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Alle Abhänge auf der Westseite des Tallac waren vom Feuer verheert; so wandte sich Kellyan nach einer neuen Hütte auf dem östlichen Abhange, wo es noch grüne Oasen gab; ebenso machten es Waldhuhn, Kaninchen und Coyote und auch unser Grisly-Jack. Seine Wunde heilte schnell, aber die Erinnerung an den Flintengeruch blieb ihm dauernd. Es war ein gefährlicher Geruch, eine neue und schreckliche Art von Rauch, die er nur zu gut kennenlernen und bald wieder auf seinem Lebenswege antreffen sollte. Jack ging den Tallac hinab, einem süßen Geruch nach, der Erinnerungen an frühere Genüsse wachrief – dem Geruch von Honig, wenn er das auch nicht wußte. Ein Schwarm von Waldhühnern flog ihm träge aus dem Weg und ließ sich auf einem niedrigen Baum nieder, als er die Witterung von einem Menschen in die Nase bekam und einen Knall hörte, ähnlich wie einst im Schafspferch, worauf eines der Hühner dicht neben ihm niederfiel. Er trat vor, um Witterung zu nehmen, gerade als ein Mann aus dem gegenüberliegenden Gebüsch herauskam. Sie standen keine zehn Fuß voneinander und erkannten sich wieder, denn der Jäger sah, daß er ein versengter Bär mit einer Wunde im Rücken war, und der Bär roch den Flintenrauch und den Lederanzug. Schnell wie ein Grisly – das heißt blitzschnell – zog sich der Bär zurück, der Mann sprang ebenfalls zurück, glitt aber aus und fiel hin; und der Grisly war über ihm. Der Jäger lag mit dem Gesicht nach unten wie tot da; ehe Jack aber zuschlug, kam ihm eine Witterung, die ihn innehalten ließ. Er roch an seinem Opfer, und der Geruch war wie das Wegziehen eines Vorhangs oder das Heraufbeschwören einer vergangenen Zeit. Die Tage in der Jägerhütte hatte er vergessen, aber auf Geheiß der Nase wurden die Gefühle jener Tage in ihm mächtig. Ein tiefer Zug der Nase erstickte alles Rachegelüst in ihm; er ließ den Jäger unverletzt liegen und trollte sich davon.
Oh, du blinder Mensch! Seine einzige Erklärung des Vorgangs war: »Man kann nie wissen, was ein Grisly tun wird, aber man tut gut, sich niederzulegen, wenn man in seiner Gewalt ist.« Nie kam es ihm in den Sinn, dem zottigen Tier einen angeborenen Trieb zum Guten zuzutrauen, und als er dem Schäfer von seinem Abenteuer im Teich, von der Verwundung des Bären und vom Verlieren der Fährte im Waldbrand erzählte, sagte er: »Und da stand er mir auf einmal gegenüber und hatte mich, und ich dachte, mein letzter Tag sei gekommen. Warum er mir nichts getan hat, weiß ich nicht. Aber das sag' ich dir, Pedro: Der Bär, der deine Schafe auf der oberen Weide und im Cañon geholt hat, ist derselbe. Keine zwei Bären haben dieselben Hinterfüße, wenn man eine klare Fährte hat, und diese geht ein ganzes Stück geradeaus.«
»Was ist's mit dem fünfzig Fuß hohen Bär, den ich mit eignen Augen gesehen habe?«
»Das war doch in der Nacht, wo du die Schafe in die enge Schlucht geführt hast. Aber warte nur; ich krieg ihn noch.«
So machte sich Kellyan auf zu einer langen, langen Jagd und wandte dabei jeden ihm bekannten Kunstgriff zur Einkreisung eines Bären an. Zur Teilnahme lud er Lu Bonamy ein, dessen gelber Köter ein guter Spürhund war.
Sie beluden vier Pferde mit Proviant und Ausrüstungsgegenständen und führten sie über den Kamm auf die Ostseite des Tallac und hinunter zur Jackspitze, die Kellyan zu Ehren seines Bärenjungen benannt hatte, dem Laubsee zu. Der Jäger hoffte, dort nicht nur Facos Riesenbären, sondern auch andere aufzufinden, da die Gegend vom Feuer verschont geblieben war.
Schnell schlugen sie ihr Lager auf – ihr Zelt sollte sie eher gegen die Sonne als gegen den Regen schützen –, pfählten ihre Pferde auf einer Wiese an und gingen jagen. Während sie den Laubsee umschritten, bekamen sie eine gute Übersicht über den Wildbestand: viele Hirsche, einige Bären, einzelne Zimt- und Grislybären. Auf eine Fährte am Ufer wies Kellyan hin mit den vielsagenden Worten: »Das ist 'r!«
»Du meinst Pedros Riesenbär?«
»Jawohl! Das ist der fünfzig Fuß hohe Grisly. Ich denke, er wird wohl bei Tageslicht sieben Fuß messen, aber bei Nacht werden die Bären natürlich größer.«
So wurde denn der gelbe Köter auf die Fährte gesetzt und lief mit spaßigem abgebrochenem Gekläff den beiden Jägern voran, die, so schnell sie konnten, hinterdrein stolperten und von Zeit zu Zeit dem Hunde zuriefen, er solle langsamer gehen. Dabei machten sie einen solchen Lärm, daß es Jack, der über ihnen am Berghang entlangtrottete, eine Meile weit hörte. Er ließ sich von der Nase zu vielen guten und eßbaren Dingen führen und ging deshalb gegen den Wind. Der Lärm dahinten war aber so eigentümlich, daß er mit Hilfe seines Geruchs dessen Herkunft auskundschaften wollte. Er wandte sich daher, ging oberhalb des Geräusches zurück, dann hinunter und kam so gegen den Wind auf die Fährten der Jäger und ihres Hundes. – Sofort gab ihm seine Nase Bescheid. Hier war der Jäger, den er erst verschont hatte, und zwei andere Gerüche aus ferner Vergangenheit – beide verhaßt; alle drei jetzt Kenngerüche von Feinden, und ein ausdrucksvolles rollendes »Wuf« kam aus seiner Kehle.
Besonders der Hundegeruch erregte ihn, obwohl er sicher von dem Hunde nicht mehr das geringste wußte, und Jack ging schnell und geräuschlos, ja wunderbar geräuschlos auf der Spur seiner Widersacher dahin.
Auf unebenem, felsigem Boden ist ein Hund kaum schneller als ein Bär, und da der Hund beständig von den Jägern zurückgehalten wurde, war es dem Bären leicht, ihn einzuholen. Als er nur noch etwa hundert Meter von ihnen entfernt war, verfolgte der Bär, zum Teil aus Neugierde, den Hund noch weiter, bis diesem der umspringende Wind von dem Bären hinter ihm Witterung brachte. Er drehte sich – man kann natürlich dem Fährtengeruch nicht länger folgen, wenn man vom Körper selbst Witterung hat – und kam zurückgelaufen, nun aber mit ganz anderem Gekläff und mit gesträubter Mähne.
»Ich versteh' das nicht«, flüsterte Bonamy.
»'s ist 'r Bär, schon recht«, war die Antwort, und der Hund ging in hohen Sprüngen gerade auf den Feind zu.
Jack hörte ihn kommen, roch ihn kommen und sah ihn auch endlich kommen. Aber was ihn erregte war der Geruch, die volle Witterung von dem Plagegeist seiner Jugendzeit. Das Zorngefühl jener Tage kam über ihn; aber die angeborene Schlauheit ließ ihn besonnen handeln: er wich zurück, stellte sich neben die Fährte, da, wo sie unter einer Wurzel weg führte, und als der Gelbe kam, gab ihm Jack einen Schlag, wie er es vor ein paar Jahren getan hatte, aber diesmal mit der Kraft eines erwachsenen Grislys. Keinen Ton gab der Hund von sich, kein zweiter Schlag war nötig. Ohne ein Wort zu sprechen, suchten die Jäger eine Stunde lang, ehe sie die Stelle fanden und aus vielen stummen Zeichen erkannten, was sich hier zugetragen hatte.
»Das soll er mir büßen«, sagte Bonamy grollend, denn er hatte den unansehnlichen Köter gern gehabt.
»'s ist Pedros Bär, 's stimmt. Er ist gewiß ein Schlauer, auf seiner eigenen Fährte hinterdrein zu laufen. Aber wir stell'n ihn doch!« Und sie gelobten, den Bären zur Strecke zu bringen »und kostet es das eigene Leben«.
Ohne Hund mußten sie einen neuen Jagdplan entwerfen. Sie suchten ein paar günstige Stellen für Fallen zwischen paarweise stehenden Bäumen aus. Dann ging Kellyan zum Kamp zurück, die Axt zu holen, während Bonamy den Boden herrichtete.
Als Kellyan nahe am Lagerplatz war, blieb er seiner Gewohnheit gemäß stehen und blickte nieder auf den Kamp. Schon wollte er weitergehen, als eine Bewegung sein Auge fesselte. Dort saß auf seinen Hinterpfoten ein Grisly und blickte zum Kamp hinunter. Das versengte Braun am Kopf und Hals und der weiße Fleck auf jeder Seite des Rückens ließen keinen Zweifel, daß Kellyan und Pedros Bär wieder einander gegenüberstanden. Die Entfernung war groß, aber Lan hob die Flinte, und da der Bär plötzlich den Kopf beugte und seine Hintertatze hob, um eine kleine Schramme zu lecken, kamen Kopf und Brust für Kellyan beinahe in eine Linie und boten einen sichern Schuß, so sicher, daß er hastig schoß. Er fehlte Kopf und Schulter, aber die Kugel traf den Bären sonderbarerweise in den Rachen und an die hintere Zehe und riß ihm einen Zahn und die Hälfte der Zehe weg. Schnaubend sprang der Bär auf und eilte bergab auf den Jäger zu. Kellyan kletterte auf einen Baum und machte sich schußfertig, aber der Kamp lag gerade dazwischen, und der Bär wandte sich diesem zu. Ein Fegen seiner Tatze, und das Zelt war unten und zerrissen. Ritsch! und die Konserven flogen nach. Ratsch! und die Säcke Mehl gingen denselben Weg. Hui! und das Mehl zerstiebte wie Rauch. Schlapp – kräck! und eine Kiste mit Inhalt stürzte ins Feuer. Piff-paff! und ein Sack voll Patronen folgte ihr! Prr! und der Wassereimer war altes Eisen. Pät–pät–pät! und alle Tassen lagen in Scherben.
Kellyan, der sicher auf seinem Baum saß, hatte kein freies Schußfeld; er konnte nur warten, bis sich der Sturm etwas gelegt hatte. Der Bär stieß auf eine verkorkte Flasche. Geschickt nahm er sie in seine Pfoten, klaubte den Kork heraus und hielt die Flasche mit einer komischen Gewandtheit an den Mund, die auf lange Erfahrung deutete. Aber was auch in der Flasche sein mochte, dem Eindringling behagte der Inhalt nicht; er spuckte ihn aus und schleuderte vor Lans erstaunten Augen die Flasche weg. »Kräck–kräck–kräck!« kam's jetzt vom Feuer, wo die Patronen losgingen, einzeln, zu zweien, vieren und in zahlloser Menge. Der Grisly wirbelte herum und zerschmetterte alles, was ihm vor Augen kam. Das Geknatter des vierten Juli gefiel ihm aber nicht; er sprang auf eine Bodenwelle, bewegte sich dann plump und keuchend zur Wiese und hatte eben die Pferde in panische Flucht gejagt, als er zum erstenmal dem Jäger ein klares Ziel bot. Seine Flanke erhielt einen zweiten Streifschuß, und heulend wandte er sich in den Wald.
Die Jäger waren übel dran. Eine volle Woche dauerte es, bis der Schaden, den ihr zottiger Gast angerichtet, wieder gutgemacht war und sie sich wieder mit neuen Vorräten versehen und ihr Zelt am Laubsee ausgebessert hatten. Von ihrem Gelübde, den Bären zu erlegen, sprachen sie wenig. Für beide stand es fest, daß es ein Kampf aufs Messer war. Sie sagten niemals: » Wenn wir ihn kriegen«, sondern: » Sobald wir ihn kriegen.«