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Mit leichter Müh' gewonnen – lustig nun zu Pferde!
Heinrich VI. Erster Theil.
Heinrich erwachte mit dem frühesten Sonnenstrahl und fand den treuen Cuddie an seinem Lager, mit einem Mantelsack in der Hand.
»Ich habe schon Euer Edeln Sachen in Bereitschaft gehalten, ehe Ihr aufwachtet,« sagte Cuddie, »wie's auch meine Schuldigkeit ist, da Ihr so gut waret, mich in Eure Dienste zu nehmen.«
»Ich Euch in meine Dienste nehmen, Cuddie?« sagte Morton. »Ihr träumt wohl?«
»Nein, nein, Sir,« antwortete Cuddie; »sagt' ich Euch nicht, als ich damals an's Pferd gebunden war, daß ich Euer Diener sein wolle, wenn ich je wieder los käme? und Ihr sagtet nicht Nein! dazu. Nun, wenn das nicht dingen heißt, so sag' ich nichts. Ihr habt mir freilich kein Handgeld gegeben; aber Ihr habt mir doch genug gegeben in Milnwood.«
»Gut, Cuddie! wenn du darauf bestehst, es auf mein ungünstig Geschick zu wagen.«
»O ja, das wird schon wieder günstig für uns Alle, dafür bin ich gut,« antwortete Cuddie fröhlich; »wenn nur erst meine alte Mutter gut untergebracht wäre! Ich hab' das Kriegshandwerk beim rechten Ende angefangen.«
»Mit Plündern vermuthlich?« sagte Morton; »denn wie hättest du sonst zu diesem Mantelsacke kommen können?«
»Ich weiß nicht, ob das Plündern heißt,« entgegnete Cuddie; »aber man kommt ganz natürlich dazu und ist ein profitables Gewerbe. Unsere Leute hatten schon die todten Dragoner ausgezogen, ganz splitternackend, noch eh' wir loskamen. – Als ich aber merkte, daß die Whigs dem Pauker und den Andern zuhörten, da macht' ich mich aus die Beine, um für mich und Euch was zu erschnappen. So ging ich nun etwas rechts den Sumpf entlang, wo ich Pferdespuren bemerkte, und kam auch richtig an einen Platz, wo's ziemlich kunterbunt hergegangen sein muß; denn die armen Schelme lagen noch da in ihren Kleidern, just wie sie dieselben am Morgen angezogen hatten. – Niemand hatte die Leichen aufgefunden – und wen fand ich in der Mitte liegen? Unfern alten Bekannten, den Sergeanten Bothwell.«
»So, ist er gefallen?« fragte Morton.
»Ei freilich!« antwortete Cuddie. »Seine Augen waren offen, seine Stirne gerunzelt und seine Zähne zusammengeklemmt, wie eine Marderfalle, wenn die Klappe zugeschnappt ist, – ich hatte ordentlich Angst, ihn anzusehen, dacht' aber doch, mach' dich d'ran, und so leert' ich ihm die Taschen, wie er's selber mit manchem rechtschaffenen Manne gethan, und hier ist Euer Geld wieder (oder Eurem Oheim sein's, was das Nämliche ist), das er zu Milnwood bekommen hat an jenem unglücklichen Abend, der uns Beide zu Soldaten gemacht hat.«
»Davon können wir ohne Skrupel Gebrauch machen, Cuddie,« sagte Morton, »da wir wissen, wie er dazu gekommen ist. Aber Ihr müßt mit mir theilen.«
»Wartet ein bischen! wartet ein bischen!« rief Cuddie. »Seht, da ist auch ein kleiner Ring, der ihm an einem schwarzen Bande auf der Brust hing. War wohl ein Liebesangedenken – armer Schelm – 's ist doch Niemand so hart, den nicht die Mädchen weich machten – und da ist auch ein Buch mit etlichen Papieren; sonst hab' ich noch allerlei Sachen, die ich für mich selbst behalten will.«
»Auf mein Wort,« sagte sein neuer Herr, »für einen Anfänger hast du gute Prise gemacht.«
»Nicht wahr?« sagte Cuddie mit großer Freude. »Sagt' ich nicht, wenn's auf's Nehmen ankommt, bin ich nicht auf den Kopf gefallen. Und außerdem hab' ich noch zwei schmucke Pferde gekriegt; ein armer Kerl von Leinweber, der Webstuhl und Haus verlassen hat, um da auf dem kalten Hügel zu plärren, hatte zwei Dragonerpferde aufgefangen, der wußte sie weder zu füttern noch zu lenken, so gab er mir beide für ein Goldstück. Ich hätt' ihn wohl mit der Hälfte 'rum gekriegt, aber man kann an dem vertrackten Ort nichts wechseln lassen. – Das Geld fehlt in Bothwells Beutel, wie Ihr finden werdet.«
»Du hast einen trefflichen, nützlichen Handel gemacht, Cuddie; aber wie steht's mit diesem Mantelsack?«
»Der,« antwortete Cuddie, »gehörte gestern dem Lord Evandale! heut' aber gehört er Euch. Ich fand ihn hinter dem Busche dort. – Ein Blinder hat ein Hufeisen gefunden – Ihr wißt, wie's im alten Liede heißt:
»Sieh' dich nur um, Mutter, sprach Thomas von der Linn.«
Dabei fällt mir ein, daß ich doch nach der Mutter sehen muß, das arme, alte Weib, wenn Euer Edeln sonst nichts zu befehlen haben.«
»Aber Cuddie,« sagte Morton, »ich kann doch diese Sachen nicht ohne Belohnung von dir nehmen.«
»Ei, ei, Sir,« antwortete Cuddie, »nehmt's nur immerhin – was die Belohnung betrifft, so hat's gute Zeit – hab' mich auch schon mit Etwas versorgt, das besser für mich paßt. Was sollt' ich mit Lord Evandale's schönen Kleidern machen? Die vom Sergeanten Bothwell sind gut genug für mich.«
Da Morton seinen uneigennützigen Diener nicht bewegen konnte, von dieser Beute Etwas für sich selbst zu behalten, so war er entschlossen, bei der ersten Gelegenheit dem Lord Evandale dessen Eigenthum zurückzugeben, vorausgesetzt, daß er noch lebe; trug jedoch kein Bedenken, von Cuddie's Beute insofern Nutzen zu ziehen, daß er sich unter den Sachen von größerem Werthe einige Wäsche und andere unbedeutende Dinge zueignete. Dann durchlief er schnell die Papiere, die sich in Bothwells Taschenbuche vorfanden. Diese waren von sehr verschiedener Art. Das Namensverzeichniß seiner Mannschaft und der Beurlaubten, Wirthshausrechnungen, Delinquentenlisten, die mit Geldstrafen belegt, oder gerichtlich belangt werden sollten, waren, nebst der Abschrift eines Verhaftsbefehls vom Staatsrath gegen einige angesehene Personen, die ersten Papiere, die sich zeigten. In einer andern Tasche befanden sich einige Patente und Dienstzeugnisse, die seinen Muth und seine militärischen Talente sehr rühmten. Aber das merkwürdigste unter diesen Papieren war ein sorgfältig ausgearbeiteter Stammbaum mit Beziehungen auf mehrere Urkunden, dessen Aechtheit zu beweisen, nebst einem Verzeichniß der großen Besitzungen der geächteten Grafen von Bothwell, und eine besondere Angabe der Hofleute und Adeligen, denen Jakob VI. dieselben verliehen und deren Nachkommen noch in ihrem Besitze waren. Unter dieser Liste waren mit rothen Buchstaben von der Hand des Verstorbenen geschrieben: Haud Immemor, F. S. E. B., wahrscheinlich die Initialen von Franz Stuart Earl (Graf) Bothwell. Bei diesen Urkunden, welche den Charakter und die Gesinnung des verstorbenen Eigentümers scharf bezeichneten, lagen noch andere, die diesen in einem ganz andern Lichte darstellten, als ihn der Leser bis jetzt kennen gelernt.
In einer geheimen Tasche des Buches, welche Morton nicht ohne Mühe entdeckte, waren einige, von schöner Frauenhand geschriebene Briefe. Ihr Datum wies auf ungefähr zwanzig Jahre zurück, sie hatten keine Adresse und waren nur mit Anfangsbuchstaben unterzeichnet. Morton hatte keine Zeit, sie genau durchzulesen, bemerkte aber, daß sie zarte Ausdrücke weiblicher Zuneigung enthielten, an einen Mann gerichtet, dessen Eifersucht dadurch beschwichtigt werden sollte, und dessen ungestüme, argwöhnische und heftige Gemüthsart die Schreiberin sanft anklagte. Die Schrift war durch die Länge der Zeit fast verlöscht, und ungeachtet der großen Sorgfalt, welche auf ihre Erhaltung verwendet worden, war sie an einigen Stellen fast unleserlich. »Es thut nichts!« stand auf dem Umschlag des Briefes, der am meisten gelitten; »ich weiß sie auswendig.«
Bei diesen Worten lag auch eine Haarlocke, in eine Abschrift von Versen eingewickelt, welche nach Mortons Meinung so viel Empfindung bekundeten, daß sie für die ungesagte Poesie und die absonderlichen Wendungen entschädigte, die dem damaligen Geschmack eigen waren:
Du glänzest, theures Pfand, in reiner Pracht,
So schön, wie in der unvergessnen Nacht,
Da du die holde Braut hast umkräuselt
Und Agnes mir »ich liebe dich« gesäuselt.
Wie oft seitdem hast du gedrückt mit Lust
Die heiße Zone dieser wilden Brust.
Drin, mit der ersten Sünde, so die Hölle
Bevölkert. Zorn und Haß sich ihre Stelle
Gekürt; wo gleich dem Meere tobt das Blut,
Wo jeder Schlag gleicht wilden Donners Wuth! –
Wenn dich solch Klima nicht vernichtet,
Bleibt dir dein Glanz auch hell gelichtet.
In diesem wilden Reich, mit welcher Macht
Beherrschte Agnes, was ich je gedacht!
Nicht hätt' ich unstät mich umhergetrieben.
Wär' solch ein Engel Führer mir geblieben!
Ich wäre nicht von Gott und Mensch vertrieben,
Hätt'
sie gelebt, gelebt, um mich zu lieben.
Nicht wäre mir der Erde wüstes Wesen
Nur eine rohe, wilde Jagd gewesen.
Dann wäre nicht mein einziges Ergötzen
Das tolle Rennen, Lärmen, Hetzen.
Daß, war die arme Beute mir geworden.
Ich sie zerriß in gräßlich-wildem Morden:
Die Sanftmuth hätt' mein zornig Herz gemildert.
Den Schmerz besänftigt, den der Stolz verwildert;
Mir wären Gott und Menschen hold geblieben,
Hätt'st du gelebt, gelebt, um mich zu lieben!
Als Morton diese Zeilen gelesen, konnte er sich nicht des Mitleids erwehren ob dem Schicksal dieses seltsamen, höchst unglücklichen Mannes, der, in dem niedrigsten Zustande und fast am Ziele der Verachtung, doch nie vergaß, die Berechtigungen seiner Geburt anzusprechen, und während er sich zu den gröbsten Ausschweifungen hergab, in der Einsamkeit immer noch mit bitterer Reue an seine Jugendzeit dachte, wo er eine tugendhafte, obgleich unglückliche Neigung genährt.
»Ach, was sind wir,« sagte Morton, »daß unsere besten und edelsten Gefühle so entwürdigt und entweiht werden können – daß rühmlicher Stolz sinken kann bis zu hochmüthiger, verzweifelter Gleichgültigkeit gegen die öffentliche Meinung, und Gram über unglückliche Liebe in demselben Busen wohnen können, wo Ausschweifung, Rachsucht und Raubgier weilen? Aber so ist's überall; die freisinnigen Grundsätze eines Menschen schrumpfen zusammen in kalte Gleichgültigkeit, und einen Andern reißt der religiöse Eifer zu wilder, toller Schwärmerei. Unsere Entschlüsse, unsere Leidenschaften gleichen den Meereswogen, und ohne den Beistand Dessen, der die Menschenbrust gebildet, können wir den Wogen nicht sagen: Bis hieher und nicht weiter!«
Als er während dieser ernsten Betrachtung die Augen aufschlug, sah er Burley vor sich stehen.
»Schon wach?« sagte dieser. – »Das ist brav, und zeigt Euren Eifer, die Bahn zu betreten, die vor Euch liegt. – Was sind das für Papiere?«
Morton berichtete ihm in gedrungener Kürze von Cuddie's glücklichem Fang und überreichte ihm Bothwells Taschenbuch nebst dessen Inhalt.
Der cameronianische Führer betrachtete mit einiger Aufmerksamkeit die Papiere, welche sich auf militärische oder öffentliche Angelegenheiten bezogen; als er aber auf die Verse stieß, warf er sie mit Verachtung weg.
»Ich hätte nicht gedacht,« sagte er, »als ich mit Gottes Beistand diesem Hauptwerkzeuge der Grausamkeit und Verfolgung mein Schwert dreimal durch den Leib stieß, daß ein so verzweifelter und gefährlicher Mensch sich mit einer eben so gemeinen, als erbärmlichen Kunst abgeben konnte. Aber ich sehe, Satan kann in seinen geliebtesten und auserwählten Gehülfen die verschiedensten Eigenschaften vereinigen, und diejenige Hand, welche eine Keule oder sonst eine Mordwaffe gegen die Frommen im Thale der Zerstörung schwingt, kann auch auf klingender Laute oder Zither klimpern, um die Ohren der tanzenden Töchter der Verdammniß in ihrer eitlen Schöne zu kirren.«
»Eure Ansichten von Pflicht,« sagte Morton, »schließen also die Liebe zu den schönsten Künsten aus, von denen man doch allgemein glaubt, daß sie die Seele läutern und erheben?«
»Mir, junger Mann,« antwortete Burley, »und Allen, welche gleich mir denken, sind die Vergnügungen dieser Welt, wie sie auch heißen mögen, lauter Eitelkeiten, und Größe und Macht dieser Welt nur ein Fallstrick. Wir haben auf Erden nur Ein Ziel, und das ist, den Tempel des Herrn zu bauen.«
»Ich habe meinen Vater sagen hören,« erwiderte Morton, »daß Viele, welche sich im Namen des Himmels Gewalt anmaßten, eben so streng in deren Ausübung waren, als sie sich unwillig davon trennten, als ob nur irdische Eitelkeit sie angetrieben – doch davon ein ander Mal! Ist's Euch gelungen, daß ein Ausschuß des Kriegsraths ernannt werde?«
»Ja wohl!« antwortete Burley. »Die Zahl ist auf Sechs beschränkt, wovon Ihr Einer seid, und ich komme, Euch zur Berathung zu holen.«
Burley begleitete ihn zu einem abgelegenen Rasenplatze, wo ihre Collegen sie erwarteten. Bei dieser Uebertragung der Gewalt hatten beide Hauptfactionen des ordnungslosen Heeres Sorge getragen, daß jede Drei von ihrer Zahl sandte. Auf Seiten der Cameronianer waren Burley, Macbriar und Pauker, und auf Seiten der Gemäßigten Pfundtext, Heinrich Morton und ein kleiner Gutsbesitzer, der Laird von Langcale genannt. So hielten sich beide Parteien im Ausschuß das Gleichgewicht, obwohl es wahrscheinlich war, daß die heftige Partei, wie gewöhnlich in solchen Fällen, mit der größten Kraft handeln würde. Sie führten indessen ihre Verhandlungen mehr wie Menschen dieser Welt, als man von ihrem Benehmen am vorigen Abend hätte erwarten sollen. Nach reiflicher Erwägung ihrer Mittel und Lage und ihrer wahrscheinlichen Verstärkung, kamen sie überein, für diesen Tag in ihrer Stellung zu verbleiben, um die Mannschaft gehörig ausruhen zu lassen und die Verstärkung abzuwarten; am nächsten Tage sollte aber nach Tillietudlem aufgebrochen und diese Veste der Bosheit, wie sie sich ausdrückten, zur Uebergabe aufgefordert werden. Ergäbe sie sich nicht, so sollte ein Sturm versucht werden, und wenn dieser mißlänge, solle der Platz von einem Theile des Heeres blokirt und womöglich durch Hunger bezwungen werden, während die Hauptmacht weiter vorrücken sollte, um Claverhouse und Lord Roß aus der Stadt Glasgow zu verjagen. Dies war der Beschluß des Kriegsraths, und Mortons erste Unternehmung im thätigen Leben war also wahrscheinlich der Angriff eines Schlosses, das der Großmutter seiner Geliebten gehörte, und von ihrem Verwandten, dem Major Bellenden, vertheidigt ward, dem er persönlich so viel Verbindlichkeiten schuldete. Er selbst fühlte das Drückende seiner Lage, tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß seine neuerworbene Gewalt ihm jedenfalls die Mittel geben werde, den Bewohnern von Tillietudlem einen Schutz zu gewähren, dessen sie außerdem gewiß hätten ermangeln müssen. Auch durfte er hoffen, einen Vergleich zwischen ihnen und dem presbyterianischen Heere zu Stande bringen zu können, der ihnen während des bevorstehenden Krieges sichere Neutralität gewähre.