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Achtzehntes Kapitel.
Die Launen des Glücks.

Graf Basset:
»Wir Leute, deren Fuhrwerk auf vier Achsen fortgehet, sehen sehr leicht eins der Räder in Stocken gerathen.«

Der erzürnte Ehemann.

Unsre Erzählung muß sich jetzt einige Rückblicke gestatten, und obwohl es eigentlich unserer Art des Vortrags sonst nicht anpassend ist, muß sie sich mehr den Charakter eines Berichtes, als den des Dialogs aneignen, mehr das, was geschah, als dessen Eindruck auf die Handelnden schildern. Doch versprechen wir dies Alles nur bedingungsweise, denn wir sehen Versuchungen voraus, die es uns sehr schwer machen könnten, zu streng unser Wort zu halten.

Den größten Eindruck hatte die Ankunft des jungen Grafen von Etherington an der Heilquelle von St. Ronans hervorgebracht, um so mehr, da der sonderbare Umstand eines Angriffs auf die Person Sr. Herrlichkeit dazu kam, den man wagte, als er eine kurze Strecke in einiger Entfernung von seinen Wagen und Leuten allein durch den Wald ging. Der Tapferkeit, womit er den Straßenräuber zurückschlug, kam nur seine Großmuth gleich; denn er wollte durchaus nicht, obwohl er eine tiefe Wunde in dem Kampfe davon trug, daß man irgend eine Nachforschung nach dem armen Teufel unternahm.

Von den »drei schwarzen Grazien,« wie sie von einem sehr witzigen Kopfe unserer Zeit genannt werden, eilten Rechtsgelehrsamkeit und Arzneikunde, durch Herrn Micklewham und Quackleben repräsentirt, dem Lord Etherington ihre Huldigung darzubringen, während die Gottesgelahrtheit eben so willig, aber zurückhaltender in der Person des ehrwürdigen Mr. Chatterley auf den Zehenspitzen bereit stand, ihre Dienste anzubieten.

Aus dem oben angeführten achtungswerthen Grunde lehnte Se. Herrlichkeit dankbar Mr. Micklewham's Anerbieten, dem Straßenräuber nachzuspüren, ab, während er der Sorge des Arztes die Heilung einer schmerzlichen Fleischwunde im Arme, so wie einer leichten Schramme am Schlafe übergab; sein Benehmen bei dieser Gelegenheit war so höchst liebenswürdig, daß der Doctor aus Sorge für sein Wohl ihm dringend den Gebrauch des Brunnens auf einen Monat anempfahl, wenn er sich einer gänzlichen Wiederherstellung erfreuen wolle. Nichts sei so häufig, wie er Sr. Herrlichkeit versichern könne, als der Wiederaufbruch geheilter Wunden; und da der St. Ronans-Brunnen, nach Doctor Quacklebens Theorie, ein Mittel gegen alle menschliche Uebel sei, so konnte es nicht fehlen, er mußte, wie das Wasser zu Barèges, die Ablösung der Knochensplitter oder fremden Theile befördern, welche eine Pistolenkugel zufällig dem Körper zum großen Nachtheil desselben einverleiben kann. Er pflegte zu sagen, daß, wenn er auch die Heilquelle, die er beschütze, nicht gänzlich für ein Universalmittel erklären könne, so wolle er doch durch Worte und Schrift beweisen, daß sie die Haupt-Eigenschaften der berühmtesten Heilquellen der bekannten Welt besitze. Kurz, ein bloßer Scherz war Alpheus' Liebe für Arethusa im Vergleich derjenigen, welche der Doctor für seine Lieblingsquelle hegte.

Der neue edle Gast, dessen Ankunft diesen Aufenthalt der Genesung und des Frohsinns so verherrlichte, ward im Anfang nicht so oft im Speisesaal und den andern öffentlichen Vergnügungsorten gesehen, als die würdige dort versammelte Gesellschaft es gehofft hatte. Seine Gesundheit verlieh ihm hinreichende Entschuldigung, nur hin und wieder zu erscheinen.

Doch höchst einschmeichelnd und gewinnend war, wo er sich sehen ließ, sein ganzes Benehmen, und das incarnatrothe seidene Tuch, welches den verwundeten Arm als Binde trug, vereint mit der schmachtenden Blässe, womit der Blutverlust sein offenes hübsches Gesicht bedeckt hatte, verbreitete eine so anziehende Anmuth über ihn, daß viele Damen ihn für ganz unwiderstehlich erklärten. Alle strebten von ihm bemerkt zu werden, da sie eben sowohl durch sein artiges Zuvorkommen angezogen, als durch die ruhige und leichte Nachlässigkeit, womit es gemischt war, gereizt wurden. Der plan- und selbstsüchtige Mowbray, der unfeine rohe Sir Bingo, beide gewöhnt, sich selbst als die Ersten in der Gesellschaft anzusehen und von andern eben so betrachtet zu werden, sanken jetzt in ein eben so tiefes Nichts herab. Aber besonders Lady Penelope ließ alle Minen ihres Witzes und ihrer Kenntnisse springen, während Lady Binks, ihren natürlichen Reizen vertrauend, ebenfalls sich Mühe gab, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die andern Nymphen des Brunnens traten noch bescheiden ein wenig zurück, jenem Höflichkeitsgrundsatz getreu, welcher auf großen geschlossenen Jagdpartieen den ersten Schuß auf das edelste Stück Wild dem vornehmsten der Anwesenden überläßt. – Aber in manchem schönen Busen schlummerte die Hoffnung, daß Ihro Herrlichkeit trotz der ihr so zugestandenen Vorrechte ihren Zweck verfehlen könnte, und daß dann vielleicht für weniger eingebildete, doch wohl nicht weniger geschickte Jägerinnen noch Zeit sein möchte, ihre Kunst zu versuchen.

Aber während der Graf sich so der öffentlichen Gesellschaft entzog, war es nothwendig, mindestens natürlich, daß er sich Jemand wählte, die Einsamkeit seines Gemaches mit ihm zu theilen; Mowbray, der im Range dem auf halbem Solde stehenden, Whisky trinkenden Hauptmann, Mac Turk, überlegen war, unterhaltender sprach als Winterblossom, der recht eigentlich zum alten Schwätzer herabsank, und eben so Sir Bingo in Takt und Verstand bei weitem übertraf, bahnte sich leicht Eingang in des Lords genauere Gesellschaft; innerlich dem ehrlichen Burschen Lob und Preis sagend, dessen Kugel die mittelbare Veranlassung war, daß der Lord außer der seinigen von der Gesellschaft geschieden blieb, begann er allmählich das Terrain zu untersuchen und die Geschicklichkeit seines Gegners in den verschiedenen Hazard- und andern Spielen, die er unter dem Vorwand, die Langeweile der Krankenstube zu tödten, einführte, auf die Probe zu stellen.

Micklewham, der wirklich oder scheinbar den größten Antheil an dem Glücke seines Patrons nahm, und jede Gelegenheit erspähte sich zu erkundigen, wie seine Pläne fortschritten, empfing im Anfang so günstigen Bericht, daß er den Mund von einem Ohr zum andern grinsend verzerrend, sich die Hände rieb, und solche Ausbrüche der Heiterkeit zeigte, wie nur das Gelingen einer Spitzbüberei ihm zu entlocken vermochte. Aber Mowbray blieb ernst, trotz all' seinem Jubel. Er sagte:

»Dahinter steckte trotz dem Allen noch etwas, das er nicht ganz begreifen könne. – Etherington hätte eine gewandte Hand – wäre verflucht pfiffig – wüßte alles genau, wie es sein sollte, und doch verlöre er sein Geld auf eine wahrhaft kindische Art.«

»Und was liegt daran, wie er es verliert, wenn Sie es gewinnen wie ein Mann?« fragte sein rechtsgelehrter Freund und Rathgeber.

»Ei, zum Henker, ich weiß es nicht zu sagen;« entgegnete Mowbray. »Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß er eine solche Unverschämtheit sich möglicher Weise nicht ausführbar denken kann, so soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht glauben möchte, daß er mich nur warm zu halten suche, um mich dann plötzlich, wie ein alter Krieger den Feind, in den Grund zu bohren.«

Mit dem Tone eines scheinbaren Mitgefühls, sagte der Rechtsgelehrte: »Gut, Mr. Mowbray, Sie müssen zwar Ihre eigenen Wege am besten kennen – aber der Himmel segnet ein bescheidenes Gemüth. Ich würde es nicht gern sehen, wenn Sie diesen armen Burschen total so in Grund und Boden ruinirten. – Etwas von seinem Ueberfluß zu verlieren wird ihm eben keinen großen Schaden thun und vielleicht eine Lehre geben, die ihm noch lange Nutzen gewährt. – Aber als ein rechtlicher Mann kann ich nicht wünschen, daß Sie sich tiefer mit ihm einließen. – Sie sollten den jungen Menschen schonen, Mr. Mowbray.«

»Und wer hat mich geschont, Micklewham?« fragte Mowbray, bittern Nachdruck in Ton und Blick. – »Nein, nein, – er muß auch daran glauben – mit Geld und Geldeswerth. – Sein Sitz heißt Oakendale – denkt daran, Mick – Oakendale. – Name dreifach glücklicher Vorbedeutung voll! – Sprich mir nicht von Barmherzigkeit, Mick. – Die Squires von Oakendale müssen abgesattelt werden und zu Fuß zu gehen lernen. Welche Barmherzigkeit kann der umherirrende trojanische Krieger von den Griechen erwarten? – Die Griechen? – Ich bin ein ächter Suliot – die tapfersten der Griechen.

Erbarmen nicht noch Furcht, nie werd' ich je sie kennen,
Wer dem Vezier gedient, weiß beide nicht zu nennen.

Und die Nothwendigkeit, Mick,« schloß er mit etwas verändertem Tone, »die Nothwendigkeit ist ein so ernst mahnender Gebieter, wie irgend ein Vezier oder Pascha, mit welchem Scanderbeg jemals focht, oder den Byron besungen hat.«

Mit einem Tone, der zwischen wimmern, kichern und seufzen schwankte, wiederholte Micklewham seines Patrons Ausrufungen; das erste sollte sein vorgegebenes Mitleiden mit dem zum Opfer bestimmten Jüngling, das zweite seine Theilnahme an dem glücklichen Ausgang der Angelegenheiten seines Patrons ausdrücken; das dritte endlich leise die noch immer drohenden Gefahren, welche überwunden werden mußten, andeuten.

So kühner Sieger wie sich Mowbray in dieser Unterredung darstellte, hatte er doch bald darauf vollkommen Gelegenheit einzuräumen:

»Des Kampfes Wuth entbrennt wo Griech' den Griechen trifft.«

Die leichten Scharmützel waren beendet, und der ernstere Kampf begann mit einiger Vorsicht von beiden Seiten, da wahrscheinlich ein jeder wünschte, Herr der Taktik seines Gegners zu sein, ehe er die eigene entfaltete. Im Piquet, dem schönsten Spiel, in welchem ein Mann sein Vermögen aufopfern kann, hatte Mowbray zu seinem Unglück vielleicht sehr früh viel Erfahrung und Feinheit erworben, und auch der Graf von Etherington zeigte sich darin, wenn auch weniger geübt, doch als kein Neuling. Sie spielten jetzt um Summen, welche Mowbrays Vermögens-Zustand ihm sehr ansehnlich erscheinen ließ, obwohl sein Gegner ihre Vergrößerung gar nicht zu beachten schien. Mit abwechselndem Glücke schritt das Spiel vorwärts, denn wenn auch Mowbray zuweilen mit frohlockendem Lächeln Micklewhams fragende Blicke beantwortete, schien er ihnen zu andern Zeiten auszuweichen, als habe er ein trauriges Bekenntniß abzulegen.

Dieß häufig wechselnde Spiel des Glücks währte indessen im Ganzen eben nicht beträchtlich lange Zeit; denn Mowbray, zu jeder Stunde zum Spiel bereit, brachte einen großen Theil seiner Zeit in Lord Etheringtons Zimmer zu, und diese Stunden waren alle dem Kampfe geweiht. Während dieser Zeit ward auch, da Se. Herrlichkeit nun genugsam wieder hergestellt war, sich mit nach Shaw-Castle zu begeben, und auch Miß Mowbray genesen genannt wurde, jener Plan wieder aufgenommen, ja noch obendrein mit einer dramatischen Darstellung verbunden, deren eigentliche Beschaffenheit aus einander zu setzen, wir späterhin Gelegenheit haben werden. – Die früher ausgetheilten Einladungen wurden wiederholt, und so erhielt auch Herr Touchwood, der damals auf dem Brunnen gewohnt hatte, eine neue Karte; um so mehr, da die Damen vorsichtig übereinkamen, daß ein Nabob, obwohl zuweilen ein überlästiges unbrauchbares Geschöpf, nicht zu rasch und unnöthigerweise vernachlässigt werden müßte. Der Prediger war als ein alter Bekannter der Familie, den man nicht auslassen kann, wenn es einmal ein großes Essen gibt, eingeladen worden; aber seine Lebensart und Gewohnheiten waren so allgemein bekannt, daß man eben so wenig erwartete, er würde sein Haus bei einer solchen Gelegenheit verlassen, als daß die Kirche sich selbst von ihrem Fundament trennen könnte.

Bald nachdem diese Einrichtungen getroffen waren, trat der Laird von St. Ronans plötzlich in das Kabinet Micklewhams, mit frohlockenden Blicken. Der würdige Anwalt wandte die bebrillte Nase seinem Patron entgegen, und die Hand sinken lassend, welche so eben die Papiere, deren Durchsicht ihn beschäftigt hatte, wieder mit blauem Zwirn aufreihen wollte, harrte er mit weit aufgesperrten Ohren und Augen, was eigentlich Mowbray ihm mitzutheilen habe.

Frohlockend, doch die Stimme bis zum leisesten Flüstern herabsenkend, sagte der Laird: »Ich habe ihn erwischt! Dießmal ward Se. Herrlichkeit tüchtig geschlagen – mein Kapital ist verdoppelt und noch etwas darüber. – Still, unterbrecht mich nicht – wir müssen jetzt an Clara denken – Sie muß den Sonnenschein theilen, sollte es auch nur ein täuschender Lichtblick sein, der dem Sturme vorangeht. – Sie wissen, Mick, die beiden verdammten Weiber haben beschlossen, daß sie eine Art Bal paré bei meinem Feste, eine Art dramatischer Darstellung einrichten wollen, und daß die, welche Lust dazu haben, in Charakter-Anzügen erscheinen sollen. – Ich sehe ihre Absicht sehr gut ein; sie denken, Clara hat keinen passenden Anzug für solche Narrheiten, daher hoffen sie, meine Schwester auszustechen; Lady Pen, mit ihren altmodischen, schlecht gefaßten Juwelen, Lady Binks mit ihrem neumodischen Prunk, für welchen sie sich selbst verkauft hat. – Aber Clara soll nicht herabgewürdigt werden durch –. Ich vermochte das gezierte Geschöpf, die Zofe der Lady Penelope, mir zu sagen, was ihre Gebieterin für Pläne in Hinsicht ihres Anzuges hat, und erfuhr, daß sie eine griechische Kleidung wählt, wahrlich, wie eine der morgenländischen Damen Will Allans. – Aber nun kommt der eigentliche Knoten. – Es ist nur ein einziger Shawl, der es werth ist sich darin zu zeigen, in Edinburgh, und zwar in der Moden-Gallerie, zu verkaufen. – Mick, den Shawl muß nun eben Clara haben, mit der andern Wirthschaft von Mousselin, Tressen, und so weiter, welches alles hier auf dem Papier aufgezeichnet ist. – Senden Sie sogleich einen Brief, sich dessen zu versichern, denn da Lady Penelope erst mit der morgenden Post schreibt, so kann Ihr Auftrag schon zur Nacht mit der Briefpost abgehen. – Hier ist eine Note auf hundert Pfund.«

Aus der mechanischen Gewohnheit, nie etwas auszuschlagen, empfing Micklewham zwar bereitwillig die Note, doch fuhr er fort, nachdem er sie durch seine Brille betrachtet hatte, seinem Patron Vorstellungen zu machen: »Das ist zwar, sehr herzlich – sehr gut gemeint, St. Ronans, und gewiß, ich würde der Letzte sein zu denken, daß Miß Clara so viel Rücksicht und Zärtlichkeit von Ihnen nicht verdiente, aber ich zweifle sehr, ob sie sich das geringste aus all' den schönen Dingen machen wird. Sie wissen es selbst, selten ändert sie nur ihre einmal gewohnte Tracht. – Wunderlich genug, findet sie ihr Reitkleid passend für jede Gesellschaft. – Ja, und wenn Ihnen ihr Aussehen am Herzen liegt – wenn sie nur einen Gedanken mehr Farbe hätte! – Das arme, theure Kind!«

»Gut, gut,« rief Mowbray ungeduldig: »Eine Frau mit einem hübschen Anzug auszusöhnen, das laßt nur meine Sorge sein.«

»Gewiß, Sie müssen das am besten wissen; aber dennoch, wäre es nicht besser, diese hundert Pfund in Tam Turnpennys Hände niederzulegen, auf den Fall, wenn die junge Dame späterhin vielleicht der Schuh irgendwo drücken sollte.«

»Sie sind ein Narr, Mick. Was könnte es nützen, solch' einem Schuhdrücken abzuhelfen, wenn die Rede dann vielleicht gar von einem gebrochenen Herzen wäre? – Nein, nein; thut nur was ich sage. – Wir wollen sie mindestens auf einen Tag niederschmettern, vielleicht ist es der Anfang eines neuen Glanzes.«

»Gut, gut! – Ich wünsche, daß dem so sei! Aber wie steht es mit dem jungen Grafen? – Haben Sie die schwache Seite erspäht? Ist er dem Urtheil nebst Zahlung der Unkosten verfallen? – Das ist die Frage!«

»Ich wollte ich könnte sie bejahend beantworten,« entgegnete Mowbray. »Zum Teufel mit dem Burschen. Dem Range und seiner Lebensart nach steht er ein wenig höher als ich – gehört zu den großen Clubbs, und ist mit den Allerhöchsten, Unerreichbarsten jener Gattung von Leuten eng vertraut. – Mein Umgang war freilich von niedrigerer Art – aber hol es dieser und jener, man zieht bessere Hunde im Hundestall als im Wohnzimmer. Ich denke, jetzt bin ich ihm über den Kopf gewachsen – mindestens soll es mir bald klar werden, ob ich seiner Herr bin, ob nicht, und das ist auch ein Trost. – Doch daran denken Sie nicht. – Richten Sie nur meinen Auftrag aus, und tragen Sie dabei Sorge, daß kein Name genannt wird. – Ich muß meine kleine Abigail vor allen Vorwürfen sichern.«

Man trennte sich. Micklewham eilte, seines Patrons Befehle auszuführen – sein Patron, jene Hoffnungen auf die Probe zu stellen, deren Unsicherheit er sich selbst nicht verbergen konnte.

Der Fortdauer seines guten Glückes vertrauend, entschloß sich Mowbray, an eben diesem Abend eine Crisis herbeizuführen. Alles schien äußerlich sein Vorhaben zu begünstigen. Sie hatten zusammen in Lord Etheringtons Gemach gespeiset – der Zustand der Gesundheit des Lords untersagte die Freuden des Weines, und ein herbstlicher Nebelregen machte das Spazierengehen unangenehm; auch kamen die Herren nicht weiter als nach dem besonderen Stall, wo Lord Etheringtons Pferde der Sorge eines vorzüglich wohl erfahrenen Reitknechts überlassen waren. Natürlich boten die Karten jetzt die fast zur Nothwendigkeit gewordene Zuflucht allein dar, und Piquet war wie sonst das erwählte Spiel, den Abend zu vertreiben.

Lord Etherington schien zuerst mit nachlässiger Sorglosigkeit und Gleichgiltigkeit zu spielen, und ließ sich Vortheile entgehen, die ihm bei größerer Aufmerksamkeit schlechterdings nicht entwischen konnten. Mowbray spottete seiner Unachtsamkeit, und schlug einen höheren Satz vor, damit er mehr Antheil am Spiel nähme. – Der junge Edelmann willigte ein, und nachdem einigemal gegeben war, versanken beide Spieler immer tiefer in rege Aufmerksamkeit auf die Wendungen des Glücks. Diese ereigneten sich so mannigfach, so wechselnd, so unverhofft, daß allmählig die Seelen beider Streitenden ganz in dem Kampfe selbst befangen schienen; und durch die stets wiederholt verdoppelten Sätze stand endlich die Summe von tausend Pfund und darüber von beiden Seiten auf dem Spiel. – Ein so hoher Satz umfaßte sowohl Alles, was Mowbray der Zärtlichkeit seiner Schwester verdankte, als auch seine früheren Gewinne, daher galt es bei ihm durchaus, Sieg oder Verderben. So sehr er es auch wünschte, vermochte er nicht seine Bewegung zu verbergen – er stürzte Wasser hinunter sich abzukühlen, und strengte sich an mit aller Vorsicht und Aufmerksamkeit zu spielen, deren er sich nur jetzt fähig zu fühlen vermochte.

In dem ersten Theile des Spiels schien das Glück beiden gleich günstig, und ihr Benehmen dabei war ganz demjenigen angemessen, welches Spielern ziemt, die so beträchtliche Summen wagen. Aber, als es sich zum Ende neigte, verließ Fortuna den fast ganz, der ihrer Gunst am meisten bedurfte, und Mowbray sah mit stiller Verzweiflung sein Schicksal von einem einzigen Point abhängen; ja, damit alles Unglück gegen ihn war, hatte eben Lord Etherington die Vorhand. Was vermag aber das Glück dem für Gunst zu ertheilen, der es sich selbst verscherzt? – Durch einen Fehler gegen die Gesetze des Spiels, dessen sich der ärgste Stümper, der je eine Karte berührte, kaum schuldig gemacht hätte, gab Lord Etherington einen Point an, ohne ihn aufzuzeigen, und nach der gewöhnlichen Regel des Piquets war Mowbray nun berechtigt die seinigen zu zählen, und im Laufe dieses und des nächsten Spiels gewann er die Partie und strich den Satz ein. Lord Etherington ließ Unmuth und Aerger blicken, und schien zu glauben, man hätte mehr auf die Strenge der Regeln bestanden, als man artigerweise gesollt hätte. Doch Mowbray schien seine Logik gar nicht zu verstehen. Er meinte, »Tausend Pfund wären in seinen Augen keine leere Nußschale; die Regeln beim Piquet würden nur von Weibern und Knaben unbeachtet gelassen, und er wenigstens wolle lieber gar nicht, als nicht streng, wie es sich ziemte, spielen.«

»So schien es mir, mein theurer Mowbray,« sagte der Graf. »Bei meiner Seele, nie sah ich ein so zerknirschtes Gesicht als das Ihrige bei dem unglücklichen Spiel. – Es nahm mir schlechterdings alle Aufmerksamkeit; ja, ich kann es dreist versichern, der klägliche Ausdruck desselben hat mich um tausend Pfund gebracht. – Könnte ich das langgereckte Antlitz auf die Leinwand zaubern, so wurde es mir sowohl Rache als mein Geld wieder einbringen; denn eine recht treffende Aehnlichkeit wäre nicht einen Pfennig weniger werth, als mich das Original gekostet hat.«

»Ihr Scherz, Mylord, sei Ihnen gern gestattet;« entgegnete Mowbray, »und zu demselben Preis stehe ich Ihnen zehn tausendmal zu Diensten. Nun was meinen Sie?« fragte er, die Karten wieder mischend; »wollen Sie in einem neuen Spiel besser für sich sorgen? – Man sagt, die Rache ist süß!«

»Heute Abend habe ich keine Lust dazu,« erwiederte der Graf ernst. »Hätte ich sie, Mowbray, so könnten Sie leicht schlimm dabei fahren. Ich pflege nicht immer einen Point anzusagen ohne ihn aufzuweisen.«

»Ew. Herrlichkeit sind unzufrieden mit sich selbst wegen eines Versehens, das ein Jeder begehen kann. – Für mich war es ein eben solches Glück, als hätte ich schöne Karten bekommen; so will ich denn Dame Fortuna loben.«

»Aber wie wäre es, wenn hier das Glück keinen Einfluß gehabt hätte?« fragte Lord Etherington. »Wie wäre es, wenn mit einem Freund und ehrlichen Jungen wie Sie, Mowbray, im Spiele begriffen, ein Mann es vorziehen möchte sein eigen Geld, das er missen kann, zu verlieren, statt das zu gewinnen, wovon sein Freund ohne Kummer sich nicht trennen würde?«

»Wenn man einen Fall setzt, der so ganz undenkbar wäre – denn mit Erlaubniß, leicht kann man ihn aufstellen, doch unmöglich ist es, ihn zu beweisen – so würde ich sagen, Niemand habe ein Recht, mich in einer solchen Lage zu glauben, oder zu vermuthen, daß ich um einen höheren Einsatz spielte, als mir rathsam wäre.«

»So würde also Ihr Freund, der arme Teufel,« rief der Lord, »nicht nur sein Geld verlieren, sondern noch Händel obenein bekommen! – So wollen wir es auf einem andern Weg versuchen. – Setzen Sie den Fall, dieser gutmüthige, einfältige Spieler habe eine Gunst von höchster Wichtigkeit von seinem Freunde zu fordern, und halte es für besser, seine Bitte einem Gewinner als einem Verlierenden vorzutragen?«

»Soll dieß mir gelten, Mylord, so ist es durchaus nöthig, daß ich erfahre, womit ich Ew. Herrlichkeit verpflichten kann.«

»Das Wort ist freilich leicht ausgesprochen, doch so gar schwer zurückzunehmen, daß ich in der That lieber noch inne halte – doch heraus muß es einmal, also – Mowbray, Sie haben eine Schwester!«

Mowbray fuhr zusammen: »Wohl habe ich eine Schwester, Mylord, doch kann ich mir keinen Fall denken, in welchem ihr Name mit Anstand in unsere jetzige Unterredung verwickelt sein kann.«

»Schon wieder im drohenden Tone!« sagte Lord Etherington so heiter wie zuvor; »nun das ist mir ein schöner Herr! Erst will er mir den Hals abschneiden, weil er mir tausend Pfund abgewonnen hat, und dann weil ich ihm anbiete, seine Schwester zu einer Gräfin zu machen!«

»Zu einer Gräfin, Mylord? Sie wollen Scherz treiben! – Noch nie haben Sie Clara Mowbray gesehen!«

»Vielleicht nicht! – Doch was schadet das? – Ich kann ja ihr Gemälde erblickt haben, wie Puff im Schauspiel sagt, oder mich durch den Ruf in sie verlieben – oder um keine weitere Möglichkeiten aufzustellen, welche, wie ich sehe, Sie ungeduldig machen, es kann mir ja genügen zu wissen, daß sie ein schönes, höchst vollkommenes, junges Frauenzimmer, und Besitzerin eines ansehnlichen Vermögens ist.«

»Von welchem Vermögen sprechen Sie, Mylord?« fragte Mowbray, unruhig einiger Warnungen Micklewhams gedenkend, daß nach seiner Ansicht Clara Ansprüche auf des Lairds Besitzungen habe. »Welche Güter hat sie? – Unserer Familie gehört nichts außer diesen Besitzungen von St. Ronans, oder vielmehr was noch von ihnen übrig ist; und von diesen bin ich selbst ohne Zweifel der sie rechtmäßig besitzende Lehnserbe.«

»Das mag so sein,« entgegnete der Graf, »denn ich mache nicht den kleinsten Anspruch an Ihre bergigen Gebiete hier, die ohne Zweifel

– – – – berühmt sind weit und breit
Durch Squires und Ritter aus der alten Zeit.

»Meine Absicht geht auf ein vielleicht weniger romantisches, aber bei weitem reicheres Besitzthum – einen großen Rittersitz, Nettlewood-House genannt, alt, aber von so hohen ruhmwürdigen Eichen umgeben! – Dreitausend Morgen Land für Ackerbau, Wiesen und Waldung, außer den beiden eingehegten Bezirken, welche die Wittwe Hodge und der Hauswirth Trampclod zur Benutzung haben – alle Herrenrechte – Minen und Mineralien – und der Teufel mag wissen, welche schöne Dinge außerdem, alles dieß ist in dem Thale von Bever gelegen.«

»Und was hat meine Schwester mit dem Allen zu schaffen?« fragte Mowbray höchst erstaunt.

»Nichts, als daß es ihr gehört, wenn sie Gräfin von Etherington wird.«

»So ist es also schon jetzt Ew. Herrlichkeit Eigenthum?«

»Nein, beim Jupiter, nein! Auch wird es nicht das Meinige, wenn mir Ihre Schwester nicht ihre Hand zu schenken einwilligt.«

»Dieß ist ein schwereres Räthsel, als irgend eine der Charaden Lady Penelopes, Mylord. Ich muß den ehrenwerthen Mr. Chatterley zu Hülfe rufen.«

»Das haben Sie nicht nöthig, ich will Ihnen den Schlüssel dazu ertheilen, hören Sie mir nur geduldig zu. – Sie wissen, daß wir englischen Edelleute, weniger eifersüchtig auf unsre makellosen sechzehn Ahnen wachend, als es auf dem Continent Sitte zu sein pflegt, es zuweilen nicht verachten, unseren abgetragenen Hermelin mit ein wenig Gold aus der City aufzufrischen; und mein Großvater hatte ebenfalls das gute Glück, eine reiche Gattin mit einem hinkenden Stammbaum – was vielleicht um so sonderbarer ist, da sie eine Ihrer Landsmänninnen war – zu erwischen. Sie hatte aber einen noch viel reicheren Bruder, der sein Vermögen durch den Handel, der zuerst das Glück seiner Familie gründete, noch immer mehr vermehrte. Endlich schloß er seine Bücher, und zog sich aus dem Handel nach Nettlewood zurück, dort als ein Gentleman zu leben; und hier ergriff meinen sehr achtbaren Großonkel die Wuth, sich zu einem Manne von hoher Wichtigkeit zu machen. Er versuchte, wieviel dazu die Verheirathung mit einer vornehmen Frau beitragen könnte, aber bald sah er ein, daß, welcher Nutzen auch für seine Familie daraus entstehen möchte, seine eigene Lage dadurch sehr wenig glänzender erschien. Er entschloß sich also, selbst ein vornehmer Mann zu werden. Sein Vater hatte Schottland sehr jung verlassen, und führte, mit Scham gestehe ich es, den gemeinen Namen, Scrogie. Dieß unglückliche Sylbenpaar brachte mein Onkel persönlich vor das Wappenbureau in Schottland; aber weder Lyon, noch Snadoun, noch Islay, weder ein Herold noch dessen Schildträger, wollten Scroggie beschützen! Scroggie! – Daraus ließ sich schlechterdings nichts machen. – So nahm mein würdiger Verwandter seine Zuflucht zu dem bessere Hoffnung gewährenden Namen seiner Mutter, und gründete seine höhere Würde auf das Mowbray'sche Geschlecht. – Dieß gelang ihm ungleich besser, ja ich glaube, irgend ein listiger Bursche stahl für ihn ein kleines Zipfelchen Ihres eigenen Stammbaumes, das Sie, wie ich behaupten will, niemals vermißten. – Kurz, auf irgend eine Art erhielt er für sein Silber oder Gold ein zierliches Stückchen Pergament, mit dem weißen Löwen, dem Wappen der Mowbray, verherrlicht, in vier Feldern drei verkrüppelte Büsche als Wappen der Scroggie führend, und ward also nun Mr. Scroggie Mowbray, oder vielmehr, wie er sich selbst unterschrieb, Reginald (sein eigentlicher Taufname war Ronald) St. Mowbray. Er hatte einen Sohn, der sehr respektswidrig über dieß alles nur lachte, die Ehre, welche dem hohen Namen Mowbray eigen war, ausschlug, und darauf bestand, zur großen Kränkung der Ohren seines Vaters und zu dessen vielfachem Aerger, seinen eigenthümlichen Namen Scroggie allein beizubehalten.«

»Nun, auf mein Wort, zwischen diesen Beiden,« sagte Mowbray, »gestehe ich, daß ich auch meinen eignen Namen gewählt hätte, und den Geschmack des alten Herrn bei weitem dem des jüngern vorziehe.«

»Ganz wahr; doch diese Leute waren Beide höchst eigenwillige, absurde Originale, mit einer so vortrefflichen Hartnäckigkeit, ich weiß nicht, ob von den Mowbrays, ob von den Scroggies abstammend, die sie so oft in Zorn an einander brachte, daß endlich der beleidigte Vater, Reginald St. Mowbray, seinem widerspenstigen Sohne auf das kräftigste die Thür wieß; und der Bursche würde seinen plebejischen Sinn schwer gebüßt haben, hätte er nicht bei einem Verwandten dieser Familie von Originalen, einem Scroggie, der noch den einträglichen Handel trieb, welcher die Seinigen zuerst bereicherte, Zuflucht gefunden. Ich führe alle diese Umstände hier weitläufig an, das sonderbare Verhältniß, in welchem ich mich befinde, Ihnen genügend zu erklären.«

»Fahren Sie fort, Mylord, Niemand wird die hohe Sonderbarkeit dieser Erzählung bestreiten; aber ich setze voraus, daß Sie mir diese außerordentlichen Umstände aus wahrhaft ernsten Gründen mittheilen.«

»Auf meine Ehre! so ist's – und bald werden Sie selbst einsehen, wie sehr ernsthaft die ganze Sache ist. Als mein würdiger Onkel Mr. St. Mowbray (denn ich will ihn auch jetzt in der Gruft nicht Scroggie nennen) die Schuld der Natur bezahlte, glaubte Jedermann, er würde seinen Sohn enterbt haben, den unkindlichen Scroggie, und darin hatte Jedermann Recht. – Aber eben so allgemein war die Meinung, er würde seine Besitzungen dem Sohne seiner Schwester, dem Lord Etherington, meinem Vater, vermachen, und darin irrte man sich eben so allgemein. Denn mein vortrefflicher Großonkel hatte sich in seinem Sinne wohlweislich überlegt, daß der Lieblingsname Mowbray keinen Vortheil und größern Glanz erringen würde, wenn seine Besitzung Nettlewood, auch Mowbray-Park genannt, ohne weitere Bedingung in unsere Familie überginge. Deßhalb also, unter Leitung eines Rechtsgelehrten, bestimmte er es mir, der ich damals ein Schulknabe war, unter der Bedingung, daß ich vor meinem fünfundzwanzigsten Jahre eine junge Dame von gutem Rufe, die den Namen Mowbray führte, vorzugsweise aus dem Hause St. Ronans, wenn es darin eine solche gäbe, durch die heiligen Bande der Ehe mit mir vereinen solle. – Jetzt ist mein Räthsel aufgeklärt.«

Nachdenkend entgegnete Mowbray: »Und es ist wirklich ein höchst sonderbares Räthsel!«

»Gestehen Sie die Wahrheit, Mowbray,« sagte der Graf, die Hand auf seine Schulter legend. »Sie finden, diese Geschichte läßt noch so manches zweifelnde Sorgen, wenn nicht den Zweifel selbst zurück!«

»Mindestens, Mylord, werden mir Eure Herrlichkeit zugeben, daß, da ich der nächste Verwandte Miß Mowbrays, und ihr einziger Beschützer bin, ich allerdings, ohne Sie zu beleidigen, über eine Anwerbung um ihre Hand unter so wunderlichen Umständen nachsinnen kann.«

»Wenn Sie in Hinsicht des Ranges und Vermögens den kleinsten Zweifel hegen, so kann ich sogleich die genügendste Auskunft ertheilen,« sagte der Graf von Etherington.

»Das ist mir sehr glaublich, Mylord,« entgegnete Mowbray. »Auch fürchte ich keinen Betrug, wo er so leicht zu entdecken sein müßte. Ew. Herrlichkeit Benehmen gegen mich (wobei sein Blick die Bankzettel streifte, welche er noch immer in Händen hielt), ist, das gebe ich zu, ganz von der Art gewesen, einen so entscheidenden Grund der Anhänglichkeit, als Sie angeführt haben, glaublich zu machen. Aber es bleibt bei alledem höchst sonderbar, daß Ew. Herrlichkeit Jahre verstreichen ließen, ohne sich einmal nach der jungen Dame zu erkundigen, welche wirklich zu der beabsichtigten Verbindung nach dem Willen Ihres Onkels die einzige passende Person ist. Es scheint mir, daß Sie schon vor langer Zeit diesen Punkt hätten zu erforschen suchen sollen; ja, daß es selbst jetzt viel natürlicher und anständiger gewesen wäre, meine Schwester mindestens zuvor gesehen zu haben, ehe Sie um ihre Hand warben.«

»Den ersten Punkt anbetreffend, gestehe ich Ihnen, mein theurer Mowbray, daß, ohne Ihre Schwester im Geringsten beleidigen zu wollen, ich sehr gern mich von dieser bindenden Klausel befreit hätte; denn ein jeder Mann wählt sich am liebsten die Frau, die ihm gefällt, und ich habe überhaupt keine Eile zum Heirathen. Aber die schurkischen Rechtsgelehrten, nachdem sie reiche Sporteln sich zahlen ließen, und mich Jahrelang hinhielten, haben mir endlich rund heraus erklärt, daß die Klausel erfüllt werden oder Nettlewood einen andern Herrn erhalten muß. So hielt ich es denn für's Beste, hieher zu kommen, die schöne Dame zu schauen; da mich aber zufällige Hindernisse davon bis jetzt abhielten, und ich in ihrem Bruder einen Mann finde, der die Welt kennt, so denke ich, Sie werden deßhalb nichts Böses von mir glauben, weil ich zum Voraus Sie mir zum Freunde zu machen suchte. Die Wahrheit ist, daß ich in dem Laufe eines Monats fünfundzwanzig Jahr alt werde, und ohne Ihren Schutz und die Gelegenheiten, die nur Sie mir verschaffen können, scheint das ein gewaltig kurzer Zeitraum, eine Dame von Miß Mowbrays Werthe sich zu gewinnen.«

»Und was geschieht, wenn Sie diese Verbindung nicht schließen, Mylord?« fragte Mowbray.

»Das Vermächtniß meines Onkels verfällt, und das schöne Nettlewood mit seinem alten Hause, noch ältern Eichen, Herrenrechten und allem andern Zubehör fällt an einen meiner Cousins germains, den der Himmel vernichten möge!«

»Sie haben sich sehr wenig Zeit gegönnt, einen solchen Nachtheil abzuwenden; aber da die Sachen nun einmal so stehen, wie ich es jetzt einsehe, sollen Sie gewiß allen Beistand erhalten, den ich Ihnen zu ertheilen vermag. – Wir müssen aber nun in gleicheren Verhältnissen stehen, Mylord. – Ich will mich entschließen, einzuräumen, daß es mir in diesem Augenblicke unangenehm gewesen wäre, jenes Spiel zu verlieren, aber wie die Sachen sich gestaltet haben, kann ich nicht so handeln, als hätte ich es rechtmäßig gewonnen. Wir müssen um den Satz loosen.«

»Wenn Sie es wirklich freundlich mit mir meinen, mein theurer Mowbray, so sprechen wir davon kein Wort weiter. Das Versehen war ganz ächter Art, denn ich dachte, wie Sie leicht denken können, an ganz andere Dinge, als an Aufdecken meiner Karten. – Alles ward ehrlich verloren und gewonnen. – Ich hoffe, mir wird Gelegenheit werden, Ihnen wahrhaftere Dienste anzubieten, die mir vielleicht ein Recht auf Ihre parteilichere Anhänglichkeit gewähren können. – Jetzt stehen wir uns durchaus gleich. Ganz und gar! –«

»Wenn Ew. Herrlichkeit der Meinung sind!« – sagte Mowbray, und schnell dann auf das übergehend, wovon er mit größerer Ueberzeugung reden konnte, fuhr er fort: »In der That, was auch geschehen möchte, keine persönliche Rücksicht auf mich selbst würde mich abhalten, meiner Pflicht als Beschützer meiner Schwester auf das Strengste nachzukommen.«

»Das ist außer Zweifel, auch wünsche ich nichts weiter,« entgegnete der Graf.

»Ich muß also glauben, daß der Antrag Eurer Herrlichkeit ganz ernsthaft gemeint ist, und daß er nicht zurückgenommen werden wird, wenn selbst bei der Bekanntschaft mit Miß Mowbray Sie dieselbe nicht so der Aufmerksamkeit Ew. Herrlichkeit würdig fänden, als sie vielleicht dem Rufe nach glaubten.«

»Mr. Mowbray,« antwortete der Graf, »die Unterhandlung zwischen uns soll als so abgeschlossen zu betrachten sein, als wäre ich ein regierender Herr, der die Schwester eines benachbarten Potentaten zur Ehe begehrt, welche er, der fürstlichen Etikette gemäß, vorher weder sah, noch gesehen haben konnte. Ich war ganz offen gegen Sie, und habe Ihnen bewiesen, daß meine jetzigen Gründe, diese Unterhandlung anzuknüpfen, nicht von der Person, sondern von den Gütern herrühren; wenn ich Miß Mowbray erst kennen werde, zweifle ich nicht, daß es sich anders gestalten wird. Ich hörte, daß sie eine Schönheit sein soll.«

»Aber leider eine der farblosesten, Mylord!« erwiederte Mowbray.

»Eine schöne Farbe ist der erste Reiz, der in der modischen Welt untergeht, und zugleich am leichtesten zu ersetzen ist.«

»Aber die Eigenthümlichkeiten der Menschen können, ohne daß einer von beiden die Schuld davon trägt, nicht übereinstimmen! – Ich vermuthe, Ew. Herrlichkeit haben sich nach meiner Schwester erkundigt. Sie ist liebenswürdig, gebildet, gefühlvoll und hochsinnig. – Aber dennoch« –

»Ich verstehe Sie, Mr. Mowbray, und will Ihnen die Mühe ersparen, sich zu erklären. – Ich hörte, daß Miß Mowbray in einiger Hinsicht etwas – Seltsames – ja, wenn ich mir ein stärkeres Wort erlauben will – etwas Wunderliches in ihrem Benehmen hat. – Das thut nichts. – Sie braucht um so weniger Neues sich anzueignen, wenn sie eine Gräfin und eine Dame nach der Mode wird.«

»Ist das Ihr Ernst, Mylord?« fragte Mowbray.

»Ich will Ihnen meine Meinung ganz offen darlegen. Ich besitze ein sehr gelassenes Gemüth und einen fröhlichen Sinn, und kann leicht denen, mit welchen ich lebe, einen großen Theil Sonderbarkeiten zu Gute halten. Ich zweifle gar nicht, daß Ihre Schwester und ich sehr glücklich zusammen leben werden. – Aber gesetzt den Fall, es fügte sich anders, so können wir schon zuvor Einrichtungen festsetzen, wie wir dann ein Jedes für sich dennoch einer angenehmen Lage genießen können. – Mein eigenes Vermögen ist an sich schon ansehnlich, und Nettlewoods Einkünfte können immerhin eine Theilung ertragen.«

»Nun denn,« sagte Mowbray, »ich habe wenig mehr hinzuzusetzen – so weit es Ew. Herrlichkeit betrifft, bleibt mir keine weitere Frage. – Aber meiner Schwester bleibt freie Wahl – ich meines Theils bin vollkommen mit Ew. Herrlichkeit Antrag einverstanden.«

»So, hoffe ich, können wir es als eine abgemachte Sache ansehen?«

»Wenn Clara beistimmt – ohne Zweifel.«

»Ich hoffe, ich habe nichts von einer persönlichen Abneigung der jungen Dame zu fürchten?«

»Ich kann einen Fall, zu welchem ich keinen Grund vorauszusetzen weiß, unmöglich erwarten. Aber eigensinnig pflegt jedes Mädchen zu sein, und wenn Clara, nachdem ich ihr Alles vorstellen werde, was einem Bruder obliegt, dennoch ihre Zusage verweigert, so hat mein Einfluß allerdings Grenzen, welche ich ohne Grausamkeit nicht überschreiten könnte.«

Der Graf schritt stumm einigemal im Zimmer auf und nieder, und sagte dann mit einem ernsten und unmuthigen Tone: »Und inzwischen bin ich gebunden, doch die Lady nicht? – Mowbray, ist das wohl ganz recht?«

»Es ist das Loos eines jeden Mannes, der um ein Mädchen wirbt, Mylord; er muß nothwendigerweise durch seinen Antrag sich gebunden achten, bis in einer schicklichen Zeit er ihn angenommen oder verworfen sieht. Meine Schuld ist es nicht, daß Ew. Herrlichkeit mir Ihre Wünsche erklärten, ehe Sie der Zustimmung Clara's gewiß waren. Da aber jetzt die Sache nur von uns Beiden gekannt ist – stelle ich es noch in Ihre Macht, zurückzutreten, wenn Sie es besser finden. Clara Mowbray hat es nicht nöthig, um einen Bewerber sich zu bemühen.«

»Ich verlange durchaus keine Erlaubniß, meinen Ihnen mitgetheilten Entschluß noch einmal zu überlegen,« sagte der Graf. »Ich fürchte nicht im Geringsten, daß der Anblick Ihrer Schwester mich andern Sinnes machen könnte, und bin bereit, mein vorher gegebenes Wort treu zu erfüllen. – Wenn Sie indessen so sehr zart für mich besorgt sind, so kann ich ja auf Ihrem nahen Feste Miß Mowbray sehen und sprechen, ohne ihr zuvor besonders vorgestellt zu sein. – Die Rolle, die ich dabei übernommen habe, nöthigt mich ohnehin, in einer Maske zu erscheinen.«

»Gewiß,« sagte der Laird von St. Ronans, »ich freue mich sehr, daß zu unserm beiderseitigen Besten Ew. Herrlichkeit daran denken, zuvor eine kleine Prüfung anzustellen.«

»Sie wird mir eben keinen Nutzen gewähren,« entgegnete der Graf. »Mein Loos ist gefallen, ehe mein Blick sie trifft. – Aber wenn diese Art, die Sache einzuleiten, Ihr Gewissen beruhiget, so habe ich nichts dagegen – viel Zeit kann es nicht kosten, und das liegt mir am meisten am Herzen.«

So ohne weitere für den Leser bedeutende Unterhaltung schüttelten sie sich die Hände und trennten sich.

Mowbray war höchst zufrieden, sich endlich allein zu finden, um selbst über die eigentliche Stimmung seines Geistes klar zu werden, der ihn höchst befangend aufregte. Er sah leicht ein, wie viel größern Vortheil jeder Art ihm und seiner Familie durch eine so nahe Verbindung mit dem reichen jungen Grafen werden müßte, als er sich jemals von der Beute versprechen konnte, die ihm seine größere Geschicklichkeit im Spiel oder auf der Rennbahn erwerben mochte. Aber die Erinnerung, wie ganz er sich in die Gewalt des Lords gegeben hatte, verwundete seinen Stolz, und die Rettung vom gänzlichen Verderben, welche er nur seines Gegners Schonung verdankte, verlieh seinem verwundeten Gefühl keinen heilenden Trost. Das Bewußtsein, wie vollkommen sein auserwähltes Opfer alle seine Pläne ergründete, und nur aus Rücksicht für den bessern Erfolg der eignen sie nicht verderbend auf ihn zurückfallen ließ, setzte ihn tief in seiner eignen Meinung herab, auch vermochte er eben so wenig ein unbestimmtes, doch quälendes Gefühl des Argwohns zu unterdrücken. – Welch' einen Grund konnte der junge Lord haben, durch den Verlust von tausend Pfund einem Antrage den Weg zu bahnen, der an sich so annehmbar war, ohne zuvor ein solches Opfer nöthig zu machen? Und weßhalb war er noch obenein so eifrig bemüht, sich seiner Zustimmung zu versichern, ehe er die junge Dame nur erblickte? – So eilig er sein mochte, konnte er nicht abwarten, bis er Clara bei dem Feste in Shaw-Castle sah, wo sie doch nothwendig erscheinen mußte? – Doch schien dies Benehmen, wenn auch ungewöhnlich, schlechterdings keine böse Absicht zu verrathen, da weder die Aufopferung einer so großen Summe, noch die Bewerbung um ein unbemitteltes Mädchen von Familie eine hinterlistige Absicht vermuthen ließen. So ward also Mowbray endlich mit sich einig, das Ungewöhnliche in des Grafen Benehmen dem leichtsinnigen, heftigen Charakter eines jungen Engländers zuzuschreiben, für den das Geld wenig Werth hat, und der mit viel zu übereilter Hast den Lieblingsplan eines Augenblicks verfolgt, um den vernünftigsten und geziemendsten Weg zu finden. Sollte indessen späterhin sich irgend etwas Unheimliches in dem Plane noch spüren lassen, das er jetzt noch nicht einzusehen vermochte, so gelobte sich Mowbray, die höchste Aufmerksamkeit aufzubieten, sich Licht zu schaffen, um zwar noch zur rechten Zeit jeder bösen Folge für seine Schwester oder sich selbst zuvor zu kommen.

In solche Ueberlegungen verloren, vermied er die forschenden Blicke Mr. Micklewhams, der auf der Lauer war, um von ihm zu erfahren, wie seine Kasse stände, und bestieg, obwohl es schon spät war, sein Pferd, nach Shaw-Castle zu reiten. Unterwegs überlegte er, ob er seiner Schwester den empfangenen Antrag mittheilen sollte, um sie vorzubereiten, den jungen Grafen als einen von ihrem Bruder begünstigten Bewerber aufzunehmen. Doch sein endlicher Entschluß lautete: »Nein, nein, nein! Sie könnte es sich in den Kopf setzen, daß seine Gedanken weniger darauf gerichtet wären, sie zu einer Gräfin zu erheben, als die Güter seines Großonkels zu besitzen. – Wir müssen uns ruhig verhalten, bis ihre persönliche Erscheinung und Vollkommenheiten mindestens den Anschein einigen Einflusses auf seine Wahl haben könnten. – Nichts muß sie wissen, bis dieß gebenedeiete Fest gegeben und empfangen ward.«



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