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Petronius ging nachdenkend und sehr unzufrieden nach Hause. Er fürchtete sich vor den Folgen, die die Ereignisse dieses Abends haben konnten, wenn es sich nicht um eine vorübergehende Laune der Augusta, sondern um einen ernstlichen Wunsch handelte, so würde Vinicius, ob er diesem Wunsch nun nachgab oder nicht, auf jeden Fall einer schweren Gefahr entgegengehen. Und er als Verwandter würde sicher mit hineinverwickelt werden. Nach langem Nachdenken kam endlich Petronius zu dem Schlusse, es möchte wohl das Beste und Sicherste sein, Vinicius durch eine Reise aus Rom zu entfernen. Er wollte auf dem Palatin die Nachricht verbreiten, Vinicius sei krank, um die Gefahr von seinem Neffen und sich selber abzuwenden. Die Augusta vermutete wohl, daß sie von Vinicius nicht erkannt sei, ihre Eitelkeit war daher bisher nicht verletzt. In Zukunft jedoch konnte die Sache anders ablaufen, und es war notwendig, die Gefahr zu vermeiden.
Vinicius folgte dem Rate des Petronius und heuchelte Krankheit. Er erschien auch nicht auf dem Palatin, wo jeden Tag neue Reisepläne gemacht wurden. Bis plötzlich Petronius aus Neros eigenem Munde hörte, daß er nach drei Tagen sich nach Antium begeben werde. Den folgenden Morgen begab er sich sofort zu Vinicius, um ihm Mitteilung davon zu machen. Er zeigte ihm eine Liste der dorthin geladenen Personen, ein Freigelassener Neros hatte sie ihm gebracht.
»Unser beider Name steht darauf,« sagte er. »Wir müssen daher gehen, denn das ist nicht nur eine Einladung, es ist ebenso Befehl.«
»Und wenn einer nicht gehorchen wollte?«
»Dann würde er in einer anderen Form zu einer bedeutend weiteren Reise eingeladen werden, – zu einer Reise, von der niemand wiederkehrt. Du mußt nach Antium.«
»Ich muß nach Antium. Merkst du, in welcher Zeit wir leben, was für elende Sklaven wir sind!«
Vinicius überflog mit einem Blick das Verzeichnis und las: »Tigellinus, Vatinus, Sextus Afrikanus, Aquilinus Regulus, Suilius Nerulinus, Epirus Marcellus und so fort. Welch eine Versammlung von Mördern und Schurken! Und solche Leute regieren die Welt!«
»Es ist richtig,« bestätigte Petronius, »doch sprechen wir über wichtigere Dinge. Nun merke auf und höre auf mich! Ich habe auf dem Palatin gesagt, du seiest krank und unfähig, das Haus zu verlassen, und trotzdem findet sich dein Name auf dem Verzeichnis. Dies beweist, daß jemand meine Erzählungen nicht glaubte und den wahren Sachverhalt zu erfahren suchte. Nero kümmert sich nicht um dergleichen, und es muß demnach Poppäas Sache gewesen sein, deinen Namen auf die Liste zu bringen. Dies bedeutet, daß ihr Verlangen nach dir keine vorübergehende Laune war.«
»Sie ist eine kühne Augusta!«
»Freilich ist sie kühn; denn sie wird unrettbar zugrunde gehen. Sie fängt bereits an, den Rotbart zu langweilen; er zieht ihr jetzt die Rubria vor. Du aber mußt mit Poppäa möglichste Vorsicht gebrauchen, denn wer die Augusta beleidigt, den erwartet ein wenig leichter Tod; es ist dann besser für dich, du öffnest dir die Adern oder du stürzest dich in dein Schwert. Denk übrigens daran, daß Poppäa deine Lygia auf dem Palatin gesehen hat. Sie wird darum sofort vermuten, warum du so hohe Gunst zurückweisest, und Lygia in ihre Gewalt zu bekommen suchen, selbst wenn sie unter der Erde wäre. Du wirst dich und sie dazu dem Verderben preisgeben, verstehst du das?«
Vinicius hörte zu, als ob ihn etwas anderes beschäftige, und sprach zuletzt: »Ich muß sie sehen!«
»Wen? Lygia?«
»Lygia.«
»Weißt du, wo sie ist?«
»Nein.«
»Du willst also von neuem anfangen, nach ihr an alten Begräbnisstätten und jenseits des Tiber zu suchen?«
»Ich weiß es nicht, aber ich muß sie sehen.«
»So eile. Feuerbart wird seine Abreise nicht verschieben, und Todesurteile können auch von Antium kommen.«
Aber Vinicius hörte nicht. Nur ein Gedanke beschäftigte ihn, das Zusammentreffen mit Lygia; über die möglichen Wege dachte er nach.
Da trat ein Zwischenfall ein, der jede Schwierigkeit heben konnte. Chilon kam unerwartet in sein Haus.
Er trat ein, elend, den Hunger im Gesicht und in Lumpen gehüllt; aber die Diener, eingedenk des früheren Befehls, ihn zu jeder Tages- oder Nachtzeit vorzulassen, wagten nicht, ihn zurückzuweisen. Und so ging er geradeswegs zum Atrium und sprach zu Vinicius: »Mögen die Götter dir Unsterblichkeit verleihen und mit dir die Herrschaft über die Welt teilen!«
Im ersten Augenblick wandelte Vinicius die Lust an, ihn zur Tür hinauswerfen zu lassen, dann aber kam ihm der Gedanke, der Grieche wisse vielleicht etwas von Lygia, und die Neugierde überwand seinen Widerwillen. »Du bist es?« fragte er daher. »Was willst du?«
»Es geht mir schlecht, Sohn des Zeus! Ich bin bestohlen worden, ich bin zugrunde gerichtet. Die Sklavin, die meine Lehre niederschreiben sollte, ist geflohen, und deine Sesterzien nahm sie mit. Da sagte ich mir: Wohin soll ich gehen, wenn nicht zu dir, du Weiser, für den ich gern mein Leben hingebe!«
Dies schien aber Vinicius wenig zu rühren. »Wozu kommst du und was bringst du?« fragte er trocken.
»Herr! Ich weiß, wo die göttliche Lygia jetzt wohnt. Ich will dir das Haus zeigen!«
»Wo ist sie?« fragte Vinicius lebhaft.
»Bei Linus, dem Oberpriester der Christen. Ursus ist auch dort, doch arbeitet er zur Nachtzeit beim Bäcker Demas. Linus ist alt; wenn man also das Haus zur Nachtzeit umstellt, ist Lygia dir wehrlos preisgegeben.«
Dem Patrizier stieg das Blut zu Kopfe: er empfand Widerwillen gegen seinen Helfershelfer. Am liebsten hätte er ihn zertreten wie eine Giftschlange oder wie ein ekles Gewürm. Er sah ihn mit kalter Grausamkeit an: »Deinen Rat werde ich nicht befolgen. Doch sollst du den verdienten Lohn empfangen, im Ergastulum lasse ich dir dreihundert Sesterzien im Geiste – und in Wirklichkeit dreihundert Rutenstreiche geben.«
Und er rief den Hausmeister. Dieser faßte den Griechen, der jämmerlich winselte, beim Haarschopf und schleppte ihn ins Ergastulum.
»Herr! Herr! Fünfzig, nicht dreihundert! Fünfzig sind genug,« winselte Chilon; »um Christi willen!«
Als der Geschlagene nach einiger Zeit wieder hereingeführt wurde, war er bleich wie eine Wand, und von seinen Füßen sickerte Blut auf den Mosaikboden des Atriums.
»Dank dir, Herr!« sagte er, in die Knie sinkend. »Du bist groß und barmherzig!«
»Hund!« sagte Vinicius. »Nur um Christi willen, dem auch ich das Leben verdanke, habe ich dir verziehen.«
»Herr, ich will dir und ihm dienen!«
»Schweige und erhebe dich! Du sollst mit mir kommen und mir das Haus zeigen, wo Lygia wohnt.«
»Herr, ich bin wirklich hungrig,« ächzte Chilon. »Ich gehe – ich gehe gern, aber ich habe keine Kraft.«
Nun ließ ihm Vinicius zu essen geben, ein Goldstück und einen Mantel reichen. Doch Chilon war so geschwächt, daß ihn auch nach dem Imbiß die Füße nicht trugen, und die Haare stiegen ihm zu Berge bei dem Gedanken, daß Vinicius seine Schwäche für Widerstand halten und ihn nochmals geißeln lassen werde.
»Sobald der Wein mich erwärmt hat, gehe ich aufrecht bis Großgriechenland,« brüstete er sich zähneklappernd.
Endlich erholte er sich soweit, um den Weg antreten zu können. Linus wohnte nicht weit von Miriam jenseits des Tiber. Chilon zeigte auf ein von einer Mauer umgebenes, efeuumsponnenes Haus und sagte: »Hier ist es, Herr!«
»Gut,« erwiderte Vinicius. »Jetzt kannst du deines Weges gehen, aber zuvor höre mich an! Ich verlange von dir, daß du vergißt, wo Miriam und Glaukus wohnen, verstanden? Einmal im Monat magst du zu mir kommen und dir von meinem Freigelassenen zwei Goldstücke ausfolgen lassen. Doch wie ich erfahre, daß du den Christen nachspionierst, lasse ich dich zu Tode prügeln.«
Chilon verneigte sich und sprach: »Ich vergesse, wie du befohlen hast.«
Doch als Vinicius um die Straßenbiegung verschwunden war, ballte er die Fäuste und schüttelte sie drohend. »Bei der Unheilsgöttin und den Furien! Ich vergesse nicht!« Dann sank er ohnmächtig zu Boden.