Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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50.

Drei Nächte lang störte nichts ihren Frieden. Nachdem die gewöhnliche Gefängnisarbeit getan war, die darin bestand, die Toten von den Lebenden und die Schwerkranken von den übrigen zu trennen, nachdem die Wachen sich zum Schlafe niedergelegt hatten, kam Vinicius in Lygias Kerker und blieb dort bis Tagesanbruch. Sie lehnte ihr Haupt an seine Schulter, und mit leiser Stimme sprachen sie von Liebe und Tod. Im Denken und Reden, in den Wünschen und Hoffnungen selbst lösten sich beide unbewußt mehr und mehr vom Leben und verloren den Sinn dafür. Beide formten sich zu ernsten Seelen aus, mit Christus in Liebe vereint, bereit, die Erde zu verlassen. Wenn er am Morgen aus dem Gefängnisse ging, kam ihm die Welt, die Stadt, die Bekannten, die Lebensinteressen, alles wie ein Traum vor. Alles schien ihm fremd, entfernt, eitel, nichtig, selbst die Marter hatte ihre Schrecken verloren, weil er sich vorstellte, sie könne in innerer Sammlung, das Geistesauge nach oben gerichtet, überstanden werden. Umgeben von den Schrecken des Todes, unter Elend und Leiden, in dieser Gefängnishöhle, hatte der Himmel in ihnen beiden seinen Anfang genommen. Lygia hatte Vinicius gleichsam an der Hand gefaßt und wie eine Gerettete und Heilige ihn hinaufgeführt zur Quelle des Lebens.

Petronius war erstaunt, auf dem Antlitze des Vinicius einen Ausdruck immer größeren Friedens und wunderbarer Heiterkeit zu gewahren, was er früher nie bemerkt hatte. Er vermutete manchmal, Vinicius habe eine neue List entdeckt, Lygia zu befreien, und er war etwas beleidigt, daß ihm der Neffe seine Pläne nicht anvertrauen wolle. Zuletzt konnte er sich nicht mehr beherrschen und sagte:

»Du hast jetzt einen anderen Blick; habe keine Geheimnisse vor mir, denn ich will und kann dir helfen! Hast du etwas erreicht?«

»Ja,« antwortete Vinicius, »aber du kannst mir nicht helfen. Nach ihrem Tode will auch ich mich als Christ bekennen und ihr folgen.«

»Hast du also keine Hoffnung?«

»Die größte Hoffnung! Christus wird sie mir geben, und ich werde nie mehr von ihr getrennt werden!«

Petronius ging im Atrium auf und ab; Enttäuschung und Ungeduld malten sich in seinen Zügen.

»Weißt du,« fragte er, indem er mit den Achseln zuckte, »daß des Cäsars Garten morgen durch Christen beleuchtet wird?«

»Morgen?« wiederholte Vinicius.

Und angesichts der nahen und entsetzlichen Wirklichkeit erzitterte sein Herz vor Schmerz und Furcht. Vielleicht wird dies die letzte Nacht sein, die ich bei Lygia verweilen kann! war sein Gedanke. Er verabschiedete sich von Petronius und begab sich eilig zum Aufseher der Leichengruben, diesen um seine Einlaßmarke zu ersuchen.

Aber eine neue Enttäuschung wartete seiner, der Aufseher wollte ihm die Einlaßmarke nicht geben.

»Verzeih mir,« sagte er, »ich habe für dich getan, was möglich war, aber mein Leben kann ich nicht wagen! Diese Nacht werden Christen nach den Gärten des Cäsar abgeführt. Die Gefängnisse werden voll Soldaten und amtlicher Personen sein. Würdest du dort erkannt, so wären ich und meine Kinder verloren!«

Vinicius verstand, daß er vergeblich auf seiner Forderung beharren würde. Doch hoffte er, die Soldaten, denen er ja bekannt war, würden ihn auch ohne Marke einlassen. Bei einbrechender Nacht verkleidete er sich deshalb wie gewöhnlich als Leichenträger und begab sich, ein Tuch um den Kopf gewunden, zum Gefängnis.

An diesem Abend wurden jedoch die Einlaßmarken strenger als sonst geprüft, und um das Mißgeschick voll zu machen, erkannte ihn der Centurio Scaevinus, ein strammer, dem Cäsar mit Leib und Seele ergebener Soldat. Unter dessen eisenbekleideter Brust war aber noch nicht jedes Fünkchen Mitleid für das Unglück anderer erloschen. Anstatt seinen Speer zu gebrauchen und damit die Aufmerksamkeit auf Vinicius zu lenken, ließ er ihn unbehelligt und sagte nur:

»Geh nach Hause, Herr! Ich kenne dich! Weil ich aber deinen Untergang nicht will, so werde ich schweigen. Ich darf dich nicht einlassen, geh deines Weges, und die Götter mögen dir Trost spenden!«

»Du darfst mich nicht einlassen,« sagte Vinicius; »erlaube mir aber wenigstens, hier stehen zu bleiben, um diejenigen zu sehen, die abgeführt werden!«

»Dies ist nicht gegen meinen Befehl,« sagte Scaevinus.

Vinicius stand vor dem Tore und wartete. Um Mitternacht öffnete es sich weit, und ganze Reihen Gefangener, Männer, Frauen und Kinder, erschienen inmitten der bewaffneten Prätorianer. Die Nacht war sehr hell; man konnte nicht nur die einzelnen Gestalten, sondern auch deren Gesichtszüge unterscheiden. Die Gefangenen gingen zu zweien, ein langer, düsterer Zug; die Stille der Nacht wurde nur vom Geräusch der Waffen unterbrochen. Es waren so viele der Abgeführten, daß man hätte vermuten können, alle Kerker seien geleert. Unter den letzten im Zuge befand sich Glaukus, der Arzt, den Vinicius deutlich erkennen konnte, Lygia und Ursus aber waren nicht dabei.

 


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