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Jack wanderte mit wachsamer Nase weiter. Da gab es zahllose Witterungen von Beeren, Wurzeln, Waldhühnern, Hirschen, bis ein neuer und wohlgefälliger Geruch mit besonderer Kraft kam.
Das war kein Schaf oder Wild, auch nichts Totes, denn es roch wie lebendiges Fleisch. Er ließ sich davon bis auf eine kleine Wiese führen, wo er es vorfand. Es waren fünf Wesen, rot und weiß und so groß wie er selbst; aber er fürchtete sich vor ihnen nicht. Vom Jägerinstinkt geleitet und mit dem Wagemut und der Tatfreude eines Weidmanns kroch er gegen den Wind auf sie zu, um sie noch länger zu wittern und an die Witterung seiner selbst zu hindern. Am Waldrand machte er halt, denn hier mußte er sichtbar werden. Ganz nahe befand sich eine Wasserstelle. Leise stillte er seinen Durst; dann legte er sich in ein Dickicht, wo er die Tiere im Auge hatte, und harrte eine Stunde lang. Die Sonne senkte sich, und das Rindvieh erhob sich, um zu grasen. Eines von ihnen, ein kleineres Tier, kam näher an ihn heran; dann kam ihm ein plötzlicher Antrieb, und es ging zum Wasserloch. Jack wartete den günstigen Augenblick ab, und als die junge Kuh in den Kot stapfte und sich bückte, schlich er heran und schlug mit aller Kraft zu. Quer über den Schädel zielte und traf er, denn noch wußte er nichts von Hörnern, und das scharfe aufwärtsgebogene Horn fuhr ihm in den Fuß und brach ab. Dabei verlor der Schlag die Hälfte seiner Kraft. Die Kuh stürzte zu Boden, aber Jack mußte mit. Da riß er voll Wut seine Pranke zurück. Die andern Rinder waren vom Schauplatz weggelaufen. Sein Opfer nahm der Bär zwischen die Kiefer und schleifte es bergauf in sein Lager. Dort blieb er, mit Fleischvorrat versehen, wieder liegen, um seine Wunden zu pflegen. Sie waren zwar schmerzhaft, aber nicht bedenklich, und binnen einer Woche etwa war der Grisly so gesund wie je, und er durchstreifte wieder die Wälder um den Laubsee und weiter nach Süden und Osten hin. Denn wie er älter wurde, dehnte er seinen Bereich immer weiter aus – der König schuf sich sein Königreich. Im Laufe der Zeit stieß er auch auf andere seiner Art und maß mit ihnen seine Kräfte. Manchmal siegte er, manchmal unterlag er, aber er wuchs immer weiter im Wechsel der Monde und nahm zu an Alter, Kenntnissen und Kraft.
Kellyan blieb ihm auf der Spur und kannte wenigstens die Haupttatsachen aus seinem Leben, da ihn ein paar Merkmale ständig von andern unterschieden. Die gründliche Untersuchung der Fährte ergab, daß in einer Vordertatze ein rundes Loch, und daß auch eine Hintertatze verwundet war. Aber da war noch ein anderes Kennzeichen: Der Jäger hatte im Kamp, wo er nach dem Bären geschossen hatte, die Knochensplitter aufgelesen und war nach langem Zweifeln zu dem Schluß gekommen, daß er einen Reißzahn gebrochen habe. Er trug Bedenken, von einem Schuß zu erzählen, der zugleich einen Zahn und eine hintere Zehe getroffen habe, bis er später klarere Beweise für die Wahrheit dieser Tatsache fand.
Keine zwei Tiere sind einander gleich, eher noch zahme als wilde, und die einzeln hausenden Grisly zeigen große Unterschiede. Die meisten Grislybären machen an den Bäumen ihre Größe kenntlich, indem sie sich mit dem Rücken daran reiben, andere richten sich am Baum auf und schlagen ihre Vordertatzen hinein, wieder andere umfassen den Stamm mit den Pranken und scharren daran mit den Hinterklauen. Jacks Eigenheit war, sich zuerst zu reiben, dann umzudrehen und den Stamm mit den Zähnen aufzureißen.
Dies hatte Kellyan festgestellt, als er eines Tages einen Bärenbaum untersuchte. Den ganzen Morgen war er der Bärenspur gefolgt und hatte aus einer Reihe schöner Abdrücke im Staube ersehen, daß eine Zehe im Hinterfuß durch die Schußwunde verletzt worden war und daß der entsprechende Vorderfuß eine große runde Wunde trug, bekanntlich ein Andenken an das Kuhhorn. Als er zum Bärenbaum kam, wo Jack sein Namenszeichen eingegraben hatte, ersah er aus den Zahnspuren deutlich, daß einer seiner oberen Reißer abgebrochen war. So war an der Tatsache nicht länger zu zweifeln.
»'s ist derselbe alte Bär«, sagte Lan zu seinem Gefährten.
Während dieser ganzen Zeit bekamen sie ihn nicht einmal zu Gesicht; so legten denn die beiden Genossen eine Reihe von Bärenfallen. Diese bestehen aus schweren Balken und haben eine Falltür von behauenen Planken. Der Köder befindet sich auf einem Drücker am andern Ende; ein Zug daran bringt die Tür zum Fallen. Es kostete eine Woche schwere Arbeit, vier solcher Fallen fertigzustellen. Sie belegten sie nicht sofort, denn kein Bär wird an einen solchen verdächtig neu aussehenden Gegenstand herangehen; er muß erst etwas verwittert und grau sein. Aber sie räumten alle Späne weg und beschmierten das frischgehauene Holz mit Schlamm, dann rieben sie das Innere mit altem Fleisch und hingen an den Drücker jeder Falle angegangenes Wild.
Drei Tage hielten sie sich zurück, weil, wie sie wußten, der Menschengeruch erst dann gewichen sein muß. Dann fanden sie nur eine Falle ausgelöst – die Tür unten. Bonamy wurde ganz aufgeregt, denn sie hatten die Fährte des Grislys eben gekreuzt. Aber als Kellyan den Boden betrachtete, lachte er plötzlich laut auf.
»Sieh das mal an« – und dabei wies er auf eine bärenartige, aber kaum zwei Zoll lange Spur. »Das ist der Bär, den wir finden werden, ein Bär mit buschigem Schwanz«, und Bonamy lachte mit, als er sah, daß sich in der großen Falle nur ein kleiner Skunk (ein Stinktier) gefangen hatte.
»'s nächstemal hängen wir das Lockfleisch höher«, sagte Lan.
Sie rieben ihre Stiefel beim Begehen der Fallen mit altem Fleisch und blieben eine Woche lang weg.
Es gibt Bären, die sich fast nur von Wurzeln und Beeren nähren, für andere ist der Lachs die Lieblingsspeise, den sie auf seiner langen Wanderung mit den Klauen aus den Teichen holen können, und noch andere sind auf Fleisch erpicht. Die dritte Gruppe ist selten; sie besitzen eine ungewöhnliche Wildheit und finden meist ein frühzeitiges Ende. Jack gehörte zu ihnen; er entwickelt sich wie ein muskelstrotzender, mit viel Fleisch genährter Gladiator, und er wurde größer, stärker und wilder als seine Früchte und Wurzeln verzehrenden Genossen. Im Gegensatz dazu stand seine Vorliebe für Honig. Der Jäger auf seiner Fährte fand, daß er kein Bienennest auf seinem Wege unausgegraben ließ, und wenn er keins fand, so verzehrte er die kleinen Honigblüten, die wie Schlittenglöckchen auf der Heide hängen. Diese Eigenheit wollte Kellyan sofort benutzen. »Du, Bonamy, wir brauchen Honig.«
Es ist nicht leicht, einen Bienenbaum ausfindig zu machen, wenn man keinen Honig hat, um die Leitbienen zu füttern. Deshalb ritt Bonamy zum nächsten Kamp, Tampicos Schafkamp, hinab, wo er zwar keinen Honig, aber etwas Zucker erhielt, aus dem sie Sirup bereiteten. Dann fingen sie an mehreren Stellen Bienen, hingen ihnen etwas Baumwolle an, gaben ihnen Sirup zu naschen, ließen sie fliegen und schauten ihnen nach, solange die Baumwolle sichtbar war. Dann verfolgten sie die angegebene Richtung, bis sie den Bienenstock fanden. Ein Stück Honigwabe wurde in einem Jutebeutel auf die Fallenfedern gelegt, und als Jack in der folgenden Nacht mit dem langen rastlosen Schwung, der Dampfrädern gleich Meilen frißt, dahintrottete, trug ihm seine wachsame Nase einen köstlichen Geruch zu, der ihn mehr als alle andern ergötzten. So folgte er ihm eine Meile weit, bis er die sonderbare Blockhütte erreichte und schnüffelnd haltmachte. Da waren Gerüche von Jägern, ja, aber vor allem der Honiggeruch. Er ging um die Hütte herum und sah, daß der Honig drin war. Dann trat er vorsichtig ein. Ein paar Waldmäuse liefen davon. Er beschnupperte die Lockspeise, leckte daran, nahm sie zwischen die Zähne, schwelgte darin, zerrte, um mehr Saft herauszuholen, als auf einmal mit großem Krach die Tür hinten niederschlug und er gefangen war. Mit einem Ruck fuhr er auf, prallte gegen die Tür und hatte nun wenigstens eine Ahnung von Gefahr. Mit Mühe drehte er sich um und bearbeitete die Tür, aber sie war zu stark. Nun untersuchte er den Bau und prüfte alle Balken, wo er an ihrer Rundung am besten mit seinen Zähnen ankommen konnte. Aber umsonst versuchte er einen nach dem andern, riß am Dach und am Boden, alles waren schwere harte Balken, trefflich gefügt und festgenagelt.
Während er noch in voller Wut war, ging die Sonne auf und schien durch kleine Türspalten; so wandte er sich mit seiner ganzen Kraft dahin. Die Tür war flach und gab wenig Halt, aber er schlug mit den Tatzen und riß mit den Zähnen, bis eine Planke nach der andern nachgab. Mit einem letzten Ruck stieß er das Wrack vor sich her und war wieder frei.
Die beiden lasen die Geschichte der nächtlichen Ereignisse, als hätten sie sie gedruckt vor sich, ja noch bester, denn Plankensplitter können nicht lügen, und die Fährte zur und von der Falle war die eines großen Bären mit den ihnen bekannten Absonderlichkeiten, während die Rißspuren an den Seitenbalken von einem gebrochenen Zahn zeugten.
»Diesmal hatten wir ihn, aber er war zu stark für unsere Falle. Aber wart' nur; wir kriegen dich!«
So fuhren sie fort und fingen ihn wieder, denn Honig war für ihn unwiderstehlich. Aber am nächsten Morgen fanden sie nichts als eine zertrümmerte Falle.
Pedros Bruder kannte einen Mann, der Bären gefangen hatte, und der Schäfer erinnerte sich, daß es mehr darauf ankam, eine lichtdichte als eine starke Tür zu haben, weshalb sie sie außen ganz mit Teerpapier verklebten.
Aber Jack kannte sich bald aus in dieser Art Fallen. Er zerbrach die Tür nicht, durch die er nicht hindurchsehen konnte, aber er steckte eine Pfote darunter und drückte sie mit aller Gewalt auf. So narrte er sie und trieb seinen Sport mit den Fallen, bis Kellyan die Tür in eine tiefe Rinne senkte, so daß der Bär seine Klaue nicht darunterbringen konnte. Aber inzwischen war es kalt geworden. Die Bärenspur verschwand, und die Jäger wußten, daß Jack seinen Winterschlaf angetreten hatte.