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Siebentes Capitel.
Die Wahrheit.


Aus Manfred's Atelier waren die vier großen Bilder mit ihren Staffeleien weggebracht worden und nur eine Menge von Studien, die den untern Theil der hohen weißen Wände bekleideten, verriethen die Bestimmung des großen Saales, der einst einer fürstlichen Familie Empfanggemach gewesen. Am obern Ende, an der Hauptwand konnte noch, wer genau hinblickte, die Klammern gewahren, die einst den Thron festgehalten, den ehemals jede fürstliche Familie in Italien in der antecamera del trono aufschlagen ließ. Wo einst dieser Thron gestanden, stand jetzt ein alter Marmortisch mit vier vergoldeten Füßen; auf der ovalen Platte liegen zwei Degen von gleicher Länge und daneben steht mit wichtigem Gesicht unser alte Italiener, der Gehülfe, Freund und Begleiter des Signor Cavaliere, mit welchen drei hochtönenden Titeln der gute Alte die Stellen eines Farbenreibers, Kammerdieners und Kochs bei Manfred bezeichnete.

Das gutmüthige Individuum hatte selbst in jüngeren Tagen einige sehr kühne und originelle, aber leider ganz mißlungene Versuche gemacht, in den Parnaß zu gelangen, tröstete sich aber jetzt damit, wenigstens sein Leben in einem Atelier zuzubringen, und nur seiner Künstlereigenschaft allein verdankte Manfred die Dienste dieses Factotums, das selbst zu keinem Fürsten in ein untergeordnetes Verhältnis getreten sein würde, nur › al genio,‹ wie er sich ausdrückte, vermochte seine große Seele sich zu beugen. Pancrazio hieß dieß Wesen, das nur eines von der allverbreiteten Classe in Italien ist, die alle ›artista‹ sein wollen, Wesen, deren Begabung leider nicht Schritt hält mit ihrer Verehrung und Liebe zur Kunst.

Manfred behandelte ihn besonders gütig, weil Pancrazio's ganzes Treiben ihn immer an seinen Vater mahnte.

Signor Pancrazio hatte einen ganz nagelneuen Malerkittel an, vom Schnitt wie ihn Raphael getragen, sein Bart und sein Haupthaar, ja selbst seine eingefallenen und scharfen Züge erinnerten an Michel Angelo, das heißt, so wie die Hauskatze an den bengalischen Tiger erinnert. Seine Haltung war, als er dem hereintretenden Hugo entgegen schritt, so würdevoll wie die von Rubens, als er als Gesandter der Infantin Isabella auftrat.

Hugo schien jedoch diesen großen Reminiscenzen in keiner Weise Zugang zu gewähren.

»Ist Euer Padrone nicht da?« fragte er.

»Er ist zu Hause!« antwortete der Alte kalt und pathetisch.

»Wo ist er? Setzt er vielleicht in diesem Augenblick gar vorsorglich sein Testament auf?«

Der Alte schien für gut zu finden, diese Aeußerung, welche in einem Tone gesprochen wurde, der zu dem Ernst des Augenblicks so wenig paßte, ein absolutes Schweigen entgegen zusetzen.

»Es wäre eine Mühe,« fuhr Hugo fort, »die er sich ersparen könnte!«

»Hoffentlich,« sagte Pancrazio.

Hugo ging lebhaft und, wie es schien, sehr ungeduldig im Saale auf und nieder. Pancrazio suchte bei dem Grafen einen scheuen Seitenblick auf seine blanken Waffen zu ertappen. Aber er hatte diese Genugthuung nicht. Der fremde Signor schien sich nicht das Allermindeste darum zu kümmern.

»Wahrhaftig, er läßt mich warten, Euer Padrone,« sagte Hugo nach einer kurzen Pause. »Ich habe Eile geht und bittet, ihn zu kommen!«

»Ich will ihn rufen!«

Pancrazio schritt würdevoll ab.

Gleich darauf öffnete sich die Thüre wieder und Manfred trat ein. Er warf einen verwunderten Blick auf Hugo, weil er diesen allein, ohne Freund und Kampfzeugen sah.

»Sie kommen allein?« fragte er.

Aber Hugo trat ihm entgegen und streckte ihm die Rechte hin, indem er lebhaft und mit, wie es schien, ungeheuchelter Freundlichkeit sagte:

»Ich sehe, alle Vorbereitungen sind feierlichst getroffen. Wir können jeden Augenblick beginnen, uns die Hälse zu brechen. Ihr alter Famulus sieht gerade aus, als ob er meinen Todtengesang anstimmen wolle. Aber aus dieser ›nadowessischen‹ Todtenklage wird nichts. Es wird auch aus unserem Zweikampfe nichts – kurz, es wird nichts aus Allem.«

Manfred hatte die dargebotene Hand nicht angenommen.

»Es wird nichts daraus?« fragte er überrascht.

»Nein!«

»Und weßhalb nicht?!«

»Blutgieriger Mensch, der Sie sind – wird es Ihnen schon schwer, dem Gedanken, mir das Leben zu nehmen, zu entsagen? Ist es in den Schicksalen geschrieben, daß ich umkommen soll entweder in effigie oder in der Wirklichkeit von der Hand … aber lassen wir die schlechten Scherze bei Seite –«

»Ich bin vollständig damit einverstanden,« fiel Manfred kalt ein.

»Gut denn – es wird nichts daraus, weil ich Ihnen etwas einräume, was Sie vollständig befriedigen wird.«

»Und das ist?«

»Daß ich am gestrigen Abende betrunken war,« versetzte Graf Hugo Merwing.

Manfred verstand dieß Benehmen nicht. Er sah seinen Gegner mit einem Blicke an, daß Hugo leicht darunter erröthete.

»Sie haben ja gestern kaum ein Paar Gläser gekostet,« sagte Manfred.

»Kann man nur von Wein trunken sein?«

»Was soll das heißen?«

»Was Sie wollen! bedenken Sie aber, daß ich erst bei der Gräfin war, in die ich verliebt bin ohne Hoffnung, das heißt, vor der Hand, und nachher bei der schönen Habicht, die in mich verliebt ist, auch ohne Hoffnung – aber da heißt es: nach der Hand!«

»Sie sind wenig großmüthig –«

»Seien Sie es desto mehr und verzeihen Sie mir meine in halber Bewußtlosigkeit gesprochenen Worte. – Unten hält Gräfin Constanze in ihrem Wagen und will mit uns nach dem Colosseum und dann zu Paulskirche fahren.«

Er hielt noch immer die Hand hin, in welche Manfred einzuschlagen zögerte, da hörte man von der Straße herauf Pferde stampfen – der Gedanke, daß das Constanzens Pferde seien, und sie selbst im Wagen sitze und auf ihn warte, überwog alles; er nahm Hugo's Hand und sagte lächelnd:

»Einstweilen! Denn ich ahne, daß unsere Freundschaft nicht von langer Dauer sein wird – wir sind beide zu stolz.«

»Und zu verliebt,« lachte Hugo laut auf. »Sie haben recht, aber ›einstweilen‹ können wir doch gute Freunde sein.«

Manfred ging mit Hugo zum Zimmer hinaus. Signor Pancrazio aber blieb zurück und sagte mit tiefer Verachtung, indem er auf die Degen blickte, die auf dem Marmortische lagen: › Il miserabile! non potera indurare questo aspetto!‹ Er war überzeugt, der Anblick seiner so schön kreuzweis gelegten Waffen so wie seines eigenen feierlichen Selbst hätten den Muth des Conte tedesco zu Boden geschlagen. Er hätte beinahe in einem langen Monologe voll ächt italiänischer Beredtsamkeit seine Verachtung kund gethan, als ihm einfiel, daß eigentlich gar nichts daran liege, ob ein gewöhnlicher Mensch sich so jämmerlich benehme oder nicht – denn Hugo war ja nicht artista!

Manfred selbst wußte nicht, was er von Hugo's verändertem Benehmen halten sollte, denn er konnte ja nicht ahnen, daß dieser heute Morgen bei Constanze gewesen, und daß sie ihm die Freundschaft oder doch das gute Vernehmen mit dem Maler zur Bedingung ihrer eigenen Freundschaft gemacht hatte. –

Der nun beginnende Verkehr zwischen Constanze, ihrem Vetter und Manfred hatte für alle Drei den höchsten Reiz und befriedigte doch Keines! Constanze fühlte sich gequält von Hugo's geradezu gestandenem Verlangen nach ihrer Hand, die er von ihr forderte als ein ihm gebührendes Recht, als etwas Versprochenes, in ihren früheren Briefen ihm Verheißenes. Er sagte zu ihr:

»Sagen Sie mir nur, was ich werden soll, was Sie von mir verlangen, was ich leisten soll, ich schrecke vor nichts zurück, ich halte mein Wort, aber lösen Sie auch das Ihrige!«

»Ich habe Ihnen nie mein Wort gegeben!«

»Das haben Sie allerdings gethan, hier sind Ihre Briefe, lesen Sie, was Sie verbeißen!«

Constanze las und konnte sich selbst nicht läugnen, daß ihre Briefe gemacht seien, in eines Mannes Herzen Hoffnungen zu wecken; aber als sie diese Briefe schrieb, hatte sie ihn ja noch nicht gesehen; so gehörten diese Blätter also einem Roman, einem reinen Gebilde der Phantasie an, aber nicht zur Wirklichkeit, und konnten also auch keine Verpflichtung auferlegen.

Auf der andern Seite sah sie ein, daß Hugo's energischer Charakter wirklich zu Großem fähig sei, und daß ihr dieses eine Art Verpflichtung auferlege, ihren Einfluß auf ihn zu benützen, geschehe es auch mit dem Opfer ihrer selbst – wäre er ihr nur nicht so unerträglich gewesen! Manfred liebte sie dagegen, das fühlte sie tief, aber sie glaubte ihm nicht nothwendig, zu seiner Zufriedenheit nicht unentbehrlich zu sein; im Gegentheil, sie glaubte, die Trauer um seine unglückliche Liebe sei die beste Muse für ihn und begeistere ihn mehr wie das Glück.

Ueber ihre eigenen Gefühle zu ihm legte sie sich aber weiter keine Rechenschaft ab; sie sah ihn täglich, still, aufmerksam in melancholischer Freundlichkeit mit ihr verkehren, ihren lebhaften, immer kräftiger wieder erwachenden Feuergeist mit der Ruhe eines Weisen beobachten, fein und sinnig das Schöne auffassen, in gränzenloser Bescheidenheit nie sich selbst erwähnen, und doch mit männlichem Stolze Hugo's Uebermuth die nöthigen Schranken setzen. Wenn sie über Manfred längere Zeit nachgedacht, so war ihr Resultat, daß er ihr Freund für das ganze Leben bleiben müsse. Daß das anders sein könne, fiel ihr bei seiner Ergebenheit und wolkenlosen Treue nicht ein.

Manfred selbst litt aber bei dem täglichen Verkehr mit ihr, er liebte sie zu sehr, um ohne Verlangen nach ihrem Besitz sie zu sehen und er war zu klar, zu bescheiden und zu männlich, um dieß Verlangen nicht als eine Thorheit zu verdammen.

Hugo aber war der Allerunzufriedenste. Auf der einen Seite die Frau des Banquiers, der Rom nicht verließ, weil er sich selbst zu gut dort gefiel, und seiner Frau die Lection des abgebuhlten und entfremdeten Liebhabers gönnte – diese Frau, die mit ihrer Liebe, ihrer Eifersucht, ihren hundert kleinen und großen Prätensionen ihn quälte, und die Hugo oft sehen mußte, weil Constanze sie als Schutzwehr gegen seine Bewerbung jetzt häufig einlud!

Auf der andern Seite Constanze, über die selbst seine Eitelkeit sich nicht täuschen, von der er sich nicht einbilden konnte, sie liebe ihn und die deßhalb ihm täglich reizender und unentbehrlicher erschien! Auf Manfred war er nicht mehr eifersüchtig, des Malers Melancholie bewies seiner Menschenkenntniß zu gut und deutlich, daß diesem keine Hoffnungen gegeben waren.

Eines Tages erhielt Constanze einen Brief vom Prinzen August. Er frug sie, welche Erfolge ihre Lebensmoral ihr eingetragen. Er war glücklich aus dem Orient zurückgekehrt, war jetzt in Constantinopel angekommen, und schloß seinen Brief mit der Versicherung, daß seine Anschauung ihm so goldene Früchte eingetragen, daß er, wenn sie es wünsche, auf der Rückreise in die heimathliche Residenz zu ihr nach Rom kommen und von seiner erlangten Weisheit ihr mittheilen und sie nach Hause zurückgeleiten wolle!

Sie hielt den Brief lange in der Hand und blickte ernst auf die wohlgeformten Züge der fürstlichen Hand.

»Also auch er liebt mich noch und nichts ist wahr, was die Zeitungen behaupten, daß er als glücklicher Bräutigam einer schönen Fürstentochter an den heimischen Hof zurückkehre?«

Da trat Hugo ein und frug, welch' ein Brief das sei, den sie zusammenhalte.

»Vom Prinzen August.«

»Zeigt er Ihnen seine Verlobung an?« fragte er spöttisch.

»Nein,« sagte Constanze mit entschuldbarem weiblichem Stolze und verletztem Selbstgefühl; »nein, er, schreibt mir, daß er hierher kommen und mich nach Hause geleiten wolle, wenn ich es wünsche.«

Hugo biß sich die Lippe blutig. Denn er kannte Constanze zu gut, um nicht zu wissen, daß sie die Wahrheit sage, und den Prinzen auch, um nicht sicher zu sein, daß er einen solchen Vorschlag nur der Dame mache, deren Hand er begehre.

Da kam auch Manfred, und Hugo konnte sich den Genuß nicht versagen, ihm die Hälfte seiner Qual aufzubürden.

Er rief ihm entgegen:

»Wissen Sie schon die große Neuigkeit, die ich eben aus dem Munde meiner schönen Cousine erfahre?«

Manfred schüttelte nur lächelnd das Haupt.

»Nun so erfahren Sie es denn: Prinz August, unser künftiger allergnädigster Landesherr, trifft nächstens hier ein, um als zweiter Johann von Paris seine schöne Braut nach Hause zu geleiten.«

Manfred sah von Hugo auf Constanze; sie lachte aber nur und nahm sich vor, den wahren Zusammenhang dem Maler mitzutheilen, aber Hugo ließ sie nicht zu Worte kommen.

»Ja, ja, verbergen Sie sich vor ihrer künftigen Landesmutter,« sagte er; »Sie können dann noch einmal Hofmaler oder gar fürstlicher Galeriedirector werden, ich selbst bitte mir natürlich auch eine Hofcharge aus, finden Sie nicht, daß ich mich gut zum Hofmanne eigne?«

»Aber Vetter!« sagte verweisend Constanze.

Doch Hugo fuhr in der wilden Laune seines Zornes fort:

»Aber nehmen Sie sich ist Acht, schöne Cousine! Machen Sie mich zum Obermundschenk, so vergifte ich Ihren Wein; zum Oberstallmeister, so gebe ich Ihnen ein wildes Pferd, das Sie schleift; zum Hofmarschall, so lade ich Ihnen Gäste, welche Sie zu Tode langweilen; und gar zum Oberkammerherrn –«

»Ich will nichts weiter wissen,« fiel Constanze ein, »Sie sind heute unerträglich

In diesem Augenblicke trat Frau Habicht ein, die von ihrem Fenster aus Hugo in das Haus kommen sah und, seitdem Constanze sie immer höflich empfing, jetzt diese Art, ihren abtrünnigen Anbeter zu sehen, nicht verschmähte.

Während die Gräfin sie begrüßte, entfernte sich Manfred rasch mit einer stummen Verbeugung; Constanze wollte ihn zurückrufen, aber schon war er verschwunden.

Am andern Morgen schrieb Constanze an den Prinzen August

›Es ist schade, mein Prinz,‹ lautete der Brief, ›daß meine Philosophie mir auch gute Früchte getragen hat, und ich also keine sehr gelehrige Schülerin sein werde. Es gab eine Zeit, wo ich in höchster Gefahr schwebte, Ihrem System anheimzufallen; aber diese Zeit ist vorüber, ich habe erkannt, das mein Handeln auch gute Früchte getragen hat. Manfred, von dem ich Ihnen früher Einiges mitgetheilt, ist durch meinen kühnen Eingriff in seine Lebensbahn ein großer Künstler geworden und mein Vetter Hugo jetzt auf dem besten Wege ein großer Aristokrat zu werden – Sie wissen, Proselyten sind immer die feurigsten Gläubigen! Sind diese beiden Resultate, und besonders das letztere in Ihren Augen nicht glänzende Zeugnisse für die Tüchtigkeit meines Systems? Doch im Ernst, ich bin verstockter als je, mein Prinz, werde aber dennoch bald Ihre Erfahrungen zu hören verlangen, da mein Oheim Julian solche kühne Eingriffe in mein Vermögen sich gestattet und mir so viel Processe in Aussicht stellt, daß ich nächstens mich selbst vertheidigen muß und deßhalb zurückzukehren gedenke –!

Am folgenden Morgen erschien Manfred nicht zur gewohnten Zeit bei der Gräfin. Sie erwartete ihn vergeblich den ganzen Tag und sie erwartete ihn wirklich, zum erstenmale wünschte sie die Stunde seines Kommens herbei, weil sie ihm eine Aufklärung über Hugo's Worte in Beziehung auf den Prinzen geben mußte. Hugo kam wie immer, Constanze ließ sich auch herab, ihm zu sagen, daß der Prinz nicht nach Rom kommen, wohl aber sie nach Deutschland zurückkehren werde.

»Wohin ich Sie begleite!« fiel Hugo ein.

»Mit nichten!«

»Aber folgen darf ich Ihnen doch?«

»Nur deßhalb, weil ich es Ihnen nicht verbieten kann.«

»Und wann reisen Sie?«

»In zwei, in vier, vielleicht auch erst in sechs Wochen.«

»Wie Sie befehlen,« sagte Hugo, indem er sich in einem Fauteuil breit machte.

Man brachte ein Billet. Es war von Manfred, an Constanze gerichtet und enthielt einen kurzen höflichen Abschied. Der Maler war für einige Wochen nach Neapel gereist und hatte sich nicht persönlich bei der Gräfin beurlaubt, weil er, wie er sich ausdrückte, unter einem Zauberbann stehe, der ihm dieß nicht gestatte.

Constanze warf das Zettelchen in ihren Arbeitskorb und sagte nichts zu Hugo, der sie darnach frug. Aber sie beschloß ihrem Freunde nach Neapel zu schreiben, durch die Vermittlung eines berühmten Malers dort, der ihr Bekannter war und den Manfred sicher aufsuchen würde. Sie ahnte natürlich, daß die Nachricht ihrer Verlobung mit dem Prinzen August ihn von Rom fort getrieben; aber sie konnte ihm freilich nicht schreiben, daß diese Nachricht eine Erdichtung Hugo's sei. Sie hätte dadurch gestanden, daß sie annehme, diese angebliche Verlobung sei die Ursache von Manfred's Flucht, was sie ihm gegenüber doch nicht aussprechen konnte. Sie beschränkte sich also darauf, ihn durch Andeutungen von der Unwahrheit von Hugo's Behauptung zu überzeugen. Sie schrieb von ihrer baldigen Abreise von Rom, aber ohne Begleitung, wie sie hinzusetzte. Dann sagte sie Manfred, wie sehr sie wünsche, ihn vorher zu sprechen, weil sie seinen Vater sehen werde.

Als der Brief abgegangen war, fühlte sie sich wohl erleichtert, aber wir müssen es leider gestehen, dieser Trost hielt nur kurze Zeit vor; denn was sie für unmöglich gehalten, geschah, sie vermißte Manfred.

Erst jetzt seitdem er fort war, bemerkte sie was er ihr gewesen. Menschen wie Manfred, so schweigsame, so bescheidene, so contemplative und so aufmerksame Gesellschafter, werden oft erst nach ihrem wahren Werth gewürdigt, wenn sie nicht mehr da sind. Constanze wußte jetzt nicht mehr, wem sie ihre Beobachtungen, ihre Bemerkungen mittheilen sollte, wen sie zum Mitträger der Empfindungen und Gedanken machen solle, die jede Wanderung durch die ewige Stadt in ihr erregte. Manfred hatte so oft nur schweigend ihr zugehört, aber in seinem dunklen Auge hatte sich immer das tiefe Verständniß ihres lebhaften und enthusiastischen Geistes gezeigt.

Sie schrieb eines Abends in ihr Tagebuch:

›Dieses Mannes ruhige, edle, von keinem Sturm und keiner Schwachheit getrübte Seele ist der meinigen geworden, was dem Schiffer der Hafen ist nach langer stürmischer Fahrt.‹

Sie erschrack über sich selbst, als sie dieß geschrieben, aber sie hatte doch nicht den Muth es auszulöschen. Sie vermißte Manfred zuletzt so sehr, daß es Hugo, der sonst viel zu unruhig war, um Seelenzustände zu bemerken, auffiel.

»Was haben Sie seit einiger Zeit?« fragte er eines Tages. Sie sind verändert! Anstatt lebhaft zu sein wie früher, sind Sie nur unruhig, anstatt heiter, nur aufgeregt, und selbst Ihr Aussehen ist verändert– Sie haben um Augen und Mund den nervösen Zug, der heut zu Tage die schönsten Frauenköpfe entstellt und den Sie bisher nie geduldet haben.«

»Ich bin krank,« sagte Constanze und senkte das Haupt.

»Und nun gar Thränen? Gnädigste Cousine, es hat Sie doch Niemand verletzt?«

»Sie thun es jetzt durch Ihre Fragen!«

Die Gräfin nahm sich etwas zusammen, aber nicht auf lange; die Ueberzeugung, daß sie Manfred's Entfernung nicht überwinden und vergessen könne, ja daß er ihr, ohne daß sie es geahnt, nothwendig geworden, beugte sie tief.

Nach einer Pause sagte sie:

»Wissen Sie, Hugo, daß etwas in mir vorgeht, was eine Art Ehrenerklärung für Sie ist?«

»Was ist das, meine schöne Cousine?«

»Ich denke an das Leben und fühle in diesem Augenblick so recht die unwiderstehliche Macht, womit es uns oft zur Umkehr von unsern Pfaden, zur Treulosigkeit an unserem heiligsten Glauben zwingt.«

»Fühlen Sie das wirklich, Gräfin Constanze?«

»Wie habe ich einst,« versetzte sie, »die Lebensaufgabe als eine nach außen sich richtende, von unserer Persönlichkeit losgelöste, den Dingen außer uns hingegebene gefaßt. Und wie sehr sehe ich jetzt ein, daß alle meine schönen und uneigennützigen Aspirationen eitel waren, daß die Aufgabe des Lebens eine ganz andere, eine viel näher liegende, bescheidenere ist und einen viel persönlicheren Charakter hat!«

»Das heißt,« sagte Hugo, nachdem er eine Weile sie schweigend fixirt hatte … »Sie haben der Welt den Helden der Zukunft erziehen wollen. Das ist nicht allein nicht gelungen – Sie fühlen auch schmerzlich, daß nun Ihrer eigenen Zukunft etwas fehlt, was Sie der Welt geben wollten.«

Constanze mußte eigentlich einräumen, daß Hugo fast das Richtige getroffen, aber sie bereute es, gesprochen zu haben, da ihr dieser Einblick in ihr Inneres, auf den sie Hugo geleitet, unangenehm war.

»Und da Sie nun,« fuhr dieser fort, »sich gestehen, daß Sie selbst anderen Sinnes, anderen Glaubens geworden, so fangen Sie an, es für nicht mehr so ganz abscheulich zu halten, daß auch Ihr missrathener Zögling und Vetter etwas Aehnliches gethan hat, und daß er frank und frei, ohne lange bemäntelnde Uebergänge zu suchen, zu anderen Ueberzeugungen übertreten ist. Ich danke Ihnen dafür, Cousine – und da wir einmal ernst davon reden, so will ich Ihnen auch im Ernst sagen, was ich denke. Der Mensch ist nichts als ein armer Schüler in der Schule des Lebens. Die Schule des Lebens aber theilt sich in Classen. In den untern Classen ist es die Kenntniß des Lebens im Allgemeinen, was ihn beschäftigt. Er hält sich an das Ganze, er schöpft aus dem Vollen, und weil das Ganze ihm unentschuldbare Verkehrtheiten zu haben scheint, so hält er es für die heilige Pflicht einer so unfehlbaren Intelligenz und eines so unbestechlichen Charakters, wie des seinen, das Ganze zu stürzen und besser einzurichten. In diesen Classen sitzen also die Weltverbesserer. In den höheren Schulclassen ist es umgekehrt. Der Unterricht geht zu den Specialien über. Man lernt das Einzelne kennen; man lernt die Menschen kennen. Es handelt sich darum, aus den Allgemeinheiten heraus zum Besonderen zu kommen. Das ist freilich schwer, ja vielen Charakteren unmöglich. Deßhalb vermögen auch nur wenige sich Eintritt in diese Classen zu verschaffen. Die, welche hineingelangen aber, sehen ein, daß sie irrten, als sie glaubten, daß die Welt geändert werden könne, und daß sie dazu berufen sein, daß ihre Kräfte dazu irgend beitragen könnten. Sie sehen, daß das Gemälde der menschlichen Existenz, der orbis pictus des Erdenlebens eine sehr lücken- und schadhaftes Mosaik ist, daß es aber nichts fruchtet, diese Mosaik zu lockern und auseinander zu nehmen, um sie besser zusammenzusetzen, da man ja immer wieder dieselben alten Stifte dazu nehmen muß!

So lange aber ein Mensch in einer seiner Lebensschulclassen ist, kann man ihm nicht übel nehmen, daß er dichtet und trachtet, wie er's eben vermag, wie er's versteht. Leben, etwas thun, uns durch eine Thätigkeit beschäftigen, wollen wir eben Alle. Wer kann es uns zum Verbrechen machen? Der Weltverbesserer ist an sich nicht lächerlicher und nicht strafbarer als die Raupe, die spinnt, einen feinen oder einen groben Faden, je nachdem sie eine Seiden- oder eine gemeine Raupe ist. Wenn man aber aufrückt in der Lebensschule, wenn man, in die höheren Grade dieser großen Loge gelangt und hier die Offenbarungen der Geheimlehren erhält, die nur den besseren Köpfen werden – eh bien, dann wäre man ein Heuchler, falls man nicht offen und frei bekennte: Ich bin klüger jetzt, ich urtheile jetzt anders! Jeder Mensch macht diese Wandlung durch. Macht er sie in zwanzig, dreißig Jahren durch, so findet die Welt es sehr natürlich und nichts daran auszusetzen. Macht er sie aber durch, so rasch wie ich, so möchte man ihn als Ueberläufer, Convertiten, Gesinnungslosen steinigen! Und doch sollte man ihm nur Glück wünschen. Man sollte ihn bewundern, daß er so rasche Fortschritte in der Weisheit, in der Erkenntniß des Lebens gemacht hat. Man sollte ihn rühmen, daß er die Hauptkatastrophe im Epos seiner innern Existenz kühn und ohne Stottern improvisirt, statt daß Andere eine Reihe von Jahren daran reimen, leimen und feilen!«

»Gut gesprochen!« lächelte Constanze, »und wenn ist die Katastrophe Ihrer inneren Existenz nichts als erweiterte Erkenntniß, nicht auch gewisse äußere angenehme Ereignisse hineinspielten und Ihrer kühnen Improvisation auf die Sprünge geholfen hätten, so möchten Sie in der That zu großem Theile Recht haben!«

»Diese Ereignisse,« fiel Hugo ein, »können mir meinen Ruhm nicht schmälern. Es war doch eben nur ein Aufrücken in der Schule. Es war ein Schritt in die Höhe. Wenn ich höher gestellt wurde, so war es doch immer das Verdienst meiner Augen, daß sie den weiteren Gesichtskreis, der sich ihnen nun öffnete, auch auf der Stelle wirklich und richtig überschauten. Wäre ich kurzsichtig, so hätte mir das Aufsteigen nichts geholfen.«

Constanze hörte aufmerksam ihrem Vetter zu, denn sie fühlte, daß er sie durch seine geistreichen Sophismen erheiterte und zerstreute.

»Wollen Sie mir denn nicht sagen, mein hochgestellter Cousin,« fragte sie ironisch, was Sie nun eigentlich von Ihrer Höhe, zu der Sie so plötzlich hinaufbefördert sind, im Augenblick überschaut haben?«

Sie kommen mir vor mit der Frage, wie der Schüler im Faust,« versetzte Hugo. »Sie geben mir die schönste Gelegenheit, den langen Docentenmantel umzuschlagen wie Mephistopheles und wie Mephistopheles über alle Welt und jeden Stand mein Sprüchlein zu sagen. Aber wahrhaftig, ich habe keine Lust, eine Ilias post Homerum zu schreiben!«

»Weßhalb sollte sich Ihr schmiegsamer Geist nicht in der Rolle des Magisters dem fahrenden Schüler – oder noch leichter der Schülerin gegenüber erziehen können?«

»Weil die Schülerin viel zu ironisch ist und weil sie unter dem Gelehrtenhabit nicht den Professor, sondern immer nur den Mann mit dem Pferdefuß sehen würde.«

»Und sollte der mir nicht amüsanter, in seinem Urtheil über die Welt und die Zeit competenter erscheinen als ein Professor? Darauf hin können Sie es immer wagen.«

»Aber ich wage es nicht, weil Sie mir nicht so geduldig zuhören würden. Würden Sie mich ruhig ausreden lassen, wenn ich Ihnen sagte, daß meine Haupterfahrung, die ich aus den Ergebnissen der hinter uns liegenden Jahre entnommen habe, die ist: es giebt gar keine Ideen der Art, wie man geglaubt hat, sie als mächtige Hebel der Völkerentwicklungen gebrauchen zu können? Es giebt nur eine Idee, und das ist das Brod. Alle andern werden den Völkern von gesunden oder ungesunden Köpfen octroirt. Es giebt nur ein Princip, und das ist die Macht. Alle andern weichen vor diesen einen, letzten, höchsten. Sie lächeln, Constanze, aber es ist wahr, es ist mein voller Ernst, was ich gesagt habe, es ist der letzte Inhalt der Wissenschaft vom heutigen Staats- und Völkerleben!«

»Und man muß Ihnen einräumen, daß Sie ihn kurz zu fassen wissen!« antwortete Constanze und schwieg dann.

Hugo hatte erwartet, daß sie einen lebhaften Widerspruch erheben werde. Aber Constanze machte ihm feine Einwürfe. Vielleicht mochte sie es vermeiden wollen, sich mit Hugo in wirkliche ernste Debatten einzulassen. Vielleicht war etwas in ihrer Stimmung, ein Gefühl innerer Demüthigung vor sich selbst, was sie hinderte in die Schranken zu treten für alles Das, was ihr jetzt, wo sie sich in der Haft des eigenen persönlichen Lebensschmerzes fühlte, wie der Luxus des Lebens erschien.

In der Frühe des andern Morgens wurde der Gräfin ein Brief gebracht. Sie griff mit zitternder Hand danach, und dann legte sie ihn einen Augenblick wieder hin auf ihren Arbeitstisch, um Luft zu schöpfen und sich zu sammeln.

Es war Manfred's Hand, die die Aufschrift geschrieben, es war seine Antwort! Er schrieb:

›Gnädigste Gräfin!

Ich habe einen sehr langen und sehr gut stilisirten Brief an Sie geschrieben, habe ihn aber zerrissen, weil er von Anfang bis zu Ende unwahr war. Und warum sollte ich armer Maler lügen, ich, dem die Wahrheit im Leben wie in der Kunst über Alles geht und gar Ihnen gegenüber, die selbst auch jede Lüge verschmäht – wenn auch nur aus Stolz!

Sie schreiben mir überaus gnädig – Sie gestatten mir, ja Sie laden mich sogar ein, wieder in Ihre Nähe zu kommen, sei es auch nur um Abschied zu nehmen.

Ich will jetzt ganz ehrlich sein, Gräfin Constanze und hoffe, Sie zürnen nicht einem Menschen, dem Sie immer so gnädig sich gezeigt. Ich darf Sie nicht mehr sehen. Jetzt nicht, nie mehr! Aus jeder Stadt, die Ihr Fuß betritt, muß ich mich verbannen! Früher lag nichts an mir; ein Mensch, der so mittelmäßige Bilder malt, kann sich unbekümmert zu Tode grämen; aber jetzt – verzeihen Sie mir der einzigen Stolz meines Lebens, jetzt bin ich es meiner Kunst schuldig, mich ihr zu erhalten, weil ich ihr einst noch etwas zu nützen hoffen kann, wenn ich muthig und unbeirrt auf dem Wege fortschreite den ich betreten habe.

Seitdem ich Sie in meinem Atelier gesehen, habe ich die Palette nicht mehr zur Hand genommen, und so würde das immer bleiben! Ihr Anblick versengt alle meine Entwürfe!

Sie lassen mich errathen, daß Sie des Prinzen Hand ausschlagen – aber obgleich ich deßhalb gebrochnen Herzens Rom verließ, so sehe ich doch jetzt ein, daß das für mich ganz gleichgültig sein muß – Mein einziges Heil besteht darin, Sie nicht mehr zu sehen, nicht mehr von Ihnen zu hören – Schreiben Sie mir deßhalb auch nie mehr; ich darf nur die geträumte Gräfin Constanze, das Mondbild meines Innern schauen, die Wirkliche, Athmende, Leben und Licht Ausstrahlende ist mir, was Jupiter der Semele war – d'rum leben Sie wohl, Gräfin! Gott vergelte Ihnen, was Sie an meinen Vater thun, dessen Wohlthäterin Sie bleiben sollen, bis ich mich stark genug fühle, wieder vor Sie zu treten!

Manfred.‹

Als Constanze diesen Brief gelesen hatte, war sie tief erschüttert, aber ein innerer Jubel zog zugleich mit einem starken Entschluß durch ihre Seele. Ohne sich zu besinnen, ergriff sie die Feder, um dem Flüchtling zu antworten.

›Manfred!‹ schrieb sie – ich danke Ihnen, danke Ihnen unaussprechlich, daß Sie zuerst den Ton der Wahrheit rückhaltlos angeschlagen haben. Ja – nur Wahrheit sei fortan zwischen uns – und so sage ich Ihnen denn, daß Ihre Worte die letzten Schleier weggerissen haben, welche mein Inneres noch vor mir selbst verbargen; ich weiß jetzt weßhalb meint Geist suchte, meine Seele sich verzehrte, seitdem Sie geflohen waren; ich weiß jetzt, daß ich das Leben nicht mehr ertragen kann ohne Sie! Manfred – vier Jahre lang habe ich Sie gesucht; Nichts, Niemanden als Sie; ich bin aus Deutschland bis nach Rom gewandert, um Sie zu finden; wollen Sie, daß ich auch noch bis Neapel wandern soll, um Sie zu suchen? Was könnte jetzt noch zwischen uns stehen, da die Wahrheit gekommen ist, unsere Hände zu vereinigen? Nichts als ein kleinlicher engherziger Stolz – ein Gefühl so untergeordneter Natur, daß die große Künstlerseele meines Freundes seiner nicht fähig ist.

Ihre Constanze!‹



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