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Matti Haapoja

Weil Ebbe Skammelsen so manchen falschen Weg wanderte« …

Ein kleines Mädchen lag irgendwo in Finnland in seinem Kinderbettchen und sollte einschlafen. Die Kleine bat den lieben Gott, seine Schutzengel um ihr Lager her zu stellen und alle ihre Lieben vor Leid und Gefahr zu bewahren, alle, alle, die sie kannte und lieb hatte.

Sie dachte wohl an Sturm und Blitz und Donner, an Bäche und Flüsse, die über ihre Ufer brausen und das Land überschwemmen können … An rote Feuersbrünste mit furchtbaren knisternden Flammen … An Wölfe, die in den Winternächten heulend dahergejagt kommen und mit aufgerissenem Rachen über die Wanderer herfallen … Oh, es war gut, sich vor allen diesen Gefahren beschützt zu wissen!

Ja – und dann gab es ja auch Räuber und Übeltäter, die in den Wäldern auf der Lauer lagen und in die Häuser der Menschen einbrachen, raubten und mordeten. Vielleicht schlich sich da in ihr Herzchen ein Name ein, der nicht selten darin spukte: Matti Haapoja.

Von ihm wußten die Dienstmädchen so viel Entsetzliches und Abenteuerliches zu berichten, daß seine Gestalt riesengroß und drohend vor dem kleinen Mädchen stand und ihren Schatten bis in ihr Kinderzimmer hineinfallen ließ. – –

Matti Haapoja war der wilde Sohn der Wildnis. Seine Hand war gegen alle, und aller Hand war gegen ihn. Wenn eine in der Leidenschaft begangene Tat – wie ein Ausstoß der eigenen unbändigen Natur – einen Menschen fürs ganze Leben mit einem Brandmal gezeichnet hat und dieser Mensch sich dann nicht in die Strafe finden will, dann ist er mit einem Schlage aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen; er ist von da an friedlos und heimatlos; er hat keine Wahl mehr. Um zu leben, ist er auf das angewiesen, was die Natur ihm geben will – oder was er sich selbst durch Raub und Gewalt verschaffen kann. Es gibt keinen andern Ausweg für ihn.

Matti Haapoja war ein schöner, riesengroßer Mensch. Viele Geschichten waren über ihn im Umlauf. Dieser Wald- und Ödlandbewohner hatte die Stärke von sieben Männern – niemand konnte ihn fällen. Er hatte die Leichtfüßigkeit des wilden Renntiers – niemand konnte ihn einholen oder fangen.

Wie ein jagendes Gewitter tauchte er bald da, bald dort auf, wie der Blitz aus der Wolke schoß er bald hier bald dort nieder – und war wieder verschwunden, ehe man sich's versah.

Der Gedanke an ihn war wohl dazu angetan, einem kleinen Mädchen, das eben am Einschlafen war, Angst einzuflößen.

»Weil Ebbe Skammelsen so manchen falschen Weg wanderte.« – –

Und dann wurde er doch einmal übermannt – dann wurde er doch schließlich gefangen, er, Matti Haapoja!

Er wurde nach Sibirien geschickt, nach Verschne Suetuk. Aber sein unbändiger Sinn folgte ihm auch dahin, auch da war seine Hand gegen alle. Nur ein seltenes Mal wurde er ruhig und stille. Samstagabends pflegten sich die finnischen Deportierten in einem ärmlichen, kleinen Wirtshaus zu versammeln, wo sie sich dann mit ihren im Heimatlande begangenen Verbrechen brüsteten, mit alten fettigen Karten spielten und sich betranken.

Matti Haapoja tat das Seine dazu, die andern betrunken zu machen – und dann höhnte er sie. Er selbst verachtete die Trunksucht. Ein lallender, taumelnder, betrunkener Mensch stand in seinen Augen unter den Tieren. Er konnte morden – das fand er nicht ganz unvereinbar mit seiner Menschenwürde, aber er trank nicht.

Wenn die Kameraden sinnlos betrunken auf dem Boden hingestreckt lagen, schritt er über sie weg – und ging, wenn die Nacht hell war, hinaus auf den finnischen Friedhof.

Dieser Ort übte einen seltenen Zauber auf ihn aus. Da standen Hängebirken mit weißen Stämmen, die denen daheim in Finnland vollkommen ähnlich waren, und Matti Haapoja wußte, woher das kam. Weil diese Bäume aus dem Erdreich herauswuchsen, in dem Finnlands Kinder begraben lagen, deshalb waren die Bäume hier mitten in Sibirien finnisch geworden.

Unter den Birken stand Kreuz an Kreuz – alte verwitterte oder auch ganz neue. Auf dem einen stand wohl ein Name, auf andern nur ein Buchstabe oder sonst ein Zeichen.

Alle, alle, die hier unter diesen Kreuzen ruhten, waren aus Finnland gekommen … Sie waren einstmals fröhliche Kinder gewesen, hatten unter den Birken des Heimatlandes gespielt und umhergetollt, hatten eine Mutter und eine Heimat gehabt – und nun lagen sie hier – gebrandmarkt, verachtet – vergessen! Hier würde er, Matti Haapoja, wohl auch einmal begraben und der Vergessenheit anheimgegeben …

Der Nachtwind rauschte durch das Birkenlaub, und wenn es geregnet hatte, fielen helle, klare Tropfen auf die Gräber herab – die einzigen Tränen, die über diese armen Toten geweint wurden. Und dann überkam diesen Mann, der da nächtlicherweile in seiner ganzen Verlassenheit saß, ein heißes, seltsames Verlangen, sich auszuweinen.

+

Matti Haapoja mordete – auch in Sibirien mordete er. Zweier Morde wurde er überführt – aber verstohlen wurde davon gemunkelt, daß er sechs bis sieben auf seinem Gewissen habe. Er wurde nach Finnland zurückgeschickt, um eine noch härtere Strafe zu büßen, und dort vorerst im Zollufergefängnis in Helsingfors eingekerkert.

Er wurde in das »große Eisen« gelegt – in Hals- und Leibeisen, und an Händen und Füßen gefesselt. – – Er bekam zwei Wärter, die sich nicht einmal zu ihm hineingetrauten. Denn Matti Haapoja war wie ein zum äußersten gereiztes wildes Tier. Sein unbändiger Drang nach dem Leben im Freien, der nun nicht gestillt werden konnte, machte ihn rasend.

Doch eines Tages geschah etwas Merkwürdiges. Eine hochgewachsene, schlanke Frau mit leuchtend klaren Augen stand vor seiner Zelle und begehrte Einlaß.

Die Gefängniswärter waren daran gewöhnt, daß ihr die Türen geöffnet wurden; aber hier waren sie überaus bedenklich. Nein, es gehe nicht – es sei lebensgefährlich.

Aber die hochgewachsene Frau ließ sich nicht abweisen. Denn sie war jenes kleine Mädchen, das sich einst in seinem Kinderbettchen so sehr vor Matti gefürchtet hatte – jetzt aber wollte sie zu ihm hinein.

Sie war ja seither erwachsen und groß geworden, und schon als ganz junges Mädchen hatte sie ihr Weg in düstere Gefängnisse geführt, um denen, die da drinnen eingesperrt saßen, Trost und Linderung zu bringen.

Nach vielen Einwendungen von seiten der Wärter wurde sie endlich eingelassen, und die Tür ward hinter ihr wieder zugemacht.

Auf der niedrigen Pritsche in der Zelle lag eine männliche, in eine grobe graue Decke gewickelte Gestalt. Der Mann hatte die Decke übers Gesicht heraufgezogen und schaute nicht auf, als die Tür aufging.

Mathilda – denn sie war es – wartete eine Weile und trat dann zum Lager – aber der Mann schien noch immer nichts zu hören. Da fragte sie: »Schlafen Sie, Matti Haapoja – oder sind Sie nicht wohl?« Und zugleich legte sie ihm die Hand auf die Schulter.

Doch als sie ihn anrührte, fuhr der Mann, trotz des schweren Leibeisens, rasch wie der Blitz auf, warf die Decke zurück und stand nun in seiner ganzen unbändig wilden Kraft und Schönheit vor ihr.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Der Anblick war überwältigend. Wie ein Goliath stand er vor ihr – trotz ihrer eigenen Größe fühlte sie sich wie ein kleiner David ihm gegenüber. Aber ein Wort aus der Bibel, das der kleine David gesprochen hatte, stärkte sie: »Du kommst zu mir mit Schwert, Spieß und Schild, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth.«

»Wer sind Sie und was wollen Sie hier?« fragte er kurz.

»Ich bin nur ein Menschenkind, das weiß, daß Sie von Sibirien kommen, und ich möchte gerne von Ihnen hören, ob Sie dort mit einigen von meinen Freunden, mit Sand, Roikainen oder Forsberg zusammengetroffen sind?«

»Dann heißen Sie Mathilda und sind die Tochter des Gouverneurs von Vasa. Aber Ihr Vater war ein schöner, starker Mann – und Sie –« Er betrachtete sie hohnlächelnd.

Doch sie erwiderte munter: »Wir können nicht alle so schön sein wie mein Vater oder – wie Matti Haapoja.«

Das entwaffnete den Mann ein wenig. Er setzte sich auf den Rand der Pritsche und schwieg.

Nach einer kleinen Weile sagte sie: »Ich meine, Sie sollten mich nicht stehen lassen, wenn Sie selbst sitzen.«

Der Gefangene erwiderte: »Ich habe ja keinen Stuhl, und neben Matti Haapoja wagt sich niemand zu setzen.«

»Wollen Sie ein wenig rücken, damit Platz für mich frei wird?« sagte sie und ließ sich dann neben ihn auf den Lagerrand nieder.

Er sah sie forschend und mißtrauisch an.

»Ich weiß wohl, was Sie wollen«, sagte er verächtlich, »wenn Sie es sich auch nicht merken lassen. Sie kommen, um mir eine Predigt zu halten; aber das ist vergebliche Mühe.«

Und als sie den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Wozu haben Sie denn sonst das Buch mitgebracht?« Gegen ihre Gewohnheit hielt nämlich Mathilda eine Bibel in der Hand, weil sie von einem Kranken kam. Sie sagte ihm das.

»Gut«, fuhr er fort, »Sie gehören aber doch zu denen, die glauben, jedes Wort in der Bibel habe eine Botschaft für uns und es sei eine Gotteskraft darin enthalten, nicht wahr? Aber Sie geben sich doch Mühe, immer bestimmte Worte auszuwählen und diese so auszulegen, wie es zu dem paßt, was Sie sagen wollen. Wenn ich nun irgendeine Bibelstelle aufschlage, wollen Sie sie mir dann stehenden Fußes auslegen und mir beweisen, daß sie mich angeht? Können Sie das nicht, müssen Sie sich für geschlagen erklären.«

Sie antwortete ja, und Matti schlug ganz vorne die erste Seite der Bibel auf.

»Lesen Sie!« sagte er, indem er seinen Finger auf die drei ersten Verse setzte. »Und dann erklären Sie sogleich.«

Sie las: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde! – Die Erde, die Gott schuf«, fuhr sie nach einem Augenblick der Überlegung fort, »ist nun nicht bloß die Erde hier draußen, mit den wilden, endlosen Strecken Ödland, deren Grenzen das Auge nie erreicht, sowie die Seen und großen Wälder mit ihren Bäumen, Pflanzen und Blumen – diese Erde, die Matti Haapoja so sehr geliebt hat und nun so bitter vermißt … ist auch das Menschenherz – es ist Mattis Herz. Das ist die eigentliche Erde, die Gott geschaffen hat.«

Sie las weiter: »Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe! – Die Erde, die Matti Haapojas Herz ist, auch sie ist wüst und leer. Leer an allem, was gut und rein, weich und liebreich ist, an Freude und Frieden … Keine Blumen wachsen da, es reifen keine Früchte. Warum? Weil es finster ist auf der Tiefe, das heißt in dem Abgrunde, und weil Finsternis das Leben tötet. Matti Haapoja hat einen Abgrund in seinem Herzen – wie wir alle einen haben, oder wenigstens gehabt haben – und der ist finsterer als die Nacht. Sie wissen selbst, daß der Abgrund da ist, Matti, Sie wagen es nicht, in seine Tiefe hinabzuschauen, weil er so grundlos tief ist – der bloße Gedanke daran macht Ihnen angst und bange.

»Aber Gottes Geist schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht. Gott kann den finstern Abgrund in einem Menschenherzen hell machen, er ist der einzige, der es kann. In Matti Haapojas Herz ist das Licht von Gott noch nicht hineingedrungen – denn dieses Herz hat sich ihm noch nicht zugewendet. Die Erde draußen ist willenlos in der Hand Gottes – das Menschenherz muß sich dem lieben Gott selbst hingeben. Aber wenn Matti Haapoja sein wüstes und leeres Herz mit der abgrundtiefen Finsternis, die das Herz tötet, zu Gott bringt, dann wird Gott sagen: ›Es werde Licht!‹ Und es wird geschehen!«

Sie schloß das Buch und schwieg. Während sie von der Erde draußen gesprochen hatte, nach der sich der Gefangene so schmerzlich und bitter sehnte, war Matti Haapoja aufgestanden, wie wenn er Luft schöpfen müßte. Und während Mathilda weiter sprach, wurden seine Atemzüge immer schwerer, hastiger, heftiger. Als sie zu sprechen aufhörte, stürzte die mächtige Riesengestalt plötzlich wie eine vom Blitz getroffene Eiche unter heftigem Klirren der schweren eisernen Ketten und Fesseln auf den Fußboden … Und es war, als ob alle die Tränen, die sich in den Kirchhofnächten draußen in dem fernen Sibirien angesammelt hatten, sich nun in furchtbarem Schluchzen Bahn brächen.

Und dazwischen erklangen Worte, abgerissene, stammelnde, hilflos verzweifelte, selbstanklagende Worte. Aus der tiefsten Tiefe des Abgrunds in seinem Innern, wo seine Seele sich auf so manchem falschen Pfad verirrt hakte, wo sie in pechschwarzer Finsternis gewatet war, wo die Stickluft ihn zu ersticken gedroht, stieg nun der in Todesangst ausgestoßene Ruf um Hilfe und Rettung empor: » De profundis« …

Unbewegt saß Mathilda auf der Pritsche. Sie schloß die Augen, suchte nichts zu hören, nichts zu denken, nichts zu fühlen … Wollte nicht Zeuge sein von dieser … dieser Begegnung, diesem Kampf, den ein Dritter mit seiner unbefugten Gegenwart niemals stören soll. – –

Schließlich ließ das Weinen und Stöhnen des Riesen etwas nach. Mühsam, todmüde richtete er sich aus.

»Jetzt ist es geschehen«, sagte er. »Jetzt hab' ich den ganzen Abgrund vor ihm aufgetan. Mehr kann ich nicht tun. Das übrige muß nun er tun – und dann möchte ich Sie um etwas bitten. Draußen hat man es gehört, daß ich mich auf den Boden geworfen habe. Und jetzt heißt es ›Matti Haapoja hat geweint – er betet!‹ Sobald ich allein bin, kommen der Pfarrer und der Direktor und die Aufseher eiligst dahergelaufen – und ich will doch keinen von ihnen sehen! Wollen Sie daher bei mir bleiben, bis das Tor geschlossenen wird – ganz ruhig hier sitzen bleiben, ohne ein Wort zu sprechen, gerade wie vorhin?«

Sie neigte zustimmend den Kopf. Und wieder saß sie nun regungslos, schweigend da, während die Dämmerung sich durch die Fenster hereinschlich und ihren Abendschatten auf die beiden in der engen kahlen Zelle herabsenkte. – –

+

Matti Haapoja wurde zu neuen Untersuchungen und Verhören nach Tavastehus überführt.

Er hatte Mathilda sagen lassen, ob sie ihn am Neujahrsfest besuchen wolle, er müsse mit ihr reden.

Sie kam mit dem Vormittagszug, und da fragte er gleich: »Können Sie bis zum Abendzug bei mir bleiben? Dann haben wir doch mehrere Stunden vor uns. Was ich Ihnen zu erzählen habe, braucht viel Zeit. Sie sollen nicht hungern: ich hatte noch ein paar Sparpfennige, und dafür hat der Gefangenwärter Butter und Milch gekauft. Mein Brot hab' ich für Sie aufgehoben – hier ist es.« Er ging an das Wandbrett und nahm die Bibel herunter, die Mathilda ihm geschenkt hatte. Darauf lag das Brot.

»Sehen Sie, als der Gefangenwärter heute mit dem Frühstück kam, reichte ich die Bibel hinaus und bat ihn, das Brot darauf zu legen. Denn meine blutigen Hände sollten das Brot nicht anrühren, das ich Ihnen anbieten wollte.«

Mathilda weinte, als sie das Brot an sich nahm. Denn Matti Haapoja, der wilde Sohn der Wildnis, dieser Matti Haapoja hatte ja eine so überaus zartfühlende Rücksicht für einen andern Menschen bewiesen.

Dann fragte er sie, ob sie eine fürchterliche Beichte hören wolle? Wohl habe er seine ganze abgrundtiefe Verworfenheit vor Gott gebracht, aber nun müsse sie, soweit es möglich sei, auch noch vor einem Menschen bekannt werden.

Sie antwortete: »Wenn Sie das Gefühl haben, daß Sie beichten müssen, wenn es Ihnen eine Hilfe ist, ja dann will ich sie anhören.«

Aber als er nun anfing, merkte Mathilda bald, daß es fast unerträglich für sie sei, das anzuhören, daß sie dazu kaum die Kraft habe. Denn obgleich sich ihr schon wiederholt Gefangene anvertraut hatten, so kamen hier doch Greuel zutage, von denen sie bisher noch nie etwas gehört hatte, so wilde und grauenvolle Verbrechen, daß sie kaum mehr atmen konnte und ihr Herz stillzustehen drohte.

Doch wie eine Wohltat brach sich dann das Bewußtsein Bahn, daß der Mann seine entsetzliche Vergangenheit abladen möchte, weil er sie los sein wollte, daß er sich selbst bloßstellte, sich so abschreckend und blutrünstig schilderte, weil er seinem eigenen Urteilsspruch verfallen war.

Deshalb konnte sie auch zu ihm sagen: »Wer sich selbst richtet, wird nicht gerichtet. Das heißt, hier auf Erden selbstverständlich, aber nicht in alle Ewigkeit.«

Als Matti Haapoja mit seinem Bekenntnis fertig war, bat er sie nicht, Schweigen darüber zu bewahren. Er war ganz sicher, daß sie das, was er ihr anvertraut hatte, nie verraten würde.

+

Von da ab schrieb Mathilda oft an ihn, und er beantwortete die Briefe, nannte sie seine »geliebte Schwester im Herrn«, schrieb, daß unglückliche Gefangene unter Tränen bezeugen konnten, daß sie vermocht habe, in ihnen die besten menschlichen Gefühle wieder zu erwecken, die sie selbst längst für tot und abgestorben gehalten hatten. Die schwellende Sprache des Hohenliedes gefiel der starken Phantasie dieses Urmenschen. Er nannte Mathilda »eine Quelle im Garten mit lebendigen Wasserströmen vom Libanon … eine Blume von Saron, hervorgesproßt auf diesem Granitgebirge des Nordens!« Von sich selbst schrieb er, daß sein Leben in der Stille verlaufe »mit ihm, dem Ehre gebühret in alle Ewigkeit.« – –

Aber in der Stille sollte Matti Haapoja, der Sohn der Wildnis, sein Leben nicht beschließen.

Von dem, was er in Sibirien getrieben hatte, quälte ihn einiges immer wieder heftig, und er wünschte, wieder dorthin geschickt zu werden, um neue Aufklärungen darüber zu geben. Er sagte zu dem Rechtsanwalt, er sei in Verschne Suetuk in gewisse Verbrechen verwickelt und müsse aus dieser Veranlassung wieder dorthin. Der Rechtsanwalt versprach ihm, es durchzusetzen, tat aber nachher nichts in der Sache.

Matti Haapoja war empört. Er war selbst zuverlässig und hielt ein gegebenes Wort, und diesmal verlangte er ja um der Gerechtigkeit willen nach Sibirien zurückgeschickt zu werden.

Dann beschloß er, selbst einen Versuch zu machen, um wieder dahin zu kommen. Es gelang ihm, sich ein großes Schustermesser anzueignen; dieses stieß er in eine Mauerfuge, und schon hatte er sich mit Hilfe des Messers bis zu der Fensterluke hinaufgeschwungen, als die Gefangenwärter hereindrangen und ihn festnahmen.

In blindem, rasendem Zorn, weil er an der Ausführung seines Vorsatzes gehindert wurde, stieß er mit dem Messer nach dem einen Wärter und dann mehrere Male nach sich selbst …

Trotz Wunden und Blutverlust wurde er darauf wieder in das große Eisen gelegt und aus einen am Boden liegenden Strohsack geworfen.

Mathilda wurde dringend abgeraten, ihn zu besuchen, weil er wieder ganz ungebärdig sei. Aber sie ließ sich nicht abhalten, im Gegenteil, sie fühlte, daß er sie gerade jetzt dringend nötig hatte.

Als der Gefangene ihrer gewahr wurde, zog er sofort die Decke so hoch herauf, daß diese den Halsring verbarg. Er wußte, es würde Mathilda sehr weh tun, daß sie ihn wieder so mit eisernen Ketten beladen sehen mußte.

»Dieses Mal werde ich wohl zum Tode verurteilt,« sagte er. »Und dann geht es doch mit der beständigen Qual hier zu Ende! Aber – nun hab' ich nur noch einen Wunsch. Den Pfarrer will ich nicht auf der Richtstätte haben. Aber – meinen Sie, Sie könnten mich dahin begleiten? Ich möchte gerne, daß Sie das allerletzte wären, was mein Auge auf dieser Welt sieht. Aber – glauben Sie, daß Sie mit mir dahin gehen könnten?«

Mathilda erwiderte: »Wenn es Ihnen nur der kleinste Trost sein kann, dann kann ich es, und ich werde es auch tun.«

Aber als Mathilda wieder zu ihm kam, sagte er: »Da ist etwas, worüber ich seit dem letztenmal nachgedacht habe. Wenn man ein schwaches Herz hat und bei etwas Angreifendem dabei sein muß, dann kann man davon krank werden, ja vielleicht daran sterben, nicht wahr?«

Sie erwiderte, ja, das komme allerdings vor.

»Nun, dann sollen Sie auch nicht dabei sein, wenn ich den schweren Gang aufs Schafott gehen muß. Es wäre unrecht gegen Sie. Sie würden es vielleicht nicht ertragen können und einen Herzschlag bekommen – Ihr Leben ist dafür viel zu wertvoll.«

»Nein, Matti«, sagte sie, »das wird nun nicht mehr geändert. Sie haben gesagt, daß es Ihnen ein Trost sein würde. Und wenn es soweit kommen sollte – nun, dann werde ich bei Ihnen sein, wie ich es Ihnen versprochen habe.«

»Ich kann Sie also nicht davon abbringen? Nein, ich weiß wohl, Sie halten Ihr Wort. Aber dann muß ich sehen, ob ich es nicht aus andere Weise verhindern kann, denn es darf nicht geschehen.«

Sie bekam Angst und fragte, was er damit meine. Er habe doch hoffentlich nicht im Sinne, sich selbst ein Leid anzutun? Und sie bat und flehte ihn an, doch ja nicht an so etwas zu denken.

Er sagte, nun wollten sie nicht mehr darüber reden, es sei ja durchaus nicht sicher, daß es so weit komme. Aber wenn Gott erkenne, warum man etwas getan habe, dann urteile er auch anders darüber.

Von diesem Tag an besuchte Mathilda ihn öfters – um ihn doch ja von dem Gedanken an das abzubringen. Und es hatte auch den Anschein, daß es ihr geglückt sei.

Aber drei Wochen später legte Matti Haapoja Hand an sich selbst. Und diesmal starb er. –

Ich weiß alles, was gegen diese Tat gesagt werden kann, auch daß dies nicht der Erfolg sei, zu dem eine geistliche Umwendung hätte führen sollen.

Aber ich denke doch, alle Einwendungen müssen verstummen und hinfällig werden dem einen gegenüber, daß Matti Haapoja, der wilde Sohn der Wildnis, er, der ein Menschenleben für nichts achtete, wenn es ihm auf seinem Wege in die Quere kam, er, dessen Hand siebenfältig blutig war, doch sein Leben hingab, um ihr, die er so hoch verehrte und liebte, eine Gemütsbewegung zu ersparen, die sie nicht ertragen hätte – um das kleine Mädchen, dem einstens in seinem kleinen Kinderbettchen sein Name allein schon angst und bange machte, zu beschützen …

Und ich weiß nicht – aber könnte man sich nicht vielleicht denken, daß das Urteil einstmals in den Ausspruch zusammengefaßt werden wird: »Er tat, was er konnte.«


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