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Gräfin Constanze blieb eine Weile in Nachdenken versunken, dann, als suche sie sich von ihren Gedanken zu befreien, erhob sie das Haupt und musterte all die Pracht, welche sie umgab. Herr Habicht hatte bei seiner Vermälung dem ganzen Hause eine andere Einrichtung gegeben und dabei auf's Neue den außerordentlichen Geschmack bewiesen, der ihn schon lange zum Rathgeber aller eleganten Damen gemacht hatte.
Der Salon, in welchem die Frau vom Hause in diesem Augenblicke empfing, war weiß und roth decorirt; rother Damast in Panneaux bedeckte die Wände, eingefaßt von weiß lackirten Rahmen und Lambris mit reichen Vergoldungen auf den Leisten und den geschnitzten Blumen-Guirlanden. Ueber den vier Flügelthüren waren die vier Jahreszeiten dargestellt, Landschaften von der genialsten Erfindung und märchenhaft phantastischem Geiste. An der Wand, welche dem Haupteingange gegenüber lag, befand sich ein Kamin, mit weißem Marmor eingefaßt, und über demselben eine ungeheuer große Scheibe starken Glases, durch welche der Blick in den zweiten Salon fiel, und die, da Jedermann beim Eintreten in ihr einen Spiegel zu sehen glaubte, den seltsamsten optischen Effect hervorbrachte.
Der zweite Salon war mit grünen Sammt-Tapeten ausgeschlagen, Vorhänge und Portieren aus demselben Stoffe; einige sehr sorglich restaurirte und überfirnißte Ahnen der jungen Frau vom Hause schmückten in goldstrotzenden Rahmen diesen Raum.
Dann kam der Tanzsaal mit seinem feinen Parquet von Münchener Schreinerarbeit, die Wände getäfelt und auf's Reichste mit Zierrathen im Geschmacke des Zeitalters, dem Franz I. und Primaticio ihre Namen aufprägten, mit Hautrelief-Figuren und harmonisch gewählten dunkleren Farben geschmückt. Eine große halbrunde Nische war bis oben hin mit exotischen blühenden Gewächsen bekleidet; unten plätscherte ein Springbrunnen und warf aus seinem marmornen Bassin in starkem Strahl den dürstenden Blumen Tropfenschauer zu, durch welche die hellen Gaslichtstrahlen einen zitternden Regenbogen flochten. Hinter dieser Blumennische war das Orchester verborgen, so daß hier Duft, Töne und Farben bald in einander überzufließen und bald wie in feenhaftem Bewegtsein sich wieder zu lösen schienen.
Am Ende des Tanzsaales befand sich ein maurisches Cabinet, nach Zeichnungen aus der Alhambra angelegt: bei Tage strömte das Licht durch eine Kuppel von oben ein, jetzt war das allerliebste, feenhafte Cabinet nur durch das Licht erhellt, das aus dem Tanzsaale kam, und in dieser halben Beleuchtung, welche die schreienden Farben milderte, nahmen sich seine schlanken Säulchen, seine kühngeschwungenen Arabesken, seine abenteuerlichen Bogenformen doppelt phantastisch aus. Das war ja auch die Absicht: vom ersten Eintritt in's Haus stufenweise in eine immer phantastischere Welt zu führen und den Gast endlich, ganz von alltäglichen Formen und Gestalten fortgelockt, in eine märchenhafte Welt, in einen Zauberpart der Schönheit und des Glanzes zu versetzen.
Constanze hätte denn auch in der That vor Freude beinahe aufjubeln mögen, als sie in die Galerie trat, welche auf die Alhambra-Zelle folgte; sie sah sich wie mitten in das Reich der Blumen-Göttin, wie in das innerste Heiligthum Flora's getragen. Sie war in einem Walde, wie man sich einen Wald in den Thälern des schönsten und fernsten Bandes der Sagenwelt denkt. Die Wände waren wie verschwunden, Alles bedeckte die reichste und üppigste Pflanzen-Vegetation, und eben so war die Decke verschwunden; denn Palmen, Bananen, Stämme von außerordentlicher Größe reichten sich von rechts und von links die hohen schöngeschwungenen Arme und überwölbten den Raum mit ihrem Laube. Zwischen diesem Laube strahlten die schönsten der Blumenkelche – so schien es wenigstens – das Licht aus: es waren weiße Lilien-und Daturakelche, rothglühende Cactusblüthen, die, aus mattgeschliffenem Glase nachgebildet und in dem Laube vertheilt, die Gasflammen umfingen. Das Ganze war wie einer Traumwelt angehörig.
Am Ende dieses Blumenreiches befand sich ein halbrundes Bogenthor, wie der Chorabschnitt einer Kirche, von den weitaus greifenden Armen zweier riesigen Latanien gebildet. Es war der Eingang zu einem runden Gemache, dessen Wände eben so wie die des vorderen Raumes von einem üppigen Pflanzendickicht bedeckt waren. Im Hintergrunde dieser Rotunde war eine Art von Altar errichtet, eine tafelartige, mit Moos, Muscheln und kostbaren Erzstufen bedeckte Erhöhung, von einer Reihe hoher, blumen- und laubumwundener Bogen überspannt, die sich nach hinten perspectivisch verkleinerten, so daß sich eine Nische bildete; in den Bogen hingen goldene Käfiche mit ausländischen Vögeln von buntem und farbenreichem Gefieder, und zwischen den Bogen rankten sich blühende Pflanzen, Azaleen, Calciolarien und andere in strotzender Fülle empor.
Im Hintergrunde aber unter dem letzten und kleinsten der Laubbogen leuchtete die weiße Marmor-Gestalt einer schlanken Najade durch die grüne Blätterfülle und warf mit zurückgebeugtem Haupt aus der Schale in ihrer anmuthig emporgehobenen Hand einen Wasserstrahl in die Höhe, der in funkelnden Perlchenschauern in eine weiße Muschel niederplätscherte; rechts und links glänzten in großer Glaskugeln die goldenen Schuppen spielender Goldfische, und über Alles gossen die reichsten Gasflammen ihre Lichtströme aus.
Vor diesem Altar, in der Mitte des Raumes, aber befand sich die Krone des Ganzen, die eigentliche Königin der Zauberwelt ringsum. Ein großes rundes Bassin mit breitem moosbedecktem Rande war in den Boden eingelassen, so groß, daß es über die Hälfte des ganzen Raumes einnahm, und auf dem Wasser schwamm, bei Constanzens Nahen in leises Schaukeln gerathend, die Königin der Blumen, die wunderbarste Blüthe des Pflanzenlebens, die Riesen-Nymphäe Victoria Regia. Sie strömte den herrlichen Duft aus den ungeheuren Kelchen, die, blendend weiß, in der Mitte sich dunkelrosenroth gefärbt hatten, während ihre braungrünen Blätter so mächtig weithin sich über das Wasser legten, daß sie einem Kinde hätten als Nachen dienen können.
Constanze stand lange vor der Blume und sog den süßen Duft ein und berauschte sich an der Schönheit dieses eigenthümlichen Gebildes, welches sie heute zum ersten Male sah. Sie empfand eine so tief innere Freude an diesem wunderbaren ergreifenden Anblick, daß sie hätte aufjubeln mögen – und dann wieder weinen; denn das war die gewöhnliche Wirkung der Schönheit auf sie, daß sie inmitten einer herrlichen Landschaft oder vor einem erhabenen Werke der Kunst Thränen in ihre Wimpern treten fühlte.
Sie hörte Schritte hinter sich, und im lebhaftesten Mittheilungsdrange wandte sie sich rasch mit den Worten um: »Ach, ich bitte Sie, kommen Sie, sehen Sie …«
Constanze unterbrach sich – sie hätte Alles in der Welt gegeben, hätte sie diese lebhafte Einladung, ihre Freude zu theilen, zurücknehmen können. Der Schall von Tritten, den sie vernommen, war durch nichts Anderes hervorgebracht, als durch die äußerst schmalen, äußerst glänzenden Ballstiefelchen Seiner Hoheit des Erbprinzen August.
Der Prinz August war eine feine Gestalt von mittlerer Größe, die in jeder Bewegung eine bei einem Manne auffallende Anmuth zeigte; seine Züge waren hell und rosenroth und hatten etwas Gewinnendes durch den Ausdruck von rückhaltlosem Wohlwollen; doch blitzte neben diesem Ausdrucke der aufrichtigsten Herzensgüte aus seinen blauen Augen auch ein Zug von schalkhafter Heiterkeit, von jenem Humor, der sich gebildeten Naturen, wenn sie viel unter Menschen sich bewegen, unwillkürlich anheftet und bei den weniger wohlwollenden in Spott und Ironie übergeht. Der Prinz war in eleganter Ball-Toilette. Auf seinen Rang deutete nichts als das Großkreuz seines Hausordens, das sich an einem himmelblauen Moirée-Bande um seine weißseidene Halsbinde schlang, und der Orden des goldenen Vließes, der an einem vierfach genommenen goldenen Kettchen in seinem Knopfloche hing.
Constanze suchte ihre kleine Verlegenheit durch einen Scherz zu bemänteln. »Verzeihen Sie, Hoheit,« sagte sie mit einer tiefen Verbeugung, »meine respectwidrige Anrede – ich ahnte nicht, wem ich den Frevel beging, den Rücken zuzuwenden!«
»Wie grausam, erlauchte Gräfin!« antwortete der Prinz im selben Tone – »als ob Sie nicht schon durch Schiller's Glocke orientirt sein könnten, wenn Sie Schritte ›auf Ihren Spuren‹ vernehmen!«
»Aber in der That, Prinz,« fuhr Constanze erröthend und rasch ablenkend fort, »sehen Sie einmal diese wunderbare Pflanze an. Ist das nicht unaussprechlich schön?«
»Sie haben Recht, Gräfin es ist ein außerordentlich schönes Exemplar der Nymphaea gigantica – es ist eine erst kürzlich entdeckte Pflanze, die man aus dem Innern Australien's zuerst nach England und dann nach Belgien, nach Gent, wenn ich nicht irre, verpflanzt hat.«
»Und die nun, wie alles Schöne, endlich hier in Deutschland bei deutschem Verehrungsdrange erst zu ihrer wahren Würdigung gelangt.«
»Weßhalb sagen Sie das?«
»Ei, sehen Sie denn nicht, daß man ihr einen Tempel erbaut und einen förmlichen Altar errichtet hat?«
»Den Altar, neben dem ich Sie finde, nur der todten Blume?«
»O, wie galant!« rief spöttisch Constanze – »nein, ganz im Ernst, mein Prinz, ich bin nur die Priesterin in diesem Heiligthume; darum nehmen Sie sich in Acht, Prinz, ich bin ernst und streng gegen jede Fadheit, unerbittlich wie Iphigenie, als sie der taurischen Göttin diente!«
»Dann,« fiel rasch mit halblauter und bewegter Stimme der Prinz ein, »müssen Sie auch mit Iphigenie sprechen:
›Weh' dem, der fern von Eltern und Geschwistern
Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram
Das nächste Glück von seinen Lippen weg …‹«
»Ach, Sie sind unausstehlich, Sie wissen Alles auswendig,« antwortete Constanze tieferröthend – »Schiller, Göthe …«
»Es ist besser, als wenn man mich auswendig wüßte! – Sie machen dabei ein ironisches Gesicht, Gräfin Constanze; Sie denken: als ob man Dich nicht auswendig kennte, nicht wahr? und doch …«
»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Prinz!« fiel Constanze hastig ein, »ich bin durchaus nicht so eingebildet, wie Sie glauben; daß ich Sie nicht auswendig kenne, zeigen Sie mir eben jetzt; denn ich hätte gedacht, daß Sie sich ganz anders mit mir über diese Schönheit hier freuen würden, und statt dessen –«
»Ich bewundere die Priesterin eben mehr, als die Göttin …«
»Statt dessen machen Sie höchst fade Complimente. Können Sie denn wirklich kalt bleiben bei diesem himmlischen Anblick?«
Ueber das Gesicht des Prinzen lagerte sich ein Ausdruck, den man halb als Aerger, halb als Trauer deuten konnte. Er verschränkte die Arme auf der Brust, und zu der Nymphaea hinabblickend, sagte er:
»Glauben Sie das nicht, Constanze: ein solcher Anblick übt einen mächtigen Zauber auf mich, so mächtig, daß er Jedem ein unverständliches Geheimniß wäre, der nicht meine ganze Lebensrichtung durchschaut!«
»Da machen Sie mich in der That neugierig – ein geheimnißvoller Zauber, der Sie und die Blume, den Märchenprinzen und hier die verwunschene schlummernde Schönheit zu unseren Füßen verknüpft? – O, man sollte sie zusammen abmalen, den Prinzen und die Blume; sie gäben beide zusammen eine prächtige Vignette zu einem Capitel aus Tausend und Einer Nacht!«
»Sie sind heute so spöttisch, Constanze, daß sich gar nicht ernstlich mit Ihnen reden läßt.«
»O, ganz im Gegentheil, ich bin, wenn ich etwas recht Schönes sehe, immer in der ernstesten Stimmung von der Welt, ich wäre aufgelegt, über die letzte Bestimmung des Menschen und über die düsterste Faustfrage der Existenz zu discuriren, wäre es nicht gegen alle Regeln der Schicklichkeit, auf einem Balle an so etwas zu denken und die Gemüthsruhe eines Prinzen mit so hochverrätherischen Belästigungen zu unterbrechen.«
Dem Prinzen that dieser fortwährende Spott Constanzens, zu dem ihm freilich jeder Schlüssel fehlte, innerlich weh! Um diese Stimmung in ihr zu ertödten, war es ihm wirklich ganz willkommen, zu irgend einem Gegenstande voll tiefen Ernstes überzugehen; darum antwortete er:
»Bitte, nennen Sie mir eine der düsteren Faustfragen, welche Ihren Sinn gefangen halten – vielleicht, daß hier in diesem Heiligthume, das wie die Nandana, des hohen Gottes Indra Lusthain, duftet, in diesem exotischen Versteck voll von Farben und Düften, die vom Ganges stammen, etwas von brahminischen Tiefsinn über uns kommt und es uns gelingt, dem Räthsel der Schöpfung um einen Schritt näher zu treten!«
»Ist das wirklich Ihr Ernst? Hier, wo wir mit allem diesem Luxus, ich möchte sagen, dafür bezahlt werden, uns zu amusiren, dürfen wir uns da in abstruse Grübeleien versenken und mit gerunzelten Stirnen fragen: was ist der Urgrund aller Dinge? oder: was halten Sie für die Bestimmung des Menschen?«
»Weßhalb nicht?« entgegnete Prinz August lächelnd: »die Bestimmung des Menschen? Darauf kann ich gerade hier die beste Antwort geben. Da die Blume ist meine Antwort – wir sollen werden, was sie, wir sollen uns zu einem schönen Dasein entfalten!«
»Und dann verblühen, sterben?«
»Nein – indem wir hier zu einer geistigen Blüthe werden, geben wir der Menschheit nicht verloren; sie blüht in uns auf, und je mehr, je reicher sie blüht, je mehr Menschenknospen dahin gelangen, die ganze Blätterpracht, welche in ihnen verborgen, auch wirklich zu entfalten, desto schöner wird die Menschheit im Ganzen, desto reiner, göttlicher, edler stellt sich die Gesellschaft dar, desto näher treten wir dem Ideal.«
»Das ist mir doch für uns Menschen zu blumenhaft; unsere Aufgabe ist doch wohl, zu wirken, zu arbeiten, zu streben.«
»Streben! nun ja – das Streben, innerlich zu wachsen, zu werden.«
»Kein Streben nach außen? Sollten wir außer Resultaten für uns nicht auch unmittelbar Resultate für Andere zu erreichen suchen – sollte nicht handeln auch zu unserer Bestimmung gehören?«
»›Höh're Naturen
Zahlen mit dem, was sie
sind!‹«
antwortete der Prinz mit Goethe.
»Das ist eine gefährliche Lehre. Das giebt Blumen, die allerdings schön sein mögen wie die vor uns, aber die auch wie diese sich stumm und in sich selbst versenkt auf einem kalten, farblosen Elemente schaukeln – dem Egoismus.«
»Was ist Egoismus?« antwortete der Prinz; »ist es etwas Verwerfliches? Das Schöne ist aristokratisch, es ist exclusiv, es ist egoistisch – das ist seine Natur – wer kann es tadeln?«
»Sie sprechen immer vom Schönen!« – fiel Constanze ein, indem sie, nur noch an die aufgeworfene Streitfrage denkend, sich auf einen der beiden kleinen chinesischen Rohrstühle niederließ, die der Prinz eben herbeigeholt hatte.
»Nennen Sie es statt des Schönen das Ideal,« unterbrach sie Prinz August, »oder wie Sie wollen, das Göttliche. Aber weßhalb ist es das Göttliche, warum ist es das Ideal? Doch nur, weil es das Urbild des Schönen ist. Sie werden immer auf die Schönheit zurückkommen. Das Schöne ist die Krone, der höchste Aufschwung der Schöpfung – es ist das, was zu erreichen unsere letzte irdische Aufgabe ist. Weßhalb lächeln Sie, Constanze?«
»Ich denke an Filippo Neri, den wunderlichen Heiligen, und seine Frage an seinen hoffnungstrunkenen jungen Freund: ›Und dann?‹ Wenn Sie das Schöne erreicht haben – und dann?«
»Die Antwort darauf liegt jenseit unseres Gesichtskreises. Wir bewegen uns in einem Raume voller Dunkelheit; nur durch eine schmale Oeffnung strahlt ein himmlisches Licht in diese Oede; dieser Strahl des Glanzes einer jenseitigen Sonne ist das Schöne: was sollen wir anders thun, wir armen irrenden Geister, als uns an diesem Strahle emporheben, so weit wir eben kommen können?«
»Bei Ihrem ausschließlichen Cultus des Schönen müßten die Künstler die am höchsten stehenden Menschen sein.«
»Nicht immer. Die meisten Künstler suchen das Schöne zu gestalten, aber nicht sich selbst schön zu gestalten. Sie streben dem Schönen nach, nicht damit es ihnen, sondern damit es ihrer Leinwand oder ihren Versen zu Gute kommt. Nennen Sie mir aber Künstler jener Art, von denen die Sand sagt: ›Kein großer Künstler ohne große Traurigkeit,‹ oder Naturen, zum Beispiel wie Göthe, dann sage ich gern Ja.«
»Da haben wir's: wie Göthe! das ist der große Abgott aller Egoisten, aller bequemen Genußsüchtigen.«
»Verachten Sie mir den nicht, Gräfin Constanze! Glauben Sie mir, es hat eine ungeheure, eine ehrfurchtgebietende Arbeit dazu gehört, das zu werden, was dieser Mann geworden ist. Diese Nymphaea gigantica im Pflanzenreiche der Menschheit hat ihre Wurzeln in die tiefsten Abgründe des Daseins senken, sie hat den reinsten Aether, der die Höhen des Gedankens umflutet, trinken müssen, um so groß und mächtig zu werden, um mit ihren Blättern das Geistesleben einer Nation überschatten und in ihrem Kelche den Samen für die geistige Aussaat eines Jahrhunderts zeitigen zu können. Sagen Sie mir, Constanze, wenn wir Alle eine solche harmonische Bildung, ein solches überall die Schönheit spiegelndes Wesen erreichten, hätten wir damit nicht genug erreicht, für uns und für die Welt?«
Constanze schüttelte sinnend das Haupt.
»Gewisse Naturen, ja,« sagte sie; – »aber als Norm, welche die Thätigkeit Aller regeln soll, kann ich Ihre Ansicht nicht gelten lassen. Sie denken sich die Welt ruhend, – freilich charakteristisch für einen Prinzen, dessen Thätigkeit im ›Geruhen‹ besteht. Ich denke sie mir in Bewegung; oder besser, Sie überschauen von Ihrer Höhe herab die Welt, ich überschaue nichts als das Leben, welches an mir vorüberströmt. Inmitten dieses Stromes, der in ewigem rastlosem Treiben ist, frage ich: was soll der Mensch? Sie antworten: auf eine stille Insel treten und schön zu werden suchen, umgeben von Plato und Spinoza und Hegel und anderen Erfindern von kosmetischen Mitteln des Geistes. Das ist am Ende eine brahminische Lotosträumer-Weisheit; nein, am Ende würde das uns zu den Ascetikern und Mönchen zurückführen, so verschieden, das gestehe ich gern, auch der Geheimerath von Göthe, von dem Sie ausgehen, und der seraphische Pater Franziscus von Assisi sein mögen. – Ich meinerseits glaube, nicht sich allein eine Arche bauen soll der Mensch, sondern mitbauen am großen Schiffe, das uns Alle über die Fluten, die das Menschengeschlecht bedrängen, an die Ufer einer glücklicheren Welt tragen kann; und nicht allein mitbauen, auch mitrudern muß unsere Hand, wenn einst das große ›glückhafte‹ Schiff fertig geworden.«
»Ich muß Ihnen zu meiner Beschämung gestehen, daß ich das ›glückhafte‹ Schiff nicht kenne, aber wohl Sebastian Brand's ›Narrenschiff‹,« fiel lachend der Prinz ein, »verzeihen Sie diese litteraturhistorische Reminiscenz aus einer Zeit, die sich nicht sehr durch Höflichkeit auszeichnete. Doch in der That, ich glaube nicht an die Vollendung des Schiffes, und ich bedaure die Kräfte, welche die Schwärmerei so vieler Hunderttausende, die Holz dazu zusammentragen, vergeudet.«
»Aber Sie werden mir nicht widersprechen können, daß diese Schwärmerei in allen Menschen lebt, welche überhaupt eine Lebhaftigkeit des Geistes in sich tragen. Welche Naturen stellen Sie am höchsten?«
»Die contemplativen.«
»Ich die genialen.«
»Und die genialen Naturen?«
»Fühlen insgesammt den Drang und Trieb, zu schaffen. – Das ist die höchste Aeußerung der Gottheit. Das Schaffen ist also auch die höchste menschliche Lebensäußerung; können wir nicht schaffen, so sollen wir wenigstens streben, wirken, handeln. Ihre Pflanze, die im Treibhause der Bildung, aus dem mit der Asche aller Geschlechter vor uns gedüngten Boden ihre Nahrungsstoffe zieht, mag sich zu einer schönen Blume entwickeln, aber der Mensch ist eben Mensch und nichts Lebloses – das Lebendige ist aber das Wollen, das Streben, das Erreichen. Der Geist ist eine elektrisch gefüllte Wolke; Sie wollen diese Wolken in schöner Gestaltung ruhig und still am Lebens-Horizont vorüber ziehen sehen – ich will, daß der Blitz daraus niederschmettre, der Donner rolle. Ich will Licht, Glanz, Feuer!«
» Und dann?« fragte Prinz August lachend.
»Dann!! Das Dunkel wartet Ihrer, wie meiner!« versetzte Constanze.
Sie wurden an dieser Stelle ihres Zwiegesprächs unterbrochen. Mehrere Gruppen von Gästen nahten sich plaudernd, bewundernd und neugierig. Als sie den Prinzen in so eifriger Unterhaltung erblickten, blieben sie freilich in respectvoller Entfernung; doch war das Gespräch der beiden jungen Leute durch ihr Kommen gestört; Constanze erhob sich, um sich zu einigen Damen ihres Umganges zu gesellen, der Prinz ging, um Herrn Habicht die Complimente über seinen Geschmack zu sagen, welche dieser mit Sehnsucht aus dem Munde seines vornehmsten Gastes erwartete!
In den vorderen Zimmern hatte sich unterdeß eine glänzende bunte Versammlung eingefunden. Menschen aller Arten waren da zusammengeströmt – Höflinge, Adel, Diplomaten, Künstler, Geldmenschen, Actenmänner, Soldaten – Menschen, die sich in solcher Umgebung heimisch, wohl und angeregt fühlten – andere, die gedrückt und beengt sich durch die Gruppen schlängelten und den Albums und Bronze-Statuetten und Gemälden eine ganz besondere Aufmerksamkeit schenkten – wieder andere, die in den feierlichen schwarzen Anzügen den Eindruck eigenthümlicher Gezwungenheit machten und sich bestrebten, durch eine feierlich grinsende Freundlichkeit und lächelnde Blüthe ihres Gesichts mit dem äußeren Aufputz in Harmonie zu bleiben. Im Ganzen aber hatte der Umstand, daß Seine Hoheit der Erbprinz sich anwesend befanden, sicherlich der Hälfte aller Anwesenden die Gemüthsruhe benommen.
Zu denen, welche sich jedoch keineswegs aus dem Gleichgewicht bringen ließen, gehörte Herr Heinrich Ulrici, der Buchhalter. Er fühlte sich ganz außerordentlich wohl. Wenn er sprach, so schloß er die Augen und gab seine Worte von sich wie ein Augur, und am Ende seines Satzes öffnete er sie, und dies machte jedes Mal einen höchst wirksamen Effect, den er dadurch verstärkte, daß er dabei die Stirn in Runzeln zog und diese Runzeln auf- und abrollen ließ. Er erhöhte die Heiterkeit der ihm Nahestehenden durch einige vortreffliche Anekdoten, und in der menschenfreundlichen Sorge, möglichst viel zur Unterhaltung der Anwesenden beizutragen, sprach er sehr laut, um eine so große Anzahl von Gästen wie nur immer möglich von seinen Worten profitiren zu lassen. Er war auch bewundernswürdig in den Modulationen der Stimme, und schlagend waren die Contraste, womit er heimlich hier und da einen der aufwartenden Diener, der irgend ein Versehen beging, anfuhr und dann sich wieder in voller Liebenswürdigkeit zu einem der Eingeladenen wandte. Wenn er mit seiner Braut sprach, so ging seine Stimme in ein leise säuselndes Flöten über. Fräulein Friederike Curtius war am Arm eines jungen Malers gekommen, der sie aus Gefälligkeit portraitirt hatte und der zum Lohn durch die Fürsprache des Herrn Ulrici mit einer Einladungs-Karte zu dem heutigen Feste beehrt worden war.
Der Ball hatte begonnen. Herr Ulrici hatte sehr laut das Zeichen dazu gegeben, indem er seine breiten Hände so rücksichtslos, als ob es ein paar Schellenbecken gewesen wären, behandelte. Dann zog er seine Braut zum ersten Walzer auf.
»Nun, holen Sie sich eine Dame, Manfred,« sagte er im Vorübergehen zu dem Maler.
»Ich kenne keine der Damen – ich tanze auch zu schlecht.«
Herr Ulrici war schon vorüber und hatte die Antwort gar nicht gehört. Der junge Mann drückte sich zur Seite, um den Tanzenden Platz zu machen. Das bunte, glänzende, flitternde Schauspiel vor ihm schien ihn beinahe zu langweilen oder mit seiner Stimmung zu wenig zu harmoniren, um ihn zu fesseln. Die nackten Hälse, die webenden Flor-Roben, die geschlenkerten Füße und Waden der Tänzerinnen schienen für sein junges Blut auch nicht das geringste Erhitzende zu haben. Eine Zeit lang stand er den Rücken an einen Thürpfosten lehnend und blickte mit seinen eigenthümlich glänzenden, von langen dunklen Wimpern beschatteten braunen Augen in das Gewühl, dann wandte er sich, strich mit der Hand durch das krause Haar und verlor sich in die Blumengalerie.
Hier begegnete ihm Constanze Merwing, am Arm einer Freundin, gefolgt vom Prinzen August und mehreren Herren. Manfred blieb stehen beim Anblicke des schönen jungen Mädchens; sie machte augenscheinlich einen tiefen Eindruck auf ihn. Seine Blicke flogen ihr nach, wie sie sich nach dem Tanzsaal hinab bewegte; es waren reine, helle Blicke voll unselbstsüchtiger Bewunderung, die eher mit offener Freude, als mit Sehnsucht oder Verlangen auf das schöne Wesen sahen.
Manfred war es gewohnt, so auf das zu blicken, was Begehrenswürdiges, Reizendes im Leben an ihm vorüberzog. Er war es gewohnt, Alles, was bei glücklicheren Menschenkindern Sehnsucht erweckt, an sich vorübergehen zu lassen, wie man die Sterne am Horizont vorüberziehen sieht. Sie sind zu fern, um ein Verlangen zu wecken. Der Inhalt seines Lebens war Entsagung gewesen. Er trug dieses ewige Entsagen nicht wie einen Druck, sondern wie etwas, was sich von selbst versteht, was eine nicht zu ändernde Lebensbedingung geworden, was in der Natur der Dinge liegt.
Er ging weiter, er kam bis in die Rotunde der schönen Nymphäe, die er lange bewunderte, bis er vom Stehen ermüdet sich einen der leichten, mit chinesischem Lack und Vergoldungen bedeckten Rohrsstühle herbeitrug. Er stellte ihn in den Winkel neben den Blumen-Altar. Hier lauschte er versteckt den Tönen der gedämpft herüberschallenden Tanzmusik, die sich in das Rieseln und Plätschern des Springbrunnens mischten, und sog den Duft der Blumen ein, welcher etwas Betäubendes und Einlullendes hatte.
Es war Niemand in dem runden Gemache; Manfred schloß wie ermüdet die Augen, bis er nach einer Weile plötzlich durch ein paar Stimmen aus seinem Träumen aufgeweckt wurde. Er sah die Sprechenden nicht, sie waren ohne alles Geräusch auf den Teppichen, welche den Boden bedeckten, herangekommen und hatten sich so gestellt, daß sie vor Manfred's Blicken durch den Blumen-Altar bedeckt wurden.
»Und wie will Graf Julian es anfangen? hat er nichts darüber in seinem Briefe angedeutet?« fragte die eine Stimme.
»Nichts – er verlangt nur stürmisch von uns, daß wir ihn aus seiner jetzigen Situation befreien. Er glaubt, es lasse sich das leicht beim Regenten bewerkstelligen. Wenn man, meint Julian, dem Fürsten die Sache unter einem plausibeln Gesichtspuncte darstelle, werde er sicher keinen Anstand nehmen, seine, Merwing's, Begnadigung auszusprechen.«
»Uebernehmen Sie das, Rottenau!«
»Ich will es thun – gleich morgen nach der Cour. Unterdeß behalten Sie die beiden Herrschaften im Auge. Driburg's Kunststück von diesem Abend – Sie wissen, mit dem Briefchen, das er durch Habicht's Kammerdiener in den für Constanze bestimmten Strauß bringen ließ – hat nichts verfangen. Er dachte, Constanze würde in ihrem weiblichen Hochmuth über sein anonymes Billet außer sich gerathen und den Prinzen so abstoßend behandeln, daß er sich von ihr zurückziehen würde. Aber ich habe ihm gleich gesagt, sie ist nicht die Heilige, die er in ihr sieht, und die Aussicht, einen Thron zu gewinnen, hat so gut ihr Verlockendes für sie, wie für jedes andere Weib! Constanze und der Prinz sind im schönsten Vernehmen. Sie standen wenigstens eine Viertelstunde hier in diesem Zimmer im Zwiegespräch und hatten darüber Gott und die Welt vergessen.«
»Es ist die höchste Zeit, daß Graf Julian kommt und diese unselige Passion des Prinzen zu Ende bringt.«
»Wenn es ihm nur so rasch gelingt, wie Sie glauben, Rottenau!«
»Dem gelingt Alles,« fiel der Andere lachend ein, »und gewiß am leichtesten, ein junges Mädchen zu verderben. Das fällt in seine Specialität. Uebrigens, lieber Dunow, kann ich Ihnen versichern, daß ich auch die schönste Handhabe gefunden habe, an welcher Julian Merwing anknüpfen kann, sobald er hier ist.«
»Sie machen mich neugierig was ist das?«
Der Sprecher, der Rottenau hieß, machte eine Pause, – vielleicht blickte er um sich, zu sehen, ob er noch allein sei, dann fuhr er fort mit noch leiserer Stimme:
»Sie wissen, Helene Habicht ist meine Cousine, mit mir aufgewachsen, und deßhalb hat sie keine Geheimnisse vor mir. Denken Sie sich nun mein Vergnügen, als mich die kleine Frau eben in das jüngste ihrer jungen Ehebekümmernisse einweiht. Sie glaubt, Constanze Merwing habe es wie eine ausgemachte Coquette darauf abgesehen, ihrem Manne den Kopf zu verdrehen … sie sei so weit gegangen, klagte sie mir, ihm …«
Hier wurde die Stimme so leise, daß Manfred sie nicht mehr verstand; aber er vernahm die andere, die rasch und laut einfiel:
»Unmöglich! für so abenteuerlich oder leichtsinnig – wie soll man's nennen? – hätte ich sie nicht gehalten. Auf ihrem Landsitz Melsenz?«
Der Andere antwortete wieder so leise, daß Manfred der Sinn der gemurmelten Worte entging. Er hörte nur noch einige Mal die Worte Melsenz, Julian, dann sagte der Eine:
»Das ist sicher, in jeder weiteren Viertelstunde, worin Constanze des Prinzen habhaft wird, um ihn mit ihren schwärmerischen Ideen, ihren falschen politischen Principien zu umstricken, liegt für uns eine tödtliche Gefahr – wir müssen schnell und kräftig handeln.«
Die Beiden gingen. Manfred blieb mit klopfendem Herzen in seinem Verstecke zurück. Die Namen Rottenau, Dunow waren ihm als die zweier reichen und mächtigen Grundbesitzer, zweier Koryphäen der anti-constitutionellen Partei bekannt. Der große breitschultrige Dunow mit dem Unterkinn und den gewaltigen schwarzen Augenbrauen war der Percy Heißsporn dieser Partei; der schmächtigere Rottenau mit dem hellblonden Haar, dem fuchsrothen Backenbart und den wasserblauen Augen war ihr erfindungsreicher und ränkegewandter Ulysses!
Manfred erhob sich. Er schritt langsam dem Ballsaale wieder zu, wo Constanze in diesem Augenblicke sorglos am Arm eines Tänzers über das glatte Parquet schwebte.
Hatte Manfred vorher mit einer Bewunderung ihr nachgeblickt, die, so groß sie auch war, doch von ihr sich wieder zurückzog, wie von einer zu fremdartigen und hohen Erscheinung, als daß irgend ein tieferes Gefühl sich darein hätte mischen können, so war es jetzt etwas Anderes. Es war ihm plötzlich eine Sorge um sie aufgedrungen, sie erschien ihm der Hülfe, des Schutzes bedürftig. Die Unnahbare, Hohe stand plötzlich im Bereiche seines Gefühls, war ihm menschlich nahe gerückt. Es zog ihn zurück zu ihr, und sein Auge haftete auf ihr, wie unwiderstehlich in die anmuthigen Kreise gezogen, welche ihre schöne blühende Gestalt im verschlungenen Tanze beschrieb.
Herr Habicht – denn er war eben der Tänzer Constanzens – führte seine Dame zu einem Fauteuil. Während er mit ihr sprach, war es, als ob sie die magnetische Wirkung fühle, welche ein auf uns gehefteter Blick übt, daß wir aufleben und ihm begegnen müssen. Constanzen fiel die Erscheinung des jungen Mannes auf, der, die Arme über der Brust verschlungen, dastand und aus der Ferne, unbeirrt durch die den Zwischenraum füllenden, immer bewegten Gruppen, beständig auf sie blickte. Es lag etwas Seltsames, etwas Fremdartiges in dem Blicke dieser braunen Augen. – That es die hohe, vorgewölbte Stirn, welche wie die Stirn eines Kindes war, oder thaten es die langen dunklen Wimpern, es lag ein auffallender Ausdruck des Beschattetseins, der Sanftmuth und Milde darin: kurz, Constanze fühlte sich angezogen von ihnen, während Manfred mit einer Art stiller Trauer auf sie blickte.
»Wer ist jener junge Mensch dort am Eingange des Saales?« fragte sie, der mit dem blassen Gesicht und den braunen Locken – er trägt eine Vorstecknadel von falschen Steinen und einen grünen Frack …«
»Ach, verzeihen Sie,« fiel Habicht erröthend ein, »es muß irgend ein Protégé meines Buchhalters sein, ich glaube, es ist ein Maler … ja, ich besinne mich, er ist Landschaftsmaler, Manfred Wallpott heißt er …«
»Was soll ich Ihnen verzeihen?«
»Nun, die nicht immer ganz präsentablen Echantillons sehr gemischter Gesellschaftsschichten – unser eins hat eben Verpflichtungen.«
»Er hat die Augen eines Mädchens,« unterbrach ihn Constanze ablenkend; »aber da kommt Ihre Frau, Herr Habicht, welche Sie sucht.«
Constanze erhob sich und nahm den Arm einer Freundin, welche sie in der Nähe erblickte, um mit ihr auf- und abzuwandeln. Die beiden Frauen gingen, um frische Luft zu schöpfen, durch eine Enfilade von Zimmern, in welchen gespielt wurde. In einem allerliebsten Cabinet am Ende der Zimmerreihe, dem Boudoir der Hausfrau, warfen sie sich auf die schwellenden Polster eines Divans; der Raum lud in der That zum Ruhen ein und war ganz matt erleuchtet; auch war Niemand außer den beiden Damen darin, bis nach einigen Minuten der Prinz August mit seiner eleganten Gestalt in den Rahmen der Thür trat. Der Prinz tanzte nicht und hatte deßhalb mit einigen alten Excellenzen eine Partie gemacht; als Constanze vorüberging, hatte er das Ende eines Robbers benutzt, um die Karten seinem Adjutanten zu geben und sich zu erheben. Als er, Constanzen folgend, jetzt auf die Schwelle des Boudoirs trat, rief sie ihm entgegen:
»Es ist Schade, daß kein Maler da ist, um Sie so zu malen, Prinz, die rothsammt'ne Portiére hängt wie einem Künstler drapirt über Ihnen. Ihr Hintergrund ist das Meer von Licht des Vorzimmers, und Sie selbst stehen davor dunkel und lichtlos, wie eine Sphinx.«
»Ich meine, die Rolle der Sphinx, si sphinx il y a, haben Sie, Gräfin, – ich verstehe Ihre Räthselreden nicht,« antwortete der Prinz, der nicht wußte, wie er diese Worte deuten sollte.
»Haben Sie je gehört, daß die Sphinx ihre Räthsel selber gelöst?« antwortete Constanze lachend »das ist zuviel verlangt.«
»Wollen Sie sagen, man müsse Prinzen als dem Lichte den Rücken wendend darstellen? Gewiß haben Sie irgend eine solche kleine Bosheit im Sinne. Uebrigens,« fuhr Prinz August fort, indem er einen Stuhl neben dem Divan der Damen einnahm, »wenn Sie einen Maler herbei wünschen, es sind ihrer genug anwesend, von unserem verblichenen akademischen Farbenkasten, dem Galerie-Direktor, bis zu dem hoffnungsvollen jungen Manfred Wallpott, der die schönen Regenbogen malt.«
»Malt der junge Mensch schlecht?« warf Constanze hin.
»Haben Sie auf der letzten Ausstellung seine Landschaft nicht gesehen, die violette Ritterburg mit dem grünen Burgfräulein und dem famosen Regenbogen darüber und, was das allerkomischeste, den Papiers zettel mit: ›Preis 500 Friedrichsd'or‹ darunter?« –
»Ach, Sie sind boshaft, Prinz; ich wette, daß der Mensch Talent hat.«
»Dann ist ihm zu rathen, sich je eher, desto besser unter die Zahl Ihrer philosophischen Jünger aufnehmen zu lassen … er hat noch viel, sehr viel zu erstreben, um etwas Tüchtiges zu schaffen. Uebrigens im Ernste, Gräfin, wenn man auf einem Feste wie hier ein solches Thema erschöpfen dürfte, ich habe über Ihre Ideen von vorhin nachgedacht …«
»Beim Whist? Gewiß hat das feurige Haupt unseres guten Ober-Stallmeisters, der Ihr Partner war, oder die röthliche Nasenspitze der guten Frau von Rottenau Sie auf die Entdeckung geleitet, daß der Mensch doch nicht wohl thue, bloß blühen zu wollen!«
Der Prinz lachte.
»Das nicht,« antwortete er, »aber mir ist eingefallen, daß sich eigentlich die ganze Welt in zwei Hälften theilt, je nachdem sie meiner oder Ihrer Ansicht huldigt; und für diesen Dualismus haben sich eine Menge Ausdrücke gefunden; so Schiller und Goethe, der Vulkan und das Alpen-Gletscherhaupt unter den Menschen; dann unter den Tempeln Aja Sophia, die in sich ruhende, rund abgeschlossene, sich harmonisch in sich selbst zusammenwölbenbe Welt der Betrachtung, und ihr gegenüber die Kathedrale von Köln, die rastlos in unendlichem Schwunge aufstrebende, beinahe peinlich sich rankende Stein-Vegetation. Ganz gleiche Gegensätze sind das vom Sohne des Himmels gelenkte Reich der Mitte mit seinen sauberen, zierlichen, wie ein Pendelschlag regelmäßigen und ruhigen Sitten, und das Reich der wüsten, geldscharrenden, in den Erdenschmutz versunkenen Yankees; ja, eigentlich bedeuten die Conservativen und die Revolutionären ganz dasselbe.«
Constanze hatte sich in den Divan zurückgelehnt und rollte nachdenklich ihren Fächer auf und zu, bis sie den Prinzen lebhaft unterbrach:
»Das ist wahr, Prinz; aber mit diesem Parallelismus ist nichts entschieden: ob Goethe oder Schiller der größte Dichter, die byzantinische ober die gothische Form der höchsten Kunstidee am … nächsten aber, mein Gott! wir haben durch unsere langweilige gründliche Unterhaltung meine gute Therese schon von hinnen getrieben; bitte, führen Sie mich in den Tanzsaal zurück.«
»Nur noch einen Augenblick,« antwortete Prinz August, der das tête à tête mit dem angebeteten Mädchen verlängern wollte, sagen Sie mir wenigstens, was soll denn unser eins erstreben? Geben Sie mir eine Aufgabe – das Streben kann doch nicht in's Unbestimmte gehen, es muß doch ein Ziel haben …«
»Das freilich, und dieses Ziel muß sich jeder nach seiner Natur wählen. Sie zum Beispiel, Prinz, weßhalb könnten Sie nicht streben, eine Intelligenz, eine Macht zu werden, die in einem großen und reinen Patriotismus die Kraft und den Muth zu einer großen That für das Vaterland schöpfte?«
»Würde dem Träger einer solchen Intelligenz, dem Vollführer einer solchen That Ihr Herz gehören, Constanze?«
»Vielleicht!«
»Auch wenn er dieses Ziel auf andere Weise und nicht als Strebender, als Vulkan, als Yankee, als gothischer Strebepfeiler erreichte?«
»Das Wie ist mir gleich …«
Auch wenn ich es erreichte?«
»Sie, blühender Prinz … ich will Ihnen sagen,« antwortete Constanze übermüthig lachend, »was Sie für das Vaterland thun werden: Sie werden alle Weisheit der Erde in sich aufnehmen und, ein Humboldt, ein Mezzofanti, ein Radowitz in Einer Person, endlich mit Hülfe alles dieses eine neue Melodie auf das Lied ›Heil Dir im Siegerkranz‹ dem deutschen Volk hinterlassen.«
Der Prinz reichte Constanzen den Arm, um sie in den Tanzsaal zurück zu führen; er war gekränkt und sprach kein Wort zu ihr.
Als Constanze in den großen Saal zurückgekommen war, setzte sie sich neben ihre Cousine Therese, welche keinen Tänzer gefunden hatte und den rhythmischen Bewegungen der Ecossaise zuschaute. Neben dem Stuhle derselben, sich halb mit der Schulter an die Wand lehnend, stand Manfred. Constanze sah im Vorübergehen ihn an; der junge Mensch wurde dunkelroth bei diesem Blicke. Erst jetzt besann sie sich, daß dieser junge Mann derselbe sei, über den vorhin gespottet worden. Es war ihr, als ob sie etwas bei ihm gut zu machen habe, und in einer der raschen Regungen, welchen sie nachzugeben gewohnt war – es konnte Niemanden geben, der öfter gegen Talleyrand's Vorschrift sündigte: Méfiez-vous du premier mouvement, car il est presque toujours bon – sagte sie zu Manfred:
»Sie sind Maler? Kommen Sie einmal, meine Galerie anzusehen.«
Dann wandte sie sich mit einem freundlichen Kopfnicken von ihm ab und zu ihrer Nachbarin, ohne die Zeichen von Ueberraschung und freudiger Verlegenheit zu bemerken, mit welchen der junge Mann sich tief verbeugte.
Nach einer Stunde etwa zog Constanze mit ihrer Cousine Therese sich zurück.
Der Prinz verließ gleich nachher die Gesellschaft, wie es schien, sehr ernst gestimmt, desto unruhiger bewegt war Manfred, als er gegen Mitternacht die glänzenden Räume hinter sich ließ, um nach Hause zurück zu kehren. Er hatte einen ziemlich weiten Weg bis dahin, und die Nachtluft Zeit, seine glühende Stirn zu fühlen. Endlich hatte er es erreicht – … aber wir wollen bis zum Morgen warten, um ihm über die Schwelle dieses Hauses zu folgen und den Leser in die Werkstätte eines eben so emsigen als bescheidenen Kunstschaffens einzuführen.