorirt in jenem Style, welcher den Uebergang von den Rococo-Formen zum Geschmack der Zeit Josephinens bildete – cannelirte Pilaster an den Wänden, stark vortretende Gesimse und anderes mit allerlei steifen Kränzen und Schleifen verschönertes Griechenthum. Der Saal hatte keine Fenster, sondern nur eine, ganz oben, durch das Wand- und Decken-Gesims gebrochene Reihe von runden Lucarnen, welche die Architekten Ochsenaugen nennen.

Durch diese Oeffnungen fiel ein vortreffliches mildes Licht auf die schönen Gemälde herab, welche an der entgegengesetzten Wand hingen – meist ältere nachgedunkelte Werke in bescheidenen Goldrahmen, die eine Sammlung von großem Werthe und von großem Interesse bildeten. Es waren meist italienische und spanische Meister, weniger Niederländer, und von altdeutschen Sachen nur einige da, Portraits von den Holbein, Lucas Kranach und Dürer. Manfred, der in seinem Visiten-Anzuge fröstelnd von einem zum andern schritt, erkannte bald den Sinn, den Geschmack, welcher den Sammler dieser Galerie belebt haben mußte. Es waren nämlich nur Bilder aufgenommen, deren Gegenstand ein anziehender war und der entweder dem Geist des Beschauers einen fertigen Eindruck machte, oder seine Phantasie beschäftigte … es war dagegen alles entfernt gehalten, was nur durch seine Ausführung Werth erhält: Blumenstücke, Stillleben, Schafe und nichtssagende Genrebilder waren nicht da – desto mehr historische Scenen, Landschaften von reicher Composition, besonders aus fremden Zonen und mit fremder Vegetation, und dann sehr viele Portraits.

Manfred war beinahe bis zum Ende seiner Rundschau gekommen, die er in der Beklommenheit, womit ihn der Gedanke erfüllte, daß er nachher sich zu Constanzen führen lassen müsse, geflissentlich verlängerte, als er plötzlich das Rauschen eines Gewandes hinter sich vernahm. Er sah sich um – Constanze stand hinter ihm und nickte ihm einen freundlichen Gruß zu. Sie mußte durch eine Tapetenthür eingetreten sein, die Manfred nicht bemerkt hatte.

Manfred's Herz schlug heftig, als er so plötzlich die bewunderte Dame vor sich sah, welche die Blüthe von allem Vornehmen und Glänzenden war, was es in seiner Vaterstadt gab; und es klopfte noch höher, als er sich verbeugte, weil er das Bewußtsein hatte, daß seine Verbeugung eine sehr linkische sei, und weil er dabei noch über eine Falte in dem an den Wänden umherlaufenden Teppichstreifen strauchelte. Zum Glück schien Constanze dieß und ob er überhaupt sich verbeugte, gar nicht zu bemerken; sie hatte die Augen auf ein hoch oben an der Wand hangendes großes Bild gerichtet, eine Copie der schönen Madonna, wie sie dem heiligen Ildefons eine Chorkappe überreicht, gemalt von Murillo und jetzt in der Madrider National-Galerie verwahrt.

»Haben Sie das Bild betrachtet? – das ist mir das liebste von allen in meiner Sammlung; in dem Kopfe dieser Madonna ist eine romantische Innigkeit, die mich an die schönsten deutschen Gesichter erinnert; es ist überhaupt auffallend und kein geringes Compliment für uns deutsche Frauen, daß Italiener und Spanier, wenn sie die höchste Weiblichkeit darstellen wollen, die nationalen Typen ihrer Heimat vollständig fallen lassen und blonde deutsche Jungfrauenköpfe als Madonnen malen.«

»In der That, es ist ein deutscher Frauenkopf, und wenn der große Esteban Murillo je in Deutschland gewesen wäre, so möchte ich glauben, er habe das Portrait einer Dame aus …«

Constanze unterbrach Manfred, der zagend stockte.

»Aus meiner Familie genommen, wollen Sie sagen,« ergänzte sie »man hat mir oft gesagt, daß dieses Gesicht mir gleiche, und ich glaube es selbst.«

Manfred sah sie verwundert an; ein solch' vornehmer Gleichmuth des Selbstbewußtseins war ihn etwas völlig Fremdes.

»Aber,« fuhr Constanze fort, »Sie haben sich schon viel zu lange hier aufgehalten; dieser Saal nämlich enthält meine Galerie, wie ich sie mir geordnet und ausgesucht habe, und deshalb ist sie nichts für Sie, der Sie ein Künstler sind; für Sie habe ich einen zweiten Saal, worin Sie schwelgen können.«

Sie schritt zu einer Flügelthür im Hintergrunde, winkte Manfred, zu öffnen, und trat dann mit ihm in einen zweiten Raum, der, eben so wie der vorige decorirt, eine noch größere Menge von Gemälden und darunter, im Gegensatze zum früheren, viele neuere enthielt.

»Sehen Sie, das ist für Sie,« sagte sie hier, »da können Sie sich berauschen in der schmutzigen Wolle Verboekhoven'scher Himmel; da giebt es Landschaften, wie Ihr sie bewundert, von unaussprechlicher Langweiligkeit, aber eben so unaussprechlich meisterhaft gemalt; herrliche Genrebilder mit schreienden Eseln und runden Dirnen, welche sich die Strumpfbänder befestigen. – Da haben Sie die ganze moderne und ältere Malerei, wie Ihr sie eben wollt.«

»Wir – das heißt …«

»Die Maler, die Leute vom Fach, die Kenner, die Kunstrichter, kurz, alle die, deren Urtheil die Künstler beachten müssen und welche die Kunst verderben; die Menschen, die in der Malerei nur die Ausführung und die Kunstfertigkeit in's Auge fassen, die unsere Künstler immer tiefer haben sinken lassen in eine unendliche Geistesleere und Gedankenlosigkeit, die nie von der Idee, vom Schönen, vom Ideal reden, sondern nur von Zeichnung, Gruppirung, Tinten, Lasuren u. s. w., bis endlich die Malerei alle Bedeutung für das moderne Leben und, aufrichtig gesagt, die Personen unserer Maler alles und jedes Interesse verloren haben. Unsere Kunst wird nur dann wieder etwas geworden sein, wenn man aus der Zahl der Maler, wie zu Ruben's Zeiten, Gesandte oder, wie zu den Zeiten Cranach's, Staatsmänner oder, wie zu den Zeiten Michel Angelo's, große Dichter hervorgehen sieht. So lange aber soll man über Malerei nur Laien von Geschmack und Gefühl, aber keine Männer vom Fach hören.«

Manfred war wieder in Erstaunen versetzt über das cavaliere Urtheil, womit die Gräfin so in Bausch und Bogen einer ganzen Generation den Stab brach. Er fühlte sich davon in eigenthümlicher Weise unangenehm berührt; auch war es ihm nie vorgekommen, daß ein junges Mädchen in seiner Gegenwart so frei weg von Strumpfbändern gesprochen hätte. Er fühlte, daß zwischen ihm und der Gräfin noch etwas Anderes, als die Verschiedenheit der Geburt, wie eine Kluft gähne; ein ganz anderes Wesen, eine ganz andere Art, zu sein, zu denken und mit der Welt zu leben, war das. Das Bewußtsein der gesellschaftlichen Höhe und des Ranges, die Sicherheit bevorzugter Stellung schienen einen Muth, ja, Uebermuth des Urtheils, eine Keckheit des Selbstgefühls der übrigen Welt gegenüber in der Gräfin hervorgerufen zu haben, die dem jungen Künstler etwas ganz Neues waren. Aristokratisches Wesen und aristokratische Umgangsformen waren ja nach aller Welt Behauptung gleichbedeutend mit peinlichster Steifheit. Und nun schien das so ganz anders!

Manfred fühlte sich dabei halb gedemüthigt wegen seiner bescheidenen, schüchternen Sinnigkeit, womit er an die Erscheinungen dieser Welt herantrat, halb auch verdammte er dieses vornehme cavaliere Wesen wegen seines Uebermuthes. Und doch lag etwas darin, was ihn reizte, etwas, was er sich selbst hätte wünschen mögen. Seine Seele hatte eine außerordentliche Frische, und bei ihrer Reinheit und ursprünglichen Natürlichkeit erhielt er tausend widrige Eindrücke von Dingen im Leben, welche gegen diese Ursprünglichkeit verstießen und von ihm verworfen werden mußten. Aber sein Herz war zu gutmüthig zum entschiedenen Verurtheilen – er suchte zu entschuldigen, und dabei stumpfte seine Ursprünglichkeit sich ab. Ja, er hätte sich den rücksichtslosen Muth der Selbstvertheidigung gewünscht, solches Vertrauen auf das unbedingte Recht seines persönlichen Gefühls gewünscht, um dieses so unbefangen geltend zu machen, ohne zu beachten, welche Streiche dabei Andere erhielten. Freilich – er war zu diesem Muthe nicht erzogen worden. Peter Paul Wallpott, sahen wir, war nicht der Mann, der seinen Sohn zum Muthe des Selbst erzog.

»Sie bilden sich zum Landschaftsmaler aus?« fragte Constanze.

»Ja wohl!«

»Wozu wollen Sie gerade Landschaftsmaler werden, was denken Sie dabei?« fuhr sie lebhaft fort.

Manfred blickte sie bei dieser viel umfassenden Frage verwundert an. Nach einer Pause antwortete er:

»Was ich will? Das habe ich mir selbst noch nicht klar ausgesprochen. Ich könnte sagen: Ich will nichts weiter, als einem künstlerischen Nachahmungstriebe folgen und Landschaften malen, wie der Biber Häuser baut. Ich könnte auch mit einem Aufwand von vielen schönen Worten einen besonderen moralischen Zweck meiner Kunst angeben. …«

»Lassen Sie einmal hören!«

»Ich könnte sagen: Ich will den Leuten in die allgemeine, tagtäglich weiter schreitende Seelenverarmung Mahnungen stellen, Spiegelbilder der Natur stiften, in denen sie kühle, klare Brunnen rauschen, frischen Windeshauch durch die Wipfel weben und den Schrei des Falken über den Klippen hören; ich will sie zwingen, den wunderbaren Zauber, der um abendliche Höhen schwebt, zu fühlen, oder ihre Seelen in die geisterhafte Flut von Schweigen und Ahnung zu tauchen, welche durch dunkle Waldeinsamkeit wogt. Ich will ihnen in den einzelnen Bäumen ahnungdurchschauerte stumme Beter zeigen, die vor dem Antlitze Gottes stehen und sich zu ihm emporstrecken, oder das Haupt schütteln und wiegen im Sinnen über die dunklen Geheimnisse der Welt … Das will ich, ich will die Welt erquicken, wie Christus, denn die Kunst ist ein Heiland … So könnte ich sagen, Gräfin – aber, bei Gott, ich weiß selbst nicht, ob ich bei jener ersteren oder bei dieser letzteren Angabe die eigentliche Wahrheit spräche.«

Constanze sah den jungen Menschen mit seinem flammend-rothen Gesichte eine Weile groß an; dann sagte sie:

»Sie sind doch ein Künstler. Es ist Instinct in Ihnen und Bewußtsein zugleich. Nur jedenfalls kommt es darauf an, ob Sie mit beiden ausgerüstet der Technik Herr werden. Davon hängt es ab, ob sich die Welt von Ihnen wird erquicken und erfrischen lassen wollen, das heißt, ob Sie ein wirklicher Maler werden. Aber ein Dichter können Sie werden.«

Manfred schüttelte mit dem Kopfe.

»Zum Dichter tauge ich nicht; ich habe keine hinreichende Illusionsfähigkeit! Die Welt erscheint mir nicht in einem Lichte, daß ich sie besingen könnte,« sagte er melancholisch.

Constanze antwortete mit einem Lächeln auf diese schwermüthige Betheurung:

»Sie sind noch sehr jung aber ich will Sie jetzt allein lassen, damit Sie auch diesen Saal mit Muße betrachten können.«

Manfred fühlte sein Herz plötzlich wieder höher schlagen – sie wollte gehen, und er hatte ja noch ein Geheimniß ihr anzuvertrauen, sie zu warnen – er wußte nicht, wie er es anbringen sollte, es war auch etwas, das ihn zurückhielt, ein Etwas, das ihm zuflüsterte, wenn er Constanzen seine Warnung ausgerichtet, dann sei nun alle Beziehung zwischen ihm und der schönen Gräfin zu Ende, und so stockte er und stockte, bis er noch verlegener wurde, denn sie fuhr fort:

»Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, Herr Wallpott; haben Sie in Gouache oder in Aquarell gemalt?«

»In Aquarell, in Gouache nicht!«

»So nehmen wir Aquarell-Farben! ich möchte eine Ansicht meines Landsitzes zu Melsenz haben … wollen Sie die Tagereise hinaus machen und mir das Bild malen?«

Wallpott verbeugte sich freudig überrascht. Constanze nickte wieder einen kurzen anmuthigen Gruß und verschwand mit raschen Schritten aus dem Saale. Manfred verließ bald nach ihr die Galerie; es war ihm unmöglich, seine Aufmerksamkeit auf die Gemälde zu fesseln. Der ehrenvolle Auftrag, den er erhalten, die Aufregung bei dem Gedanken, daß er jetzt die Gräfin wohl öfter sehen werde, die Aussicht, statt sie bloß warnen, in Melsenz ja auch über sie wachen zu können – das alles wirbelte ihm im Kopfe durch einander.

Als er wieder in der alterthümlichen Behausung des officiellen Künstlers Herrn Peter Paul Wallpott angekommen war und seinem Vater sein Glück mitgetheilt hatte, fühlte sich dieser thurmhoch in seinem väterlichen Stolze gehoben.

»Nun siehst Du, Junge,« sagte er, »wie gut es war, daß ich Dich zwang, Deine Landschaft auf die Ausstellung zu senden … Die prismatische Brechung der Lichtstrahlen auf dunkler Wolkengrundirung hat einen enormen Effect hervorgebracht – ja, ja, ich sagte es Dir, Du bist berühmt dadurch geworden; Dank dem väterlichen Pinsel, Dank einem Künstler, dessen Genius von zwei Schwingen getragen wird …«

Herr Peter Paul Wallpott wurde an dieser schönen Stelle seiner Rede von einem Lakaien in reich galonnirter Livrée unterbrochen, der eintrat, um Manfred ein versiegeltes Couvert zu überreichen. Als der junge Mann es öffnete, fand er darin eine von der Gräfin geschriebene Anweisung über 100 Thaler auf das Haus ›Habicht et Compagnie‹ und ein Billet Constanzens, adressirt an ihren Verwalter zu Schloß Melsenz.



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