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Achtes Capitel.
Schlußtableau.


Ob der Stolz, dessen Constanze am Ende dieser Zeilen erwähnte, in Manfred's Seele aufgestiegen ist, als er den Brief der Gräfin erhielt, wissen wir nicht; daß er jedoch nicht vermocht hat, sich dem leidenschaftlichen Zuge des Herzens zu widersetzen, das geht aus dem Landschaftbilde und seiner Staffage hervor, welches als ›Schlußtableau‹ unserer Erzählung dienen soll.

Die Meeresufer, welche die Küste von Genua bis hinab nach Spezzia bilden, sind wie alle Welt weiß, von einer unvergleichlichen Schönheit. Das Meer hat tausend kleine Buchten-Einschnitte in die Gestade gemacht, und die launenhaft, in malerischer Regellosigkeit vorgeschobenen Hügel und Felsen, welche ihre zerklüfteten Wände in der dunklen Bläue des mittelländischen Meeres spiegeln, tragen auf ihren Häuptern eine reiche Vegetation von wildem Lorber, Agaven und buntgemischtem Gesträuch, während die Berghalden landeinwärts mit dichten Waldungen bedeckt sind. Dörfer, Städtchen, malerische Siedelungen und Villen sind über diese Abhänge zerstreut; Klostergebäude heben sich mit Kuppeln und Thürmen aus den Waldwipfeln empor. Zu den schönsten Puncten der ganzen Fahrt von Genua bis Spezzia gehört Sestri di Levante, von wo aus man den herrlichen Busen von Rapallo überblickt, den auf der einen Seite das Gebirge von Portofino bildet, während auf der anderen lachende, mit Pinien, Cypressen, Castanien- und Olivenbäumen bedeckte Höhen ihn umziehen.

Unfern dem Meeresufer auf einer über gemauerten Terrassen aufsteigenden Anhöhe, die eine entzückende Aussicht über den Golf bietet, liegt die Villa Grimani, welche jetzt von einer deutschen Künstlerfamilie bewohnt wird.

Es war im Herbst 1853, als ein schlanker und kräftiger junger Mann in Begleitung eines Führers von Sestri her sich der Villa Grimani näherte. Er hatte den wohlgemessenen, festen und doch elastischen Schritt eines vornehmen Mannes; die Züge waren klar und edel, und der Ausdruck eines gewissen Stolzes, der auf ihnen lag, wurde nur erhöht durch die Gewohnheit des Reisenden, von Zeit zu Zeit, wie um die Falten seiner Atlaßbinde zurück zu drängen, den Kopf in den Nacken zu werfen … die Phrenologen deuten ja diese Bewegung als die Mimik des Selbstgefühls. Sein weißer Piemonteser Hut bedeckte eine Fülle hellbraunen, an den Spitzen gelockten Haares; ein blonder, noch sehr junger Bart kräuselte sich auf der Oberlippe.

» Ecco 'cellenza, la Villa Grimani!« sagte der Führer, als sie das Gitterthor erreicht hatten, dessen Steinsäulen zu beiden Seiten große Kübel mit Schlinggewächsen trugen. Der Reisende lohnte den Burschen ab und betrat den Garten. Langsam schritt er über die Kieswege weiter, die Treppen der Terrassen hinauf, und nach jedem Schritte hätte er stehen bleiben mögen. Sein Herz schlug vor Freude an der Schönheit, welche ihn umgab. Von den Terrassen nieder bot sich ihm die entzückendste Aussicht auf Gebirg, Küste und Meer; um ihn hoben sich still und stolz die Wände hoch aufgezogener Lorberhecken, an deren dunkelgrünen Grund sich weiße marmorne Hermen lehnten; die Wipfel hoher, uralter, immergrüner Eichen hoben sich malerisch über die Lorberwände empor, und über diese ganze grüne, von keinem Laut durchbrochene Einsamkeit war ein Himmel vom tiefsten und dunkelsten Blau ausgespannt.

Eine solche Scenerie war unserem Wanderer nicht neu; er hatte oft schönere Villen gesehen, als diese, die weder als sehr umfangreich, noch als besonders wohl erhalten sich zeigte, im Gegentheil Spuren der Vernachlässigung und des Verfalls aufwies. Aber diese strenge, stolze, jeden Flitter nordischer Künstelei, jeden kindischen Tand hyperboräischen Geschmacks verschmähende Schönheit ergriff ihn jedes Mal, und deßhalb hatte Italien einen so unbeschreiblichen Zauber für ihn. Er freute sich nicht nur dieser großartig angelegten breiten Alleen, dieser dunkelschattigen Cypressen-Berceaux, dieser weißen Marmorbilder, dieser Götter des Schweigens – er erfreute sich auch des kleinlichen Schlangen-Weggeflechts, der coquetten Blumen-Corbeilles und Rabättchen, der chinesischen Tempelchen und der buntfarbigen Voliéren, die nicht da waren.

Und eben so war es, als er die Villa selbst betreten hatte, welche auf der höchsten Terrasse lag und sich so still und schweigend über den Reihen von Orangen- und Granatbäumen, welche den Raum zwischen der letzten Terrassenmauer bis zu dem Gebäude einnahmen, empor hob, als sei das Gebäude die Schöpfung eines Traumes, nie bewohnt von Menschen, nie betreten vom Fuße eines Sterblichen. Wohl zeigte die Villa Spuren des Alters, wohl war hier und da ein Riß in den Mauern sichtbar, in welchen beim Nahen des Wanderers pfeilschnelle Lacerten schlüpften … die eine Treppenstufe war zerbröckelt, und mehrere der Blenden hingen schief, mit zerbrochener Angel an der Façade: aber kein zertretener Rasen, keine Spuren, daß das Wert der Zerstörung von menschlichen Bewohnern ausgehe.

Der Wanderer betrat die Halle. Auch hier verrieth kein Laut, daß das Gebäude bewohnt sei. Er blickte harrend, bis Jemand erscheine und seinen Führer mache. Links führte eine breite Marmorstiege empor; Gypsabgüsse von berühmten Statuen schmückten die Wand rechts, und im Hintergrunde zeigte sich eine mit Muscheln und Erzstufen ausgelegte Brunnengrotte mit einen bronzenen Triton, der jedoch längst schon aufgehört hatte, durch sein gewundenes Muschelhorn Wasserstrahlen zu blasen. Der Wanderer ließ seine Augen empor zur Decke gleiten, wo eine Copie von Guido's berühmter rosenfingriger Eos in verblaßten Fresco-Farben prangte.

Zehn Minuten etwa mochte der Wanderer geharrt haben, daß ihm irgend ein Geräusch anzeige, wohin er sich wenden solle: er war in die offene Hausthür zurück getreten, um sein Auge noch einmal über die hier oben unvergleichliche Aussicht schweifen zu lassen, als er plötzlich hinter sich einen leisen Ruf der Ueberraschung und das Wort: »Hoheit – Sie sind's!« ausrufen hörte. Er wandte sich – ein junger Mann im leichten Nankingkittel stand hinter ihm.

Der Prinz machte eine leichte Verbeugung, die nicht ganz ohne eine gewisse Gezwungenheit und förmliche Steifheit war.

»Ich bin's, Herr Wallpott, ich komme, Ihrer …« das Wort schien auf den Lippen etwas zu zögern, doch sprach er es aus … »Ihrer Frau meinen Besuch zu machen.«

»Sie ist in meinem Atelier!« antwortete Manfred und ging, um den Prinzen zu führen, zuerst durch ein Vorzimmer, dann in einen nach Norden liegenden kühlen großen Salon, in dessen Mitte eine Staffelei mit Manfred's Arbeit stand. Im Hintergrunde ruhte lässig in einen Fauteuil ausgestreckt Constanze Merwing; an einem Tische in der Nähe sah ein anderer alter Bekannter des Lesers – Niemand anders als Herr Albert Ulrici, der einen Haufen loser Blätter vor sich liegen hatte und Constanzen daraus seine neuesten Verse vorlas.

Als die Flügelthür des Salons sich öffnete und der Fremde über die Schwelle trat, erhob sich Constanze – sie erröthete, als sie den Prinzen erkannte.

»Prinz August, Sie sind's?« sagte sie, ihm entgegen gehend und ihm die Hand reichend.

»Ich bin's, Comtesse, ein heimkehrender Wanderer, der zuerst seine alten Götterbilder wieder grüßt.«

»O, das ist schön von Ihnen – wie freue ich mich, Sie wieder zu sehen! Setzen Sie sich dort – hier ein Landsmann von uns, Herr Ulrici, hat mir gerade ein Gedicht vorgelesen, worin die Cedern des Libanons ihre Häupter neigen und die Palmen über den Wellen des Jordan rauschen, und nun kommen Sie direct, mir den frischesten, harzigen Cedernduft zu bringen.«

»Es ist nur Schade,« sagte lächelnd Prinz August, während er sich setzte, »daß an den Ufern des Jordan keine Palmen wachsen und die Cedern des Libanon verdorrte Stümpfe sind.«

Albert Ulrici erröthete seinerseits bei diesen Worten des Prinzen, die ihn so lebhaft an seines theueren Bruders Heinrich liebreiche Kritik mahnten. »Die vermaledeite Geographie!« sagte er im Stillen für sich, »sie raubt den Menschen allen poetischen Sinn!«

»Nun erzählen Sie mir von sich,« fuhr Constanze lebhaft theilnehmend fort. »Wie ist es Ihnen ergangen auf Ihrer langen Wanderung – und vor Allem zuerst, nicht wahr, es ist aus der Luft gegriffen, was man daheim gerüchtweise erzählt hat, Sie wollten auf Rechte verzichten, die …«

»Nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber doch unwahr: ich hatte vielleicht einst wirklich einen solchen Gedanken; vielleicht war es nur der Wunsch, eine gewisse Antagonistin, die Sie kennen, zu überzeugen, daß meine Lebensanschauung nicht zum Egoismus, sondern im Gegentheil zu einer großen That der Entsagung und Selbstverläugnung führen könne …«

Constanze erröthete bei diesen bezüglichen Worten des Prinzen; dieser fuhr fort:

»Aber das ist nun seitdem alles anders geworden, und auch ich denke anders. Ich habe im Orient viel gelernt: im Lande der Extreme habe ich gelernt, daß jede Lebensanschauung ihr Recht hat, so lange man sie nicht zum Extreme treibt …«

»Wie wahr ist das!« fiel Constanze lebhaft ein.

»Und daß uns erst dann vergönnt sein kann, in harmonischem Sein zu ruhen, wenn wir gestrebt haben, unsere Pflichten zu erfüllen. Damit wäre denn ja auch die Formel für unseren Friedensschluß gefunden,« setzte er lächelnd und Constanzen nochmals die Hand reichend hinzu.

»Ich weiß nicht,« antwortete sie zögernd, »ich habe eine andere Lösung gefunden; aber lassen wir das jetzt, stillen Sie meine Neugier nach Ihren Erlebnissen, seit wir uns nicht sahen.«

Der Prinz erzählte nun von seinen Reisen und blickte dabei von Zeit zu Zeit mit kritisch spürenden Blicke nach Manfred's Arbeit, der sich unterdeß ruhig wieder an seine Staffelei gesetzt und fortgefahren hatte, zu malen. Es war eine italienische Landschaft, die ihn beschäftigte. Dem Prinzen entging nicht, daß der junge Mann ganz unglaubliche Fortschritte gemacht hatte. Er stand endlich auf, trat dem Bilde näher und sprach seinen ganzen Beifall aus. Auch Constanze war dabei hinter Manfred getreten, hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt, und ihr Auge glänzte von einer rührenden Freude bei den Worten des als scharf urtheilender Kenner bekannten Prinzen. Dann hieß sie Ulrici, der sich in schweigender und schüchterner Zurückgezogenheit hielt, die Klingelschnur ziehen, und als ein Diener eintrat, befahl sie, Erfrischungen zu bringen. Prinz August bat, diese draußen im Freien, im Angesicht der schönen Landschaft, nehmen zu dürfen; so begab man sich auf die Terrasse hinaus, wo die Diener Stühle brachten und den Tisch bereiteten. Von diesem Puncte aus bot sich denn freilich ein entzückender Anblick.

Der Abend begann sich niederzusenken, der Golf hatte sich in ein dunkleres Blau gehüllt, über dem der weißschäumende Ring der Brandung doppelt hell empor blitzte, wie er sich in weitem Bogen die Küste entlang zog. In der Ferne auf der Höhe des Golfes sah man weiße Segel heimkehrender Fischerbarken leise und still sich bewegen, wie lichte Gedanken über der dunklen Unendlichkeit, in die kein Senkblei reicht und auf der nur das Vertrauen unsere kleine Lebensbarke aufrecht erhält – dasselbe Vertrauen, welches jene Fischer in ihrer Nußschale auf die gränzenlose Unermeßlichkeit hinaus gelockt hat.

Der Glanz der Abendsonne hatte den Umrissen der Berge und der Wälder, so wie allen Gegenständen das Harte und Scharfe der Zeichnung genommen, welches die Klarheit italischer Luft ihnen während des Tages verleiht; desto dunkler, gesättigter, glühender waren alle Farben geworden, vom tiefen Grün der schweigenden Castanien- und Lorberwipfel bis zum Violet der Bergfernen, zum braun-roth aufglühenden Grau der Uferfelsen und dem schönen gesättigten Grün der Triften.

»Es ist doch ein wunderbares Land, Ihr neues Vaterland,« sagte Prinz August, »und was ich zu seinem schönsten Zauber rechne, das ist die stolze Ruhe und Stille, die über solch eine Landschaft gebreitet liegt und die doch eine unendlich beredte, dichterische, wehmüthige Sprache spricht. In diesem Dome der Natur, diesen Tempelhallen der Geschichte, diesem geweihten Hause der Schönheit, auf diesem Grabmal der Jahrtausende, hat dieses Schweigen etwas Grandioses. Nichts unterbricht uns hier, wenn wir in jene Träumereien fallen, die einer unserer feinfühlendsten Dichter, Eichendorff, so schön in Worte gekleidet hat

›Von kühnen Wunderbildern
Ein großer Trümmerhauf,
In reizendem Verwildern
Ein blüh'nder Garten d'rauf;
Versunk'nes Reich zu Füßen,
Vom Himmel fern und nah
Aus and'rem Reich ein Grüßen
Das ist Italia!‹«

»Es ist charakteristisch für Sie,« sagte Constanze lächelnd, wie sich Italien in Ihrem Auge spiegelt, und daß Sie die stolze Ruhe und Stille, die über den Trümmern einer untergegangenen Welt liegt, am meisten hervorheben … Manfred denkt zum Theil auch so, aber was mir dieses Land so werth und theuer macht, das sind die nachgelassenen Spuren großer Intelligenzen, welche die höchsten Höhen menschlicher Entwicklung erreicht haben. Wenn ich vor Werken stehe wie den Sibyllen Rafael's oder vor dem Moises des Michel Angelo, sehen Sie, dann gerathe ich außer mir.«

»Da stehen wir im Begriff, auf unsere alte Debatte zurück zu kommen,« sagte der Prinz. »Lassen wir es, und erzählen Sie mir lieber von sich, nachdem ich Ihnen vorhin meine Erlebnisse mitgetheilt habe.« – Er sah sich nach Manfred um; dieser war in ein Gespräch mit Ulrici vertieft, und der Prinz fuhr, ungehört von ihnen, fort: »Wie hat sich alles dieß so ganz anders gestaltet und gemacht, als – ich hoffte, Constanze!«

Constanze schaute einen Augenblick auf den Boden, als ob eine Antwort sie peinige:

»Sie schrieben mir damals,« fuhr Prinz August fort, »Sie folgten mit den Augen des Geistes einer anderen Person, die einer von der meinigen ganz verschiedenen Entwicklungsbahn nachgebe … war das …?«

Der Prinz deutete mit einer Bewegung der Augen auf Manfred.

»Ach, nein,« sagte Constanze rasch einfallend, »das war Niemand anders als mein Vetter Hugo Merwing, von dessen Heraustreten aus einem langen tiefen Incognito man Ihnen aus der Heimath geschrieben haben wird. Mein Vetter,« fügte sie lächelnd hinzu, »war mit meiner Heirath nicht ganz einverstanden; er ist nach Paris gereist und macht jetzt einer spanischen Grandin den Hof, wahrscheinlich, weil er bei ihr in hinreichender Ausbildung jenes Standesbewußtsein gefunden hat, dessen Mangel er mir so bitter beim Scheiden vorwarf! Aber nicht Hugo, sondern Manfred ist es, der mir die rechte Antwort auf unsere alte Lebensfrage gegeben.«

»Und die ist?«

»Sie ist schwer in Worte zu fassen. Beobachten Sie ihn und beobachten Sie jenen anderen jungen Mann aus unserem Vaterlande dort. Er ist auch ein Künstler, er ist Dichter. Ihr Vater hat sich ihm so gnädig erwiesen, ihm ein Reise-Stipendium zu geben, damit er Italien sehen könne. Das führt ihn zu uns. Aber ich glaube, er wird aus Italien heimkehren, wie er hingegangen ist. Er ist ein Strebender, er strebt rastlos mit allen Kräften seiner Seele, ein großer Poet zu werden. Aber auch nur das. Er denkt nur an Stoffe für seine Gedichte, an Bilder für seine Gedichte, an Reime für seine Gedichte. Weder die anderen Künste, noch das Leben der Völker, noch die Verhältnisse der Einzelnen gewinnen ihm irgend ein Interesse ab. Und so bleibt er bei allem Streben eine dürftige Natur und wird sein Ziel nicht erreichen. Anders Manfred. Er strebt auch, er strebt mit intensiver Kraft vorwärts auf der Bahn zum höchsten Ausdruck des Schönen. Aber er hält dabei Ruhepuncte inne, welche ihm zu neuen Ausgangspuncten werden; er hält sein großes Auge offen für die Betrachtung, er verschließt sich keiner Erscheinung des Lebens und keinem Rufe der Zeit. Er gönnt seiner Seele Ruhe, die Ruhe, zu wachsen. Oft wirft er das Handwerksgeräth fort, wir machen kleine Reisen und suchen die schönsten Puncte Italiens auf, oder wir lesen zusammen und suchen große Bilder oder große Gedanken in uns aufzunehmen, die unsere Anschauungen erweitern.«

»Ich verstehe Sie,« fiel der Prinz ein: »Sie wollen beide Anschauungen, die meine und die Ihrige, verbinden das mag freilich dem Künstler erlaubt sein, aber die, welche keine Künstler sind …«

»Ja, freilich, für die mögen Sie Recht haben, mein Prinz,« sagte Constanze – »aber was mich angeht, ich sage mit der Sand: › O, d'être artiste! cela seul vaut la peine de vivre!‹«

Während der letzten Hin- und Wiederreden dieses Gespräches hatte sich Manfred ihm zugewandt und zugehört.

»Ich meine,« fiel er jetzt ein, »wir sollten bei allem dem nicht vergessen, wie wenig es überhaupt in unserer Macht liegt, willkürlich über unser Schicksal zu entscheiden und ihm nach vorgefaßter Ansicht diese oder jene Richtung zu geben. Am wenigsten aber sollten wir uns vermessen, auch Anderen ihren Weg durchs Leben vorzeichnen zu wollen. Es ist am Ende doch ein höherer Wille, der uns führt. Gerade uns liegen die Beispiele sehr nahe! Sie, Hoheit, der Sie einem von innerer Ruhe bedingten harmonischen Dasein sich hingeben möchten, sind berufen, als Regent die sorgenvollste, unruhigste Stelle auf der Höhe des Lebens, die es nur giebt, auszufüllen, und Hugo mit seinem fieberhaften Streben für das Allgemeine, das ihn früher erfüllte, scheint dem zerstreuenden, aufreibenden Leben und Treiben der Gesellschaft verfallen, das ihn ohne Resultate und Erfolge seine großen Kräfte aufzehren läßt. Und da Constanze eben die Worte einer Dichterin anführte, so will auch ich, mit denen eines Dichters schließen; sie heißen: Est quo fata trahunt, quo ire recusant.«

»Herr Ulrici wird uns das übersetzen,« sagte Constanze lächelnd.

»Der Himmel stellt uns schon an unsern Ort,
Und weis't von Andern uns vorsorglich fort!«

improvisirte Ulrici.

»Möge es so sein,« sagte der Prinz, »jedenfalls wollen wir – was uns das Beste – glauben, daß dem so ist!«

 

Ende.

 


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