Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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4

Aulus hatte richtig vermutet, er wurde im Kaiserpalast nicht vorgelassen. Man bedeutete ihm, daß der Kaiser beschäftigt sei, mit dem Lautenschläger Ternops einen Gesang einzuüben, und daß er überhaupt nur jene zu empfangen pflege, die er selbst berufe. Mit andern Worten: Aulus möge auch in Zukunft nicht versuchen, ihn zu sehen.

Seneka hingegen, obwohl er gerade am Fieber litt, empfing nichtsdestoweniger den alten Feldherrn mit aller ihm gebührenden Ehrfurcht. Doch als er hörte, um was es sich handle, lächelte er und sagte: »Ich kann dir nur einen Dienst erweisen, edler Plautius, indem ich dem Kaiser niemals zeige, daß mein Herz Anteil an deinem Schmerze nimmt, oder daß ich dir helfen möchte. Denn der geringste Argwohn des Kaisers in dieser Hinsicht würde ihn abhalten, dir Lygia zurückzugeben, und wäre es auch nur aus dem Grunde, mir einen Possen zu spielen.«

Er riet auch davon ab, sich an Tigellinus, an Vatinius oder Vitellius zu wenden. Möglicherweise ließe sich da mit Geld etwas ausrichten, vielleicht würden diese auch gern Petronius einen Possen spielen, dessen Einfluß sie zu untergraben suchten, das Wahrscheinlichste aber war, daß sie dem Kaiser verraten würden, wie teuer Lygia dem Plautius sei, und dann werde Nero sie erst recht nicht mehr freigeben. Die Worte des alten Weisen nahmen eine beißende Schärfe an, die er gegen die eigene Person kehrte: »Du hast geschwiegen, Plautius, viele Jahre lang geschwiegen, und der Kaiser liebt die Schweigenden nicht! Weshalb zeigtest du dich nicht begeistert von seiner Schönheit, seiner Jugend, seinem Gesang, über seine Deklamation, seine Kunst als Wagenlenker und über seine Verse? Wie konntest du den Tod des Britannicus nicht rühmen, weshalb hieltest du keine Lobreden zu Ehren des Muttermörders; weshalb brachtest du nicht deine Glückwünsche zur Erdrosselung seiner Gemahlin Oktavia dar? Dir gebricht es an der Vorsicht, Aulus, welche wir, die wir so glücklich sind, am Hofe zu leben, in entsprechendem Maße besitzen.« So sprechend, ergriff er den Becher, welchen er um den Leib gegürtet trug, schöpfte Wasser aus der Fontäne des Impluviums und sagte, nachdem er den trockenen Gaumen erfrischt hatte: »Ach, Nero hat ein dankbares Herz! Er liebt dich, weil du Rom gedient und seinen Ruhm bis an die Grenzen der bewohnten Welt getragen hast, und er liebt mich, weil ich der Lehrer seiner Jugend war. Und darum, siehst du, trinke ich ruhigen Gemüts von diesem Wasser, denn ich weiß, daß es kein Gift enthält. Über den Wein in meinem Hause könnte ich nicht so sicher urteilen, aber Wasser kannst du gefahrlos trinken, wenn du durstig bist. Von dem Albanergebirge führt es uns die Wasserleitung zu, und wer es vergiften wollte, würde alle Brunnen in Rom vergiften. Wie du siehst, kann man sogar in dieser Welt unbesorgt sein und ein ruhiges Alter genießen. Ja, ja, krank bin ich, doch nicht so sehr am Körper als an der Seele.«

Er sprach die Wahrheit. Senekas Leben war nichts als eine Reihe von Konzessionen, die er dem Verbrechen machte. Er fühlte und wußte es selbst, daß er einen anderen Weg zu gehen hatte, und deshalb litt er mehr, als er den Tod fürchtete.

Der alte Feldherr unterbrach nun die bitteren Ausfälle. »Edler Annäus,« sagte er, »ich weiß, wie dir der Kaiser die Fürsorge lohnt, die du ihm in seinen Jugendjahren angedeihen ließest. Doch Petronius ist schuld, daß uns das Kind entrissen wurde. Weise mir einen Weg, um ihm beizukommen, sage mir, welchen Einflüssen er zugänglich ist.«

»Petronius und ich,« antwortete Seneka, »wir gehören zwei ganz entgegengesetzten Lagern an. Ich weiß nichts, was auf ihn einwirken könnte, und Einflüsse, denen er zugänglich wäre, gibt es nicht. Es mag ja sein, daß er bei all seiner ganzen Verderbtheit noch mehr wert ist als all die Schufte, mit welchen Nero sich jetzt umgibt, aber ihm zu beweisen, daß er ein Unrecht begangen hat, hieße nur die Zeit verlieren. Setze ihm auseinander, wie häßlich sein Verhalten war, dann wird er sich schämen. Sobald ich ihn wiedersehe, sage ich ihm: Deiner Handlungsweise nach müßtest du ein Freigelassener sein! – Wenn das nicht hilft, dann gibt es keine Hilfe mehr.«

»Auch dafür danke ich dir,« sagte der Feldherr.

Nun ließ er sich zu Vinicius tragen, der sich gerade mit dem Lanisten des Hauses im Fechten übte. Als Aulus sah, mit welcher Ruhe sich der junge Mann seinen Fechtübungen hingab, nachdem der Anschlag gegen Lygia zur Ausführung gebracht worden war, übermannte ihn der Zorn, der sich auch, nachdem der Vorhang hinter dem Lanisten gefallen war, alsbald in bitteren Vorwürfen und Schmähungen Luft machte. Doch als Vinicius erfuhr, man habe Lygia entführt, erbleichte er so furchtbar, daß Aulus ihn nicht mehr im Verdacht haben konnte, an dem Anschlag sich beteiligt zu haben. Aulus erwähnte den Namen des Petronius, und nun zuckte wie ein Blitz der Verdacht durch den Kopf des jungen Kriegers, Petronius habe sein Spiel mit ihm getrieben und entweder Lygia dem Kaiser zum Geschenk gemacht, um sich aufs neue dessen Gunst zu erringen, oder auch, daß er sie für sich selbst behielt. Es schien ihm kaum denkbar, daß einer, der Lygia gesehen, sie nicht auch zugleich begehren sollte.

Der in seiner Familie erbliche Jähzorn gewann solche Macht über ihn, daß er wie ein wildes Pferd tobte. »Mein Feldherr!« stammelte er. »Kehre in dein Haus zurück und erwarte mich dort. Wisse, wenn Petronius mein eigener Vater wäre, so würde ich Lygias Schmach dennoch an ihm rächen. Weder Petronius noch der Kaiser sollen sie besitzen.« Bei diesen Worten sprang er auf, stürmte wie wahnsinnig aus dem Atrium und eilte zu Petronius, sich rücksichtslos auf der Straße seinen Weg bahnend.

Aulus aber kehrte etwas beruhigter nach Hause zurück, denn er glaubte, daß Vinicius entweder Lygia rächen und sie durch den Tod vor der Schande bewahren würde, oder daß er sie gar zurückbringen werde. Er beruhigte auch Pomponia, und beide verbrachten die Zeit damit, auf Nachricht von Vinicius zu warten. Sobald die Schritte eines Sklaven im Atrium laut wurden, dachten sie, daß es Vinicius sei, der ihnen das geliebte Kind zurückbringe, und sie segneten die beiden aus tiefster Seele. Aber die Zeit verrann, und es kam keine Nachricht. Erst abends klopfte der Hammer ans Tor.

Gleich darauf trat ein Sklave ein und brachte Aulus ein Schreiben. Trotz seiner gern geübten Selbstbeherrschung griff er mit zitternder Hand danach, und die Augen flogen so hastig über die Zeilen, als ob es sich um das Wohl und Wehe seines ganzen Hauses handle.

Plötzlich verfinsterte sich sein Antlitz, wie unter dem Schatten einer vorüberziehenden Wolke. »Lies,« sagte er, sich an Pomponia wendend.

Pomponia nahm den Brief und las wie folgt:

»Markus Vinicius grüßt Aulus Plautius. Was geschah, geschah auf des Kaisers Befehl. Neiget Euer Haupt vor seinem Willen wie ich und Petronius.«

Darauf trat eine lange Pause ein.

 


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