Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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20.

Aber Vinicius fürchtete auch, daß äußere Gewalt seine Freude zerstören könnte. Chilon konnte dem Stadtpräfekten oder seinen Freigelassenen sein Verschwinden anzeigen, und in diesem Falle war der Angriff gegen dieses Haus durch die Stadtwache sehr leicht möglich. Es fiel ihm zwar ein, daß er dann Lygia ergreifen und mit sich nehmen könnte, doch fühlte er zugleich, daß er einer solchen Handlungsweise nicht mehr fähig sei. In einem Ausbruch von Ärger und im Vollbesitz seiner Kraft wäre er vielleicht hierzu fähig gewesen; jetzt aber war er krank und weich gestimmt. Er fürchtete nur, es möchte sich jemand zwischen ihn und Lygia stellen.

Staunend gewahrte er, daß von dem Augenblick an, wo Lygia seine Partei ergriff, weder sie noch Crispus irgendeine Zusicherung seines Schutzes verlangten, gerade als ob sie für den Fall der Not auf die Hilfe einer übernatürlichen Macht vertrauten.

Vinicius, in dessen Geist seit der Rede des Apostels im Ostranium die Begriffe vom Möglichen und Unmöglichen verwirrt und unsicher geworden, war selber geneigt, daran zu glauben. Als er aber die Dinge nüchtern betrachtete, erinnerte er sich an den Griechen und verlangte nach Chilon.

Crispus stimmte bei und beschloß den Ursus zu senden. Vinicius bezeichnete dem Lygier den Weg und die Wohnung. Ursus kannte Chilon nicht. Er hatte ihn erst einmal bei Nacht gesehen. Zudem war jener sichere und dreiste Mann, der Ursus hatte überreden wollen, Glaukus zu töten, dem vom Schrecken jetzt doppelt gebeugten Griechen so unähnlich, daß niemand in diesen beiden dieselbe Person vermutet hätte. Als darum Chilon bemerkte, daß Ursus ihn für einen Fremden hielt, atmete er erleichtert auf. Der Anblick der von Vinicius überbrachten Täfelchen beruhigte ihn noch mehr, denn er wußte nun, daß die Christen Vinicius nicht getötet hatten.

Vinicius wird mich beschützen, dachte er, dem Tode wird er mich nicht überliefern!

Er warf einen anderen Mantel um und zog die weite Kapuze über den Kopf, aus Furcht, Ursus werde seine Züge bei heller Beleuchtung erkennen.

»Wohin führst du mich?« fragte er unterwegs.

»Jenseits des Tiber.«

»Ich bin noch nicht lange in Rom und war noch nicht dort, aber sicher leben auch dort Leute, welche die Tugend lieben.«

Doch Ursus, der ein naiver Mensch war, und Vinicius sagen gehört hatte, daß der Grieche mit ihm am Friedhof im Ostranium gewesen sei und hierauf gesehen habe, wie er mit Kroton unter dem Haustor verschwand, hielt den Schritt an und sprach: »Lüge nicht, Alter, du warst heute mit Vinicius im Ostranium und unter unserem Tore.«

»Ach,« sagte Chilon, »euer Haus steht also jenseits des Tiber? Ich bin noch nicht lange in Rom und weiß nicht recht, wie die verschiedenen Stadtteile heißen. Ganz richtig, mein Freund; Ich war vor eurem Tor und flehte Vinicius im Namen der Tugend an, nicht einzutreten. Ich war auch im Ostranium, und weißt du warum? Seit langer Zeit arbeite ich nämlich an des Vinicius Bekehrung und wollte daher, daß er den ältesten der Apostel höre. Möge doch Licht in seine Seele dringen und in deine! Du bist doch ein Christ und wünschest, daß die Wahrheit über die Falschheit den Sieg davontrage?«

»Ja!« antwortete Ursus demütig.

Neuer Mut beseelte Chilon. »Vinicius ist ein mächtiger Herr,« sagte er, »und ein Freund des Kaisers. Er gehorcht leider noch oft den Eingebungen des bösen Geistes, aber würde ihm auch nur ein Haar seines Hauptes gekrümmt, so würde der Kaiser dies an allen Christen rächen.«

»Eine höhere Macht waltet über uns.«

»Ganz richtig! Aber was gedenkt ihr mit Vinicius anzufangen?« fragte Chilon weiter.

»Ich weiß nicht, Christus befiehlt uns, barmherzig zu sein.«

»Das ist recht so! Gedenke stets dessen, sonst wirst du in der Hölle braten, wie eine Wurst in der Pfanne.«

Ursus seufzte, und Chilon dachte bei sich, daß er mit diesem Menschen, der im ersten Aufbrausen so fürchterlich sein konnte, immer werde machen können, was er wollte.

Von dem Wunsche getrieben, über das Vorgefallene Näheres zu erfahren, fragte er in strengem Tone: »Was habt ihr mit Kroton gemacht? Rede und halte dich streng an die Wahrheit!«

Ursus seufzte zum zweitenmal: »Vinicius wird es dir sagen.«

»Das heißt, daß du ihn mit dem Messer erstochen oder mit einer Keule erschlagen hast?«

»Ich war unbewaffnet.«

Der Grieche konnte sich der Verwunderung über die unmenschliche Kraft des Barbaren nicht enthalten.

»Daß dich Pluto –! Das heißt, ich wollte sagen, daß dir doch Christus verzeihen möge! Ich werde dich nicht verraten, aber hüte dich vor den Wachen.«

»Ich fürchte Christus und nicht die Wachen.«

»Und mit Recht. Es gibt keine schwerere Sünde als den Mord. Ich will für dich beten, du mußt aber auch noch das Gelübde tun, nie im Leben mehr an einen Menschen Hand anzulegen.«

»Ich habe nicht absichtlich getötet,« erwiderte Ursus.

Aber Chilon, der stets für sein eigenes Leben zitterte, ließ es sich noch weiter angelegen sein, dem Lygier den Mord zu verekeln und ihn zur Ablegung eines Gelübdes aufzumuntern. In solchem Zwiegespräch legten sie den weiten Weg zurück und standen endlich vor dem Hause. Chilons Herz fing an, unruhig zu schlagen. Es kam ihm vor, als ob Ursus ihn mit einem lüsternen Blick messe.

Als sie dann durch den Flur und den Vorhof in den Korridor gelangten, der zu dem Hintergärtchen führte, drangen Töne eines Gesanges an sein Ohr.

»Was ist das?« fragte er.

»Du behauptest, ein Christ zu sein und weißt nicht, daß wir vor und nach jedem Mahle unseren Erlöser mit unseren Gesängen verehren?« erwiderte Ursus.

»Führe mich direkt zu Vinicius.«

»Vinicius ist in derselben Stube, wo die anderen sind, nebenan sind unsere Cubicula.«

Sie traten ein. In dem Raum war es dunkel; es war ein bewölkter Winterabend, und die Flammen einiger Lämpchen erhellten die Dämmerung nur unvollständig, Vinicius erriet mehr die Gestalt Chilons in dem weiten Kapuzenmantel, als er ihn erkannte. Der Grieche aber, das Lager in der Ecke und darauf Vinicius wahrnehmend, stürzte auf ihn zu, ohne die übrigen zu beachten, wie wenn er die Überzeugung hege, daß er bei ihm am sichersten sei.

»O Herr! Warum folgtest du nicht meinem Ratschlag!« rief er, die Hände faltend.

»Schweige,« sagte Vinicius, »und höre!«

Er sah Chilon scharf in die Augen und sprach langsam und eindringlich, als wolle er jedes Wort als Befehl aufgefaßt wissen und es für immer dem Gedächtnisse Chilons einprägen:

»Kroton warf sich auf mich, um mich zu ermorden und zu berauben, verstanden? Ich erschlug ihn, und diese Leute hier verbanden die Wunden, die ich im Kampfe mit ihm davontrug.«

Chilon hatte sofort begriffen, was Vinicius wollte, verdrehte die Augen und rief: »Das war ein abgefeimter Gauner, Herr! Ich habe dich gewarnt, ihm zu trauen!«

»Hätte ich nicht den Dolch bei mir gehabt, so wäre ich von ihm erschlagen worden,« fügte Vinicius hinzu.

»Ich segne den Moment, da ich dir riet, wenigstens ein Messer mitzunehmen.«

Vinicius warf einen forschenden Blick auf den Griechen und fragte: »Was hast du heute gemacht?«

»Ich stand gerade im Begriff, dich aufzusuchen, als jener gute Mann zu mir kam, um mich zu dir zu führen.«

»Da hast du ein Täfelchen. Damit begibst du dich in mein Haus, suchst meinen Freigelassenen auf und übergibst es ihm. Es steht darauf, ich sei nach Beneventum gereist. Mündlich kannst du Demas sagen, ich sei heute früh dahin abgereist, infolge eines dringenden Briefes des Petronius.«

»Ja, Herr, du bist abgereist. Heute früh habe ich doch bei der Porta Capena Abschied von dir genommen, und seit deiner Abreise fühle ich eine solche Sehnsucht nach dir, daß ich, wenn deine Großmut diese nicht stillt, es noch mein Tod sein wird.«

Vinicius konnte sich trotz seiner Krankheit eines Lächelns nicht erwehren. Auch war er froh, daß Chilon ihn sogleich verstand, und sagte daher: »Ich will also dazu schreiben, daß man deine Tränen trockne. Reiche mir ein Lämpchen.«

Chilon, vollkommen beruhigt, näherte sich mit eiligen Schritten dem Kamin und holte eine der brennenden Lampen.

Doch als ihm bei dieser Bewegung die Kapuze vom Kopfe glitt und das Licht auf sein Gesicht fiel, sprang Glaukus plötzlich von der Bank auf und stand, sich rasch ihm nähernd, im nächsten Augenblick vor ihm.

»Erkennst du mich nicht, Kephas?« fragte er.

In dem Tone seiner Stimme lag etwas so Schreckliches, daß alle Anwesenden zusammenschauerten.

Chilon hob das Lämpchen empor und ließ es sofort wieder zur Erde fallen, dann sank er in sich zusammen und stöhnte: »Ich bin es nicht, ich bin es nicht! Barmherzigkeit!«

Glaukus aber wendete sich zu den anderen, die beim Nachtmahle saßen, und rief: »Das ist der Mann, welcher mich und meine Familie verkaufte und ins Verderben stürzte.«

Für Ursus war dieser Augenblick im Verein mit den Worten des Glaukus wie ein Blitzstrahl in tiefer Dunkelheit. Chilon erkennend, war er mit einem Sprunge bei ihm. Er packte ihn bei den Armen, bog diese zurück und rief: »Dieser ist es, der mir eingeredet hat, ich müsse Glaukus ermorden.«

»Barmherzigkeit!« stöhnte Chilon. »Herr!« rief er, den Kopf zu Vinicius wendend, »rette mich! Dir habe ich vertraut, so nimm dich meiner an . . . Deinen Brief liefere ich ab . . . Herr! Herr!«

Doch Vinicius, der den Vorgang gleichgültiger als alle anderen mit ansah, weil sein Herz kein Mitleid kannte, sagte: »Vergrabt ihn im Garten! Den Brief kann ein anderer besorgen.«

Diese Worte klangen Chilon wie sein Todesurteil in den Ohren. Seine Knochen zitterten unter den gewaltigen Händen des Ursus, Tränen des Schmerzes traten in seine Augen. »Bei eurem Gotte! Barmherzigkeit!« rief er. »Ich bin ein Christ! – Pax vobiscum! Glaukus, das muß ein Irrtum sein. Macht mich zum Sklaven, aber tötet mich nicht! Habt Erbarmen!«

Während seine vor Schmerz erstickte Stimme immer schwächer wurde, erhob sich der Apostel Petrus von seinem Sitze, schüttelte einen Augenblick sein greises Haupt, das er auf die Brust gesenkt hatte, schlug die Augen auf und sagte laut, während ringsum eine tiefe Stille herrschte: »So aber sprach zu uns der Erlöser: So dein Bruder an dir sündigt, strafe ihn; wenn er bereut, vergib ihm. Und wenn er siebenmal des Tages an dir sündigen würde und siebenmal des Tages wiederkäme zu dir und spräche: es reuet mich, so solltest du ihm vergeben!«

Es war noch stiller ringsum geworden. Glaukus stand lange Zeit da, das Antlitz in den Händen verborgen, dann ließ er diese sinken und sprach: »Kephas, möge dir Gott ebenso verzeihen, wie ich dir im Namen Christi verzeihe.«

Ursus aber ließ Chilons Arme los und sagte: »Möge mir der Erlöser ebenso barmherzig sein, wie ich dir vergebe!«

Chilon fiel zu Boden, und sich mit den Händen stützend, drehte er den Kopf wie eine in der Schlinge gefangene Bestie, um zu sehen, von welcher Seite der Tod komme. Kaum traute er seinen Augen und Ohren und wagte nicht, Vergebung zu hoffen. Seine blauen Lippen bebten vor Schrecken; langsam kehrte sein Bewußtsein wieder.

»Geh in Frieden!« sagte indes der Apostel.

Chilon erhob sich, konnte aber nicht sprechen. Er näherte sich dem Lager des Vinicius, als wollte er dort Schutz suchen; denn er hatte noch nicht Zeit gehabt, daran zu denken, daß dieser Mann, obwohl er seine Dienste benützt hatte, ihn verdammte, während jene, gegen die sie gerichtet waren, vergaben. Voller Staunen und Angst wünschte er, sich von diesen unbegreiflichen Leuten so schnell wie möglich zu entfernen, darum sagte er mit gebrochener Stimme zu Vinicius: »Gib den Brief her, Herr, gib den Brief her!«

Indem er Vinicius die dargereichte Tafel entriß, machte er den Christen eine Kniebeuge, eine zweite dem kranken Manne und eilte, an der Wand sich vorbeidrängend, zur Tür hinaus. In der Dunkelheit des Gartens befiel ihn eine neue Furcht, wieder sträubte sich sein Haar; denn er hielt es für gewiß, daß Ursus hinausstürzen und im Schutze der Nacht ihn töten würde. Mit dem Aufgebot all seiner Kräfte wäre er gern davongesprungen, aber seine Beine waren zu schwach dazu; im folgenden Augenblick versagten sie ihm geradezu den Dienst, denn Ursus stand neben ihm.

Chilon fiel mit dem Angesicht zur Erde und begann zu stöhnen: »Ursus, im Namen Christi –«

Aber Ursus sagte: »Fürchte nichts! Der Apostel befahl, dich über das Tor hinauszubegleiten, weil du dich sonst verirren könntest, und dich heimzuführen, falls dir die Kräfte mangelten.«

»Was sagst du da?« fragte Chilon, das Angesicht erhebend. »Wie, du willst mich nicht töten?«

»Nein, und wenn ich dich zu grob angefaßt und dir wehegetan habe, so verzeih mir!«

»Hilf mir aufstehen!« sagte der Grieche. »Du wirst mich nicht töten, du wirst es gewiß nicht? Bringe mich auf die Straße, dann gehe ich allein weiter!«

Ursus hob ihn auf, als wäre Chilon eine Feder, und stellte ihn auf die Füße; darauf führte er ihn durch den dunklen Gang zum zweiten Hofe und durch den Eingang nach der Straße. Im Korridor sagte sich Chilon immer wieder: Jetzt ist es um mich geschehen! Erst als er sich auf der Straße befand, erholte er sich und sprach zu Ursus: »Ich kann allein weitergehen.«

»Friede sei mit dir!«

»Und mit dir! Und mit dir! Laß mich Atem holen!«

Nachdem Ursus gegangen war, atmete er mehrmals tief auf. Er befühlte Brust und Hüften, als wollte er sich überzeugen, daß er noch lebe, und beschleunigte dann seine Schritte.

»Aber warum töteten sie mich nicht?«

Und trotz seinem Gespräch mit Euricius über die christliche Lehre, trotz seiner Unterredung mit Ursus am Flusse, trotz allem, was er im Ostranium gehört hatte, konnte er sich diese Frage nicht beantworten.

 


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