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Eines Abends erhielt Petronius den Besuch des Senators Scaevinus, und sie unterhielten sich über die unheilvolle Zeit, in der sie lebten. Scaevinus lenkte bald das Gespräch auf den Kaiser und sprach dabei so offen, daß Petronius, obgleich sie Freunde waren, anfing, vorsichtig zu werden. Rom treibe noch einer schrecklicheren Katastrophe zu, klagte Scaevinus, als es der Brand gewesen sei. Sogar die Höflinge seien mißvergnügt, und Fenius Rufus, der zweite Präfekt der Prätorianer, führe nur mit größtem Widerwillen des Tigellinus grausame Befehle aus. Endlich gab er Petronius noch einen Wink über die Unzufriedenheit des Volkes und der Prätorianer selbst, deren größter Teil von Fenius Rufus gewonnen sei.
»Der Cäsar ist kinderlos,« fuhr Scaevinus fort, »und alle sehen in Piso seinen Nachfolger! Man wird ihm gewiß aus allen Kräften helfen, zur Macht zu gelangen. Fenius Rufus liebt ihn, die Verwandten des Annäus sind ihm ebenfalls ergeben. Plautius Lateranus und Tullius Senecio würden für ihn durchs Feuer gehen, ebenso Natalis, auch Subrius Flavius, nicht zu vergessen Sulpicius Asper, desgleichen Afranius und selbst Vestinus!«
»Warum erzählst du mir das alles?« fragte Petronius. »Ich bin ein einflußloser Mann und beim Feuerbart in Ungnade gefallen!«
»Wie? Hast du denn nicht bemerkt, daß der Cäsar sich dir wieder nähert und sich mit dir unterhält? Und ich will dir sagen, warum! Er beabsichtigt, sich nach Achaja zu begeben, wo er griechische Gesänge eigener Komposition vortragen will. Für diese Reise ist er Feuer und Flamme, zittert aber zugleich beim Gedanken an den kecken Geist der Griechen. Er bildet sich ein, daß er dort entweder die denkbar größten Triumphe feiern oder die schmählichste Niederlage erleiden werde. Deshalb bedarf er guten Rates, und niemand wird ihm, dessen ist er sich bewußt, besseren geben, als du! Das ist Grund genug, daß du wieder zu Gnaden kommst.«
»Lukanus kann meinen Platz ausfüllen.«
»Der Feuerbart haßt Lukanus und hat im stillen dessen Todesurteil schon gefällt! Er sucht nur nach einem Vorwand, es aussprechen zu können; denn ohne einen solchen läßt er nichts vollziehen.«
»Bei Kastor!« sagte Petronius, »so mag es sein! Aber vielleicht gäbe es noch einen anderen Weg für mich, um wieder in Gunst zu kommen!«
»Welchen?«
»Dem Feuerbart zu hinterbringen, was du mir soeben erzählt hast!«
Scaevinus erbleichte; einen Moment tauchten ihre Blicke ineinander.
»Du wirst es nicht wiederholen!«
»Nein, ich werde es nicht tun! Wie gut du mich kennst! Ich habe nichts gehört, und noch mehr, ich will nichts hören! Verstehst du? Das Leben ist zu kurz, um etwas zu unternehmen, das diese gemessene Spanne Zeit noch verkürzen würde. Ich bitte dich nur, Tigellinus heute zu besuchen und mit ihm so lange wie mit mir von allem zu plaudern, was dir gefällt, damit, wenn Tigellinus je zu mir sagte: Scaevinus war bei dir! ich ihm antworten könnte: Er war auch am selben Tage bei dir!«
»Du hast recht,« sagte Scaevinus. »Ich werde heute noch bei Tigellinus sein und später bei Nervas Fest. Du wirst auch kommen? Jedenfalls treffen wir uns im Amphitheater, wo übermorgen die letzten Christen erscheinen! Auf Wiedersehen!«
Übermorgen! wiederholte sich Petronius, als er allein war. Es ist keine Zeit zu verlieren! Feuerbart bedarf meiner in der Tat in Achaja; darum muß er mit mir rechnen! Und er beschloß, den Versuch zu wagen. –
Bei dem Gastmahl des Nerva mußte Petronius dem Kaiser gegenüber Platz nehmen, damit sich dieser über Achaja und die zu besuchenden Städte unterhalten konnte. Am meisten fürchtete Nero die Spottsucht der Athener.
»Mir ist, als habe ich bisher nicht gelebt,« sagte Nero, »und als ob ich in Griechenland wiedergeboren würde!«
»Du wirst zu neuem Ruhme, zur Unsterblichkeit geboren werden!« erwiderte Petronius.
»Ich hoffe, daß es so kommen wird, und wünsche, daß Apollo nicht eifersüchtig wird. Wenn ich mit Triumphen zurückkehre, will ich ihm eine Hekatombe opfern, wie sie bisher noch kein Gott gesehen hat! Das Schiff liegt schon in Neapel bereit; ich wünschte, schon morgen abreisen zu können!«
Darauf erhob sich Petronius, und in die Augen des Kaisers unverwandt blickend, sagte er: »Gestatte, o Göttlicher, daß ich noch vorher ein Hochzeitsfest veranstalte, zu dem ich vor allen anderen dich einlade!«
»Ein Hochzeitsfest? Wieso?« fragte Nero.
»Für Vinicius und die Tochter des Lygierkönigs, deine Geisel! Sie ist zwar jetzt im Kerker, aber erstens kann sie als Geisel nicht gefangen gehalten werden, und zweitens hast du ja selbst dem Vinicius befohlen, sie zu heiraten. Da aber deine Anordnungen ebenso unabänderlich sind wie die Aussprüche des Zeus, so wirst du sie aus dem Gefängnis entlassen, und ich veranstalte die Hochzeit!«
Die Kaltblütigkeit und das ruhige Selbstbewußtsein des Petronius schüchterten Nero ein, wie es ihn stets einschüchterte, wenn man in solcher Weise zu ihm sprach.
»Ich weiß,« sagte er mit niedergeschlagenen Augen, »ich habe schon an das Mädchen gedacht und an den Riesen, der den Kroton erwürgte.«
»Dann sind beide gerettet,« antwortete Petronius ruhig.
Doch Tigellinus kam seinem Herrn zu Hilfe.
»Sie wurde auf Befehl des Kaisers gefangen genommen, und du sagtest doch selbst, Petronius, daß die Anordnungen des Kaisers unabänderlich sind!«
»Sie ist im Kerker durch einen Irrtum, durch deine Gesetzesunkenntnis!« erwiderte Petronius mit Nachdruck. »Denn du wirst doch nicht behaupten wollen, daß Lygia Rom in Brand gesteckt hat, und selbst wenn du es behaupten wolltest, würde der Kaiser es dir nicht glauben!«
Aber Nero hatte sich inzwischen gefaßt, und seine kurzsichtigen Augen blickten mit unbeschreiblicher Bosheit drein.
»Petronius hat recht,« sagte er nach einer Weile. »Morgen werden sich die Tore des Kerkers öffnen, und über das Hochzeitsfest können wir übermorgen reden – im Amphitheater.«
Wiederum verspielt! sagte sich Petronius.
Nach Hause zurückgekehrt, war er von dem Ende Lygias so sehr überzeugt, daß er am nächsten Morgen einen zuverlässigen Freigelassenen zum Vorsteher des Spoliariums sandte, um über die Auslieferung ihres Leichnams zu unterhandeln, den er an Vinicius übergeben wollte.