Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.
Verwaltung.

Regiert muß sein, wo nur Gesellschaft ist,
Die Bienen haben ihre Königin,
Hirschrudel unterwerfen sich dem Führer;
Rom hatte Konsuln und Athen Archonten,
Und wir, wir haben den Verwaltungsausschuß.

Stadtbuch von St. Ronans.

Franz Tyrrel hatte sich im Laufe des folgenden Tages in seinem alten Quartiere schon völlig eingerichtet, und gab nun seine Absicht zu erkennen, hier mehrere Tage zu verweilen. Der altherkömmliche Fuhrmann hatte seine Angelruthe und Reisekoffer überbracht, nebst einem Brief an Meg, der um eine Woche voraus datirt war, und sie ersuchte, einem alten Bekannten eine Wohnung bereit zu halten. So sehr diese Meldung auch zu spät kam, so nahm Meg sie doch mit großem Wohlgefallen auf, und bemerkte, dieß sei eine höfliche Aufmerksamkeit von Herrn Tyrl, und John Hislop sei zwar nicht gerade so schnell, aber doch weit sicherer, als jede andere Post, oder auch ein besonderer Eilbote. Auch bemerkte sie mit Vergnügen, daß kein Gewehr unter ihres Gastes Gepäck war, denn das lästige Schießen hätte ihn und sie in Verlegenheit gesetzt, – die Lairds hätten darüber geschrieen, als mache sie ihr Haus zum Sammelplatz für gemeine Vogelsteller und Wilddiebe, und doch hätte sie zwei ausgelassene tolle Bursche nicht zurückhalten können. Sie seien auf des Nachbars Grund und Boden gewesen, und hätten Erlaubniß gehabt bis hinauf an den Markstein, aber das seien nicht die Leute gewesen, Gränzen zu beachten, wenn die Moorvögel aufflogen.

Nach einigen Tagen war ihr Gast in eine so ruhige und einsiedlerische Lebensweise verfallen, daß Meg, die das rastloseste und geschäftigste Geschöpf unter der Sonne war, die Zeit ordentlich lang zu werden anfing, weil er ihr gar nicht so viel zu schaffen machte, als sie erwartet hatte, worin sie vielleicht, bei seiner völlig leidenden Gleichgültigkeit gegen Alles, das nämliche Gefühl hatte, wie ein guter Reiter bei einem übergeduldigen Pferde, das er kaum unter sich fühlt. Seine Spaziergänge gingen meist nach den einsamsten Plätzen in den benachbarten Wäldern und Bergen, – seine Angelruthe blieb oft daheim, oder wurde bloß als eine Entschuldigung für sein langsames Hinschlendern am Ufer eines kleinen Baches mitgenommen, – und sein Fang war ihm so gleichgültig, daß Meg sagte, der Pfeifer von Peebles hätte einen ganzen Korb voll gefangen, ehe Herr Franz ein halbes Dutzend voll machte, so daß er endlich um des lieben Friedens willen und um seine Ehre zu retten, einen schönen Lachs fangen mußte.

Tyrrel's Malen, wie es Meg nannte, ging eben so langsam; oft zeigte er ihr die Skizzen, die er von seinen Spaziergängen mitbrachte, und zu Hause zu vollenden pflegte, aber Meg wollte nicht viel davon halten. Was bedeuteten ein Paar Wische Papier mit schwarzen und weißen Fliegenfüßen darauf, die er Büsche und Bäume und Felsen nenne! – Konnte er sie nicht malen mit grün und blau und gelb, wie andere Leute? – »Damit werdet Ihr nimmermehr Euer Brod verdienen, Herr Franz. Ihr solltet lieber ein großes, viereckiges Stück Leinwand aufziehen, wie Richard Tinto, und Gesichter darauf malen, das sähe man viel lieber, als einen Fels im Wasser, und ich hätte auch nichts dagegen, wenn einige von den Mantelsackrittern heraufkämen, und Euch sähen. Sie bringen ihre Zeit wohl schlechter zu, das weiß ich, – und ich versichere Euch, Ihr bekommt eine Guinee für den Kopf. Richard bekam zwei, das war aber auch eine alte fertige Hand, und ehe man gehen lernt, muß man kriechen.«

Diese Vorstellungen beantwortete Tyrrel mit der Versicherung, daß Skizzen, womit er sich beschäftige, so hoch gehalten würden, daß oft ein Künstler in dieser Art weit mehr dafür bekäme, als für Bildnisse oder farbige Zeichnungen. Er setzte hinzu, sie dienten oft zur Erläuterung von Volksgedichten, und deutete an, wie er selbst in einer Arbeit dieser Art begriffen sei.

Sehnlich verlangte Meg, sich gegen Nelly Traber, das Fischweib, auszuschütten, – deren Wagen der einzige neutrale Verkehrskanal zwischen der Altstadt und dem Brunnen war, und die bei Meg in Gunst stand, weil sie auf dem Wege nach dem Brunnen an ihrer Thüre hielt, und ihr die erste Wahl unter den Fischen ließ; – dieser wollte sie nun die künstlerischen Verdienste ihres Gastes preisen. Die gute, alte Dods war in der That durch die Nachricht von ausgezeichneten Personen jeder Art, die Tag für Tag im Hotel ankamen, so geärgert und gleichsam verdutzt worden, daß sie sich der glücklichen Gelegenheit überaus freute, auch einmal wieder triumphiren zu können, und man kann sich denken, daß die vortrefflichen Eigenschaften ihres Gastes dadurch nichts verloren, daß sie von ihr ausposaunt wurden.

»Ich muß das Beste von dem Wagen haben, Nelly, – wenn wir einig werden können, – denn es ist für einen der besten Maler. Eure zierlichen Leute dort unten gäben was darum, wenn sie sähen, was er gemacht hat, – er bekommt Hände voll Geld für drei gerade und drei krumme Striche. Und er ist kein so undankbarer Schlingel, wie Richard Tinto, der kaum meine fünfundzwanzig Schillinge in der Tasche hatte, als er hinunterging in das Hotel, und sie vertrank, nein, das ist ein anständiger, stiller, junger Mann, der wohl weiß, wo er gut aufgehoben ist, und auf den alten Gasthof noch etwas hält, – wie sollt' er auch nicht? Sagt ihnen nur das alles, und hört, was sie davon meinen.«

»Nun wahrhaftig, das kann ich Euch jetzt schon sagen, ohne nur ein Bein darum zu rühren,« antwortete Nelly Traber; »sie sagen, Ihr wäret eine alte Närrin, und ich dazu, die sich wohl auf Hühnerbrühe und Engelfische verstünden, aber ihre Mäuler nicht in alles hängen müßten.«

»Das sagen sie, die unverschämten Spitzbuben, und ich bin Wirthin seit dreißig Jahren!« rief Meg, »das sollten sie mir nicht ins Gesicht sagen. Aber ich spreche nicht ohne Gewährsmann, – denn wenn ich nun mit dem Geistlichen gesprochen, und ihm eine von den leichten Krizeleien gezeigt hätte, die Herr Tyrl immer auf seinem Zimmer herumliegen läßt? – und wenn er nun gesagt hätte, Lord Bidmore gäbe für die schlechteste davon fünf Guineen? und alle Welt weiß, daß er lange Hofmeister im Bidmore'schen Hause war.«

»Meiner Treu!« antwortete ihre Gevatterin, »wenn ich ihnen das Alles sagen wollte, so würden sie mir es kaum glauben, denn es sind so viel Kenner unter ihnen, und die halten so viel von sich selbst, und so wenig von andern Leuten, daß sie mir kein Wort von dem Allen glauben werden, was ich sage, wenn Ihr mir nicht das Gemälde selbst mit hinuntergebt.«

»Nicht glauben, was ein ehrliches Weib sagt, – ich will nicht einmal sagen zwei?« rief Meg; »o das ungläubige Geschlecht! – Nun gut, Nelly, da ich einmal in der Hitze bin, so sollt Ihr das Gemälde oder die Skizze, oder was es ist, mitnehmen, und das eingebildete Volk beschämen. – Aber seht zu, daß Ihr es wieder zurückbringt, Nelly, denn es ist eine Sache von Werth; und laßt es nicht aus der Hand, das sage ich Euch, denn ich traue nicht viel auf ihre Ehrlichkeit. Und Nelly, Ihr könnt auch sagen, er hätte ein erläutertes Gedicht, – erläutert, vergeßt das Wort nicht, – das spickt dergleichen Dinge aus, wie Speckschnitten einen Puter.«

So mit ihren Beglaubigungsstücken versehen, und als Herold zwischen zwei feindlichen Lagern trieb Nelly ihren kleinen Fischwagen hinunter nach dem St. Ronans-Brunnen.

In Brunnenörtern, wie bei andern Menschenvereinen, hat Zufall, Laune oder Uebereinkunft mancherlei Regierungsarten eingeführt, aber fast in allen hat man Vorkehrungen gegen die Anarchie getroffen. Zuweilen ist die ganze Macht einem Ceremonienmeister übertragen worden, aber auch diese Zwingherrschaft ist, wie alle übrigen, in den letzten Zeiten aus der Mode gekommen, und die Gewalt dieses Großwürdenträgers ist selbst in Bath, wo Nash einst mit unbestrittener Oberherrlichkeit regierte, sehr beschränkt worden. Meistens nahm man seine Zuflucht zu Verwaltungsausschüssen, die aus den beständigsten Gästen erwählt wurden, als zu einer freisinnigern Regierungsart, und einem solchen war auch die Verwaltung des jungen Freistaats von St. Ronans-Brunnen anvertraut. Es muß bemerkt werden, daß dieser kleine Senat bei der Erfüllung seiner hohen Pflichten um so mehr Mühe hatte, da die Unterthanen hier, wie in andern Freistaaten, in zwei mißhellige und streitende Parteien getheilt waren, welche jeden Tag mit einander aßen, tranken und sich lustig machten, während sie sich mit aller Heftigkeit politischer Parteien haßten, durch alle mögliche Künste bemüht waren, sich den Beitritt jedes ankommenden Gastes zu sichern, und ihre beiderseitigen Thorheiten und Albernheiten mit allem ihnen zu Gebot stehenden Witz und aller Bitterkeit lächerlich machten.

An der Spitze einer dieser Parteien stand Niemand Geringeres, als Lady Penelope Penfeather, welcher die ganze Anstalt ihren Ruf, ja ihr Dasein verdankte, und deren Einfluß nur in dem Gutsherrn, Herrn Mowbray von St. Ronans, oder wie die Gesellschaft ihn gewöhnlich nannte, dem Squire, welcher Anführer der andern Partei war, ein Gegengewicht finden konnte.

Der Rang und das Vermögen der Lady, ihre Ansprüche auf Schönheit sowohl, als Talent (wiewohl die erstere etwas verblichen war), und die Wichtigkeit, die sie sich selbst als Modedame beilegte, versammelte Maler, Dichter, Philosophen, Gelehrte, Vorleser, fremde Abenteurer et hoc genus omne um sie.

Der Einfluß des Squires dagegen, als eines Mannes von guter Familie und Grundbesitz in der Nachbarschaft, der Jagdhunde wirklich hielt, und von Jägern und Wettrennern wenigstens sprach, sicherte ihm die Unterstützung aller der halben und ganzen Wildfänge aus den drei nächsten Grafschaften, und wenn weitere Lockungen nothwendig waren, so konnte er seinen Günstlingen das Vorrecht ertheilen, über seine Moore hinzuschießen, was immer genug ist, um einem jungen Schotten den Kopf zu verdrehen. In der letzten Zeit erhielt ihn in seinem Uebergewicht hauptsächlich eine enge Verbindung mit Sir Bingo Binks, einem weisen, englischen Baronet, der, wie viele glaubten, sich schämte, in sein Vaterland zurückzukehren, und darum am St. Ronans-Brunnen sich niedergelassen hatte, um hier den Segen zu genießen, den ihm der caledonische Hymen in der Person von Fräulein Rachel Bonnyrigg so gütig aufgedrungen hatte. Da dieser Herr wirklich eine regelmäßig gebaute Postkutsche fuhr, die von denen Seiner Majestät in keiner Hinsicht verschieden war, als daß sie öfter umwarf, so war sein Einfluß auf eine gewisse Klasse unwiderstehlich, und der Squire von St. Ronans, der mehr Verstand hatte, erntete nun alle Vortheile seiner wichtigen Freundschaft.

Diese zwei streitenden Parteien hielten sich nun dergestalt das Gleichgewicht, daß der vorherrschende Einfluß der einen oder der andern oft vom Sonnenlauf bestimmt wurde. Früh Morgens oder Vormittags, wenn Lady Penelope ihre Heerde in's Freie oder zur schattigen Laube führte, entweder um ein zerstörtes Denkmal alter Zeit zu besuchen, oder ihr Pickenik-Frühstück zu genießen, gutes Papier mit schlechten Zeichnungen, und gute Verse durch Wiederholung zu verderben, mit einem Worte:

Zu rasen, vorzulesen, alles toll zu machen,

schien der Lady Herrschaft über die Müssiggänger unbestritten und unbeschränkt, und alles ward in den Wirbel hineingerissen, dessen Dreh- und Mittelpunkt sie bildete. Selbst die Jäger, Schützen und Trinker folgten manchmal widerstrebend ihrem Zuge, schmollend, stotternd und ihre feierlichen Feste verhöhnend, wobei sie denn auch die jüngern Nymphen zum Kichern ermunterten, wenn sie empfindsam aussehen sollten. Aber nach dem Mittagsmahl änderte sich die Scene, und ihrer Herrlichkeit süßestes Lächeln und sanfteste Einladungen reichten oft nicht hin, den neutralen Theil der Gesellschaft in das Theezimmer zu ziehen, so daß ihre Gesellschaft auf diejenigen einschmolz, deren Leibesbeschaffenheit oder Finanzen einen baldigen Abzug aus dem Speisesaale zur Nothwendigkeit machten, nebst dem ergebenern und eifrigern Theile ihrer unmittelbaren Ab- und Anhänger. Selbst die Treue der Letztern war nicht ganz sicher. Ihrer Herrlichkeit gekrönter Dichter, zu dessen Gunsten sie jeden Neuankommenden zur Subskription lockte, wurde so unabhängig, daß er in Ihrer Herrlichkeit Gegenwart an der Abendtafel ein ziemlich zweideutiges Lied sang, und ihr erster Maler, der an einer erläuternden Ausgabe der Pflanzenbegattung arbeitete, wurde einmal zu einer solchen Weintapferkeit verführt, daß er, als die Lady ihre gewöhnliche Gabe von Kritik über seine Werke ausgoß, nicht nur derb ihr Urtheil bestritt, sondern auch etwas über sein Recht fallen ließ, als gebildeter Mann behandelt zu werden.

Diese Fehden wurden von dem Leitungsausschuß aufgenommen, welcher am nächsten Morgen für die reuigen Beleidiger sich verwendete, und sie unter mäßigen Bedingungen in Lady Penelope's Gunst wieder einsetzte. Noch übte er manche Akte gebietender Amtswürde, theils zur Ruhe der Brunnengäste, und so wesentlich war seine Herrschaft für das Gedeihen des Orts, daß ohne ihn St. Ronans-Quell bald verödet gewesen sein würde. Wir müssen daher eine kurze Skizze dieses vielvermögenden Ausschusses geben, welchem beide Parteien, als handelten sie nach einem Gesetze der Selbstverläugnung, gemeinsam die Zügel der Regierung anvertraut hatten.

Jedes Mitglied schien wegen seiner besondern Gaben erwählt zu sein, wie Fortunio im Feenmährchen seine Gesellschafter auslas. Zuerst auf der Liste stand der Mann der Heilkunde Herr Quinbus Quackleben, der auf das Recht Anspruch machte, medicinische Angelegenheiten an der Quelle zu reguliren, nach dem Grundsatze, der vor Alters das Eigenthum eines neuentdeckten Landes dem ersten Flibustier zusprach, der an der Küste Seeräuberei trieb. Die Anerkennung der Verdienste des Doctors, der zuerst die Kraft der Quelle bekannt gemacht und behauptet hatte, erforderte, daß man ihn allgemein als ersten Arzt und Gelehrten bestellte, welche letztere Eigenschaft er zu jedem Zwecke brauchen konnte vom Sieden eines Eies bis zu einer Vorlesung. Er war, wie viele seiner Kunstgenossen, geeignet, einem an Unverdaulichkeit leidenden Kranken Gift und Gegengift vorzulegen, denn er war ein so kundiger Gastronom, wie Doctor Redgill selbst, oder jeder andere würdige Arzt, der zum Besten der Küche geschrieben, von Doctor Moncrieff von Tippermalloch an bis auf den seligen Dr. Hunter von York und Dr. Kitchiner in London. Aber die Menge ist immer neidisch, und darum überließ der Doctor klüglich das Amt des Tischraths und Obervorschneiders dem Manne von Geschmack, der regelmäßig und von Amtswegen den Vorsitz am Tisch führte, und behielt nur sich das Vorrecht vor, gelegentlich die guten Speisen, welche vorkamen, zu beurtheilen, und nach Kräften verzehren zu helfen. Zum Schlusse dieser kurzen Nachricht über den gelehrten Doctor fügen wir noch für den Leser die Bemerkung bei, daß er ein langer, hagerer, finsterblickender Mann war, mit einer schlecht gemachten, schwarzen Perücke, die zu beiden Seiten über seine durchsichtigen Backen hervorstand. Neun Monate brachte er jährlich zu St. Ronans zu, und stand sich, wie man glaubte, ziemlich gut dabei, besonders da er Whist bewundernswürdig spielte.

Der erste der Reihe nach, vielleicht aber nur der zweite nach dem Doctor an wahrem Ansehen, war Mr. Winterblossom, ein höfliches Männchen, ängstlich sauber im Anzug, das Haar in einen Zopf gebunden, gepudert, trug Gürtelschnallen mit Bristoler Steinen besetzt, und einen Siegelring, so groß wie der von Sir John Falstaff. In seinen jüngern Jahren besaß er ein kleines Gut, das er aber auf vornehme Weise im Umgang mit der lustigen Welt verschwendet hatte. Kurz er war einer jener achtbaren Menschen, welche die Gecken der alten Welt mit den jetzigen verketten, und konnte aus eigener Erfahrung die Thorheiten beider vergleichen. In der letztern Zeit hatte er Verstand genug, sich den Zerstreuungen, freilich mit geschwächter Gesundheit und geschmolzenem Vermögen zu entziehen.

Herr Winterblossom lebte jetzt von einer mäßigen Jahrsrente, und hatte dadurch, daß er beständiger Vorsitzer an der Brunnenwirthstafel war, ein Mittel ausfindig gemacht, seine Sparsamkeit mit angenehmer Unterhaltung und einer gut besetzten Tafel in Einklang zu bringen. Er pflegte die Gesellschaft mit Geschichten von Garrick, Foote, Bonnel Thornton und Lord Kellie zu unterhalten, und in Sachen des Geschmacks und der Kunstfertigkeit seine Meinung abzugeben. Ein trefflicher Vorschneider, verstand er es, jedem Gaste zu dem zu verhelfen, was ihm gebührte, und nie verfehlte er, zum Lohn für seine Mühe, sich ein gehöriges Stück vorzubehalten. Schließlich besaß er auch einigen Geschmack in den schönen Künsten, wenigstens in Malerei und Musik, wiewohl derselbe mehr technischer, als von jener Art war, welche das Herz erwärmt und das Gefühl erhebt, denn in Herrn Winterblossom selbst war durchaus nichts von Wärme und Erhebung zu verspüren. Er war schlau, selbstsüchtig und sinnlich, welche letztere Eigenschaft er unter dem gleißenden Firniß äußerlicher Gefälligkeit verbarg. Deßhalb ließ er bei aller vorgeblichen und in die Augen fallenden Aengstlichkeit, den Wirth bei der Tafel genau so zu machen, wie es die gute Erziehung erforderte, doch nie die Kellner für die Bedürfnisse Anderer sorgen, bevor er nicht sich mit Allem, was ihm behagte, versorgt und abgefunden hatte.

Herr Winterblossom besaß noch außerdem einige seltene Kupferstiche und andere Kunstgegenstände, mit deren Vorzeigen er zuweilen an einem Regenmorgen der Gesellschaft die Zeit vertrieb. Sie waren gesammelt » viis et modis«, wie der Rechtsgelehrte, ein anderes ausgezeichnetes Mitglied des Ausschusses, mit einem pfiffigen Seitenblick zum nächsten Nachbar sagte. Von diesem ist wenig zu sagen. Er war ein grobknochiger, schreihalsiger, alter Mann mit einem rothen Gesichte, und hieß Micklewham; er war ein Dorfschreiber oder Anwalt, der die Angelegenheiten des Squire's sehr zu eines oder des andern, wenn nicht zu beiderseitigem Vortheil besorgte. Seine Nase sprang aus seinem breiten, gemeinen Gesichte hervor, wie der Zeiger einer alten Sonnenuhr, ganz nach einer Seite gewendet. In seinem Fache war er, als ob es kein bürgerliches, sondern ein militärisches wäre, ein Eisenfresser; er leitete das ganze Verfahren bei dem Um- und Aufgraben des den Brunnen umgebenden Blachfeldes, das Grete Dods so sehr beklagte, um Baustellen zu gewinnen, und stand in besonders gutem Benehmen mit Doctor Quackleben, der ihn seinen Kranken immer zum Aufsetzen ihres letzten Willens empfahl.

Nach dem Rechtsgelehrten kommt Hauptmann Mungo Mac Turk, ein hochländischer Lieutenant auf halbem Sold, und zwar nach altem Fuße, ein Mann, der den stärksten Branntwein dem Weine vorzog, und auf diese Weise und außer andern Getränken täglich ungefähr mit einer Flasche Whisky fertig wurde, wenn er sie haben konnte. Er hieß der Mann des Friedens, aus dem nämlichen Grunde, weßhalb man Constabels und dergleichen Friedensbeamte nennt, die auch beständig mit unruhigen Auftritten zu thun haben, – er zwang nämlich durch seine Tapferkeit die Andern, bescheiden zu sein. Er war gewöhnlich der Schiedsmann in allen den unzeitigen Streitigkeiten, welche an Orten dieser Art so leicht bei Nacht vorkommen, und am Morgen ruhig wieder beigelegt werden; gelegentlich übernahm er auch wohl selbst einen Streit, um einen Gast zu demüthigen, der ungewöhnlich streitsüchtig war. Dieß verschaffte dem Hauptmann Mac Turk ziemliches Ansehen bei der Brunnengesellschaft, denn er gehörte zu den Leuten, die mit Jedem zu fechten bereit sind, bei welchen kein Ablehnungsgrund gilt, und mit denen ein Gefecht sehr gefährlich ist, denn er ließ sich immer damit sehen, daß er ein Licht mit einer Pistolenkugel putzen konnte, und schließlich konnte der Gegner durch ein Duell mit ihm keinen Ruhm und kein Ansehen gewinnen. Er trug immer einen blauen Rock mit rothem Kragen, aß in Stücke geschnittenen Knoblauch zu seinem Käse, und sah im Gesicht wie ein holländischer Pöckelhäring aus.

Außerdem muß der Geistliche erwähnt werden, der feine Herr Simon Chatterley, der von den Ufern des Cam oder Isis bis zu St. Ronans-Brunnen umhergeschweift war, sich erstlich auf sein Griechisch etwas einbildete, und zweitens auf seine Feinheit im Umgange mit Frauen. Alle Wochentage, wie bereits Jungfer Dods bemerkt hatte, leistete dieser ehrwürdige Herr jeder Frau und jedem Mädchen, die es bedurfte, am Whisttisch oder im Ballsaal Gesellschaft, und am Sonntag las er denen, die aufmerken wollten, Gebete im Gesellschaftssaale vor. Auch gab er Charaden auf, und löste Räthsel, spielte ein wenig auf der Flöte, und war Herrn Winterblossom's Hauptbeistand bei der Anlage jener sinnreichen und romantischen Fußsteige, auf welchen man, wie in den Zickzacks, wodurch militärische Parallelen mit einander verbunden werden, den Gipfel des Hügels hinter dem Hotel, der eine so schöne Aussicht gewährt, ersteigen konnte, und zwar gerade in einem Ansteigungswinkel, daß ein Herr einer Dame den Arm bieten, und sie ihn mit allem Anstande annehmen kann.

Noch gab es ein Mitglied dieses Ausschusses, Herrn Michael Meredith, den man den Mann der geselligen Freude, oder, wenn man will, den Pickelhäring der Gesellschaft nennen konnte, denn es war sein Geschäft, den besten Witz zu reißen, und das beste Lied zu singen, das er konnte. Unglücklicher Weise aber mußte dieser Beamte für jetzt St. Ronans meiden, denn uneingedenk, daß er die privilegirte Narrenjacke noch nicht trug, hatte er sich einen Scherz gegen Hauptmann Mac Turk erlaubt, der so scharf getroffen, daß Herr Meredith ungefähr zehn Meilen weit davon Ziegenmolken trinken, und sich verborgen halten mußte, bis die Sache durch die Vermittlung seiner Ausschußmitbrüder ausgeglichen sein würde.

Dieß waren also die edlen Herrn, welche die Angelegenheiten dieser entstehenden Pflanzstadt so unparteiisch leiteten, als man nur erwarten konnte. Sie waren indeß nicht ganz frei von mancher stillen Vorliebe, denn der Rechtsgelehrte und der Soldat neigten sich zu der Partei des Squires, während der Pfarrer, Herr Meredith und Herr Winterblossom mehr der Lady Penelope anhingen, so daß Dr. Quackleben allein, der vermuthlich sich erinnerte, daß die Herren eben so gut Magenbeschwerden, als die Frauen Nervenübeln unterworfen seien, der einzige schien, der in Wort und That die strengste Neutralität beobachtete. Nichtsdestoweniger lag das Gedeihen der Anstalt dem ehrenwerthen Rathe sehr am Herzen, und da jeder fühlte, daß sein Vortheil, sein Vergnügen und seine Bequemlichkeit gewissermaaßen damit verflochten sei, so gestatteten sie ihren besondern Neigungen keinen Einfluß auf ihre Amtspflichten, sondern handelten jeder in seinem Wirkungskreise zum Wohle der Gesammtheit.



 << zurück weiter >>