Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Fünfter Teil: Zeus

Erster Gesang
Die Fahne Olbia fällt

                          Im Garten wandelten zur Feierabendstunde
Hera und Zeus, gemächlich schlendernd in die Runde.
«Gefällt dir, teure Gattin», wagt er untertänig,
«Der Garten, den ich dir geschaffen, auch ein wenig?
Erzielt der Blumenköpflein Lächeln dein Ergetzen?
Oder was fehlt dem Wunsch? Was übrigt auszusetzen?»
Wegwerfend streift ihr lässiger Blick den anmutvollen
Glutäugigen Flor. Hierauf geruhte sie mit Schmollen:
«Freilich erblick ich zwar der Farbenfeuerspiele,
Aus schöngeschwungnen Beeten leuchtend, üppig viele,
Und aller Arten Blumen seh ich tausendhundert.
Warum nun aber einzig, frag ich mich verwundert,
– Ists Absicht? ists Vergeßlichkeit? sinds Königslaunen? –
Fehlen die trauten Erdenveilchen? muß ich staunen!»
«Hast du olympischer Veilchen nicht die Überzahl,
Die doppelt größer sind und schöner tausendmal?»
«Das schon», versetzte sie, «allein es ist nicht das!»
«Was mangelt dir an den olympischen Veilchen? was?»
«Ach!» stöhnte sie gereizt, «du kennst nur Widerspruch!
Kurz, Erdenveilchen reden einen Lenzgeruch,
Den die olympischen Veilchen einmal halt nicht haben.
Genug hievon. Wir wollen diesen Zank begraben.»

Zeus merkte sich das Wort. Doch tat mit keinem Zeichen
Noch Deut, was sein Gedanke brütete, dergleichen.
Bis daß der Gattin Füße, mit den feuchtern Schatten,
Sie nach dem heimatlichen Schloß enttragen hatten.
Jetzt eilt er leisen Trittes, heimlich und verstellt,
Zum Gartenvater Prasios im Gemüsefeld.
«Bedrängnis, lieber Prasios! Eile! Zwangsgebot!
Zwölf Karren Erdenveilchen tun mir plötzlich not!
Gleichviel ob möglich oder nicht. Spitz deinen Willen!
Der Herrin sehnliches Verlangen gilts zu stillen.
Erwidre nichts! Ich kenne keine Hindernisse.
Die Veilchen brauch ich morgen abend. Solches wisse.»
Gesagt, kehrt um und ging; verlassend ohn Erbarmen
Den wackern Prasios, der wehklagte mit den Armen:
«Zu so viel Veilchen reicht mein Gärtnervolk nicht aus!»
«Zieh alles Weibsgesind herbei aus Hof und Haus.»
«Zum allermindesten bedürft ich Pferd und Wagen!»
«Bedarf! bedarf! Nimm allsoviele dir behagen!»
«Man müßte schon hinunter bis ins Tal Orest!»
«So geh, so geh – was hindert dich? – ins Tal Orest!»

Demnach geschah am Morgen früh vor Hahnenschrei
Geschäftiges Getümmel um die Gärtnerei.
Mägdegelächter, Knechtezank, Verwirrung, Schelten,
Ein Lärm, als sollt es Krieg, nicht Blumenernte gelten.
Und als doch schließlich alles fertig ward zuletzt
Und auf die Wagen sich das Gärtnervolk gesetzt:
«Während ich nun», sprach Prasios, «mit Gemach und Maße
Mit meinen Leuten fahre die gebahnte Straße,
Mögen die Mägde durch den Wald den nicht bequemen,
Doch nähern Fußpfad nach der Erde unternehmen.
Wer von uns beiden, dank dem bessern Reiseglücke,
Als erster wird gelangen unten an die Brücke
Im Tal Orest, wo das Forellenbächlein glänzt,
Das den Olymp vom Menschenoberland begrenzt,
Der wartet auf den andern; lange wirds nicht währen.
Glück zu! Auf Wiedersehn! Geht hin in Zucht und Ehren»
Es sprachs der Gartenvater. Kaum gesprochen, zogen
Die Pferde rüstig aus. Von kräftigem Trab gewogen,
Verschwand im Dämmerduft das Wagenzüglein bald,
Die Mägde aber tauchten in den finstern Wald,
Dem Fußweg folgend in gestreckter Gänsereihe;
Und Sang und Schwang entwürdigte die Waldesweihe.
Und als nach zweien Stündchen sie vom Wald ins Freie
Und in das Tal Orest hinab ans Brücklein kamen,
Da war von Prasios nicht der Schatten, nicht der Namen,
Noch seines Namens Schatten sichtbar weit und breit.
Da harrten sittsam sie fürs erste einige Zeit
Geduldig aus. Dann, wie je länger nie und nie
Des Meisters Haupt zum Vorschein kam, begannen sie
Zu schäkern und zu dahlen, Unfug anzugaukeln,
Sich am Geländer umzuschwingen, drauf zu schaukeln;
Und um die Ecke storchten etliche zu Bach,
Die, um zu plätscherbaden, die den Krebsen nach.

Ein Händler trödelte daher vom Erdenland.
Kramwaren zeigt er aus dem Tragkorb allerhand.
«Ihr schmucken Jungfern vom Olymp, ihr Zofen fein,
Kommt her und schaut! Der Wunder seltenste sind mein.
Ganz neu und unbekannt. Wer ist zum Anblick willig?
Ich gebs umsonst. Geschenke sind den Schönen billig.
Hier dieses Schallrohr nehm ich. Hebt es bloß ans Ohr,
So tönt aus seinem Trichter jeder Laut hervor,
Der jemals seit der ältsten Ewigkeiten Kluft
Aus einem Munde bebte durch die Erdenluft.
Kein Donner stiftet, ob er noch so mächtig brüllt,
So viel Getös, wie alsdann euer Ohr erfüllt. –
Den Stock betrachtet. Außen scheint er von Natur
Gemeingewöhnlich, nicht wahr? Wie die andern nur.
Doch stoßt ihn auf den Grund, so stehn vom Boden auf
Die Tier und Menschen, die in aller Zeiten Lauf
Hierorts zu Tale je im Leibe mußten leben.
Und zu dem Nebenmenschen sagt der Mensch daneben:
‹Wie hast du damals mir im Herzen weh getan!›
‹Ungern! Ich mußte halt. Ich tats mit Tränen dran.›
Und zu der Katze sagt die Maus: ‹Warum so häßlich
Hast du mich dazumal gemartert und so gräßlich?›
‹Ich kann es selber›, sagt die Katze, ‹nicht begreifen.
Man gab mir Teufelskrallen, folglich mußt ich greifen.
Man gab mir Zähne, folglich mußt ich reißen. Weißt:
Die Tigerflecken färbten einwärts auf den Geist.› –
Das Allerfeinste, was ich euch empfehlen kann,
Geht aber diese wundersame Salbe an.
Wenn ihr den Finger, in der Salbe umgerührt,
Nur mit der Beere leicht an Stirn und Busen führt,
Könnt ihr in jedes Tieres Leibverfassung schlüpfen,
Die euch beliebt: als Fliege fliehn, als Hündlein hüpfen.»
Die Mägde schrien: «Du aber lügst; das ist nicht wahr!»
«Ei nun, so nehmt es», rief er, «mit den Augen wahr!»
Stellte den Korb beiseite mit dem Warenkram,
Schrieb einen Zirkel auf den Brückenboden, kam
Herein, salbte die Fingerspitze, tupfte sich:
«In einen Salamander, acht, verwand! ich mich.»
Und kaum das Wort gesprochen, als verschwunden war
Der Händler, und an seiner Stelle hielt fürwahr
Ein Salamander, schwarz, mit höllischen Tupfen noch,
Züngelt ein wenig, blinzte mit den Lidern, kroch
Auf das Geländer. Plötzlich sprang ein Glockenton
Aus seinem Munde: «Aïdeus!» Entwandelt schon
Stand er als Krämer auf den Beinen wie vorher.
Gierig umdrängten ihn die Mägde: «Ist das schwer?
Bekenn!» Und ihre Augen funkelten begehrlich.
«Und bist du treu? Und ist das Spiel auch ungefährlich?»
Der Händler tröstete: «Gefahr ist nicht dabei,
Wofern nur einer hütet die Gebote drei:
Zum ersten, daß allwährend er verwandelt ist,
Er keine Erdenfrucht zu speisen sich vermißt;
Zum zweiten, daß kein Herd ihm auf den Scheitel fällt;
Zum dritten, daß er seinen Namenslaut behält;
Denn, um den Wandelzauber wieder umzubrechen,
Muß einer in Gedanken seinen Namen sprechen.
Auf nun, ihr kecken Jungfern! Jupa! Wer hat Mut?
Wer will versuchen, wie die lustige Salbe tut?»
Doch furchtsam wichen sie zurück, und jede steckte
Sich möglichst hinter eine andre, die sie deckte.
Sie spürten wohl den Wunsch, doch der Entschluß versagte.
«Pfui Schande!» schmält er höhnisch. «Memmen ihr, verzagte!»
Ihm kam zurück: «Ein Sprichwort läuft bei uns zu Lande:
Das Unheil trifft den Hals, den Balg nur streift die Schande!»

Umsonst hielt er den einzelnen die Salbe hin,
Bis er zu Ganymede kam, der Tänzerin.
Die patzte mit den Brauen, schüttelte den Schopf:
«Her mit der Schminke! Bah! Es kostet nicht den Kopf!»
Und tupfte sich die Schläfen. «Schön so!» pries sein Gruß.
«Jetzt tritt mir mit den Zehen herzhaft auf den Fuß!
Welch Vöglein willst du nunmehr werden?» – «Einen Hasen!»
Gesagt. Und sieh: verschwunden, wie vom Wind verblasen
War Ganymede. Eine Häsin, blank wie Schnee,
Mit rosigen Augen, saß, wo sie gestanden eh.
Drob Freudenruf und Koselaut aus hundert Herzen.
Und alles eiferte, das Vögelein zu herzen.
Und setztens auf den Rasen: «Kannst du springen? Zeig!
Und deine Ohren sträußen? Mach das Männlein, steig!»
Und Ganymede sprang und purzelte und stand
Als wie ein richtiger Hase, aber mit Verstand.
Jetzt siehe: von der Häsin Truggestalt verlockt,
Kam durch den Wiesenrain ein Häserich gebockt.
Liebsüchtig naht er ihr. Und Ganymede, froh
Der Täuschung, äugelt ihm entgegen, winkt ihm, floh
Ein wenig, kehrte sich und knappte mit den Ohren.
Endlich, nachdem sie seine Inbrunst gar gegoren,
Schnupfte sie minniglich und hielt ihm gnadenvoll;
Wozu der Mägde zügellos Gelächter scholl.
Da rauscht es in den Lüften, und ein schwerer Stein,
Vom Himmel stürzend, wettert in den Spaß hinein.
Kein Stein – ein Geier. Angepackt, gekrallt, enttragen,
Schrie durchs Gewölk des Hasenbockes schmerzlich Klagen.
In wilden Sprüngen aber, todesangstentsetzt,
Schoß Ganymede sinnlos in die Runde jetzt.
«Nicht fliehn, du Närrin!» schrie der Schwestern hitzige Rede,
«Entwandle dich, entwandle dich, o Ganymede!»

Freude! Gerettet stand in echter Tracht sie da!
Doch Mitleid rührte, wer die Leichenfahle sah.
Die Lippen zuckend und der Augen Geist verstört,
Der Herzensatem vom erlittnen Schreck empört.
«Ich hatte», keuchte sie, von Rückangst noch besessen,
«Ich hatte meinen Namen», würgte sie, «vergessen!
Bewundrung aber, heilge, muß dem Tier ich gönnen
Für ihren Mut: daß sies ertragen, daß sies können!»
Darob Gelächter. Doch vom Händler kam die Rede:
«Süß bist du, aber töricht, schöne Ganymede!
Willst du die Welt verstehn, vergiß nicht die Gewalt.
Sie könnens freilich nicht, allein sie müssen halt!»

Horch! Peitschenklang vom Berge, Pferdeschellenläuten.
«Still, Prasios' Stimme! Hört ihr? Mit den Gärtnerleuten!»
Eilends verschwand der Händler mit dem Zauberkram.
Die Mägde stellten sich und gleißten Zucht und Scham.
Eindringlich raunte Ganymede: «Nichts verraten
Von allem, was da hier geschah und was wir taten!»
Doch traurig schauend aus den hohlen Herdgehäusen,
Meinten die Wiesenmäuse zu den Ackermäusen:
«Ich möcht auch also mein unselig Mäusekleid
Eins zwei vertauschen können wie dieselbe Maid!»

Noch war das Tal Orest vom Sonnenstrahl nicht heiß,
Und in den schattigen Halden wirtete der Fleiß.
Ähnlich wie wenn von emsigen Bienen oder Hummeln
Geschäftge Völker sich im Lindenbaume tummeln,
Um jeden Blütenbüschel wumselndes Gesumm,
Vergnügen gilt, die Arbeit feiert nicht darum:
Also betrieben auf und ab vom Bach zum Hang
Die Mägde unter Trillersang den Veilchenfang.
Sie heimsten förderlich, denn jung und flink war jede.
Doch sämtliche besiegte leichtlich Ganymede,
Die gleich dem Wiesel durch Gebüsch und Hecken schlüpfte,
Bald zu den Felsen sprang und bald dem Bach zu hüpfte.
Indes die Gärtner, die des Meisters Auge fühlten,
Mit kundigem Spatenstich die Würzlein unterwühlten
Und die gefüllten Körbe, feucht mit Moos verladen,
Zum Wasserfalle trugen, um vor Sonnenschaden
Und Trockentod das zarte Pflanzenvolk zu hüten
Und den erschrocknen Saft mit Bachstaub zu vergüten.

«Halt!» mahnte schließlich Prasios. «Wenn mein Blick nicht trügt,
So haben wir der Veilchen mehr als wie genügt.
Spannt ab und gönnt euch Ruh! Vor abends aufzubrechen
Mit Pflänzlein durch die Sonne, wäre Hochverbrechen.
Jetzt wollen wir ein Wörtlein mit dem Imbiß sprechen.»
Gesagt. Die Mägde mit den Gärtnern jauchzten: «Ruh!»
Und unterm Nußbaum sprachen sie dem Imbiß zu.
Und als nun Durst und Hunger sattsam war gestillt,
Zu keinem Trunk, zu keiner Speise mehr gewillt,
Und der erfrischte Leib, gestärkt und ausgeruht,
Nach Neuigkeiten spürte Lust und Lebensmut,
Rief Ganymede: «Meister Prasios, Dank und Segen
Für Most und Kost! Jetzt will ich meine Knöchlein regen!»
Sprang auf, ging hin, und auf des Mättleins weichem Wasen
Begann sie einen ausgelaßnen Tanz zu rasen.
Freisorglos, was zuunterst, was zuoberst kam:
Und niemand weiß, woher sie all die Beine nahm.
Und siehe da: vom Bild des Vorspiels angesteckt,
Ward bald ein Allerjungfernwirbeltanz geweckt,
Die, Hand in Hand zum schmucken Maienkranz geschlossen,
Mit immer wilderm Schwung die Taumelringel schossen.
Juchhei erscholl und Lustgeschrei: «Triump, Triampe!»
Die Gärtner brachen auf und halfen mit Getrampe.
Hier galt nicht Kunst noch Regel. Wer nicht konnte, mochte;
Und wenn der Mut verglomm, ward Mahnung ihm zum Dochte.
Weil Prasios unterdessen in des Kreisels Mitte
Mit Händeklatschen regelte des Taktes Schritte.

Neugierig aber streckten ihre struppigen Köpfe
Aus Busch und Baum hervor die irdischen Geschöpfe,
Sich stupfend mit den Ellenbogen: «Darf man, du?»
Und wagten sich heran und drückten sich herzu.
«Ei, seht doch!» schnauzt ein Gärtner, «ja noch gar, das wäre!
Weg da! Mit Göttern tanzen glückt euch nicht die Ehre!»
«Du schweig!» rief Ganymede. «Maul zu! Unbenommen!
Ein jedes Vöglein ist am heutgen Tag willkommen.
Vierbeinig oder zwei: mir gleich und einerlei!
Weiß ja, wies ihnen tut, war selber auch dabei.
Alles heran! Was Atem hat und Herz und Beine,
Das tanze harmlos mit! Denn ich bins, die das meine.»
Also ermutigt, reihten harmlos sich zum Ganzen
Die Erdenvögel und begannen mitzutanzen:
Hirsche gemengt mit Störchen, Gott und Mensch gepaart,
Und jedes gab die Stimme laut nach seiner Art;
Wem nicht Gesang gedieh, begnügte sich mit Grölen.
Und immer neue Tiere hüpften aus den Höhlen.
Von Jubel füllte sich das Freundschaftstälchen voll,
Und stündlich toller ward der Bundeswalzer toll.
Bis daß der Sonntag, der sein goldnes Licht verbraucht,
Dem Abend wich und, in ein saftger Grün getaucht,
Das Eital ruhte und den rötern Himmelsbogen
Durchquoll vom Menschenland der Vesperglocken Wogen.
«O weh!» schalt Prasios, «hupp! Brecht auf! Den Heimweg sucht!»
Und zum Olympos wälzte sich die hastige Flucht.

Und als nun Zeus, wartwandelnd vor dem Gärtnerhaus,
Zur Vordernachtzeit, zwischen Mond und Fledermaus,
Endlich das Reisezüglein aus der Waldesschluft
Vernahm, umschwebt von tausendstimmigem Veilchenduft:
«Schön!» warf er ihnen froh entgegen, «brav gemacht!
Seid mir gepriesen und mit Lob und Dank bedacht!
Zum Lohne dessen will mit reichlichen Geschenken
Ich morgen jeden ohne Unterschied bedenken.
Jetzt frag ich: Wollt ihr weiter euren Dienst mir spenden
Und, was ihr also schön begonnen habt, vollenden?
Die Nachtruh und den Schlummer opfernd euerm Herrn?»
«Ei ja», willfahrten sie, «um deinetwillen gern!»
Wohlan, die Gärtner sollen denn der Pferd und Wagen
Obhut besorgen, die Geräte dannentragen.
Das Frauenzimmer aber mag mit Blumenschwänzen
– Doch leise, ohne Lärm! – den Frühstückssaal bekränzen,
Auf daß am rosigen Morgen, wenn der Tag sich neut,
Der Herrin sich ein unverhoffter Anblick beut.
Sind wir des einig? Seid ihr zu dem Werk zufrieden?»
«Ei ja!» frohlockten sie und hüpften auf und schieden.

Zagreus den Sänger aber ließ der König holen.
«Ein Wunsch, mein Freund!» «Der ist», genehmigt er, «empfohlen.»
«Im Saale führt das Weibervolk, du kennst den Saus,
Hienacht laut meinem Auftrag eine Arbeit aus.
Um sie von lockerm Schwatz und Unfug abzuhalten,
Spend ihnen eine Sage, laß ein Märlein walten.
Das Weib mags gern, wenn des Gesanges Odem rauscht.
Und spricht das hohe Wort, so seufzt sein Herz und lauscht.»
«Gehört!» sprach Zagreus, ging und tat, wie ihm befohlen.

Zeus aber folgt ihm heimlich nach und saß verstohlen
In einen Seitenwinkel, wo der Mondenschimmer
Ihn nicht verriet. Und welche von den Mägden immer
Beiläufig ob dem Handwerk ihm vorüberstreifte,
Mit Veilchenblust beladen, die erbost und keifte:
«Platz da, Faulpelz!» und stieß ihn mit dem Ellenbogen.
Nur Zagreus kannt ihn am Gebaren. Und erwogen,
Daß man erhabner Herren königlichem Geist
Mit denkenswürdiger Sage Huldigung erweist,
So wählte Zagreus vor des Königs Angesichte
Von Koras Erdengang die ewige Geschichte.

So lautete von Koras ewgem Erdengang
Zagreus' des Sängers mitternächtlicher Gesang:

«In grauer Vorzeit, sagenhaft und wunderbar,
Als noch den Göttern im Olymp kein König war
Und das Geschlecht der Menschen, neuerlich entstanden,
Noch unbekannt und Recht und Satzung nicht vorhanden,
Zogen am ersten Frühlingstag nach altem Brauch
Die Jungfern vom Olympos einmal wieder auch
Mit jauchzenden Gesängen, Zimbelspiel und Leier
Ins Tal hinab nach Erden zur Adonisfeier.
Nachdem das heilge Drama von dem Siegeslauf
Des Sonnenjünglings durch die Hölle und hierauf
Der Reigenumgang um das blumige Gelände
Mit Todesklagen und Gebeten war zu Ende,
Begannen, wie's ererbter Sitte so gefiel,
Zum letzten sie das launige Verwandlungsspiel,
Indem sie, teils zum Sinnbild, teils zum Zeitvertreib,
Den Körper tauschten gegen einen Erdenleib.

Kora, der Jungfern jüngste, schönste, fand vor allen
An den Verwandlungskünsten freudiges Gefallen;
Die bald als Täubin, bald als Schwan vom Walde stieß,
Bald als ein Mäuslein rollte in ein Erdverlies
Und jubelte: ‹Dem Schöpfer Preis und Dank gebracht,
Daß er des lustigen Getiers soviel gemacht!›
Und also bis zum späten Abend, wo man dann
Vergnügt nach Hause wanderte Olymp hinan.
‹Kora!› begehrt ein Anruf. ‹Kora, hör doch!› schmälte
Gereizte Ungeduld. Ein Angstschrei: Kora fehlte.
Darob Entsetzen. ‹Torheit doch! Wozu uns ängsten?
Sie lief voraus. Sie ist gewiß daheim des längsten.›
Doch wie sie dann bei nebelnächtger Dämmerung
Zum Brunnen kamen auf der Egg beim Straßenschwung,
Hielten am Weg der Kora Brüder im Verlangen,
Der trauten Schwester Heimkehr grüßend zu empfangen.
Arglos erbaten sie, mit frohem Blick und Munde
Die Kommenden befragend, von der Schwester Kunde.
Doch über ihre Schulter wuchs, vom Schreck beglaubt,
Der schwarzen Wahrheit augenloses Mörderhaupt.
Am andern Morgen aber ward ein Trauerfahren
Olympischen Volks nach Erden in getrennten Scharen.
Da, wo noch gestern Lieder, Flöten und Schalmei
Erklangen, irrte jetzt des Jammers Wehgeschrei.
Doch ob sie in des Tales Falten, in den Schluchten
Des Waldes die Vermißte mit der Stimme suchten,
Immer gewärtig, daß bei eines Rankes Wende
Plötzlich das liebe Antlitz lachend auferstände,
Das Waldgebirg blieb einsam und die Fläche leer.
Sieh da, Trophonios, der des Weges kam daher:
‹Zieht heim, Unselge! Spart die Wandermüh! Verloren
Ist eure Hoffnung! Nimmer wieder seht ihr Koren!
Ach Jammer, daß sie in den Zauberkreis geriet,
Worin der Kirke Stab die Leiber an sich zieht
Kraft des Magnetes, den zu ihrer Bosheit Danke
Der Vater ihr verlieh, der Weltenherr Ananke.
Vergeßt, vertrauert Kora! In der Kirke Haft
Ist sie verdammt zu ewger Körperwanderschaft.
Und keine Hoffnung zu entfliehn. Und niemand glaube,
Daß seine Heldenstärke die Entführte raube!
Tief in der Erde liegt der Kirke sonnenlose,
Von keinem Lichtstrahl frohe Burg Metempsychose,
Und keine Straße führt in jene Finsternisse,
Außer ein einziger versteckter Schlupfweg. Wisse:
Da, wo in einer welligen Wiese weichem Bette
Drei schwarze Asphodillen stehn, dort ist die Stätte.
Durch eine Erdenspalte, die das Gras verschweigt,
Führt eine steile Leiter, drauf man abwärts steigt.
Doch dreimal wehe jedem, wer er immer ist,
Der jenem Leitersteg zu folgen sich vermißt!
Sich selbst verdirbt er. Kora rettet er nicht mehr.
Aus Kirkes Hause mündet keine Wiederkehr.›
Trophonios riefs. Und seiner unheilvollen Sage
Antwortete Verzweiflungsschrei und Trauerklage.
Doch Attis, Koras ältster Bruder, sprach: ‹Mein Schwert
Ist gut; die Schwester ist gerechter Rache wert.
Was gilt mir Zauberlist? Ich achte keine Fährde.
Die Schwester werd ich retten. Wahrlich, ja, ich werde!›
Und jenen Abend pilgert er bei Nacht und Grau
Ins Erdenland, erfrug die Asphodillen-Au,
Fand dort die Leiter, stieg hinunter in den Gang,
Bis er zu Kirkes nachtumhülltem Raubschloß drang.
Dort hieb er mit dem Schwerte dröhnend an die Pforte.
‹Gib Kora wieder!› heischten seine Donnerworte.
Ein Glanzschein ihm zur Seite. Aus dem Glanze tauchte
Ein strahlend Weib, das gleisnerische Worte hauchte:
‹Fremdling, was zürnst du mir? Halt ich, unwissend zwar,
Kora, die göttliche, gefangen wirklich wahr,
Und unterfängst du dich, daß du sie klar erkennest,
In jeglicher Verwandlung sie mit Namen nennest,
So ist sie frei; nimm hin. Doch wenn du mich betrügst
Und klagst des Raubs mich fälschlich an, und nicht genügst
Der Forderung, daß du die Schwester klar erkennest
Und, ob verwandelt schon, sie von den andern trennest,
Dann bist du selbst, Verleumder, meinem Zorn verfallen,
Und Strafen sollst du spüren, die dir nicht gefallen!›
So lautete der Willkommgruß, den Kirke bot.
Attis frohlockte: ‹Wohl mir! Zweifel tut nicht not.
In jeglicher Verwandlung, Vogel oder Tier,
Die Schwester aufzuspüren: des getrau ich mir.
Denn an der Augensprache ist sie mir bekannt,
Die sagt zu mir: 'Attis, ich bin dir anverwandt.'
Gewißlich nenn ich sie; sonst duld ich jede Buße.›
‹Wohlan denn›, winkte Kirke, ‹folge meinem Fuße.›
Durch einen Hof gelangten sie zu einem Garten,
Wo tausend Käfige mit Vögeln aller Arten
Und grumselndem Getier in meilenlangen Zeilen
Den Weg umsäumten; während von entlegnem Teilen
Des Parks aus steinbewehrten Zwingern, Kerkern, Koben
Durch das Gezwitscher Eber grunzten, Leuen schnoben.
Ists Wahn? Sind diese Schauertöne Fiebersprüche?
‹Nicht Wahn! Wir leben!› klagen grausige Gerüche.
‹Hier›, höhnte boshaft Kirke, ‹such sie, triff die Wahl!
Sieh hin, ob deine Schwester weilt in dieser Zahl!›
Sprachs, klatschte mit den Händen, und mit hellem Munde
Warf sie die Stimme nach des Gartens fernstem Grunde:
‹Vernehmet alle, die in einen Leib beklommen,
Die Botschaft, die ich bringe: Einer ist gekommen,
Kora, das Götterkind, zu lösen allsofort.
Wo Kora immer sei, erhebe sie das Wort!›
Da ward aus abertausend Tier- und Vogelkehlen
Ein jämmerliches Rufen der gefangnen Seelen.
Und flehend durch die Tür der Käfige und Zwinger
Zwängten sich Schnauzen, bettelten bekrallte Finger.
‹Ach, Bruder›, weint ihr Blick, ‹erkennst du, Attis, nicht
In der Verkleidung deiner Schwester Angesicht?›
Und wie nun Attis vor dem wüsten Bettelchor
Erbleichend stand und stammelte kein Wort hervor:
‹Was schwankst du?› höhnte sie. ‹Wenn Zweifel dich beschleicht,
Entdeckst du sie in anderer Gestalt vielleicht!›
Und hurtig in des Kleides Busen langend, griff
Sie jetzt ein Flötlein, drauf sie schrille Töne pfiff.
Da tat sich auf die Erde. Frösche, Mäuse, Schlangen,
Ameisen kamen aus den Löchern hergegangen.
Und aus den Lüften saust ein schwärmendes Gefieder
In kreischendem Gewölk zu Kirkes Füßen nieder.
Und alles zappelte erregt zu Attis hin,
Hing sich an seine Knie, bedrängt und rüttelt ihn:
‹O Bruder Attis› tränt ihr Auge, ‹kennst du nicht
In der Verkleidung Koras treues Angesicht?›
Und immer neuen Schwarmes rauschten Vogelstürme,
Und niemals endete das wimmelnde Gewürme.
Bis daß betäubt, bewältigt, unterliegend fast,
Er grausend floh, von jähem Wahnsinnschreck erfaßt.
Jetzt mit dem Stab, den sie verborgen bei sich führte,
Schlug sie nach ihm. Und kaum daß ihn der Stab berührte,
So schrumpften seine Glieder. Zottig Hundefell
Umzwängt ihn, und Verzweiflung winselte Gebell.
In einen Koben stieß ihn Kirkes heftiger Fuß:
‹Nun, Kinder, wünschet eurem neuen Bruder Gruß!›

Und als am Morgen nicht und alle Tage weiter
Attis nach Hause kehrte, sprach der Brüder zweiter,
Jakchos: ‹Zwei Augen sind der Mutter mein geboren.
Der beiden Augen eines weint sie aus für Koren,
Das andere für Attis. Soll sie nicht erblinden,
Muß ich aus Kirkes Kerker die Gefangne finden.›
Gesagt. Und machte sich beim Sternenschein im stillen
Nach Erden auf, zur Wiese nach den Asphodillen,
Stieg in die Schlucht hinab und kam dem Schlosse nah.
Doch was dem Attis war geschehen, das geschah
Ihm ebenfalls in allen Stücken gleicherweis.
Und dreier Kinder ward die Mutter Rhea wais.

Und also fort, bis von den Brüdern Koras sieben
Ein einzger bloß, der Jüngste, übrig war geblieben,
Alastor, noch ein Kind an Jahren, schwach und zart,
Ein Hort der Zukunft, unnütz für die Gegenwart.
Den setzte Rhea eines Abends auf ihr Knie,
Und, ihm die Hände faltend, sagte weinend sie:
‹Ich gehe nun, leb wohl, den bösen Weg gegangen
Zu Kirke, wo der Kinder Tränen mein verlangen.
Zwar mangelt mir die Kraft, zu helfen und zu heilen,
Doch nicht das Herz, ihr klägliches Geschick zu teilen.
Doch meine Rache, meinen Fluch vermach ich dir.
Alastor, falte deine Händchen, schwöre mir:
Wenn einst, mit Manneskraft und Heldengeist gestählt,
Dein Herz von Taten singt, dein Blick von Mut erzählt,
Rühr einen Aufruhr im Olymp! Im Völkersturm
Ersteig, erbrich Anankes blutigen Weltenturm!
Knie auf die Brust dem Ungeheuer! Knet ihn, würge,
Es wäre, daß er Koras Freiheit dir verbürge.›
Nach diesen Worten küßte sie mit Tränen lange
Das Knäblein und verzog nach Kirkes finsterm Gange.

Und als Alastors Bart von Manneskraft erzählte,
Sein Auge funkelte, drin Tatenfeuer schwelte,
Erklomm er einen Fels, den äußersten von allen,
Und ließ des Aufruhrs Stimme durch sein Alphorn schallen.
Von Wand zu Wand im Echo grausig wandernd, schuf
Entsetzen und Empörung der gewaltge Ruf.
Aus allen Tälern des Olymp ein rennend Laufen,
Und drohend ballten sich die meuterischen Haufen.
Nicht des Olymp allein, denn sieh: von Erden wallten
Die sämtlichen Geschöpfe, eifernd mitzuhalten.
Voran die Reiterei der Luft im Windesheulen,
Von königlichen Adlern angeführt und Eulen.
Danach das Fußvolk: das unzählige Getier
Und Vieh, den Boden stampfend mit den Beinen vier:
Dumpfdonnernd dröhnten ihre Tritte. Dann der Troß
Des zischenden Gewürmes, das den Aufmarsch schloß.
Nie überblickt ein Feldherr buntre Bataillone.
Doch keine Zwietracht störte, noch Verwirrung. Ohne
Ansicht des Pelzes, der Gestalt und Leibeslüge
Lieh jeder den Gehorsam zum Gemeingefüge.
Ein einzig Maskenheer, entflammt von Brudergeist,
Ein Racheknäuel, drin das Weltweh Hoffnung kreißt.
Sieh dort: was regt sich in den Gräbern, steigt vom Boden,
Die Leichensteine hebend? Fleischlos, Haß für Oden
Und Wut für Blut? Die Toten sind es, die vom Mahnen
Des Alphornsammelrufs geweckt, Vergeltung ahnen.
Und alles schart sich um Alastors schwarze Fahnen.

Und ward von sämtlichem Geschöpf ein Freiheitskrieg,
Der feindlich nach Anankes Mörderweltburg stieg.
‹Zum Angriff!› röchelte des Rächers rauhe Kehle.
Da jauchzten die Trompeten, gellten Hornbefehle,
Und der gesamte tausendköpfige Heereswurm
Des Lebens stieß mit Fluchgeheul empor zum Sturm.
Schon war, vom aufgesparten Haß mit Wut berannt,
Der Schanzenring erstürmt, die Mörderburg verbrannt.
Die Trümmer taumelten, der Einsturz brüllt im Wanke:
‹Hie Dach! Mir nach!› Und in den Keller floh Ananke.
Darob ein welterschütternd selig Sieggeschrei,
Und das Geschöpf umarmte sich: ‹Die Welt ist frei!›

Doch jetzt, von einem tückischen Denkblitz schlau beraten,
Versteckte sich Ananke in den Automaten,
Den unbeseelten Eisenriesen, dessen Herz
Aus Stein beschaffen, seine Panzerhaut von Erz.
Ein Wellbaumschwung durch ewig fleißige Räderwerke
Beköstigt seiner Armscharniere Hammerstärke.
Sein Blick ist rotes Feuer und sein Atem Dampf.
Und als nun durch den Kellergang zum letzten Kampf
Im Siegesrausch des Feindes hitzige Vordermannen
Den Freudenjubel stürzten, meinend, den Tyrannen
Mit leichter Hand zu fällen, juckte hinterm Tor,
Den Paß versperrend, plotz! der Automat hervor.
Gleichgültig, frei von Leidenschaft und Nervgefühlen,
Schlug er des Keulenwirbels nimmermüde Mühlen.
Doch wessen Leib und Leben traf sein Kolbenschlag,
Und schöpft er aus gigantischer Stärke, der erlag.
Zur Todestreppe türmten sich die Leichenstufen,
Und bänglich Notgeschrei erstickt im Hilferufen.
Sieh da! Der Feldherr selbst, der finstre Fürst der Rache.
‹Heil uns! Hoffnung, erhebe dich! Blick auf! erwache!›
Mit wildem Ansprung über Fluch und Leichengreuel
Warf sich Alastors Wutschrei auf den Eisenscheuel.
Der langen Tage sieben und der bangen Nächte
Setzt er dem Automaten zu im Schwertgefechte.
Doch wider leblos Eisen fruchtet keine Schlacht:
Des Unholds Rohgewalt behielt die Obermacht.
Zerschmettert lag Alastor, schrecklich anzuschauen,
Und rückwärts flutete das Erdenvolk mit Grauen.

Also verendete der Weltenfreiheitskrieg,
Da das Geschöpf des Schöpfers Mörderburg erstieg.
Von neuem knirscht das Weltall in Anankes Zangen,
Und Kora schmachtet noch, in Kirkes Haft gefangen.»

Also erzählte Zagreus. Während seiner Rede
Suchten viel scheue Augen furchtsam Ganymede;
Indessen heimlich manche Hand mit sachtem Streifen
Den eignen Leib befühlte, gierig, zu begreifen,
Daß vor Verwandlung sicher, haltbar und gesund
Ihr junger Leichnam sich bewähre, um und rund.
Still waltete der Fleiß, von Plaudern ungestört
Und Lachen. Ward kein Laut im weiten Saal gehört
Als Blätterrascheln durch die Finger, Atemholen
Und hie und da ein feiner Tritt geschäftger Sohlen.

Doch während also emsiger Hände Heimlichkeit
Im fernen Saale wirkte, hob zur selben Zeit
Sich Hera aus dem Bette, öffnete die Tür
Und streckte schnuppernd durch den Spalt die Nase für.
«Riechst du», raunt ihr das Selbstgefühl frohlockend zu,
«Und merkst du, benedeiteste der Frauen du?
Nämlich der ganze unvernünftige Veilchensegen
Geschieht für dich, nur deines flüchtigen Wunsches wegen.
Und der dir also huldigt, ist der Himmelskönig,
Der mächtige, starke Zeus, dem alle Lande frönig.
Allein was hilft ihm, daß die Welt ihm untertan?
Dir dient er, deiner Wörtlein kleinstes hört er an!»
Und schmeichelnd sprach ihr zu ein freundlicher Gedanke,
Daß sie dem Gatten seinen Eifer hold verdanke,
Geheim mit Blick und Kuß in stiller Liebesfeier.

Doch nicht erlaubten dies die argen Bosheitsgeier
In ihrem Herzen. Eintracht war nicht ihr Gefallen.
Wild sperrten sie die Schnäbel, spreizten Schopf und Krallen.
Und einer aus der Zahl, der giftigste von allen,
Hub an und pfiff und fauchte: «Meinst du, einfach machen,
Was man gesagt hat, müßte meinen Dank entfachen,
Daß ich Bewunderung ihm zappelt aus dem Schoß?
Du bist genügsam: mir gilt solch Verdienst nicht groß.
Das kann ein Bauer, kann ein Knecht, ein jeder kanns.
Erhabner ist das Ehrenamt des Ehemanns,
Ob freilich schwieriger. Doch wenns nicht schwierig wäre,
Worin bestände sonst der Vorzug und die Ehre?
Erfahre denn: als mindeste der Ehetaten
Acht ich, der Gattin Wunsch im Urkeim zu erraten.
Gelüste, die man selbst nicht spürt, so sind sie fein,
Die müssen dem Gemahl Gebot und Richtschnur sein.
Ich sage: 'nein' – jetzt ahne: heißt das nein, heißts ja?
Siehst du: das nenn ich Zartgefühl, die Kunst ist da!
Dagegen Blindgehorsam ohne Geistesschwung
Ist keine Ehrerweisung, nein: Beleidigung.
Den Sklavensinn, das Pöbelblut erkenn ich dran –
Und überhaupt, gesteh doch selbst, ist das ein Mann?
Immer an meinen Fersen klebrig, unterwürfig,
Nach einem Lächeln schmächtig, einem Blicklein schlürfig!
Wer gab mir diese teige königliche Grütze?
Ein Weib begehrt vom Mann vor allem eine Stütze,
Ein Ding, darin ein Mark und ein Charakter haust,
Der ihr den Willen zeigt und, tut es not, die Faust.
Viel eher als den Sänftling, der mir Liebe gurrt,
Trüg ich den Polterich, von kräftigem Zorn durchknurrt!»
Und ließ nicht nach, bis daß verwirrt, verschwatzt, verhetzt,
Sie sich von Zeus beleidigt achtete zuletzt
Und, was durch Bosheit innen ihr zuleid geschah,
Im Spiegelbild sie in des andern Absicht sah.
Stillgrimmig unterzog sie wieder sich der Decke,
Bekümmert, welchen Molch sie ihm zum Undank hecke.

Und als am andern Morgen nun, gedehnt, gegähnt,
Sie den Gemahl, von Schenkerungeduld zersehnt,
Wartwandeln hörte draußen vor dem Schlafgemach,
Warf sie sich wieder in die Kissen: «Nur gemach!
Vor allem will ich dir, mein Herr, die Gunst gewähren
– Nimms dankbar an für Gnade – dich Geduld zu lehren.»
Und ließ ihn ruhig räuspern, hüsteln, wie er mochte.
Und wenn sein Finger zaghaft an die Türe pochte,
Durchs Schlüsselloch er schüchtern ihren Namen rief,
So stellte sie sich schlafend, atmend gleich und tief.
Bis daß sie ihm die Freude wurzelgrundverleidet.
Jetzt aus dem Bett geschlichen, still sich angekleidet:
«Was wollte, weißt dus», überfiel sie ihn, «nachtheute
Der Lärm, der mich nicht schlafen ließ, der vielen Leute?»
«Vielleicht», sprach Zeus, «daß mir dein Unmut gern verzeiht,
Vernimmst du eine Überraschung, dir geweiht.»
Sie aber, ihre Nase schützend, nieste: «Uch!
Was ist das für ein widerlicher Ungeruch?»
«Ich weiß nicht, was du meinst . . .» Und schmunzelnden Gesichts
Die Veilchen zeigend: «Teure Gattin, siehst du nichts?»
Beleidigt prallte sie zurück, die Augen naß
Von Tränen: «Wem gefiel der abgeschmackte Spaß?»
Drob blitzten seine Blicke: «Liebe Gattin wert,
Hast du nicht Erdenveilchen sehnlich jüngst begehrt?»
«Wann hätt ich das? Wie? Wo? Das hab ich nie gesagt!»
«Du hasts gesagt. Ich sags, weil Wahrheit mir behagt.»
«Ein hübscher Morgengruß, mich Lügnerin zu nennen!»
«Das tu ich nicht. Die Wahrheit wollt ich bloß bekennen.»
«Genug, behalte recht. Nimm an, ich hätts getan,
Da dus begehrst. Rück jetzt mit deinem Rätsel an!
Anstatt mit ewgen Zänkereien mich zu mähen,
Zeig endlich deine Überraschung, laß sie sehen!»
Die Augen rollte Zeus und knirscht und stöhnte: «Weib,
Du wählst dir heute einen schlimmen Zeitvertreib!
Ich habe viel Geduld, doch schließt sie mit dem Ende,
Und wenn mein Zorn einmal erwacht, so gehts behende!»
«Recht so», hohnlachte sie, «fahr weiter! Besser ist,
Du zeigst dich unverstellt als Bauer, der du bist.
Laß meine Torentat – ich habs verdient! – mich büßen.
Daß ich es nicht verschmäht, als Gatten dich zu grüßen.
O Pein und Scham, o bittre Reue tränenheiß!
Ach, wenn ich damals wußte, was ich heute weiß!
Schlag zu, mißhandle mich, es ist gerechter Zoll.
Weswegen hab ich einst den herrlichen Apoll
– Ach, wenn mans zweimal dürfte! – den mein Herz ersehnt,
Um eines rohen Wütrichs willen abgelehnt?
Weh! In die beiden Augen hab ich mir gestochen!
Ich werde hart gestraft: Apoll, du bist gerochen!»

Ob diesem Wort begab sich, daß im Übermaß
Des Ärgers Zeus der Rede Schicklichkeit vergaß:
«Ech du huhnhirnige, verwöhnte Pfauenhenne
– Verzeih, gestatte, daß ich dich beim Namen nenne –
Schnapp nur nicht, laß dich bitten, Fliegen nach Apollen!
Kaum dein, du hättest mich statt seiner haben wollen.
Und überhaupt, er oder wer, das bleibt sich gleich:
Es wohnt kein Mannsbild weder hoch im Himmelreich
Noch auf der Erde weder in der Unterwelt,
Des Lammessanftmut wider deine Pfauheit hält!
Soll ich dir sagen, willst du, was dir täte not?
Die magre Armut, Sorge für das liebe Brot,
Arbeit ohn Unterbruch mit eigner Muskelmühe,
Statt Nektar und Ambrosia Grieß und Erbsenbrühe,
Verziert mit einem hand- und ehrenfesten Mann,
Mit Haaren auf den Armen und zwei Fäusten dran,
Der allemal, wenn dich die Daimonsbosheit juckt,
Dir einen Trauermarsch auf deine Sitzung zuckt.
Was gilts: die Liebe würde plötzlich sich beeilen! –
Ich war ein bißchen scharf, je nun, es mög dich heilen!»

Ein Schluck, ein Krampf, ein Blick auf den Vermeßnen hin,
Und stolz verrauschend floh die wunde Königin.
Geschehen. Staunen; bange Stille. Horch! da brach
Die Fahne Olbia polternden Gefälls vom Dach.
Und des holdselgen Knäbleins Friedensmelodei
Riß plötzlich mitten durch mit einem Schluchzerschrei.

Bestürzt vernahm die unheilkundigen Warnungszeichen
Der König. Reue überfiel den Schreckensbleichen.
Und als sein aufgeregtes Horchen vollends schon
Im Treppenhaus die Flucht des Knäbleins Eidolon
Erlauschte, wie mit kindischem Hopsen Sprung für Sprung
Es trepphinunter trieb die Abschiedswanderung,
Eilt er ihm hurtig nach, ob ihm vielleicht gelinge,
Daß ers mit schmeichelnder Gewalt zum Bleiben bringe.
Da sieh: den Flüchtling aufzuhalten ihrerseits,
War ihm zuvorgekommen Heras Fuß bereits.
So trafen sie sich Aug in Aug in nächster Nähe;
Doch jedes tat, als obs das andere nicht sähe.
Das Lockenhäuptlein streichelte, die Stirn, die Wangen
Jetzt Zeus dem Kind und sprach die Rede leidbefangen:
«Wenn ich nur wüßte, ob nicht eitel Spott und Hohn
Und Schmach ich erntete zum wohlverdienten Lohn,
So könnte sich mein Stolz zur Buße wohl verstehen,
Den Bittgang in der Gattin Kammer würd ich gehen.»
Und Hera, auf die Augen, auf den Kindermund
Das Knäblein küssend, gab verschämt die Antwort kund:
«Wenn Zeus vor meine Schwelle reuig kommt gegangen,
Will ich den Schimpf vergessen und ihn hold empfangen.»
So zettelten die beiden einen Friedensplan
Im Scheingespräche zu dem Kind versöhnlich an.
Drauf kehrte Hera mit geschwinden Schritten heim
Und guckt am Fenster durch den Vorhang insgeheim
Zum Hof hinunter, ihres Gatten Kunft gewärtig.
Doch als nun über kurzem, fromm, zur Buße fertig,
Der König durch den Hof den widerspenstigen Fuß
Zum Bittgang zwängte, zählend auf den holden Gruß,
Da stachelten die Bosheitsgeier: «Wie! so frühe?
Erkauft sich die Verzeihung mit so leichter Mühe?
Für all die bösen Worte, hohn- und haßgeladen,
Womit er dich beschimpft, soll schon ihm Liebe gnaden?»
Und rasch die Tür verschließend, fieberfingrig zwar,
Verblieb sie hinterm Vorhang stumm und unsichtbar,
So daß nach einiger Zeit des Wartens, rot vor Scham
Und Zorn, der König finstern Blicks den Rückweg nahm,
Verfolgt vom frechen Frageblick der strammen Wächter
Und von der Zofen kaum verhaltenem Gelächter.

«Ach, weh mir armen Törin! Warum tat ich dies?
O käm er wieder! Dann erhört ich ihn gewiß!»
Allein am andern Tag bei seiner Wiederkehr
Erlag ihr Herz den Bosheitsgeiern wie vorher,
Verweigert ihm den Zutritt, riegelte die Tür
Und gab ihr Antlitz hinterm Vorhang nicht herfür.
Dann rang sie Tag und Nacht nach Atem angstbeklommen:
«Ach möcht er einmal noch, nur einmal wiederkommen!»

«Wohl mir!» rief sie bei seiner dritten Wiederkunft,
«Heut ist der Koller weg, heut spür ich die Vernunft.
Bewahre, daß ich nochmals den Empfang verschöbe!
Nur daß man gar so hoch und plötzlich ihn erhöbe –
Wie wärs zum Beispiel, wenn ich eine Stufenleiter
Erstellte: heut zunächst ein Blicklein, morgen weiter
Ein Lächeln ihm gewährte, später dann ein Wort
Der Gnade, und so immer mählich aufwärts fort –»

Und während sie so schwankte in des Zweifels Mitte,
Stieß Zeus vom Hof daher die widerwilligen Schritte:
«Nun war ich zweimal schon den Lämmergang gewohnt,
Und beidemal mit Hohnspott wurde mir gelohnt!»
«Sei groß! Versöhnung läßt sich mehr als zweimal suchen;
Ein häßliches Geschäft, der Liebsten Schulden buchen.»
«Seis drum!» Da würgt ihn Ekel. Eine Kröte kroch
Von Heras Schwelle ihm entgegen. «Einmal noch,
Ein einziges kleines Mal!» Die Kröte kränkt ihn doch.
Bis plötzlich er den Mantel von den Schultern riß,
Ihn mit den Füßen trat, die Fäuste von sich schmiß:
«Bin ich ein Hund denn, den mit Prügeln man erzieht?
Und alles um die Daimonsveilchen, was geschieht!
Gehabs! Üb du die Veilchen-, üb die Hühnerzucht!
Ich habe dir den Pfau zu krauen nicht die Sucht!»
Er riefs und stampfte heimwärts mit entschloßnem Gang.

«Meine Geduld ist all, die Weile wird mir lang»,
Rief Hera, «geht doch: wo der Zuchtvergeßne bleibt,
Was das bedeuten soll und was er unnütz treibt?»
«Herrin, er lehnt im Thron, umringt vom Heroldchor,
Und mächtige Befehle spricht er ihnen vor.»
«Holt eilends ihn herunter, sagt, ich send ihm Grüße
Und heute wär ich hold gesinnt und sanft und süße.»
«Ach Herrin, liebste Herrin», meldeten mit Zagen
Die Dienerinnen, «dein Gebieter läßt dir sagen:
‹Den Bittenden erhöre, allsolang er fleht.
Hast du den Stolz einmal entzündet, ists zu spät.›»

Die Haare zerrte sich die Königin: «Verrat!
Doch fordr ich Rache», schneuzte sie, «für diese Tat!
Halt – wart doch! Still! Was war das? Sahst du nichts? Was sprang
Mir Glitzerndes zu Boden, klirrend kling und klang?»
Das Wundergläslein wars, der Zauberfingerring,
Den sie aus Moiras gnädigen Händen einst empfing.
Dort sieh: da liegts; allein zersplittert und zerschellt.
Kein Künstler heilt es wieder, keine Macht der Welt.

Geistlosen Blicks, zunächst das schmucke Kleinod nur
Betrauernd, stierte Hera auf die Scherbenspur.
Dann, sich erinnernd, trostverlaßnem Schmerz zum Raub,
Fiel sie, dem Ringlein nach, lautweinend in den Staub.


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