Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölfter Gesang
Apoll der Held

                              Zu öftern Malen hatte schon sichs zugetragen,
Daß, wenn Apoll am Morgen früh im Sonnenwagen
Mit seiner Freundin Artemis gewohnterweise
Nach Metakosmos leitete die mutige Reise,
Im Augenblicke, da er um die Ecke bog,
Ein Stein an seinem Kopfe dicht vorüberflog
Oder ein tückischer Bolzen, giftiger als geschickt
Von einem unsichtbaren Mundstück ausgespickt.
«Ei sieh doch», rief er aus, «jetzt hätt ich wirklich schier,
Jetzt hätt ich wahrlich bald geglaubt, das gelte mir!»
Doch eines Abends, als die traulichen Gefährten
Zur heimatlichen Küste sorglos wiederkehrten,
Sieh: Hermes, am Gestade stehend auf der Warte,
Der unverwandt geduldig ihrer Ankunft harrte.
«Willkommen, Hermes! Aber welche schlimme Kunde
Muß ich gewärtigen aus deinem Freundesmunde?
Denn etwas Gutes, muß ich fürchten, ist es nicht,
Was deine ernste Miene, was dein Schweigen spricht.
War einem meiner edlen Brüder, der Titanen,
Ein Unheil widerfahren, fürcht ich, muß ich ahnen?»
Hermes erwiderte: «Nicht Unheil noch Gefahr
Droht einem unsrer Brüder, der Titanen, zwar.
Allein um deine eigne Wohlfahrt sorg ich schwer.
Und dich zu warnen, trieb mich meine Freundschaft her.
Apoll, um deinen Namen sammelt sich der Haß.
Es brodelt etwas wider dich, es kocht etwas.
Die Tümpel haben mit den Sümpfen sich verschworen,
Ein Bündnis aller Plattfußvölker ward gegoren.
Zwar was da eigentlich gebrütet wird im Schleim,
Das halten selbstverständlich weislich sie geheim,
Und durch die graue, übelrüchige Nebelschicht,
Darin sie hausen, sehn Olympieraugen nicht.
Etwas Verruchtes ists gewiß. Beweis: der Dung
Gibt Herzenstöne von sich, bellt Begeisterung.
Wenn aber einmal diese Rotte sich begeistert,
Sei sicher: etwas Niederträchtges wird gekleistert.
Einstweilen wird im Erdenland herumgepredigt,
Dein Namenslaut mit Schimpf und Haß und Hohn erledigt.
Vernahmst du selbst denn weder Spur noch Zeichen des?
Erst gestern wieder sah den feigen Kakokles
Ich hinter einem Busch geduckt mit giftigem Schielen
Heimtückisch einen Stein nach deinem Kopfe spielen.
Das weißt du nun. Ich maße mir nicht an zu raten.
Dein Geist ist reif, er kann des meinigen entraten.
Auch Beistand biet ich nicht, Apoll braucht keinen Hort.»

«Dank deinem Wort, mein Freund, doch duld ein Gegenwort!
Unmöglich dünkt mich, daß ein noch so hässiger Mann,
Und ob ers möchte, meinen Namen hassen kann.
Ich fahre still und einsam meine hohen Wege,
Schaff keinem Leid und komme niemand ins Gehege.»
«Von oben her, vom blauen Äther siehst es du»,
Versetzte Hermes, «nieden geht es anders zu.
Meinst du, weil du bescheiden bist und herzensmild,
Das diene gegen ihre Bosheit dir zum Schild?
Im Gegenteil: just weil du königlich und gütig,
Das macht das Gift in ihrer Viperndrüse wütig.
Dich still und groß in reine Höhen zu erheben,
Das wird kein Lurch und Kriechtier jemals dir vergeben.
Denn du beleidigst ihre Schleimhaut, da du strahlst,
Und ihren Blinddarm durch die Schönheit, die du malst.
Die bloße Ruhe deiner leuchtenden Erscheinung
Spricht ja dem Schleichgewürm Verachtung und Verneinung.
Drum wetze deine Waffen und die Abwehr schmied!»
Mit diesem Spruche wandte Hermes sich und schied.
Verwundert aber schloß Apoll zu Artemis:
«Ich kann mir nicht erklären: du, verstehst du dies?
Weshalb ist einer denn nicht lieber einfach gut?
Ihm wäre leichter doch und lediger zumut.»

Beständig aber fraß die wunderliche Kunde,
Die er empfangen aus des Freundes Warnermunde,
Apoll am Herzen. Daß sich Leben ließe finden,
Das seinem Leben fluche, könnt er nicht verwinden.
Und als nun stetig Stund auf Stund und Schub auf Schub
Der Tag entwich und Finsternis die Welt begrub,
Enthob er sich dem Hause, schlug sich in die Heide,
Und eine Klage quoll aus seinem Herzeleide:
«Der du vordem dem Jugendmutigen so oft
Zur Seite standest, ungerufen, unverhofft,
Mein großer Dämon, heute wirst du nicht dem Zagen
Und Zweifelnden, der dein bedarf, den Trost versagen.
Von einer Trauerbotschaft ist mein Denken wirr,
An meinem Wert, an meinem Rechte werd ich irr.
Von einem tausendköpfigen Volk wird mir berichtet,
Das mich verwünscht und mich mit heißer Feindschaft richtet,
Mich, ders mit jeglichem Geschöpfe freundlich meint.
Sieh, diese Strafe schmerzt, und mein Gedanke weint!
Du weißt: wenn keine Schicksalsunbill mich bezwungen,
Mir nicht den Mut, ja selbst den Frohsinn nicht entrungen,
So tats ein Zauber, der mich kräftig auferbaut –
Die freudige Gewißheit: binnen meiner Haut,
Gleichviel was mir an Tugend und Gerechtheit fehle,
Wohn ich im Hause einer nie beschmutzten Seele;
Der stolzgemute Glaube, ob mich keiner kenne,
Daß niemand meinen Namen ohne Ehrfurcht nenne.
Der Zauber ist verflogen, seine Kraft dahin.
Um eine böse Frage komm ich nicht umhin:
Wenn Tausende mich hassen, wär ich hassenswürdig?
Unehrenhaftig? Eines eklen Schandflecks bürdig?
Ein Oberurteil ists, was ich von dir bedarf.
Prüf mich erbarmungslos und sag mir streng und scharf,
Ob etwa, ohne mein Gewissen, unentdeckt,
Ein hassenswerter Makel mein Gesicht befleckt.
Wenn ja, so steig ich von dem stolzen Sonnenwagen,
Um meine Schande in den tiefsten Wald zu tragen.
Wenn nicht, so wollest mich mit klarem Spruch entsühnen,
Damit ich freudig mich zum Kampfe mag erkühnen.»
Der Dämon sprach: «Getrost, Apoll, du bist erprobt,
Vom Ruhm gepriesen und vom Liebesdank gelobt.
Aufrechten Hauptes ziehe fröhlich ins Gefecht,
Denn jeder, der dir feind ist, meldet: er ist schlecht.
Auf daß Genesung dir von Zweifelsnot gedeihe,
Knie nieder, daß ich dich zum künftigen Kampfe weihe:
Durch dieses Schwert, womit ich jetzt dein Haupt berühre,
Erklär ich, daß ich dich zu meinem Kämpen küre.
Wenn du die grimme Lanze schwingst zum bittern Krieg,
Heil deiner Faust! Dein Vorteil ist der Gutheit Sieg.
Die andern brauchen Heereszeichen mancherlei,
Haben ein Banner nötig, Kriegs- und Feldgeschrei:
Dein Kampfruf sei dein Name, welcher Hoheit hallt,
Dein Banner deine weithinleuchtende Gestalt.
Nun laß uns schauen, wer zuletzt in dieser Welt:
Der Tümpel oder der Olymp die Hand behält!»
So tröstete der Dämon, segnend mit dem Schwert
Den Knieenden. Apoll erhob sich: «Nun, bewehrt
Mit deinem Freispruch, der mich ehrenvoll entläßt,
Erwart ich furchtlos jeden Feind, gefeit und fest.»

Nur wenige Tage später, als sich das begab,
Geschah es, daß der ganze hocherlauchte Stab
Der Plattfußvölker, Feldherr, Fürst und Diplomat,
Beisammensaß zum außerordentlichen Rat
Im alten Burgsaal auf dem Inselstein im See,
Wo kein Verräter umschleicht, keines Horchers Zeh.
Urfelsen sind die Mauern, die kein Laut durchbricht.
Kein Fenster; einzig durch die Kuppel atmet Licht.
Vollzählig sind sie pünktlich auf den Ruf erschienen.
Es melden schon die ernsten, grabesdüstern Mienen,
Daß heute Wichtiges verhandelt werden soll:
Der Bundeskrieg, der Feldzug wider den Apoll.
Dem ja gehört der Plattfußvölker ganzes Sinnen.
«Worauf nur warten wir? Warum nicht gleich beginnen?».

Sieh! Da erhob sich feierlich der Plattfuß-Zeus,
Der große König der Gangrenen, Pyoneus:
«Getreue Freunde, unser jedem ist noch jung
Und lebhaft ohne Zweifel in Erinnerung,
Wie wir das letztemal – es jährt sich heute fast –
Einstimmig den begeisterten Beschluß gefaßt,
Apollons unerträglich Selbstgefühl zu kürzen
Und ihn vom Sonnenwagenthron herabzustürzen.
Zu diesem Zweck bedurft es einer Luftschifflotte,
Denn nicht am Boden kämpft sichs mit dem Sonnengotte.
Da euer großes, allzu unverdient Vertrauen
Geruhte, mich mit diesem Auftrag zu betrauen,
Erteil ich nun dem Bundesrate Rechenschaft,
Was ich getan in Punkt der Flotte und beschafft:
Nebst hundert kleinen Aero- und Flügelnachen,
Luftkörben, Bällen, Mechanauten, Schwebedrachen,
Im Wenden flink, geschickt, sich um den Feind zu drehen,
Als Fahrzeug dienlich für die rührigen Pygmäen,
Ließ ich zu unsrer Herrschaft Sinnbild und Begriff
Und unsrer Truppenmacht zum Haus ein Riesenschiff
Von Meilenlänge, namens Gangrenopteros,
Von unserm wackern Tausendkünstler Daidalos,
Dem nichts zu schwierig, nichts unmöglich ist, erbauen.
Und nicht beschämt er seinen Ruf und mein Vertrauen.
Immer bedacht, das Werk an den Befehl zu binden,
Erwies sein Geist sich unerschöpflich im Erfinden.
Um das gewaltige Fahrzeug in die Luft zu heben,
Genügte weder Triebgewalt noch Luftballschweben.
Darum verbanden mit dem älteren System
Wir eine gänzlich neue Flugkraft außerdem.
Erfahrt, wie etwas leicht und selbstverständlich ist,
Nachdems einmal erspürt hat des Erfinders List:
Den Atemblast, der nutzlos aus Myriaden Lungen
Verpufft, den haben wir in unsern Dienst gezwungen.
Denn auch im Lebensatem wohnt ja Arbeitskraft,
Der, massenhaft und klug benutzt, Mechanik schafft.
Also ich stelle alle meine Mannen ein
Und lasse sie das Fuhrwerk in den Himmel schrein,
Die mit Hosianna, die mit Mundstück und Posaunen.
Einfach, nicht wahr? Daß mans nicht früher fand, macht staunen.
Was nun den Bau des Gangrenopteros betrifft,
So leg ich seiner äußern Ansicht Zeichenschrift
An Stelle vieler Worte samt den Plänen hier
Vor eure Augen. Auskunft, wenn gewünscht von mir,
Erteil ich gern. Auch seid mir allesamt in Gnaden,
Bestimmt mir nur den Tag, zum Augenschein geladen.
Einstweilen unterbreit ich dem gestrengen Rat
Die Frage, ob sein Urteil billigt, was ich tat.»
Dem Redner zollte die Versammlung Dankbezeugung
Und Ehrengruß mit untertäniger Verbeugung.

«Wir haben ferner», fuhr er fort, «wie euch bekannt,
Zu Oberfeldherrn für den Bundeskrieg ernannt
Das Fürstenpaar Phaulonidas und Kakokles.
Mit scharfgetrenntem Auftrag und Beruf indes,
So daß Phaulonidas, nachdem ers bestens wüßte,
Das Heer zum Kampf bereite und das Kriegszeug rüste,
Daß Kakokles, der Redekundige, dagegen
Unter die Erdenvölker reise allerwegen,
Damit er Hilfsgenossen uns zum Kriege werbe
Und mit dem Maul Apollons guten Ruf verderbe.
Phaulonidas als erster mög uns Meldung statten,
Ob seines Heeres Rüstung glücklich lief vonstatten,
Auf was für Kriegszeug seine Sorge war bedacht
Und welchen Angriffsplan er vorsieht für die Schlacht.»

Auf stand Phaulonidas. Sein Antlitz anzuschauen,
Erweckte schon die Zuversicht und das Vertrauen.
«Das Heer, wohledle strenge Herren, ist im Schliff,
Im Waffendienst gedrillt, gehorsam auf den Pfiff.
Das Kriegszeug anbelangend, weiß ein jedes Kind,
Daß Götter und Titanen unverwundbar sind.
Aus diesem Grunde hab auf Lanzen ich verzichtet,
Auf stumpfe Mittel mehr mein Augenmerk gerichtet.
Um eines anzuführen, hoff ich großes Glück
Von einem künstlichen Maschinenwunderstück,
Das ich aus mir ersonnen mit dem eignen Witze:
Ich meine eine dampfbewegte Sonnenspritze,
Von der ein einziger, ob ferner Wasserschuß
Die Sonne plötzlich auslöscht durch den Überguß.
Der Sonnenspritze, ich getraue mir den Satz,
Gebührt im Gangrenopteros der erste Platz.
Der Schlachtplan muß sich schmiegsam nach dem Feinde fügen.
Ich kann ihn bloß entwerfen in den gröbsten Zügen.
Erst macht man mit Geschrei und wüstem Schimpfgeschwirr
Apoll die Nerven zornig und die Sinne wirr.
Inzwischen segelt die Pygmäenflotte leise
Um ihn herum. Und hat sie ihn umringt im Kreise,
Beginnen ihre eingeschulten Luftschiffschnuppen
Plötzlich von überall den Angriff zu entpuppen.
Und prächtige Listen, glaubt mir, werden sie entfalten.
Was für: darüber sei mir Schweigen vorbehalten.
Genug: man stößt und zerrt ihn hinterrücks vom Sitze.
Zu gleicher Zeit erschein ich mit der Sonnenspritze.
Doch Einzelheiten, wie gesagt, sind überflüssig.
Im Drang des Augenblickes wird der Feldherr schlüssig.»

So meldete Phaulonidas. Erfreut darob
Erteilt ihm langes Dankgemurmel Preis und Lob.
«Als zweiter möge Kakokles uns unterweisen»,
Mahnte der König, «vom Ergebnis seiner Reisen:
Ob er das Maul, das ihm gegeben, ausgenutzt,
Apollons Leumund brav gelästert und beschmutzt,
Mit welchen Völkern er den Freundschaftsbund geschlossen
Und welche Zufuhr er uns bringt als Kriegsgenossen.
Tönt seine Botschaft wie die andre hoffnungsreich,
So können wir den Krieg beginnen alsogleich.»

Allein Enttäuschung, Überraschung! Leichenblaß
Erhob sich Kakokles, das Auge tränennaß:
«Ich rede frank und halte keinen Vorhang feil.
Mein Reiseziel erreicht ich bloß zum kleinsten Teil.
Ich kann euch freilich massenhaften Zuzug liefern,
Doch leider nur von Kötern und von Ungeziefern –
Verschiednes Ungeflügel: Krähen, Elstern, Raben,
Die auf Apollon sonst schon einen Schnabel haben,
Und eine Hundemeute, auf den Gott geübt,
Die keine Ehrfurcht hemmt und kein Bedenken trübt.
Schnall ihnen Flügel um den Bauch und um den Hals,
So leisten sie uns Vorhutdienste allenfalls.
Die Erdenvölker aber, ehrlich seis geklagt,
Trotz meiner Hetze, haben ganz und gar versagt.
Nicht das bloß, daß kein einziger uns hilft von allen:
Sie würden uns im Kriege in den Rücken fallen,
So daß wir, ferne, den Apoll zu überwinden,
Wohl leichtlich könnten grausige Vernichtung finden.
Es ist nicht meine Schuld: ich habe fest gelogen,
Die Wahrheit rundum in ihr Gegenteil gebogen,
Nicht schmähend, sondern mit Gedankenseife lästernd,
Stets die Verleumdung mit der Wahrheit Schein verschwesternd.
Was an Apoll erstaunlich und nicht deutlich reiflich,
Dem legt ich Niedertracht zugrund, so schiens begreiflich;
Behauptend, daß er bloß aus gelbem giftigem Neide
Am Himmel fliege und die Plattfußgegend meide,
Weil halt der Sumpf, wohin er möchte heftig gerne,
Ihm unerschwingbar sei, der schwachen Kraft zu ferne,
Und weil die Wohlfahrt an das Ansehn, das uns sprieße,
Ihn ärgere und seine Eifersucht verdrieße.
Sogar das schnöde Unrecht, das er mußt ertragen,
Da man ihm Ruhm und Braut und Zepter unterschlagen,
Hab ich zu seinem Schimpf und Unglimpf ausgebeutet,
Das heißt: die Narben ihm zu Lastern umgedeutet,
Indem ich ihn als bitter, hässig und vergällt,
Als einen bösen, bissigen Neidhart hingestellt.
Auch hab ich selbstverständlich von verlorner Ehre
Gemunkt, und wie er im Olymp verachtet wäre,
Weshalb er, ausgestoßen, fliehend seinesgleichen,
Genötigt worden, zu den Sternen auszuweichen.
Kurzum, ich lästerte mir Hals und Rachen wund:
Mir schlugen sie aufs Maul, sein Leumund blieb gesund.
Apoll genießt einmal, ich kanns nur Einfalt taufen,
Bewunderung und Liebe bei dem großen Haufen.
Seis seiner Taten Ruhm, sein sogenannter Adel
Oder sein Wesensbild, angeblich ohne Tadel,
Am allermeisten wohl das blöde Sonnengold:
Die ganze Erde ist und bleibt dem Schönling hold,
's ist hoffnungslos. Ich fürchte, sie erfassen nie
Den Sinn des Sumpfes und der Fäulnis Poesie.»

«So wären alle Opfer denn umsonst geschehn?»
«Ich kann nur Niederlage, keine Hoffnung sehn.»

Bestürzung schuf der schlimme Spruch. Manch scheeler Blick
Lohnte dem Kakokles sein leidig Ungeschick.
Es roch nach Zank und Hader . . . Siehe da! Was blitzt,
Was strahlt, was funkelt durch die Kuppelwölbung itzt?
O Fluch! Pfui Ekel! Ohrenschelle, Nasenstüber!
Am Himmel flog mit Artemis Apoll vorüber.
Im Sonnenwagen, goldumglänzt, im Strahlenreif,
Und hinter ihnen streckte sich ein Adlerschweif.
Drob ungestümer Aufruhr. Dann, von Haß gebannt,
Standen sie starr, die Nasen in die Luft gespannt.
«Wie er sich bläht und reckt! Wie er sich fühlt und meint!»
«Wie er in seinem Glitzerglanz sich wichtig scheint!»
«Von der gerühmten Schönheit seh ich nicht die Spur.»
«Die Sonne riecht nicht, dampft nicht, pfeift nicht: Blendwerk nur!»
«Was mir am meisten fehlt, ist ein gesunder Rauch.»
«Die Poesie der Mitternacht vermiß ich auch.»
«Und wie pedantisch: Tag für Tag dieselbe Reise!
Kein kühner Luftsprung, keinen Zollbreit vom Geleise!»
Und also fort, der neidischen Ohnmacht tiefen Schmerz
Verbergend hinter überlegnem Spötterscherz,
Solang Apollon sichtbar blieb im blauen Raum.
Doch kaum verzogen jenseits hinterm Kuppelsaum,
So schauten sie einander an. Mit einmal brach
Ein schallend Hohngelächter dem Verschwundnen nach.

Allein nicht also Kakokles. Schon lange war
Die Luft von dem verhaßten Feinde wieder klar,
So stiert er gleichwohl unbeweglich immer noch,
Als wie verzaubert, nach dem leeren Kuppelloch,
Die Faust zum Ball gekrampft, das Auge haßbesessen,
Die Kieferknirsche wutverbissen wie zum Fressen.
Andächtig blieb ein jeder Blick auf ihn gerichtet,
Und Flüstern mahnte: «Stille! stört ihn nicht! er dichtet!»
Und als er endlich aus der Dichterewigkeit
Den Geist zurückfand in die traute Wirklichkeit
Und zu den Freunden wieder wandte sein Gefreß,
Sieh da: ein neuer, gänzlich andrer Kakokles.
Kein blasser zager Greiner mehr, der Warnung zollt:
Ein Beutefuchs, ein siegessichrer Ränkebold.
«Willkommen! Rede! Sput dich! Bring uns Meldung dar:
Was gab dein Sehergeist dir Neues offenbar?»
Da öffnet er den Mund, sein Wille sprang durchs Tor,
Gebieterisch den Herrscherfinger streckt er vor:
«Brüder, den Weg des Sieges will ich euch verkünden.
Er heißt: Wir müssen eine Gegensonne gründen.
Ihr staunt, ihr lacht, ihr springt zurück, Entsetzens voll.
Ihr glaubt, ich spaße, denkelt: ‹Kakokles ist toll.›
Nicht wahr? Ich bitte, unterbrecht mich nicht, gemach!
Hört mich geduldig an und denkt mir ruhig nach!
Ein Weiser lebt in unserm teuren Vaterland,
Reich an Verdienst, doch lang nicht nach Verdienst erkannt.
Er selbst heißt Augias, seine Weisheit heißt Chemie:
Da gilt Gelehrtheit nicht, nur Zufall mit Genie.
Den feinsten Schlichen, schlimmsten Tücken der Natur
Kommt er mit Gläslein und mit Näpflein auf die Spur,
Indem er munter Säuren durcheinandermischt.
Und nie mißlingt ihm etwas: was er mischt, das zischt.
Demselben Augias nun, des Zauberwissenschaft
Kann Dampf in Geist verwandeln und Gestank in Kraft,
Demselben ists ein kleines, aus Kloakendunst
Und Sumpfgas uns zu brauen eine Sonnenbrunst.
Was fault, das gärt; was gärt, das brütet heimlich Feuer.
Und unsrer Sümpfe Reichtum ist ja ungeheuer.
Obs nachher glänzt, ob nicht, kommt wenig in Betracht:
Der Schlot, der Rauchfang ist es, was die Sonne macht.
Und wärs ein winzig Flämmlein, wärs ein Fünklein bloß:
Mal einen Zeigefinger vor, so scheint es groß.
Drum sorgt nur für ein himmelstößiges Kamin,
So wird die Augiassonne Glaubensfeuer ziehn.
Für solche, welche mit den Ohren mehr begreifen,
Steckt oben in den Rauchfang ein Geheul von Pfeifen.»

Nun ward den Plattfußhäuptern das Verständnis heiter,
Und freudig scholls: «Setz fort, o Kakokles, fahr weiter!»

«Nimm an», versetzt er, «was ich anriet, sei getan,
Die Sonne fertig und der Schornstein drauf und dran,
So gilts, der Welt die neue Sonne anzuzeigen.
Sie muß auf einen Stengel oder Sockel steigen,
Sie muß sich fortbewegen lassen, vorwärts rühren,
Man muß sie können um den runden Himmel führen.
Ein Luftschiff ist zum Wolkenritt das rechte Roß.
Also: man pflanzt sie auf das Gangrenopteros.
Dann sammeln wir mit unvernünftigem Geschrei
Die Wundergier der Erdenvölkerschaft herbei
Und lassen auf der festgeschmückten Angerau
Das Sonnenluftschiff steigen, vorderhand am Tau.
So daß die Welt sich von Apollons Sonne kehrt
Und unserm Lichte Götzenhuldigung gewährt.
Dann wallen wir als Sonnenpriester in den Krieg,
Die Völker rutschen mit, und unser ist der Sieg.»

«So schnell jedoch, den Zweifel mußt du uns erlauben,
Machst du die Erde nicht an unsre Sonne glauben.»

«Oh, wäre keine Arbeit schwieriger als die!»
Gab ruhig Kakokles, «ich weiß Psychagogie.
Das Beispiel tuts, Begeistrung ruft die Geister wach.
Singt einer vor, so singen alle andern nach.
Vernehmet, wie ich ihnen will den Gläubel drehn,
Und pünktlich, wie ichs prophezeie, wirds geschehn:
Sobald daß unsre Sonne auf dem Luftschiffpferd,
Dem Gangrenopteros, vom Stapel aufwärts fährt,
So renn ich plötzlich wie von Sinnen um den Platz
Und schrei in einem zu, so laut ich kann, den Satz:
‹Dies ist der Oz Koproz, dies ist das große Licht,
Und ist das einzig echte, wahre Sonnenlicht!
Denn Oz ist Oz, und falsch ist jedes andre Licht,
Denn andre Sonnen als den Ozen gibt es nicht!›
Dann geb ich meiner Trommelpfaffenschar ein Zeichen,
Die allsofort die Pauken mit den Schlegeln streichen.
Was gilts? Wer hält die Wette? Wunder sollt ihr sehen,
Wie alle bis zum letzten Manne mit mir krähen!
Denn also bockbeinstörrisch ist kein irdisch Haupt:
Wenn mans gehörig paukt, verwundert sichs und glaubt.
Wenn später unsre Sonne in den Lüften schwimmt,
So wird von mir die zweite Strophe angestimmt:
‹Der Oz ist Gott, denn heilig, heilig ist der Oz,
Und ist kein andrer Gott als Oz, genannt Koproz.
Drum steinigt, liebe Brüder, steinigt, schlagt ihn, stäupt
Den Gottverächter, den verruchten, der nicht gläubt!›
Wonach die Paukenpfaffen mit erhobnen Schlegeln
Aus Leibeskräften abermals die Trommeln flegeln.
Ich aber falle zähneknirschend auf den Bauch,
Verdreh die Arm und Beine und die Augen auch.
Im Fallen reiß ich meine Nachbarn auf die Bäuche,
Die Nachbarn ihre Nachbarn – fertig ist die Seuche.
Dann laß ich von der Kette die Zeloten los,
Die einfach, was noch aufrecht steht, zerreißen bloß.
So stiftet man auf Erden einen neuen Glauben.
Mit diesem Worte möcht ich mir den Schluß erlauben.»

Gesagt und setzte sich. Und gieriges Gelüsten
Ergriff den Bundesrat, das Sonnenlicht zu rüsten.
Nur fürs Gewissen wurden noch Bedenken laut:
«Gesetzt, daß einer mit den eignen Augen schaut
Und ruft: ‹Wo ist denn da das Sonnenlicht?› – nimm an –
‹Ich sehe nichts als Rauch!› – was tust, was sagst du dann?»
«Das wäre!» lachte Kakokles. «Wenn das geschieht,
Wenns einer wagt und mit den eignen Augen sieht,
Dann klatsch ich mir ein Pflaster vor ein Auge vor
Und krümme mich und stoß ein Schmerzgeheul empor:
‹Nehmt euchs zur Warnung! Vor die Augen schützt die Hände,
Daß euch der Überglanz nicht ebenfalls verblende!›»
Alle Bedenken scheuchte dieser kluge Spruch.
«Wohlan», fiel der Entscheid, «es gelte der Versuch.»

Demnach begaben sich die Bundesratsgesellen
Zum weisen Augias, eine Sonne zu bestellen.
«Kannst du uns eine Sonne heut in einer Woche
Abliefern? Aber eine, die da macht Epoche!
Nur eine beste Sonne können wir gebrauchen,
Die nicht bloß leuchtet, sondern riechen kann und rauchen.»
Verächtlich guckt er über seine Achsel her:
«Was sonst? Nur diese Kleinigkeit? Und sonst nichts mehr?»
Und eine zimmerhohe Kugel von Asbest
Ließ er zur Stelle rollen, gegen Feuer fest,
Bestieg die Leiter, strich das hohle Innenhaus
Mit einer Lage Harz und Pech und Schwefel aus,
Warf Öl und Salz hinein und pumpte mit dem Schlauche
Aus den Kloaken einige Faß gegorner Jauche,
Womit er bis zur Hälfte füllte das Gefäß;
Verrührt es langsam mit der Kelle kunstgemäß,
Dann links aus einer Flasche, rechts aus einem Glase
Gewann er einige Luftvoll feuersaure Gase,
Die er behutsam in den Sonnenhafen tat;
Rührte von neuem mit dem Löffel den Salat,
Noch etwas Ololul, ein wenig Ulolin,
Jetzt Metolyloluloxyd darüber hin –
Bewundernd schauten ihm die Plattfußfürsten zu:
«Fürwahr, mit Recht ein Weiser heißest, Augias, du.
Doch eine Sorge laß bescheiden uns bekennen:
Wo ist das Feuer, um die Sonne anzubrennen?»
Er sprach: «Das eben ist der Tiefsinn der Natur:
Wenn einer bloß ein Gas, von dem er nicht die Spur
Versteht, mit einem andern, das er auch nicht kennt,
Zusammenmelkt– paß auf, lauf fort: es springt, es brennt.»
Und während er noch sprach, geschah ein brausend Brodeln
Im Sonnenfaß. Horch: Blasenzischen, Säurejodeln!
Mit einmal – «Wehe! Obacht! Auseinander!» – juff!
Geschah ein fürchterlicher Feuerflammenpuff,
Und aus dem Hafen strudelnd stürzten Loderbäche
Von Jauchebrei und Schwefelmus und schwarzem Peche.
Die Hände rieben sich mit freudigem Geschrei
Die Ratsherrn: «Gelt, Apoll? Das ist jetzt anderlei!»

Und als die Augiassonne fertig war getan,
Samt dem Kamin darauf und Pfeifen obendran,
Da nagelten die Zimmerleute den Koloß
Aufs oberste Verdeck des Gangrenopteros.
Jetzt eine Karawane Gäule vorn daran,
Die schleppten schlittlings über eine Bretterbahn
Das Wunder nach der festgeschmückten Angerau.
Dann alles Erdenvolk herbeigelärmt zur Schau.

Am Anfang freilich war des Volkes Glaubensfeuer
Nur mäßig ob dem rußigen Sonnenungeheuer.
Man fand, man sähe, wenn schon einige Brenze auch,
Hauptsächlich weiter nichts als Dampf und Qualm und Rauch.
«Und nicht nur das, mir scheint, zu schließen nach der Nase,
Ich röche – oder täusch ich mich? – verwünschte Gase!»
Hinwieder, wenn sie nun bestaunten das Kamin,
Da konnte die Bewundrung trotzdem nicht umhin:
«Ich kann nicht anders: es ist kühn und himmelstößig,
Nicht schön, allein – wie soll ich sagen? – neuig, größig.»
Verdutzt, verblüfft, vertattert stand die Menge da,
Mit offnem Maul, und wußte nicht: ob ja, ob na.
Da horch: ein Wehgeheul! Das linke Auge, klatsch!
Verklebt mit einem schwarzen Pflasterkataplatsch,
Lief Kakokles umher und krümmte sich vor Schmerzen:
«Nehmt euch an mir ein Beispiel! Warnung mögt beherzen:
Schützt eure Augen! Daß sich jeder schleunig wende,
Damit der Überglanz ihn nicht gleich mir verblende!»
Hei, wie sich alles Volk geschwind zur Seite duckte!
Kaum daß die Neugier durch die Fingerspalten guckte.
Doch als nach langem Warten jetzt Maschinenrappel
Im Luftschiff hörbar ward und unter Bauchgezappel
Und Flankenzittern, sieh, das Gangrenopteros
Lautstöhnend mühevoll zum Aufstand sich entschloß,
Den Schnabel hoch, zum Luftgaloppe im Begriff,
Und Dampfgeheul Triumph aus allen Pfeifen pfiff
Und Kakokles mit hohen Sprüngen um den Platz
Als wie besessen schrie den Evangeliensatz:
«Dies ist der Oz, dies ist das große Sonnenlicht!
O Wunder, wie es herrlich leuchtet! Riecht ihr nicht?»
Und Paukenflegelsymphonie zum Überfluß
Bestätigte den überirdischen Genuß:
Da spürten sie des Glaubens ersten Geistestritt
Und sprangen nach und schrien aus Leibeskräften mit.

Oha ! Hopla! Mir scheint, dort oben ist am Steuer,
Kann sein an den Maschinen, etwas nicht geheuer.
Ein Hecht, still glotzend, liegt das Luftschiff leblos quer.
«Wind in die Segel! Pumpen, Blasebälge her!»
«Nicht doch! Holt Hebestangen, aber hurtig! Quick!»
«Ei, solcher Unsinn! Nehmts ins Schlepptau, zieht am Strick!»
«Hufnasen!» wetterte der Pyoneus darein,
«Einfach Posaunen blasen und Hosianna schrein!»
Schnell stellten sich die Plattfußmannen unten hin,
Bliesen die Backen auf, trompeteten und schrien;
Und also mit Hosianna, Gittit, Hüst und Hott –
Juchhei, hurra! da ward die Sonne wieder flott.
Nun braucht es weder Kakokles noch Pauken mehr:
Von selber taumelten die Völker rings umher.
Und einesmals, gepackt von jäher Glaubensseuche,
Stürzt alles betend auf die Knie und auf die Bäuche:
«Der Oz ist Gott! Und ist der einzig wahre Gott!
Denn jeder andre Gott als Oz ist Lügenspott!»
Dann stürmten sie davon landein zur Ketzerjagd,
Wo jeder, der nicht kniete, ward zu Tod geplagt.

Verrascht sah Kakokles sich um. Dann aufgeräumt:
«Ei sieh! Das lief noch glatter, als ich mir geträumt.
Nun komm, Apoll, das Leuchten will ich dir verleiden!»
Und Satyros den Schneider ließ er herbescheiden:
«Hol Tuch aus deinem Laden, Geist aus deinem Hirn!
Ein weißes priesterliches Festgewand mir zwirn.
Vorn auf dem Bauch ein rotgeflammter Sonnenfladen
Und sternbesäte Ätherstrümpfe um die Waden.»

Und als von Satyros der Auftrag war vollbracht
Und Kakokles in seiner Glitzersternentracht
Auf seinen Sonnenfladen schaute bauchbergab,
Sieh, welch ein Seelenwunder sich mit ihm begab!
Der heilige Anzug schlug ihm einwärts in den Geist,
So daß, von Ahnungen und Dämonsspuk umkreist,
Er an den Ozen, den er für die Einfalt klaubte,
Nunmehr wahrhaftig selber halb und halber glaubte.
Und stiftete dem Ozen einen Schiffsaltar,
Um diesen sät er eine Feuerpriesterschar,
Die ewig unter Salamam und Salamechen
Weihrasselten mit roten Sonnenscheibenblechen.
Indes er selber einen Purpurbaldachin
Geruhte hinterm Schiffsaltare zu beziehn,
Gebetversunken in dem Purpurschneckenhaus.
Zum Gottesdienste kam jeweilen er heraus
Und rutschte mit Gymnastik und mit Psalmodieren
Hundbäuchlings um den Ozaltar auf allen vieren,
Bis daß der Ozenglanz mit Rausch ihn überfüllte,
Worauf er seine Inbrunst in den Weltraum brüllte,
So daß in alle Lande flog die frohe Mär
Vom Sonnengotte Kakokles. Denn er ist Der!
War niemand, den Apollons naher Fall mehr reute,
Weil sich der Erdkreis eines Kakokles erfreute.


 << zurück weiter >>